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9 BAYERISCHE LANDESZENTRALE A FUR POLITISCHE BILDUNGSARBEIT 65

als - sfb-governance.de · doppelte Ordnungsfunktion. Zum einen übernimmt er die Aufgabe, innerhalb seiner Territorialgrenzen die öffentliche Ordnung zu gewährleisten. Zum anderen

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BAYERISCHE LANDESZENTRALE AFUR POLITISCHEBILDUNGSARBEIT 65

ULRILH S1[NEGK[NER

Staatszertall und fragile Staatlichkeit

EinleitungY

In der modernenStaatenwelterfüllt der Staat— zumindestderTheorie nach— einedoppelteOrdnungsfunktion.Zum einenübernimmter die Aufgabe,innerhalbseinerTerritorialgrenzendie öffentlicheOrdnungzu gewährleisten.Zum anderenkonstitu-jerenalle StaatengemeinsamdasinternationaleSystem,sie sind damit die primären(wenn auch nicht alleinigen) Trägerder globalenOrdnung.Schwache,versagende,zerfallendeoder gescheiterteStaaten— allgemeinerformuliert:Formenfragiler Staat-lichkeit — unterminierenbeideFunktionen,sie verursacheninsofernnicht nur Pro-blemeauf nationaleroder regionaler,sondernauchauf internationalerEbene.In derTat ist eineReihevon Staatende facto nicht in der Lage,grundlegendeFunktionenund Dienstleistungengegenüberihren Bürgern zu erbringensowie ihrer Verant-wortung und ihren Verpflichtungenals Mitglieder der internationalenStaatenge-meinschaft gerecht zu werden. Diese Erkenntnis ist nun keineswegssonderlichoriginell — schongar nicht für jene, die sich seit Jahrzehntenmit Entwicklungs-und1 Transformationsgesellschaftenbzw. mit Krisen- und Konfliktregionenbefassen.SieprägtenBegriffe wie QuasLStaaten(Jackson1990),Para—Staaten(vonTrotha2000),1 anomischeStaaten(Waldmann2002),Schatten-Staaten(Reno2000)oderNetzwerk-Staaten (Köhler/Zürcher2003), um unterschiedlicheAspekte einer mangelhaftenoder fehlendenFunktions- und Steuerungsfahigkeitin zahlreichenStaatenSudost-und Osteuropas,Afrikas, Asiensund Lateinamerikaszu beschreiben.

Zum Konzept von Staatlichkeit

Der Begriff fragile Staatlichkeitimpliziert, dassessowohlempirischals auch korn-zeptionellnicht-fragile, d.h. stabile,intakteoderkonsolidierteFormenvon Staatlich-keit gebenmuß. Anders formuliert: Die Vorstellung von fragiler Staatlichkeit istnotwendigerweiseabgeleitetvon Konzeptionen,die ihren Ursprungnicht zuletzt inder europäischenPhilosophieund SoziologiedesStaateshaben.Die Grundlagefürdie Analysevon Staatlichkeitist demzufolgedermoderne,neuzeitlicheStaat,wie ersich zunächstin Europaim Laufe des117. und 18. Jahrhundertsherausgebildethat.Dabei kannin Anlehnungan Max WeberzwischenpolitischemVerbandund Staatunterschiedenwerden,dasbeißt! politischeGemeinwesensind nicht zwingendaufAttribute von Staatlichkeitangewiesen,sondernkönnenauchin andererForm exi-stieren.Das zentraleDistinktionsmerkmalist für Weberjedochdas „Monopol deslegitimen physischenZwangs“, dasnur der moderneTerritorialstaatbeansprucht(Breuer 1998: 18 f.). In der (deutschen)staatsrechtlichenLiteratur wird seit derAllgemeinenStaatslehrevon GeorgJcllinek (1895) bei der Definition des Staatesvon drei Elementenausgegangen:Staatsgebiet,Staatsvolk(Staatsbevölkerung)undStaatsgewalL.Mit anderenWorten: der moderneStaat konstituiertsich durch denAnsprucheinerZentralgewaltund ihres Apparatsaufpolitisch—institutionelleKon-

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trolle überein spezifisches,abgrenzbarcsTerritorium und die dort lebendeBevölke-rung. DieseZentralgewalt,als VerkörperungdesStaatesund GarantderöffentlichenOrdnung, beanspruchtdamit Souveränitätnach Innen (vis-5-vis den Bürgern undder Gesamtgesellschaft)und nachAußen(vis-ä-vis externenAkteuren).In derPraxisder internationalenBeziehungenund ausder PerspektivedesVölkerrechtsbedarfjedochein StaatderAnerkennungdurchandere,umüberhauptnachInnenund nachAußensouveränhandelnzu können.Nebendie De-facto-Staatlichkeit— verkörpertdurch die drei Elemente— tritt daherdie De-jure-Staatlichkeit,die sich aufdie inter-nationaleAnerkennungbezieht.Für dieformaleExistenzvon Staatlichkeitist derDe-jure-Aspektsogarwichtiger als die faktischeStaatlichkeit,da daspolitischeGemein-wesennur durch dieseAnerkennungdiplomatischeBeziehungenunterhaltenundbeispielsweiseMitglied internationalerOrganisationenwerdenkann. In derTat han-delt essich bei einerReihevon postkolonialenStaatenum De-jure-Konstrukte,denenwesentlicheempirischeVoraussetzungenfehlen. Gleichzeitig gibt es staatsähnlicheGebilde,die jedochauspolitischenGründenkeineumfassende,internationaleAner-kennungfinden(z.B. Transnistrien,Abchasien,Somaliland,Kosovo, Nordzypern).

Damit sind jedoch nur Minimaikriterien für Staatlichkeitgenannt.InsbesondereinderOECD-Welt,abernicht nurdort, hatsich in den fünfziger,sechzigerund siebzigerJahrendes20. JahrhundertseinProfil von Staatlichkeitentwickelt,dassich nebendemGewaltmonopolals AusdruckstaatlicherSouveränitätnochausanderenDimensionenvon Staatlichkeitzusammensetzt.Dazu zählenvor allem der demokratischeVerfas-sungsstaat,derRechtsstaat,derVerwaltungsstaatsowieder Sozial-bzw.Wohlfahrts-staat(Grimm 1996). ModerneStaatlichkeitumfasstinsofernein breitesSpektrumanpolitischenInstitutionen,dasüber den engerenBereich desStaatsapparatesund derExekutive(inklusive Polizei und Armee)hinausreicht,sonderndie Legislative(Parla-mente,Parteien),die Judikative(Gerichtswesen)und den gesamtenVerwaltungsbe-reich einschließt.Danebenkönnen auch staatlich geprüfte Bildungseinrichtungen,Krankenhäuseroder öffentlich-rechtlich verfassteMedien als ElementestaatlicherOrdnungaufgefasstwerden.Hinzu kommenje nach StaatsaufbauInstitutionenundAkteureauf der lokalen und regionalenEbene(Kommunal- und Bezirksverwaltun-gen, Kommunalparlamente,Provinzgouverneureetc.). Darüberhinausgibt es auchzivilgesellschaftlicheoderprivate Akteure,an die staatlicheEinrichtungenbestimmteFunktionendelegierenund die damitVerantwortungfür dasGemeinwesenüberneh-men.Insoferngilt eszwischendein Staat,verkörpertdurcheineRegierungund einenbürokratischenApparat,verstandenals Akteur im engerenSinneund StaatlicJikeitalsfunktionalemBegriff, bei dem es um die Erfüllung bestimmterAufgaben, um däsZustandekommenund die Durchsetzungvon Entscheidungen,um die Bereitstellungvon Ressourcensowieum einenpolitischenOrdnungsrahmengeht,zu unterscheiden.

Die Bezugnahmeauf dashistorischentwickelteOECD-Profilgehtnotwendigerweisemit einernormativen,durchausproblematischenGrundorientierungeinher,da hierimplizit oder explizit Maßstäbeangelegtwerden,die, so einehäufiggeäußerteKri-tik, nur schwerin andereWeltregionenübertragbarseien.Allerdings lässtsich beider Erforschungvon PhänomenenfragilerStaatlichkeiteinenormativeAusrichtungkaumvermeiden:Dies gilt nicht nur für FragenderpolitischenOrdnung(Demokra-tie, Rechtsstaatlichkeitetc.), sondernauch für ganz elementareBereiche:Dass einStaatbeispielsweisefür die SicherheitseinerBiirger Sorgetragensoll, ist offenkun-dig keine ausderAnalyse gewonnene,sondernzunächsteine normativ begründeteForderung,über die man geteilter Ansicht sein kann. Darüber hinauslassen sich

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einige Gründe nennen,warum es durchausSinn macht, das so genannteOECD-Modell als Ausgangspunktfür die Analysezugrundezu legen:

ErstenshatsichdasobenskizzierteStaatsmodellauchin derOECD-Weltnur allmäh-lich, unterRückschlägenund Krisenherausgebildetund ist erstin derzweitenHälftedes 20. Jahrhundertszu seinervollständigenAusprägunggekommen,zunächstinNordamerika,West- und Nordeuropa,dann in den siebzigerJahrenin Südeuropa(Spanien,Portugal,Griechenland),in den achtzigerJahrenin Teilen LateinamerikassowieOstasiensund in den neunzigerJahrenin Mittel-, Ost-und Südosteuropa.IndiesemSinnehandeltsichzwarum daswestlicheModell desdemokratischenRechts-und Wohlfahrtsstaats,das aber, empirisch betrachtet,keinesfallsallein auf seinenhistorischenUrsprungsraumfestgelegtist, sondernsich auchin anderenRegionenalsdaserfolgreichereModell durchgesetzthat.

Zweitensbestehtbis heuteeineerheblicheVarianzbei derAusgestaltungvon Staat-lichkeit innerhalbder OECD-Welt, dasheißt, es gibt trotz aller GemeinsamkeitenkeineallgemeingültigeBlaupause,nachderStaatlichkeitorganisiertwird. SelbstimKernbereichdesStaates,bei der GewährleistungöffentlicherSicherheit,geltenvonLand zu Land unterschiedlicheMaßstäbeund Regelungen.Ähnliches gilt für denAufbau derpolitischenOrdnung,zumBeispiel für die Wahl desDemokratiemodellsoderfür denUmfang desSozialstaats.DieseHeterogenitätinnerhalbderwestlichenWelt wird jedochin derDebattenurseltenzurKenntnisgenommen.

Drittensmussmanfeststellen,dassesheuteweltweitkaumnochGesellschaftengibt,die ausschließlichauf der Basisvormoderner(tribaler, traditionaler)Strukturenorga-nisiert sind, die als Anknüpfungspunktefür ein alternativesModell in Fragekämen.Auf lokalerEbeneund in abgeschiedenenGemeinschaftenmagessolcheOrganisati-onsformengeben;grundsätzlichist jedochdie außereuropäischeWelt, im PrinzipseitderKolonialzeit, von einempolitischenund wirtschaftlichenModernisierungsprozesserfasst,der eine Rückkehr zur Vormodernenur schwervorstellbarmacht. In derRealität finden sich vielfach eherhybrideFormen,die ,,westliche“ Elementein derStaatsführungmit traditionalenzu verbindenversuchen.Im Ergebnis führt dieseKonstellationnicht seltenzu erheblicheninnergesellschaftlichenAuseinandersetzun-gen zwischenwestlich-orientiertenund traditionalen,orthodoxenoderfundamentali-stischenKräften. Geradein einemsolchenSpannungsfeldkommenkonkurrierendenormativeAnsprücheins Spiel,zu denensich externeAkteureverhaltenmussen.

Viertensstellt sich auspraxeologischerSichtdie Frage,ob die deutscheodereuropäi-scheAußen-,Sicherheits-und Entwicklungspolitikernsthaftein grundsätzlichandersgelagertesStaatsverständnisals Leitlinie zugrundelegenkann.SollenbeispielsweisedemokratischeVerfahrensweisen,Elementevon Rechtsstaatlichkeitoder die Siche-rung des legitimen Gewaltmonopolsals Zielsetzungenvermiedenoder relativiertwerden,weil sie in manchenKontextenals „westliche Importe“ gelten?Dies würdebedeuten,dassman — ungeachtetder historischenErfahrungenbei der geographi-schen Ausbreitung des OECD-Profils — bestimmteGesellschaftenprinzipiell fürnicht fähig hält, nachhaltigeStrukturenzu entwickeln,obwohl in den meistenLän-dern außerhalbder OECD-WeltverschiedeneAkteure, oftmals im Widerspruchzuden aktuellenMachthabern,ebengenaudieseStandardsund Spielregelneinfordern.Die Haltung, anderendasPotentialzur Entwicklung einesdemokratischenRechts-staatesabzusprechen,wäre ebensopaternalistischund realitätsuntauglich,wie diefast missionarischeÜberzeugung,der ,,Westen“könneanderenWeltregionenseine

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Vorstellungen ,,überstülpen“.Das Problem scheintdaher weniger die normativeOrientierungan bestimmtenZielen zu sein,alsvielmehrdie Fragenachdemgeeig-netenWeg, den angemessenenMitteln und derzeitlichen Perspektive,um diesezuerreichen.Und hier gibt es in derTat keineeinfachenAntworten oder Blaupausen,die sich ohneweiteresvoneinerRegionaufeineandereiibertragenließen.

Rankings und Indizes: Weiche Staaten gelten als fragil?

Fälle von fragiler Staatlichkeitzeichnensichin ersterLinie dadurchaus,dassstaatli-che Institutionen ihre Kontroll-, Steuerungs-und Handlungsfähigkeitin zentralenAufgabenbereichenverlorenhabenoderabernurunzureichendentwickelnkonnten.Es handeltsich um Staaten,deren Institutionennicht oder nicht mehr in der Lagesind, bestimmteelementareLeistungengegenüberihrer Bevölkerungzu erbringen,was sich zumeistin einenrapidenoder schleichendenVerlust an Legitimität über-setzt. Um welcheStaatenhandelt es sich nun, wenn in der Literatur von fragilerStaatlichkeitdie Redeist? Eine Möglichkeit, dieserFrage näherzu kommen, ist einBlick in jeneRankingsund Indizes,die von InternationalenOrganisationen,Stiftun-gen bzw. Forschungsinstitutenerstelltwerdenund die zumeisteine Füllevon quan-tifizierbarenIndikatorenin aggregierterForm abbilden.

DerehersicherheitspolitischausgerichteteFail ed-State-Index,der 2005 erstmalsvonder Zeitschrift Foreign Policy und dem Fund for Peaceerstelltwurde, listet Länderauf, derenStaatlichkeitmit ,,kritisch“, „gefährdet“oder „latentgefährdet“bewertetwird (Foreign Policy 2005: 56—65; 2006: 50—58. Vgl. auch: http://www.fundfor-peace.org/programs/fsi/fsindex.php.).Grundlagefür den Index sind zwölf Indikato-ren. Galten2005 33 von 76 untersuchtenStaatenals „kritisch“, warenes200628 vonnunmehr146 Staaten.Angesichtsder unterschiedlichenGrundgesamtheitsind beideRankings kaum miteinandervergleichbar,zumal manche EinordnungerheblicheZweifel aneinereinheitlichenBewertungderDatenaufkommenlässt.Beispielsweiselag Pakistan2005 noch auf Rang34 („gefährdet“), ein Jahrspäteraberauf Platz 9(„kritisch“) noch vor Afghanistanund Liberia (!), obgleichwenigdafür spricht,dasssich die Zuständeim Land innerhalbvon zwölf Monaten in dieser gravierendenWeiseverschlechterthaben.Um gleichwohldieseRankingsals eineArt Momentauf-nahmezu nutzen,kannmanzumindestjeneinsgesamt38 Staatenals Fälle fragilerStaatlichkeitin Betrachtziehen,die 2005bzw.2006als „kritisch“ angesehenwurden.

Stärkerentwicklungspolitischmotiviert ist hingegendie Bewertungvon AutorendesCenterforGlobal Developnient(2006),wonach48 Staaten— in unterschiedlicherIntensität— als „poorly performingstates“bezeichnetwerden.Unterschiedenwirddabeizwischen „worst performers“, ,,strugglingon many fronts“ und „near-mis-ses“. DieseEinordnungorientiert sich in ersterLinie an jenenKriterien zu politi-schen und wirtschaftlichen Freiheiten, zur Qualität des Rechtsstaatessowie zuöffentlichen Investitionenin Bildung und Gesundheit,die die US-Regierungbeiihrer MittelvergabeausdemMilieu jum ChallengeAccountzugrundelegt, mit demvor allem ,,goodperformers“belohntwerdensollen (Weinstein/Vasihnav2006).

Das britische Departmentfor International Developuient(DFID) geht in seinerStrategiewiederumvon 46 fragilen Staatenaus,in deneninsgesamtrund 870 Mil-lionen Menschenund damit 14 ProzentderWeltbevölkerungleben(DFID 2005: 7).

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Diese Zusammenstellungbasiert auf den Country Poliey and InstitutionalAssessrnents(CPIA) der Weltbank,die jährlich durchgeführtwerden,um anhandvon 20 Kriterien die Wachstums-und Armutsbekämpfungspolitikvon Ländernzubewerten,die internationaleFinanzhilfenerhalten.DFID führt dabei jene Staatenauf, die in den Jahren 1999 bis 2003 wenigstenseinmal in den beiden unterstenCPIA-Kategoriengenanntwurden.

Zu einem anderenErgebniskommt der BertelsmannTransformationIndex (BTI):Der Status Index 2006 konstatiertbei 55 Staaten(Rang 65 bis 119) „ungünstigeVoraussetzungen“oder gar „gravierendeHindernisse“ für die Entwicklung einermarktwirtschaftlichenDemokratie(BertelsmannStiftung2005).DieserBefundlässtdurchausRückschlüsseauf die Stabilität desStaatswesenszu, wennmandie Theseteilt, wonach es sich bei konsolidierter Staatlichkeit zumeist um demokratischregierteStaatenhandelt(gilt abernicht im Umkehrschluss!).Aufgrunddieserspezi-fischen Perspektivefinden sich unter diesen„bad performer“ zahlreicheautoritäreoder semi-autoritäreRegime,aberauch Länder, in denender Demokratisierungs-prozeßnoch amAnfangstehtbzw. ins Stockengeratenist. In eineähnlicheRichtunggehendie GovernanceIndicators der Weltbank,die seit i996 alle zwei Jahrein fol-gendenKategorienerhobenwerden:„voice andaccountability“, „political stability“,„governmenteffectiveness“,„regulatoryquality“, „rule of law“ und „control of cor-ruption“ (Kaufmann/Kray/Mastruzzi2005). Von den 209 untersuchtenLändernund Territorienerhaltenüber 70 durchgehendin allen sechsKategoriennegativeWerte, so dassmanihre Governance-Leistungeninsgesamtals kritisch bezeichnenkann,selbstwenneserheblicheSchwankungeninnerhalbdieserStaatengruppegibt.

DieseRankingslassensich nun abgleichenmit Listen von denVereintenNationenbzw. der Weltbank,die sich primär an Entwicklungs-und Wirtschaftsindikatorenausrichtenund insofern die Output-LeistungeinesGemeinwesenszumindest inTeilen abbilden.Beim UNDP Human DevelopmentIndex (HDI)‘ der Datenfür diedurchschnittliche Lebenserwartung,die Alphabetisierungs-und Einschulungsratesowie dasPro-Kopf-Bruttoinlandsproduktaggregiert,liegen 70 StaatenunterdemHDI-Durchschnittaller berücksichtigtenStaaten(Rang108 bis 177),davongehören32 Länderin die Kategorie „bw humandevelopment“.Hinzu kommenjeneStaaten,die aufgrundfehlenderoder mangelhafterDatenlagenicht im HDI aufgelistetwer-den und von denendahervermutetwerdenkann,dasssie ebenfallsweit unterdemHDI-Durchschnitt liegen (z.B. Afghanistan,Liberia, Irak, Nordkorea) (UNDP 2005:219-222).

Die Liste derLeastDevelopedCountries(LDCs), erstelltvonderUN-Sonderorganisa-tion UNTAG, umfaßtdagegen50 Staaten,dieinsgesamt11 ProzentderWeltbevölke-rung (742 Millionen) ausmachen,aber nur über 0.6 Prozentdes globalen GDPverfügen.Die Weltbank(2006) bezeichnetwiederum54 Staatenals „bw incomenomies“,wobeihier allein dasPro-Kopf-Bruttoinlandsproduktzugrundegelegtwird.

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Abb. 1: Rankings und IndizesInsgesamt: 109 Staaten Failed States

Index 2005/2006 (38)1

Center for GlobalDevelopment 2006(48)

DFID 2005(46)2

BTI StatusIndex 2006(55)3

Weltbank 2004Governancelndicators(71)~

UNDPHDI 2003(70)

UNTAC2003LDCs(50)~

Weltbank 2006Low incomeeconomies(54)6

1. Ägypten X X

2. Aquatorial-Guinea X X X X

3.Äthiopien X X X X X X X X

4. Afghanistan X X X X X k.A. X X

5. Albanien X

6. Algerien x x7. Angola X X X X X X

8. Aserbaidschan X X X X

9. Bangladesch X X X X X

10. Benin X X X

11. Bhutan X X X X

12. Birma X X X X X X X X

13. Bolivien X

14. Bosnien X X X

15. Botswana X

16. Burkina Faso X X X

17. Burundi X X X X X

18. CapeVerde

119. China y

Insgesamt: 109 Staaten Failed StatesIndex 2005/2006 (38)‘

Center for GlobalDevelopment 2006(48)

DFID 2005(46)2

BTI StatusIndex 2006(55)3

Weltbank 2004GovernanceIndicators(71)~

UNDPHDI 2003(70)

UNTAC2003LDCs(50)~

Weltbank 2006Low incomeeconomies(54>6

20.Coted‘lvoire X X X X X X x21. Dominica X

22. Dominikanische Republik X

23. Dschibuti X X X X X

24. Ecuador X

25. Eritrea X X X X X X X

26. Gabun X X

27. Gambia X X X X X

28. Georgien X X

29. Ghana X X

30. Guatemala X X X X

31.Guinea X X X X X X

X

X

X

X

32. Guinea-Bissau X X X X

33. Guyana X

34.Haiti X X X X X X X X

35. Honduras X X

36. Indien X X X

37.Indonesien x x X

38. Irak X X X k.A.

39. Iran X X

1

Insgesamt: 109 Staaten Failecl StatesIndex 2005/2006 (38)‘

Center for GlobalDevelopment 2006(48)

DFID 2005(46)2

BTI StatusIndex 2006(55)3

Weltbank 2004GovernanceIndicators(71)~

UNDPHDI 2003(70)

UNTAC2003LDCs(50)~

Weltbank 2006Low incomeeconomies<54)6

40.Jemen X X X X X X X X

41. Jordanien X

42. Kambodscha X X X X X X X

43. Kamerun X X X X X

44. Kasachstan X X

45. Kenia X X X X X

46.Kirgistan X X X X X X

47. Kiribati X X X

48. Kolumbien X

49. Komoren X X X X X X

50.DRKongo X X X X X X X X

51. Kongo-Brazzaville X X X X

52. Kuba X

53.Laos X X X X X X X X

54. Lesotho X X

55. Libanon X

56.Liberia X X X X X k.A. X X

57. Libyen X X

58. Madagaskar X X X

59. Malawi X X X X X

Insgesamt: 109 Staaten Failed StatesIndex 2005/2006 (38)1

Center for GlobalDevelopment 2006(48)

DFID 2005(46)2

BTI StatusIndex 2006(55)3

Weltbank 2004GovernanceIndicators(71)~

UNDPHDI 2003(70)

UNTAC2003LDCs(5O)~

Weltbank 2006Low incomeeconomies(54)6

60. Malediven x61. Mali X X X X

62. Marokko X X

63. Mauretanien x x x64. Moldau X X X

65. Mongolei X X

66. Mosambik X X X X X

67. Namibia X

68.Nepal X X X X X X X X

69. Nicaragua x x70. Niger X X X X X X X

71. Nigeria X X X X X X X

72. Nordkorea X X X X X

73.Ost-Timor X X X X X X

74.Pakistan X X X X X X

75. Papua Neu-Guinea X X X X X X

76. Paraguay X

77.Ruanda X X X X X X X

78. Rußland X

79. Sambia X X X X XQJ1

Insgesamt: 109 Staaten Failed StatesIndex 2005/2006 (38)‘

Center for GlobalDevelopment 2006(48)

DFID 2005(46)2

BTI StatusIndex 2006(55)3

Weltbank 2004GovernanceIndicators(71)~

UNDPHDI 2003(70)

UNTAC2003LDCs(50)~

Weltbank 2006Low incomeeconomies(54)6

80. Samoa X

81. Sao Tom~ & Principe X X X X X

82. Saudi-Arabien X

83. Senegal X X X

84.SierraLeone X X X X X X X X

85.Simbabwe X X X X X X X

86. Solomon lslands X X X X. X X

87.Somalia X X X X X X K.A. X

88. Sri Lanka X

89.Sudan X X X X X X X X

90. Südafrika X

91. Swaziland X

92. Syrien X X X

93. Tadschikistan X X X X X X

94. Tansan~a X X X X X X

95. Togo X X X X X X X

96. Tonga X X

97.Tschad X X X X X X X X

98. Tunesien X

99. Turkmenistan X X

0‘0‘

Insgesamt: 109 Staaten Failed StatesIndex 2005/2006 (38)1

Center for GlobalDevelopment 2006(48)

DFID 2005(46)2

BTI StatusIndex 2006(55)3

Weltbank 2004GovernanceIndicators(71)~

UNDPHOI 2003(70)

UNTAC2003LDCs(50)~

Weltbank 2006Low incomeeconomies(54)6

100. Tuvalu X

101.Uganda X X X X X

102. Ukraine xX103. Usbekistan X X X X X X

X X104. Vanuatu X

105. Venezuela X X X

106. Vereinigte Arab. Emirate x107. Vietnam X X X

108. Weißrußland X X

109. Zentral Afrikan. Rep. X X X X X X X xDer Index umfasst folgende Indikatoren: (1) mounting demographic pressures, (2) massive movement of refugees and IDPs, (3) legacy of venegeance — seeking group grievance, (4) chronic and sustained humanflight, (5) uneven economic developmentalong group ines, (6) sharp and/or servere economic decline, (7) criminalization or delegitimization of the state, (8) progressive deterioration of public services, (9) widespreadviolation of human rights, (10) security apparatus as ‚state within a state (11) rise of factionalized elites, (12) intervention of other states or external actors. Siehe: www.fundforpeace.org/programs/fSi/fSifldeX.PhP.CPIA ist unterteilt in fünf Kategorien („very good bis „very bad“), für seine Auswertung legte DFID die Kategorien 4 und 5 zugrunde. Bei den CPIA werden vier Bereiche untersucht: (A) Economic Management, (B)Structural Policies, (0) Policies tor Social lnclusion/Equity und (0) Public Sector Management and Institutions. Die LIcuS-lnitiative der Weltbank (Low-lncomecountries Dnder Stress) legt ebenfalls die CPIA zugrundeund geht von rund 3D Staaten aus, die danach als LIGUS gelten kbnnen.Der BTI Status Index setzt sich aus den Werten für ‚politische Transformation‘ und für „wirtschaftliche Transformation‘ zusammen, wobei jeweils eine Reihe von Kriterien abgeprüft werden (vgl. Bertelsmann Stiftung2005).Grundlage für die Auswertung ist die graphische Aufarbeitung unter: http://worldbank.org/wbi/gOvernance/ pdf/GovernanceJndicatorseng.pdfDiese Liste basiert auf Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt, menschlichen Entwicklungsindikatoren (Bildung, Gesundheit, Ernährung und Alphabetisierung) sowie Kriterien für wirtschaftliche Instabilitat. Siehe dazu: http://www.un.org/special-rep/ohrlls/Idc/Idc%2ücriteria.htm.

£ Als „10w income countries“ gelten jene Länder, deren Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt bei 875 us-Dollar oder weniger liegt. http://web.worldbank.org,1NBSITE/EXTERNALIDATASTATISTIcS/C.,cOntentMDK:20421 402—pagePK:641 331 50—piPK:641 331 75—theSitePK:23941 9,00.html

0‘‚4

Legt mannun dieseverschiedenenRankings nebeneinander,ergibt sich eine Listevon rund 109 Staatenvon Agypten bis zur ZentralafrikanischenRepublik, die inirgendeinerForm dasEtikett „fragiler Staatlichkeit“erhaltenhaben.Die jeweiligenStaatengruppenüberlappensich zwar, keine ist abermit eineranderenvollständigidentisch. Diese starke Streuungkann nicht weiter verwundern,da die Rankingsjeweils au[ anderenKriterien und Gewichtungenberuhen,auchwenndasgenutzteDatenmaterialteilweiseidentischist (z.B. NutzungdesHDI als Indikator). Interes-santerist derBefund,wennmanjeneStaatennäherbetrachtet,die ungeachtetdieserunterschiedlichenAusrichtung in den meisten Rankings als prekäreFälle auftau-chen. Im Ergebniserhält maneine Liste von 47 Ländern,die mindestensfünfmalgenanntwerdenund insofernoffenbarin mehrerenDimensionenvon StaatlichkeiterheblicheDefizite aufweisen.Es handelt sich um folgendeLänder— geordnetnachderHäufigkeit ihrer Nennungen:

• Äthiopien,Afghanistan, Birma, Burundi, Guinea, Haiti, Jemen,Kongo DRC,Laos, Liberia, Nepal, Sierra Leone,Somalia,Sudan,Tschad,ZentralafrikanischeRepublik(8x genannt);

• Gote d‘Ivoire, Eritrea, Kambodscha,Niger, Nigeria, Ruanda,Simbabwe,Togo,Lisbekistan(7x);

• Angola, Burkina Faso, Guinea-Bissau,Kirgistan, Komoren, Pakistan, PapuaNeu-Guinea,SolomonJslands,Tadschikistan,Tansania(6x);

• Bangladesch,Dschibuti,Garnbia, Kamerun,Kenia, Malawi, Mosambik,Nordko-rea, Ost Timor, Sambia,SaoTomd& Principe, Uganda (5x).

Fernerkann manmit gutenGründennoch den Irak hinzuzählen,der aufgrundderschlechtenDatenlagein einigen Rankings bewusstausgeklammertwurde. DieseGruppebildet offenkundigeinegewisseBandbreiteab: Sie umfasstsowohldie dra-matischenFälle von Bürgerkriegund Staatskollapsvom Typ Somaliaals auchBei-spiele für strukturell schwacheStaatswesen,bei denen aber weder akut noch inabsehbarerZeit ein Staatszerfalldroht (z.B. Tansania,Gambia,Malawi oderSam-bia). Dennochlassensich einigeGemeinsamkeitenfeststellen:

• In dieserAuswahlsind akuteKriegs-und Krisenregionen(z.B. DR Kongo, Birma,Cote d‘Ivoire, Afghanistan,Liberia, Sierra Leone, Irak, Somalia, Nepal, Sudan)sowie typische Post-Konflikt-Gesellschaften(z.B. Tadschikistan,Kambodscha,Angola, Ruanda)besondersprominentvertreten.

• Grossomodobetrifft esLänder,die zu den ärmstenderWelt gehören.Die Mehr-zahlvon ihnenbefindetsich im unterenDrittel desUNDP HumanPovertyIndex,der insgesamt103 Länder anhandverschiedenerArmutsindikatorenauflistet(UNDP2005: 229).Dies gilt jedochnicht im LJmkehrschluss:Es gibt auchLänder,die nachdiesenKriterien als arm gelten,abernicht zu den obengenanntenStaa-ten gehören(z.B. Botswana,Mauretanien,Mali, Benin).

• In den meistenFällen handeltessich nicht um demokratischlegitimierte Regierun-gen, sondernum unterschiedlicheFormenautoritärerbzw. semi-autoritäterHerr-schaft (z.B. feudale Strukturen, neo-patriinoninaleHerrschaft). Eine gewisseAusnahmebildenlediglich Länder,die sich in einemschwierigenund rückfallgefähr-detenTrausformationsprozessbefinden(z.B. Kenia,Sambia,OstTimor, Mosambik).

• Ein Blick auf die geographischeVerteilung zeigt einmalmehr, dassdasProblemfragiler Staatlichkeitin besondererWeiseSub—Sahara-Afrika— schwerpunktmä-ßig West—, Ost und Zentralafrika— betrifft. Mehr als die Hälfte der genannten

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Länder finden sich auf dem afrikanischenKontinent, die übrigen verteilensichprimär auf Siidost- Lind Zentralasien.Zum Vergleich: In Lateinamerikaerhältlediglich Haiti in allen RankingsschlechteNoten.

DieserBefund auseinerMakro-PerspektivelässtdurchausRückschlüsseauf typischeDynamikenund Ursachenfragiler Staatlichkeitzu: Eine Kombinationauslanganhal-tendenGewaltkonflikten,weit verbreiteterArmut und wirtschaftlicherMisere, nichtdemokratischen,intransparentenund zumeistklientelistischenHerrschaftsstrukturensowieeinemungünstigenregionalenUmfeld dürftedanachin den meistenFällen fiirdie Schwäche,dasVersagenodergar dasScheiternvonStaatenverantwortlichsein.

Das SWP States at Risk-Projekt

Die Aussagekraftvon Rankings und Indizes bleibt jedoch begrenzt: Sie gebenbeispielsweisenur wenig Auskunft darüber,wie sich die Defizite an Staatlichkeitkonkret innerhalbeinesLandesauswirken,welche regionalenUnterschiedeesgibtund welcheBevölkerungsgruppenbesondersbetroffensind. Sie könnenauch nichterklären,welcheBedeutungnegativbewerteteFaktorentatsächlichhabenund wiedamit innergesellschaftlichumgegangenwird. Um die unterschiedlichenFormenund Dimensionenfragiler Staatlichkeitim Einzelfall genaueranalysierenzu können,bedarfes dahereiner eher qualitativ ausgerichtetenVorgehensweise.Ein Beispieldafür ist dasSWPStatesat Risk-Projekt(2003-06), in demdasPhänomenfragilerStaatlichkeitanhandvon zwölf Ländernuntersuchtwurde.Es handeltsich um Bela-rus, Birma, Georgien, Indonesien,Jemen,Jordanien,Kenia, Pakistan,Sambia, SriLanka, Turkmenistanund Venezuela(Schneckener2004b, 2006b).Dabei wurdeeinAnalyserahmenmit mehrerenBausteinenentwickelt, um eine vergleichendePer-spektivezu ermöglichen.

Kernfunktionen des Staates

In einemerstenSchritt galt es Staatlichkeitzu operationalisieren,indem zwischendrei Kernfunktionenunterschiedenwurde: Sicherheit, Wohlfahrtund Legitimität!Rechtsstaatlichkeit.Die Prämisselautetdabei,dasseinenachhaltigeKonsolidierungdes Staatswesensnur dann gelingen kann, wenn es in allen drei BereichenFort-schrittegibt. Um denGradderErosionanStaatlichkeiteinschätzenzu können,mus-senfür jedenFunktionsbereichgeeigneteIndikatorengefundenwerden.

Sicherheitsfunktion

Eine elementareFunktion desStaatesist die Gewährleistungvon SicherheitnachInnen und Außen,insbesonderevon physischerSicherheitfür die Bürger.Kern die-ser Funktion ist daher die Kontrolle eines Territoriums mittels des staatlichenGewaltmonopols,das sich in der Durchsetzungeiner staatlichenVerwaltung zurKontrolle von Ressourcenund dem Vorhandenseineiner staatlichenArmee bzw.Polizei zur Befriedunglokaler Konflikte und Entwaffnungprivater Gewaltakteureausdrückt.AllerdingsdarfdasGewaltmonopolnicht missbrauchtund zueinerGefahrfür die Mehrheitder Bürger oder für bestimmteBevölkerungsgruppenwerden.UmDefizite in dieserFunktion festzustellen,sind folgende [ndikatorenvon Bedeutung:(Ja) Grad an Kontrolle jiber dasgesamteStaatsgebiet;(ib) Grad an Kontrolle derAußengrenzen;(ic) anhaltendeoder wiederkehrendegewalttätige Konflikte (z.B.

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Separatismus);(id) Zahl und politischeRelevanznichtstaatlicherGewaltakteure;(Je)ZustanddesstaatlichenSicherheitsapparats;(if) Höheund EntwicklungderKrimina-litätsraten;(Ig) Gradder Bedrohung,die von staatlichenOrganenfür die physischeSicherheitderBürgerausgeht(z.B. durch Folter, Massaker,Deportationen).

Wohlfahrtsfunktion

Im ZentrumdieserFunktionstehenstaatlicheDienst-und TransferleistungensowieMechanismender Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen— beides in der Regelfinanziert über Staatseinnahmen(Zölle, Steuern,Gebühren,Abgaben etc.). DieWohlfahrtsfunktionbetrifft insoferndie gesamteStaatstätigkeitaufden FeldernderSozial- und Wirtschaftspolitik, der Beschäftigungs-,Bildungs-, Gesundheits-undUmweltpolitik sowiedesAufbausund derErhaltungderöffentlichenInfrastruktur.Als Indikatorenfür den Verlust bzw. den MangelstaatlicherSteuerungskompetenzin diesenBereichensind zu nennen: (2a) Gradder TeilhabebestimmterBevölke-rungsgruppenan wirtschaftlichenRessourcen;(2b) anhaltendewirtschaftlicheund!oderwährungspolitischeKrisen (z.B. KrisedesRentenstaats);(2c) Höheder Steuer-oder Zolleinnahmen;(2d) Höhe und Verteilung der Staatsausgaben;(2e) HöhederAußenverschuldung;(2f) Kluft zwischenArm und Reich (z.B. geringe staatlicheUmverteilung,Stadt-Land-Gefälle);(2g) Arbeitslosigkeits-bzw. Erwerbsquote,(2h)Zustandder menschlichenEntwicklung; (2i) ZustandstaatlichersozialerSicherungs-systeme;(2j) Zustandder Infrastruktur,desBildungs- und Gesundheitswesens;(2k)VorhandenseinsignifikanterökologischerProbleme(z.B. Grundwassermangel).

Legitimitäts— und Pechtsstaatsfunktion

DieserBereichumfasstFormenderpolitischenPartizipationundderEntscheidungs-prozeduren(Input-Legitimität), die Stabilität politischer Institutionen sowie dieQualitätdesRechtsstaats,desJustizwesensund deröffentlichenVerwaltung.Zu die-sem Bereich gehörendamit Fragender politischenOrdnungund des Regimetyps,wobei zwischen autoritären,halb-autoritären,minimal-, formal-demokratischenund liberal-demokratischenRegimen unterschiedenwerden kann (Ottaway 2003:14—119; Beichelt 2001: 28—35). Folgende Indikatorendürften hier signifikant sein:(3a) Umfang politischer Freiheiten (u .a. Meinungs- und Versammlungsfreiheit);(3b) Gewährungpolitischer Partizipationsrechte(u.a. aktives/passivesWahlrecht,Konkurrenzum Amter); (3c) Umgangmit derpolitischenOpposition; (3d) Ausmaßvon Wahlfälschungenoder Wahlbetrug; (3e) Grad an politischer Teilhabe beibestimmtenBevölkerungsgruppen(z.B. Minderheiten);(3f) Existenzschwerwiegen-derMenschenrechtsverletzungen(z.B. Folter); (3g) AkzeptanzdesRegimesbzw. derpolitischenOrdnung; (3h) Grad der Unabhängigkeitder Justizbzw. keineGewäh-rung rechtsstaatlicherVerfahren; (3i) Ausmaßvon Selbstjustiz;(3j) ZustandderöffentlichenVerwaltung;(3k) Ausmaßan Korruption und Klientelismus.

DieserAnsatz gehtüber die Fokussierungauf daszweifellos elementarestaatlicheGewaltmonopolhinaus, was dazu führt, dass auch Autokratien wie Nordkorea,Syrien, Turkmenistanoder Weißrusslandals Fälle fragiler Staatlichkeitbezeichnetwerdenkönnen,obgleichsie landläufig— zum Teil unterVerweisauf ihr Militärpo-tential — als „starke“ Staatengelten.Diese Regimeverfügenzwar in der RegelübereinegewisseStabilität, da sie, wenngleichunterAnwendungdrakonischerMaßnah-men,in der Lage sind, dasGewaltinonopolauszuüben.Sie weisenjedocherheblicheDefizite im Bereichder politischenInstitutionenbzw. derstaatlichenDienstleistun—

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gen auf, bei denenkeineVerbesserungenzu erwartensind, sonderneherein schlei-chenderoder abrupterStaatszerfall(z.B. nach demTod oderSturz desDiktators)zubefiirchtenist. Deshalbist Re~imestabilitätnicht gleichzusetzenmit Staatsstabili-Lät. Im Gegenteil:DasFortbestehenbestimmterRegimeist in vielen FällenehereineGefahr für Staatlichkeit,da sie selbstdurch autoritäre,feudaleoder klientelistischeStrukturendie GrundlagendesStaatesuntergraben.

Typen von Staatlichkeit

Auf der Basis der drei Staatsfunktionenließ sich eine Typologie entwickeln, dieunterschiedlicheNiveausvon Staatlichkeitabbildet, wobei sich die Zuordnungpri-märdanachrichtet, wie der jeweilige Staatin der Sicherheitsfunktionabschneidet.Denndie Gewährleistungvon Sicherheitstellt einewesentlicheVoraussetzungfürdie beidenanderenBereichedar. Grundsätzlichkann man abervon einerWechsel-wirkung zwischendenStaatsfunktionenausgehen.Dabeigibt es sowohlpositive alsauch negativeVerstärkungseffekte.Beispielsweisedürften gravierendeDefizite inden beidenanderenFunktionenunmittelbareRückwirkungenauf die Sicherheits-lagehaben.Ein Staat,der in den BereichenWohlfahrt und/oderLegitimität negativbewertetwird, wird kaumein eindeutigesPlus im Sicherheitsbereichaufweisenkön-nen, da Konflikte zwischenStaatsführungund Gesellschafteinerseitssowie zwi-schen gesellschaftlichenGruppenandererseitsunvermeidlich sind. Das gilt auchumgekehrt:In einemLand,in demetwadiewirtschaftlicheEntwicklungrelativ posi-tiv verläuft,kanndie Sicherheitsfunktionnichtvollständigversagthaben.

Auf dieserBasisergebensich vier GrundtypenoderKonfigurationenvon Staatlich-keit (Für ähnlich gelagerteTypologien siehe:Erdmann2003; Rotberg2003; Debiel/Reinhardt2004):

Typ 1: Konsolidierte bzw. sich konsolidierende Staatlichkeit

Bei diesemTyp handeltessich um Länder,bei denenalledrei Funktionenim Wesent-lichen intakt sind — und dies bereitsübereinenlängerenZeitraum.DazugehörendieDemokratienin denwestlichenIndustrieländern,aberauchjeneStaaten,die erst seitMitte der neunzigerJahre OECD-Mitglieder gewordensind (z.B. Südkorea,Polen,Ungarn, TschechischeRepublik, Slowakei). Hinzu kommt eine Reihe von Nicht-OECD-Ländernwie CostaRica,Chile, Uruguay,TaiwanoderSüdafrika,die trotzver-einzelter Krisen auf einem erkennbarenKonsolidierungskurssind. Diese Staatenbefinden sich zumeist in einem Transformationsprozessvon einem autoritärenRegime hin zu einem demokratischenVerfassungsstaatmit marktwirtschaftlichenStrukturen oder habendiesenProzessbereits erfolgreich abgeschlossen(siehe vorallem Südeuropa,Mitteleuropa, teilweise auch Lateinamerikaund Ostasien).Insge-samt kann man sogar feststellen,dass es zu Beginn des 21. JahrhundertsabsolutbetrachtetmehrkonsolidierteStaatengibt alsje zuvor in der Geschichte.

Typ 2: Schwache Staatlichkeit

DieserTyp ist dadurchcharakterisiert,dassdasstaatlicheGewaltmonopolnochweit-gehendoder leidlich existiert, allerdings Defizite bei der Wohlfahrts- und/oderbeiderLegitimitäts- und Rechtsstaatsfunktionbestehen.Beispielesind Staatenim Afrikasüdlichder Sahara(z.B. Eritrea, Ghana),in Lateinamerika(z.B. Peru,Venezuela),in

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Zentralasienund in Südosteuropa(z.B. Mazedonien,Albanien),die in beidenBerei-chenteilweiseerheblicheProblemehaben.DieseZuordnunggilt auchfür diemeistenarabischenbzw. islamischenStaatenwie Saudi-Arabien,Ägypten, JordanienoderIran. In dieserKategoriebefindensich nicht wenige halb-autoritäreund autoritäreRegime,die zumeistfür einegewisseStabilität in Kombinationmit der ErbringungbestimmterelementarerDienstleistungensorgen,aberebenübereineschwacheLegi-timationsbasisverfügen,kaumrechtsstaatlicheStrukturenbesitzenundzumeistauchim Bereichder Wohlfahrt (z.B. Bildungswesen)starkeDefizite aufweisen.

Typ 3: Versagende oder verfallende Staatlichkeit

Bei diesemTyp handeltes sich um Staaten,bei denendasstaatlicheGewaltmonopolund damit die Gewährleistungvon Sicherheitstarkbeeinträchtigtist, währendsie ineineroderin beidenanderenFunktionennoch einegewisseSteuerungsfähigkeitbesit-zen. Beispielewären hier Birma, Kolumbien, Sri Lanka, die Philippinen, Indonesien,die RepublikMoldau oderGeorgien.Die RegierungendieserStaatensind nicht in derLage, ihr gesamtesTerritorium und/oderihre Außengrenzenzu kontrollieren, undmüssensich mit einer hohen Zahl an privaten Gewaltakteurenauseinandersetzen.Gleichwohlsind andereBereichenocheinigermaßenintakt: In Sri Lankagilt dies zumBeispiel sowohl für staatlicheMaßnahmenim Wohlfahrtsbereichals auch für diedemokratischeund rechtsstaatlicheStruktur.Wie die Beispieledeutlichmachen,han-delt es sich bei dem hier beschriebenenTypus häufig um (formal-) demokratischeStaaten,die mit separatistischenTendenzenund/odereinemhohenGradan Krimina-lität zu kämpfenhaben.Allerdingsfallen auchautoritäreRegimewie in Nepal,BirmaoderSudanunterdieseKategorie,die ebenfallsTeiledesStaatsgebietsnicht kontrollie-ren, aberübergewisseSteuerungspotentialeim BereichstaatlicherDienst-und Trans-ferleistungenverfügen,diezumindestTeilenderBevölkerungzugutekommen.

Typ 4: Gescheiterte bzw. zerfallene Staatlichkeit

Bei diesemTyp ist keinederdrei Funktionenmehr in nennenswerterWeisevorhan-den, sodassmanvon einemvölligen ZusammenbruchoderKollaps von Staatlichkeitsprechenkann.DieseSituation ist allerdingsnicht gleichbedeutendmit ChaosoderAnarchie; an die Stelle einerstaatlichentritt vielmehreineandere,von nichtstaatli-chenAkteurenetablierteOrdnung,die sichzumeistauf Gewaltund Unterdrückunggründet.Aktuelle Beispielehierfür sind Somalia(seit 1992),Afghanistan,DR Kongo(seit 1997), Liberia,SierraLeone, Irak (seit2003)und Haiti (seit 2003/04).Zeitweisegehörtenauch Angola (1975—2002), Bosnien (1992—1995), Tadschikistan(1992—1997)und derLibanon(1975—1992)in dieseKategorie. In jedem Fall handeltes sichinsgesamteherum einegeringeZahl von Staaten,die sich — zumindestzeitweise—

in dieseKategorieeinordnenlassen.

Bei den Typen (2) und (3) handelt es sich um Varianten fragiler Staatlichkeit imeigentlichenSinne,hier findetsich auchdasGros der Staaten.Die Typen (1) und (4)bezeichnenhingegeneherdie EndpunkteeinesSpektrums.Denn: Die Prämisselau-tet, dassdie StabilitäteinesStaatswesensvon Typ (1) zu Typ (4) sukzessiveabnimmtund dasinnergesellschaftlicheGewaltniveau— der Gradan Unsicherheit— zunimmt.Das sollte jedoch nicht zu falschenSchlussfolgerungenführen: Erstenssagt dieseThesenurwenig jiber dasGewalt-und Konfliktpotential innerhalbeinerGesellschaftaus.Zweitensist die Typologie nicht als Stadienmodellmisszuverstehen,wonachalle

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StaatenbestimmteStufenzu durchlaufenhaben.Es ist ohneweiteresvorstellbar,dassLänderbeispielsweisevonTyp (2) direktzu Typ (4) übergehenoderumgekehrt.

Destabilisierende Faktoren

Fur fragile Staatlichkeitgibt es keine singuläreund monokausaleErklärung. DieErosionvon Staatlichkeitwird von einerReihevon Faktorenbeeinflusstund begün-stigt, derenGewichtungsich von Fall zu Fall unterscheidet.Um die Vielzahl an Fak-toren zu ordnen, wird dahernicht zu UnrechtzwischenStruktur-, Prozess-undAuslösefaktoren(Matthies 2000: 37 f.) und zwischen internationaler/regionaler,nationalerund substaatlicherEbeneunterschieden.

Strukturfaktoren(auch ,,root causes“oder ,,backgroundfactors“ genannt)sindjeneBedingungen,die sich ausdennatürlichenGegebenheiteneinesLandes(z.B.derExistenzvon Bodenschätzen,denklimatischenVerhältnissen)und langfristigwirksamenpolitischen,kulturellenodersozio-ökonomischenStrukturmerkmalenergeben(z.B. kolonialesErbe,multiethnischeBevölkerung,demographischeEnt-wicklung, Einflussvon Groß-und Regionalmächten).

• Prozessfaktoren(auch,,aggravatingfactors“ oder ,,accelerators“genannt)sind jeneBedingungen,die innerhalb eines überschaubarenZeitrahmens(5—10 Jahre) dieErosionvon Staatlichkeitin Gangsetzenund vorantreiben.Im Unterschiedzu denStrukturfaktorenliegt hier die Betonungstärkerauf dem Verhaltender Akteure(insbesondereder Eliten) selbst:Wie reagierensie auf interneund externeKrisen,wie verarbeitensie diese?Beispielefür Prozessfaktorensind die politische Instru-mentalisierungvon sozialerUnzufriedenheit,die Politisierungund Polarisierungvon ethnisch-kulturellenDifferenzen,die Zunahmevon politischemExtremismus,von Repressionen,von Misswirtschaftund Korruption, von lokalen Separatismen,diewachsendePrivatisierungvon Gewalt,der EinflussregionalerWirtschaftskrisen.

• Auslösefaktoren(auch ,,triggering factors“, ,,triggering events“ oder ,,triggers“genannt)sind jene Ereignisse,die innerhalbweniger Tage oder Wochen einenabruptenWandelauslösen.Sie könnenzwardasErgebnislängerfristigerEntwick-lungensein,entfaltenabereineeigenekatalytischeWirkung. Darunterfallen etwaMilitärinterventionenvon außen,Militärputscheund Revolutionen,derAusbrucheines Bürgerkriegs,massiveUnterdrückungsmaßnahmen(wie z.B. Massakerander Opposition), sozialeUnruhen, grenzüberschreitendeFlüchtlingsströmeundHungersnöte.

o Bei der internationalenund regionalenEbene(Makroebene)gehtesum dasVer-hältnis zwischendemjeweiligenStaatund seineminternationalenbzw. regiona-len Umfeld. Auf dieserEbenestehendie Aktivitäten externerAkteure (z.B. derGroß- oder Regionalmächte)sowie weltpolitischeund regionaleEntwicklungenim Mittelpunkt, von deren Auswirkungender untersuchteStaatjedoch massivbetroffenist.

• Auf nationaler Ebene (Mesoebene)steht das Verhältnis zwischen Staat undGesellschaftbzw. zwischengesellschaftlichenGruppierungenim Vordergrund.Eine wesentlicheRolle spielt dabeid s Verhaltender Eliten.

373

• Auf substaatlicherEbene(Mikroebene)gehtesum dasVerhältniszwischenStaatund substaatlichenAkteurenwie etwaRegionen,Kommunenodereinzelnen,loka-len Bevölkerungsgruppen.

Im ZentrumjederFallanalysedürfte dasFeld Prozessfaktoren/NationaleEbeneste-hen, da Erodierungoder Konsolidierungvon Staatlichkeitmaßgeblichvom Verhal-ten und den EntscheidungenpolitischerAkteure abhängt.Eine zentraleFrage istdabei,wie sich strukturelle,potentiell destabilisierendeFaktorenin konkretepoliti-scheEntscheidungenübersetzen— zum Beispiel durch die PolitisierungethnischerDifferenzen. Je nach Fall kommenweitere Faktorenausden anderenFelderninsSpiel, mal ist der Einflussderinternationalen,mal derder substaatlichenEbenegro-ßer, mal habenStruktur-, mal Auslösefaktoreneine besondereBedeutung,um dieErosionvon Staatlichkeitzu erklären.

Abb 2: Destabilisierende FaktorenStrukturtaktoren Prozessfaktoren Auslösefaktoren

Inter-nationale/regionaleEbene

— Grad der Einbindung

in die Weltwirtschaft

— Instabilität der Region!

fragile Staaten im

regionalen Umfeld

— Einfluss anderer Staaten

(Großmacht, frühere

Kolonialmacht oder

Regionalmacht)

— Bürgerkriege im

regionalen Umfeld

— Aktivitäten trans-

nationaler Gewalt-

netzwerke

— Wirtschaftskrisen

in Nachbarstaaten

— ökologische Degra-

dierung der Region

— Militärintervention

von außen

— Auswirkungen

externer Finanzkrisen

— rapider Preisverfall

bei Rohstoffen

— Flüchtlingsströme

— Zustrom von Waffen

—Auswirkungen von

Natur- und Dürre-

katastrophen

NationaleEbene

— „ererbte“ Strukturen

(z.B. koloniale, vorkolo-

niale oder imperiale

Strukturen)

— multiethnische Bevölke-

rungsstruktur

— demographische

Faktoren (Geburtenrate,

Kindersterblichkeit,

Anteil an Jugendlichen>

— Ressourcenknappheit

bzw. strukturelle

Ungleichverteilung

von Ressourcen

— krisenanfällige Renten-

ökonomie

— Einfluss traditioneller

Formen der Herrschaft

(Glan-Struktur, Rolle

von Chiefs, patriarchali-

sche Strukturen>

— Erfahrungen aus

vorangegangenen

Konflikten

— rapide Absenkung

des Lebensstandards

— politische lnstrumentali-

sierung sozialer Unzufrie-

denheit

— Politisierung ethnischer

Differenzen

—Zunahme des politischen

Extremismus (inklusive

Repression)

— Unterdrückung oder

Diskriminierung bestimm-

ter Gruppen

—Zunahme von Korruption

und Klientelismus

— Privatisierung von Gewalt

— gescheiterte bzw.

stagnierende Demo-

kratisierung

—Zunahme ökologischer

Probleme

(z.B. Wassermangel)

— rasche machtpoliti

sche Veränderung

(Putsch, Umsturz,

Rebellion)

— massive Unter

drückung der

Opposition (Massa

ker, Verhaftungen

etc.>

— rapide Verschlechte

rung der wirtschaft-

lichen Lage

(soziale Unruhen,

Plünderungen)

— Hungersnot,

Epidemien

— Ausbruch eines

Bürgerkrieges

Substaat-licheEbene

— Zentrum-Peripherie-

Gegensätze (z.B.

Landflucht)

— lokale Ungleichheiten

— regionale bzw. lokale

Identitäten

— wachsende Kriminalität

in Städten

— Zunahme lokaler

Gewaltakteure

— ethnischer Separatismus

— lokale Machtkämpfe

— lokale Unruhen (riots)

— lokale bzw. regionale

Naturkatastrophen

bzw. Ernteausfälle

374

StabilisierendeFaktoren

Die Analysevon Defizitenund ihrer möglichenUrsachenist jedochnurdie eineSeiteder Medaille. Denn: FragileStaatenerweisensich oftmals trotz negativerIndikatorenals erstaunlichstabil,wennauchaufniedrigemNiveau. Die zu konstatierendenDefi-zite an Staatlichkeitmögendabeiüber JahrzehnteBestandhabenund sich sogarvonZeit zu Zeit krisenhaftverschärfen,ohnejedoch letztlich zum völligen Zusammen-bruchjedwederFunktionenzu führen. Anders formuliert: Nicht alles, was fragil istoder wirkt, zerfällt auch. Ein Spezifikum von Fragilität ist auch und geradeeingewisserGradan Stabilität, dergleichwohl stetsdurch Krisen, Konflikte oderexterneSchocksgefährdetist.

Worin bestehennun solche,,Stabilisatoren“?Insbesonderedie herrschendenElitenhabeneine Reihevon Strategienund Mechanismenentwickelt, die zwar einerseitsdem Machterhaltgeschuldetsind, andererseitsaberauchdie Steuerungs-und Funk-tionsfähigkeitstaatlicherStrukturenin Maßenaufrechterhalten,mit derFolge, dassselbst unter widrigsten Bedingungenauf dieseWeise „Inseln der Organisations-fähigkeit“ (Zürcher2005) existieren.StabilisierendeEffekte versprechensich dieAkteurein der Regelu.a. von folgendenPraktiken,die nicht seltenauchmiteinanderkombiniertwerden:

• der bewussteEinsatzvon Patronage-und Klientelpolitik, die Etablierungneopa-trimonialer Strukturen,in der Regelverbundenmit demZugangzu Ressourcenund Ämtern, die für die eigene Klientel genutztwerden können,um auf dieseWeiseGefolgschaftzu organisierenund abzusichern;

• die Kooptation von bestimmtenGruppen(z.B. Stämmen,ethnischenGruppen,Minderheiten)bzw. die punktuelleEinbeziehungvon Oppositionskräftenin diedominierendenHerrschaftsstrukturen;

• die Entwicklung von informellen oder formellen Konzeptender Machtteilung(power-sharing),die denunterschiedlichengesellschaftlichenKräftendenZugangzu wirtschaftlichenRessourcenundzu politischerTeilhabeermöglichen;

• die Mobilisierung von tradiLionalenStrukturen(z.B. von Verwandtschaftsbezie-hungenoder Clans) sowie von informellen Formender Selbstorganisation(z.B.Nachbarschaftshilfe,Netzwerke),um elementareFunktionenaufrechtzuerhalten;

• die AnwendungrepressiverMittel, um oppositionelleKräfte zu unterdrückenbzw. einzuschüchternund um politische Entscheidungengegen Widerständedurchzusetzen,zumeistverbundenmit einementsprechendenSicherheitsapparatbzw. einer starkenStellungder Armee, die sich als Hüter der öffentlichen Ord-nungversteht;

• dasEinleiten von vorsichtigenReformenin bestimmtenBereichen,um auf dieseWeiseInteressensgruppenzufriedenzu stellen,ohneallerdingseinetiefgreifendeModernisierungdesStaatesin Angriff zu nehmen;

• die Optimierungvon externenZufliissen sowie die Abschöpfung,,politischer“Renten(z.B. aufgrunddergeostrategischenLageeinesLandes),die wiederumzurKlientelpolitik bzw. zur internenUmverteilunggenutztwerdenkönnen.

SolcheStrategienbzw. Formendes ,,Fragilitäts-Managements“versprechenjedochnach allen ErfahrungenkeinenachhaltigcEntwicklung, sondernsind oftmals eherTeil desProblems.Eine entscheidendeFrageist daher,ob und inwieweit esgelingt,

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diesePraktikenund Arrangementszu transformierenodergarzu überwinden,ohnegleichzeitig innergesellschaftlicheProblem- und Konfliktlagen zu verschärfen,sodassdie ohnehinprekärenstaatlichenStrukturengefährdetwerden.

Charakteristika fragiler Staatlichkeit

Diese AmbivalenzzwischenFragilitat und Stabilitat, zwischenzumTeil gravieren-den Defiziten und gleichwohl vorhandenenSteuerungspotentialen,lässt sich präzi-serbeschreiben,wennman sich die typischenCharakteristikafragiler Staatlichkeitvergegenwärtigt,diegleichermaßenzur inhärentenSchwächewie zur relativenSta-bilität beitragen.EinenützlicheKontrastfolieist dabeidasvon DieterSenghaasent-wickelte ZivilisatorischeHexagon,das sich — empirischbetrachtet— auf den obenbeschriebenenTyp konsolidierterbzw. sich konsolidierterStaatlichkeitbezieht. IndieserDenkfigurwerdensechszentraleMerkmalegenannt,die sich gegenseitigstüt-zen und auf dieseWeisefür eineStabilisierungund Zivilisierung einesGemeinwe-senssorgen(Senghaas1994,2004; sieheauchseinenBeitragin diesemBand, 5. 397).In Anlehnung an Senghaashat RainerTetzlaff quasiden Gegenpolillustriert undein HexagonderEntzivilisierungentworfen,in demesprimär um die gescheitertenFälle von Staatlichkeitundum Situationenin akutenBurgerkriegsregionengeht.Beiihm werden die sechs Eckpunkte folgendermaßenbeschrieben:(a) Verlust desGewaltmonopols:Fragmentierungund Privatisierungvon Gewalt; (b) ParastaatlicheOrdnungen;Faustrechtund sozialeAnomie; (c) Subsistenzökonomie/NetzwerkedesSchmuggels;Affektexplosion; (d) Diktaturund Bevormundung;(e) Zusammenbruchvon Solidargemeinschaften;Selbstprivilegierung;soziale Polarisierung;(f) Entzivili-sierung als Folge von Staatszerfallund Krieg; Exklusion und Vernichtung von,‚Feind“-Gruppen (Tetzlaff 2003: 367 f.; sieheauch seinenBeitrag in diesemBand,5. 87). ÜberträgtmandasZivilisatorischeHexagonhingegenaufdie Problematikfra-giler Staatlichkeit,soerhältmangrossomodo folgendeKonstellation,die einebewus-ste Stilisierung empirisch belegbarer,sozialer Praktiken darstellt, die aber in derRealitätvon Fall zu Fall starkvariieren(siehedazu u.a.Zürcher2005; Schlichte2005;Mehler2003; von Trotha2000).

Abb. 3: Hexagon fragiler Staatlichkeit

PolitisierteJustiz! Limitierte Affektkontrolle/Selbstjustiz RechtdesStärkeren

Hegemoniale Pfründe- und Rentenökonemie/Systeme! SchartenökonomiePower-sharing-Modelle

Gewalroligopol/Gcwalrpolypol

Unterdrückung/Insrrumenralisicrungvon Konflikten

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Gewaltoligopol/Gewaltpolypolstatt Gewaltrnonopol: Fragile Staatensind in derRegel durch die Pluralität von gewaltkompetentenAkteuren und potentiellen,,Anbietern“ von Sicherheitgekennzeichnet.Gleichwohlist der Staatnachwie vorpräsent,allerdingsnuralsein Gewaltakteuruntermehrerenund nicht notwendiger-weiseals der durchsetzungsfähigsteAkteur. Der staatlicheSicherheitsapparat siehtsich nicht zuletztdurch diversenicht-staatlicheGewaltakteureherausgefordert,dieoftmalsauf lokalerEbeneerheblichenEinflusshaben,darunterWarlords,Stammes-und Clanführer (,,big men“), Rebellen,kriminelle Syndikate,Söldnertruppenetc.DieseAkteureexistierenund agierennebeneinander,manchmalin Form von Koali-tionen und Oligopolenauchmiteinander.FernerchangiertdasMilitär nicht seltenzwischenöffentlicherFunktionund privaten(Geschäfts-)Interessen(siehez.B. Paki-stan,Indonesien,Philippinen), gleichzeitigist der Sicherheitsapparatin denmeistenFällen de facto fragmentiert ~z.B.Polizei, Militär, Sondertruppen,Präsidenten-garden) und in der Hand von rivalisierenden politischenLagern, teilweise auchinnerhalbeinerregierendenPartei,einerPräsidentencliqueodereinerKönigsfamilie.Zudemgibt es führendePolitiker, Geschäftsleute,Parteienoder Bewegungenmiteigenenpara-militärischenMilizen, die ebenfallspartikulareInteressenverfolgen.

PolitisierteJustiz/SelbstjustizstattRecktsstaatlichkeit:FragileStaatenverfügentypi-scherweisewederüberausreichendeRechtssicherheitfür die Bürgernoch übereineunabhängigeJustiz. Zwar mag es durchausrechtliche Normen und Institutionengeben,diesesind aberletztlich den OpportunitätenderpolitischenMachthaberbzw.ihres Apparatesunterworfen.Die Normenbasierentei[weise auf traditionalenoderauch religiösen Rechtsvorstellungen,wobei zumeist Formen lokaler „Justiz“ einhohesMaßanAutonomiebesitzenund parallelzu anderen,formalenRechtsinstitu-tionen existieren.Darunterfallen auch mehroder mindergeregelteVariantenvonSelbstjustiz(,,Blutrache“). Insgesamtkann manvon einemRechtspluralismusaus-gehen,bei dempolitischeErwägungeneinevorrangigeRolle spielen.

Limitierte Affektkontrolle/Recktdes Stärkerenstatt Interdependenzen/Affektkon-trolle: In fragilen Staatenexistiertkeine ausgeprägteund institutionalisierteAffekt-kontrolle, es herrscht aber auch keine ungezüngelteGewalt oder Anarchie.StattdessenbestehenandereMechanismen,die zu einerEinhegungvonAffekten bei-tragen.Diesbedeutet:Affektkontrolle beruhthier nicht auf politischen,rechtsstaat-lichen Institutionenund, soziologischbetrachtet,auf gegenseitigenAbhängigkeiten,sondernauf gesellschaftlichetabliertenund historisch überkommenenTabus, auftraditionalenbzw. religiösenVerhaltensnormen,auf dem Einfluss von moralischenAutoritäten (z.B. Gelehrte,Stammesälteste)und charismatischenFiihrern sowie aufasymmetrischenMachtbeziehungen,die sich faktisch in ein „Recht desStärkeren“übersetzen,dasprinzipiell akzeptiertwird und bei der schwächerenSeite, zumindestaufZeit, einegewisseFolgebereitschafterzeugt.

Hegemonie/Power-sharingstatt demokratischePartizipation: In fragilen StaatenistdaspolitischeSystemoftmalswederdurch eineklassischeMehrheitsdemokratienochdurch einebrutaleTyranneigekennzeichnet,sondernvielmehrdurcheineReihevonhybriden Regimen,die nachder Logik von „teile und herrsche“sowie demPrinzipvon Führerund Gefolgschaft(Patron-Klientel)funktionieren.Elementedavonfindensich sowohlbei „weicheren“FormenautoritärerHerrschaft(z.B. feudaleStrukturen)als auchbei formellenund informellenpower-sharing-Modellenund bei Koalitions-

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bildungen.Insgesamtläßt sich einestarkeDominanzderjeweiligenEliten feststellen,die gleichzeitigauchüberdenZugangzu ihrenKreisenwachen.

Pfründe- und Renteniikonoi‘nien/Schattcnökonomienstatt soziale Gerechtigkeit:Mechanismender Verteilungsgerechtigkeitim Sinneeines Wohlfahrtsstaatessindebenfallseherselten,stattdessenherrschendie bekanntenFormenvon Pfründe-undRentenökononiien‘die in ersterLinie auf die Begünstigungvon Klientelinteressenund auf die „Belohnung“ politischerGefolgschaftsetzen.Der Zugangzu denRes-sourcen,auchzur Bildung, hängtzumeistvon der familiärenHerkunftund/oderderZugehörigkeitzu einer Schichtoder einer ethnischenGruppeab. Darüberhinaussind die meistenStaatendurch einenstarkeninformellenund teilweisewachsendenkriminellen Sektorgekennzeichnet,der für weiteTeile derBevölkerungdie einzigenEinkommenschancenbietet. Gleichzeitigwird eine Reihevon Leistungennicht vonstaatlichenStellen, sondernvon nicht-staatlichenund internationalenAkteurenerbracht (z.B. Bildung, Gesundheit,sozialeDienste, humanitäreHilfe), die damitmehrund mehran die Stelle desStaatesgetretensind, der sich teils bewusst,teilsmangelseigenerRessourcenausdiesenBereichenzurückzieht.

Linterdrückung/InstrumentalisierungvonKonfliktenstattKultur konstruktiverKon-fliktbearbeitung: In den meisten Gesellschaftengibt es keinen institutionalisiertenund konstruktivenUmgang mit Konflikten, sonderneherdasBemühenvon Seitender politischenEliten, möglichstlangezu negieren,zu ignorierenodergar zu unter-drücken.Teilweise werdendie Konfliktpotentiale von den Eliten nicht wahrgenom-men, teilweise werden sie bewusstgeschürtund instrumentalisiert,um Gruppengegeneinanderauszuspielenund die eigene Macht zu erhaltenoder auszubauen.GeradedasNicht-Lösenvon Konflikten ist dabei funktionalerTeil der Herrschafts-politik. AufgrunddermangelhaftenRechtsstaatlichkeitfehlt esin derRegelan forma-len Institutionenfür die Bearbeitungvon Konflikten; ein schwachesSubstitutbilden —

vor allem auf lokaler Ebene— traditionelleFormender Konfliktregelung. Insgesamtdominieren stark ausgeprägteGruppen-Egoismen— geradeinnerhalb der Eliten —

gegenübereinerGemeinwohlorientierung,sodassdie Konfliktanfälligkeit derGesell-schaftenrelativ hochist. Relevantist in diesemKontextauchdie in vielenStaatenweitverbreitetepolitische Apathie in Teilen der Bevölkerungaufgrundvon politischer,kultureller oder sozialer Exklusion und aufgrund der Tatsache,dass bestimmteSchichtenprimärmit der Bewältigungihres prekärenAlltags beschäftigtsind und esihnen an Organisationsfähigkeitund Interessensvertretungfehlt. Sie sind schlichtnicht in derLage,sich politischeTeilhabezu erstreiten,waswiederumden Herrschen-dendie Unterdrückungvon schwelendenund latentenKonfliktenerleichtert.

Bei diesem Hexagonfragiler Staatlichkeitist jeder Eckpunkt für sich genommenproblematisch,da er auf tief greifendeDefizite von Staatlichkeitverweist,gleichzei-tig ergibt sich aber durch dasZusammenspieldieserElementeeine leidliche Trag-fähigkeit des politischenGemeinwesens.Darüber hinauserlaubendie genanntenPraktikenund Mechanismenden Eliten einegewisseSteuerungs-und Anpassungs-fähigkeit, die im Einzelfall systemerhaltendoder stabilisierendwirken kann.Ande-rerseitsmussmankonstatieren,dassim ZugesolcherProzessevorhandenestaatlicheStrukturenund Institutionenin der Regelweiter erodieren.Im Ergebnisschwindetihre Legirimationsbasis,da sie immer weniger in der Lage sind, öffentliche Güterund Dienstebereitzustellen,sondernprimärdamitbeschäftigtsind, die Partikularin-teressender politisch dominierendenEliten zu befriedigen.Wenn der Staat noch

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gegenüberseinenBürgern in Erscheinungtritt, dann zudemnicht selten in Formvon biirokratischenSchikanenoder als zunehmendrepressiverApparat. In der Tatgibt es in zahlreichenLänderneine wachsendeEntfremdungzwischender Gesell-schaftbzw.bestimmtenGruppenaufdereinenund demStaatsapparataufder ande-ren Seite.Teile der Bevölkerungwendensich weitgehendab, wohl wissend,dasssievon staatlichenStellen wenig oder nichts Guteszu erwarten haben. Stattdessenrichtensie ihre 1 loffnungenauf andereAkteure,etwaNicht-Regierungsorganisatio-nen (NGOs), internationaleOrganisationenund bilateraleGeber,aberauch ethno-nationalebzw. tribale Verbände, religiöse Autoritäten, Stammesführeroder garnichtstaatlicheGewaltakteure.DiesehäufigüberJahreschleichendpraktizierteSub-stituierungstaatlicherKernaufgabenuntergräbt— meist wiederumbefördertdurchdie internationaleEntwicklungspolitik — die Substanzund Legitimität desStaatesweiter. Für externeAkteure, die bei der StärkungstaatlicherStrukturenbehilflichsein wollen, stellt sich daherdie schwierigeAufgabe, diesewachsendeLiicke zwi-schendemStaatsapparatund derGesellschaftzu schließen.

Fragile Staatlichkeit als sicherheitspolitisches(Welt) Problem

UngeachtetdieserBefundespielteim sicherheitspolitischenund strategischenDenkenwestlicherIndustrienationendasPhänomenfragiler StaatlichkeitsystematischlangeZeit nur einegeringeRolle — und wenn,dannallenfalls im Kontext von „humanitä-ren Interventionen“. Staatszerfallgalt ausdieserPerspektiveals ein Problem mitprimär lokal und regionalbegrenztenFolgen, insbesonderefür die BevölkerungvorOrt, daspunktuell auchein militärischesEingreifenvon außenerforderlich machte(siehez.B. Somalia1992, Haiti 11 994, Ex-Jugoslawien1992—95),aberim RegelfallderEntwicklungspolitik und der humanitärenHilfe überlassenwerdenkonnte. DieseWahrnehmunghat sich infolge der Terroranschlägevom 11. September2001 dra-matischverändert.KeineernstzunehmendesicherheitspolitischeAnalyseoderStrate-gie verzichtetseitherauf denHinweis, dassfragile StaatenRisikenund Gefährdungenfür die eigeneSicherheitbedeutenkönnen.Doch die VerbindungzwischenbeidenThemenist eherindirekt: Die AttentätergehörteneinemtransnationalenTerrornetz-werk an,dasseinen(temporären)Hauptsitzin Afghanistanhatte,einemjener,zumalim Westen,vergessenenfailed states.Gleichwohlscheintdie Botschaftvon 9/1 1 ein-deutig: WennlokaleProblemlagen— wie etwain Afghanistan— überlangeZeit igno-riert und sich selbstüberlassenwerden,könnendarausglobaleRisikenerwachsen.

In diesemSinne vollzog die amerikanischeRegierungin ihrer NationalenSicher-heitsstra tegicvom September2002einensicherheitspolitischenParadigmenwechsel:,,America is now threatenedless by conqueringstatesthanwe areby failing ones“(U.S. National Security Strategy2002: 1). Nicht mehr militärisch starke Staatengelten danachals primäre Gefahr, sondernjene Staaten,die vom innerenZerfallbedroht sind oder diesenProzessbereitsdurchlaufenhaben.In der EuropäischenSicherhcitsstrategievom Dezember2003 wird ebenfalls das Problem zerfallenderStaaten~,,failedstates“)als einederzentralenBedrohungeninternationalerSicher-heit bezeichnet,das „die globale Politikgestaltunguntergräbtund die regionaleInstabilitätvergrößert“.Diesgelte um so mehr,je stärkersich diesemit Gefährdun-gen wie dem internationalenTerrorismus,der organisiertenKriminalität sowieder

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Proliferationvon Massenvernichtungswaffenverbinde(EuropäischeSicherheitsstra-tegie2003: 4 f.).

In beidenDokumentenwerdenStaatsversagenbzw. Staatszerfallalsmittelbareodergar unmittelbareBedrohungfür die Sicherheitder USA bzw. die EU formuliert.Obgleich sie im Grundsatzübereinstimmen,habenbeide StrategiepapierewedereinenumfassendenAnsatzzumUmgangmit fragilen Staatenanzubietennoch las-sen sie eine gemeinsameStrategieerkennen— das Dokumentder US-Regierungsetztim Zweifel auf unilaterale,präventiveAktivitäten zum Schutzvon amerikani-schenInteressen,die EU-Strategiesetzthingegenauf einen— ehervageformulierten— „effektiven Multilateralismus“bei derProblembewältigung.Allerdingsist schondieAnalyseselbstnicht unproblematisch,da sie die Thematikeinseitigauf Bedrohungs-aspektereduziert.Denn: FragileStaatenpersesind keineBedrohungim eigentlichenSinne, sondernsie wirken vielmehrals begünstigenderFaktor für möglicheBedro-hungenDritter und — fastnochwichtiger— sie erschwerendie Lösungvon zentralen,globalenSicherheitsproblemen.Sie stellenein Risiko dar, ausdemkonkreteBedro-hungenhervorgehenoder sich verstärkenkönnen,die wiederumdie USA, EuropaoderanderebetreffenundinsoferneineglobaleDimensionentfalten.

DieserPerspektivefolgt weitgehendderBericht A niore secureworld, den dasvomUN-GeneralsekretärKofi Annan eingesetztehochrangigeExpertengremium(HighLevel Panel) im Dezember2004 vorgelegt hat. In dem Dokumentwerden sechs,,Bedrohungscluster“identifiziert: (a) wirtschaftliche, soziale und ökologischeBedrohungen,(b) zwischenstaatlicheKonflikte, (c) innerstaatlicheKonflikte, (d) Pro-liferation nuklearer,radiologischer,biologischerund chemischerWaffen, (e) Terro-rismus,(f) transnationalorganisierteKriminalität (UnitedNations2004: 23—54). ImUnterschiedzu denbeidenSicherheitsstrategienvon EU und USA werden„failing“und ,,failed states“nicht gesondertals Bedrohungaufgelistet.Die Autoren führenvielmehrdasProblemfragiler Staatenindirekt ein: Letztlich, so ihre These,werdekeinesder genanntenSicherheitsproblemegelöst,wenndas Phänomenschwacher,versagenderoder gar gescheiterterStaatlichkeitvon der internationalenGemein-schaft weiterhin ignoriert bzw. nicht konsequentgenugadressiertwerde. DieserZusammenhanglässtsich in anhandvon einigenBeispielenleicht illustrieren: EinesubstantielleAids- und SeuchenbekämpfungodereinewirksameKatastrophenvor-sorgeist ohnestaatlicheStrukturenkaummöglich; die BekämpfungvonArmut undeinegerechtereVerteilungvon RessourcensetzeneinenstaatlichenRahmenvoraus;die Eindämmungvon organisierterKriminalität, dieUnterbindungdernicht-staatli-chen Verbreitungvon Nuklearmaterialoder die BekämpfungtransnationalerTer-rornetzwerkebedürfen— nicht nur, aber auch — staatlicherKontrollmechanismenund Zwangsmittel; die Beilegung von Regionalkonflikten und Bürgerkriegen istunmittelbarverknüpft mit der SchaffunglegitimerstaatlicherStrukturen.Mit die-serAnalyse erweistsich der BerichtdesHigh Level Panelals deutlichumfassenderund problemadäquateralsdie beidenSicherheitsstrategien.

Die zitierten Dokumentevon USA, EU und UN zeigen:Die Debatteum failing undfailed statesist zwar nicht neu, sie wird abermit einerneuenDringlichkeit gefiihrt.Dabeihat sich der Schwerpunktoffenkundigvon einerbis dahineherentwicklungs-politisch geprägtenhin zu einer sicherheitspolitischenBetrachtungsweiseverlagert.Was (fälschlicherweise)oftmalsfür bw politics gehaltenwurde,erhältnun denStem-pel high politics. Im Kern war dasThemaStaatszerfalljedoch immer schonbeides—

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sowohl ein Entwicklungs-als auch ein Sicherheitsproblem.UntermodernenVorzei-chenist einestabilesoziale,ökonomische,politischeund kulturelleEntwicklung einerGesellschaftohneeinenstaatlichenRahmennur schwervorstellbar,desgleichenbirgtdie AbwesenheitdesstaatlichenGewaltmonopolsdie GefahreinesdauerhaftenBür-gerkriegsund derdamitverbundenenKonsequenzenfür andereStaaten.Trotz Globa-lisierung und derwachsendenBedeutungnicht-staatlicherAkteure ist der Staat nachwie vor daszentrale,wenn auchnicht einzige,Ordnungsmodell.Das wird auchdarandeutlich,dassselbstjene,die dieAuflösungeineskonkretenStaatespropagieren(z.B.Rebellenoder Separatisten),dies nicht tun, weil sie die Idee desStaatesper seableh-nen,sondernweil sie die Gründungeineseigenen,neuenStaatesanstreben.Insofernliegt dasProblemnicht in derTatsache,dassseitBeginndes20. Jahrhundertsin meh-reren Wellen (post—19l8, post—1945, post—1989) ausexistierendenStaatsgebildenimmer wiederneueStaatenhervorgegangensind, sondernin derQualität der Staat-lichkeit selbst.Es gehtum Länder,in denenvon einergeordnetenStaatlichkeitunddamit von einerzuverlässigenWahrnehmungvon nationalenund internationalenAufgabennicht odernicht mehrdie Redeseinkann.

Aus sicherheitspolitischerSicht sind sie aufgrundvon neueren,verstärktseit Endeder neunzigerJahrewahrgenommenenProblemlagenmehrund mehr in den Blickgeraten.Beobachtetwerdenvor allem vier miteinanderverzahnteEntwicklungen,bei denendasPhänomenfragiler Staatlichkeitals begünstigenderoder garkatalyti-scherFaktorauftaucht.

Fragile Staatlichkeit und Terrorismus

FragileStaatlichkeitist dabeiwenigereineUrsachefür Terrorismus,sondernviel-mehrein begünstigenderFaktorfür denAufbau einerInfrastruktur,die für Terrori-stenzwingenderforderlichist, um ihr „Geschäft“ auf Dauer betreibenzu können.Zum einenkönnenin derTatunterdenBedingungenfragilerStaatlichkeit,zumeistin Folge von innergesellschaftlichenKonflikten, lokale terroristischeStrukturenentstehen,die nicht seltenauch grenzüberschreitendaktiv werden.Zum anderennutzentransnationaleTerrornetzwerkevom Typ Al-Qaida fragile Staatenals Basisfür ihre globalenAktivitäten. Dabeibietensich vor allem Gebiete,dienicht odernurmangelhaftunterstaatlicherKontrolle stehen,als Ruckzugs-und Ruheräume,alsOrte für Trainings- und Ausbildungscampssowie als Transitpunktean. Zumeisthandelt essich hierbei um schwerzugänglicheBerg- und Grenzregionen,Wüsten-gebiete,versteckteTäler oderArchipele. Fernernutzensie Defizite desStaates,umihre Aktivitäten zu finanzieren,um ungehindertPropagandazu verbreitenoderumMitstreiter anzuwerben(z.B. durch Koranschulen).In der Vergangenheitkam esnicht seltenzu einer Vernetzungmit lokalen, nicht-staatlichenGewaltakteure,daAl-Qaida-Mitglieder auf derenInfrastrukturzurückgreifenkonnten(z.B. Pakistan,Philippinien,Indonesien,Jemen).Im Fokusstehenhier wenigergescheiterteStaatenoderakute Bürgerkriegsregionen,da dieseauch für transnationaleTerroristeneineher ,‚unfreundliches“Umfeld darstellen.Attraktiver sind vielmehr jene fragilenStaaten,die zwar einerseitseineausreichende(technische)Infrastrukturzur Verfü-gungstellen,aberandererseitserheblicheKontrollprobleme,zumindestin TeilendesLandes,haben(vgl. Schneckener2004a;2006a:11811 1190).

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Fragile Staatlichkeit und „neue Kriege“

Der Zerfall staatlicherStrukturen,ob abruptoder schleichend,ist nicht seltenver-bundenmit gewaltsamenAuseinandersetzungen,die in der Literatur als „neueKriege“ bezeichnetwerden(Kaldor 2000; Duffield 2002; Münkler 2002).Dabeigehtesim wesentlichenum inner- und substaatlicheGewaltkonflikte(Bürgerkriege),dieallerdingsin derRegeleineinternationaleDimensionannehmen,da externeAkteureaktiv beteiligt sind oder aberin Mitleidenschaftgezogenwerden. Es handelt sichzumeistum schwelendeLangzeitkonflikteauf einem,verglichenmit zwischenstaatli-chen Kriegen, relativ niedrigemGewaltniveaumit gelegentlichenEskalationen(bwintensity conflicts) (Van Creveld1998). Obgleich innerstaatlicheKriege schonseit1945 der vorherrschendeKonflikttyp sind, lassensich doch seit den neunzigerJah-ren einige qualitativeVeränderungenbeobachten,die heutigeBürgerkriegegrossomodovon früherenunterscheidenund erheblicheAuswirkungenfür staatlicheStruk-turenhaben(Heupel/Zangl2004).Die „neuenKriege“ sind dadurchgekennzeichnet,dasssie eineMischungausreguläremKrieg, organisiertemVerbrechenund massivenMenschenrechtsverletzungenan der Zivilbevölkerungdarstellen,bei denensich dieUnterscheidungenvon öffentlichen und privaten, politischen und ökonomischenAkteurensukzessiveauflöst (Kaldor 2000:8—11). Betontwird dabeider Trendzur Pn-vatisierungund Kommerzialisierungdes Krieges. Eine zentraleRolle spielendabeimanifeste Bürgerkriegs- oder Gewaltökonomien,von denen diverse interne undexterneAkteureprofitieren (Jean/Rufin1999; Berdal/Malone2000; Pugh/Cooper2004). Die staatlichenStrukturenwerdendurch die Prozessezersetztund letztlichzerstört,wobei nicht selten(vormals)staatlicheAkteure ihrenTeil dazu beitragen,indem sie sich an der allgemeinenPlünderungvon Ressourcenbeteiligen, eigeneMilizen gründenoderdie Armeekommerzialisieren.Sie leisteninsoferneiner„Pn-vatisierung von oben“ Vorschub, der Staat demontiertsich selbst. Gleichzeitignimmt insgesamtdie Zahl der sogenanntenspoilerzu — jener „Störenfriede“, diekein oder kaum Interessean einer Konfliktlösung und schon gar nicht an einergeordnetenStaatlichkeithaben.

Fragile Staatlichkeit und nicht-staatliche Gewaltakteure

FragileStaatenräumennicht-staatlichen,gewaltkompetentenAkteurenin derRegelerhebliche Spielräumeein. Dabei lassen sich verschiedeneErscheinungsformenunterscheiden:klassischeGuerilla- und Rebellenbewegungen,Stammes-oderClan -

führer, religiöse Führer, Kriegsherren (Warlords), Milizen, Paramilitärs, Maro-deure, Söldner und Kriminelle (z.B. Schmuggler,Drogenbarone,Banden,mafia-ähnlicheKartelle), private Sicherheits-und Militärfirmen (Mair 2002; Schneckener2006a:31—39). Sie nutzensystematischdie Kontroll- und LegitimationsdefizitedesStaates,sie unterwandernund unterhöhlenstaatlicheInstitutionenund Autorität,sie füllen sogarteilweise jene Lücken, die der von Konflikten zersetztebzw. vomZerfall bedrohteStaathinterlässt.Sie tretenin den von ihnendominiertenRäumenals ,,Sicherheitsdienstleister“auf, in vielen Fällen gegenden Willen der betroffenenBevölkerung,in manchenFällen aberdurchausmit einergewissenLegitimation, dasie zumindesteinenrudimentärenSchutzbieten, derallerdingsmit Wohlverhaltenund Loyalität erkauftwird. DieseFunktion jiben vor allemjeneGewaltakteureaus,die in der Lage sind, auf DauerTeile desStaatsgebieteszu kontrollieren und dortpara-staatlicheStrukturenetablieren(Lynch 2004). Sie üben eine de facto-Herr-schaft aus,zumeistüber informelle Mechanismen,die parallelnebenden formalen

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staatlichen Institutionen existieren. Das Ergebnis sind konkurrierendeGewalt-ansprüche,in manchenFällen atich die Bildung von „Gewaltoligopolen“, die dasstaatlicheGewaltmonopolzur Schimärewerden lassen(Mehler 2003). Diese Kon-stellation gilt in ersterLinie für Nachkriegssituationen,wo die Akteure, die durchden Krieg zu Einfluss gekommensind, zumeistauchdie neueOrdnungdominicrenund nachihren politischen bzw. ökonomischenBedürfnissengestalten(siehez.B.Bosuien,Kosovo,Afghanistan).Aberauchin anderenFällenspielennicht-staatlicheGewaltakteure,zumindestauf lokaler Ebene, eine prominenteRolle (siehe z.B.Uganda,Libanon, Pakistan,Jemen,Georgien,Kolumbien, Indonesien).

Fragile Staatlichkeit und „Schattenglobalisierung“

ErodierendestaatlicheStrukturenermöglichenaufgrundmangelnderKontroll- undSteuerungskapazitätenden Auf- undAusbautransnationaler,unregulierterAktivitä-ten, die ihrerseitsden Zerfallsprozessweiter verstärkenund häufig neueProblemefiir einegesamteRegionschaffen.Dazulassensich verschiedenePhänomenezählenwie etwa Geldwäsche,Kapitalflucht, Kleinkriminalität, transnationaleKorruption,Menschen-,Drogen-, Diamanten-und Waffenhandel,unregulierteUmschlagplätzefür Waren und Güter, interregionaleSchmuggelrouten,informelle ArbeitsmärkteoderFlucht- und Migrationsbewegungen.Ein wesentlicherAspektist die VernetzunglokalerKriegsökonomienmit regionalenoderglobalenAbsatzmärkten,ohnedie eine(Re-)FinanzierungderKonflikte bzw. derpara-staatlichenStrukturenkaummöglichwäre. Diese Herausbildunggrenzüberschreitender,,Schwarzmärkte“,die auch als„Schattenglobalisierung“bezeichnetwird, gehtnicht zuletztmit einersignifikantenZunahmedesinformellenund kriminellen SektorsinnerhalbderGesellschafteinher,da reguläreEinkommensquellenim ZugedesStaatszerfallsfür die Masseder Bevöl-kerung nach und nachwegfallen (Altvater/Mahnkopf2002; Lock 2004). In diesemKontext lassensich zudemspill over-Effekte feststellen,wonach— etwa vermitteltdurch massiverFlüchtlingsströme,der Proliferation von Klein- und LeichtwaffenoderdemWegfall regulärerHandelsbeziehungen— Aspektefragiler Staatlichkeitvoneinem Land in ein benachbartesexportiert werden und sich parallel stattfindendeProzessegegenseitigverstärken,so dassletztlich fast alle Staatenin einer Regionbetroffen sind. SolchekumulierendenEntwicklungensind besondersbeobachtbarinWestafrika,Zentralafrika,im Horn von Afrika, im westlichenBalkan, in Zentralasienoderim Kaukasus(Debiel2002).

Bei genauerBetrachtungwird deutlich, dassdiese Entwicklungenkeinesfallsaus-schließlichauf die gravierendstenFälle von Staatszerfallbeschränktsind, in denenStaatlichkeitpraktischnicht mehrexistiert— wie etwaSomalia,Afghanistanoder DRKongo. Sie betreffenvielmehr,wennauchin unterschiedlicherIntensität,eineReihevon Ländern,die in Teilbereichenüber staatlicheStrukturenverfügen,derenStaat-lichkeit jedoch„auf der Kippe“ steht.Mit anderenWorten:Die Konzentrationauf diebekannten„worst cases“ wird der Problematikkeinesfalls gerecht. Es ist vielmehrnotwendig,bei derAnalyseein breiteresSpektruman fragilen Staatenin den Blick zunehmen,insbesonderedann, wenn präventivgegensich abzeichnendeoderbereitsstattfindendeErosionsprozessevorgegangenwerdensoll.

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State-building als internationale Aufgabe

EineinternationaleAntwort aufdie PhänomeneStaatszerfallund fragile Staatlichkeitist dasKonzeptState-building.Dieseszielt auf die nachhaltigeStärkungstaatlicherStrukturen, Institutionenund Steuerungskapazitäten.Ein von außenunterstütztesState-buildingmußdabeianzwei Punktenansetzen:Einerseitsgilt es,dieBereitschaftder lokalen Akteurezu fördern, sich am politischenGemeinwesenkonstruktiv undkooperativzu beteiligen,und andererseitskommt esdaraufan, ihre Fähigkeitzu ver-bessern,die notwendigenMaßnahmenzur Stärkungvon Staatlichkeitauchdurchfüh-ren zu können.State-building-Aktivitätenführen allerdings— zumindestkurz- undmittelfristig — nicht zwingendzu einemMehr an Stabilität. Sie könnensogargenaudasGegenteilprovozieren,geradebei schwachenoder versagendenStaaten,da nichtseltendie obenbeschriebenenMechanismen,StrukturenoderInstitutionenaufgege-benwerdenmüssen,die nochin Teilbereichenfür einegewisseStabilitätsorgen.

Insgesamtkönnen drei Varianten von State-building unterschiedenwerden, diejeweilsunterschiedlicheexterneMaßnahmennachsich ziehen:

• StabilisierungstaatlicherStrukturen:Im ZentrumderAktivitäten in diesemBereichstehtdie Stabilisierungund StärkungbestehenderStrukturenund Institutionen.Ein Regimewandelist dabei in der Regelnicht erforderlich,sonderndie Interven-tionsmaßnahmenkonzentrierensich darauf, lokale Eliten dabei zu unterstützen,Missständezu beseitigenund Erosionsprozessezu stoppen.Diese Konstellationbetrifft in ersterLinie Staaten,die sich bereitsin einem,wennauchunvollständigenDemokratisierungsprozessbefinden,dervon außenweitergefördertwerdenmuss.

• ReformstaatlicherStrukturen:DerAkzentliegt hierauf derTransformationundAusgestaltungexistierenderstaatlicherStrukturenund Institutionen.Es gehtumelementareWeichenstellungen,die letztlich den Charakterder InstitutionenunddesStaatesverändern.Dies schließtdie Möglichkeit einesRegimewandelsmittel-oder langfristigein, in manchenFällen magdiesersogardie Voraussetzungdafürsein, um den notwendigenUmbauprozessvorantreibenzu können. DieseFormdesState-buildingdürftewohl die meistenFälle fragiler Staatlichkeitbetreffen.

• (Wieder-)AufbaustaatlicherStrukturen:Die weitestgehendeVarianteist der Auf-bau und die GründungstaatlicherStrukturenund Institutionen,die zuvor nichtodernicht in dieserFormbestanden.VoneinersolchenSituationsindin ersterLinieNachkriegsgesellschaftenbetroffen,bei denenim ZugedesKonflikts nahezusämtli-cheStrukturenzusammengebrochensind, aberauchStaaten,in denenwesentlicheElementevon Staatlichkeitnicht mehrexistierenodernochnie existierten.Zumeistist der komplette Aufbau gleichbedeutendmit einem Regimewandel,da die bisdahinagierendeFührungpolitischdiskreditiertist.

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Abb. 4: Formen von State-buildingStabilisierung — Stabilisierung und Stärkung bestehender Institutionen

und Strukturen, Regimewandel nicht erforderlich

— Wirtschafts- und Finanzhilfen, Förderung lokaler Kapazitäten, Stär

kung des Sicherheitsapparats (z.B. Polizei, Grenztruppen) und der

Strafverfolgung, Förderung von Menschenrechten, Anti-Korruptions

maßnahmen, Förderung politischer Partizipation etc.

Beispiel: EU-Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Staa

ten Südosteuropas

Reform — Reform, Transformation und Ausgestaltung existierender staatlicher

Strukturen und Institutionen, Regimewandel mittelfristig möglich

— Reform des Sicherheitssektors, Polizeireform, Verfassungsreform,

Wahlrechtsreform, Förderung der Demokratisierung, Verbesserung

der Menschenrechtssituation, makro-ökonomische Reformen etc.

Beispiel: Ohrid-Friedensabkommen in Mazedonien (2001)

(Wieder-)Aufbau — Aufbau und Gründung staatlicher Strukturen und Institutionen, die

zuvor nicht oder nicht in dieser Form bestanden; Regimewandel ist

hier die Regel und zumeist eine notwendige Bedingung

— Etablierung von Polizei- und Streitkräften, Aufbau des Justiz- und

Gerichtswesens, von politischen und administrativen Strukturen, För

derung der Zivilgesellschaft, Schaffung unabhängiger Medien etc.

Beispiel: Internationale Aktivitäten im Kosovo (seit 1999)

und Bosnien (seit 1996)

In der Realität kann es durchaussein, dassalle Variantenparallel verfolgt werdenmüssen, da es gilt, bestehendeInstitutionen und Strukturen zu stabilisieren(z.B.Sicherheitsapparat),andere,die sich als dysfunktionalerwiesenhaben,zu reformieren(z.B. Justizsystem)und gleichzeirigin bestimmtenBereichenneueStaatsstrukturenzuetablieren,die bis dato gefehlt habenoder nur rudimentärvorhandenwaren (z.B.Institution zur Konfliktregelung oder zur Korruptionsbekämpfung).Diese Kons-tellation führt unweigerlich zu Zielkonflikten und Kohärenzproblemen.Besondersdeutlichwird diesbeim nurschwerauflösbarenSpannungsverhältniszwischenStabi-lisierungund Reform/Transformationvon Staatlichkeit.Einerseitsdarf die Stabilisie-rungvon Strukturenund Institutionennicht dazu führen, dassjene Kräfte in Staatund Gesellschaftgestärktwerden,die kein odernurgeringesInteresseanumfassendenReformenund an Veränderungenhaben,da sie vom Statusquo profitieren;anderer-seits dürfen notwendige,zum Teil weitreichendepolitische und sozio-ökonomischeVeränderungen,die in die Besitzständeder herrschendenEliten eingreifen,dasLandnicht in einerWeisedestabilisieren,dasssich die Zuständeweiterverschlechternunddie Erosionvon StaatlichkeitanDynamikgewinnt.Es kommt daherentscheidenddar-aufan, ob und inwieweit esexternenAkteurengelingt,die vonSeitenderRegierendendurchauserwünschteHilfe zur Stabilisierungin bestimmtenBereichen(z.B. Ausbil-dungsangebotebei Militär und Polizei) an konkreteReformprojekte(z.B. Verbesse-rung der politischen Partizipation) zu binden. Dies kann entwederin Form einerexplizit eingesetztenKonditionalitätoderaberim RahmeneinesschrittweisenProzes-sesgeschehen,bei demexterneAkteuregezwungensind, gegenüberlokalenEliten aufForderungenzu verzichten,um zumindestin Teilbereichenvoranzukommen.Einewichtige strategischeFrageist deshalb,ob sich Status-quo-orientierteKräfte (Besitz-standswahrer)in einensolchenProzesseinbindenlassen.Sie bilden häufig den größ-ten Block innerhalbdes5t atsapparatsund in den herrschendenEliten, sie habenihre

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Positionenunter den bestehendenVerhältnissenerworben und genießenzumeistbestimmtePrivilegien,die sie nicht aufsSpiel setzenwollen. Wenn sie ReformenimEinzelfall schonnicht verhindernkönnen,sind sie doch in der Lage, ihre Umsetzungerheblichzu erschwerenund zu verschleppen.Allerdings bilden diese Kräfte keinehomogeneGruppe,manwird unter ihnen auch Akteure finden, die mit moderatenReformen im politischen oder wirtschaftlichen Bereich durchaus leben können,solangesie selbstnicht zu den ,,Verlierern“desWandelszählen.

State-building-Strategien

Der skizzierte State-building-Ansatzübersetztsich in verschiedeneStrategien,dieexterneAkteure in der Praxis anwenden.Hinter diesenStrategienstehendivergie-rendeAnnahmenüberdasVerhaltenderlokalenAkteure,überdie Ursachenderfragi-len Staatlichkeit,überdie Prioritätenbeim State-building,überdiedazunotwendigenRessourcensowieüber den zeitlichenHorizont der Maßnahmen.Zudemlassensichdie Strategiengrossomodo den grundlegendenTheorien der InternationalenBezie-hungenzuordnen,da sie sich auf ähnlichePrämissenstützen.Gleichwohl: Die Strate-gien schließensich keinesfalls gegenseitigaus, sondernverhalten sich im Prinzipkomplementärzueinander,teilweisebedingensie aucheinander.In der RealitätkannmandahereineGleichzeitigkeitderverfolgtenAnsätzefeststellen,wennauchvon Fallzu Fall mit unterschiedlicherAkzentsetzung. Allerdings konkurrierendie Strategienzugleichum die knappenRessourcender multi- und bilateralenGebersowieum diepolitischeAufmerksamkeitbei den Entscheidungsträgern.Etwasschematischkönnenvier strategischeOrientierungenunterschiedenwerden:

Abb. 5: State-building-Strategien im Uberblick

Strategie Prioritäten (z.B.) Zeithorizont 1 B-Theorie

Liberalization First Demokratisierung,Wirtschaftsreformen,Weltmarktintegration

Kurz- bis mittelfristig(5 bis 10 Jahre)

Liberale Ansätze,insbesondere dasTheorem des demokratischen Friedens

Security First Stärkung des Gewalt-monopols und desSicherheitsapparates,Sicherheitssektorreform

Kurz- bis mittelfristig(5 bis 10 Jahre)

Realismus

InstitutionalizationFirst

Stärkung politischerund administrativerInstitutionen, Rechtsstaatlichkeit

Mittel- bis langfristig(10 bis 20 Jahre)

InstitutionalistischeAnsätze

Clvii Society First Verbesserung derPartizipationschan-cen, Förderung vonNGOs, Verbänden,Parteien

Mittel- bis langfristig(10 bis 20 Jahre)

Sozialkonstruktivistische Ansätze

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• Liberalization First: DieseStrategiestellt vermutlich bis heutedasin der Entwick-lungspolitikvorherrschendeModell dar, auchwenneinzelneAkteurewie die Welt-bank, der IWF, regionaleEntwicklungsbanken,die EuropäischeUnion oder diegroßenbilateraleGeberunterschiedlicheMaßnahmenbetonen.Im Kern setztsieauf die Betonungvon politischenund ökonomischenFreiheiten,sprich auf Demo-kratisierung sowie auf die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente (sogenannterWashingtonConsensus).Hierbei folgt sie der Annahmeder liberalenTheorieder InternationalenBeziehungen,wonachletztlich marktwirtschaftlicheDemokratiensowohl nach innen als auch nach außen die beste Gewähr fürFriedendarstellen(TheoremdesdemokratischenFriedens).In gewisserWeiseläßtsich daherauchdie nachdem11. September2001von derUS-Regierungals stra-tegischeAntwort aufdenTerrorismuspropagierteFörderungvon DemokratieundFreiheit (0-Ton Bush ,,campaignof freedom“) unterdiesemAnsatzsubsumieren.Aus dieserPerspektiveliegen die Prioritäten beim State-buildingbei der Beto-nung von freien und fairen Wahlen, beim garantiertenSchutz der politischenGrundfreiheitenund derFörderungvon GoodGovernance,bei umfassendenwirt-schaftlichenReformenund bei der Förderungvon Wachstum,inklusive Privati-sierung und Marktöffnung, um letztlich die Integration in den Weltmarkt zuerreichenoderzu verbessern.Mit der Verabschiedungder Millenniam Develop-mentGoals im Jahr2000wurdederLiberalizationFirst-Ansatzmodizifiert (Post-WashingtonGonsensus)und u.a um Aspekte wie Armutsbekämpfungund denAufbaueffektiver Bildungs-und Gesundheitssystemeergänzt.

• SecurityEirst: Diese— nicht zuletztdurch die realistischeSchulegeprägte— Strate-gieplädiertfür einenwenigerambitioniertenAnsatz:Die externenAkteurensolltensich primär auf die Gewährleistungvon physischerSicherheitund insbesondereauf die FörderungdesstaatlichenGewaltmonopolskonzentrieren(Mair/Ottaway2004; Marten2004). Als grundlegendgeltendabeidie Entwaffnungoder zumin-dest Einhegungnicht-staatlicherGewaltakteure,die Stärkungund Reform desstaatlichenSicherheitssektors,die Professionalisierungvon Armee,Grenzpolizeiund Polizei, Verbesserungenim Justizsystemund insbesonderebei der Strafver-folgung, die Beseitigungvon Bürgerkriegs-und Gewaltökonomien(z.B. Drogen-ökonomien),die Bekämpfungder Kriminalität sowie die verbesserteKontrollevon TerritoriumundAußengrenzen.

• institutionalization First: Bei dieserStrategieliegt dasHauptaugenmerkauf derStärkunglegitimer und effektiver Institutionensowohlauf gesamtstaatlicheralsauchlokaler Ebene,die in der Lagesind, wesentlicheDienstleistungenzu erbringen(Paris2004; Fukuyama2004). Betont wird dahervorrangigdie EtablierungundStärkungpolitischer Institutionen (Parlamente,Räte), die Entwicklung rechts-staatlicherStrukturen,Reformenbei Polizei und Justiz, Stärkungund Reformender öffentlichenVerwaltung, insbesondereder Steuer-,Zoll- und Finanzverwal-tung, die Entwicklung desSozialstaates,die Bekämpfungvon Korruption sowiedie Etablierungvon Institutionenzur Konfliktregulierungund Konfliktbearbeitung(z.B. Ombudsstellen,Streitschlichtung).Ein entscheidenderAspektfür die Legiti-mität ist dabei, dass sich die relevantenAkteure in diesen Institutionen wiederfinden,weshalbdieseStrategiedurchauskompatibelist mit informellenoderforma-lisierten Power-sharing-Modellenoder anderenFormender politischen Partizipa-tion, die nicht zwingenddemokratischenStandardsentsprechenmussen.

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• Civii SocietyFirst: DieseStrategiestellt die Rolle derZivilgesellschaftin dasZen-trum von State-buildingund setztdamit im Unterschiedzu den drei anderenStrategienprimärauf bottum-up-Prozesse.Die Prämisselautet: Eine Konsolidie-rungdespolitischenGemeinwesensmussletztlich ,,von unten“ wachsenund vonderGesellschaftinsgesamtgetragenwerden.Notwendigsind daherin ersterLinieverbesserteBedingungenbei derpolitischenPartizipation,derAusbauvon Medienund Öffentlichkeit sowie die Mobilisierung zivilgesellschaftlicherKräfte. DieseSicht mündetin derPraxis in die Förderungvon NGOs,insbesondereMenschen-rechts-und Friedensgruppen,Kirchen,Journalisten,politischenParteien,Verbän-den, GewerkschaftenoderlokalenGemeinschaften.

JedeStrategiehat ihre Risikenund Nebenwirkungen.Das Liberalization First-Pro-grammunterschätztdie destabilisierendenEffekte, die mit einerraschenDemokrati-sierung und Marktöffnung oftmals verbundensein können.Zum einen tendierenWahlen und Wahlkämpfedazudie PolarisierungzwischengesellschaftlichenGrup-pen zu verstärken,dies gilt insbesonderein Nachkriegssituationen,aberauch beilatentensozialen Konflikten. Zum anderenunterstütztdie Betonungvon Markt,Deregulierungund Privatisierungeher die InteressenbestimmterFamilien oderOligarchien,die ohnehinschonzur ökonomischenElite zählen.Diesführt oftmalszueiner Förderungvon Korruption, von Schattenökonomienund Formen von Wirt-schaftskriminalität.Damit wird gleichzeitigderAufbauvon gemeinwohlorientierten,öffentlichenInstitutionen,finanziertüberSteuernund Abgaben,deutlicherschwert.

Beim Security Eirst-Ansatzbestehtdas Risiko, in der Praxis zu einem Security-Only-Ansatzzu mutieren,er ist eherstabilitätsbezogen,dennreformorientiert.DieKonzentrationauf den staatlichenSicherheitsapparatkann dazu führen, autoritäreodersemi-autoritäreStrukturenzu etablierenund zu stärken,was sich auf andereFeldervon State-buildingkontraproduktivauswirkenwürde. Die herrschendenEli-ten erhaltenauf diese Weise durch internationaleGelder finanzierte, effektivereMachtinstrumente,die esihnenerlaubt,Reformenzu blockierenbzw. rückgängigzumachen,oppositionelleKräfte zu unterdrückenoder gar bestimmteBevölkerungs-teilezu marginalisieren,wasauf Sichtwiederumeherdestabilisierendseindurfte.

InstitutionalizationFirst verfolgt zwarein breiter angelegtesProgramm,umaufmög-lichst vielen Feldernöffentliche Institutionen aufzubauenoder weiterzuentwickeln.Abgesehendavon, dassdieserAnsatzfür externeAkteure relativ ressourcenintensivist, bestehtauch bei dieserStrategieeine gewisseTendenzde facto jene Kräfte zubegünstigen,denenprimäran der Absicherungihrer Machtpositionenund ihrer Par-tikularinteressengelegensind, dennan einernachhaltigenStärkungvon Staatlichkeit— befördertwird dies durchdieelitenorientierte,top-down-PerspektivedesAnsatzes.

Spiegelbildlichdazuverhält sich die Civil SocictyEirst-Strategie.Sie gehtdavonaus,dasseine mangelhafte,schlechtorganisierteZivilgesellschaftdas Kernproblemsei.Diese Sichtweiseverkenntallerdings, dassgeradein den meisten fragilen StaatenöffentlicheInstitutionengegenüberprivatenund gesellschaftlichenAkteureneherimHintertreffensind bzw. sich in derHandvon Gruppeninteressenbefinden.DerStaatist quasiumstelltvon nicht-staatlichenAkteuren,die mehrund mehrAufgabenundFunktionenübernommenhaben.Die Förderungvon NGOsund anderen,zivilgesell-schaftlichenAkteuren läuft daherGefahr, Parallelstrukturenzu stärkenund damitdie Entwicklung einerlegitimen,staatlichenOrdnungeherzu erschweren.

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Ausblick

In der Praxislassensich die beschriebenenStrategiennurschwereins zu einsexternenAkteurenoder einzelnenState-building-Operationenzuordnen,wenngleichSchwer-punktedurchauserkennbarsind. Die meisteninternationalenOrganisationen,mul-tilateralenGeberund Drittstaaten,die sich am State-buildingbeteiligen,bedienensich parallelmehrererStrategienoder eines Strategie-Mix,da sich intern für jedeStrategieBefürworterund Gegnerfinden, die zumeistadministrativentsprechendinForm von Ministerien, Direktionen, Abteilungen oder — im Falle der VereintenNationen— Sonderorganisationenorganisiertsind. Nicht seltenstehensich danninnerhalbeiner internationalenBürokratie oder einer Regierungsicherheitspoliti-sche, humanitäre,entwicklungspolitischeund diplomatischeAkteure mit ihrenjeweiligenstrategischenPräferenzengegenüber.Hinter dieserfunktionalenDifferen-zierungverbirgt sich auchein Grundfür die typischeninter-und intra-institutionel-len Grabenkämpfeum Ressourcenund Politikansätzebzw. für die häufig beklagte,mangelhafteKohärenzder externenAkteure.

Gleichwohl:UngeachtetderbeschriebenenSchwierigkeitenist die Alternative, sichvon Krisenregionenund fragilen Staatenfernzuhaltenund sich von ihnen abzu-schotten,für die internationaleGemeinschaftweder realistischnoch wünschens-wert. Die Option des „disengagement“bedeutetletztlich, dassmanin bestimmtenTeilen derWelt die Dingemehrodermindersichselbstüberlässt,aufdie Gefahrhin,dasssich die Zuständedramatischverschlechtern,Krisen und Kriege wahrschein-licher werdenund weitereLänder in den Sogdes Staatszerfallsgeraten,was nichtnur die Zahl humanitärerKatastrophenerhöhen,sondern— wie bereitsskizziert —

aucherheblichesicherheitspolitischeProbleme— regionalwie international— nachsichziehendürfte. Daherwird die nachhaltigeStärkungstaatlicherStrukturenkünf-tig nochmehralsbishereinewesentlicheAufgabeder internationalenGemeinschaftsein.Die umfangreichstenund kostenintensivstenState-building-Operationenführtdie Staatengemeinschaft,zumeistunterFührungderVereintenNationen,derzeitinBosnien, Kosovo, Afghanistan,Liberia, Sierra Leone, Haiti und dem Irak durch.Darüberhinaus— und hier liegt die wahreHerausforderung— gilt espräventivtätigzu werden, das heißt akuteoder drohendeZerfallsprozessein einerVielzahl vonschwachenbzw. versagendenStaatenzu verhindern.Die weitgehendeKonzentra-tion der Maßnahmenund Ressourcenauf failed stateswird dieserAufgabe aufDauernicht gerecht.

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