ALTERA - Spiel um das Leben

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Professor Zamorra - HC20 - ALTERA - Spiel um das Leben.xml ALTERA Spiel um das Leben PZ_HC20.jpg Volker Krmer Mystery de Zaubermond Verlag Dezember 2006 Professor Zamorra Hardcover 20 v1.0 Bist du ich? Bin ich du? Waren oder sind wir? Oder ist doch alles ganz, ganz anders? Eine Welt spielt. Es ist ein Spiel, dessen Regeln sich stndig selbst neu zu erfinden scheinen. Ein Spiel, das keine Sieger kennt nur Verzweifelte. Es hat keinen Anfang, kein Ende, denn es whrt wohl ewig. Oder? Professor Zamorra wird Zeuge dieses Szenarios wenn auch auf ganz spezielle Weise. Als auch er vor der Unsinnigkeit kapituliert, da bleibt fr ihn nur noch die eine Frage: Wer ist der Puppenspieler, der hinter allem steckt? Als er es erkennt, da ahnt er, dass man vielleicht nicht jede Antwort kennen sollte Nennt mich Arbiter. Nein, das ist nicht mein wahrer Name. Mehr noch er entspricht ebenso wenig meinem tatschlichen Status. Ich richte, das stimmt. Ich bin es, der die Waage zum Ausschlag bringt. Ganz so, wie es mir gefllt, denn die Regeln und Werte, die andere sich geben, die knnen ja nicht fr mich gelten. Undenkbar! Nun, sie alle wissen es ja nicht besser. Ich kann ihnen deshalb nicht einmal bse sein. Sie sind doch nur Kinder, die spielen, ohne das in letzter Konsequenz zu begreifen. Alles meine Kinder nur eine Ausnahme existiert Ich bin mde, also soll Nacht sein. Um mich herum ist alles still. Warum kann ich nicht schlafen? Die Kinder schlafen doch auch, wenn ich es ihnen zugestehe. Die Stille, sie weckt den Zwang tief in mir. Dagegen tun kann ich nichts wie oft habe ich es versucht Langsam steige ich auf, still, und ohne auch nur das geringste Gerusch zu verursachen. Ich bin gndig mit den Schlafenden, die ihre Ruhe behalten sollen. Ein Schmerz macht mir das Atmen schwer, schnrt meine Kehle zu. Ich wei ja, was nun auf mich wartet. Muss es wirklich sein? Jede Nacht, die ich werden lasse? Knnen meine Augenlider sich erst schlieen, nachdem sie gesehen haben, was sie doch nur zu genau kennen? Mein Krper schwebt, findet den Weg ganz ohne mein Dazutun. Er kennt das Ziel. Das Larb-Gebirge liegt tief unter mir; seine Spitzen berhren die Wolken, durchstoen sie, sind dem Himmel nah. Weil ich das so vorgesehen habe, weil ich es will. Alles, weil ich es will Langsam sinke ich tiefer. Der See ist gewaltig in seinen Ausmaen und perfekt geformt. Ein Oval mein Oval, denn sicher hat ihn auer mir noch nie jemand erblickt. Kein Kind des Arbiters hat hier etwas zu suchen. Nur knapp ber der Wasseroberflche stoppe ich ab. Kein Windhauch rundum die Elemente gehorchen mir. Wie ein Spiegel liegt das Wasser unter mir. Glatt, rein, perfekt. Und meine Augen sehen. Das frhliche Blitzen in den Pupillen des jungen Burschen, sein ansteckendes Lcheln, das wohl stets um seine Lippen lag; die lockigen Haare, tiefschwarz, ungebndigt die feine Nase, das Grbchen am Kinn Nein nicht mehr der Selbstbetrug. Die Zeit ist vorbei, denn sie hat den Schmerz nur noch vergrert. Sieh hin sieh die Realitt! Es ist so wird nie wieder anders sein. Mach die Augen weit auf, bis sich die Wahrheit tief in sie eingefressen hat. Sieh hin! Ja, ich sehe. Nur wenige Momente, dann beginnen sich meine Augen mit Trnen zu fllen, die gndig eine Schleierschicht vor das legen, was mir entgegenstarrt. Trnen ein Meer von ihnen bis mein Weinen in einem endlosen Schrei mndet Er war ihnen in die Falle gegangen. Gut ein Dutzend umringten ihn, griffen einzeln oder in kleinen Gruppen an. In diesem Augenblick sich selbst einen Narren zu nennen, mit der eigenen Dummheit zu hadern, machte keinen Sinn. Im Gegenteil er bentigte wirklich seine ganze Konzentration, wenn er die kommenden Minuten berstehen wollte. Trotzdem er konnte es einfach nicht fassen, wie blauugig er vorgegangen war. Nach der Vernichtung des Vampirdmons Sarkana durch Professor Zamorra und seinen Mitstreitern war das, was der Dmon angestrengt hatte, sofort wieder zerfallen: Eine Gemeinschaft aller Kinder der Nacht aller Vampirclans unter einer festen Fhrung. Jeder Clan hatte seinen Anfhrer, und es gab nicht einen darunter, der nicht sofort wieder nach seinem Zepter griff, das er aus Angst vor Sarkana demtig niedergelegt hatte. Nun kmpften sie wieder alle ihren eigenen Kampf, hetzten der Macht und der Befriedigung des eigenen groen Egos hinterher. Die Mitglieder der Clans duckten sich, so wie sie es unter dem Dmon getan hatten. Fr sie machten die vernderten Machtverhltnisse keinen groen Unterschied aus. Kein guter Zeitpunkt, um unbequeme Neuerungen anzusprechen. Das wurde ihm nun klar. Ein wenig spt fr solche Einsichten. Wie hatte er nur glauben knnen, Gehr bei den Clans zu finden? ber seine Ideen lachten sie nur schallend. Was fr ein Spinner! Friede mit den Menschen? Gleichberechtigtes Nebeneinander? Rckkehr zu den Werten, die Vampire sich stets auf ihre Flaggen geschrieben hatten Kreativitt, Schngeist, Musik, Literatur, Malerei, die Vorreiterrolle in den bildenden Knsten, den Geisteswissenschaften Fr die Clans zhlten diese Dinge nicht mehr viel, besser gesagt, berhaupt nichts mehr. Einzelne Vampire, die sich von den Zusammenrottungen fernhielten, mochten Reste dieses Denkens in sich tragen, es vielleicht sogar wirklich noch vertreten. Die Masse war davon weit entfernt. Und der Preis, den sie bezahlen sollten, damit sie von gejagten Jgern zu Partnern werden konnten, der war so hoch, dass der Mann, der seine Botschaft zu den Kindern der Nacht bringen wollte, nur auf Unverstndnis und Hme stie. Sie alle lachten ihn aus ihn, Dalius Laertes, der vor langen Zeiten von seiner Heimatwelt Uskugen zur Erde gekommen war, der hier von Sarkana zum Vampir gemacht worden war. Lange hatte Laertes in den Diensten des Vampirdmons gestanden, hatte im Geheimen gegen seinen Herrn gearbeitet. Er redete nicht lange um die Sache herum, wenn er von dem sprach, was sein Traum fr die Zukunft war und er hielt auch nicht mit den harten Tatsachen hinter dem Berg , mit dem, was einem Frieden zwischen Nachtvolk und den Menschen vorangehen musste: Der Verzicht auf Menschenblut. Sie rckten nun gleichzeitig gegen ihn vor. Laertes sprte, dass sie seine ganz spezielle Magie frchteten, denn das allein war der Grund, warum sie sich noch nicht konzentriert auf ihn gestrzt hatten. Der Grund, warum er noch existierte. Es htte ihn stutzig machen mssen, warum man ihn ausgerechnet hier anhren wollte in England, einem der traditionell strksten Vampirclans berhaupt. Aber was htte Dalius tun sollen? Diese Chance ungenutzt verstreichen lassen? Wohl kaum. Htte er sich absichern sollen? Niemand wusste, wo er sich jetzt aufhielt. Zamorra und die Seinen darber zu informieren, wre eine beraus makabere Variante gewesen. Zamorra, Nicole Duval oder gar deren Freund, der Silbermonddruide Gryf ap Llandrysgryf, htten der Versuchung sicher nicht widerstehen knnen. Speziell Gryf htte hier sicher nur zu gerne blutige Ernte gehalten. Nein, Laertes hatte sich fr einen Alleingang entschieden. Mit dem Ergebnis, sich nun gegen die zur Wehr setzen zu mssen, denen er doch helfen wollte. Zwlf gegen einen. Kein bles Verhltnis fr die Angreifer. Dennoch musste etwas hinter dieser Attacke stecken, das Laertes bis jetzt noch nicht erahnen konnte. Es mochte berheblich klingen, doch er war fest davon berzeugt, mit seinen Widersachern fertig zu werden. Und das, da war er sicher, wussten auch sie oder zumindest ihr Anfhrer, der sich dezent im Hintergrund hielt. Die Tatsache, dass Dalius ber die zustzliche Macht seiner Uskugen-Magie verfgte, machte ihn fr die Vampire doch zu einem schier bermchtigen Gegner. Warum also griffen sie ihn aus ihrer schwcheren Position heraus an? Zwei von den Dunklen sprangen pltzlich gleichzeitig vor. Ein Scheinangriff, mehr konnte das nicht sein, denn es reichten dem Uskugen zwei kurze Energieste, die er aus seinen Hnden abfeuerte, um sich die beiden vom Hals zu halten. Kurz berlegte er, sich in einen Schutzschirm zu hllen und von hier zu verschwinden. Es war fr ihn ein Leichtes, sich durch einen Sprung in Sicherheit zu bringen. Diese zeitlose Methode der berwindung von groen Distanzen beherrschte er in hoher Perfektion. Doch noch wollte er einen letzten Versuch starten, so etwas wie einen Dialog in Gang zu bringen. Die Angreifer hielten sich in respektvollem Abstand. Laertes tat, was er besser nicht getan htte er schenkte seinem Gegner Zeit. Wollt ihr mir denn nicht einmal zuhren? Was kostet es euch? Zeit? Einen winzigen Blick ber euren eingeschrnkten Sichthorizont? Gebt mir nur fnf Minuten Zeit. Seine Stimme war nicht extrem laut, doch sie fllte in Klarheit und Bestimmtheit den gesamten Raum aus. Die Antwort waren einige kurze Geplnkel, die Dalius ohne Probleme abzuwehren wusste. Dann drang ein tiefer Bass an seine Ohren. Ob der Clanfhrer sprach, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen, doch der Sprecher schien es gewohnt zu sein, dass man ihm zuhrte. Menschenfreund! Jeder wei, dass du lngst die Seiten gewechselt hast. Dein Herr heit Zamorra unser erbitterter Feind mitsamt seinen verfluchten Bastarden, die stndig um ihn herum sind. Glaubst du denn, so einem Verrter am Volk wie dir hren wir zu? Dir ausgerechnet dir, der krftig mitgeholfen hat, Sarkana zu vernichten? Laertes traf jedes dieser Worte hart, denn sie waren ja nicht erfunden und erlogen. Er hatte sich lngst fr die Sache von Professor Zamorra entschieden, doch das bedeutete sicher nicht, dass er gegen sein Volk anging. Er war und blieb nun einmal ein Vampir. Es war etwas in der Stimme, das ihm deutlich machte, wie sinnlos es wre, sich hier und jetzt verbal zu verteidigen. Er verschwand besser. Doch die Stimme klang erneut auf. Stygia, unsere Frstin der Finsternis, war es, die uns ein Geschenk fr dich bergab. Die Alarmsirenen in Laertes' Kopf schlugen hell an. Stygia selbst hier hatte sie ihre Finger mit im Spiel. Zurzeit war sie an allen Fronten aktiv, plante offensichtlich groe Dinge, die sicher nur ein Ziel haben konnten ihre Position innerhalb der Schwarzen Familie zu festigen oder gar noch mehr? Laertes machte sich zum Sprung bereit. Ein heller, pfeifender Ton drang an das sensitive Gehr des hageren Vampirs. Etwa so klang es, wenn ein irdisches Insekt einen gezielten Angriff startete eine Biene, eine Wespe Irgendetwas schlug im gleichen Augenblick gegen Laertes' rechten Oberarm, kaum sprbar, doch beraus real. Laertes griff zu, zog eine hauchdnne Nadel heraus, deren feine Spitze seltsam glnzte. Laertes sprang und die Glut der Hlle begann in seinem Krper zu toben. Warum habe ich nicht den Schutzschi Er schlug unkontrolliert irgendwo auf. Sein Kopf prallte hart gegen ein Hindernis, das er nicht zu benennen wusste. Der Vampir verlor die Besinnung. Er stand auf Die Wahrheit war, das es bei diesem Denken blieb, denn Laertes konnte sich nicht rhren. Er kmpfte gegen die Schmerzen an In der Realitt sah es so aus, dass er hilflos wimmernd am Fu des Urwaldriesen lag, der seinen Sprung mehr als unsanft beendet hatte. Sein Krper setzte seine selbstheilerischen Krfte erfolgreich ein Fakt war Dalius Laertes starb! Da war nichts mehr in ihm, das die Kraft besa, etwas dagegen zu tun. Nichts! Der Raum in seinem Kopf, der zwischen Wunsch und Wahrheit geschaltet war, kollabierte. Laertes nahm nicht wahr, wohin ihn sein in Panik vollzogener Sprung gebracht hatte; es interessierte ihn auch nicht. Da gab es nur noch die Hitze, das entsetzliche Feuer, das durch den Vampirkrper tobte. Gift sie haben mir eine Injektion verpasst Dalius konnte seine Beine nicht mehr spren. Klte zog von unten her kommend langsam durch seinen Krper. Stygias Gift nicht mehr lange, dann wrde das Ende kommen. Und Laertes war sich nicht mehr sicher, ob er seinen endgltigen Tod nicht bereits herbeisehnte. Diese Schmerzen berboten wirklich jede Vorstellungskraft. Nein. So enden? So? Ohne Abschluss, ohne Sinn? Dalius Laertes versuchte zumindest eine winzige Nische seines gequlten Bewusstseins von den Schmerzen zu reinigen, sie beiseitezuschieben. Nur fr einen kurzen Moment der Konzentration. Ein Sprung noch wohl der letzte, doch der musste ganz einfach gelingen. Mehr konnte er nicht mehr fr sich selbst tun. Die Hoffnung stirbt zuletzt welch ein Klischee! Hier traf es zu, vielleicht zum ersten Mal. Laertes starb in Raten und wahrscheinlich war es nur dieser kleine Funken Hoffnung, der das Ende bislang zurckhielt. Er sprang. Und sein Kopf schien in hoch aufflackerndes Feuer zu tauchen Chteau Montagne, Loire-Tal, Frankreich 13:03 Uhr Das Wetter war nicht einmal schlecht, wenn man die Jahreszeit bedachte. Kalt war es dennoch. Kalt genug jedenfalls, um nicht so ohne Weiteres dem Schwimmvergngen nachzugehen. Allerdings auch nicht kalt genug, um Nicole Duval von diesem Vorhaben abbringen zu knnen. Man war ja nicht unbedingt so arm auf Chteau Montagne Man gab zwar niemals mit voller Absicht damit an, doch man hielt damit auch nicht hinter dem Berg. Nicole grinste, als sie vom Inneren des Hauptgebudes aus die entsprechenden Knpfe bediente. Um den grozgig angelegten Pool herum begann es zu rumoren Elektromotoren summten ihr Lied, und mit leichtem Knirschen schoben sich die Glaswnde aus den Bodenfugen in die Hhe. Das alles musste wieder einmal dringend gewartet und gereinigt werden. Nicole nahm sich vor, einen groen Knoten in ein Taschentuch zu knpfen, der sie daran erinnern sollte, die Wartungsfirma zu informieren. Das einzige Problem war, dass sie keine Taschentcher besa. Ein einfacher Eintrag im Kalender musste also auch reichen. Der ganze Vorgang, der da drauen nur wenige Meter von Nicoles jetzigem Standort ablief, dauerte seine Zeit. Gut und gerne 30 Minuten wrden vergehen, ehe sich schlielich auch das Glasdach ber die Umrandung geschoben hatte. 30 Minuten waren der schnen Franzsin erheblich zu lang, um sie hier mit Nichtstun zu vergeuden. Nicole erinnerte sich pltzlich, im letzten Sommer so einen Stofffetzen erstanden zu haben, dessen Ladenpreis Zamorra nach Luft hatte schnappen lassen. Gut, er war nicht blau angelaufen, aber viel hatte da nicht gefehlt. Jedenfalls nannte sich dieses teure Nichts doch Bikini, oder? Warum sollte sie den nicht endlich einmal einweihen? Nackt konnte doch jeder zum Schwimmen gehen Nicole wollte ihren Lebensgefhrten einmal berraschen, wenn der sich denn endlich einmal von seinen Computerdateien trennen konnte. Es war ja nicht so, dass der Parapsychologe gerne den Archivar spielte. Doch es musste eben sein. Die stndig neu gewonnenen Erkenntnisse brachten sich nicht von selbst in Dateiform. Obwohl Zamorra trumte ab und an einen Traum, den er erst krzlich seiner Geliebten wieder erzhlt hatte. Ein Mikro-Computer, den man wie eine Pille schlucken konnte. Der lief dann stndig mit, zeichnete auf, erfasste, sicherte. Schlielich brachte er dann selbstttig den gesamten Datenwust in Textform, speicherte den ganzen Kram in einem tglich neu zu erstellenden Ordner ab. Dann musste man sich selbst nur an eine Schnittstelle ankoppeln, damit die Datenstze auf den groen Server bertragen wurden. Spinner So lautete Nicoles Antwort auf diese Fantasien. Andererseits gab es ja nichts, was es nicht gab und wenn nicht, dann erfand es irgendwer auf dieser oder einer anderen Welt. Nicht heute, sicher auch nicht morgen aber vielleicht schon am Tag darauf? Aber schn wre das schon Zamorra hatte Nicole angegrinst. Lege neuen Ordner an Zamorra rettet die Welt und noch ein paar andere dazu 2.345-A. Zeichne auf Das mochte sich grospurig anhren, doch so ganz falsch war das alles ja nun wirklich nicht. Und besonders lustig war das auch nicht gerade. Aber wenn der Parapsychologe und seine Gefhrtin dem Grauen erlaubt htten, ihnen auch noch ihren Humor zu lhmen, dann wre dieses Leben sicher schier unertrglich geworden. In aller Ruhe machte Nicole sich nun an die Suche. Wenn sie es auch nicht gerne tat und ffentlich schon gar nicht , so musste sie doch bei sich ein Gestndnis ablegen. Ihre Kleiderschrnke quollen schier ber! Vieles, was sie hier entdeckte, hatte sie hchstens einmal, manches auch berhaupt noch nie getragen. Du bist eine schlimme Verschwenderin Bei diesem Gedanken konnte sie nur besttigend nicken. Der prallgefllte Schrank lie auch keine andere Aussage zu zudem bewies er, dass Nicole Duval sich nur uerst schwer von ihren geliebten Klamotten trennen konnte. Wenn sie es denn tat, hatte sie sich allerdings als uerst harte Verkuferin gezeigt, denn der Erls einer solchen bitteren Aktion, der ging nicht in ihre Tasche oder auf Zamorras Konto das nun wirklich nicht , sondern wurde einem wohlttigen Zweck gespendet. Letzteres verste den Trennungsschmerz zwar nicht wirklich, machte ihn aber ein wenig ertrglicher. Wer jedoch glaubte, er msste die schne Franzsin auf teure Mode, wechselnde Haarfarben, Schuhe und Schminke reduzieren, der beging einen groen Fehler. Vielleicht den dmmsten seines ganzen Lebens. Mehr als eine Kreatur der dunklen Magie hatte sich Nicole als Opfer ausgesucht, um dann den Professor in der Hand zu haben. Kaum einer dieser Dummkpfe existierte heute noch. Duval war nicht die Frau hinter Zamorra, sie war nicht seine Begleitung sie stand direkt neben ihm. Oft auch vor dem Parapsychologen, wenn der einmal schwchelte. Als Kampfteam waren sie eine Macht als Lebensgefhrten eine Einheit, die ihresgleichen suchte. Nicole seufzte. Sie wollte diesen Zwergbikini finden, komme was wolle. Und wenn sie diesen Schrank komplett leer rumen musste. Vom Fenster aus, das direkt neben dem zimmerdurchspannenden Schrank lag, konnte die Franzsin einen flchtigen Blick auf den Pool werfen. Sie hatte noch Zeit, denn die Mechanik hatte ihren Job gerade einmal zur Hlfte erledigt. Ruckartig riss sie erneut den Blick zum Fenster hin. Im Pool lag ein Mensch! Zumindest von der Krperform her gro, hager, in tiefstem Schwarz gekleidet der Krper schaukelte buchlings liegend auf der Wasseroberflche. Und um die Konturen des Wesens herum, da bildete sich ein roter Umriss, der sich wie eine Korona ausbreitete. Blut? Die langen Haare der Person fcherten sich, einem Pfauenrad gleich, um ihren Kopf, das Gesicht war tief im Wasser eingetaucht. Nicole Duval sprintete los. Wenn du nicht schnell genug bist dann ertrinkt er glatt! Doch dieser Gedanke wollte keine richtige Akzeptanz in ihrem Bewusstsein auslsen. Konnte ein Vampir denn ertrinken? Wahrscheinlich nicht Mit weiten Stzen hetzte sie die Treppe hinunter, stoppte auch nicht, als sie den Poolrand erreicht hatte und sprang elegant in das wohltemperierte Wasser. Der Rest war fr Nicole Duval kein Problem. Es war nicht das erste Mal, dass sie als Rettungsschwimmerin fungierte. Das sie dieses Knnen jedoch bei einem Kind der Nacht zum Einsatz bringen wrde, htte sie kaum vermutet. Doch das hier war schlielich kein normaler Vampir. Auf dem breiten Bett im Gstezimmer des Chteaus wirkte die nackte Figur des Dalius Laertes ein wenig verloren. Mit Zamorras Hilfe hatte Nicole dem Vampir die vollkommen durchnssten Kleider ausgezogen. Das Blut, das Nicole im Wasser gesehen hatte, stammte aus einer Platzwunde am Hinterkopf des Uskugen. Eine Wunde, sicherlich doch die war nicht Ursache von Laertes' Zustand. Jeder Versuch, den Vampir zu Bewusstsein zu bringen, war klglich gescheitert. In Zamorras Blick lag ein hoher Anteil Hilflosigkeit, fand Nicole. Ich kann nichts tun. Zamorra sa auf der Bettkante, starrte in Laertes' Gesicht, in dem der Kampf zu lesen war, den der Vampir tief in sich ausfocht. Mit weier Magie erreiche ich bei ihm nichts. Seine ureigene Uskugen-Magie, gemischt mit den Krften, die er als Vampir besitzt, blockt alles ab, was ich versucht habe. Selbst mit dem Dhyarra kann ich keine Besserung erzielen; Merlins Stern ist das vollkommen falsche Medium fr diesen Fall und meine eigene Zauberkunst versagt ganz einfach. Wir knnen schlecht einen Arzt holen Nicole musste den Satz nicht beenden. Nein, diese Lsung schied aus. Seltsam im Kampf haben Dalius und du schon mehr als einmal die so unterschiedlichen Magievarianten miteinander verknpft. Doch hier funktioniert das nicht? Es kommt mir so vor, als wrde Laertes gegen einen Gegner kmpfen, der tief in ihm verankert ist. Ehrlich gesagt ich bin ziemlich ratlos. Der Parapsychologe wusste keinen Weg, um sich in diesen Kampf einzuklinken, der im Krper und wohl auch im Bewusstsein des Vampirs tobte. Nicole Duval beugte sich weit ber den nackten Krper. Akribisch begann sie, Laertes von allen Seiten, aus jedem erdenklichen Blickwinkel mit den Augen zu studieren. Zamorra war berrascht. Was suchst du? Nicoles Antwort klang abwesend, denn jedes Wort strte sie in ihrer Konzentration. Keine Ahnung. Doch wenn dieser Zustand von auen an den Uskugen herangetragen worden ist, dann muss es dafr ein Indiz geben. Eine Schramme, eine Wunde was wei denn ich? Zamorra nickte. Dalius Laertes war ein mit ungewhnlichen Krften und Fhigkeiten ausgestattetes Wesen. Ihn auf mentaler Ebene mit einem Angriff zu berraschen, war uerst unwahrscheinlich. Da musste es eine andere Erklrung geben. Der Professor schwieg, um Nicole nicht unntig abzulenken. Minuten vergingen, ehe Nicole pltzlich merklich stutzte. Dann wies sie auf Laertes' rechten Oberarm. Zamorra konnte auf den ersten Blick nichts erkennen, was irgendwie ungewhnlich erschien. Doch dann sah er es auch. Ein winziger Punkt nur eine kaum zu erkennende Kruste. Wenn man sich beim Arzt eine Schutzimpfung in den Arm jagen lie, wrde die entstehende Blutgerinnung um einiges deutlicher zu erkennen sein. Was ist das? Zamorra antwortete nicht auf Nicoles Frage. Er lste Merlins Stern von dem Schnellverschluss der Halskette, die er stets trug. Vorsichtig bewegte der Franzose das Amulett nahe an Dalius Laertes' Oberarm heran. Und die Silberscheibe reagierte! Mit den Fingerkuppen strich Zamorra ber den winzigen Punkt. Eine Spritze nein, etwas Feineres war dort in das Fleisch eingedrungen eine Nadel etwa, und die war ohne jeden Zweifel schwarzmagischen Ursprungs gewesen. Zumindest jedoch das, was sich an ihr befunden hatte. Gift. Nicole sprach es aus. Ja, es scheint, als wolle die Schwarze Familie sich des Dalius Laertes entledigen. Verdammt, ich frchte, sie haben ihren Job in diesem Fall zu gut gemacht. In Nicoles Blick war Unglauben. Glaubst du nicht, der Uskuge wei sich seines Lebens zu wehren? Ich meine Zamorra unterbrach sie mit einem Kopfschtteln. Viele Worte waren nicht ntig. Wer dieses Gift angemischt hat, war ein Meister seines Faches. Er dachte an Stygia hchstpersnlich. Die Frstin der Finsternis befand sich seit geraumer Zeit auf einem Feldzug in eigener Sache. Lange hatte sie sich relativ ruhig verhalten, hatte ihre Stellung genossen. Das war ihr nun offenbar nicht mehr genug. Was sie genau plante, wusste das Zamorra-Team nicht, doch ihre Aktivitten lieen auf ein groes Ziel schlieen. Stygia liebte die Macht absolute und uneingeschrnkte Macht. Sie wusste sehr wohl, dass man sie mehr oder weniger auf ihrem Thron nur duldete. Eine wirklich potente Rolle spielte sie in der schwarzen Hierarchie nicht. In den Schwefelklften gab es zurzeit einfach niemanden, der sich nach ihrem Posten drngte. Jeder verfolgte seine eigenen Ziele, bei denen der Platz auf dem Knochenthron eher hinderlich sein mochte. Wre dem anders gewesen Stygia wusste um ihre schwache Position. Ihr erstes Ziel war es sicher, diese zu strken. Was danach kommen wrde, wusste sicher nur sie alleine. Was knnen wir tun? Zamorra bemerkte, wie kurz angebunden Nicole war. Sollte sie sich denn tatschlich Sorgen um Laertes machen? Sie, die stets an den Plnen und der Loyalitt des Vampirs gezweifelt hatte? Nicht viel besser gesagt, berhaupt nichts. Ich werde einen weimagischen Schutz um ihn legen. Chteau Montagne ist gegen Schwarzmagie zwar gesichert, doch ich will Laertes den bestmglichen Schutz geben, den ich zu bieten habe. Und dann knnen wir nur abwarten. Ich werde die Nacht hier verbringen. Wenn sich etwas an seinem Zustand verndert, will ich da sein. Man wei ja nie Nicole blickte in das aschfahle Gesicht des hageren Wesens, in dem kein Leben mehr zu stecken schien. Du glaubst, dass er stirbt, nicht wahr? Zamorra antwortete nicht sofort. Seine Gefhrtin hatte ihm eine klare, eindeutige Frage gestellt. Das verdiente eine ehrliche Antwort. Ja, ohne ein Wunder wird er sterben er ist ein Vampir, der nicht wirklich Leben in sich trgt. Er wird verlschen. Irgendwann weit nach Mitternacht war Professor Zamorra in leichten Schlummer gefallen. Eine Berhrung lie ihn hochschrecken. Nicole war lautlos in das Zimmer getreten. Leg dich ein paar Stunden hin. Ich bernehme die Wache. Sie musste Zamorra nicht fragen, ob sich am Zustand des Vampirs etwas gendert hatte es war deutlich zu erkennen, dass dem nicht so war. Zamorra nickte, berlie ihr gerne den Lehnsessel, in dem er viele Stunden gesessen hatte. An der Tr blieb er noch einmal stehen. Ich hatte viel Zeit, um ber Laertes nachzudenken. Ich habe mich an alles erinnert, was ich damals im geistigen Verbund mit Dalius ber seine Vergangenheit erfahren habe. Nicole nickte. Sie entsann sich der langen Stunden, die sie zu einer Statistin gemacht hatten. Unttig hatte sie ber die Krper der beiden Mnner gewacht, die ausgelst durch ein Symbol zu einer wohl einzigartigen Fusion gelangt waren. Zamorra und Laertes waren gemeinsam zu einer Welt gelangt, die sich Uskugen nannte. Uskugen Dalius Laertes' Heimatplanet. Sie hatten den jungen Dalius erlebt anerkannter Wissenschaftler, Ratsherr und gefeierter Sportstar; glcklich verheirateter Mann, Vater von zwei wunderbaren Kindern. Uskugen Welt der Magie, Welt der Wissenschaft, die gemeinsam eine funktionierende Symbiose der besonderen Art eingegangen waren. Eine Welt, deren Bewohner in sich den Drang versprten, ihr Wissen, ihr Glck mit den Intelligenzen in der Galaxis zu teilen, bedrohte Spezies zu untersttzen, sie vor Unheil zu bewahren. Dabei waren sie selbst bedroht, denn die beiden Pfeiler, auf denen alles ruhte Wissenschaft und Magie , gerieten ins Schwanken. Mehr als das: Eine Katastrophe ungeheuren Ausmaes bedrohte die friedliche Welt. Zamorra-Laertes hatte die Rettung miterlebt, die in letzter Sekunde gelang. Doch der junge Laertes wurde in die Dunkelheit der Ungewissheit gestrzt. Der, den er fr seinen besten Freund gehalten hatte, wurde zum Verbrecher am Leben, zum Verrter an seiner eigenen Welt. Neid, Eifersucht, Hass das waren seine Triebfedern. Und sie alle bndelte er auf die Person Laertes'. Semjon Tanno war sein Name und sein Ziel war es, die magischen Schwchen, die in den Uskugen existierten, auszumerzen. Perfekte Wesen wollte er erschaffen, die Uskugen zu einer Macht im Universum machen sollten. Er bezahlte diesen Frevel mit seinem Leben starb durch den ultimativen Klon, der er kreiert hatte. Den Klon des Dalius Laertes! Es kam zu dem Duell, in dem Laertes seiner Kopie gegenberstand. Am Ende lebte nur noch einer der beiden. Sie hatten schnell und hart gekmpft, ein Pardon konnte es dabei nicht geben. Einer nur blieb brig. Ein Dalius Laertes. Doch welcher? Das Zamorra-Laertes-Bewusstsein hatte sich zurckziehen mssen. Zurck in die Gegenwart, in die Realitt der Erde. Und das Dilemma des Vampirs war bermchtig geworden. Einen Teil seiner Vergangenheit kannte er nun. Doch was war anschlieend geschehen? Wie war er berhaupt zur Erde gelangt? Vor allem wer war er? Ein Klon? Von da an hatte Laertes alles darangesetzt, diese Leere mit Antworten zu fllen. Gelungen war es ihm nicht. Und zu welchem Resmee bist du gelangt? Nicole fragte sich, was die damaligen Ereignisse mit der jetzigen Situation zu tun haben sollten. Zamorra schien unschlssig, was er Nicole antworten sollte. Sicher war er sich ja selbst nicht, doch irgendetwas sagte ihm, dass Dalius auch in diesen Stunden, in denen er mit dem Tod rang, dicht bei den weien Stellen war, die sein Ego aufwies die Wsten in seinem Bewusstsein, so hatte er es einmal ausgedrckt. Endlose Zeitrume, die darauf warteten, dass man sie mit Erkenntnis, mit Wissen fllte. Doch nun schien es, als wrde das nie mehr geschehen. Nicole hatte mit keiner Antwort gerechnet. Sie sollte recht behalten. Mit dem Handrcken berhrte sie Laertes' Stirn und zuckte zurck. Grundgtiger er glht ja. Der Uskuge schien extremes Fieber zu haben. Nicole konnte die Temperatur nur schtzen, doch sie lag sicher weit hher als alles, was bei einem Menschen bereits als lebensbedrohend zu bezeichnen war. Wir sollten ihn irgendwie khlen. Weiter kam sie in ihren berlegungen nicht, denn exakt in diesem Augenblick schlug der Uskuge die Augen auf Fieberaugen, die durch Nicole hindurchblickten, als wre sie berhaupt nicht im Raum. Ein Spiel! Die schne Franzsin erschrak. Laertes war bei Bewusstsein, sprach nein, er schrie. Alles ist doch nur ein Spiel. Komm, hren wir damit auf lass uns weiterziehen. Wir nein! Nur ein Spiel, hrst du? Zamorra trat an das Bett heran, fasste Laertes bei den Schultern. Nun sprte auch er die Hitze, die von dem Uskugen ausging. Dalius komm zu dir. Ich bin es, Zamorra. Man hat dich vergiftet. Sag mir, wie ich dir helfen kann. Laertes' glasiger Blick heftete sich an den Professor. Tatschlich war darin so etwas wie Erkennen. Zamorra? Wo bin ich denn? Im Spiel? Ob es das Fieber war, oder ob das Gift in Laertes' Krper seine verheerende Wirkung bereits bis auf dessen Verstand ausgeweitet hatte, das war Zamorra unklar. Doch das Ergebnis war in jedem Fall schlimm. Der Vampir schien nicht mehr aus der Fantasiewelt herauszuknnen, in der er gefangen war. Du bist im Chteau, mein Freund. Sag mir, ob du einen Weg kennst, wie wir dir helfen knnen. Zamorra hoffte, der Uskuge wusste mehr ber den schleichenden Tod, der in ihm wtete. Laertes' Blick wanderte zu Nicole. Ihr seid beide bei mir? Wollt ihr mit mir spielen? Zamorra und Nicole sahen sich an. Es war zwecklos. Der Vampir war in einem Traum, der fr ihn keinen Ausgang bereithielt. Keiner der beiden hatte eine Chance zu reagieren, als der scheinbar krperlich hinfllige Uskuge sich unvermittelt aufsetzte und blitzschnell nach ihnen griff. Nicole fhlte die Hitze von Dalius' Hand, die sich rasend schnell durch ihren Krper verbreitete. Sie hrte Zamorra aufsthnen doch zu einer Reaktion kam auch er nicht mehr. Sie wurden eins. Sie stiegen gemeinsam auf hoch und immer hher. Weiter nach oben, als je zuvor bis ein Licht die Dunkelheit zerfetzte, das Licht der anderen Welt, der Fieberwelt. Alle sollen spielen. Weil ich es so will! Nicole wusste nicht, wer diese Worte gesprochen hatte. Doch das hatte ja auch keine Bedeutung. Denn es begann einfach so. Das also war sie. Die Stadt. Seine Stadt der Ort, an dem er geboren worden war. Das zumindest hatte man ihm immer gesagt. Gesagt? Wer eigentlich sollte das gesagt haben? Im Augenblick fiel ihm keine Antwort ein, also stellte er die Frage ganz nach hinten. Der Himmel war grau ber der Stadt. Ganz so, als wollte er sie vor Blicken schtzen, wlbte er sich ber die Ruinen, die unzhligen Brandherde, aus denen Rauchfden zu ihm in die Hhe stiegen. Die Luft war rau an diesem Morgen, biss ihm krftig in seine Atemwege. Wenn er es wagte, tief einzuatmen, konnte er ein Rasseln nicht berhren, das in seiner Brust auf und nieder tanzte. Der Hustenreiz war gro, doch noch beherrschbar. Mit Mhe hielt er ihn im Zaum, denn es war vielleicht nicht ratsam, hier auf sich aufmerksam zu machen. Vielleicht irrte er auch, vielleicht wollte ihm niemand Bses. Vielleicht wartete seine Stadt ja nur auf seine Rckkehr? Doch seine Erfahrungen sagten ihm, dass Vorsicht angebracht war. Erfahrungen? Tatschlich? Intensiv lie er seine Blicke umherschweifen. Alles hatte sich hier innerhalb nur weniger Spiele verndert. Es musste so sein, denn die hohen Gebude zeugten davon, dass hier noch vor nicht sehr langer Zeit eine blhende Industrie vorgeherrscht hatte. Dann war die Zeit gekippt. Genau so musste es gewesen sein. Jeder Bewohner Alteras kannte dieses Phnomen. Was man kannte, das verging was man bekam, das war anders. Der grte Teil der Menschen dieser Welt nahm das als gottgegeben hin, als Wille der einen Macht, der sich alle unterordnen mussten. Nur wenige lehnten sich dagegen auf, auch wenn dies mehr als lcherlich war. ndern konnten auch sie nichts. Und so hatte sich bei jenen eine Art von Nomadentum entwickelt, denn eine andere Alternative gab es fr sie nicht. Nur die Suche nach einem Ort, der ihnen etwas von dem zurckgeben konnte, das ihnen genommen worden war. Schon seit einiger Zeit hatte er aus den Augenwinkeln heraus den Schatten bemerkt, der zwischen den Ruinen hin und her huschte er wurde verfolgt. Wenn er sich nicht irrte, dann handelte es sich um eine einzelne Person. Wahrscheinlich drohte ihm von dort also keine akute Gefahr. Unangenehm wurde es wohl erst, wenn sich eine Marodeurbande fr ihn interessierte. Doch das war eher unwahrscheinlich es war deutlich zu erkennen, dass bei ihm nichts von Wert zu holen war. Er beschloss, den Schatten vorerst zu ignorieren. Erst einmal war fr ihn etwas ganz anderes von Interesse. Dies war also seine Geburtsstadt. Wie sie damals auch immer ausgesehen hat wie viele drastische Vernderungen sich hier vollzogen haben mochten ein Kern, ein Fixpunkt, irgendetwas einmalig Markantes musste vorhanden sein. Niemand erlebte seine prgende Phase an einem Ort, von dem ihm spter nicht der Hauch einer Erinnerung blieb. Niemand! Langsam begannen sich die Straen zu fllen. Kleine Lden, denen man deutlich ansah, dass ihre Ausstattung eilig improvisiert war, ffneten Handwerker, Hndler, Gaststtten. Der Wandel der Zeit hatte eine neue Richtung vorgegeben. Aus den Arbeitern in den Erzminen wurden nach und nach Schuster, Tischler, Obsthndler; Fisch und Fleisch wanderte ber die Theken. Sprlich noch, und so manche Ware machte wahrlich nicht viel her, doch das wrde sich bald von selbst regulieren. Wer bemerkte, dass er nun doch nicht zum Srge bauen geschaffen war, der wrde eben die letzten rohen Bretter nehmen, daraus eine Theke bauen und Gemse unter die Leute bringen. So oder hnlich wrde es ablaufen. Ohne zu klagen, hatten die Bewohner dieser Stadt sich gefgt. Die Maurer wrden aus den Industrieruinen schon bald schlichte, durchaus ordentliche Wohnhuser schaffen. Und die Schwelbrnde hatten sicher bald ihre Schrecken verloren. Es war eine Welt der Wechsel. Altera erschuf sich in Teilen stndig neu. Und er? Nach wie vor kam ihm hier nichts bekannt vor. Wo hatte er als Kind, als Jugendlicher hier gewohnt? Seine Eltern waren sie einfache Arbeiter gewesen? Oder reiche Leute, die ihre Villa an den Rand der Stadt gebaut hatten? War der Lffel in seinem Kindermund aus Gold oder war er aus dnnem Blech gewesen? Die Fragen bereiteten ihm so langsam Kopfschmerzen Fragen, immer nur Fragen. Eine Antwort wre nun nett gewesen, zumindest eine. Sein Magen meldete sich mit lautstarkem Grummeln. Wann hatte er seine letzte Mahlzeit zu sich genommen? Nein, nicht schon wieder eine Frage! Mit Schwung hebelte er den groen Ledersack von der Schulter, den er dort mit Riemen befestigt hatte. Nicht fragen nachsehen. Viel war es nicht, was in dem Beutel verstaut war. Ein Hemd, einige Tcher, eine Hose aus dnnem Wildleder, deren Beine knapp unter den Knien endete und eine Geldkatze. Schon bevor er sie ffnete, war ihm klar, dass darin keine Reichtmer zu erwarten waren, denn dazu war sie einfach zu leicht. Er zhlte die Mnzen. Gut, in den kommenden Tagen musste sein Magen nicht leiden, und es wrde vielleicht auch fr eine einfache Unterkunft reichen. Dann jedoch sollte er eine Arbeit gefunden haben, wollte er nicht betteln gehen. Suchend blickte er in die Runde. Hier gab es sicherlich auch Menschen, die den Zeitenwechsel dazu genutzt hatten, so etwas wie eine Pension zu erffnen. Sein Blick blieb an einem recht kleinen Gebude hngen, ber dessen Tr zwei Zeichen angebracht waren das eine zeigte gekreuzte Gabeln, das zweite ein stilisiertes Bett. Schulterzuckend richtete er seine Schritte dorthin. Warum noch lange suchen? Irritiert stoppte er. Aus dieser Perspektive heraus nahm er die beiden Stahlpfeiler wahr, die nun scheinbar direkt hinter dem Gasthaus in den Himmel ragten. Der linke war in sich verdreht, wie von einer Titanenfaust gewrungen. Der rechte schoss pfeilgerade nach oben, und an ihm hingen noch Fragmente, die einmal festes Mauerwerk gewesen sein mochten. Erinnerte er sich? Nein es war eher dieses Symbol des Zerstrten, des Vergangenen, das ihn beeindruckte. Er schttelte diesen Gedanken aus seinem Kopf. Symbole machten nicht satt, Grbelei schon gar nicht. Die Tr zu dem Gasthaus war weit geffnet. Mit Geschick und Phantasie hatten die Inhaber aus ihrer guten Stube ein Ambiente gezaubert, das zum Bleiben animierte. Ein paar schlichte Tische mit nicht minder schlichten Sthlen eine Art Raumteiler, den man als Theke erkennen konnte. Blumen, Bilder an den Wnden, unter der Decke einen Lster von mindestens sechs Fu Durchmesser, der 12 dicken Kerzen Platz bot. Das passte prchtig zusammen. Ein weiterer Beweis, wie flexibel die Bewohner dieser Stadt waren. Der Raum war menschenleer zumindest was den Gastbereich anging. Hinter der Theke jedoch stand eine Frau, die ihm den Rcken zukehrte. Sehr gro erschien sie ihm nicht, ihr Alter schtzte er nach der Art ihrer Bewegungen ab, denn sie wienerte eifrig mit einem Lappen an irgendetwas herum sie mochte ein paar Runden weniger als er zhlen, doch das konnte tuschen. Ihr Gesicht blieb ihm ja unsichtbar. Dafr konnte er sich an ihren Haaren sattsehen. Nachtschwarz und von einer Dichte waren sie gebndigt in zwei dicken Zpfen, die der Frau bis weit in den Rcken hinabfielen. Sie hatte sein Eintreten gehrt, wandte sich dennoch nicht um. Setz dich. Du wirst schon noch einen freien Platz finden. Er grinste. Ihr Humor schien von der ironischen Sorte zu sein. Mchtest du etwas essen? Sicher mchtest du, denn ich hre deinen Magen ja beinahe bis hierher brummen. Eine Fleischsuppe kann ich dir anbieten. Wein dazu? Er wollte antworten, doch dazu lie sie ihm keine Gelegenheit. Pltzlich war sie durch eine Tr verschwunden, die wohl in die Kche fhrte. Erst jetzt bemerkte er, wie sehr ihm die Fe schmerzten. Er musste einen langen Weg gegangen sein, der ihn schlielich in die Stadt gefhrt hatte. Er setzte sich an den Tisch, der dem Tresen am nchsten stand. Einen langen Weg Mit beiden Hnden fuhr er sich ber das Gesicht. Warum wollte sich keine Erinnerung einstellen? Nicht an diese Stadt, nicht an seine Vergangenheit, von der er doch einen groen Teil hier verbracht haben musste nicht einmal daran, woher er jetzt gekommen war. Altera er wusste viel ber diese Welt, kannte deren Gesetze, deren Einzigartigkeiten. Und doch auch wieder nicht. Beinahe so, als htte irgendwer seinen Kopf geffnet, ihn mit diesem Wissen vollgestopft, Wissen, das er nicht verarbeiten konnte, das keine Wurzeln hatte. Mde schloss er fr einige Sekunden die Augen. Er durfte nicht einschlafen, nicht in dieser Stadt, in der vielleicht alte Feinde auf ihn warteten? Oder liebe Freunde? Schon wieder Fragen nichts als Fragen Hey! Aufwachen! Er zuckte zusammen, sprang von seinem Stuhl hoch. Die Mdigkeit musste ihn bermannt haben. Kraftlos und erschrocken sank er wieder zurck, als er bemerkte, dass ihm niemand an den Kragen wollte. Es war die Frau die Wirtin? , die eine dampfende Terrine vor ihm auf dem Tisch abgesetzt hatte. Eine Karaffe von ordentlicher Gre und ein Becher standen gleichfalls mit auf dem Tablett. Der Geruch des starken Weines mischte sich mit dem Aroma der heien Suppe. Das war es, was er gebraucht hatte. Genau die Kombination, die seine Lebensgeister wieder weckte. Das hier ist eine Gaststube. Schlafen kannst du oben, in einem sauberen Bett, wenn du hier ein Zimmer nehmen willst. Verstanden? Am liebsten htte er sich sofort ber die Suppe hergemacht, den Wein gekostet, aber ein Blick in ihr Gesicht bremste seine Vorhaben komplett aus. Auf ihrer Stirn hatte sich eine senkrechte Wutfalte gebildet, doch ihre Augen lachten! Tiefgrne Augen, wie er sie so zuvor noch nie gesehen hatte. Es war fr ihn sicher wenn sie lchelte, dann wrden sich die schnsten Grbchen dieser Welt zeigen! Doch sie lchelte ja nicht. Ihr Mund war ein wenig zusammengekniffen, die Lippen leicht gespitzt. Willst du nun ein Zimmer oder nicht? Ich muss das rechtzeitig wissen. Warum dem so war, blieb ihr Rtsel, denn es schien, als wre er nicht nur in der Gaststube der einzige Kunde. Warum glotzt du mich eigentlich so an? Ihre Stimme bekam einen drohenden Beiklang, und er entschied, sie besser nicht zu reizen. Was htte er auch sagen sollen? Ich glotze, weil ich dich fr das seste Wesen auf dieser Welt halte? Das htte sie bel genommen, ganz sicher. Mit ein wenig zitternder Hand fasste er den Lffel, kostete die Suppe. Sie schmeckte ihm wie das teuerste aller Festmahle. Beinahe verlegen blickte er sie an. Die Suppe schmeckt traumhaft gut. Ihr Gesicht hellte sich beinahe schlagartig auf. Und ja, ich mchte gerne ein Zimmer. Ich kann zahlen und wenn du willst, dann auch im Voraus. Die junge Frau richtete sich zu ihrer vollen Gre auf, sah von oben herab auf ihren Gast. Sie war tatschlich nicht sehr gro, mochte ihm hchstens bis zu den Schultern gehen. Das verwaschene Kleid aus Wildleder, dessen Farbe sicher einmal ein warmes Braun gewesen war, wirkte an ihr wie eine Trophe, die sie stolz trug. Sie konnte hart arbeiten, scheute sich nicht vor Schwei und blauen Flecken. Und nun lchelte sie endlich, zeigte ihre Grbchen. Keine Ahnung, was fr ein Spiel du hier spielst. Vielleicht erkennst du mich ja wirklich nicht. Es ist lange her, seit du aus der Stadt verschwunden bist. Er blickte sie an, verstand nicht eines ihrer Worte. Warum sollte ich von dir Geld nehmen? Du warst schon immer ein Spinner, doch nun sollten wir dieses Spiel beenden, Neob Ciffa. Ich finde es jetzt wirklich nicht mehr lustig. Eine tiefe Stimme klang laut von der offenen Tr zu ihm herber. Ein Blick gengte, um ihm zu beweisen, dass sich dort der Schatten aufgebaut hatte, der ihm drauen gefolgt war. Der Kerl grinste breit. Ein Spinner war er doch immer, Rana, hattest du das vergessen? Hol's der fette Henker! Du bist es tatschlich. Mein Raufbruder ist zurck! Wie kraftlos und ausgehungert er wirklich war, das bemerkte er, als dieser ungeschlachte Bursche ihn spielerisch in die Hhe hob und wild an sich drckte. Viel htte nicht gefehlt, und seine Rippen htten Schaden genommen. Mit letzter Kraft rchelte er einen Gnadenappell hervor. Willst du mich umbringen? Lass doch los Das Ganze mndete in einen Hustenanfall, der das Riesenbaby zur Vernunft brachte. Erschrocken von der eigenen Energie, setzte er sein Opfer zurck auf den Stuhl. Gtige Zeit was bist du abgemagert. Wo ist deine Kraft geblieben, Mann? Neob antwortete nicht er konnte nicht sprechen, denn noch immer wollte einfach nicht ausreichend Luft in seine Lungen wandern. Wenn das die Begrung eines alten Freundes war was mochte dann einem Feind von diesem Knaben blhen? Neob wollte sich das nicht ausmalen. Neob Neob Ciffa ja, das war sein Name. Es war keine Sache der Erinnerung, die ihn da so sicher machte. Es war schlicht eine Wahrheit, die ihm nun wieder bewusst war. Verrckt, denn schloss das eine das andere nicht ein? Wissen und Erinnerung zumindest waren sie enge Verwandte. Und um es auf die Spitze zu treiben: In seiner Erinnerung gab es kein Wissen um diesen Grobian, der ihn beinahe umgebracht htte und das dann auch noch aus reiner Freude! Wenn es denn so war, dass er hier bei alten Freunden war, vielleicht bei den beiden einzigen, die er aktuell besa, dann musste er ihnen reinen Wein einschenken. Ein doch unmgliches Unterfangen, wenn man selbst nicht wusste, wer man denn tatschlich war was man war. Verzweifelt suchte Neob nach einer Variante seiner Befindlichkeit, die von den beiden hier geschluckt werden konnte. Er fand sie schneller, als er es je geglaubt htte. Im Erzhlen von Geschichten wohl auch im Erfinden erstklassiger Lgen schien er gebt. Vergebt mir, aber in meinem Kopf herrscht Unordnung. Ich hatte einen Unfall so viel wei ich noch. Doch seither irre ich umher, ohne mich und meine Vergangenheit wirklich zu kennen. Vielleicht war es ein groer Zufall, der mich hierher verschlagen hat. Doch es scheint, als htte ich hier meine eigene Historie gefunden. Bitte helft mir weiter, Freunde. Der Mann lie sich geruschvoll auf einen Stuhl fallen. In seinem Gesicht war Unglauben zu lesen. Die schne Wirtin lie sich direkt neben Neob nieder. Er lie es sich nicht anmerken, doch die pltzliche Nhe zu ihr machte ihn reichlich nervs. Du erinnerst dich nicht an uns? berhaupt nicht? Er zog es vor, erst einmal den Mund zu halten, schttelte nur den Kopf. Armer Neob. Ihr Mitleid war echt, denn da war wieder die kleine Falte auf ihrer hbschen Stirn. Doch jetzt signalisierte sie keine Wut, sondern Bedauern und Sorge. Neob riskierte nun doch einen kleinen Einwurf, denn es war ihm nicht unangenehm, von der schnen Frau bemitleidet zu werden. An berhaupt nichts. Nicht einmal an meine Eltern. Rana diesen Namen wrde Neob sicher nie mehr vergessen wechselte mit dem Grobian einen bestrzten Blick. Er hat tatschlich alles vergessen, Blauu. Der Mann nickte bedchtig. Das erklrt viel darum warst du so lange fort von hier. Neob, du hast keine Eltern. Rana und ich ebenso wenig wir alle sind Waisenkinder. Und im Waisenhaus sind wir auch gemeinsam aufgewachsen, waren wie Geschwister. Neob atmete tief durch. Kein Elternhaus also, kein Vater, keine Mutter. Wie htte er also eine Erinnerung daran haben sollen, wenn es keine gab? Das erklrte jedoch alles andere nicht, denn weder Rana noch Blauu hatte er je zuvor gesehen. Htte nicht genau jetzt ein Fetzen Vergangenheit durch seine Gedanken wehen mssen? Doch da war nach wie vor nichts. Rana sprach weiter, whrend sie liebevoll seine Hand in die ihren nahm. Neob begann zu schwitzen. Als wir alt genug schienen, warfen sie uns aus dem Waisenheim. Dann haben wir uns gemeinsam durchgeschlagen. Ihr habt auf den Feldern gearbeitet, manchmal bei einem Schmied oder Tischler ausgeholfen, und ich habe die Huser der Reichen und Faulen geputzt. Einen Moment hielt sie inne, suchte in Neobs Gesicht einen Erinnerungsfunken. Sie fand ihn dort nicht. Schlielich haben wir ein Stck Land gepachtet, haben Obst und Gemse gezchtet. Salat wurde rasch zu unserer Spezialitt man hat uns das Zeug aus den Hnden gerissen. Wir waren nicht unbedingt reich, aber nicht weit davon entfernt. Doch dann Blauu unterbrach Rana. dann verdorrte der Boden. Alles hier Er machte eine umfassende Handbewegung. Die ganze Gegend war davon befallen. Der Zeitwandel kam so berraschend, dass sich die meisten der Bauern einfach nicht schnell genug umstellen konnten. Viele wanderten einfach ab. Die, die blieben, wurden zu Minenarbeitern, die tief im Bauch der Erde nach Erzen whlten. Ein verchtlicher Zug lag um Blauus Mund. Mich haben die da nicht hinbekommen, mich nicht! Aber auch das ist ja zum Glck nun vorbei. Er schien mit der neuen Entwicklung zufrieden zu sein. Rana sah Neob in die Augen. Und du du bist einfach verschwunden. Wir haben die ganze Stadt, die ganze Gegend nach dir abgesucht. Finden konnten wir dich jedoch nicht. Es war, als htte es dich berhaupt nie gegeben. Neob schwieg dazu, doch das war exakt die Beschreibung seines Seelenzustandes als htte es ihn noch vor kurzer Zeit nicht gegeben. Die Frau fuhr fort. Doch jetzt bist du ja wieder bei uns. Zu dritt werden wir den Gasthof zu einer Goldgrube machen. Endlich sind wir wieder komplett. Du wirst schon sehen, bald kommt deine Erinnerung zurck. Dann ist es wieder wie frher. Na ja, nicht so ganz, Rana. Blauu stand auf und stellte sich hinter Rana. Seine Hnde, diese fleischigen Schaufeln, mit denen er Neob fast erdrckt hatte, lagen nun zrtlich und leicht auf den Schultern der Schwarzhaarigen. Wir mssen es ihm sagen. Mach du das ich bin in solchen Dingen nicht so gut. Rana legte den Kopf schief, sodass ihre Wange Blauus rechte Hand berhrte. Fr Sekunden schloss sie die Augen. Natrlich mssen wir es ihm sagen. Neob, Blauu und ich sind den Bund eingegangen. Wir htten dich so gerne dabeigehabt, doch du warst ja scheinbar fr immer fort. Ein peinliches Schweigen entstand. In den Blicken der beiden stand es deutlich geschrieben. Sie erwarteten eine Reaktion von Neob. Nur wie sollte die aussehen? Wie hatten sie frher zueinander gestanden? Neob wusste in dieser Sekunde nur, dass die Frau, bei deren Anblick er zittrige Beine bekam, fr ihn unerreichbar geworden war. Ihm fiel nichts Besseres ein, als sich Wein in seinen Becher zu fllen. Sicher sollte er den zwei Liebenden nun gratulieren. Aus irgendeinem Grund schaffte er das nicht. Um Zeit zu gewinnen, nahm er einen krftigen Schluck und die Schwrze kam jh, sprang ihn wild an! Da gab es nur noch die Stimme, die seinen Kopf ausfllte. Nein, das ist nicht recht. Ganz falsch. Anders ich will es anders! Neob war blind! Nicht der winzigste Funke an Helligkeit war um ihn herum. Wie eine Glocke hatte sich tiefste Finsternis ber ihn gestlpt. Entsetzt wollte er aufschreien, doch nicht einmal dazu war er noch fhig. Die Worte trafen ihn Schlgen gleich, Hammerschlge, die jeden einzelnen Buchstaben in sein Bewusstsein schlugen. und dann war es vorbei. Er lie den Becher auf den Tisch fallen, schlug die Hnde vor das Gesicht, weil die pltzliche Wahrnehmung von Licht und Farben ihm Schmerzen bereitete. So musste es sich anfhlen, wenn man viele Tage oder Wochen in einem finsteren Loch gelegen hatte, und pltzlich riss der Boden ber einem auf, lie Tageslicht und Sonnenstrahlen schlagartig einfallen. Das alles hatte sicher nur wenige Momente gedauert, doch Neob Ciffa konnte einfach nicht fassen, was er nun zu sehen bekam. Blauu sa ihm direkt gegenber, als wre er nie von diesem Stuhl aufgestanden. Freundlich lchelte er Neob an. Rana hielt nach wie vor Neobs Hand. Rana ihre grnen Augen waren voller Mitleid. Grn, so wie ihr Kleid grn? Wieso grn? Als sie ihren Kopf zur Seite drehte, sah Neob ihren Zopf, der ihre wilde Mhne bannte. Ein einziger Zopf nur, nicht deren zwei. Ich habe auf dich gewartet, lieber Neob. Und Blauu hat wie ein Bruder ber mich gewacht. Doch nun bist du wieder bei uns. Endlich. Ciffa erhob sich mit zitternden Beinen. Ihm war schwindelig. Wahrscheinlich war das alles einfach zu viel fr ihn. Er halluzinierte ganz eindeutig. Ich ich mchte mich hinlegen, erst einmal ausschlafen. Seid mir nicht bse, aber all diese Eindrcke ihr versteht sicher. In Ranas Augen war Enttuschung zu erkennen, doch Blauu rettete die Situation. Komm, ich bringe dich auf ein Zimmer. Wir haben mehr als genug freie Gsterume. Aber das wird alles bald anders werden. Komm, Raufbruder, schlaf dich aus, dann sieht alles gleich ganz anders aus. Das Zimmer war klein, doch sauber und freundlich eingerichtet. Neob wre alles recht gewesen, solange dort ein Bett zu finden war. So erschpft er auch war es dauerte eine ganze Weile, bis er einschlief. Was er vorhin erlebt hatte, berstieg ganz einfach seinen Horizont. Im Grunde war es dieser ganze Tag, der ihm die Ruhe stahl. War wirklich alles so, wie die zwei es ihm erzhlt hatten? Aber was hatte es dann mit der Stimme auf sich, die sich in seinen Kopf gestohlen hatte und welche Wahrheit war die echte? Oder war die Realitt so leicht zu spalten? Er verschlief einen ganzen Tag und eine ganze Nacht. Es war ein Schlaf ohne Trume. Die Zeit verging schnell auf Altera. Ein Sonnenumlauf war seit dem Tag seiner Ankunft in der Stadt vergangen Neob kam es vor, als wre es nur ein paar Sonnenaufgnge her. Es war ein warmer Tag, an dem er vor dem Drei Kpfe stand und mit skeptischem Blick die neue Werbetafel betrachtete, die der Kunstmaler soeben mit seinen Gehilfen ber dem Eingang des Gasthauses angebracht hatte. Drei Kpfe zwei Mnner und eine Frau waren dort zu sehen; darunter in geschwungenen Buchstaben der Name dieser Mischung aus Restaurant und Gasthof. Es war durchaus gelungen, was der Meister abgeliefert hatte. Dennoch war es fr Neobs Blick ganz einfach falsch. Es war sein Gesicht, das ihn strte, weil es dort nichts zu suchen hatte. Er war falsch hier! Seit besagtem Tag hatte es keine so drastische Vernderung in seinem Realittsempfinden mehr gegeben. Er neigte manchmal, wenn seine Stimmung es zulie, sogar dazu, seine damalige Wahrnehmung berspannten Nerven zuzuschreiben. Doch dazu hatte sich alles viel zu klar und eindeutig abgespielt. Nein, eine Wiederholung hatte es nicht gegeben, doch es war kaum ein Moment vergangen, in dem er sich nicht beobachtet, geleitet und kontrolliert gefhlt hatte. Er hatte fr sich keine Mglichkeit gefunden, diese Gefhle in eine vernnftige Antwort zu packen. Alles war glatt verlaufen viel zu glatt: Das Gasthaus hatte seither nie wieder ber Gstemangel zu klagen gehabt. Im Gegenteil. Nicht lange, da hatten die drei beschlossen, einen Anbau zu errichten. Platz war vorhanden, die finanziellen Mittel flossen beinahe wie von selbst. Blauu und Neob hatten sich darum gekmmert, packten krftig mit an, als der Bau rasch in die Hhe gezogen wurde. Rana war unglaublich, denn nicht nur ihre Kochknste wurden schnell zur Legende fr die Gstezimmer stellten sie drei Mdchen ein, die alles in bester Ordnung hielten, in der Kche und beim Bedienen der Hungrigen ihr Bestes gaben. Nun ja zumindest einen gewissen Teil davon. Die Stadt wurde im rasenden Tempo zu einem Handelstreffpunkt jeder hetzte und hastete, versuchte, seinen ganz persnlichen Wohlstand zu erhaschen. Niemand sprach auch nur noch mit einem Wort ber die Epoche, die doch erst vor so kurzer Zeit in sich zusammengebrochen war. Wahrhaftig die Zeit verlief schnell auf Altera. Viel zu schnell. Unnatrlich schnell! Neob deckte seine Augen mit der flachen Hand ein wenig ab, denn die Sonne stand direkt hinter dem Drei Kpfe. Und wenn er das Schild noch so lange anstarren mochte, so wurde es dadurch nicht richtiger. Er war es, der hier nicht hingehrte. Sein Gesicht hatte dort neben dem von Blauu und Rana nichts zu suchen. Dieser Gedanke wiederholte sich wie in einer Endlosschleife in seinem Verstand. Rana sie arbeitete doppelt so viel wie die beiden Mnner, und manchmal glaubte Neob, den Grund dafr zu kennen. Die Arbeit hielt sie davon ab, zu viel ber sich und Neob nachzudenken. Blauu konnte sich ab und zu nicht beherrschen dann machte er seine witzigen Anspielungen, in denen es um seine Freunde ging. Fr ihn war klar, dass sie zwangslufig ein Paar werden mussten. Rana schwieg stets dazu, Neob lenkte schnell auf andere Themen ab. Vielleicht hatten sie ja wirklich einmal zusammengehrt, doch Neob hatte keine Erinnerungen daran. Er war hier und doch wieder auch nicht. Inszeniert fr ihn in Szene gesetzt so waren seine Empfindungen, wenn er sein momentanes Leben betrachtete. Aber von wem denn nur? Hallo Neob! Gute Geschfte fr dich! Neob hob die rechte Hand zu einem flchtigen Gru. Er achtete nicht darauf, wer ihn da im Vorberhetzen angesprochen hatte. Man kannte ihn, schtzte seine Art. Er war ein Teil dieser Stadt, zumindest sahen die anderen das so. Doch Neobs Entschluss stand lngst fest. Er wrde gehen. Wohin, das wusste er natrlich nicht, denn die Himmelsrichtung, in die er aufbrechen wollte, sie spielte nun wirklich keine Rolle. So wenig, wie er hierher gehrte, so wenig gehrte er an einen anderen Ort dieser Welt. Der Gedanke, nicht nur dieser Stadt und seinem momentanen Leben, sondern dieser ganzen irren Welt zu entfliehen, war ihm schon mehr als einmal gekommen. Was fr ein Unsinn. Wie konnte man eine Welt verlassen doch wohl nur durch den eigenen Tod. Neob zgerte den Schritt nun schon einige Zeit hinaus. Die einzige Lsung war, einfach so zu verschwinden. Keine Erklrungen, kein langer Abschied. Der wre ihm besonders bei Rana unendlich schwer gefallen. Doch es ging nicht anders. Er musste von hier fort, etwas anderes beginnen, etwas anderes finden? Etwas, das er als seine wirkliche Realitt erkennen konnte. In der kommenden Nacht wrde er es tun. Kein Aufschub mehr! So rasch der Zeitfluss auf dieser Welt auch zu sein schien, so trge gab er sich fr den Rest dieses Tages. Es schien Neob ewig zu dauern, ehe endlich die Sonne unterging. Dann erst begann das Hauptgeschft in den Drei Kpfen. Mitternacht war bereits pass, als in der Gaststube noch immer gut zwanzig Frauen und Mnner saen, die laut ein derbes Sauflied nach dem anderen grlten. Neob war bemht, sich wie immer zu geben. Dennoch sprte er die Spannung, die seinen ganzen Krper ergriffen hatte. Als Blauu endlich damit beschftigt war, die allerletzten der Trinkfesten zum Gehen zu bewegen, verabschiedete sich Neob auf sein Zimmer. In der Dunkelheit wartete er geduldig, bis sich in Ranas Zimmer nichts mehr rhrte, schlielich auch in Blauus Kammer. Dann erst verlie er lautlos das Haus. Alteras einziger Mond stand bereits tief, als Neob die Stadtgrenze hinter sich lie. Das fahle Licht, das der Trabant zu spenden bereit war, hatte eine Ockerfrbung, die es einem Wanderer nicht eben leicht machte, wenn er sich in diesen Stunden auf fremdes Territorium begab. Neob erging es da nicht besser. Nur langsam tastete er sich weiter. Auerhalb der Stadt schloss sich ein dichtes Waldgebiet an. Er hatte diese Richtung zwar nicht bewusst eingeschlagen, doch sie kam ihm gelegen, denn wenn ihn jemand suchen sollte, wrde der in diesem Grngrtel kaum eine Chance auf Erfolg haben. Stndig blieb er stehen, lauschte in die Nacht hinein. Da waren keine Schritte zu hren seine Flucht war bisher also unentdeckt geblieben. Er stolperte weiter voran, drckte sich an Baumriesen vorbei, die pltzlich wie mchtige Ungeheuer in dem diffusen Nachtlicht vor ihm auftauchten. Erst jetzt wurde ihm klar, wie unberlegt und dumm er seinen nchtlichen Abschied geplant hatte. Abschied war sicher auch nicht das richtige Wort, denn es war ganz klar eine Flucht vor sich selbst. Nahrung hatte er keine bei sich. Seine Schuhe waren eher nicht vom Schuster gemacht worden, um damit Wanderungen ber Waldboden zu unternehmen. Vor allem jedoch hatte er kein Wasser mitgenommen. Er wusste nichts ber seine Tun in der Vergangenheit, doch eines war ihm nun klar: Ein Wanderer war er sicherlich nie gewesen. An irgendeiner Wurzel blieb er schlielich dann doch hngen, schlug der Lnge nach hilflos zu Boden. Neob Ciffa schloss die Augen. Zu allem bel wollte ihn nun auch noch die Mdigkeit bermannen. Aber war er denn schon weit genug gegangen, um sich eine solche Schlafpause gnnen zu knnen? Sicher nicht. Die Mdigkeit floh aus seinem Geist, als er das Leuchten bemerkte, das sich vor ihm durch die Bume bewegte exakt auf Neob zu. Es war einfach nicht mglich, dass jemand, aus dieser Richtung kommend, nach ihm suchte. Schon Sekunden spter war ihm klar, dass dieses helle Licht nicht von Lampen stammte, erst recht nicht von Fackeln, denn es bewegte sich gleitend in seine Richtung. Zudem war es viel zu schnell, um menschlicher Natur zu sein. Dann wurde aus dem Gleiten ein Jagen und Neob riss die Hnde vor sein Gesicht, weil er befrchtete, das Gleien knnte ihm das Augenlicht rauben. Instinktiv wandte er sich um, wollte in die Dunkelheit entfliehen, aus der er eben erst gekommen war. Doch die gab es nicht mehr. Alles war so lichtdurchflutet, als wre ein Teil der Sonne auf die Welt gestrzt. Zitternd verharrte Ciffa in vlliger Unfhigkeit, auch nur einen Schritt zu tun. Sieh mich an. Ich will es so. Neob sprte das Entsetzen in sich. Diese Stimme sie hatte damals die Realitt verndert. Und nun war sie wieder ganz nah bei ihm, in ihm. Jetzt jedoch war sie weit mehr als eine Stimme, denn ihre Prsenz fhlte Neob in jeder Faser seines Krpers. Sieh mich an! Die Stimme war befehlend, duldete keinen Widerspruch. Doch was sie vortrug, hatte einen flehenden Charakter. Nein, er wollte das Wesen nicht ansehen. Er wollte nur fort von hier. Pltzlich war da wieder Kraft und Energie in Neob. Er machte einen seitlichen Sprung, der ihn aus dem Zentrum der Lichterscheinung brachte. Dann spurtete er los. Neob Ciffa schrie entsetzt auf, als er den Kontakt zum Boden verlor. Hilflos zappelte er in der Luft doch dieser Zustand dauerte nur einen Herzschlag lang. Dann schien ihn eine Titanenfaust zu ergreifen, schleuderte ihn nach hinten, direkt gegen den Stamm eines der uralten Bume. Neob hing gut vier Fu hoch ber der Erde, mit dem Rcken an den Stamm gebannt. Wie ein Nachtfalter, der sich in seiner Einfltigkeit zu nahe an die harzige Rinde eines Gehlzes gewagt hatte, das ihn nun fr immer festhalten wrde bis zum bitteren Ende. Das Zentrum des Lichtes nherte sich ihm gleitend. Neobs Augen hatten sich an die Helligkeit gewhnt. Er verfluchte diese Tatsache, denn was er nun sah, htte er sich lieber erspart. Da war ein Gesicht. Neob fragte sich, ob man das, was nun so dicht vor ihm schwebte, tatschlich so nennen konnte. Mit einem tiefen Sthnen schloss er die Augen. Nein du sollst mich ansehen! Er konnte nichts dagegen tun, dass sich seine Augenlider hoben. Er sah das bergroe Antlitz, das uralt zu sein schien. Die dicke Lederhaut war mit tiefen Furchen durchzogen, die von Kummer und Qual sprachen. Die Stirn endete in wulstigen Knochen, die sich ber den Augenhhlen weit nach vorne wlbten. Unter diesen Augen hingen dicke Trnenscke, die sich stndig zu bewegen schienen. Die Augen selbst waren winzig, verschwanden beinahe verschmt hinter den mchtigen Wlbungen, die sie umgaben. Ihre Farbe war undefinierbar. Die Nase breit, breiig dann die kurze Oberlippe, die kaum ins Auge fiel, denn sie war ja nur eine Begrenzung. Begrenzung fr ein stndig offenstehendes Maul, das die gesamte untere Hlfte der grotesken Fratze dominierte. Zwei Reihen schief gewachsener Zhne, die Neob an lange Speere erinnerten, die sich in einer hoffnungslosen Schlacht gegenberstehen. Zweimal je sechzehn entsetzliche Waffen, die einen ausgewachsenen Menschen sicher ohne Schwierigkeiten in zwei Hlften zerteilen konnten. Doch Neob war berzeugt, dass dieses Wesen nicht auf krperliche Gewalt angewiesen war. Du willst eine eigene Wahl treffen. Deinen eigenen Weg willst du dir suchen. Du vergisst etwas dabei: Dies ist meine Welt nicht deine. Neob wusste nicht, ob er nun antworten sollte. Wahrscheinlich war das unntig, denn dieses Ding kannte keine Grenzen. Sicher lag Neobs Innerstes weit offen vor der Fratze. Du wirst nicht fortgehen. Auch wenn dies wohl das Beste ist, was du kannst. Nein, du wirst bei den Deinigen bleiben, wirst ihr Leben mit ihnen teilen. Alles Unglck, jedes Glck. Es gibt keine Ausrede fr dich. Hier nicht. Eine Gegenrede war Ciffa einfach nicht mglich. Was htte er auch sagen knnen? Er verstand die Anspielungen der Kreatur ja nicht. Ihm war nicht bewusst, sich je einer anderen Verantwortung entzogen zu haben. Wenn, dann war das alles in einer anderen Ebene geschehen, an die Neob keine Erinnerungen mehr besa. Fge dich, was immer auch geschieht. Wenn nicht Von einem Herzschlag zum anderen war die Fratze verschwunden. Was sie hinterlie, war das Inferno. Der ganze Wald um Neob herum war in hellste Flammen getaucht. Ciffa rutschte unsanft zu Boden, denn die unsichtbare Kraft, die ihn am Stamm gehalten hatte, existierte nun nicht mehr. Feuer wohin er auch sah. Er musste fort von hier, doch es gab keinen sicheren Fluchtweg. Was bezweckte das Wesen mit seiner Handlung? Es band ihn mit Drohungen an das Leben, dem er hatte entfliehen wollen. Dann jedoch schloss es ihn in einer Feuerhlle ein, in der er erbrmlich umkommen musste. Trotz der verzweifelten Lage nahm die blanke Wut in Neob berhand. Du hssliches Vieh! Warum tust du das? Lass mich hier nicht verrecken! Die Hitze griff nach ihm bald wrden die Flammen nach ihm lecken doch wahrscheinlich war er dann schon nicht mehr bei Bewusstsein. Neob rannte los. Dort von dort war die Fratze gekommen. Es war sicher unsinnig, doch er bildete sich in seiner bergroen Panik ein, der Erscheinung in genau diese Richtung folgen zu mssen. Neob hustete entsetzlich der immer dichter werdende Rauch kroch in seine Atemwege, schnrte ihm die Luft ab. Die Beine wollten ihm den Dienst versagen. Angst! Also hing er doch an diesem Leben, das ihm oft so gleichgltig gewesen war. Er wollte hier nicht verrecken nicht auf diese Art und Weise. Vielleicht gab es hier in der Nhe einen Teich, einen winzigen Tmpel. Irgendetwas, wo er sich vor den tobenden Flammen in Sicherheit bringen konnte. Und wenn es nur fr Minuten sein sollte. Selbst die schienen ihm nun wichtig und begehrenswert. Neobs Schritte wurden langsamer, die Fe hoben sich nur noch geqult vom Waldboden, der eine enorme Hitze abstrahlte. Durch den Rauch hindurch sah er etwas silbrig glnzen. Wasser? Neue Krfte durchfluteten Ciffa. Mit jedem Schritt, den er sich dem neuen Ziel nherte, wurde die Gewissheit grer. Ein kleiner Teich, tatschlich. Die letzten Meter hetzte er voran, sprang mit letzter Kraft nach vorne, um in das vielleicht Rettung bringende Nass einzutauchen. Der Aufprall schmerzte in allen Gliedern, griff jeden Muskel an. Kein Wasser, sondern Eis? Der Tmpel war mit einer dicken Eisschicht berzogen. Eis mitten in der wrmsten Jahreszeit, die Altera aufweisen konnte inmitten einer Feuersbrunst, deren glhender Hauch nach Neobs Atemwegen griff. Erschpft, mutlos und ohne den allerletzten Hoffnungsfunken blieb Neob einfach so liegen. Die Klte, die von unten kam, sie wrde ihm fr eine kurze Zeit Erleichterung bringen. Bis zu dem Augenblick, in dem die Flammen auch ber die Eisflche schwappten. Meine Welt nicht deine! Es geschieht, was ich will. Daran denke immer Die Stimme verklang, und Neob fhlte das Wasser, das seinen Krper umschmeichelte. Er schwamm in dem kleinen See. Es war, als htte es diese Eisschicht nie gegeben so wenig wie das Feuer. Die Nacht war lauwarm, kein Rauch, keine Flammen. Neob schaffte es, sich mit einigen krftigen Armzgen ans Ufer zu bringen. Zu keiner weiteren Bewegung mehr fhig, schlief er ein. Oder hatte er die ganze Zeit ber geschlafen? Alles nur ein bitterer Traum? Als die Sonne aufging, weckten ihre Strahlen Ciffa auf. Sein Krper schmerzte. Seine Blicke gingen in die Baumwipfel. Dort waren keine Feuerspuren zu erkennen. Der Tmpel lag ruhig und friedlich vor ihm. Hatte das Wesen ihm alles nur vorgespielt? Es konnte keine Traumsequenz gewesen sein, das bewiesen die Brandspuren, die er an Armen und Beinen vorfand. Meine Welt nicht deine! Diese Worte drhnten immer wieder in Neobs Kopf, als er vorsichtig ein Bad in dem Tmpel nahm. Das nachtkhle Wasser linderte die Schmerzen in seinen Muskeln. Zudem hatte es eine belebende Wirkung auf Neobs Geist. Die Kreatur wollte ihn zur Umkehr zwingen, so viel war klar. Sie wusste offenbar mehr ber ihn als er selbst. Und doch hatte er das Wesen nie zuvor gesehen. Neob trocknete seinen Krper in den frhen Sonnenstrahlen. Dann zog er seine ldierte Kleidung an. Sein Magen meldete sich. Nur den Durst hatte er am Tmpel stillen knnen, etwas Essbares war dort nicht zu finden. Bei seiner Flucht vor dem Feuer, seinem harten Sturz auf den vereisten See, hatte er restlos die Orientierung verloren. Die Drohung, die von den Worten der Kreatur ausging, die Warnung, diese Flucht zu beenden wie sollte er ihr nachkommen? Neob hatte keinen Schimmer, in welcher Richtung er nach der Stadt suchen musste. Also konnte er nur seinem Gefhl vertrauen. Oder dem Zufall. Irgendwann wrde er den Wald durchquert haben, dann erst hatte er eine Chance zur Orientierung. Relativ ausgeruht, wenn auch hungrig, machte er sich auf den Weg, der nach wie vor nicht der seine war. An seiner Absicht, alles hinter sich zu lassen, hatte sich nichts gendert, doch eine freie Wahl besa er nun nicht. Zumindest vorlufig musste Neob sich fgen. Zu deutlich hatte die Kreatur ihm aufgezeigt, was anderenfalls geschehen wrde. Sie hatte die Macht, sie bestimmte, was Ciffa zu tun hatte. Es musste einen Weg geben, sich aus dieser Klammer zu lsen, doch dazu war nun nicht der richtige Moment. Er musste geduldig warten, sich Informationen beschaffen. Dieses Wesen es konnte ja wohl kaum sein, dass die anderen es nicht kannten. Warum nur hatte er in der vergangenen Zeit bei seinen Freunden nie etwas darber gehrt? In den Drei Kpfen war es an der Tagesordnung gewesen, dass man zu vorgerckter Stunde die wildesten Geschichten erzhlte. Neue Gste, die zum ersten Mal in der Stadt verweilten, waren daher besonders gerne gesehen, denn die brachten neue Schauergeschichten, die oft haarstrubend waren. Das alles nahm natrlich niemand besonders ernst. Es gehrte ganz einfach dazu, wenn man in frhlicher Runde beieinander hockte. Jeder schwor, nichts als die reine Wahrheit zu berichten und log dann die Sterne samt Mond vom Himmel. Nie war in diesen Mrchen und Mythen von einer Kreatur die Rede gewesen, wie Neob sie gesehen und erlebt hatte. Nicht mit einem Wort wurde sie erwhnt. Welchem Einfluss unterlag er hier nur Der Mittag nahte bereits, als der Wald beinahe unmerklich lichter wurde. Neob hatte sich von seinen Fen leiten lassen immer geradeaus, soweit das in diesem Dickicht berhaupt mglich war. Als er den Blick zu den Baumwipfeln hob, da sah er sie. Zwei drre Finger, die unwirklich jh in den Himmel stieen. Die beiden Pfeiler hatten die Stadt schon immer berragt, einst als sttzendes Skelett fr zwei mchtige Trme, deren Bewandtnis Neob nie erfragt hatte. Es mochte sein, dass sie einfach nur als weit sichtbares Wahrzeichen gedient hatten. Nun wirkten sie auf ihn wie zwei mahnende Finger, die ihm drohten. Als er den Waldrand hinter sich lie, da war Neob sicher, dass er auf den Schritt genau an der Stelle stand, an der er in der vergangenen Nacht sein Entkommen gestartet hatte. Resigniert senkte er den Kopf. Vorlufig war an einen zweiten Versuch nicht zu denken. Also musste er weiter das Leben fhren, das nicht das seine war und niemals werden konnte! Es war falsch, falsch, falsch! Die Straen waren belebt, so wie es hier in letzter Zeit ja stets der Fall war. Neob sah das Drei Kpfe bereits von Weitem. Und er sah die Mnner, die dort auf wackeligen Holzleitern am Eingang standen. Mit Kraft und Geschick waren sie bemht, das Schild ber der breiten Tr zu befestigen. So, wie sie es gestern getan hatten. Neob blieb erstarrt stehen. Hallo Neob! Gute Geschfte fr dich! Neob hob die rechte Hand zu einem flchtigen Gru. In Zeitlupe wandte er seinem Kopf dem Grenden nach wie gestern Sein Blick krallte sich an dem Schild fest. Sein Gesicht sein Kopf befand sich links neben dem Ranas. Nicht rechts so wie es gestern noch gewesen war. Blauu kam aus der Gaststube, warf einen langen Blick auf das Kunstwerk. Er hob den Daumen und grinste dem Schildermaler freundlich zu. Dann schlenderte er zu Neob, legte dem Freund einen Arm um die Schulter. Das macht was her, oder? Ich sage dir, mein Freund, wir schwimmen bald in Silber und Gold. Neob nickte abwesend, unfhig, Blauu eine Antwort zu geben. Als der wieder zum Haus zurckwollte, hielt Ciffa ihn am Arm fest. Blauu habt ihr mich gesucht? Ich meine hast du mich heute schon gesehen? Der bullige Mann machte ein verdutztes Gesicht. Was fr eine Frage, Neob? Geht es dir vielleicht nicht so gut heute? Wir haben doch alle noch vor ein paar Minuten gemeinsam krftig gefrhstckt. Lsst dich dein Hirn im Stich, Alter? Komm, wir gehen hinein. Vielleicht sticht die Sonne heute zu stark. Neob lie es sich gefallen, von Blauu regelrecht in das Drei Kpfe gefhrt zu werden. So brachte man einen alten Mann in sein Haus, wenn er verwirrt und armselig durch die Gegend irrte. Ein alter Mann. Genau so fhlte Neob Ciffa sich in diesem Augenblick. Neob sa an dem kleinen Tisch in der hintersten Ecke der Gaststube, in der es vor Trinkfreudigen nur so wimmelte. Eine friedliche und entspannte Stimmung hatte sich breitgemacht. Keine Spannungen zwischen den Menschen, die sich ja teilweise hier zum ersten und letzten Mal begegneten. Die Durchreisenden machten einen groen Teil der Kundschaft aus. Kaum einer von ihnen, der nicht mit guten Erinnerungen die Drei Kpfe hinter sich lie. Neob war berrascht, als sich Rana zu ihm setzte. Das war ungewhnlich, denn sie lie die Mdchen in der Kche und hinter dem Tresen nur ungern ohne Aufsicht. Sie fhrte ein strenges Regiment, doch niemand beschwerte sich darber. Die Drei Kpfe zahlten gute Lhne, fr die man sich schon einmal antreiben lie. Rana stellte einen schweren Krug vor Neob auf den Tisch, dazu zwei Becher, und schenkte ein. Auf uns. Oder magst du nicht auf uns trinken, Neob Ciffa? Neob verstand diese Worte nicht, doch er hob lchelnd den Becher, trank in einem Zug aus. Der Wein rann wie l durch seine Kehle. In den Drei Kpfen bekam man keine gepanschte Ware auch das hatte sich herumgesprochen. Warum sollte ich nicht auf uns trinken wollen? Sieh dich um, Rana. Es geht uns so gut wie nie zuvor. Die junge Frau blickte ihn nachdenklich aus ihren grnen Augen an. Ein Blick, in dem etwas lag, das Neob nervs machte. Er fhlte sich von diesen Augen durchschaut. Es geht uns gut, ja. Den Drei Kpfen geht es gut. Dir nicht. Seit dem Tag, an dem Blauu dich so verstrt und verwirrt gefunden hat, bist du anders geworden. Vor genau diesem Gesprch hatte Neob groe Angst gehabt. Er hatte keinen Zweifel gehabt es wrde stattfinden. Irgendwann. Das es so schnell geschah, ngstigte ihn umso mehr. Denn die Fragen, die nun folgen wrden wie sollte er sie beantworten? Blauu gesellte sich zu seinen Freunden und Geschftspartnern. Wenn ich stre, dann sagt es ich verschwinde sofort. Doch ich glaube, hier geht es schon um eine Sache, die auch mich betrifft, und die mich sehr bedrckt. Rana lchelte ihm zu. Dann drckte sie Neobs Hnde zwischen den ihren. Wir wollen dich zu nichts drngen, aber Ciffa nickte. Er musste ihnen seine Erlebnisse berichten. Wenn nicht ihnen, wem dann? Er machte es so kurz wie nur mglich. Schweigend hrten Rana und Blauu ihm zu. und dann bist du aus dem Drei Kpfe auf mich zugekommen, Blauu. Den Rest kennt ihr. Wenn ihr mich nun fr verrckt haltet, kann ich euch nicht bse sein. Aber jedes Wort stimmt, entspricht der ganzen Wahrheit. Neob hatte nichts verschwiegen. Auch die Tatsache nicht, dass es fr ihn keine Erinnerungen an eine Vergangenheit auf Altera gab. Kein Erinnern auch nicht an seine Freunde. Lange Zeit herrschte Schweigen am Tisch. Der Lrm aus der Gaststube wollte nicht abebben. Die Leute waren alle gro in Form, sangen, lachten, lieen die Krge kreisen. Neob htte sich gerne unter sie gemischt, um sich von ihrer Unbekmmertheit anstecken zu lassen. Schlielich war es Blauu, der als Erster sprach. Doch er sah dabei nicht Neob, sondern Rana an. Kann es sein? Drei Worte nur, doch die junge Frau verstand. Er ist ihm begegnet. Mehr noch Neob hat seine ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ciffa lehnte sich schwer atmend zurck. Wovon redet ihr? Ich verstehe nicht. Rana suchte nach Worten, die schlielich nur unsicher und langsam aus ihrem Mund kamen. Was du berichtet hast, htten wir niemand anderem geglaubt, Neob. Doch du bist mehr als ein Freund fr uns. Sie warf einen kurzen Blick zu Blauu, der mit bleichem Gesicht auf seinem Stuhl hockte. Es es muss so sein, wie du gesagt hast. An nichts erinnerst du dich, auch nicht an das, was jedes Kind auf Altera wei und was jeder hier tief in seiner Seele verschlossen hlt. Niemand spricht darber, so ist das ungeschriebene Gesetz. Ranas Stimme wurde leise, sie verfiel in eine Art Singsang, dem Neob nur mit Mhe folgen konnte. Sprich seinen Namen nicht aus denk nicht einmal an ihn. Er ist berall er wird dich hren, wird dich sehen. Dann wird er kommen und dich strafen und die Deinen dann mit dir. Er ist immer, ist berall was er tut, das nimm hin, ohne zu klagen. Du nderst es nicht, machst es nur noch schlimmer. Er ist der Richter und der Henker. Er schenkt, er bestraft sprich seinen Namen doch nicht aus! Auf Ranas Stirn waren feine Schweiperlen getreten, die Neob bewiesen, wie aufgewhlt die Frau war, die er so sehr liebte. Blauu sprach fr Rana weiter. Du bist ihm begegnet dem Arbiter. Den Namen flsterte er nur, hauchte ihn mit gesenktem Kopf, als hoffte er, so keine Aufmerksamkeit zu erregen. Neob sah die Freunde an. Redet ihr von einem Gott? Ist es das, was ihr mir sagen wollt? Blauu stie ein kurzes Lachen aus, das mit Angst getrnkt war. Ein Gott? Ja, vielleicht knnte man ihn so nennen. Viele Lnder auf Altera haben ihre Gtter, ihre ganz eigenen Religionen. Jeder mag glauben, woran er will. In tiefer Vergangenheit soll es sogar einmal einen Krieg gegeben haben, weil ein Volk dem anderen seinen Glauben aufzwingen wollte. Aber das ist wahrscheinlich nur ein Mrchen. Warum sollte so etwas geschehen? Doch der Arbiter ist mehr als ein Glaube. Er ist real. So sehr real Ranas Hnde zitterten. Er ist Altera! Er hat unsere Welt erschaffen, geformt aus Dreck. Und uns aus niederen Wesen hat er uns in die Hhen gehoben. Denken, Fhlen, das alles hat er uns gegeben. Doch seither bestimmt er auch ber uns. Wir drfen so leben, wie er es fr richtig hlt. Er formt Altera stets neu, wenn es ihm gefllt. Ganz langsam formte sich in Neobs Bewusstsein ein noch blasses Bild von dem, was seine Freunde ihm hier berichteten. So verrckt das alles auch klang, es erklrte vieles von dem, was er in dieser Nacht erlebt hatte diese Nacht, die der Arbiter dann ganz einfach ausgelscht hatte? Konnte es denn ein so mchtiges Wesen geben? Die so seltsam verrinnende Zeit auf dieser Welt, die stndigen Vernderungen, die von den Menschen hier klaglos hingenommen wurden alles Werke dieses berwesens? Wie hatte Rana gesagt? Richter und Henker Judikative und Exekutive in einem. Alleinherrscher ber eine ganze Welt, ber ihre ungezhlten Bewohner. Doch warum hatte dieses Gottwesen sich Neobs angenommen? Dazu noch in einer Form, die wie eine persnliche Abrechnung mit Ciffa erschien. Neob sa lange Zeit still zwischen Rana und Blauu. Dann stellte er die Frage, die sich in den letzten Minuten immer deutlicher und zwingender in ihm aufgebaut hatte. Wo finde ich den Arbiter? Ich muss zu ihm, denn nur so werde ich erfahren, was ich bin wer ich wirklich bin. Irgendwie hatte er mit keiner Antwort gerechnet. Wenn es diesen Ort wirklich gab, an dem man den Arbiter finden konnte, dann wrden Blauu und Rana sicher versuchen, ihn vor Neob geheim zu halten. Blauu zog zischend die Luft ein, als er hrte, was Rana sagte. Doch er lie sie gewhren, denn sie hatten bereits so viel gesagt warum nun nicht auch noch dies? Und Neob wrde keine Ruhe geben, ehe er nicht alles wusste. Man sagt, er ruht auf dem Dach des Larb-Gebirges. Niemand hat es je geschafft, die Felsen zu erklimmen. Vielleicht ist es ja nur eine Legende, doch viele glauben daran. Es soll am Fu der Berge so etwas wie eine Zeltstadt geben, in der sich die unterschiedlichsten Menschen einfinden. Manche sind dort, weil sie den Arbiter anbeten und ihm nahe sein wollen. Andere kommen, weil er ihre Leiden heilen soll oder das Unglck von ihnen nehmen. Wieder andere wollen den Arbiter vernichten, mit allen Mitteln, denn fr sie ist er der Ursprung alles Schlechten. Neob stellte den leeren Becher vor sich auf den Tisch. Dorthin werde ich gehen. Und auch der Arbiter selbst wird mich nicht daran hindern knnen. Also versucht ihr es erst gar nicht. Rana wollte aufbegehren, doch dazu kam sie nicht mehr. Von weit her grollte ein unheimlicher Donner und er kam rasend schnell nher, wurde mit jedem Atemzug intensiver, bis er die Schmerzgrenze berschritten hatte. Mit weit aufgerissenen Augen starrten die Menschen in der Gaststube einander an. Dann tobte der Boden unter ihren Fen. Das Chaos lie keinem die Chance, sich in Sicherheit zu bringen. Tische, Sthle alles sauste durch den Raum, als die Erde sich aufblhte; ein breiter Riss verlief quer durch die Drei Kpfe, verschlang einen Teil der Gste, schluckte sie, als htte es keinen von ihnen je gegeben. Blut spritzte auf Ranas Kleid von irgendwoher sauste eine schwere Karaffe heran, die nur um eine Handbreit Neobs Kopf verfehlte. Exakt das war der Augenblick, in dem er aus seiner Starre erwachte. Mit beiden Hnden griff er nach Rana und Blauu, riss die Freunde mit sich. Der Anbau noch war er nicht vollstndig beendet. Dort musste es einen Fluchtweg nach drauen geben. Es musste ganz einfach! Blauu schttelte nun ebenfalls das Entsetzen von sich. Seine Stimme war schon immer der Lautstrke nach einer Fanfare gleichgekommen. Er brllte ber den ohrenbetubenden Lrm hinweg. Folgt uns! Hier entlang schnell! Ein halbes Dutzend der Menschen, die noch auf den eigenen Beinen stehen konnten, hrten ihn tatschlich und folgten. Neob zerrte Rana hinter sich her. Mit Tritten machte er sich den Weg frei Regale, Bruchstcke von Tischen alles flog zu den Seiten weg. Ein Knarren machte dem Donnern des Bodens Konkurrenz. Neobs Blick ging nach oben. Der Dachstuhl! Das ganze Gebude wrde in wenigen Momenten einstrzen. Endlich sah er die klaffende ffnung in der Wand vor sich, die nur notdrftig mit einer dicken Plane abgedeckt war. Neob zgerte nun nicht mehr. Er fasste Rana um die Hften, hob sie scheinbar spielerisch hoch und sprang geduckt durch den weichen Stoff hindurch. Ein Ruck lie das Haus erneut erzittern, als die Vorderfront einbrach einfach so. Wer dort die Flucht versucht hatte, wurde unter den Steinmassen begraben. Hinter Neob und Rana strmte Blauu wie ein wild gewordener Kasaab-Stier ins Freie, strauchelte, fiel der Lnge nach zu Boden. Ihm folgten sieben Mnner und Frauen, die sich rasch in Sicherheit brachten. Neob und Rana spurteten auf den Platz, der sich vor dem Drei Kpfe ffnete. Blauu sah sich fassungslos um. Die Stadt fra sich selbst! So irrsinnig das auch klang, so deutlich war die Realitt: Ein gut und gerne zwanzig Fu breiter Riss zog sich unweit von dem kleinen Platz quer durch die Strae und wahrscheinlich auch durch die gesamte Stadt. Was ber oder zu nahe an seinen Rndern gestanden hatte, existierte nun nicht mehr. Verdaut von den Innereien der Erde! Das massive Beben hatte den Rest erledigt. Ein unheiliger Feuerschein erhellte die Nacht. Die Huser brannten, brachen einfach in sich zusammen. berall irrten schreiende Menschen umher, dazwischen erklangen Todesschreie, die keiner der berlebenden je vergessen wrde. Dies ist die neue Realitt. Neobs Gehirn arbeitete erschreckend klar und pragmatisch. Dies wird morgen nicht verschwunden sein, ausgetilgt, als wre es niemals geschehen. Dies ist sein neuer Wille, mit dem er mich in die Knie zwingen will! Ganz pltzlich wusste Neob Ciffa genau, dass es hier nur um ihn ging, um ihn und um den Arbiter. All diese Menschen mussten wegen ihm leiden. Kalter Hass stieg in ihm hoch, und er machte erst gar nicht den Versuch, ihn zu unterdrcken. Du willst es so, nicht wahr? Gut, Arbiter ich komme. Wir werden sehen, ob ich dir nicht gewachsen bin. Ciffa zog Rana zu sich hoch, die weinend auf ihren Knien lag. Unbeholfen versuchte er sie zu trsten. Unvermittelt mischte sich ein Kreischen in die Lrmkaskaden, die auf die Menschen eindrangen. Blauu war der Erste, der die Ursache erkannte. Lauft! Schnell die Pfeiler lauft um euer Leben! Neob riss Rana noch einmal mit sich, machte erst halt, als die Stadtmauer ihm den Weg versperrte. Ohnmchtig sahen die drei Freunde, was hinter ihnen geschah. Es waren die beiden in den Himmel ragenden Pfeiler, die sich langsam, beinahe andchtig dem Boden zuneigten. Tod oder Leben Haus oder bereits Ruine sie begruben alles unter sich. Der Aufprall setzte Staubmassen in Bewegung. Hustend und um Atem ringend, standen die Freunde dicht beieinander, als knnten sie sich gegenseitig schtzen. Von irgendwoher wurde Wasser angekarrt, Lschwasser, das hier wirklich nicht mehr helfen konnte. Ich glaube, es werden nur sehr wenige Menschen hierbleiben. Blauu rang um seine Fassung. Das ist das Ende dieser Stadt. Unserer Stadt. Vielleicht musste sie sterben, weil wir Fehler gemacht haben. Nein! Ranas Antwort kam in einem bestimmten Tonfall. Nein, Blauu, da geht es nicht um dich oder mich. Du musst dir keine Vorwrfe machen. Neob mischte sich ein. Rana sagt die Wahrheit. Es ging um mich. Er fordert mich heraus, und ich kenne den Grund dafr nicht. Ich werde ihn herausfinden. Das verspreche ich euch. Wir werden ihn gemeinsam finden. Rana hatte es ausgesprochen, Blauu nickte heftig dazu. Nenne uns einen Grund, warum wir noch hierbleiben sollten. Neob konnte nicht widersprechen. Die Stadt existierte nicht mehr. Ob hier je etwas Neues entstehen mochte, das war mehr als fraglich. Als die Sonne den folgenden Tag unschuldig beschien, da machten sich die meisten der Bewohner auf den Weg in eine ungewisse Zukunft, die sicher nicht hier lag. Neob Ciffa, Rana und Blauu waren schon in der Nacht aufgebrochen. Es war ein weiter Weg bis zum Larb-Gebirge. Die Frau besa einen durchtrainierten Krper. Es hatte Jahre gedauert Jahre, in denen sie sich geschunden und geqult hatte , bis sie sicher war, diese Herausforderung hier bestehen zu knnen. Eine lange und einsame Zeit lag hinter ihr. Nun wrde sich zeigen, ob das alles umsonst gewesen war. Oder ob sie ihr groes und einziges Ziel erreichen konnte. Ein Ziel, dem sie nun entgegenkletterte. Getrieben von Ehrgeiz und tiefem Hass! Hass auf das Wesen, das dort oben leben sollte. Hass, immer wieder nur Hass, der stndig neue Energien von der Erinnerung an den einen Tag erhielt, der sich in ihr Denken so fest eingebrannt hatte. Sie war noch ein halbes Kind eben einmal knappe 15 Sonnenlufe alt und lebte mit ihren Eltern in dem kleinen Dorf, das weit abseits der groen Stdte lag. Jeder hier baute Getreide an, Gemse und Obst. Niemand war reich, niemand wirklich arm. Es war, wie es eben war. Bis zu dem Tag, an dem die Zeit in dieser Gegend kippte. ber Nacht verdorrten die Felder, warfen die Obstbume verfaulte Frchte von sich die Brunnen versiegten. Vater und Bruder waren in den einzigen Brunnen gestiegen, der fr die Familie zur Verfgung gestanden hatte. Sie wollten sehen, ob nicht doch noch etwas zu retten war, denn ohne Wasser gab es keine Hoffnung, kein Bleiben mehr. Mutter sicherte die Mnner am Brunnenrand mit Seilen, die sie im Notfall schnell ber eine hlzerne Kurbel in die Hhe bringen konnte. Dann kam der Sand. Der heie Wind war urpltzlich da, und er brachte ungeheure Sandmassen mit sich. Mutter und Tochter versuchten alles, um die Mnner schnell an die Oberflche zu holen. Die Sandkrner waren wie Geschosse, die sich die Frauen als Ziel ausgesucht hatten. Irgendwie hielten sie durch, doch dann verfing die Mutter sich in den Seilen, verlor den Stand. Die Tochter konnte sie nicht halten, sah hilflos zu, wie ihre Mutter im Brunnen verschwand. Dann hrte sie die Schreie, hrte sie das Winseln um Gnade, das die Sterbenden von sich gaben. Nur wenig spter war der gesamte Brunnen mit Sand gefllt, so wie alles, was die Augen des Mdchens erblicken konnten Wste nichts weiter. Bei dem Versuch, die Mutter zu retten, hatte die abwrts rasende Holzwinde der jungen Frau die Finger der rechten Hand gebrochen, als wren es nur drre Zweige. Doch das war nicht der Grund, warum man sie Tage spter schreiend auffand. Freundliche Menschen nahmen sich ihrer an, doch sie blieb nicht bei ihnen. Sie musste fort, musste lernen, wie man den Arbiter tten konnte. Sie sthlte ihren Krper, ging mit glasklarem Verstand an die Aufgabe heran. Niemand konnte das Dach des Larb-Gebirges erreichen, so sagte man. An diesem Tag war sie nicht die Einzige, die einen Versuch startete. Die Menschen, die mit ihr in dieser steilen Wand hingen, hatten die unterschiedlichsten Beweggrnde. Nicht jeder wollte den Arbiter tten. Manche wollten ihm nur nahe sein, zu seinem ergebenen Diener werden; wieder andere reizte die sportliche Herausforderung oder sie wollten beweisen, dass der Arbiter nur eine Figur aus einem Mrchen war, das man Kindern erzhlte. Sie wusste, das es ihn gab. Nur wenige Krperlngen neben ihr sah sie in das Gesicht eines jungen Mannes, der bis zu dieser Hhe mit ihr mitgehalten hatte. Seine Augen blickten sie an. In ihnen lag eine tiefe Verzweiflung. Er wusste, dass er es nicht schaffen konnte. Im nchsten Moment schon war er verschwunden abgestrzt, ohne auch nur einen einzigen Laut von sich zu geben.