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HISTORISCHE MITTEILUNGEN DER RANKE-GESELLSCHAFT (HMRG), Band 15/2002, S. 129-47

KLAUS SCHLICHTMANN

WALTHER SCHÜCKING (1875-1935) –VÖLKERRECHTLER, PAZIFIST UND PARLAMENTARIER

„Die von ihm vertretene grosse Idee der Ueberwindung der Einteilung des Völkerrechts in ein Friedens- und Kriegsrecht [...] war zu kühn, um sofort auf das notwendige Verständnis zu stoßen.“ (Paul Guggenheim)1

Das zwanzigste Jahrhundert war nicht nur das Jahrhundert der schlimmsten Kriege, sondern auch das Jahrhundert, in dem die Staatengemeinschaft zum ersten mal den Versuch unternahm, den Krieg als Institution abzuschaffen. Das führte zur Gründung von Völkerbund und Vereinten Nationen (UNO), Institutionen, die den Krieg – im Idealfall – ‚ersetzen‘ sollten. Wenn die UNO heute einerseits als universale Friedensmacht gestärkt werden soll, andererseits aber auch die maximale militärische Verteidigungsbereitschaft der Einzelstaaten gewährleistet und gefördert wird, so ergibt sich ein unauflösbares Dilemma. 2 Walther Schücking hat zu den Grundproblemen der Organisation des Friedens Stellung genommen und sich politisch, u.a. als Abgeordneter im Weimarer Reichstag, engagiert. Der vorliegende Aufsatz möchte das Wirken und die Ideen dieses großen deutschen Völkerrechtslehrers und Pazifisten würdigen und in den aktuellen Zusammenhang stellen.3

Schückings Werdegang

Walther Adrian Schücking wurde am 6. Januar 1875 als Sohn eines Landgerichtsrats in Mün-ster (Westfalen) geboren. Der Student Schücking, Enkel des bekannten Schriftstellers Levin Schücking, der sich auch mit Pazifismus und Feminismus befasst hatte, hatte „[f]ür das Waffenstudententum [...] wenig Neigung“. Quasi als Beleg friedlicher Gesinnung enthielt die Familienbibliothek „ein mit Pietät gehütetes ehrwürdiges Exemplar von [...] Hugo Grotius: ,De jure belli ac pacis‘, auf dessen Vorsatzblatt sich Generationen der Schückings als ,studiosi juris‘ eingetragen hatten.“4 In einer langen juristischen Tradition stehend, fing Walther Schücking 1894 zunächst in München ein Studium der Rechtswissenschaften an, das ihn zwei Jahre später nach Göttingen führte, wo er über ein völkerrechtliches Thema promovierte. 1899 kam die Habilitation unter der Leitung des bekannten Völkerrechtlers Ludwig von Bar (1836-1913) mit einer rechtshisto-rischen Arbeit und anschließend die erste Professur in Breslau, der 1902 der Ruf nach Mar-burg folgte. Hier trat er schließlich nicht nur für eine Reform der preußischen Verfassung ein,

1 Paul Guggenheim, Walther Schücking in der Kodifikationskommission des Völkerbundes, in: DIE FRIEDENS-WARTE

35, 5, 1935, S. 112. 2 Vgl. Ursula Fortuna, Der Völkerbundgedanke in Deutschland während des Ersten Weltkrieges, Zürich 1974 (Bd. 30,

Zürcher Studien zur Allgemeinen Geschichte), S. 72, mit Hinweis auf Kurt Wolzendorff: „Macht- und Rechtspolitik nebeneinander sind [...] nicht denkbar. Auch hat nur das Recht Anspruch auf den Schutz durch die Macht der Gemeinschaft.“ Ein Recht aber, ohne Gesetzgeber, Rechtsprechung und Exekutive, ist kein Recht.

3 Die Biographie ist von Detlev Acker, Walther Schücking (1875-1935), Münster i. Westfalen 1970 (XXIV). S. jetzt auch Frank Bodendiek, Walther Schückings Konzeption der internationalen Ordnung – Dogmatische Strukturen und ideengeschichtliche Bedeutung, Berlin 2001 (Bd. 133, Veröffentlichungen des Kieler Instituts für Internationales Recht).

4 Walther Schückings Jugendjahre, in: DIE FRIEDENS-WARTE 35, 5, 1935, S. 191.

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sondern auch generell für eine Fortbildung des bestehenden Rechts, das er „den sich wandelnden sozialen Bedingungen anzupassen“ wünschte.5

Schücking zählte zu den linksliberalen Neukantianern6 der von Hermann Cohen (1842-1918) und Paul Natorp (1854-1924) gegründeten Marburger Schule. Eine „enge Freundschaft“ pflegte er mit dem protestantischen Theologen Martin Rade (1857-1940).7 Auch mit Albert Einstein (1879-1955) war er bekannt, der sich in den zwanziger Jahren – wenn auch vergeblich – für Schücking um einen Lehrstuhl am neu gegründeten „Institut für Internationales Recht“ in Berlin einsetzte.8 Auch nach 1919 war es „für Männer seiner politischen Richtung“ schwer, eine solche Stellung zu bekommen. 1926 kam jedoch der Ruf an die Universität Kiel als Di-rektor des renommierten Instituts für Internationales Recht – sein größter akademischer Erfolg. Der Professor Schücking war bei den Studenten ausgesprochen beliebt und seine Vorlesungen wurden „zu einem Hauptanziehungspunkt des Hochschulunterrichts“. 9 Als „eigentlichen Höhepunkt seines Lebens“10 aber sah er 1931 die Berufung zum Richter am Ständigen Intera-tionalen Gerichtshof in Den Haag, den er als einziger Deutscher in der Zwischenkriegszeit innehatte.

Schückings Hauptanliegen war die Überwindung der Institution des Krieges, und er galt deswegen den meisten seiner Kollegen „als politisch gefährlich.“11 Als er vor dem Ersten Weltkrieg in Marburg ein völkerrechtliches Seminar begründen wollte, wurde ihm entgegnet, man halte nichts von seinen pazifistischen Bestrebungen und sei „glücklich, dass Deutschland sich jetzt endlich die nötigen Maschinengewehre angeschafft habe.“ Ein bekannter General äußerte während des Ersten Weltkrieges über ihn: „Schücking sei der größte ,Schweinehund‘ in Deutschland, schlimmer noch als die Sozialisten.“12

Schücking unterließ es jedoch nicht, immer wieder die positiven Seiten und Möglichkeiten friedlicher Zusammenarbeit unter den Völkern hervorzuheben und die notwendigen rechtli-chen und politischen Voraussetzungen dafür zu nennen. Neben der Mitarbeit in der Deutschen Liga für Völkerbund, bei der Deutschen Friedensgesellschaft, dem Institut de droit international und dem Genfer Internationalen Friedensbüro ist besonders sein Beitrag zur 1889 gegründeten Interparlamen-tarischen Union (IPU) zu nennen.

Schückings Werk umfasst neben zahlreichen Reden und Aufsätzen, Gutachten und Stel-lungnahmen den zusammen mit Hans Wehberg geschriebenen Kommentar Die Satzung des Völkerbundes, der zuerst 1921 erschien. Sein Gedankengebäude findet in dem spannenden Bändchen, 1909 in Leipzig erschienen, Die Organisation der Welt, seine konzeptionelle Grundlage. Auch die Kriegsaufsätze eines Pazifisten (1917) sind heute noch lesenswert. Wichtige Werke sind außerdem Der Staatenverband der Haager Konferenzen (1912), Die wichtigste Aufgabe des Völker-rechts (1912), Kultur und Krieg (1914), Internationale Rechtsgarantien und Der Bund der Völker. Studien und Vorträge zum organisatorischen Pazifismus – Die völkerrechtliche Lehre des Weltkrieges (1918). Man kann mit Recht sagen, Schücking habe mit seinem Konzept den Pazifismus als Wissenschaft juristisch begründet.

5 Frank Bodendiek, Walther Schücking und Hans Wehberg – Pazifistische Völkerrechtslehre in der ersten Hälfte des 20.

Jahrhunderts, in: DIE FRIEDENS-WARTE, 74, 1-2, 1999, S. 81. 6 Vgl. Bodendiek, Walther Schückings Konzeption, S. 117-119. 7 S. Anne Nagel, Martin Rade – Theologe und Politiker des sozialen Liberalismus. Eine politische Biographie,

Gütersloh 1996. Den Hinweis auf den Titel verdanke ich Professor Karl Holl. Bodendiek, Walther Schückings Konzeption, S. 52

8 Acker, Walther Schücking, S. 201; s. auch Einstein on Peace, hrsg. v. Otto Nathan und Heinz Norden, Vorwort von Bertrand Russel, New York 1968, S. 9 und 97.

9 Erich Döring, Geschichte der juristischen Fakultät 1665-1965, in: Geschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel 1665-1965, Bd. 3, Teil 1, Neumünster 1965, zit. bei Acker, Walther Schücking, S. 202. 1995 wurde das Kieler Institut „zur Erinnerung an seinen berühmten, dem Gedanken der Friedensordnung und Völkerverständigung verpflichteten früheren Direktor“ in ‚Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht‘ umbenannt.

10 Acker, Walther Schücking, S. 201 und 202. 11 Hans Wehberg, Das Leben Walther Schückings, in: DIE FRIEDENS-WARTE 35, 5, 1935, S. 168. 12 Hans Wehberg, Walther Schücking, Ein deutscher Völkerrechtslehrer (Zum 30-jährigen Jubiläum seiner Marburger

Habilitation), in: DIE FRIEDENS-WARTE 24, 1929, S. 72.

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Die Haager Friedenskonferenzen

1999 wurde der ersten Haager Friedenskonferenz vor hundert Jahren gedacht.13 Der Name Walther Schücking ist mit dem ‚Werk vom Haag‘, wie er es nannte, aufs Engste verbunden. Die Entstehungsgeschichte der Konferenzen ist bekannt.14 Mit der Zweiten Haager Friedens-konferenz im Jahre 1907 hatte Schücking sich endgültig „dem Pazifismus in der sog. organisa-torischen Variante“15 zugewandt. Er beklagte, dass, während der wissenschaftliche Pazifismus „in anderen Ländern [...] meistens bis 1840 zurück(ging)“16 und in akademischen Kreisen und in der Öffentlichkeit weitreichende Anerkennung fand, in Deutschland nur wenige seine Be-deutung zu würdigen vermochten.

Die internationale Friedensbewegung hatte bereits im neunzehnten Jahrhundert lautstark ihre Interessen artikuliert und die öffentliche Meinung beeinflusst und mobilisiert. Für die „fraglos vorhandene Gemeinschaft der Interessen“ musste nun also „die entsprechende inter-nationale Organisation“ gefunden werden.17 Der Pazifismus war im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts eine die nationalen Grenzen überschreitende Bewegung und politische Kraft geworden.18 Als er den Anspruch erhob, eine Wissenschaft zu sein, wurde er es erst recht. Einen entscheidenden Schub im Sinne der Begründung moderner Friedenswissenschaft hatte die Bewegung durch das Werk des russisch-polnischen Bankiers Jean de Bloch über die Ursachen und Folgen des Krieges erfahren.19

„Bloch [...] sagte voraus, das Kriegsbild der Zukunft werde von der gegenseitigen Ab-nutzung der Gegner in einem langwährenden Ringen bestimmt; das Endergebnis seien totale Erschöpfung aller Beteiligten, Hungerkatastrophen, soziale und politische Umwälzungen.“20

Indem der Friede Gegenstand und Zweck wissenschaftlicher Forschung wurde, war zugleich klar, dass eine friedliche Gesinnung zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedin-gung der Möglichkeit einer Welt ohne Krieg sein könne. Ziel sei die Schaffung einer für alle Staaten verbindlichen (supranationalen) Rechtsordnung. Der entscheidende Fortschritt sollte sein, dass „der Krieg aufhört, ein Rechtsinstitut zu sein“ – für die Militärs „freilich ein harter Schlag.“21 13 S. die UNO-Resolution 44/23 vom 17. November 1989 zur Völkerrechtsdekade der Vereinten Nationen (60.

Plenarsitzung) und insbesondere UNO-Resolution der Generalversammlung vom 30. Januar 1997, A/RES/51/159, in der die Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, zur Hundertjahrfeier anlässlich der Ersten Haager Friedenskonferenz Vorkehrungen zu treffen.

14 Oder auch nicht. So kennt Theo Sommer, Die letzte Chance. Die große Friedenskonferenz von Den Haag sollte 1899 den Weg in eine Welt ohne Krieg bahnen, DIE ZEIT, 12. Mai 1999, S. 80, z.B. nur den Polen Jan Bloch und klammert die Hauptarbeit der Interparlamentarischen Union (IPU) völlig aus.

15 Fritz Münch, Walther Schücking (1875-1935)/Völkerrechtler und Politiker, in: Ingeborg Schnack (Hrsg.), Marbur-ger Gelehrte in der ersten Hälfte des 20, Jahrhunderts. Marburg 1977, S. 464.

16 Münch, Walther Schücking, S. 472. 17 Walther Schücking, Der Bund der Völker, Studien und Vorträge zum organisatorischen Pazifismus, Leipzig, Der

Neue Geist Verlag, 1918. Nachdruck in Auszügen unter dem Titel „Nach den Schlachten“, in: Walther Schücking zum Gedächtnis, in: DIE FRIEDENS-WARTE 35, 5, 1935, S. 63.

18 Vgl. u.a. Hans Wehberg, Die internationale Friedensbewegung, Mönchen-Gladbach 1911, S. 45. 19 Jean De Bloch, Der zukünftige Krieg in seiner technischen, volkswirtschaftlichen und politischen Bedeutung, 6 Bde.,

Berlin 1899 (orig. russ. 1998; franz. Übers. 1898). 20 Karl Holl, Pazifismus in Deutschland, Frankfurt, M. 1988, S. 73. Blochs Buch ist auch auf englisch erschienen:

I. S. Bloch, Is War Now Impossible? Being an Abridgement [...], London, Grant Richards 1899; and The Future of War, Toronto: W. Briggs, 1900. S. besonders Peter van den Dungen, The Making of Peace: Jean de Bloch and the First Hague Peace Conference, Los Angeles, Center for the Study of Armament and Disarmament, Califor-nia State University L.A. 1983 (Occasional Papers Series, No.12).

21 Walther Schücking, Die Organisation der Welt, Leipzig 1909, S. 83. Danach geht das moderne Konzept eines pazifistischen, universalen Staatenbundes vor allem auf Pierre Dubois (ca. 1250/55-1320/26), einen nor-mannischen Advokaten unter Philip dem Schönen, zurück. Für Schücking bildete Dubois’ Werk „das inte-ressanteste, weil älteste Dokument [...] zur Geschichte der modernen Friedensbewegung“. Ebd., S. 28.

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Die auf den nicht unerheblichen Druck der öffentlichen Meinung zustande gekommenen Haager Friedenskonferenzen (1899 und 1907) wollten schon den Krieg als ultima ratio besei-tigen und durch Rechtsinstitutionen ersetzen. Damit hatte nach Schücking „ein Prozess einge-setzt, den man kurz dahin charakterisieren kann, dass das Völkerrecht im Begriffe (stand), sich in ein Weltstaatsrecht umzuwandeln.“22

Besondere historische Bedeutung erlangten die Friedenskonferenzen auch durch den Eintritt Japans und anderer außereuropäischer Staaten in die Völkerrechtsgemeinschaft.23 Die Ziele einer weltweiten Abrüstung (damals fast ausschließlich ein europäisches Problem) und ,Arbitrage‘24 fanden außerhalb Europas, wie in den Vereinigten Staaten, ebenfalls Beifall.25 Der neue wissenschaftliche Pazifismus und die junge, universale Völkerfamilie bedingten sich ge-genseitig.

Schücking hatte die ablehnende Haltung des Deutschen Reiches in der Frage der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit‘ zur friedlichen Streitbeilegung bei zwischenstaatlichen Streitigkeiten verurteilt. 1899 und 1907 waren die Friedenskonferenzen in dieser Frage vor allem am deutschen Widerstand gescheitert. Ein Statut, das für die für 1915 geplante dritte Haager Friedenskonferenz ausgearbeitet wurde und demzufolge nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt werden sollte,26 kam nicht mehr zur Anwendung; die Konferenz fand nicht statt.27 Der Erste Weltkrieg zerstörte die Hoffnungen auf einen dauerhaften Frieden im zwanzigsten Jahrhundert nachhaltig.

Trotz der beträchtlichen Enttäuschung über die Ergebnisse der Konferenzen, vor allem in den Reihen der internationalen Friedensbewegung, hatte mit der Ersten Haager Friedenskon-ferenz die Völkerrechtsgemeinschaft, wie Schücking hoffte, „einen tiefgreifenden Wandel in bezug auf ihre rechtliche Struktur erfahren. Ein neues Zeitalter eines Weltstaatenbundes [war] angebrochen.“28 Die Haager Konferenzen begründeten in der Tat ein ganz neues Mächte-,Konzert‘, dessen Merkmale ein neuer Internationalismus (universelle, im Prinzip auf Gleich-berechtigung aller Staaten angelegte Teilnahme) und Pazifismus (Abrüstung und friedliche Streitbeilegung durch rechtliche Verfahren anstelle bewaffneter Konfliktaustragung) waren.

Nach Otto Gerhard Oexle, Utopisches Denken im Mittelalter: Pierre Dubois, in: HZ 224, 1977, S. 332-333, galt Pierre Dubois „seit der Zeit der Haager Friedenskonferenzen als ein Vorbote des modernen Pazifismus und der Idee des Internationalen Schiedsgerichts [...] Vorläufer des Völkerbundgedankens [...] [und] seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges als ein führender Vertreter der Europa-Idee.“

22 Schücking, Bund der Völker, S. 73. Zu den Haager Friedenskonferenzen s. James Brown Scott, The Hague Peace Conferences of 1899 and 1907, Two Volumes, Baltimore 1909, und auf Deutsch Jost Dülffer, Regeln gegen den Krieg? Die Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 in der internationalen Politik, Berlin, Frankfurt, M. und Wien 1981.

23 S. Klaus Schlichtmann, Japan und die beiden Haager Friedenskonferenzen, 1899 und 1907 – Vorbereitungen für den Eventualfall, Referate des 5. Japanologentags, hrsg. v. Werner Schaumann, München 1997, S. 221-43.

24 In Japan überzeugte diese Formel u.a. den juristisch geschulten und patriotisch gesonnenen Kijûrô Shide-hara (1872-1951). S. Klaus Schlichtmann, Shidehara Kijûrô (1872-1951), Staatsmann und Pazifist – eine politi-sche Biographie, Hamburg 1998, und ders., Japan, Germany and the Idea of the Hague Peace Conferences, JOURNAL OF PEACE RESEARCH; Special Issue: Historical Studies of Peace Activism at the Grassroots and Elite Levels, Peace Research Institute Oslo, 2003 (im Druck).

25 Münch, Walther Schücking, S. 474: Eine „sehr lebhafte amerikanische Friedensbewegung“ hatte „sich [...] im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts [...] aus[gedehnt].“

26 Vgl. Walther Schücking, Der Weltfriedensbund und die Wiedergeburt des Völkerrechts, Leipzig 1917, S. 12: „Schwie-rigkeiten machte [...] im Jahre 1907 [bzgl. der Entscheidung für die obligatorische Streitschlichtung] die Erfor-dernis der Einstimmigkeit. Aber schon damals ist man nicht auseinandergegangen, ohne vorgesehen zu haben, dass wenigstens zwei Jahre vor der dritten Haager Konferenz ein Comité préparatoire zusammentreten und ein Statut für die Konferenz ausarbeiten sollte, das einen bestimmten Abstimmungsmodus mit Majoritätsprin-zip hätte bringen müssen.” Mit exemplarischer Voraussicht schränkt Schücking jedoch, ebd., ein: „Die Bindung durch Mehrheitswillen kann natürlich nur für die Mehrheit selbst gelten.“

27 Siehe Ralph Uhlig, Emanating from the Second Hague Peace Conference: High hopes for the Third Hague Peace Conference, Paper präsentiert auf dem Symposium, veranstaltet von der Peace History Society und dem International Peace Bureau, Den Haag, 14. Mai 1999.

28 Schücking, Bund der Völker, S. 69, der, ebd., davon ausgeht, dass „eine völkerrechtliche Staatenverbindung überall dort anzunehmen [ist], wo sich eine Mehrheit von Staaten gemeinsame Organe geschaffen hat.“. Ähnlich äußerte sich der Völkerrechtler Franz von Liszt (1851-1919).

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Höhepunkt und Chance der Jahre 1910-1912

Schücking sah, wie viele andere auch, dass nach dem Scheitern der Haager Friedenskonferen-zen nun die Friedensarbeit verstärkt in den Vordergrund gestellt werden musste. Das Fehl-schlagen der Ersten Haager Friedenskonferenz in der Frage der allgemeinen, obligatorischen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hatte indessen zu einer Gegenreaktion geführt: einem boom beim Abschluss bilateraler Schiedsverträge. Um 1911 wurde ein Höhepunkt in den inter-nationalen Friedensbemühungen erreicht. So war im amerikanischen Repräsentantenhaus be-reits im Juni 1910 eine Resolution angenommen worden, in der es hieß:

„Resolved, by the Senate and House of Representatives of the United States of America in Congress assembled, that a commission of five members be appointed by the Presi-dent of the United States to consider the expediency of utilizing existing international agencies for the purpose of limiting the armaments of the nations of the world by inter-national agreement and of constituting the combined navies of the world an inter-national force for the preservation of universal peace, [...] to diminish the expenditures of government for military purposes and to lessen the probabilities of war.“29

Die britische Regierung begrüßte den Plan, „but the lack of German sympathy was so un-equivocal and the inadequacy of ‚existing international agencies‘ so evident that the Members of the commission were never appointed.“30 Schücking unterstützte den der Resolution zu Grunde liegenden Gedanken. Obwohl sie folgenlos blieb, gehört die Resolution in den Kon-text jener Entwicklungen, die für die Zukunft, etwa bei der Gründung der Vereinten Natio-nen, wegweisend waren.

Die republikanische Revolution in China und der Sturz der tatarischen Mandschudynastie er-weckten 1911 ebenfalls Hoffnungen auf eine Zusammenarbeit der fortschrittlichen politischen Kräfte in der Welt.31 So schrieb beispielsweise The North China Herald am 4. November 1911:

„To allay the restlessness of all races and classes, what is wanted is not that all should rule and seek national supremacy, but that there should be universal supremacy of right-eous principles by federated nations, sympathy with all sufferers and respect for every living soul, so as to advance shoulder to shoulder in everything that is for the good of man. This is the bugle call that rings forth from the rising to the setting sun [...] The great de-velopment in our time of alliances and treaties between states enables us to foresee, not as a dream but as a reality, the international organization of humanity in one political and federated body on the basis of reciprocity [...] This [universal congress] is a call to those who are encouraging competition by the brute force of armaments, that they have missed the high road of universal progress. That is only to be found by federating the lead-ing armies of the world on the basis of reciprocity.“ 32

29 House Joint Resolution (H.J.RES.) 223, Universal Peace Commission, 24 June 1910. Congressional Record,

20 and 24 June 1910, S. 8545-48, 9028. Dt. Text in Wehberg, Die internationale Friedensbewegung, S. 34-4. Wehberg allerdings hielt „[s]olche überspannten Vorschläge“ nur für „geeignet, die Staaten von dem Ab-schlusse weniger weitreichender Verträge abzuhalten.“ Ebd., S. 44. Tatsächlich war dem Unternehmen kein Erfolg beschieden.

30 „Thereafter, until the beginning of 1918, the idea of disarmament rested quietly in the depository of lost causes.“ Andrew Martin, Collective Security, A Progress Report, Paris: UNESCO, 1952, S. 31. Sir Edward Grey in the House of Commons, 23 February 1911; Parliamentary Debates, 5th Series, XXI, 2215.

31 „In fact, the revolution of 1911 was largely made in Japan.“ D.h. von chinesischen Exilanten. John Fairbank, Edwin O. Reischauer And Albert M. Craig, East Asia – The Modern Transformation, London 1965, S. 631-632 (meine Hervorhebung).

32 Meine Hervorhebung. Der Reformer Kang Yuwei (1858-1927) hatte solchen Bestrebungen in China den Boden bereitet.

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Nicht nur die Gründung der chinesischen Republik, sondern auch die bereits vollzogene Erweite-rung der Völkerrechtsgemeinschaft um die unabhängigen, souveränen Staaten Asiens und Süd-amerikas – 1910 wurde die Panamerikanische Union gegründet –, der Rassenkongress in Lon-don und die Bemühungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs, 33 eine internationale Rechtsordnung zu begründen, sind in diesem Sinne als „Vorbereitung der [Haager] Konferenz von 1915“ zu sehen,34 wiewohl in einer Zeit der Krisen auf dem Balkan und der bereits erkannten Gefahr eines globalen Krieges.35 Im Juli 1911 wurde auch das britisch-japanische Flottenab-kommen erneuert, dem beizutreten ursprünglich, 1902, auch Deutschland aufgefordert worden war. Hans Wehberg führt an: „From 1911 on, Great Britain did not limit herself to general im-pulses in the question of armaments, but several times addressed direct proposals to Ger-many.“36

Der erwähnte ,Erste Weltrassenkongress‘ fand vom 26.- 29. Juli 1911 an der Universität London statt. Er stand nach Schücking „unter dem Zeichen [...] die gegenseitige Kenntnis und Achtung zwischen westlichen und orientalischen Völkern zu fördern“. 37 Allerdings ver-handelten nicht Regierungen miteinander, sondern Wissenschaftler, 38 Politiker,39 Kleriker und Persönlichkeiten des kulturellen und öffentlichen Lebens aus 50 Ländern, „die glänzendsten Vertreter der geistigen Kultur der Hindus, Indianer, der Neger Amerikas und Südafrikas, der Türken, Perser, Japaner, Chinesen, Aegypter usw.“,40 welche nach Angaben der Veranstalter rund 20 Zivilisationen repräsentierten. Ziel der Kongresses war es, „to discuss, in the light of science and the modern conscience, the general relations subsisting between the peoples of the West and those of the East, between so-called white and so-called coloured peoples, with a view to encouraging between them a fuller understanding, the most friendly feelings, and a heartier co-operation.“41 Obwohl es sich um keine Friedenskonferenz „in the sense of aiming specifically at the prevention of war“42 handelte, war nach Schücking die „ganze Veranstaltung [...] getränkt mit dem Geiste des modernen organisatorischen Pazifismus.“43

Die heute fast vergessene Konferenz weckte vor allem auch in den außereuropäischen Ländern Hoffnungen, dass die Staatenbeziehungen für die gemeinsam anzustrebende Zukunft längerfristig nach festen Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Friedens gestaltet werden könnten. 33 Die Annäherung der Flottenpolitik der Großmächte – das französisch-britische Flottenabkommen 1912 und

die russisch-französische Flottenkonvention im gleichen Jahr – muss auch im Licht der bereits genannten Pläne für eine internationale Flotte zur Aufrechterhaltung des Friedens gesehen werden. Vgl. Cornelis van Vollenhoven, Über den Vollzug des Internationalen Rechtes durch eine internationale Polizei, Bericht an das internationale Friedensbüro in Bern, zuhanden des Weltfriedenskongresses im Haag (August 1913), S. 7: „[...] man könnte mit einer internationalen Flotte, als der Summe sämtlicher internationaler Einzelflotten [...] an-fangen.“

34 Vollenhoven, Über den Vollzug, S. 4. 35 Vgl. Bertha von Suttner, der Kampf um die Vermeidung des Weltkrieges. Randglossen aus zwei Jahrzehnten zu den

Zeit Ereignissen vor der Katastrophe (1892-1900 und 1907-1914), hrsg. v. Dr. Alfred H. Fried, 2 Bde., II. Bd., Zürich 1917, z.B. S. 467: „Wien, 7. März 1913. Es brodelt und kocht und gärt weiter im europäischen He-xenkessel. Es schäumt von Krieg und Kriegsvorbereitungen und tropft von Frieden und Friedensverhand-lungen.“

36 Hans Wehberg, The Limitation of Armaments. A Collection of the Projects Proposed for the Solution of the Problem, Preceded by an Historical Introduction, Washington 1921 (Pamphlet Series of the Carnegie En-dowment for International Peace, Division of International Law, No. 46).

37 Walther Schücking, Der erste Weltrassenkongress, in: DIE FRIEDENS-WARTE, August-September 1911, 231. S. auch neuerdings die aufschlussreiche, detaillierte Dissertation von Gabriele Schirbel, Strukturen des Internatio-nalismus. First Universal Races Congress, London 1911, Teil 1, Münster, Hamburg 1991 (Studien zur Frie-densforschung, Bd.3).

38 Nach den Quellen ca. 130 internationale Juristen, Völkerrechtler, Anthropologen und Soziologen. 39 U.a. ca. dreißig Parlamentspräsidenten. 40 Schücking, Der erste Weltrassenkongress, S. 231. 41 Kongressprogramm, Kopie im Besitz des Autors. 42 Aus dem Programmtext zur Ankündigung des Kongresses. 43 Schücking, Der erste Weltrassenkongress, S. 232.

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Alfred Fried hat in einer Veröffentlichung 1912 die Hoffnungen beschworen, welche die Welt damals in die deutsche Politik, insbesondere die Kooperation des ‚Friedenskaisers‘ setzte. So hatte der amerikanische Pazifist und Philanthrop Andrew Carnegie ihn als ‚Retter der zivili-sierten Welt‘ herauszustellen versucht und in einem Brief an die Delegierten der Konferenz der Interparlamentarischen Union in Berlin 1908 gesagt:

„It seems to me that it should be easy to abolish war between civilized nations as a means of settling international disputes. In Berlin there exists one man who has only ‚got to speak the word‘. If only the Emperor of Germany would fulfill that task, every one would follow. He has it in his power to abolish war between civilized nations. He only needs to call together England, France and the United States to join him…”44

Nicht der Kaiser, so Fried, sondern seine Berater hätten die ablehnende Haltung des Deut-schen Reiches in den entscheidenden Fragen, wie sie schon auf den Haager Friedenskonferen-zen diskutiert wurden, zu verantworten. Wollte man nicht annehmen, der Kaiser sei völlig machtlos gewesen, so zeigten diese Beschwörungen jedenfalls keine Wirkung.

Die Haager Konferenz 1915

In den Niederlanden hatte sich nach Kriegsbeginn durch Initiative des 1871 gegründeten nie-derländischen Bundes ,Vrede door Recht‘ (Friede durch Recht)45 im Oktober 1914 der ,Neder-landsche Anti-Oorlog Raad‘ (Antikriegsrat) gebildet, der im April 1915 – in dem Jahr, in dem die dritte Haager Friedenskonferenz stattgefunden hätte – eine internationale Konferenz ver-anstaltete,46 aus der eine „Zentralorganisation für einen dauernden Frieden“ hervorging. Das vom Antikriegsrat verabschiedete Mindestprogramm enthielt folgende Punkte:

1. Es soll weder eine Annexion noch eine Gebietsübertragung stattfinden gegen die In-teressen und Wünsche der Bevölkerung, derer Zustimmung, wo es möglich ist, durch Plebiszit oder auf andere Weise eingeholt werden soll. Die Staaten sollen den Nationalitäten ihres Gebietes Rechtsgleichheit, Religionsfreiheit und den freien Gebrauch ihrer Sprache garantieren. 2. Die Staaten sollen vereinbaren, in ihren Kolonien, Protektoraten und Interessensphä-ren Handelsfreiheit oder wenigstens die Gleichstellung aller Nationen durchzuführen. 3. Das auf die friedliche Organisation der Staatengesellschaft bezüglicher Werk der Haa-ger Friedenskonferenzen soll ausgebaut werden. Die Friedenskonferenz soll mit einer dauernden Organisation ausgestattet werden und periodische Sitzungen halten. Die Staaten sollen vereinbaren alle ihre Streitigkeiten einem friedlichen Verfahren zu un-terwerfen. Zu diesem Zweck sollen neben dem im Haag vorhandenen Schiedshof a) ein wirklich ständiger internationaler Gerichtshof und b) ein gleichfalls ständiger internatio-naler Untersuchungs- und Vermittlungsrat errichtet werden. Die Staaten sollen sich ver-

44 Alfred A. Fried, The German Emperor and the Peace of the World, London, New York and Toronto 1912, S. 33. 45 Holl, Pazifismus, S. 42. Auch Japan war äußerst präsent. Von Juni 1914 bis August 1915 residierte der

Diplomat Shidehara als Chef der japanischen Gesandtschaft für die Niederlande und Dänemark in Den Haag. Bald danach übernahm er als stellvertretender Außenminister den Vorsitz des ,Vorbereitungs-komitees für die Friedensregelung nach dem japanisch-deutschen Krieg‘ (d.i. die damals gebräuchliche japanische Bezeichnung für den Ersten Weltkrieg). Thomas Burkman, Japan, the League of Nations, and the New World Order, 1918-1920, the University of Michigan, Ph.D. Diss. 1975, S. 82.

46 Die zu der Zeit ebenfalls in Den Haag stattfindende Friedenskonferenz der Frauenbewegung unter dem Vorsitz von Jane Addams knüpfte an die „im Minimalprogramm für einen dauernden Frieden vorgezeichnete Linie“ an, hatte jedoch mit ihren Forderungen größere Öffentlichkeitswirkung. Holl, Pazifismus, S. 118-9.

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pflichten eine vereinbarte – diplomatische, wirtschaftliche oder militärische – Aktion für den Fall durchzuführen, dass ein Staat militärische Maßnahmen ergreift, statt den Streit-fall dem richterlichen Spruch zu unterbreiten oder das Gutachten des Untersuchungs- und Vermittlungsrats einzuholen. 4. Die Staaten sollen eine Verminderung der Rüstungen vereinbaren. Um die Herabset-zung der Bewaffnung zur See zu erleichtern, soll das Beuterecht abgeschafft und die Freiheit der Meere gesichert werden. 5. Die auswärtige Politik soll einer wirksamen Kontrolle der Parlamente unterstellt wer-den. Geheime Verträge sollen nichtig sein.47

Das von Schücking mitverfasste Mindestprogramm nimmt schon voraus, was dieser in seinem Buch Internationale Rechtsgarantien48 nach dem Kriege ausführlich behandelte.

Gleichzeitig kam es zu einer internationalen Bewegung der Neutralen und – unter der Vorreiterschaft pazifistischer Kreise, vor allem in den USA und in den Niederlanden – zu ei-ner starken halb-offiziellen Bewegung für die Einrichtung einer ‚Weltpolizei der Meere‘, wie sie schon 1910 und 1911 diskutiert worden war. Ende Februar 1915 wurde wiederum im amerikanischen Repräsentantenhaus eine Resolution eingebracht, „[p]roviding for a special committee to prepare plans looking to the neutral government and control of the seas“. Es war geplant, hierfür die Unterstützung der neutralen Staaten und „possibly of the belligerents“ zu bekommen und dadurch einen Impuls zu geben, um eine Konfliktlösung durch „arbitra-tion or some other settlement of the present war“ zu erreichen.49 Die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden verfolgte ähnliche Ziele.

Schücking befürwortete „die Ideen des Niederländischen Völkerrechtslehrers [und Diplo-maten] Cornelis van Vollenhoven (1874-1933) über die Errichtung einer internationalen Flot-tenpolizei.“ 50 Vollenhoven stellte Grotius’ Gedanken der internationalen Sicherheit in den Vordergrund, „to organize for peace the whole society of mankind“.51 Schücking äußerte nach dem Ersten Weltkrieg die Hoffnung, dass nun die Regierungen, insbesondere die Weimarer Reichsregierung, „die letzten Konsequenzen der Lehren von Grotius ziehen und die bisher anarchische Staatengesellschaft zu einem rechtlich organisierten Staatensystem umwandeln werde, damit eine solche Katastrophe nicht wieder passiert.“ 52 Anzustreben sei eine „ver-tragsmäßige Rüstungsbeschränkung“ (und Abrüstung) als Voraussetzung für das Funktionie-ren einer internationalen Exekutive. Armee und Flotte des Weltstaatenbundes müssten freilich stärker sein „als die jeder einzelstaatlichen Armee.“ Dies sei schwierig, da bislang „die engli-sche Flotte stärker sei als alle anderen“.53 England schien dagegen nicht abgeneigt, eine solche globale Regelung zu akzeptieren. 47 Mindestprogramm. Der Text enthält eine handschriftliche Bemerkung zu Punkt 2.: „Das ist der Grundsatz

der ,offenen Türe‘.“ Bundesarchiv, Nachlass Gothein Nr. 30, fol. 170: Zentralorganisation für einen dau-ernden Frieden. Ich danke Herrn Professor Ralph Uhlig, der mir eine Kopie des Dokuments zur Verfü-gung stellte.

48 Eine „Zusammenfassung der Ideen, die sich schon während des Ersten Weltkrieges über die Schaffung eines Völkerbundes gebildet hatte.“ Hans Wehberg, Walther Schücking und das Problem der internationalen Orga-nisation, in: Festschrift für Walter Schätzel zum 70. Geburtstag, Internationalrechtliche und staatsrechtliche Ab-handlungen, hrsg. Von Erik Brüel, Dimitri Constantopoulos, Rudolf Laun, Josef Soder und Hans Wehberg, Düsseldorf 1961, S. 541.

49 H.J.RES. 432, 27 February 1915. Congressional Record. 50 Schücking, Weltfriedensbund, S. 29-30. 51 Cornelis Van Vollenhoven, Grotius and Geneva, Lectures delivered in Columbia University, July 1925,

Bibliotheca Visseriana Dissertationum Ius Internationale Illustrantium, Bd.VI, Leiden 1926, S. 44. Grotius’ Werk fand ab 1925 auch in Japan besondere Beachtung.

52 Schücking, Weltfriedensbund, S. 9 (Vortrag 1914). 53 Schücking, Weltfriedensbund, S. 31. Wilhelm Grewe dagegen sieht in C. van Vollenhovens Darstellung in

dessen Buch De Iure Pacis lediglich einen „engen dogmatischen Pazifismus, der alle Vorgänge … an dem einzigen Maßstab misst, wieweit sie der Ächtung des Krieges und der Verwirklichung einer bestimmten Art

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Der Krieg

„Und wenn man den Mut hat, sich seines Verstandes zu bedienen, dann muss man sa-gen, dass der Krieg als Rechtsinstitut ja immer eigentlich das Unmöglichste gewesen ist, was man sich denken kann. Denn der Krieg basiert auf der Gewalt, du das Recht basiert auf der sittlichen Idee der Gerechtigkeit.“54

Es gibt bekanntlich einen historischen Streit darüber, ob Deutschland in den Krieg „hineinge-schlittert“ ist55 oder, wie der Pazifist und Publizist Kurt Hiller unter Berufung auf seinen Leh-rer Franz von Liszt ausführte, ob ein „Schuldfall von Dolus eventualis“56 vorliegt.57 Walther Schücking schrieb voller Verzweiflung im September 1914:

„ [...] der Satz Si vis pacem para bellum (ist) eine trügerische Scheinwahrheit [...] Das haben wir Pazifisten längst gewusst, und tausendfach ist von unsrer Seite die Alternative ge-stellt, dass man entweder baldmöglichst die Bahnen des organisatorischen Pazifismus beschreiten müsse oder all das Rüstungsfieber einen furchtbaren Weltenbrand herauf-führen werde.“58

Immerhin konnte Schücking zunächst weiter publizieren, reisen und Vorträge halten. Bald je-doch wurden die „Militärbehörden auf Schücking aufmerksam“ und im September 1915 ver-bot ihm das „Generalkommando Kassel [...] über Probleme der internationalen Organisation mit auswärtigen Gelehrten zu korrespondieren, Reisen ins Ausland zu unternehmen und seine Ideen über internationale Organisation [...] zu vertreten“. Erst 1918 erlangte er wieder die „vollkommene Redefreiheit“.59

Das Kaiserreich hatte mit einem schnellen und sicheren Sieg gerechnet. Merkwürdigerweise offenbarten sich jedoch bald nach Kriegsbeginn die eigenartigsten, kurz zuvor noch strikt ge-leugneten Vorstellungen über die deutschen Kriegsziele – Vorstellungen, die sicher nicht allein dem Wunsch nach moralischer Aufrüstung der Soldaten im Feld entsprungen waren. „Ob-wohl man allgemein die Ueberzeugung hatte, zu einem Verteidigungskrieg genötigt zu sein“,

von Friedenssicherung dienen, die sich inzwischen als problematisch erwiesen hat.“ Wilhelm Grewe, Epo-chen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984, S. 20.

54 Walther Schücking, Der Staatenverband der Haager Konferenzen, München und Leipzig 1912, S. 313. Der Titel wurde auch in englischer Übersetzung veröffentlicht: The International Union of the Hague Conferences, Carnegie Stiftung 1918.

55 Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht, die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düssel-dorf 1961; Ders., Krieg der Illusionen, Die deutsche Politik von 1911-1914, Düsseldorf 1969.

56 „Mein Lehrer Franz v. Liszt, unter Wilhelms Zeitgenossen der größte deutsche Strafrechtler, hat den Dolus eventualis als einen Vorsatz definiert, der dann gegeben sei, wenn der Täter den Eintritt des Erfolges zwar nicht ,für sicher (notwendig)‘, sondern ,nur für möglich hielt‘, aber wenn vorausgesetzt werden muss, ,dass die Überzeugung von dem sicheren Eintritt des Erfolges den Täter von der Begehung der Handlung nicht abgehalten hätte, wenn also [...] der Täter den Erfolg gebilligt hat‘.“ Kurt Hiller, Wilhelms Schuld, DIE WELTBÜHNE, v. 30. Juli 1929, abgedruckt in: Kurt Hiller, Politische Publizistik von 1918-33, hrsg. von Stephan Reinhardt, Heidelberg 1983, S. 167.

57 So auch Karl Dietrich Erdmann, Der Erste Weltkrieg, München 19823, S. 92: „Als Zwischenergebnis kann – im Unterschied zu früheren Auffassungen – festgestellt werden, dass die politisch-militärische Führung des Reiches weniger reaktiv als vielmehr initiativ in dem Wirkungszusammenhang gehandelt hat, der zum Weltkrieg führte. [...] Wollte man strafrechtliche Kategorien anwenden, so könnte man sagen, dass Deutschlands Verantwortung für den Krieg darin besteht, dass es mit ‚bedingtem Vorsatz‘ (dolus eventualis) gehandelt hat.“

58 Walther Schücking, Der Weltkrieg und der Pazifismus, Christliche Welt vom 24. September 1914, Nr. 39, in: Ders., Der Dauerfriede, Kriegsaufsätze eines Pazifisten, Leipzig 1917, S. 5.

59 Wehberg, Leben Walther Schückings, S. 169. Allerdings scheint gegen das „Reise-, Lehr- und Publikations-verbot […] der Reichskanzler persönlich [per Weisung v. 18.11.1915] Einspruch“ erhoben zu haben. Fortu-na, Völkerbundgedanke, S. 69.

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schreibt Schücking, „tauchte jetzt doch in unzähligen Reden und Artikeln der Gedanke auf, dass aus Anlaß dieses Krieges dem deutschen Volke die Weltherrschaft zufallen müsse.“60 Die-ser Gedanke, ungehindert das Recht des Stärkeren beanspruchen zu können, der wohl von den Phantasien des Kaisers und seiner Berater genährt wurde, stand der demokratischen Ent-wicklung und dem allgemeinen Trend zu einer staatenübergreifenden internationalen Organi-sation entgegen.

In den USA war dagegen am 4. Januar 1916 im Repräsentantenhaus wieder eine Resolution eingebracht worden, die nun bereits die Schaffung einer Weltföderation anstrebte.61 Ähnliche Ziele verfolgte eine von Henry Ford betriebene Friedensinitiative, die am 9. März 1916 von Stockholm aus einen Appell an die neutralen Staaten erließ, eine ,Konferenz der Neutra-len‘ abzuhalten, die u.a. von Marguerite Gobat, De Jong van Beek en Donk62 und Louis P. Lochner (1887-1975)63 unterschrieben wurde.64 In diesen Zusammenhängen wirkte Schücking als Bindeglied bei den Bemühungen, den Krieg möglichst bald zu beenden.

Schücking griff tätig in die Kriegszielpolitik des Reiches ein. In einer Denkschrift, die er im Namen des Verbandes für Internationale Verständigung gemäß einem Beschluss vom 23. Januar 1916 Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg überreichte, plädierte er nicht nur für die Freiheit der Meere und eine auf das Recht gegründete internationale Organisation. Die Denkschrift reflektierte das von den neutralen Mächten vorgeschlagene Konzept der interna-tionalen Exekution zur See, eine Bewegung, in der die Amerikaner und Holländer führend wa-ren. Am 9. November des gleichen Jahres sprach der Reichskanzler in einer Rede65 in der Budgetkommission „die deutsche Bereitwilligkeit aus [...] an der Aufrichtung eines internatio-nalen Friedensbundes mitzuwirken.“66 Allerdings war Bethmann Hollweg zu dem Zeitpunkt für die Militärs, die bereits den uneingeschränkten Ubootkrieg planten, ein „Kanzler auf Ab-ruf“ und der konzilianten Geste folgten keine Taten.67

60 Schücking, Weltfriedensbund, S. 7. 61 H.J.RES.75, 64th Congress, Joint resolution proposing the establishment of an International Federation of

the World (16 S., VII Artikel). 62 Schücking widmete sein Buch, Die völkerrechtliche Lehre des Weltkrieges, Leipzig 1918: „Jonkheer Dr. B. de

Jong van Beek en Donk, Ministerialrat im holländischen Außenministerium, Generalsekretär der Zentralorganisation für einen dauernden Frieden in Freundschaft zugeeignet“.

63 Lochner war später Korrespondent in Berlin (bis 1941). 64 See Swarthmore College Peace Collection, 500 College Avenue, Swarthmore, Pennsylvania 19081, U.S.A.,

Henry Ford Peace Expedition, Records, 1915-1916: „On December 4, 1915, Henry Ford (1863-1947) and over one hundred delegated and reporters left Hoboken, New Jersey, aboard the steamship Oscar II bound for Christiana, Norway, the first port of call on an itinerary of peace meetings in nonbelligerent Europe. Less than a month before the Oscar II sailed, Rosika Schwimmer (1877-1948), who became the expedition’s ‚general secretary‘, persuaded Ford to finance the voyage. The purpose of the Henry Ford Peace Expedition was the establishment of a conference of neutral nations which would seek to implement peace proposals through continuous mediation. Although Ford left the expedition at Christiana (Oslo) for health reasons, the delegation visited European pacifists in Stockholm and The Hague before returning to the United States in January 1916. In late February, representatives from the European neutral nations met with a remnant of the Ford Peace Expedition to establish the Neutral Conference for Continuous Mediation (NCCM) at Stockholm. Several months later, the site of the sessions was transferred to The Hague. Work on proposals continued until the end of 1916, with Louis P. Lochner playing a key role in this attempt to encourage peace overtures and establish principles which could serve as the basis for an equitable peace settlement.“

65 Bereits vorher, am 5. April und am 28. September hatte Bethmann-Hollweg vor dem Reichstag „das Anliegen der Völkerverständigung zum […] Gesprächsthema auf Regierungsebene“ gemacht Fortuna, Völkerbundgedanke, S. 69 und Anm. 220 (S. 247-8).

66 Vorbemerkung zu Walther Schücking, Meeresfreiheit gegen Friedensgarantien! Ein Weg zur Abkürzung des Weltkrieges, in: Der Dauerfriede, S. 50. Der Reichskanzler verkündete, „das Prinzip des Rechts und der freien Entwicklung (sei) nicht bloß auf dem Festland, sondern auch auf dem Meere zur Geltung zu bringen“. Ebd.

67 Michael Salewski, Deutschland, Eine politische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd.2 1815-1990, München 1993, S. 164.

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Nach dem Krieg Die Friedensregelungen von 1919 waren zweifellos von Idealismus geprägt und im Hinblick auf die Festschreibung des Prinzips der Staatengleichheit, Selbstbestimmung und kollektiven Sicherheit revolutionär. Woodrow Wilson hatte am 4. Juli 1918 das Hauptziel genannt:

„What we seek is the reign of law, based upon the consent of the governed and sustai-ned by the organized opinion of mankind.“68

Dabei wäre eine „herrschaftliche Organisation der Welt [...] auch ohne den Krieg zustande ge-kommen,“ und besser noch: „auf einer demokratischen Grundlage [...] unter Mitwirkung sämtlicher beteiligten Staaten.“69 Dafür hatten die beiden Haager Friedenskonferenzen bereits die notwendigen Voraussetzungen geschaffen.

Die Europäer und die Amerikaner schlugen jedoch unterschiedliche Konzepte vor, eine Entwicklung, die Walther Schücking beklagte:

„Seltsamerweise will nun die [amerikanische] ,League to enforce peace‘, wenn ich recht informiert bin, mit dem Haager Werk vollständig brechen. Das Haager Werk soll als Ruine am Wege liegen bleiben, und es soll von Amerika aus etwas absolut Neues ge-macht werden.“ 70

Um die an ihren Traditionen hängenden Europäer fester zu binden, wäre es sicher besser ge-wesen, enger an das ‚Werk vom Haag‘ anzuknüpfen und Deutschland von Anfang an mit ein-zubeziehen.

Für die Versailler Friedenskonferenz wurde schließlich Schücking „als derjenige angesehen, der am meisten würdig“ war, „das neue Deutschland zu vertreten.“ Als einer der sechs Hauptdelegierten der deutschen Friedensdelegation war er zusammen mit Dr. Gaus und Wal-ter Simons für die Abfassung der ,Vorschläge der deutschen Regierung für die Errichtung ei-nes Völkerbundes‘ verantwortlich71 Wie Hans Wehberg schreibt, war dieser Regierungsent-wurf „bemerkenswert“, weil er „alle Kriege ohne Ausnahme für unzulässig erklärte“; „sämtli-che Streitigkeiten (sollten) friedlich geregelt werden [...] Neben dem Staatenkongress sollte ein Weltparlament eingesetzt werden.“ 72 Er berichtet, dass Schücking von Versailles „tief ent-täuscht“ zurückkehrte,73 weil die deutschen Vorschläge, die sicher auch seine Handschrift tra-gen, keine Beachtung fanden. Von der Richtigkeit der allgemeinen Friedensbestrebungen überzeugt und von einem tiefen Glauben an die Gerechtigkeit erfüllt, riet er der deutschen Re-gierung davon ab, den Friedensvertrag zu unterschreiben. Er muss aber gewusst haben, dass er damit keinen Erfolg haben würde. Es ging ihm jedoch ums Prinzip.74

68 Zit. in Kurt Rabl, Die Völkerrechtsgrundlagen der modernen Friedensordnung, Teil I, Geschichtliche Entwicklung,

Hannover 1967 (Friedensprobleme, 2), S. 3. 69 Géza v. Magyary, Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit im Völkerbunde, Berlin 1922, S. 12, der fortfährt: „Erst

jetzt, wo der großartige Geist der beiden Haager Friedenskonferenzen verflogen, erschließt sich uns die richtige Erkenntnis ihrer Bedeutung.“

70 Schücking, Weltfriedensbund, S. 12. 71 Wehberg, Walther Schücking, S. 73. 72 Wehberg, Walther Schücking und das Problem, S. 542. 73 Wehberg, Leben Walther Schückings, S. 170. 74 Dabei hatte er schon allein um der Sache willen stets darauf zu achten, dass man ihm seinen Patriotismus

nicht absprach und ihm vorwarf, er handele nicht nach bestem Wissen und Gewissen im deutschen Inte-resse. Dies nötigte ihn auch zu Kompromissen, die er einging, um der Sache zu dienen. So konnte er auch den Versailler Vertrag und die darin ausgeschriebene Bestrafung Deutschlands selbstverständlich nicht gut-heißen, zumal er hoffte, Deutschland könnte sich ,geläutert’ und zur internationalen Organisation bekehrt

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Nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages durch die Reichsregierung wurde Schücking Mitglied und dann Vorsitzender des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses über die Entstehung des Krieges, die deutsche Haltung auf den Haager Konferenzen 1899 und 1907, die nicht ergriffenen Möglichkeiten zum Frieden und die Völkerrechtsverletzungen während des Krieges.75 Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, die sog. ,Kautsky-Akten‘, hat er 1919 zusammen mit Graf Max Montgelas herausgegeben. 76 Über die eigentlichen Kriegsursachen gaben diese jedoch kaum Aufschluss.

Schücking wurde auch parteipolitisch aktiv. In Marburg hatte er bereits 1907 den Vorsitz einer Gruppe übernommen, die sich Liberaler Volksverein (vorher Nationalsozialer Verein) nannte. 1910 schloss sich der Verein mit mehreren linksliberalen Vereinigungen zur Fortschrittlichen Volks-partei zusammen. Obwohl „er wusste, dass er als Liberaler keine Aussicht auf Erfolg hatte“, war Schücking in den Jahren 1908 und 1911 als Kandidat für das Preußische Abgeordnetenhaus an-getreten.77

Nach dem Krieg gehörte Schücking von 1919 bis 1928, während er zugleich an der Berliner Handelshochschule lehrte,78 ununterbrochen für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) dem Reichstag an,79 wo er seinen Wahlkreis Hessen-Nassau vertrat. Dabei „(maß) Schücking [...] die Politik am Recht.“80 Trotz seines Einsatzes für den Völkerbund, den deutschen Beitritt und einen allgemeinen, umfassenden Frieden, Dinge, die er in seinen zahlreichen Reden im Weimarer Reichstag beschwor, „fühlte (er) seit 1924, dass er als Parteipolitiker keinen festen Boden unter den Füßen gewinnen konnte.“81 Nach dem Beitritt zum Völkerbund hielt es ihn daher nicht mehr im Reichstag, und er wandte sich anderen Aufgaben zu.

Die Chance des Jahres 1924

Schückings Beitrag zu der 1889 von dem Franzosen Frederic Passy (1822-1912) und dem Engländer Sir William Randell Cremer (1838-1908) gegründeten Interparlamentarischen Uni-on verdient – wie schon angedeutet – besondere Aufmerksamkeit. Zunächst, von 1919 an, Präsident der deutschen Parlamentariergruppe und Mitglied des IPU-Rates, wurde er 1925 auch Mitglied des Exekutivausschusses. Die IPU nahm zwischen offizieller Politik, Parlamen-tariern, Friedensbewegung und Friedenswissenschaft eine vermittelnde Funktion ein.82 Mit-glieder der IPU waren bis zum Zweiten Weltkrieg ausschließlich Parlamentarier. Einen Höhe-punkt erreichte die Arbeit 1924, als Schücking auf der 22. Konferenz in Bern und Genf zum

bald an der Arbeit des Völkerbundes beteiligen. Freilich widersprach der Vertrag seinen idealistischen Hoffnungen wie seinem absoluten Gerechtigkeitssinn.

75 Wehberg, Leben Walther Schückings, S. 171. 76 Wehberg, Walther Schücking, S. 74. Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914. Vollständige Sammlung

der von Karl Kautsky zusammengestellten amtlichen Aktenstücke mit einigen Ergänzungen. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes nach gemeinsamer Durchsicht mit Karl Kautsky hrsg. von Graf Max Montgelas und Walter Schücking. Bd. 1-4, Charlottenburg 1919, 3. Aufl., Berlin 1927.

77 Jost Delbrück, Schücking, in Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, hrsg. im Auftrag der Gesellschaft für Schleswig-Hosteinische Geschichte und des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde, Neumünster 1985, S. 284.

78 Auch hier war Schücking bei seinen Studenten, „wie bei seiner früheren Universitätstätigkeit“ in Marburg, außergewöhnlich beliebt. „Das zeigte die ständig steigende Zahl seiner Schüler, die die seiner Kollegen weit übertraf.“ Acker, Walther Schücking, S. 201.

79 Theodor Heuss, Erinnerungen, 1905-1933, Tübingen 1963, S. 315, spricht von dem "honorigen, leicht enthusiastischen und leicht verstimmten Völkerrechtler Walther Schücking“.

80 Acker, Walther Schücking, S. 186. 81 Acker, Walther Schücking, S. 201. 82 Siehe Ralph Uhlig, Die Interparlamentarische Union 1889-1914, Stuttgart 1988 (Studien zur modernen

Geschichte, Bd.39) und ders., Emanating from the Second Hague Peace Conference.

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wichtigen Thema ,Die parlamentarische Kontrolle der auswärtigen Politik‘ den Berichterstatter stellte.83

Noch vor der einstimmigen Annahme des ,Genfer Protokolls‘ am 2. Oktober 1924, das „dem Völkerbund Zähne“ geben sollte84 (aber schließlich nicht ratifiziert wurde), verabschie-dete im August 1924 die Interparlamentarische Konferenz in Bern bereits Resolutionen zum o.g. Thema, u.a. über die „verfassungsrechtliche Aechtung des Krieges“85:

„Die XXII. Interparlamentarischen Konferenz macht sich die Abmachung zu eigen, die in dem von der 4. Versammlung des Völkerbundes aufgestellten Entwurf eines gegen-seitigen Hilfevertrages enthalten ist, und die den Angriffskrieg als ,internationales Verbrechen‘ kennzeichnet. Sie empfiehlt den nationalen Gruppen, ihren Parlamenten Entwürfe zu einer Verfassungsänderung vorzulegen, die abzielt: a) auf das Verbot, irgendeine kriegerische Entscheidung anzurufen, vorbehaltlich der Verpflichtungen, die nach dem Wortlaut des Art. 16 der Völkerbundsatzung eingegan-gen sind [...]“86

Unter „b)“ wurde auf die „Verpflichtung, ein Schiedsgericht anzurufen“ hingewiesen. Die Konferenz legte „ganz besonderen Wert darauf [...] daß alle Staaten ihre Zustimmung zu der fakultativen Klausel des Art. 36 der Satzung des Weltgerichtshofs erklären.“87 Wie im bereits erwähnten Genfer Protokoll, zu dessen Zustandekommen die IPU-Resolution beigetragen haben mochte, ging es darum, die nationale Souveränität zugunsten einer internationalen Frie-densorganisation zu beschränken.88

„Im Souveränitätsbegriff konzentrierte sich gerade das, was von der Friedensbewegung Anarchie genannt wurde; unter Berufung auf die Souveränität hatte die deutsche Regie-rung auf der ersten Haager Konferenz alle Pläne einer verbindlichen Schiedsgerichts-barkeit abgelehnt.“89

Schücking hatte schon 1908 darauf hingewiesen und erkannt, dass „der Gedanke des souverä-nen Staates die Fortentwickelung des Völkerrechts (hemmt).“ Dagegen würden die „Einzel-staaten für die Aufgabe90 ihrer Einzelsouveränität heute, wie schon innerhalb des Deutschen Reiches geschehen ist, einen Anteil an der Souveränität des Ganzen gewinnen,“91 und zur Lö-sung der (nur) gemeinsam zu bewältigenden Probleme beitragen.

Zum Tagesordnungspunkt ,Parlamentarische Kontrolle der Auswärtigen Politik‘, führte der Parlamentarier Schücking in seinem Referat aus, das Völkerrecht sei der „jüngste Zweig am Baume der Rechtsentwicklung“ und man müsse „noch auf lange Zeit“ davon ausgehen, dass die „Verpflichtungen noch nicht in dem Maße in das allgemeine Rechtsbewusstsein überge-gangen sind, wie die des nationalen Rechts.“ Es sei daher ,grundsätzlich‘ ratsam, „völkerrecht-liche Normen in die Verfassung aufzunehmen.“92 Damit sollte die Ächtung des ius ad bellum, 83 1928 leitete Schücking auch die Berliner Konferenz der IPU „und trug dazu bei, sie zu einem großen Er-

folge zu gestalten.“ Wehberg , Leben Walther Schückings, S. 172. 84 Harold Butler, The Lost Peace. A Personal Impression, New York 1942, S. (28-)30. 85 S. auch Hans Wehberg, Die Aechtung des Krieges – Eine Vorlesung an der Haager Völkerrechtsakademie und

am „Institut Universitaire des Hautes Études Internationales“ (Genf), Berlin 1930, S. 146ff. 86 Deutscher Text in: Union Interparlementaire, Compte rendu de la XXIIe Conférence tenue a Berne et Genève

du 22 au 28 Août 1924, Lausanne, Genève, etc.: Librairie Payot 1925, S. 675. 87 Ebd. Vgl. den fast identischen Artikel 36 Absatz 2 des Statuts des IGH heute. 88 Im Genfer Protokoll erklärten alle 47 Mitgliedstaaten sich bereit, „ihre Souveränität zugunsten des Völ-

kerbundes wesentlich zu beschränken.“ Wehberg, Aechtung des Krieges, S. 39. 89 Acker, Walther Schücking, S. 37. 90 Also Abgabe, Delegation oder Beschränkung von Hoheitsrechten. 91 Schücking, Organisation der Welt, S. 78 und 82. 92 Union Interparlementaire, S. 184-5.

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wie sie später (1928) im Kellogg-Briand-Pakt ,verewigt‘ wurde, auch im Verfassungsrecht seine Entsprechung finden. In der Tat „stand bei Schücking die Abgabe von staatlicher Souveränität an internationale Organisationen [...] [g]anz im Vordergrund.“93 Historisch stellt die damit be-gonnene Entwicklung des ,Friedensverfassungsrechts‘ den vielleicht bedeutendsten Strang ei-ner ‚positiven‘ Rechtsfortentwicklung in der Zwischenkriegszeit dar.94

Fortan, so Schücking bei der Verhandlung der Interparlamentarier, „könnten Kriege nur erklärt werden, wenn gleichzeitig die Verfassung geändert würde.“ In diesem Zusammenhang sei die Frage der ‚obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit‘ „außerordentlich wichtig, weil nur auf diesem Wege der Schlüssel zur allgemeinen Abrüstung gefunden werden kann. Diese Ab-rüstung kann erst kommen, wenn der Rechtsschutz ausgebaut ist.“95 Das in die nationalen Verfassungen aufzunehmende „grundsätzliche Verbot des Krieges“ sollte „selbstverständlich [nur] unter Vorbehalt der Erfüllung derjenigen Pflichten [gelten], die unter Umständen durch eine internationale Exekution dem einzelnen Staat auferlegt werden können.“96 Auch in Japan waren Vorgang und Aktivitäten der IPU bekannt.97

Das wenig später, auf der fünften Völkerbundversammlung, verabschiedete Genfer Protokoll sah eine allgemeine Ächtung des Angriffskrieges, umfassende Regelungen über all-gemeine Abrüstung, ein verbindliches, „fast vorbehaltloses System“ der Schiedsgerichtsbar-keit98 und ein System von Sanktionen vor, das weit über das hinausging, was in dem Zusam-menhang bis dahin für möglich gehalten worden war. Obwohl Deutschland, die USA und die Sowjetunion dem Völkerbund noch nicht beigetreten waren, zeigten die Staaten Bereitschaft – wie Hans Wehberg 1930 schrieb –, wesentliche Hoheitsbefugnisse im Hinblick auf das Recht des Staates auf Kriegführung zu beschränken.99 Obwohl das Genfer Protokoll nicht ratifiziert wurde, bedeutete seine Verabschiedung einen „radikalen Sieg des Rechtsgedankens, wie ihn zu Beginn des Weltkriegs auch der kühnste Pazifist noch nicht zu hoffen gewagt hätte“.100

In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre wurde deutlich, dass der Völkerbund die ihm ge-stellten Aufgaben nicht erfüllen konnte. Und dies obwohl auch das in vieler Hinsicht kom-plementäre, 1922 mit der Washingtoner Flottenabrüstungskonferenz errichtete System zusätz-lich zur internationalen Sicherheit und Stabilität beitrug.101 Das Friedensverfassungsrecht hätte dem Weltfrieden und dem allgemeinen Kriegsverbot in den nationalen Verfassungen eine de-mokratische Grundlage geben können. Auch Locarno und die Vorschläge für ein vergleichba-

93 Bodendiek, Walther Schückings Konzeption, S. 312. Bedauerlicherweise fehlt in dem Buch, S. 85 und 271,

der Gegenwartsbezug, und der Autor führt das Thema nicht weiter aus. 94 Zum „Friedensverfassungsrecht“ s. Boris Mirkine-Guetzevitch, Le droit constitutionnel et l’organisation de la paix

(droit constitutionnel de la paix), in: RECUEIL DES COURS, III, 45, 1933, 676-773. 95 Union Interparlementaire, S. 422. 96 Ebd., S. 421-22, Anm. 69. Diesen Vorbehalt könnte man auch heute im Hinblick auf Artikel 9 der Japani-

schen Verfassung von 1947 geltend machen, ohne die Verfassung ändern zu müssen. Vgl. Wehberg, Aech-tung des Krieges, S. 149: „Kein Zweifel, dass eine gute Formulierung der Ächtung des Krieges, die in die Verfassungen aller Staaten aufgenommen werden kann, nicht leicht ist.“

97 Archiv beim Auswärtigen Amt, Tôkyô (Gaikô shiryôkan), Dokumente zur japanischen Teilnahme an den IPU-Konferenzen, MT 2.9.2.6 (bankoku giin kaigi kanken zassan) vol.3, März 1922 bis Januar 1926. Es er-gibt sich im Effekt ein universaler Anspruch des Friedensverfassungsrechts.

98 Wehberg, Aechtung des Krieges, S. 35. 99 Wehberg, Aechtung des Krieges, S. 39. 100 Walther Schücking, Das Genfer Protokoll, Frankfurt, M. 1924, S. 3-4. (Hervorhebung bei Schücking) 101 Leider wurde die Erreichung dieses Zieles dadurch beeinträchtigt, dass Deutschland dem Washingtoner

Vertrag, im Hinblick auf China (Neunmächtevertrag) nicht beitrat. Klaus Schlichtmann, Japan, Germany and Shidehara Diplomacy, in: THE JOURNAL OF INTERNATIONAL STUDIES (Tokyo), no.41, January 1998, S. 9, mit Quellenangaben.

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res Bündnis in Fernost102 konnten den herannahenden Krieg nicht verhindern. Insgesamt kam es – eigentlich bis heute –zu keiner Einigung und zu keinem Durchbruch.103

Reflexionen

„Wir müssen an den Sieg der Vernunft glauben, um überhaupt etwas auf Erden leisten zu können.“104

Schücking hatte einen unbeugsamen, „absoluten Willen zur Gerechtigkeit“,105 der auch in sei-ner Tätigkeit als Richter am Weltgerichtshof zum Ausdruck kam. Dabei stand er dem Rechts-positivismus, wie auch der historischen Rechtsschule, kritisch gegenüber. Das positive Recht war für sich genommen keine hinreichende Grundlage oder Quelle der Jurisprudenz. Ja, die in Deutschland vorherrschende Lehre des Rechtspositivismus „hinderte nach Schückings Mei-nung die Jurisprudenz daran, ihre eigentlichen Pflichten zu erfüllen.“106 Schücking wandte sich dagegen, „nur die ,normative Kraft des Faktischen‘ als normsetzende Macht“ anzuerkennen. Wie sein Lehrer Ludwig von Bar ein „linksliberaler Kritiker des juristischen Positivismus“,107 wollte er dem Staat nicht die Kompetenz absprechen, Recht zu schöpfen, denn „[s]olange jene naturrechtlichen Vorstellungen nicht irgendeinen gesetzlichen Niederschlag gefunden haben [...] stehen sie für den Juristen nur de lege ferenda zur Erwägung, positives Recht aber sind sie nicht. Denn alles positive Recht ist nur Ausfluss staatlicher Ordnung, alle Rechtsordnung be-ruht auf dem Staatswillen.“108 Positives Recht besaß Geltung nicht allein deswegen, weil es ge-setztes Recht war, sondern nur, wenn es zugleich Ausdruck der übergeordneten Wahrheit und Gerechtigkeit war, die den Erfordernissen der Zeit entsprach. Um Wirksamkeit zu entfalten, mussten seine Grundlagen immer wieder neu gefunden und das Recht neu geschöpft werden. Auch „die reine Rechtswissenschaft [dürfe] nicht auf die Betrachtung de lege ferenda verzich-ten.“109 Dass gerade in Deutschland der Wille nicht vorhanden war, das den äußeren und inne-ren Erfordernissen des Staates sowie der Völkergemeinschaft entsprechendes Recht zu schaf-fen, kam einer Tragödie gleich.

Die deutsche Politik, besonders die Außenpolitik, beruhte deshalb auf einer Fehlkalkula-tion, weil sie diese höheren Maßstäbe und Notwendigkeiten nicht erkannte und nur den Staat als oberstes Prinzip und Ordnungsträger guthieß. Eindeutig hatte „die Wissenschaft des Aus-landes nicht dieselbe reaktionäre Haltung eingenommen“110 und sah stattdessen „die ungeheu-re Kulturbedeutung der pazifistischen Bewegung und arbeitete mit ihr Hand in Hand.“111 So blieb es notwendiger- wenn auch bedauerlicherweise für Deutschland eine „Aufgabe der Zu-kunft [...] das nationale Ideal mit dem internationalen zu vereinen.“ Ein Versagen in dieser so

102 Klaus Schlichtmann, Ein fernöstliches Locarno ? Japanische Vorschläge für ein regionales Sicherheitsbündnis

in den dreißiger Jahren, in : Werner Schaumann (Hrsg.), Japans Kultur der Reformen. Referate des 6. Japanolo-gentages der OAG in Tokyo, München 1999, S. 103-115.

103 Vgl. Wehberg, Walther Schücking und das Problem, S. 544: „Heute ist die Idee der internationalen Organi-sation in stärkerem Maße verwirklicht [...] Und doch, wie weit sind wir noch von der wahren Sicherung des Friedens entfernt!“

104 Walther Schücking, Was heißt Pazifismus?, in: DIE FRIEDENS-WARTE 1935, S. 2, zit. bei Acker, Walther Schücking, S. 205.

105 Acker, Walther Schücking, S. 203. 106 Acker, Walther Schücking, S. 13. 107 Acker, Walther Schücking, S. 15. 108 Walther Schücking, Der Staat und die Agnaten, Jena 1902, S. 28, bei Acker, Walther Schücking, S. 15, Fn. 15. 109 Schücking, Neue Ziele der staatlichen Entwicklung, S. 11. 110 Und weiter: „ [...] die deutsche Wissenschaft trägt einen guten Teil Schuld daran [...] von einigen Äußerun-

gen abgesehen (überwogen) die Meinungen eines kleinlichen Pessimismus.“ Schücking, Organisation der Welt, S. 68.

111 Organisation der Welt, S. 66.

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wichtigen Angelegenheit brächte allerdings die Gefahr mit sich, dass „es uns so gehen [könn-te] wie jenen Einzelstaaten in Deutschland, die überrannt worden sind, weil sie sich gegen den nationalen Gedanken sperrten.“112 Auch die deutsche Presse hatte im Hinblick auf die Frie-denskonferenzen durchweg eine negative Rolle gespielt und „dadurch die öffentliche Meinung beherrscht“, dass sie „die öde Phrase“ verbreitet habe, „man habe im Haag nur leeres Stroh gedroschen.“113

Es sei zudem im höchsten Maße widersprüchlich, dass die meisten Menschen „zwar die furchtbaren Rüstungsausgaben beklagen,“ darin aber „eine Versicherungsprämie gegen den Krieg [sähen] [...], die man nun einmal zahlen müsse“114 – eine ‚falsche‘ These, die er in Der Bund der Völker entlarvt:

„Zunächst ist es höchst seltsam, dass diese These von der Unvermeidlichkeit der ganzen Katastrophe in erster Linie gerade von denen vertreten wird, die immer auf die Vorzüge des Systems des Wettrüstens geschworen und behauptet haben, dass man sich dadurch den Frieden in Europa bewahre. Nur zwei Möglichkeiten sind gegeben: Entweder jene berühmte Theorie von der Versicherungsprämie in Gestalt von 10 Milliarden Mark, die in Europa jährlich für das Wettrüsten ausgegeben worden, war richtig, dann kann es höchstens eine unglückselige Verkettung von besonderen Umständen gewesen sein, die zum Kriege geführt hat, aber eine zwingende innere Notwendigkeit für die Weltkata-strophe liegt nicht vor, oder aber gerade jenes System des Wettrüstens, bei dem ein Pulverfass neben dem anderen aufgestellt wurde, war falsch [...]“

Und er fährt fort:

„Aber auch wenn man den Kern des Übels in der europäischen Anarchie, dem Geiste des Imperialismus und dem Wettrüsten mit der daraus resultierenden wechselseitigen Angst vor dem Überfall sah, dann brauchte dieser Krieg doch nicht unbedingt zu kom-men, weil ja schon die Ansätze vorhanden waren, um dieses ganze System zu überwin-den und durch ein neueres und besseres zu ersetzen, das für das Zeitalter der Weltwirt-schaft auch die politische Organisation der Kulturwelt bringen sollte, und weil auch in Deutschland Ansätze gegeben waren, um den bisher gerade von hier aus gegen jene Idee geleisteten Widerstand zu überwinden.“115

In seinem Buch Internationale Rechtsgarantien hatte Schücking 1918 die während des Krieges entwickelten pazifistischen Ansätze veröffentlicht und die ersten Rechtsgrundsätze zur Frie-densverfassung formuliert. Unter dem Stichwort „Parlamentarische Mitwirkung“ schreibt er, die Staaten sollten „Bestimmungen in ihre Verfassungen aufnehmen“ und „zum Zwecke der Kriegsverhütung [...] formell in die nationale Rechtsordnung einverleib[en]“116 – zunächst nur, um bei Kriegserklärungen das Parlament zu befassen, später um den Krieg generell zu verbie-ten und die für die Organisation des Friedens notwendigen Hoheitsbeschränkungen vorzu-schreiben.

Schücking vertrat, wie Johann Kaspar Bluntschli,117 die Auffassung, dass neben anderen in-ternationalen Einrichtungen ein „Völkerparlament“ geschaffen werden solle. 118 Er ‚tadel-

112 D.h. vor Bismarcks Reichseinigung. Schücking, Organisation der Welt, S. 5. 113 Schücking, Organisation der Welt, S. 67. 114 Schücking, Organisation der Welt, S. 76. 115 Schücking, Bund der Völker, S. 250. 116 Walther Schücking, Internationale Rechtsgarantien, Ausbau und Sicherung der zwischenstaatlichen Beziehun-

gen, Hamburg 1918, S. 90. 117 S. dazu den Aufsatz von Stefan Hobe, Das Europakonzept Johann Kaspar Bluntschlis vor dem Hintergrund seiner

Völkerrechtslehre, in: ARCHIV DES VÖLKERRECHTS, Bd.31, H.4, 1993, 367-79.

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te‘ Bluntschli jedoch, wenn jener glaubte, „seine Organisation auf Europa beschränken zu können“.119 Schon allein die weltweiten Verflechtungen des internationalen Handels ließen ei-ne solche Beschränkung nicht zu.

„[W]eil die führenden Staaten Europas gar so viele außereuropäische Interessen besitzen, erscheint es m.E. heute völlig ausgeschlossen, in Europa einen Staatenbund zustande zu bringen, ohne dass gleichzeitig die Welt organisiert würde.“

Das Beispiel des russisch-japanischen Krieges zeige, dass „nur ein wirklich obligatorisches Weltschiedsgericht“ den „Konflikt zwischen Russland und Japan in Ostasien hätte [...] beilegen können.“120 Außereuropäische Interessen könnten zu Konflikten führen, die, wenn sie vermieden oder gelöst werden sollten, einer Regelung bedürfen, die nicht auf Europa beschränkt ist. Das „europäische Organisationsproblem“ habe sich „längst erweitert zum Problem der Weltorganisation.“ 121 Was hätte Schücking wohl zum modernen Interventionsrecht gesagt?122

Zweifellos stand Schückings „rechtlich-organisatorische Richtung“ 123 im Gegensatz zum ,utopischen‘ Pazifismus, der wie der Anarchismus auf staatliche Einrichtungen, Gesetze und Sanktionen verzichten wollte.124 Schücking glaubte „persönlich [...] an eine Entwicklung vom Weltstaatenbund zum Weltbundesstaat“;125 dabei vertrat er zugleich die Idee der „Einheit in der Vielfalt“, die er für Deutschland glaubte, auf die „germanische Staatsidee“ zurückführen zu können.126 118 Schücking, Der Staatenverband der Haager Konferenzen, S. 298: „Die Struktur des Haager Staaten-

verbandes als eines Weltstaatenbundes wird auch die Erreichung eines anderen Zieles ermöglichen, nämlich die Einsetzung einer parlamentarischen Vertretung der Kulturvölker, die jedes Mal der Haager Konferenz zur Seite zu treten hätte und zweckmäßig aus Delegationen der Parlamente der Vertragsstaaten bestände.“

119 Schücking, Die Organisation der Welt, S. 64. „Ein europäischer Kreis [...] hätte m.E. durchaus keine Aus-sicht auf Erfolg. So etwas wäre gut gewesen vor hundert Jahren. Jetzt aber, wo die Europäisierung über-seeischer Länder schon ziemlich weit fortgeschritten ist, würde ein europäischer Staatenverband einen Anachronismus bedeuten. Wir müssen gleich alle anderen Staaten dabei haben. Der Krieg ist auch nicht auf Europa beschränkt.“ Organisation pour une Paix durable. Compte Rendu de la Réunion Internationale, 7-10 Avril 1915, La Haye, S. 21, zit. in Wehberg, Walther Schücking und das Problem, S. 540.

120 Meine Hervorhebung im Zitat. Schücking, Organisation der Welt, S. 64. Auch Immanuel Kant hatte schon die „Erreichung des großen Zieles [...] von der fortschreitenden Entwicklung der Handelsbeziehungen (erwartet).“ Ebd., S. 55.

121 Ebd., S. 65. Am 27. September 2000 hat der Europarat im Hinblick auf die Vereinten Nationen empfohlen, „die Entwicklung einer parlamentarischen Dimension – mitähnlichen Kompetenzen, wie sie die Parlamen-tarische Versammlung des Europarats besitzt“, ins Auge zu fassen. Hartmut Hausmann, Parlamentarische Dimension entwickeln. Europarat will Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen stärken, DAS PARLAMENT, Nr. 41/42, 6./13.10.2000.

122 Jörg Fisch, The Role of International Law in the Territorial Expansion of Europe, 16th-20th Centuries, ICCLP REVIEW, vol. 3, no. 1 (March 2000), S. 12-13: “[…] interventions would be allowed only for reasons that have been fully approved by the international community and that these interventions would be executed only by the international community itself, not by single states or particular groups of states or alliances.[…] the decision for interventions has to be taken democratically, according to the principle of proportional representation of the individuals instead of the extremely undemocratic principle ,one state, one vote‘. […] [However,] instead of an arbitrary right to intervene there would be a duty to intervene in cases fully speci-fied, while intervention would be categorically prohibited in all other cases.“

123 Münch, Walther Schücking, S. 474. Acker, Walther Schücking, S. 37: „Der Terminus ,Internationale Orga-nisation‘ (wurde) in Deutschland zuerst von Walther Schücking gebraucht.“ Und ebd., S. 199: „der von Walther Schücking repräsentierte organisatorische Pazifismus [...]“

124 Der Unterschied dieser beiden Richtungen wurde beispielsweise auch in Japan früh erkannt: „Ebenso wie der wissenschaftliche Sozialismus von Marx dem utopischen Sozialismus folgte, so sollte der wissenschaftli-che Pazifismus (kagakuteki heiwashugi) [...] dem utopischen Pazifismus von [Woodrow] Wilson folgen.“ Takanobu Murobase, Kôwakaigi ni okeru kakkoku no shuchô to sono hihan (Ansprüche und Kritiken der ver-schiedenen Regierungen auf der Friedenskonferenz), in: CHÛÔ KÔRON, vol.xxxiv, no.6, Juni 1919, S. 63. Übers. nach Kimitada Miwa, Japanese Opinion on Woodrow Wilson in War and Peace, in: MONUMENTA NIPPONICA, vol.xxii, no.3-4, 1967, S. 388.

125 Schücking, Organisation der Welt, S. 82. 126 Schücking, Organisation der Welt, S. 84; Neue Ziele der staatlichen Entwicklung, S. 25ff.

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Schluss

Schücking „griff in wesentlichen Punkten in die Zukunft voraus“;127 er erkannte die Notwen-digkeit, den Frieden zu organisieren und durch wirksame Institutionen dauerhaft zu sichern. Hans Wehberg (1885-1962), der langjährige Mitarbeiter und Freund, fand Schücking war der „vielleicht [...] größte unter den lebenden Völkerrechtslehrern des Deutschen Reiches“ und bemerkte, „niemand hat sich wie er [so] offen als Pazifist bezeichnet.“128 Leider konnte, wie Ulrich Scheuner aufgezeigt hat, in Deutschland nach 1945 „das Werk Schückings [...] in seiner Grundrichtung keine eigentliche Aufnahme finden.“ 129 Der Grund ist, wie Jost Delbrück schreibt, dass „die politische Wirklichkeit in Deutschland“ historisch gesehen „vornehmlich von der von Hegel beeinflussten machtstaatlichen ‚Realpolitik‘ geprägt gewesen (war), die dem Gedanken einer ‚internationalistischen‘ Friedensordnung mit Skepsis begegnete.“130

Frank Bodendiek kommt in seiner Kieler Dissertation zu dem Schluss, dass „das Werk Schückings in der heutigen Zeit nicht nur im Hinblick auf das wissenschaftliche Ethos [...] [w]egweisend“ sei.131 Wie aktuell Schückings Gedanken sind, zeigt die Balkanfrage. Die Strei-tigkeit zwischen Österreich und Serbien vor dem 1. Weltkrieg hätte beigelegt werden können, wenn „im Auftrage des Haager Staatenverbandes eine internationale Kontrollkommission“ wirksam ge-worden wäre, wie sie schon „in verschiedenen anderen Fällen auf dem Balkan [...] erfolg-reich“ war. Serbien hatte die Einrichtung „einer dauernden österreichischen Überwachungs-kommission gegen die großserbischen Umtriebe“ abgelehnt und wollte „das Haager Schieds-gericht [...] über diese Frage entscheiden“ lassen. Schücking hielt zunächst Untersuchung und Vermittlung für wirksamer, war aber auch einer schiedsrichterlichen Regelung nicht abgeneigt. Die Wirkung (friedens)politischen Handelns hängt von den Mitteln ab, welche die Staaten-gemeinschaft bereit ist, anzuwenden. Nach Schückings völkerrechtlichen Vorstellungen jeden-falls „wäre der ganze furchtbare [Erste Welt-]Krieg vermieden“ worden, wenn man diesen Weg eingeschlagen hätte.132

Das ganze „Problem der Aufrechterhaltung des Friedens“, so ist bei Carl Schmitt zu lesen, beschränke sich auf drei Problemfelder: Abrüstung, Sicherheit und internationale Gerichtsbar-keit (die er jedoch selbst nicht befürwortete). Dabei setzte England (MacDonald) auf „Schieds- und Vergleichsverfahren“, während Frankreich darauf bestand, dass man „erst eine unbedingte [kollektive] Sicherheit haben müsse, ehe man an Abrüstung und vorbehaltlose Schiedsgerichtsbarkeit denken könne.“133 Sollte es nicht möglich sein, heute die französischen 127 Ulrich Scheuner, Die internationale Organisation der Staaten und die Friedenssicherung – Zum Werk Walther

Schückings (1875-1935), in: DIE FRIEDENS-WARTE 58, 1-2, 1975, S. 9. 128 Wehberg, Walther Schücking, S. 65. 129 Scheuner, Die internationale Organisation, S. 9. 130 Jost Delbrück, Deutschland und die Vereinten Nationen – Rundschau und Perspektiven, in: Ernst Koch, Die

Blauhelme. Im Einsatz für den Frieden, Frankfurt, M. und Bonn 1991, S. 212. Und ebd., S. 13: „Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Aussichten für eine nachhaltige Einstellungsänderung [...] gegenüber einer friedenssichernden Weltorganisation nicht positiv.“ Vielleicht zeichnet sich heute, ange-sichts der globalen Krise (die zugleich neue Chancen eröffnet) ein Wandel ab.

131 „Auch inhaltlich dürften die Forschungsergebnisse Schückings der heutigen Völkerrechtslehre noch An-stöße bieten.“ Bodendiek, Walther Schückings Konzeption, S. 311.

132 Schücking, Weltfriedensbund, S. 18-9. S. dazu ausführlich Schücking, Völkerrechtliche Lehre, S. 25ff. 133 Carl Schmitt, Der Völkerbund und das politische Problem der Friedenssicherung, Leipzig und Berlin 1930, S. 12. Wie

Bodendiek, Walther Schückings Konzeption, S. 281, richtig feststellt, war Schückings völkerrechtlicher Ent-wurf „weitaus umfassender als die Maßnahmebündel zur Friedenssicherung, die in den zwanziger Jahren in der internationalen Öffentlichkeit [...] diskutiert wurden.“ Es ist jedoch fraglich, ob „Schückings System der Friedenssicherung [...] der Sache nach als System der kollektiven Sicherheit im heutigen Sinne dieses Begriffs angesehen werden“ kann. Wie z.B. auch die japanische Diskussion deutlich zeigt, ist ein solches umfassendes System nicht einfach mit einem System der kollektiven Selbstverteidigung (Artikel 51, UNO-Charta) gleichzu-setzen. In dem Zusammenhang ist ebenso unannehmbar Bodendieks Auffassung, ebd., S. 282, dass eine

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und britischen Bedingungen zu erfüllen? Damals wurde „die Abrüstungsfrage auf viele Jahre zurückgestellt, da die Bemühungen des Völkerbundes um ein kollektives Sicherheitssystem ohne Erfolg blieben.“134 Auch heute wird, trotz positiver Anzeichen verstärkter internationaler Zusammenarbeit – zugleich aber auch, verglichen mit den Problemen vor dem Ersten Welt-krieg, angesichts eines gewaltig angewachsenen Komplexes globaler Notstände –, die Frage nach einer wirksamen internationalen Friedensordnung nicht auf die Tagesordnung der Welt-politik gesetzt. Politiker – und noch mehr ihre akademischen Berater – haben oft ‚Schwierig-keiten beim Denken des Möglichen‘, wenn es darum geht, konkrete Schritte zur Errichtung einer rechtsverbindlichen Weltfriedensordnung ins Auge zu fassen.135

Das Beispiel der internationalen Gerichtsbarkeit zeigt, dass die Erfahrung des Krieges noch nicht die notwendigen politischen Entscheidungen gebracht und die Politik bislang wenig be-einflusst hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde „den Vereinten Nationen in der Völker-rechtslehre der Bundesrepublik, die ihren Blick in erster Linie der europäischen Zusammenar-beit zuwandte, keine besondere Aufmerksamkeit zuteil [...] Hier liegt auch der Grund, weshalb das Werk Schückings nach 1945“ auf die deutsche Außenpolitik keinen Einfluss hatte.136 Ange-sichts der Tatsache, dass zwei Weltkriege und Hunderte von kleinen Kriegen und Stellvertre-terkriegen noch nicht den verantwortungsethisch gebotenen Sinneswandel herbei geführt ha-ben, muss man verzweifeln. Die Hoffnung liegt – wie Schücking nicht müde wurde, aufzuzei-gen – in dem, was schon erreicht ist. Unsere demokratischen Institutionen erlauben, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Internationale Organisation und ihr wirksames Funkti-onieren gesetzgeberisch tätig wird. Das ist ein Grund zur Hoffnung. „Die Hauptsache“, sagt Schücking, „ist, dass wir auf den richtigen Weg kommen, auf den Weg des Rechtes statt der Gewalt.“137 Dr. Klaus Schlichtmann, Nakakayama 452-35, Hidaka city, Saitama-ken, 350-1232 Japan

„obligatorische friedliche Streitbeilegung [...] nach modernem Verständnis nicht [...] notweniger Bestandteil eines kollektiven Sicherheitssystems“ sei.

134 Acker, Walther Schücking, S. 196. 135 Der Pazifismus, auch der Schückings, besitzt heute ‚realpolitisch‘ weiterhin einen negativen Stellenwert. 136 Ulrich Scheuner, Die internationale Organisation, S. 9. 137 Schücking, Die Organisation der Welt, S. 64.