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1 Einleitung Die Wertschöpfung oder Produktion ei- ner Bank besteht aus Risikotransforma- tion. Banken transformieren in erster Linie Bonitäts- und Marktpreisrisiken. Markt- preisrisken sind vor allem Wechselkurs-, Aktien- und Zinsrisiken. Jede Investitions- entscheidung im Zusammenhang mit Marktpreisrisiken ist eine Entscheidung unter Unsicherheit. Risiken und Chancen sind in arbitragefreien Märkten immer zwei Seiten einer Medaille. Aus Sicht des mit der Steuerung von Marktpreisrisiken und Chancen befaßten Handels stellt sich das Kursprognoseproblem letztendlich als ein Mustererkennungsproblem vergange- ner Kursverläufe dar. Einmalige Ereignis- se, sogenannte Informationsschocks, sind nicht prognostizierbar. In der Praxis verwenden Händler heu- ristische Verfahren wie Gleitende Durch- schnitte oder andere Chart-Techniken zur Kursvorhersage. Demgegenüber finden sich in der neueren Literatur viele Beiträge zur Verwendung mathematischer Model- le. Diese werden überwiegend zur langfri- sten Vorhersage von Zins- und Währungs- zeitreihen auf Monatsbasis konzipiert und weniger für die Tages- oder Intraday-Pro- gnose im Handelsbereich einer Bank. Aus- gehend von diesem Befund kooperiert die Landesbank Hessen-Thüringen seit eini- gen Jahren mit dem Institut für Logik, Komplexität und Deduktionssysteme der Universität Karlsruhe, dem Physikalischen Institut der Universität Frankfurt und der Georg-August-Universität in Göttingen. Im folgenden möchten wir unsere Erfah- rungen bei der Entwicklung und dem Ein- satz mathematischer Verfahren erläutern. Wir werden dabei insbesondere auf ein neues, der Evolutionstheorie angelehntes Verfahren eingehen, den sogenannten „Competing-Experts“. Die Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung der letzten zehn Jahre ermöglichte es, erstmalig große Daten- mengen in sehr kurzer Zeit mittels kom- plexer Algorithmen zu verarbeiten. Damit einhergehend wuchs die Bedeutung der numerischen Mathematik und die Erfah- rung in ihrer praktischen Anwendung. Diese Entwicklung ermöglichte den Ein- satz von mathematischen Modellen zur Kusprognose. Stellvertretend für eine Vielzahl unter- schiedlicher Verfahren seien hier die Neu- ronalen Netze erwähnt, welche Erkennt- nisse der Hirnforschung in einem mathe- matischen Modell abbilden. Wurden diese in den 70er Jahren vornehmlich auf hoch- strukturierte Daten, wie beispielsweise in der Bildverarbeitung angewendet, so tritt in jüngerer Zeit verstärkt die Analyse von Zeitreihen in den Vordergrund. Zu diesen zählen unter anderem Erdbebendaten, Zeitreihen der Herztätigkeit und Finanz- zeitreihen. Neuronale Netze üben nicht zuletzt durch ihr biologisches Vorbild eine gewissen Faszination aus. Man sollte darüber aber nicht vergessen, daß es sich dabei schlicht um ein nichtlineares statisti- sches Verfahren handelt, wenn auch ein sehr flexibles und robustes [Ande96; RiMa91]. 2 Einige terminologische Vorbemerkungen Die zeitliche Entwicklung des Kurses ei- nes Finanzproduktes sei allgemein als Zeit- reihe bezeichnet. Diese wird durch eine Menge von Einflußfaktoren von unter- schiedlicher und wechselnder Bedeutung bestimmt, welche wir im folgenden als Prozeß bezeichnen, der die Zeitreihe er- zeugt. Der Prozeß, der an den internatio- nalen Finanzmärkten jeden Tag für das Zu- standekommen von Kurszeitreihen sorgt, ist aufgrund der Komplexität der Marktdy- namik nur unvollständig abbildbar. Daher benötigt man ein Vorhersagemodell zur Prognose des zukünftigen Verlaufes einer Kurszeitreihe [Podd96]. Ein sehr einfaches Vorhersagemodell würde beispielsweise prognostizieren, daß sich das Kursniveau in Zukunft nicht ändert. Allgemein bezeichnen wir als (mathe- matisches) Vorhersagemodell ein spezifi- sches Vorhersageverfahren, welches auf der Basis von neuronalen Netzen, statisti- schen Modellen oder sonstigen mathema- tischen Verfahren eine Prognose einer Zeitreihe vornimmt. Wir bezeichnen als Modellstruktur die spezifische „Architek- tur“ und Größe des Modells. Ein wichtiges Modellstrukturmerkmal ist, ob es sich um ein lineares oder ein nichtlineares Modell, wie beispielsweise ein Neuronales Netz handelt. 132 Analyse von Kurszeitreihen mit Künstlichen Neuronalen Netzen und Competing Experts Frank Heyder, Stefan Zayer WI – Schwerpunktaufsatz WIRTSCHAFTSINFORMATIK 41 (1999) 2, S. 132 – 137 Frank Heyder, Aquila Consult Unterneh- mensberatung GmbH, Bethmannhaus, Friedberger Landstr. 8, D-60316 Frankfurt am Main Stefan Zayer, Landesbank Hessen- Thüringen, Neue Mainzer Str. 46-50, D-60297 Frankfurt am Main

Analyse von Kurszeitreihen mit Künstlichen Neuronalen Netzen und Competing Experts

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1 Einleitung

Die Wertschöpfung oder Produktion ei-ner Bank besteht aus Risikotransforma-tion. Banken transformieren in erster LinieBonitäts- und Marktpreisrisiken. Markt-preisrisken sind vor allem Wechselkurs-,Aktien- und Zinsrisiken. Jede Investitions-entscheidung im Zusammenhang mitMarktpreisrisiken ist eine Entscheidungunter Unsicherheit. Risiken und Chancensind in arbitragefreien Märkten immerzwei Seiten einer Medaille. Aus Sicht desmit der Steuerung von Marktpreisrisikenund Chancen befaßten Handels stellt sichdas Kursprognoseproblem letztendlich alsein Mustererkennungsproblem vergange-ner Kursverläufe dar. Einmalige Ereignis-se, sogenannte Informationsschocks, sindnicht prognostizierbar.

In der Praxis verwenden Händler heu-ristische Verfahren wie Gleitende Durch-

schnitte oder andere Chart-Techniken zurKursvorhersage. Demgegenüber findensich in der neueren Literatur viele Beiträgezur Verwendung mathematischer Model-le. Diese werden überwiegend zur langfri-sten Vorhersage von Zins- und Währungs-zeitreihen auf Monatsbasis konzipiert undweniger für die Tages- oder Intraday-Pro-gnose im Handelsbereich einer Bank. Aus-gehend von diesem Befund kooperiert dieLandesbank Hessen-Thüringen seit eini-gen Jahren mit dem Institut für Logik,Komplexität und Deduktionssysteme derUniversität Karlsruhe, dem PhysikalischenInstitut der Universität Frankfurt und derGeorg-August-Universität in Göttingen.Im folgenden möchten wir unsere Erfah-rungen bei der Entwicklung und dem Ein-satz mathematischer Verfahren erläutern.Wir werden dabei insbesondere auf einneues, der Evolutionstheorie angelehntesVerfahren eingehen, den sogenannten„Competing-Experts“.

Die Entwicklung der elektronischenDatenverarbeitung der letzten zehn Jahreermöglichte es, erstmalig große Daten-mengen in sehr kurzer Zeit mittels kom-plexer Algorithmen zu verarbeiten. Damiteinhergehend wuchs die Bedeutung dernumerischen Mathematik und die Erfah-rung in ihrer praktischen Anwendung.

Diese Entwicklung ermöglichte den Ein-satz von mathematischen Modellen zurKusprognose.

Stellvertretend für eine Vielzahl unter-schiedlicher Verfahren seien hier die Neu-ronalen Netze erwähnt, welche Erkennt-nisse der Hirnforschung in einem mathe-matischen Modell abbilden. Wurden diesein den 70er Jahren vornehmlich auf hoch-strukturierte Daten, wie beispielsweise inder Bildverarbeitung angewendet, so trittin jüngerer Zeit verstärkt die Analyse vonZeitreihen in den Vordergrund. Zu diesenzählen unter anderem Erdbebendaten,Zeitreihen der Herztätigkeit und Finanz-zeitreihen. Neuronale Netze üben nichtzuletzt durch ihr biologisches Vorbildeine gewissen Faszination aus. Man solltedarüber aber nicht vergessen, daß es sichdabei schlicht um ein nichtlineares statisti-sches Verfahren handelt, wenn auch einsehr flexibles und robustes [Ande96;RiMa91].

2 Einige terminologischeVorbemerkungen

Die zeitliche Entwicklung des Kurses ei-nes Finanzproduktes sei allgemein als Zeit-reihe bezeichnet. Diese wird durch eineMenge von Einflußfaktoren von unter-schiedlicher und wechselnder Bedeutungbestimmt, welche wir im folgenden alsProzeß bezeichnen, der die Zeitreihe er-zeugt. Der Prozeß, der an den internatio-nalen Finanzmärkten jeden Tag für das Zu-standekommen von Kurszeitreihen sorgt,ist aufgrund der Komplexität der Marktdy-namik nur unvollständig abbildbar. Daherbenötigt man ein Vorhersagemodell zurPrognose des zukünftigen Verlaufes einerKurszeitreihe [Podd96]. Ein sehr einfachesVorhersagemodell würde beispielsweiseprognostizieren, daß sich das Kursniveauin Zukunft nicht ändert.

Allgemein bezeichnen wir als (mathe-matisches) Vorhersagemodell ein spezifi-sches Vorhersageverfahren, welches aufder Basis von neuronalen Netzen, statisti-schen Modellen oder sonstigen mathema-tischen Verfahren eine Prognose einerZeitreihe vornimmt. Wir bezeichnen alsModellstruktur die spezifische „Architek-tur“ und Größe des Modells. Ein wichtigesModellstrukturmerkmal ist, ob es sich umein lineares oder ein nichtlineares Modell,wie beispielsweise ein Neuronales Netzhandelt.

132

Analyse vonKurszeitreihenmit KünstlichenNeuronalen Netzenund Competing Experts

Frank Heyder, Stefan Zayer

WI – Schwerpunktaufsatz

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 41 (1999) 2, S. 132 – 137

Frank Heyder, Aquila Consult Unterneh-mensberatung GmbH, Bethmannhaus,Friedberger Landstr. 8, D-60316 Frankfurtam MainStefan Zayer, Landesbank Hessen-Thüringen, Neue Mainzer Str. 46-50,D-60297 Frankfurt am Main

Entscheidend für die Qualität einesVorhersagemodells ist die eindeutige Un-terscheidung von Trainings-, Test-, Vali-dierungs- und Prognosezeitraum. Ein sol-ches Modell beinhaltet eine Menge von Pa-rametern, die in einem Trainingszeitraumoptimal an bestimmte Inputfaktoren ange-paßt werden. In der Regel gehört zu die-sen Inputfaktoren eine Auswahl der ver-gangenen Zeitreihenwerte sowie sonstigevergangene Marktdaten. Die Anpassungkann als Optimierungsprozeß verstandenwerden, welcher in den Test- und Validie-rungszeiträumen immer wieder auf seinePrognosefähigkeit überprüft wird. Das fer-tige Modell muß sich anschließend in dereigentlichen Prognose von „frischen“Kurswerten in einem „Echtzeit-Test“ be-währen. Die Gefahr beim Anpassen einesModells liegt im „Auswendiglernen“ derDaten des Trainingszeitraumes. Beginntein Vorhersagemodell die Testzeitreiheauswendig zu lernen, so verschlechtertsich die Prognosequalität im Validierungs-oder Prognosezeitraum. Zur Vermeidungdieses Problems ist es empfehlenswert,mehrere Valutierungszeiträume mit „fri-schen Daten“ vorzusehen, auf die man einfertiges Modell anwendet, um eine Ab-schätzung der Prognosefähigkeit auf demPrognosezeitraum zu erhalten. Die Vali-dierungsdaten sind somit als quasi-Ein-wegdaten zu verstehen, die nur einmal zurMessung des Modells verwendet werdendürfen. Die Qualität eines Vorhersagemo-dells kann schlußendlich nur im Rahmeneines Einsatzes im Handel geprüft werden;alle Angaben über die Qualität der Progno-se auf Test- oder Validierungszeiträumestellen nur eine Abschätzung dar.

3 Die Beurteilung derQualität einesPrognoseverfahrens

Die Performance oder Qualität eines Pro-gnoseverfahrens läßt sich durch eine Rei-he von Kennzahlen ermitteln. Die ent-scheidenden Größen sind hierbei die Län-ge des Prognosezeitraums und die Volatili-tät der vorherzusagenden Zeitreihe. Umein statistisch signifikantes Urteil über dieQualität der Prognose abzugeben, ist einehinreichend große Anzahl von Prognosennotwendig. Vorhersagen über einen Zeit-raum von einem Monat oder länger sindproblematisch, da man zur Beurteilung

des Verfahrens im Rahmen eines Echtzeit-einsatzes im Handel Jahre benötigt, umeine statistisch signifikante Aussage tref-fen zu können. Beispielsweise benötigtman zur Beurteilung einer 3-Monatspro-gnose eines Kurses etwa 25 Jahre, wennman davon ausgeht, daß 100 echte Perfor-mance-Beobachtungen notwendig sind.Als praktikabel halten wir daher vor allemTagesprognosemodelle, die im Echtzeit-einsatz nach etwa 3 bis 6 Monaten ver-nünftig beurteilt werden können.

In der Literatur hat sich bisher nochkein einheitliches Verfahren der Perfor-mance-Messung durchgesetzt. Ein häufigverwandtes Maß ist die Trefferquote beiSteigt-/Fällt-Prognosen oder die annuali-

sierte Rendite einer Investition auf Basisder Prognoseempfehlung des Modells. DieProblematik bei der Verwendung vonTrefferquoten ist, daß große und kleineKursveränderungen gleich gewichtet wer-den. Die annualisierte Rendite erlaubt ei-nen sinnvollen Performance-Vergleichnur für verschiedene Prognosesystemeder gleichen Zeitreihe. Ein gutes Maß fürdie Performance ist daher die Entwicklung

der kumulierten Erträge wie sie in Bild 1dargestellt ist. Die Erträge erfolgen in die-sem Beispiel mit einer gewissen Kontinui-tät, die sich durch die Schwankungsbreiteum die Trendgerade ausdrücken lassen.

Ein produktübergreifender Vergleichvon Prognosesystemen, die für unter-schiedliche Zeitreihen entwickelt wur-den, ist allerdings auch auf Basis der ku-mulierten Erträge problematisch, da die

unterschiedlichen Volatilitäten der zu-grunde liegenden Zeitreihen und damitdas maximal mögliche Ertragspotentialnicht berücksichtigt werden. Als ein gutgeeignetes Maß zum produkt- und markt-unabhängigen Vergleich hat sich die Weg-strecke bewährt. Sie mißt den prozentua-len Ergebnisanteil am theoretisch mögli-chen Ergebnis über den Einsatzzeitraumhinweg:

( ) ( ) ( )[ ]( ) ( )

Wegstrecke

Signal t Kurs t

Kurs t

T

=

⋅ + −

+ −

=∑t

Kurs t

Kurs t

1

1

1t

T

=∑

1

Dabei bezeichnet das Signal(t) die Steigt-/Fällt-Prognose des Vorhersagemodells.Das theoretisch mögliche Ergebnis stelltden maximalen Gewinn unter der Annah-me perfekter Prognose dar. Die Wegstre-cke bezeichnet somit den prozentualenAnteil am theoretisch möglichen Gewinn.Darüber hinaus ist die Stabilität (Standard-abweichung) der Ertragsentwicklung einwichtiges Bewertungskriterium.

4 Erfahrungen mitNeuronalen Netzen undAnsätzen derNichtlinearen Dynamik

Im Rahmen eines mehrjährigen Projekteswurden verschiedene mathematische An-

133

Analyse von Kurszeitreihen

Kernpunkte für das Management

In Kooperation mit einer Reihe von Universitäten hat die LandesbankHessen-Thüringen mathematische Modelle, vor allem Neuronale Netze, zurTagesprognose von Finanzzeitreihen entwickeln lassen und diese imHandel getestet. Der vorliegende Artikel stellt einen Erfahrungsbericht dar,der folgende Punkte umfasst:• Ein neues Vorhersageverfahren, die sogenannten „Competing Experts“,

wird näher erläutert.• Ziel dieses Verfahrens ist es, Vorhersagemodelle optimal an bestimmte

zeitliche Marktphasen anzupassen, um die Nichtstationarität vonFinanzzeitreihen zu berücksichtigen.

• Die Erfahrungen beim Einsatz dieser Methoden zeigen, daß sich konti-nuierliche Renditen zwischen 6% und 10% erzielen lassen.

Stichworte: Finanzmarktprognosen, Neuronale Netze, Competing Experts,Risikosteuerung, Handelstechnik, Technologietransfer

sätze in Kooperation mit Universitäten zuVorhersagemodellen entwickelt und imHandelsbereich der Landesbank getestet.Hierzu zählen vor allem Neuronale Netzeaber auch Ansätze der Nichtlinearen Dyna-mik (Chaostheorie) und der Evolutions-theorie.

In einer Kooperation mit dem Physika-lischen Institut der Johann Wolfgang Goe-the-Universität Frankfurt wurde versucht,Erkenntnisse der Nichtlinearen Dynamikoder der Chaostheorie für die Prognosedes Bund-Future zu verwenden [Pete91;Pete94]. Die Idee dieses Verfahrens ist es,die vorherzusagende Zeitreihe in einen so-genannten Ersatzphasenraum einzubet-

ten. Im einfachsten Fall ist dieser Ersatz-phasenraum zweidimensional, so daß sichjeweils zwei aufeinanderfolgende Kurs-werte zu einem Koordinatenpunkt in ei-nem gedanklichen Koordinatensystem zu-sammenfassen lassen. Führt man dies füralle Kurswerte des Trainingszeitraumesdurch, so erhält man eine Punktewolke imErsatzphasenraum. Innerhalb dieser Punk-tewolke ist es möglich, Vorhersagen überdie Position neuer, noch unbekannterPunkte zu machen und daraus wiederumVorhersagen über neue Kurswerte. Ein da-mit verwandtes Verfahren sind sogenann-te Markov-Modelle, die eine Statistik der

Übergangswahrscheinlichkeiten vonKurswertabfolgen darstellen.

Beim Einsatz der Vorhersagemodelleim Handel verwendeten wir zur Steigt-/Fällt-Prognose ein Markov-Modell und zurPrognose der Volatilität ein Phasenraum-Modell. Als Handelsstrategie wurde dasHandelsvolumen abhängig von der Volati-litätsprognose adjustiert. Für dieses Ver-fahren sind sehr große Datenmengen not-wendig, so daß wir zum Training Ticker-Daten der DTB verwendeten. Der Vorher-sagezeitraum beschränkte sich auf einigeStunden. Die Performance des Verfahrensist zwar insgesamt positiv gewesen, aller-dings waren die Ergebnisschwankungenund die Transaktionskosten zu groß, umes dauerhaft im Handel einzusetzen.

In einer weiteren Kooperation hat dieLandesbank Hessen-Thüringen mit demInstitut für Logik, Komplexität und De-duktionssysteme der Universität Karls-ruhe, Neuronale Netze zur Vorhersage ver-schiedener Finanzzeitreihen entwickelnlassen [GuRi96]. Hierzu zählen ein Neuro-nales Netz für die Prognose des USD/DM-Wechselkurses sowie verschiedene Netzefür den Bund-Future und US Treasury-Future.

Die Basisarchitektur der verschiedenenVorhersagemodelle bildet ein klassischesMultilayer-Feed-Forward-Netz. In der ge-genwärtigen Arbeit der Weiterentwick-lung der Modelle für den Bund-Futurewerden Verbesserungen versucht zu errei-chen durch Komitee-Bildung und Geneti-sche Algorithmen [RiMa91; Menz96].

Die Bilder 1 und 2 zeigen die kumulier-ten Erträge sowie die Wegstrecke für dasNeuronale Netz zur Tagesprognose desUSD/DM-Kurses. Bild 3 zeigt die bisheri-gen Ergebnisse bei der Prognose von Zins-Zeitreihen. Die bisherigen Erfahrungenbeim Einsatz solcher Netze im Handel sindpositiv zu beurteilen. Interessanterweisebeobachteten die Autoren sowohl beimEinsatz des Chaos-Modells wie auch beiden Neuronalen Netzen gewisse langwel-lelige Schwankungen im kumulierten Er-gebnis, die darauf hindeuten, daß es Pha-sen gibt, in denen ein Modell besser funk-tioniert, als in anderen. Ein typisches Bei-spiel hierfür stellt die Vorhersage desBund-Future mit Trainingsdaten des Zeit-raumes 1993–1996 dar. Ein an diese Da-ten angepasstes Netz kann in einer Bear-Phase oder in einem Seitwärtsmarkt merk-liche Performance Einbußen erleiden.

Diese Beobachtung führte dazu, daßwir in einem weiteren Projekt mit der Uni-

134

Frank Heyder, Stefan Zayer

Wegstrecke Neuronales Netz USD/DEM

–40%

–20%

0%

20%

40%

60%

80%

100%

Datum

28.0

7.95

25.0

8.95

25.0

9.95

24.1

0.95

21.1

1.95

20.1

2.95

22.0

1.96

20.0

2.96

19.0

3.96

16.0

4.96

14.0

5.96

12.0

6.96

11.0

7.96

08.0

8.96

06.0

9.96

04.1

0.96

Bild 2 Wegstrecke des Neuronalen Netzes für Dollar/DM-Wechselkursprognosen

Tägliche Position von 1 Mio USD long/short

0

20000

40000

60000

80000

100000

120000

140000

160000

180000

03.0

7.95

18.0

7.95

01.0

8.95

15.0

8.95

29.0

8.95

13.0

9.95

27.0

9.95

12.1

0.95

26.1

0.95

09.1

1.95

24.1

1.95

08.1

2.95

22.1

2.95

09.0

1.96

24.0

1.96

07.0

2.96

22.0

2.96

07.0

3.96

21.0

3.96

04.0

4.96

18.0

4.96

02.0

5.96

16.0

5.96

31.0

5.96

14.0

6.96

28.0

6.96

15.0

7.96

29.0

7.96

12.0

8.96

26.0

8.96

10.0

9.96

24.0

9.96

Kurs USD/DEMUSD

1,1

1,15

1,2

1,25

1,3

1,35

1,4

1,45

1,5

1,55

kumulierter Gewinn in USDNY-Fixing-Kurs

Bild 1 Kumulierte Gewinne des Neuronalen Netzes für Dollar/DM-Wechselkursprognosen

versität Göttingen die Phasenabhängigkeitvon Prognose-Modellen explizit unter-suchten.

5 Globalmodelle,Stationarität und derAlgorithmus der„Competing Experts“

Klassische Vorhersageverfahren versu-chen in einem Globalmodell alle vergan-genen Kurswerte zu trainieren. Problema-tisch bei diesem Verfahren ist die Annah-me, daß die Zeitreihe stationär ist. Eine sta-tionäre Zeitreihe weist keine „Brüche“auf, sie ist gleichsam „aus einem Guß“. Beieiner nicht-stationäre Zeitreihe verändertsich der Prozess, der sie erzeugt, in seinerStruktur im Zeitablauf. In Bezug auf finanz-wirtschaftliche Zeitreihen ist zu vermu-ten, daß es bestimmte Phasen oder Ab-schnitte in der zeitlichen Entwicklung ei-nes Kurses gibt, in der die Kursdynamikdurch andere Faktoren bestimmt wird, alsin den übrigen Abschnitten. Jeder Händlerkennt beispielsweise die MarktphasenBull-, Bear- und Seitwärtsmarkt, die reinoptisch in einer beliebigen Finanzzeitreihezu identifizieren sind. Falls die Kurswertevon verschiedenen, zeitlich nacheinanderaktiven Prozessen stammen, so ist die Fi-nanzzeitreihe nichtstationär und nichtmehr sinnvoll durch ein einziges Modellzu beschreiben.

Faßt man diese einleitenden Gedankenetwas abstrakter, so kann man sich eineZeitreihe vorstellen, die durch das „Schal-ten“ zwischen zwei Prozessen bestimmtwird. Dabei können die beiden Prozessedurchaus relativ einfacher Natur sein. Dieresultierende Zeitreihe würde dann ab-schnittsweise von Prozess 1 und Prozess 2bestimmt, das heißt, ein bestimmter Zeit-reihenabschnitt wird nur von Prozess 1,ein anderer nur von Prozess 2 erzeugt. Fürdie Vorhersagbarkeit der resultierendenZeitreihe ist nun wesentlich, daß dasSchalten zwischen zwei Phasen selten ge-nug erfolgt, so daß es längere Zeitreihen-abschnitte gibt, die von jeweils einem Pro-zess bestimmt werden. Es ist einleuch-tend, daß die Vorhersage einer solchen re-sultierenden Zeitreihe durch ein Global-modell schwierig ist [PaKo96]. In der Trai-ningsphase eines Neuronalen Netzes wer-den sowohl Zeitreihenabschnitte von Pro-zess 1 als auch von Prozess 2 zum Training

verwendet und das resultierende Global-modell sagt nur eine Art Mittelwert für dieGesamtzeitreihe voraus.

Eine sinnvollere Vorgehensweise istdie Spezialisierungen von Modellen aufdie jeweiligen Abschnitte. Als Expertenbezeichnen wir hier ein Vorhersagemo-dell, das optimal an bestimmte zu einemMarktprozess gehörende Zeitreihenab-schnitte – im folgenden auch Marktpha-sen genannt – angepaßt wurde. Die identi-fizierten Marktphasen müssen nicht unbe-dingt mit den oben erwähnten intuitivenMarktphasen Bull-, Bear- und Seitwärts-markt übereinstimmen.

Es stellt sich das Problem, Marktphasenzu bestimmen und zu entscheiden, in wel-cher Phase sich der Markt gerade befindet.Dieses Entscheidungsproblem betrifft so-wohl die Trainings- als auch die Testphasedes Netzes.

Der Algorithmus „Annealed Competi-tion of Experts“, den die Autoren zur Vor-hersage der Bund-Future-Zeitreihe ver-wenden, bestimmt die Experten und diePhasen simultan. Dabei werden Ideen undKonzepte der Evolutionstheorie und derStatistischen Mechanik der Phasenüber-gänge verwendet [PaKo96]. Die Separa-tion und Spezialisierung der Expertenwird durch eine langsame Steigerung desKonkurrenzgrades erzwungen. Im Bildder statistischen Mechanik entspricht dieSteigerung des Konkurrenzgrades dem

Absenken der Temperatur. Die Expertenwerden also gleichsam auf der Zeitreihe„eingefroren“.

Man startet mit einer Anzahl von einfa-chen, nicht spezialisierten Prognosemo-dellen, die von einer Anzahl von optimalzu bestimmenden Parametern abhängen.Im ersten Trainings-durchlauf wird jedesModell zunächst einheitlich auf dem ge-samten Trainingszeitraum „ein klein we-nig“ trainiert und anschließend die Pro-gnose für jeden Punkt des Trainingszeit-raumes ermittelt. Dabei werden die Pro-gnoseergebnisse der Modelle auf be-stimmten Abschnitten der Zeitreihe be-wertet. Je besser die Prognose ist, destogrößer ist die Zuständigkeit des jeweiligenModells für diesen Abschnitt.

Um zu verhindern, daß für jeden Kurs-wert der Zeitreihe ein anderer Experte zu-ständig wird, bestimmt sich die Zuständig-keit eines Experten in einem Punkt derZeitreihe aus einem über ein Zeitfensterum diesem Punkt gemittelten quadrati-schen Fehler.

Im nächsten Iterationsschritt werdendie Trainingsdaten für ein bestimmtes Mo-dell mit der relativen Zuständigkeit ge-wichtet, so daß ein selektiver Lernprozessin Gang kommt. In den folgenden Itera-tionsschritten wird der Konkurrenzgradzwischen den Experten immer weiter er-höht. Der Konkurrenzgrad bestimmt da-bei die Gewichtung des Vorhersagefeh-

135

Analyse von Kurszeitreihen

Einsatz von je einem Future long/short

–10.000

0

10.000

20.000

30.000

40.000

50.000

60.000

70.000

09.0

4.97

23.0

4.97

07.0

5.97

21.0

5.97

04.0

6.97

18.0

6.97

02.0

7.97

16.0

7.97

30.0

7.97

13.0

8.97

27.0

8.97

10.0

9.97

24.0

9.97

08.1

0.97

22.1

0.97

05.1

1.97

19.1

1.97

03.1

2.97

17.1

2.97

31.1

2.97

14.0

1.98

28.0

1.98

11.0

2.98

25.0

2.98

11.0

3.98

25.0

3.98

08.0

4.98

22.0

4.98

06.0

5.98

20.0

5.98

03.0

6.98

17.0

6.98

01.0

7.98

15.0

7.98

29.0

7.98

12.0

8.98

27.0

8.98

10.0

9.98

24.0

9.98

08.1

0.98

22.1

0.98

DM

Neuronales Netz für T-Bond-FutureNeuronales Netz für Bund-FutureCompeting Experts für Bund-Future

Bild 3 Kumulierter Gewinn der Zinsprognosemodelle seit April 97

lers für die Ermittlung der Zuständigkeitdes Experten. Der Konkurrenzgrad ent-spricht der inversen Temperatur in derstatistischen Mechanik. Aus diesem Blick-winkel betrachtet minimiert der Algorith-mus die sogenannte freie Energie des Sys-tems.

Beobachtet man den mittleren Vorher-sagefehler aller Experten auf der Zeitreihe,so stellt man fest, daß bei einem bestimm-ten Konkurrenzgrad der Fehler schlagartigum einen Faktor abnimmt. Gleichzeitigrasten die Experten auf bestimmte Zeitrei-henabschnitte ein, für die sie zu nahezu

100 % zuständig und optimal angepasstsind. Dieses Phänomen ist in der Physikals Phasenübergang bekannt und kenn-zeichnet beispielsweise auch den Über-gang vom flüssigen in den festen Aggregat-zustand. Eine schematische Darstellungfür diesen Lern- und Selektionsprozesszeigt Bild 4.

Nach Abschluß der Trainingsphase ver-fügt man über eine Marktphaseneintei-lung des Trainingszeitraumes und über einVorhersagesystem, das aus mehreren Ex-perten besteht. Bei der Vorhersage neuerKurswerte erstellen grundsätzlich alle Ex-

perten eine Vorhersage, aber nur die desgerade zuständigen Experten wird zurPrognose verwendet. Die Schwierigkeitbesteht darin, zu entscheiden, wann einPhasenwechsel und damit ein Wechseldes zuständigen Experten stattfindet. ZurZeit protokollieren wir hierzu den gemit-telten Vorhersagefehler jedes Expertenund wechseln den zuständigen Expertensobald sein relativer Vorhersagefehler imVergleich zu den anderen Experten zuhoch wird, was einen Phasenwechsel nurmit einer gewissen Verzögerung anzeigt.

6 Zusammenfassung undAusblick

Die Landesbank Hessen-Thüringen hat dievorstehenden Erfahrungen mit mathema-tischen Analysemethoden in Zusammen-arbeit mit mehreren Universitäten in denvergangenen Jahren erarbeitet [Matt94;GuRi96; PaKo96].

Von der Landesbank wurden projekt-bezogene Forschungsaufträge an die be-treffenden Lehrstühle vergeben. Hervor-zuheben ist hierbei insbesondere die di-rekte interdisziplinäre Zusammenarbeitzwischen Physik- und Informatiklehrstüh-len und den Handelsabteilungen der Lan-desbank. Kernpunkte dieser Kooperationsind der regelmäßige Gedankenaustauschzwischen Wissenschaftlern und Händ-lern, Forschung und Entwicklung an derUniversität sowie Test und Einsatz der Mo-delle im Handel der Bank.

Ziel der Entwicklung mathematischerModelle zur Prognose von Finanzzeitrei-hen war nicht nur die Generierung von Er-tragsströmen aus nichtheuristischer

136

Frank Heyder, Stefan Zayer

Zuständigkeitsanteil

Tage

Modell 1

Modell 2

Modell 3

0%20%40%60%80%

100%

0%

20%

40%

60%

80%

100%

0%

20%

40%

60%

80%

100%

1 37 73 109 145 181 217 253 289 325 361 397 433 469

Modell 1

Modell 2Modell 3

Modell 1 Modell 2Modell 3

Bild 4 Trainingsprozess von drei Competing Experts

Analyseper 30.09.98

Einsatzseit/für

Renditein % p. a.

Trefferquotein %

kumulierterDM-Ertrag

durchschnittlichkumulierter DM-Ertrag pro Monat

Wegstrecke in %

Neuronales Netz1 US-Treasury-Future 12 Monate 8,7 50,6 15.120,00 1.260,00 8,2

Neuronales Netz1 Bund-Future 15 Monate 4,3 51,00 10.050,00 670,00 8,3

Competing-Experts1 Bund-Future 18 Monate 7,8 51,6 29.610,00 1.645,00 13,9

Neuronales Netz100.000 USD 17 Monate 10,3 53,5 23.545,00 1.385,00 12,0

Tabelle 1 Bisherige Ergebnisse unabhängig von der Richtung der Marktbewegung bei täglichem Einsatz (long, short)

Marktanalyse, sondern auch die Risikore-duktion der Handelsportfolios. Den Risi-ken der Handelsportfolios einer Bankwird neben der Limitierung auch durchDiversifikation begegnet. Da Handels-gruppen auf das Management einzelner Ri-sikoklassen (Zins, Devisen, Aktien) spe-zialisiert sind, sind die Diversifkations-möglichkeiten im Handel von Marktpreis-risiken beschränkt.

Der Einsatz unabhängig voneinanderarbeitender Prognosesysteme für das glei-che Risiko hat den Effekt, daß sich die Po-sitionen bei ungleicher Vorhersage in ih-rer Wirkung aufheben.

Die Verteilung eines bestehenden Li-mits nicht nur auf verschiedene Händler,sondern auch zusätzlich auf unterschiedli-che, mathematisch unabhängige Progno-

severfahren führt zu einer weiteren Risi-koreduktion und damit zu einer Versteti-gung der aggregierten Einkommensströ-me.

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Analyse von Kurszeitreihen