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Wer interessiert an einer kleinen Leseprobe von Spiders "Im Arbeitslosenpark" ist, der kann sich hier damit versorgen...
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Baustelle Mohrenstraße
Hier war ich schon mal.Vor drei Monaten schleppte ich den Dreck
von A nach B, den ich jetzt von B nach A karre. Mir ist das recht.
In dem Gebäude, das sie hier hinmachen, gibt es einen toten
Raum, ohne Türen und Fenster. Nur über einen Durchbruch unter
der Decke, wo später ein Lüftungsschacht rein soll, kann man über
eine Leiter hineinsteigen. In diesem Raum gammeln wir schichtweise
unsere Stunden ab.
Baustelle Einkaufszentrum Hellersdorf
Hier wird auch hart gearbeitet und zwar von den Portugiesen. Sie
bekommen dafür immerhin drei Mark in der Stunde, zwei Liter Wein
am Tag und wohnen auf der Baustelle. Essen und Toilettenbenutzung
sind gratis.
Wir, die wir keine Portugiesen sind, verlegen Leitungen. Man packt
eine Kabeltrommel auf ein Rollgerät und läuft mit dem Kabel am
Boden die Strecke ab, auf der es dann auf Pritschen unter der Decke
verlegt werden soll.Wenn man dann wieder bei der Trommel ist, ist
das Rollgerät geklaut.
Leider hat die Hälfte der Kollegen Höhenangst. Nachdem ich auf
einer schwankenden Holzleiter freistehend in vier Metern Höhe ver-
sucht habe über Kopf zu arbeiten, beschließe ich auch, Höhenangst
zu bekommen. Einen Kollegen gibt es noch, der sich auf die Leiter
traut, aber als er mal zwei Minuten auf Toilette ist, wird die Leiter
geklaut. »Komm mit«, sagt der Chef zu mir, »siehst du das Rollgerüst
da hinten? Das klauen wir uns. Wir müssen ja mal fertig werden.«
Also rollen wir das Gerüst durch die Gegend, da ist eine Kante im
Boden, das Gerüst fängt an zu kippen. Kein Problem, denk ich und
will das Gerüst festhalten. Ich kann ja nicht wissen, dass oben zwei
Säcke Zement drauf liegen. Die treffen zum Glück niemanden.
Abends im Kino, natürlich genau nach der Werbung und genau
vor dem Film, kann ich plötzlich nicht mehr sitzen. Hexenschuss.
Scheiß Rollgerüst.
13
Ganz hinten
Ihr könnt eine Firma gründen, viele Arbeitskräfte mit niedrigen Löh-
nen einstellen, und diese dann teuer an andere Firmen vermieten. Ist
alles erlaubt, ist ja ein freies Land. Zeitarbeit heißt das.Wenn ihr so
etwas tut, braucht ihr nicht selber zu arbeiten, ihr lasst auch nicht
Geld für euch arbeiten, sondern andere Menschen arbeiten für euer
Einkommen. Dann liegt ihr nicht der Allgemeinheit auf der Tasche,
wie die ganzen Arbeitsscheuen und seid fit für die Zukunft.
Ich hab das mal ausprobiert, allerdings von der anderen Seite her.
Ich habe mich mal in einer Zeitarbeitsfirma anstellen lassen, arbei-
tete auf Baustellen und in Fabriken. Ich tat das nicht, wie so viele
Werktätige, aus Habgier, sondern weil es sich dabei um ein Experi-
ment handelte. Ich wollte testen, wie das so ist, Geld zu haben und
musste dazu erst mal welches verdienen. Es ist so:
Baustelle Chausseestraße
Die Strangsanierung eines Altneubaus muss an einem Tag abge-
schlossen werden, damit die Mieter abends wieder kacken können.
Damit das in zehn bis zwölf Stunden bewältigt werden kann, werden
vier Leute engagiert, Schrott und Schutt in Eimern die Treppen run-
terzutragen. Zwei Gymnasiasten in den Schulferien, ein alter Mann
mit steifem Bein und ich.August ist es und der Schweiß rauscht mir
niagarafallartig durch die Poritze. »Eine ganz schöne Plackerei«, mau-
len die Ferienkinder, »für zwölf Mark Stundenlohn.« Was zwölf? Und
wieso kriege ich elf? »Was zwölf?«, fragt der alte Mann mit dem
steifen Bein. »Und wieso kriege ich neun?«
12
Baustelle Mohrenstraße
Hier war ich schon mal.Vor drei Monaten schleppte ich den Dreck
von A nach B, den ich jetzt von B nach A karre. Mir ist das recht.
In dem Gebäude, das sie hier hinmachen, gibt es einen toten
Raum, ohne Türen und Fenster. Nur über einen Durchbruch unter
der Decke, wo später ein Lüftungsschacht rein soll, kann man über
eine Leiter hineinsteigen. In diesem Raum gammeln wir schichtweise
unsere Stunden ab.
Baustelle Einkaufszentrum Hellersdorf
Hier wird auch hart gearbeitet und zwar von den Portugiesen. Sie
bekommen dafür immerhin drei Mark in der Stunde, zwei Liter Wein
am Tag und wohnen auf der Baustelle. Essen und Toilettenbenutzung
sind gratis.
Wir, die wir keine Portugiesen sind, verlegen Leitungen. Man packt
eine Kabeltrommel auf ein Rollgerät und läuft mit dem Kabel am
Boden die Strecke ab, auf der es dann auf Pritschen unter der Decke
verlegt werden soll.Wenn man dann wieder bei der Trommel ist, ist
das Rollgerät geklaut.
Leider hat die Hälfte der Kollegen Höhenangst. Nachdem ich auf
einer schwankenden Holzleiter freistehend in vier Metern Höhe ver-
sucht habe über Kopf zu arbeiten, beschließe ich auch, Höhenangst
zu bekommen. Einen Kollegen gibt es noch, der sich auf die Leiter
traut, aber als er mal zwei Minuten auf Toilette ist, wird die Leiter
geklaut. »Komm mit«, sagt der Chef zu mir, »siehst du das Rollgerüst
da hinten? Das klauen wir uns. Wir müssen ja mal fertig werden.«
Also rollen wir das Gerüst durch die Gegend, da ist eine Kante im
Boden, das Gerüst fängt an zu kippen. Kein Problem, denk ich und
will das Gerüst festhalten. Ich kann ja nicht wissen, dass oben zwei
Säcke Zement drauf liegen. Die treffen zum Glück niemanden.
Abends im Kino, natürlich genau nach der Werbung und genau
vor dem Film, kann ich plötzlich nicht mehr sitzen. Hexenschuss.
Scheiß Rollgerüst.
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Ganz hinten
Ihr könnt eine Firma gründen, viele Arbeitskräfte mit niedrigen Löh-
nen einstellen, und diese dann teuer an andere Firmen vermieten. Ist
alles erlaubt, ist ja ein freies Land. Zeitarbeit heißt das.Wenn ihr so
etwas tut, braucht ihr nicht selber zu arbeiten, ihr lasst auch nicht
Geld für euch arbeiten, sondern andere Menschen arbeiten für euer
Einkommen. Dann liegt ihr nicht der Allgemeinheit auf der Tasche,
wie die ganzen Arbeitsscheuen und seid fit für die Zukunft.
Ich hab das mal ausprobiert, allerdings von der anderen Seite her.
Ich habe mich mal in einer Zeitarbeitsfirma anstellen lassen, arbei-
tete auf Baustellen und in Fabriken. Ich tat das nicht, wie so viele
Werktätige, aus Habgier, sondern weil es sich dabei um ein Experi-
ment handelte. Ich wollte testen, wie das so ist, Geld zu haben und
musste dazu erst mal welches verdienen. Es ist so:
Baustelle Chausseestraße
Die Strangsanierung eines Altneubaus muss an einem Tag abge-
schlossen werden, damit die Mieter abends wieder kacken können.
Damit das in zehn bis zwölf Stunden bewältigt werden kann, werden
vier Leute engagiert, Schrott und Schutt in Eimern die Treppen run-
terzutragen. Zwei Gymnasiasten in den Schulferien, ein alter Mann
mit steifem Bein und ich.August ist es und der Schweiß rauscht mir
niagarafallartig durch die Poritze. »Eine ganz schöne Plackerei«, mau-
len die Ferienkinder, »für zwölf Mark Stundenlohn.« Was zwölf? Und
wieso kriege ich elf? »Was zwölf?«, fragt der alte Mann mit dem
steifen Bein. »Und wieso kriege ich neun?«
12
und Gemeinden Museumsviertel eingerichtet. Als Mittel zur leben-
digen Anschauung. Wie so eine Art Skansen oder Erlebnispark. Da
können die Leute hingehen und sich ansehen, wie die Arbeitslosen
zur Jahrtausendwende gelebt haben. Das sind sehr großzügige Vier-
tel im Stil des sozialen Wohnungsbaus. Dort sind manchmal Hun-
derte von Familien untergebracht.Alles professionelle Arbeitslosen-
darsteller. Einer von denen bin ich.Wir führen den Leuten den Alltag
von Arbeitslosen vor und erklären auch alles. Geöffnet ist rund um
die Uhr, Eintritt ist frei. Es kommen viele Touristen, auch Wochen-
endausflügler, meist Familien aus dem Mittelstand, und natürlich
Schulklassen und Kitagruppen. Unsere Arbeitslosenparks sind so be-
liebt, das ist schon ein richtiger Wirtschaftszweig. Mittlerweile gibt
es rund fünf Millionen Arbeitslosendarsteller. Ein gewaltiges Museum
des Lebens um die Jahrtausendwende und ein lebendes Denkmal
für die, die diesen Zuständen ein Ende bereitet haben, für die mu-
tigen Politiker und für die entschlossenen Reformer. Es gibt auch so
eine Fernsehserie, wo das Leben der Arbeitslosen um die Jahrtau-
sendwende nachgestellt wird. Viele unserer Besucher kennen die
Materie also schon ein bisschen aus dem Fernsehen. Diese Sendung
ist eine hervorragende Werbung für unsere Arbeitslosenparks. Mitt-
lerweile läuft, glaube ich, die vierte Staffel.
»Onkel, darf ich auch mal spielen?«, fragt so ein Knirps, und ich
lasse ihn natürlich an die Playstation. Seine Fingerchen umklammern
den Joystick und ich lege meine Hände über seine und helfe ihm, mit
der Steuerung zurechtzukommen. Seine Klassenkameraden, die klei-
nen Racker, sind ganz ungeduldig, jeder will mal. Natürlich kommt
auch jeder mal ran. Danach gehen wir zusammen in das originalge-
treu nachgebildete Arbeitsamt und jedes darf eine Nummer ziehen.
Es ist Wandertag in der Angela-Merkel-Gesamtschule. Morgen wer-
den sie darüber einen Aufsatz schreiben. Ich beantworte eine Menge
Fragen. Zum Schluss bekomme ich einen Blumenstrauß, den mir das
fleißigste Kind gemalt hat. Ein paar sagen, dass sie auch Arbeits-
losendarsteller werden wollen, wenn sie mal groß sind. So was höre
47
Im Arbeitslosenpark
Montags gehe ich immer zur Montagsdemo. Das muss sein, steht so
im Vertrag, ist auch gut so. Da komme ich mal ein bisschen raus, an
die frische Luft. Sonst bin ich ja meist zu Hause. Playstation,Video,
Fernsehen, das Übliche eben.Wenn ich mal rausgehe, dann eben zur
Videothek oder zu ALDI oder zur Schnäppchenjagd. Sonderange-
bote, Baumarktjubiläen, Schlussverkäufe. Ich weiß eigentlich gar
nicht, was ich mit dem ganzen Krempel soll. Na ja, die Leute wollen
so was sehen. Alltag eines Arbeitslosen. Ist schon ein eher einseiti-
ger Job. Arbeitslosendarsteller. Meist mach ich aber Playstation. Oft
kommen Schulklassen, da kann ich ja nicht den Erotikkanal anma-
chen. Das dürfte ich schon wegen der muslimischen Schülerinnen
nicht. Zeichentrickfilme gehen. Fernsehen geht eigentlich alles. Ich
werd mal nicht so viel jammern. Man soll ja nicht so viel jammern.
Im Grunde kann ich froh sein, über meinen Job. Ich bin Arbeitslosen-
darsteller, wie gesagt.
Das muss man sich mal vorstellen, früher, vor dem Aufschwung,
gab es fünf Millionen Arbeitslose. Aber ab 2006 war damit Schluss.
Da kamen diese ganzen Reformen. Ruckzuck war Vollbeschäftigung.
Das ist einfach mal eine ungeheure historische Leistung. Nur ver-
gessen die Leute so etwas ja schnell. Gib ihnen ein paar Jahre Kon-
junktur und sie werden undankbar. Dann wählen sie plötzlich irgend-
welchen Schnickschnack, aber nicht die Parteien, die sie und das
Land aus der Krise geführt haben. Das ist nun mal so.
Also musste man sich etwas einfallen lassen, damit sich die Men-
schen erinnern. Erinnern, wie es früher war, vor den Reformen, zu
Zeiten der Krise. Also wurden, mit Staatsgeldern, in allen Städten
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und Gemeinden Museumsviertel eingerichtet. Als Mittel zur leben-
digen Anschauung. Wie so eine Art Skansen oder Erlebnispark. Da
können die Leute hingehen und sich ansehen, wie die Arbeitslosen
zur Jahrtausendwende gelebt haben. Das sind sehr großzügige Vier-
tel im Stil des sozialen Wohnungsbaus. Dort sind manchmal Hun-
derte von Familien untergebracht.Alles professionelle Arbeitslosen-
darsteller. Einer von denen bin ich.Wir führen den Leuten den Alltag
von Arbeitslosen vor und erklären auch alles. Geöffnet ist rund um
die Uhr, Eintritt ist frei. Es kommen viele Touristen, auch Wochen-
endausflügler, meist Familien aus dem Mittelstand, und natürlich
Schulklassen und Kitagruppen. Unsere Arbeitslosenparks sind so be-
liebt, das ist schon ein richtiger Wirtschaftszweig. Mittlerweile gibt
es rund fünf Millionen Arbeitslosendarsteller. Ein gewaltiges Museum
des Lebens um die Jahrtausendwende und ein lebendes Denkmal
für die, die diesen Zuständen ein Ende bereitet haben, für die mu-
tigen Politiker und für die entschlossenen Reformer. Es gibt auch so
eine Fernsehserie, wo das Leben der Arbeitslosen um die Jahrtau-
sendwende nachgestellt wird. Viele unserer Besucher kennen die
Materie also schon ein bisschen aus dem Fernsehen. Diese Sendung
ist eine hervorragende Werbung für unsere Arbeitslosenparks. Mitt-
lerweile läuft, glaube ich, die vierte Staffel.
»Onkel, darf ich auch mal spielen?«, fragt so ein Knirps, und ich
lasse ihn natürlich an die Playstation. Seine Fingerchen umklammern
den Joystick und ich lege meine Hände über seine und helfe ihm, mit
der Steuerung zurechtzukommen. Seine Klassenkameraden, die klei-
nen Racker, sind ganz ungeduldig, jeder will mal. Natürlich kommt
auch jeder mal ran. Danach gehen wir zusammen in das originalge-
treu nachgebildete Arbeitsamt und jedes darf eine Nummer ziehen.
Es ist Wandertag in der Angela-Merkel-Gesamtschule. Morgen wer-
den sie darüber einen Aufsatz schreiben. Ich beantworte eine Menge
Fragen. Zum Schluss bekomme ich einen Blumenstrauß, den mir das
fleißigste Kind gemalt hat. Ein paar sagen, dass sie auch Arbeits-
losendarsteller werden wollen, wenn sie mal groß sind. So was höre
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Im Arbeitslosenpark
Montags gehe ich immer zur Montagsdemo. Das muss sein, steht so
im Vertrag, ist auch gut so. Da komme ich mal ein bisschen raus, an
die frische Luft. Sonst bin ich ja meist zu Hause. Playstation,Video,
Fernsehen, das Übliche eben.Wenn ich mal rausgehe, dann eben zur
Videothek oder zu ALDI oder zur Schnäppchenjagd. Sonderange-
bote, Baumarktjubiläen, Schlussverkäufe. Ich weiß eigentlich gar
nicht, was ich mit dem ganzen Krempel soll. Na ja, die Leute wollen
so was sehen. Alltag eines Arbeitslosen. Ist schon ein eher einseiti-
ger Job. Arbeitslosendarsteller. Meist mach ich aber Playstation. Oft
kommen Schulklassen, da kann ich ja nicht den Erotikkanal anma-
chen. Das dürfte ich schon wegen der muslimischen Schülerinnen
nicht. Zeichentrickfilme gehen. Fernsehen geht eigentlich alles. Ich
werd mal nicht so viel jammern. Man soll ja nicht so viel jammern.
Im Grunde kann ich froh sein, über meinen Job. Ich bin Arbeitslosen-
darsteller, wie gesagt.
Das muss man sich mal vorstellen, früher, vor dem Aufschwung,
gab es fünf Millionen Arbeitslose. Aber ab 2006 war damit Schluss.
Da kamen diese ganzen Reformen. Ruckzuck war Vollbeschäftigung.
Das ist einfach mal eine ungeheure historische Leistung. Nur ver-
gessen die Leute so etwas ja schnell. Gib ihnen ein paar Jahre Kon-
junktur und sie werden undankbar. Dann wählen sie plötzlich irgend-
welchen Schnickschnack, aber nicht die Parteien, die sie und das
Land aus der Krise geführt haben. Das ist nun mal so.
Also musste man sich etwas einfallen lassen, damit sich die Men-
schen erinnern. Erinnern, wie es früher war, vor den Reformen, zu
Zeiten der Krise. Also wurden, mit Staatsgeldern, in allen Städten
46
Ich lernte an der Berufsschule »Ernst Reinke« des Volkseigenen
Betriebes Elektrokohle Lichtenberg (VEB EKL). Der Arbeiter- und
Bauernstaat machte sich nicht wirklich Sorgen wegen meiner Zu-
kunft.Wahrscheinlich rechnete er mit meinem baldigen Ableben in-
folge Staublunge. Da war mein bisschen halbherzige Querulanz zu
verschmerzen.
Mit Sven jedoch hatte die entwickelte sozialistische Gesellschaft
(ESG) Großes vor. Er war BOB, Berufsoffiziersbewerber, und machte
im Glühlampenwerk NARVA eine Berufsausbildung mit Abitur
(BMA). Er musste vor imperialistischer Einflussnahme behütet wer-
den.Also zitierte ihn der Direktor der Berufsschule zu sich und ver-
bot ihm ohne weitere Widerrede weitere Besuche in der Botschaft
der USA. Das ging damals so einfach.
Ab da musste ich immer zwei Fernsehprogramme mitbringen.
Denn Sven, und vor allem seine Eltern, wollten trotzdem nicht dar-
auf verzichten.
Natürlich stellten wir uns die Frage, woher die Bonzen in der
Berufsschule überhaupt von der ganzen Sache gewusst hatten.
Dass der alberne Volkspolizist, der vor dem Gebäude herumlun-
gerte, etwas mit der Sache zu tun haben könnte, war einfach un-
vorstellbar. Sven verdächtigte nacheinander alle seine Mitschüler als
Petzen.Wir überlegten auch, ob nicht die Bibliothekare dort gemein-
same Sache mit der Stasi machten. Ich ermittelte noch in eine an-
dere Richtung und suchte in der Umgebung der Botschaft nach
Kameras oder Spitzeln. Einmal bat ich sogar einen zuverlässigen
Freund, mich heimlich zu beschatten und darauf zu achten, ob ich
verfolgt würde. Aber es half alles nichts. Die geheimnisvolle Quelle
blieb geheim. Dabei war alles so einfach, wie sich noch zeigen sollte.
Drei Jahre später war die DDR zur Ehemaligkeit herangereift und
die BRD hatte fünf neue Länder bekommen. Sven war doch nicht
Offizier geworden, weil es seine Armee nicht mehr gab, sondern Mas-
seur und medizinischer Bademeister. Ich war arbeitslos. Svens Mutter
war gestorben. Die Wohnung war für seinen Vater allein zu groß.
67
Vater Staat
Von allen ehemaligen Bürgern der ehemaligen DDR hatten es die
ehemaligen Ost-Berliner am besten, denn in der damaligen Haupt-
stadt gab es öfter mal Bananen, Melonen oder Ersatzteile. Es gab
drei Programme Westfernsehen, den RIAS und Lizenzpressungen
der Schallplatte »Fresh fruits for rotting vegetables« der Dead
Kennedys im polnischen Kulturzentrum.
Auch die USA hatten so etwas wie ein kleines Kulturzentrum, eine
Bibliothek, in ihrer Botschaft. Dort gab es nicht nur Zeitschriften und
Bücher, sondern es wurden auch Videos mit herausragenden Leistun-
gen der nordamerikanischen Filmkunst gezeigt, zum Beispiel die Star-
Wars-Filme, von denen damals zum Glück erst drei gedreht waren.
Ich ging trotzdem hin. Denn das Beste überhaupt waren die Pho-
tokopien vom Programm des Westfernsehens, die dort zum mitneh-
men ausgelegt waren. Dafür wäre man als Zonendödel bis nach Sibi-
rien gelatscht.
Mir war Fernsehen zwar gleichgültig, ich hatte gerade Bier und
Punkmusik zu meinen Lebensinhalten erklärt, aber ich wohnte da-
mals bei meinen Eltern und konnte mit einer Programmvorschau
Eindruck bei ihnen schinden.Weiterhin durften sich in der Berufs-
schule die anderen mein Fernsehprogramm abschreiben, wenn ich
im Gegenzug dafür ihre Hausaufgaben abkupfern durfte. Sie war also
recht nutzbringend für mich, die amerikanische Botschaft.
Oft ging ich zusammen mit meinem Kumpel Sven dorthin. Er in-
teressierte sich für Computerzeitschriften und Geschichtsbücher.
Ich blätterte im Hustler. Für mich blieb die Sache folgenlos. Er be-
kam Ärger.
66
Ich lernte an der Berufsschule »Ernst Reinke« des Volkseigenen
Betriebes Elektrokohle Lichtenberg (VEB EKL). Der Arbeiter- und
Bauernstaat machte sich nicht wirklich Sorgen wegen meiner Zu-
kunft.Wahrscheinlich rechnete er mit meinem baldigen Ableben in-
folge Staublunge. Da war mein bisschen halbherzige Querulanz zu
verschmerzen.
Mit Sven jedoch hatte die entwickelte sozialistische Gesellschaft
(ESG) Großes vor. Er war BOB, Berufsoffiziersbewerber, und machte
im Glühlampenwerk NARVA eine Berufsausbildung mit Abitur
(BMA). Er musste vor imperialistischer Einflussnahme behütet wer-
den.Also zitierte ihn der Direktor der Berufsschule zu sich und ver-
bot ihm ohne weitere Widerrede weitere Besuche in der Botschaft
der USA. Das ging damals so einfach.
Ab da musste ich immer zwei Fernsehprogramme mitbringen.
Denn Sven, und vor allem seine Eltern, wollten trotzdem nicht dar-
auf verzichten.
Natürlich stellten wir uns die Frage, woher die Bonzen in der
Berufsschule überhaupt von der ganzen Sache gewusst hatten.
Dass der alberne Volkspolizist, der vor dem Gebäude herumlun-
gerte, etwas mit der Sache zu tun haben könnte, war einfach un-
vorstellbar. Sven verdächtigte nacheinander alle seine Mitschüler als
Petzen.Wir überlegten auch, ob nicht die Bibliothekare dort gemein-
same Sache mit der Stasi machten. Ich ermittelte noch in eine an-
dere Richtung und suchte in der Umgebung der Botschaft nach
Kameras oder Spitzeln. Einmal bat ich sogar einen zuverlässigen
Freund, mich heimlich zu beschatten und darauf zu achten, ob ich
verfolgt würde. Aber es half alles nichts. Die geheimnisvolle Quelle
blieb geheim. Dabei war alles so einfach, wie sich noch zeigen sollte.
Drei Jahre später war die DDR zur Ehemaligkeit herangereift und
die BRD hatte fünf neue Länder bekommen. Sven war doch nicht
Offizier geworden, weil es seine Armee nicht mehr gab, sondern Mas-
seur und medizinischer Bademeister. Ich war arbeitslos. Svens Mutter
war gestorben. Die Wohnung war für seinen Vater allein zu groß.
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Vater Staat
Von allen ehemaligen Bürgern der ehemaligen DDR hatten es die
ehemaligen Ost-Berliner am besten, denn in der damaligen Haupt-
stadt gab es öfter mal Bananen, Melonen oder Ersatzteile. Es gab
drei Programme Westfernsehen, den RIAS und Lizenzpressungen
der Schallplatte »Fresh fruits for rotting vegetables« der Dead
Kennedys im polnischen Kulturzentrum.
Auch die USA hatten so etwas wie ein kleines Kulturzentrum, eine
Bibliothek, in ihrer Botschaft. Dort gab es nicht nur Zeitschriften und
Bücher, sondern es wurden auch Videos mit herausragenden Leistun-
gen der nordamerikanischen Filmkunst gezeigt, zum Beispiel die Star-
Wars-Filme, von denen damals zum Glück erst drei gedreht waren.
Ich ging trotzdem hin. Denn das Beste überhaupt waren die Pho-
tokopien vom Programm des Westfernsehens, die dort zum mitneh-
men ausgelegt waren. Dafür wäre man als Zonendödel bis nach Sibi-
rien gelatscht.
Mir war Fernsehen zwar gleichgültig, ich hatte gerade Bier und
Punkmusik zu meinen Lebensinhalten erklärt, aber ich wohnte da-
mals bei meinen Eltern und konnte mit einer Programmvorschau
Eindruck bei ihnen schinden.Weiterhin durften sich in der Berufs-
schule die anderen mein Fernsehprogramm abschreiben, wenn ich
im Gegenzug dafür ihre Hausaufgaben abkupfern durfte. Sie war also
recht nutzbringend für mich, die amerikanische Botschaft.
Oft ging ich zusammen mit meinem Kumpel Sven dorthin. Er in-
teressierte sich für Computerzeitschriften und Geschichtsbücher.
Ich blätterte im Hustler. Für mich blieb die Sache folgenlos. Er be-
kam Ärger.
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