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Andreas "Spider" Krenzke - Im Arbeitslosenpark

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Wer interessiert an einer kleinen Leseprobe von Spiders "Im Arbeitslosenpark" ist, der kann sich hier damit versorgen...

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Page 1: Andreas "Spider" Krenzke - Im Arbeitslosenpark
Page 2: Andreas "Spider" Krenzke - Im Arbeitslosenpark

Baustelle Mohrenstraße

Hier war ich schon mal.Vor drei Monaten schleppte ich den Dreck

von A nach B, den ich jetzt von B nach A karre. Mir ist das recht.

In dem Gebäude, das sie hier hinmachen, gibt es einen toten

Raum, ohne Türen und Fenster. Nur über einen Durchbruch unter

der Decke, wo später ein Lüftungsschacht rein soll, kann man über

eine Leiter hineinsteigen. In diesem Raum gammeln wir schichtweise

unsere Stunden ab.

Baustelle Einkaufszentrum Hellersdorf

Hier wird auch hart gearbeitet und zwar von den Portugiesen. Sie

bekommen dafür immerhin drei Mark in der Stunde, zwei Liter Wein

am Tag und wohnen auf der Baustelle. Essen und Toilettenbenutzung

sind gratis.

Wir, die wir keine Portugiesen sind, verlegen Leitungen. Man packt

eine Kabeltrommel auf ein Rollgerät und läuft mit dem Kabel am

Boden die Strecke ab, auf der es dann auf Pritschen unter der Decke

verlegt werden soll.Wenn man dann wieder bei der Trommel ist, ist

das Rollgerät geklaut.

Leider hat die Hälfte der Kollegen Höhenangst. Nachdem ich auf

einer schwankenden Holzleiter freistehend in vier Metern Höhe ver-

sucht habe über Kopf zu arbeiten, beschließe ich auch, Höhenangst

zu bekommen. Einen Kollegen gibt es noch, der sich auf die Leiter

traut, aber als er mal zwei Minuten auf Toilette ist, wird die Leiter

geklaut. »Komm mit«, sagt der Chef zu mir, »siehst du das Rollgerüst

da hinten? Das klauen wir uns. Wir müssen ja mal fertig werden.«

Also rollen wir das Gerüst durch die Gegend, da ist eine Kante im

Boden, das Gerüst fängt an zu kippen. Kein Problem, denk ich und

will das Gerüst festhalten. Ich kann ja nicht wissen, dass oben zwei

Säcke Zement drauf liegen. Die treffen zum Glück niemanden.

Abends im Kino, natürlich genau nach der Werbung und genau

vor dem Film, kann ich plötzlich nicht mehr sitzen. Hexenschuss.

Scheiß Rollgerüst.

13

Ganz hinten

Ihr könnt eine Firma gründen, viele Arbeitskräfte mit niedrigen Löh-

nen einstellen, und diese dann teuer an andere Firmen vermieten. Ist

alles erlaubt, ist ja ein freies Land. Zeitarbeit heißt das.Wenn ihr so

etwas tut, braucht ihr nicht selber zu arbeiten, ihr lasst auch nicht

Geld für euch arbeiten, sondern andere Menschen arbeiten für euer

Einkommen. Dann liegt ihr nicht der Allgemeinheit auf der Tasche,

wie die ganzen Arbeitsscheuen und seid fit für die Zukunft.

Ich hab das mal ausprobiert, allerdings von der anderen Seite her.

Ich habe mich mal in einer Zeitarbeitsfirma anstellen lassen, arbei-

tete auf Baustellen und in Fabriken. Ich tat das nicht, wie so viele

Werktätige, aus Habgier, sondern weil es sich dabei um ein Experi-

ment handelte. Ich wollte testen, wie das so ist, Geld zu haben und

musste dazu erst mal welches verdienen. Es ist so:

Baustelle Chausseestraße

Die Strangsanierung eines Altneubaus muss an einem Tag abge-

schlossen werden, damit die Mieter abends wieder kacken können.

Damit das in zehn bis zwölf Stunden bewältigt werden kann, werden

vier Leute engagiert, Schrott und Schutt in Eimern die Treppen run-

terzutragen. Zwei Gymnasiasten in den Schulferien, ein alter Mann

mit steifem Bein und ich.August ist es und der Schweiß rauscht mir

niagarafallartig durch die Poritze. »Eine ganz schöne Plackerei«, mau-

len die Ferienkinder, »für zwölf Mark Stundenlohn.« Was zwölf? Und

wieso kriege ich elf? »Was zwölf?«, fragt der alte Mann mit dem

steifen Bein. »Und wieso kriege ich neun?«

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Baustelle Mohrenstraße

Hier war ich schon mal.Vor drei Monaten schleppte ich den Dreck

von A nach B, den ich jetzt von B nach A karre. Mir ist das recht.

In dem Gebäude, das sie hier hinmachen, gibt es einen toten

Raum, ohne Türen und Fenster. Nur über einen Durchbruch unter

der Decke, wo später ein Lüftungsschacht rein soll, kann man über

eine Leiter hineinsteigen. In diesem Raum gammeln wir schichtweise

unsere Stunden ab.

Baustelle Einkaufszentrum Hellersdorf

Hier wird auch hart gearbeitet und zwar von den Portugiesen. Sie

bekommen dafür immerhin drei Mark in der Stunde, zwei Liter Wein

am Tag und wohnen auf der Baustelle. Essen und Toilettenbenutzung

sind gratis.

Wir, die wir keine Portugiesen sind, verlegen Leitungen. Man packt

eine Kabeltrommel auf ein Rollgerät und läuft mit dem Kabel am

Boden die Strecke ab, auf der es dann auf Pritschen unter der Decke

verlegt werden soll.Wenn man dann wieder bei der Trommel ist, ist

das Rollgerät geklaut.

Leider hat die Hälfte der Kollegen Höhenangst. Nachdem ich auf

einer schwankenden Holzleiter freistehend in vier Metern Höhe ver-

sucht habe über Kopf zu arbeiten, beschließe ich auch, Höhenangst

zu bekommen. Einen Kollegen gibt es noch, der sich auf die Leiter

traut, aber als er mal zwei Minuten auf Toilette ist, wird die Leiter

geklaut. »Komm mit«, sagt der Chef zu mir, »siehst du das Rollgerüst

da hinten? Das klauen wir uns. Wir müssen ja mal fertig werden.«

Also rollen wir das Gerüst durch die Gegend, da ist eine Kante im

Boden, das Gerüst fängt an zu kippen. Kein Problem, denk ich und

will das Gerüst festhalten. Ich kann ja nicht wissen, dass oben zwei

Säcke Zement drauf liegen. Die treffen zum Glück niemanden.

Abends im Kino, natürlich genau nach der Werbung und genau

vor dem Film, kann ich plötzlich nicht mehr sitzen. Hexenschuss.

Scheiß Rollgerüst.

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Ganz hinten

Ihr könnt eine Firma gründen, viele Arbeitskräfte mit niedrigen Löh-

nen einstellen, und diese dann teuer an andere Firmen vermieten. Ist

alles erlaubt, ist ja ein freies Land. Zeitarbeit heißt das.Wenn ihr so

etwas tut, braucht ihr nicht selber zu arbeiten, ihr lasst auch nicht

Geld für euch arbeiten, sondern andere Menschen arbeiten für euer

Einkommen. Dann liegt ihr nicht der Allgemeinheit auf der Tasche,

wie die ganzen Arbeitsscheuen und seid fit für die Zukunft.

Ich hab das mal ausprobiert, allerdings von der anderen Seite her.

Ich habe mich mal in einer Zeitarbeitsfirma anstellen lassen, arbei-

tete auf Baustellen und in Fabriken. Ich tat das nicht, wie so viele

Werktätige, aus Habgier, sondern weil es sich dabei um ein Experi-

ment handelte. Ich wollte testen, wie das so ist, Geld zu haben und

musste dazu erst mal welches verdienen. Es ist so:

Baustelle Chausseestraße

Die Strangsanierung eines Altneubaus muss an einem Tag abge-

schlossen werden, damit die Mieter abends wieder kacken können.

Damit das in zehn bis zwölf Stunden bewältigt werden kann, werden

vier Leute engagiert, Schrott und Schutt in Eimern die Treppen run-

terzutragen. Zwei Gymnasiasten in den Schulferien, ein alter Mann

mit steifem Bein und ich.August ist es und der Schweiß rauscht mir

niagarafallartig durch die Poritze. »Eine ganz schöne Plackerei«, mau-

len die Ferienkinder, »für zwölf Mark Stundenlohn.« Was zwölf? Und

wieso kriege ich elf? »Was zwölf?«, fragt der alte Mann mit dem

steifen Bein. »Und wieso kriege ich neun?«

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Page 4: Andreas "Spider" Krenzke - Im Arbeitslosenpark

und Gemeinden Museumsviertel eingerichtet. Als Mittel zur leben-

digen Anschauung. Wie so eine Art Skansen oder Erlebnispark. Da

können die Leute hingehen und sich ansehen, wie die Arbeitslosen

zur Jahrtausendwende gelebt haben. Das sind sehr großzügige Vier-

tel im Stil des sozialen Wohnungsbaus. Dort sind manchmal Hun-

derte von Familien untergebracht.Alles professionelle Arbeitslosen-

darsteller. Einer von denen bin ich.Wir führen den Leuten den Alltag

von Arbeitslosen vor und erklären auch alles. Geöffnet ist rund um

die Uhr, Eintritt ist frei. Es kommen viele Touristen, auch Wochen-

endausflügler, meist Familien aus dem Mittelstand, und natürlich

Schulklassen und Kitagruppen. Unsere Arbeitslosenparks sind so be-

liebt, das ist schon ein richtiger Wirtschaftszweig. Mittlerweile gibt

es rund fünf Millionen Arbeitslosendarsteller. Ein gewaltiges Museum

des Lebens um die Jahrtausendwende und ein lebendes Denkmal

für die, die diesen Zuständen ein Ende bereitet haben, für die mu-

tigen Politiker und für die entschlossenen Reformer. Es gibt auch so

eine Fernsehserie, wo das Leben der Arbeitslosen um die Jahrtau-

sendwende nachgestellt wird. Viele unserer Besucher kennen die

Materie also schon ein bisschen aus dem Fernsehen. Diese Sendung

ist eine hervorragende Werbung für unsere Arbeitslosenparks. Mitt-

lerweile läuft, glaube ich, die vierte Staffel.

»Onkel, darf ich auch mal spielen?«, fragt so ein Knirps, und ich

lasse ihn natürlich an die Playstation. Seine Fingerchen umklammern

den Joystick und ich lege meine Hände über seine und helfe ihm, mit

der Steuerung zurechtzukommen. Seine Klassenkameraden, die klei-

nen Racker, sind ganz ungeduldig, jeder will mal. Natürlich kommt

auch jeder mal ran. Danach gehen wir zusammen in das originalge-

treu nachgebildete Arbeitsamt und jedes darf eine Nummer ziehen.

Es ist Wandertag in der Angela-Merkel-Gesamtschule. Morgen wer-

den sie darüber einen Aufsatz schreiben. Ich beantworte eine Menge

Fragen. Zum Schluss bekomme ich einen Blumenstrauß, den mir das

fleißigste Kind gemalt hat. Ein paar sagen, dass sie auch Arbeits-

losendarsteller werden wollen, wenn sie mal groß sind. So was höre

47

Im Arbeitslosenpark

Montags gehe ich immer zur Montagsdemo. Das muss sein, steht so

im Vertrag, ist auch gut so. Da komme ich mal ein bisschen raus, an

die frische Luft. Sonst bin ich ja meist zu Hause. Playstation,Video,

Fernsehen, das Übliche eben.Wenn ich mal rausgehe, dann eben zur

Videothek oder zu ALDI oder zur Schnäppchenjagd. Sonderange-

bote, Baumarktjubiläen, Schlussverkäufe. Ich weiß eigentlich gar

nicht, was ich mit dem ganzen Krempel soll. Na ja, die Leute wollen

so was sehen. Alltag eines Arbeitslosen. Ist schon ein eher einseiti-

ger Job. Arbeitslosendarsteller. Meist mach ich aber Playstation. Oft

kommen Schulklassen, da kann ich ja nicht den Erotikkanal anma-

chen. Das dürfte ich schon wegen der muslimischen Schülerinnen

nicht. Zeichentrickfilme gehen. Fernsehen geht eigentlich alles. Ich

werd mal nicht so viel jammern. Man soll ja nicht so viel jammern.

Im Grunde kann ich froh sein, über meinen Job. Ich bin Arbeitslosen-

darsteller, wie gesagt.

Das muss man sich mal vorstellen, früher, vor dem Aufschwung,

gab es fünf Millionen Arbeitslose. Aber ab 2006 war damit Schluss.

Da kamen diese ganzen Reformen. Ruckzuck war Vollbeschäftigung.

Das ist einfach mal eine ungeheure historische Leistung. Nur ver-

gessen die Leute so etwas ja schnell. Gib ihnen ein paar Jahre Kon-

junktur und sie werden undankbar. Dann wählen sie plötzlich irgend-

welchen Schnickschnack, aber nicht die Parteien, die sie und das

Land aus der Krise geführt haben. Das ist nun mal so.

Also musste man sich etwas einfallen lassen, damit sich die Men-

schen erinnern. Erinnern, wie es früher war, vor den Reformen, zu

Zeiten der Krise. Also wurden, mit Staatsgeldern, in allen Städten

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und Gemeinden Museumsviertel eingerichtet. Als Mittel zur leben-

digen Anschauung. Wie so eine Art Skansen oder Erlebnispark. Da

können die Leute hingehen und sich ansehen, wie die Arbeitslosen

zur Jahrtausendwende gelebt haben. Das sind sehr großzügige Vier-

tel im Stil des sozialen Wohnungsbaus. Dort sind manchmal Hun-

derte von Familien untergebracht.Alles professionelle Arbeitslosen-

darsteller. Einer von denen bin ich.Wir führen den Leuten den Alltag

von Arbeitslosen vor und erklären auch alles. Geöffnet ist rund um

die Uhr, Eintritt ist frei. Es kommen viele Touristen, auch Wochen-

endausflügler, meist Familien aus dem Mittelstand, und natürlich

Schulklassen und Kitagruppen. Unsere Arbeitslosenparks sind so be-

liebt, das ist schon ein richtiger Wirtschaftszweig. Mittlerweile gibt

es rund fünf Millionen Arbeitslosendarsteller. Ein gewaltiges Museum

des Lebens um die Jahrtausendwende und ein lebendes Denkmal

für die, die diesen Zuständen ein Ende bereitet haben, für die mu-

tigen Politiker und für die entschlossenen Reformer. Es gibt auch so

eine Fernsehserie, wo das Leben der Arbeitslosen um die Jahrtau-

sendwende nachgestellt wird. Viele unserer Besucher kennen die

Materie also schon ein bisschen aus dem Fernsehen. Diese Sendung

ist eine hervorragende Werbung für unsere Arbeitslosenparks. Mitt-

lerweile läuft, glaube ich, die vierte Staffel.

»Onkel, darf ich auch mal spielen?«, fragt so ein Knirps, und ich

lasse ihn natürlich an die Playstation. Seine Fingerchen umklammern

den Joystick und ich lege meine Hände über seine und helfe ihm, mit

der Steuerung zurechtzukommen. Seine Klassenkameraden, die klei-

nen Racker, sind ganz ungeduldig, jeder will mal. Natürlich kommt

auch jeder mal ran. Danach gehen wir zusammen in das originalge-

treu nachgebildete Arbeitsamt und jedes darf eine Nummer ziehen.

Es ist Wandertag in der Angela-Merkel-Gesamtschule. Morgen wer-

den sie darüber einen Aufsatz schreiben. Ich beantworte eine Menge

Fragen. Zum Schluss bekomme ich einen Blumenstrauß, den mir das

fleißigste Kind gemalt hat. Ein paar sagen, dass sie auch Arbeits-

losendarsteller werden wollen, wenn sie mal groß sind. So was höre

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Im Arbeitslosenpark

Montags gehe ich immer zur Montagsdemo. Das muss sein, steht so

im Vertrag, ist auch gut so. Da komme ich mal ein bisschen raus, an

die frische Luft. Sonst bin ich ja meist zu Hause. Playstation,Video,

Fernsehen, das Übliche eben.Wenn ich mal rausgehe, dann eben zur

Videothek oder zu ALDI oder zur Schnäppchenjagd. Sonderange-

bote, Baumarktjubiläen, Schlussverkäufe. Ich weiß eigentlich gar

nicht, was ich mit dem ganzen Krempel soll. Na ja, die Leute wollen

so was sehen. Alltag eines Arbeitslosen. Ist schon ein eher einseiti-

ger Job. Arbeitslosendarsteller. Meist mach ich aber Playstation. Oft

kommen Schulklassen, da kann ich ja nicht den Erotikkanal anma-

chen. Das dürfte ich schon wegen der muslimischen Schülerinnen

nicht. Zeichentrickfilme gehen. Fernsehen geht eigentlich alles. Ich

werd mal nicht so viel jammern. Man soll ja nicht so viel jammern.

Im Grunde kann ich froh sein, über meinen Job. Ich bin Arbeitslosen-

darsteller, wie gesagt.

Das muss man sich mal vorstellen, früher, vor dem Aufschwung,

gab es fünf Millionen Arbeitslose. Aber ab 2006 war damit Schluss.

Da kamen diese ganzen Reformen. Ruckzuck war Vollbeschäftigung.

Das ist einfach mal eine ungeheure historische Leistung. Nur ver-

gessen die Leute so etwas ja schnell. Gib ihnen ein paar Jahre Kon-

junktur und sie werden undankbar. Dann wählen sie plötzlich irgend-

welchen Schnickschnack, aber nicht die Parteien, die sie und das

Land aus der Krise geführt haben. Das ist nun mal so.

Also musste man sich etwas einfallen lassen, damit sich die Men-

schen erinnern. Erinnern, wie es früher war, vor den Reformen, zu

Zeiten der Krise. Also wurden, mit Staatsgeldern, in allen Städten

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Page 6: Andreas "Spider" Krenzke - Im Arbeitslosenpark

Ich lernte an der Berufsschule »Ernst Reinke« des Volkseigenen

Betriebes Elektrokohle Lichtenberg (VEB EKL). Der Arbeiter- und

Bauernstaat machte sich nicht wirklich Sorgen wegen meiner Zu-

kunft.Wahrscheinlich rechnete er mit meinem baldigen Ableben in-

folge Staublunge. Da war mein bisschen halbherzige Querulanz zu

verschmerzen.

Mit Sven jedoch hatte die entwickelte sozialistische Gesellschaft

(ESG) Großes vor. Er war BOB, Berufsoffiziersbewerber, und machte

im Glühlampenwerk NARVA eine Berufsausbildung mit Abitur

(BMA). Er musste vor imperialistischer Einflussnahme behütet wer-

den.Also zitierte ihn der Direktor der Berufsschule zu sich und ver-

bot ihm ohne weitere Widerrede weitere Besuche in der Botschaft

der USA. Das ging damals so einfach.

Ab da musste ich immer zwei Fernsehprogramme mitbringen.

Denn Sven, und vor allem seine Eltern, wollten trotzdem nicht dar-

auf verzichten.

Natürlich stellten wir uns die Frage, woher die Bonzen in der

Berufsschule überhaupt von der ganzen Sache gewusst hatten.

Dass der alberne Volkspolizist, der vor dem Gebäude herumlun-

gerte, etwas mit der Sache zu tun haben könnte, war einfach un-

vorstellbar. Sven verdächtigte nacheinander alle seine Mitschüler als

Petzen.Wir überlegten auch, ob nicht die Bibliothekare dort gemein-

same Sache mit der Stasi machten. Ich ermittelte noch in eine an-

dere Richtung und suchte in der Umgebung der Botschaft nach

Kameras oder Spitzeln. Einmal bat ich sogar einen zuverlässigen

Freund, mich heimlich zu beschatten und darauf zu achten, ob ich

verfolgt würde. Aber es half alles nichts. Die geheimnisvolle Quelle

blieb geheim. Dabei war alles so einfach, wie sich noch zeigen sollte.

Drei Jahre später war die DDR zur Ehemaligkeit herangereift und

die BRD hatte fünf neue Länder bekommen. Sven war doch nicht

Offizier geworden, weil es seine Armee nicht mehr gab, sondern Mas-

seur und medizinischer Bademeister. Ich war arbeitslos. Svens Mutter

war gestorben. Die Wohnung war für seinen Vater allein zu groß.

67

Vater Staat

Von allen ehemaligen Bürgern der ehemaligen DDR hatten es die

ehemaligen Ost-Berliner am besten, denn in der damaligen Haupt-

stadt gab es öfter mal Bananen, Melonen oder Ersatzteile. Es gab

drei Programme Westfernsehen, den RIAS und Lizenzpressungen

der Schallplatte »Fresh fruits for rotting vegetables« der Dead

Kennedys im polnischen Kulturzentrum.

Auch die USA hatten so etwas wie ein kleines Kulturzentrum, eine

Bibliothek, in ihrer Botschaft. Dort gab es nicht nur Zeitschriften und

Bücher, sondern es wurden auch Videos mit herausragenden Leistun-

gen der nordamerikanischen Filmkunst gezeigt, zum Beispiel die Star-

Wars-Filme, von denen damals zum Glück erst drei gedreht waren.

Ich ging trotzdem hin. Denn das Beste überhaupt waren die Pho-

tokopien vom Programm des Westfernsehens, die dort zum mitneh-

men ausgelegt waren. Dafür wäre man als Zonendödel bis nach Sibi-

rien gelatscht.

Mir war Fernsehen zwar gleichgültig, ich hatte gerade Bier und

Punkmusik zu meinen Lebensinhalten erklärt, aber ich wohnte da-

mals bei meinen Eltern und konnte mit einer Programmvorschau

Eindruck bei ihnen schinden.Weiterhin durften sich in der Berufs-

schule die anderen mein Fernsehprogramm abschreiben, wenn ich

im Gegenzug dafür ihre Hausaufgaben abkupfern durfte. Sie war also

recht nutzbringend für mich, die amerikanische Botschaft.

Oft ging ich zusammen mit meinem Kumpel Sven dorthin. Er in-

teressierte sich für Computerzeitschriften und Geschichtsbücher.

Ich blätterte im Hustler. Für mich blieb die Sache folgenlos. Er be-

kam Ärger.

66

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Ich lernte an der Berufsschule »Ernst Reinke« des Volkseigenen

Betriebes Elektrokohle Lichtenberg (VEB EKL). Der Arbeiter- und

Bauernstaat machte sich nicht wirklich Sorgen wegen meiner Zu-

kunft.Wahrscheinlich rechnete er mit meinem baldigen Ableben in-

folge Staublunge. Da war mein bisschen halbherzige Querulanz zu

verschmerzen.

Mit Sven jedoch hatte die entwickelte sozialistische Gesellschaft

(ESG) Großes vor. Er war BOB, Berufsoffiziersbewerber, und machte

im Glühlampenwerk NARVA eine Berufsausbildung mit Abitur

(BMA). Er musste vor imperialistischer Einflussnahme behütet wer-

den.Also zitierte ihn der Direktor der Berufsschule zu sich und ver-

bot ihm ohne weitere Widerrede weitere Besuche in der Botschaft

der USA. Das ging damals so einfach.

Ab da musste ich immer zwei Fernsehprogramme mitbringen.

Denn Sven, und vor allem seine Eltern, wollten trotzdem nicht dar-

auf verzichten.

Natürlich stellten wir uns die Frage, woher die Bonzen in der

Berufsschule überhaupt von der ganzen Sache gewusst hatten.

Dass der alberne Volkspolizist, der vor dem Gebäude herumlun-

gerte, etwas mit der Sache zu tun haben könnte, war einfach un-

vorstellbar. Sven verdächtigte nacheinander alle seine Mitschüler als

Petzen.Wir überlegten auch, ob nicht die Bibliothekare dort gemein-

same Sache mit der Stasi machten. Ich ermittelte noch in eine an-

dere Richtung und suchte in der Umgebung der Botschaft nach

Kameras oder Spitzeln. Einmal bat ich sogar einen zuverlässigen

Freund, mich heimlich zu beschatten und darauf zu achten, ob ich

verfolgt würde. Aber es half alles nichts. Die geheimnisvolle Quelle

blieb geheim. Dabei war alles so einfach, wie sich noch zeigen sollte.

Drei Jahre später war die DDR zur Ehemaligkeit herangereift und

die BRD hatte fünf neue Länder bekommen. Sven war doch nicht

Offizier geworden, weil es seine Armee nicht mehr gab, sondern Mas-

seur und medizinischer Bademeister. Ich war arbeitslos. Svens Mutter

war gestorben. Die Wohnung war für seinen Vater allein zu groß.

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Vater Staat

Von allen ehemaligen Bürgern der ehemaligen DDR hatten es die

ehemaligen Ost-Berliner am besten, denn in der damaligen Haupt-

stadt gab es öfter mal Bananen, Melonen oder Ersatzteile. Es gab

drei Programme Westfernsehen, den RIAS und Lizenzpressungen

der Schallplatte »Fresh fruits for rotting vegetables« der Dead

Kennedys im polnischen Kulturzentrum.

Auch die USA hatten so etwas wie ein kleines Kulturzentrum, eine

Bibliothek, in ihrer Botschaft. Dort gab es nicht nur Zeitschriften und

Bücher, sondern es wurden auch Videos mit herausragenden Leistun-

gen der nordamerikanischen Filmkunst gezeigt, zum Beispiel die Star-

Wars-Filme, von denen damals zum Glück erst drei gedreht waren.

Ich ging trotzdem hin. Denn das Beste überhaupt waren die Pho-

tokopien vom Programm des Westfernsehens, die dort zum mitneh-

men ausgelegt waren. Dafür wäre man als Zonendödel bis nach Sibi-

rien gelatscht.

Mir war Fernsehen zwar gleichgültig, ich hatte gerade Bier und

Punkmusik zu meinen Lebensinhalten erklärt, aber ich wohnte da-

mals bei meinen Eltern und konnte mit einer Programmvorschau

Eindruck bei ihnen schinden.Weiterhin durften sich in der Berufs-

schule die anderen mein Fernsehprogramm abschreiben, wenn ich

im Gegenzug dafür ihre Hausaufgaben abkupfern durfte. Sie war also

recht nutzbringend für mich, die amerikanische Botschaft.

Oft ging ich zusammen mit meinem Kumpel Sven dorthin. Er in-

teressierte sich für Computerzeitschriften und Geschichtsbücher.

Ich blätterte im Hustler. Für mich blieb die Sache folgenlos. Er be-

kam Ärger.

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