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Seminararbeit
Anfänge des Frauenstudiums in der Schweiz -
Russische Studentinnen: Vorbilder oder exotische Fremde?
Sommersemester 2006
Universität Luzern
Institut für Jüdisch-Christliche Forschung
Hauptseminar Dr. Luise Hirsch
Vom Stetl in den Hörsaal: Jüdische Frauen als Pionierinnen des
Frauenstudiums
1
Einleitung
„Gälletsi, d’Frau Tokter ist e Russin?“ „Nein,“ lautete die Antwort, „sie ist von Brugg!“ „So, nume vo Brugg?“ kam es enttäuscht zurück, und für die Fragestellerin, die dem Fremdländischen die höheren Werte beimass, schien durch die schweizerische Herkunft der Frau Doktor ihr Nimbus etwas zu erblassen.1
Dieser etwas seltsame Dialog zwischen zwei Bauersfrauen fand irgendwann nach
1874 im Wartezimmer der ersten Schweizer Ärztin Marie Heim-Vögtlin (1845–
1916) statt. Er widerspiegelt, wie stark sich das Bild der studierten Frau als Russin,
als Fremde im Bewusstsein der Bevölkerung hat festsetzen können.
Russinnen, viele von ihnen Jüdinnen, waren Wegbereiterinnen für das Frauen-
studium in der Schweiz, aber auch weltweit. Die für Frauen günstigere
Bildungssituation im Zarenreich und die unterschiedliche gesellschaftliche Stellung
der ostjüdischen Frauen, die traditionellerweise eine tragende Rolle in der
Öffentlichkeit und im Erwerbsleben spielten, führte dazu, dass sie als Studentinnen
bessere Voraussetzungen für das Hochschulstudium hatten, als Frauen aus den
übrigen Ländern. In den Jahren zwischen 1867 und 1914 haben schätzungsweise
zwischen 5000 und 6000 Russinnen an Schweizer Universitäten studiert.2 Dieser
quantitative Aspekt wurde sehr unterschiedlich gewertet. Während Zeitgenossen und
Zeitgenossinnen, und auch die offizielle Geschichtsschreibung der Universität Zürich
in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in der „Russinnenüberschwemmung“ eine
Gefahr für das Frauenstudium sahen, wird heute die gesellschaftsverändernde Kraft
der in Massen auftretenden Studentinnen betont, ohne die sich die Akzeptanz des
Frauenstudiums niemals so schnell hätte entwickeln können.3
Hatten die Studentinnen aus dem Zarenreich eine Vorbildfunktion für Schweizer
Studentinnen? Ohne Zweifel liessen sich die ersten Schweizer Studentinnen durch
das Beispiel von Nadežda Suslova, der erfolgreichen Medizinerin, zum Studium
inspirieren. Doch die meisten russischen Studentinnen verliessen die Schweiz
1 Siebel, Johanna (1929): Dr. Marie Heim-Vögtlin. Schweizer Frauen der Tat. Zürich., Bd. 2, S.246. 2 Daniela Neumann, die dieses Thema sehr umfassend aufgearbeitet hat, macht darauf aufmerksam, dass es nicht möglich ist, präzise Zahlen anzugeben. Neumann, Daniela (1987): Studentinnen aus dem russischen Reich in der Schweiz (1867 - 1914). Dissertation. Betreut von Carsten Goehrke. Zürich. Universität Zürich, Historisches Seminar.S.14. 3 Ebd. S.103
2
wieder.4 Konnten sie Kontakte zur Schweizer Bevölkerung knüpfen oder blieben sie
exotische Fremde? In Zürich, bei der ersten kurzen „Russinnenüberschwemmung“5 ,
die schon 1873 abrupt beendet wurde, mag letzteres mehrheitlich zugetroffen haben.
Wie war es später ab den 1880er Jahren als ein grosser Teil der russischen
Studentinnen über Jahrzehnte hinweg in Bern, Genf und Zürich lebte?
Nach der Jahrhundertwende bestand ein Grossteil der Studierenden an Schweizer
Universitäten aus ostjüdischen Studentinnen und Studenten. Wie wurden sie in der
Schweiz, die sich bis 1874 gegen die Gleichstellung der Juden gesperrt hatte,
wahrgenommen? Wie verhielt sich die Bevölkerung gegenüber den ostjüdischen
Studentinnen, und ab wann begann der Schweizer Antisemitismus eine Rolle zu
spielen?
Zulassung von Frauen an Schweizer Universitäten
Im Laufe des 19. Jahrhunderts erfolgte in der Schweiz eine Reihe von
Neugründungen verschiedenster Bildungsinstitutionen. So entstanden in den 1830er
Jahren neben den alten Universitäten Basel, Genf und Lausanne Universitäten in
Zürich, Bern und Neuenburg, und in den 1850er Jahren wurden die ETH in Zürich
und die EPF in Lausanne gegründet. Die Universität Zürich wurde im Jahre 1833
gegründet. Sie war die erste Universität Europas, die von einem demokratischen
Staatswesen gegründet wurde. In Zürich herrschte damals ein liberaler Geist6, und
hier wurden in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts Frauen zum ersten Mal zum
Studium zugelassen. Seit 1840 nahmen vereinzelt Frauen als Gasthörerinnen an
philosophischen Vorlesungen teil. 1867 erfolgte die erste Immatrikulation einer Frau,
der Russin Nadežda Suslova.7 Die Universitäten Bern und Genf öffneten sich 1872
auch für Frauen, und erlebten ab 1873 einen starken Zustrom russischer
Studentinnen.8 In den folgenden Jahren erfolgte eine eigentliche Verlagerung in diese
Städte, vor allem nach Genf, und auch teilweise nach Lausanne, das seit den 1880er
Jahren auch Frauen zum Studium zuliess. In den Jahren 1907-1913 waren nur noch
4 Wecker, Regina (1997): Bildung und gesellschaftliche Verantwortung. Das soziale Engagement jüdischer Frauen in der Schweiz. In: Graetz, Michael (Hg.): Krisenwahrnehmungen im Fin de siטcle. jüdische und katholische Bildungseliten in Deutschland und der Schweiz. Zürich. S. 126. 5 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg.) (1928): Das Frauenstudium an den Schweizer Hochschulen. Zürich:. S. 9. 6 Siber, Karl Heinz; Craig, Gordon Alexander (1988): Geld und Geist. Zürich im Zeitalter des Liberalismus 1830-1869 S.62. 7 Universität Zürich (Hg.) (2004): Geschichte der Universität Zürich in Kürze. Online verfügbar unter http://www.unizh.ch/info/universitaet/geschichte.html. 8 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 10.
3
14% aller russischen Studentinnen in Zürich immatrikuliert, während in Genf 46,7%
studierten.9 Die Universität Basel bildete lange eine reaktionäre Hochburg: Frauen
wurden erst ab 1890 zugelassen10. Zudem war die Universität Basel ausgesprochen
judenfeindlich, und verwehrte jüdischen Studenten noch lange bis über die
Jahrhundertwende hinaus eine akademische Laufbahn.11
Dass Frauen ausgerechnet in der Schweiz früher als in anderen Ländern studieren
konnten, hängt damit zusammen, dass in der Schweiz das Hochschulstudium noch
nicht so prestigeträchtig war wie beispielsweise in Deutschland. Der ausgeprägte
Föderalismus der Schweiz und die direkte Demokratie führten dazu, dass öffentliche
Ämter nicht von einem zentralen Amt aus, sondern per Wahl von den Stimmbürgern
(bis 1971 waren es ausschliesslich Männer) vergeben wurden. Richter, Lehrer,
Pfarrer und weitere Inhaber öffentlicher Ämter wurden auf Gemeindeebene direkt
vom Volk gewählt.12 Die jungen Schweizer Universitäten hatten demnach noch nicht
die Funktion, ein Staatsbeamtentum auszubilden, und ein Universitätsstudium war
nicht zwingend, um eine einflussreiche Position zu erlangen.13 Weil der
akademischen Ausbildung noch keine grosse Bedeutung beigemessen wurde, waren
die Studienplätze nicht stark begehrt.14 In dieser Situation wurden die ersten
Studentinnen noch nicht als Konkurrenz oder Bedrohung wahrgenommen. Ein
weiterer Faktor für diese Toleranz könnte mit der Tatsache zusammenhängen, dass
die meisten Studentinnen Ausländerinnen waren, die nie auf den schweizerischen
Arbeitsmarkt gelangen sollten. Dass einheimische Studentinnen nicht unbedingt
erwünscht waren, ist auch daran ersichtlich, dass Schweizerinnen erst sehr spät
Zugang zu einer voruniversitären Bildung erhielten und sich mit teurem
Privatunterricht auf die Zulassung zur Universität vorbereiten mussten. So
entstanden im Kanton Zürich erst ab den 1880er Jahren Privatschulen für Mädchen
auf dem Niveau von Gymnasien.15 Und den Bernerinnen war es erst ab 1894 möglich
9 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.19. 10 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 203. 11 Debrunner, Albert M. (1998): "Der Samstag" - eine antisemitische Kulturzeitschrift des Fin de siècle. In: Mattioli, Aram (Hg.): Antisemitismus in der Schweiz. Zürich. S.310. 12 Costas, Ilse (1992): Der Kampf um das Frauenstudium im internationalen Vergleich. Begünstigende und hemmende Faktoren für die Emanzipation der Frauen aus ihrer intellektuellen Unmündigkeit in unterschiedlichen bürgerlichen Gesellschaften. In: Schlüter, Anne (Hg.): Pionierinnen, Feministinnen, Karrierefrauen? zur Geschichte des Frauenstudiums in Deutschland. S. 135. 13 Burchardt, Anja (1997): Blaustrumpf - Modestudentin - Anarchistin? deutsche und russische Medizinstudentinnen in Berlin 1896 - 1918. S.23. 14 Costas 1992 – Der Kampf um das Frauenstudium. S. 135. 15 Ebd. S. 134.
4
ein Gymnasium zu besuchen.16 Diese Erschwernisse trugen dazu bei, dass
Schweizerinnen bis zum Ersten Weltkrieg unter den Studentinnen stets in der
Minderheit waren.
Anders als in Deutschland spielte die Frauenbewegung in der Schweiz nur eine
marginale Rolle, was die Zulassung der Frauen zum Hochschulstudium anbelangt.
Eine Ausnahme bildet Genf, wo 1872 ein Vorstoss an den Grossen Rat von Seiten
der Frauen erfolgt war, wie es in den Ratsnotizen hiess: „La Commission a rapporté
sur une pétition signée par 30 dames, mères de famille qui demandent pour les jeunes
filles l’accès aux études académiques.“17 Federführend bei dieser Eingabe war Marie
Goegg-Pouchoulin (1826-1899), die Gründerin des internationalen Frauenbundes,
der von 1868-1872 bestanden hat.18 Es ist kein Zufall, dass in der ausgeprägt
föderalistischen Schweiz schon vor der Entstehung einer nationalen Frauenbewegung
ein internationaler Frauenbund gegründet wurde. Marie Goegg-Pouchoulin, die gut
als die erste moderne Feministin der Schweiz bezeichnet werden kann, aber
weitgehend in Vergessenheit geraten ist, hatte im Rahmen ihrer Tätigkeit für die
„Friedens- und Freiheits-Liga“ auch Kontakt zu Bakunin. Goegg-Pouchoulin setzte
sich früh für das Frauenstudium ein. Sie reagierte umgehend, als der Bündner
Advokat und Dichter Julius Caduff (1826-1871) 1868 den Frauen die Fähigkeit
absprach, Rechtswissenschaft studieren zu können, mit der Begründung, wenn man
der Justitia die Augenbinde abnähme, würde sie nur noch nach dem äusseren Schein
urteilen. 19 Goegg-Pouchoulin konterte:
Was das Rechtsstudium und die Ausübung des Richteramtes betrifft, wünsche ich nur, dass wir einmal berufen werden zu beweisen, ob wir dazu befähigt sind oder nicht. Niemand kann Schwimmen lernen, bevor er ins Wasser gegangen, es sind daher alle Gründe für die Unfähigkeit der Frau in juristischer und politischer Beziehung so lange als null und nichtig zu betrachten, als die Frauen nicht Gelegenheit gehabt, von ihren Fähigkeiten Gebrauch zu machen.20
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Caduff zwar geschlechtsspezifische
Unterschiede hinsichtlich der Urteilskraft postulierte, jedoch den Frauen durchaus
16 Rogger, Franziska (1999): Der Doktorhut im Besenschrank. das abenteuerliche Leben der ersten Studentinnen - am Beispiel der Universität Bern. Bern. S.18. 17 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 136. 18 Allgemeine geschichtsforschende Gesellschaft der Schweiz (Hg.) (1921): Historisch-
Biographisches Lexikon der Schweiz. Neuenburg – Bd.III. S.580. 19 Albisetti, James C. (2000): Portia Ante Portas: Women and the Legal Profession in Europe, ca. 1870-1925. In: Journal of Social History, Jg. 33, Nr. 4. S.842. 20 Rahm, Berta; Goegg, Marie (1993): Marie Goegg (geb. Pouchoulin). Mitbegründerin der Internationalen Liga für Frieden und Freiheit, Gründerin des Internationalen Frauenbundes, des Journal des Femmes und der Solidarité. S.24.
5
die Fähigkeit zum Medizin- und Literaturgeschichtsstudium zuerkannte.21 Nadežda
Suslovas Erfolg hat ihn in zweierlei Hinsicht beeinflusst: Einerseits konnte er nicht
mehr gegen das Frauenstudium im Allgemeinen argumentieren, andererseits aber
befürchtete er, dass Frauen nun auch in den Bereich der Jurisprudenz eindringen
könnten, ein Bereich, der den Ausschluss der Frauen von der politischen
Entscheidungsfindung direkt hätte infrage stellen können.
In der Schweiz wurden durch die frühe Aufnahme von Frauen und das massenhafte
Auftreten von Studentinnen an der Universität Fakten geschaffen, die die Diskussion
über das Frauenstudium zugunsten der Frauen beeinflussen sollten. Während in
Deutschland der Anatomie-Professor Theodor Bischoff (1807-1882) in seiner
Streitschrift „Das Studium und die Ausübung der Medizin durch Frauen“ von 1872
mit biologistischen Argumenten das Frauenstudium ablehnte, wurde seinen
Meinungen in Zürich aufs Schärfste widersprochen. Der Zürcher Anatomie- und
Physiologieprofessor Ludimar Hermann (1838-1914) tadelte die „hirnanatomischen
Schlüsse“ Bischoffs, und verwies darauf, dass persönliche Empfindungen gegenüber
studierenden Frauen nicht ausschlaggebend für die Zulassung von Frauen an die
Hochschulen sein können. Hermann nahm hierin Bezug auf die Zürcher
Studentenproteste gegen das Frauenstudium und wies darauf hin, dass die
Beschränkung der Ausländerzahl (und somit auch des Frauenanteils) von
„unberechenbarer Bedeutung“ wäre.22 Hermann wollte damit auch die finanziellen
Interessen der Universität Zürich wahren. Die den Ausländern auferlegten
Studiengebühren waren laut der russischen Studentin Marija Cebrikova mit 300 bis
500 Franken im Jahre 1872 von einer beachtlichen Höhe.23 In den Jahren um die
Jahrhundertwende lagen die Gebühren zwischen 50 und 70 Franken pro Semester
und waren damit nur leicht höher als in Deutschland.24 Die Toleranz gegenüber
fremden Studierenden war nicht ganz uneigennützig, doch in welchem Masse die
Universitäten von den Studentinnen tatsächlich finanziell profitiert haben, müsste
noch aufgearbeitet werden. Dieser finanzielle Aspekt wurde später von
21 Ebd. 22 Graf-Nold, Angela (1988): Weiblichkeit in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik. In: Verein Feministische Wissenschaft Schweiz (Hg.): Ebenso neu als kühn. 120 Jahre Frauenstudium an der Universität Zürich. Zürich. S.30-36. 23 Bankovski-Züllig, Monika (1988): Zürich - das russische Mekka. In: Verein Feministische Wissenschaft Schweiz (Hg.): Ebenso neu als kühn. 120 Jahre Frauenstudium an der Universität Zürich. Zürich. S. 139. 24 Einsele, Gabi (1992): "Kein Vaterland". Deutsche Studentinnen im Zürcher Exil (1870-1908). In: Schlüter, Anne (Hg.): Pionierinnen, Feministinnen, Karrierefrauen? Zur Geschichte des Frauenstudiums in Deutschland. Pfaffenweiler. S. 24.
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antisemitischer Seite hervorgehoben und so dargestellt, als ob er die einzige
Motivation für die Aufnahme der fremden, und vor allem jüdischen Studierenden an
Schweizer Hochschulen gewesen sei.25
Zürich als Zentrum der Subversion
Warum war ausgerechnet die Universität Zürich so offen gegenüber Frauen und
Fremden? In Zürich herrschte damals ein liberaler und toleranter Geist. Der Zürcher
Liberalismus war eine Folgeerscheinung der Französischen Revolution. 1798 war die
Schweiz vom revolutionären Frankreich besetzt worden, und die Zürcher Stadtväter
wurden gezwungen, die Verfassung der neu geschaffenen, zentralistischen
Helvetischen Republik, mit Aarau als Hauptstadt, anzuerkennen.26 Die freiheitliche
Verfassung, die übrigens auch für kurze Zeit den Juden zu mehr Freiheiten verhalf,
war bei den alten Eidgenossen unbeliebt. Nach dem Abzug der französischen
Truppen 1803, als die Souveränität der Kantone wieder hergestellt wurde, erhielt
Zürich wieder ein konservatives Regime. Die Zürcher Verfassung von 1815 zeigte
zwar reaktionäre Züge, doch wurden nicht alle Errungenschaften der Revolution
preisgegeben. Die Entwicklung zum Liberalismus hin war nicht mehr zu stoppen.
Die liberale Partei, die sich an den Idealen der Aufklärung orientierte und 1829 die
Pressefreiheit durchgesetzte, bekam die Oberhand, und 1831 erhielt Zürich eine
liberale Verfassung. Es wehte ein frischer Wind: Die Staatsverwaltung wurde
zentralisiert, Gewerbefreiheit eingeführt und ein neues Strassennetz wurde erstellt.27
Das Bildungswesen wurde erneuert und die Schulen dem Zugriff der Kirche
entzogen.28
In der Gründung einer Universität sahen die Liberalen ein Mittel für die geistige
Erneuerung der Stadt.29 1833 wurde die Hochschule mit den vier Fakultäten
Theologie, Medizin, Philosophie und Jurisprudenz eröffnet. Die Professorenstellen
wurden hauptsächlich mit deutschen Gelehrten, die dem reaktionären politischen
Klima Deutschlands entflohen waren, besetzt.30 Die Universität Zürich geriet in
25 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.173. 26 Siber;Craig 1988 – Geld und Geist. S.45. 27 Allg. geschichtsforschende Gesellschaft Schweiz (Hg.) 1921 – Hist. -Biograph. Lexikon. S. 708. 28 Allg. geschichtsforschende Gesellschaft Schweiz (Hg.) 1921 – Hist. -Biograph. Lexikon. S. 720. 29 Siber; Craig 1988 – Geld und Geist. S.140. 30 Ebd. S.141.
7
Deutschland schon bald in den Ruf eine „Brutstätte der Subversion“ zu sein, und die
Regierungen Bayerns, Preussens und Württembergs verboten ihren Untertanen unter
Androhung von Strafe beziehungsweise Sanktionen, in Zürich zu studieren. Die
Universität Zürich blieb so, anders als es ihre Gründer erhofft hatten, hauptsächlich
auf Schweizer Studenten angewiesen.31 Die Machtergreifung der Konservativen in
Zürich 1839 hatte fatale Folgen für die junge Universität: die finanziellen Mittel
wurden gekürzt, und die akademische Freiheit wurde angegriffen. In der Folge
verlor die Universität viele Studenten. Während 1833 noch 159 Studenten
immatrikuliert waren, waren es im Wintersemester 1841/42 nur noch 97.32 In dieser
Zeit wurden die ersten zwei Schweizer Frauen als Gasthörerinnen zugelassen.33 Mit
der Rückkehr der Liberalen an die Macht verbesserte sich die Lage der Universität.
Als Folge der Revolutionen von 1848 in den umliegenden Ländern gelangten weitere
namhafte Wissenschaftler nach Zürich, was zu einem Anstieg der Studentenzahlen
führte. Im Wintersemester 1853/54 war die Universität Zürich mit 200 Studenten die
grösste der Schweiz.34
1864 bat die Russin Marija Knjažnina um Zutritt zu den naturwissenschaftlichen
Vorlesungen der Universität. Die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich gewährte
ihr und der 1865 nachfolgenden Nadežda Suslova den Zutritt als Gasthörerinnen, tat
sich aber schwer damit, sie regulär zu immatrikulieren. Erst als sich Suslova 1867
zur Doktorpromotion anmeldete, wurde sie nachträglich immatrikuliert.35 Damit war
ein Präzedenzfall geschaffen, und weitere Studentinnen sollten folgen. Erleichternd
kam hinzu, dass damals von Studenten, die nicht aus dem Kanton Zürich stammten,
kein Maturitätszeugnis, sondern lediglich ein Sittenzeugnis verlangt wurde.36
Im Wintersemester 1868/69 schrieben sich acht Studentinnen, davon zwei
Russinnen, an der Universität Zürich ein.37 Die Lehrkräfte waren neuen Studentinnen
gegenüber mehrheitlich positiv eingestellt, wie dies auch Virgijna Šlykova in ihren
Erinnerungen beschreibt:
Die Professoren machten keinen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Studierenden, manche betrachteten diese Anfänge des Frauenstudiums als interessantes Experiment. Ihr Benehmen uns gegenüber war durchaus taktvoll und höflich. Das gleiche
31 Ebd. S.142. 32 Ebd. S.144. 33 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 20. 34 Siber;Craig 1988 – Geld und Geist. S.145. 35 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 21. 36 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.12. 37 Siebel, Johanna (1933): Das Leben von Frau Dr. Marie Heim-Vögtlin, der ersten Schweizer Ärztin, 1845-1916. Zürich..S.59.
8
kann von den Studenten nicht immer gesagt werden, es waren viele Gegner des Frauenstudiums unter ihnen und ihr Verhalten war weder freundlich noch kollegial, und als die Zahl der russischen Studentinnen immer mehr zunahm, fanden stürmisch verlaufende Studentenversammlungen statt, in welchem gegen das Frauenstudium protestiert und sogar Ausweisung der Ausländerinnen verlangt wurde.38
Die Aufnahmeprüfung an die ETH in Zürich bestanden 1871 und 1872 als erste
Frauen die Russinnen Nadina Smetzky 39 und die spätere Anarchistin Anna
Moiseevna Rozenštejn (1854-1925), letztere die Tochter eines jüdischen Kaufmanns
aus Simferopol. Rozenštejn, die in Zürich zur Agrarkommunistin und Anarchistin
wurde, zerriss bald ihre Aufnahmebescheinigung und stürzte sich in den politischen
Kampf. 40
In den folgenden Jahren strömten Hunderte russischer Studentinnen nach Zürich.
1873 waren 100 Russinnen an der Universität Zürich immatrikuliert – bei einer
Gesamtzahl aller Studierenden von 439.41 Zürich Fluntern, wo die meisten Russinnen
und Russen lebten, galt als eigentliche „Russenkolonie“, wie die russischen
Studierenden sie selbst bezeichneten. Die russischen Studierenden unterhielten eine
eigene Infrastruktur wie Bibliothek und verschiedene Speisehallen. Es entstand auch
eine selbstorganisierte Unterstützungskasse für arme Studierende42. Nicht wenige
der Russinnen kamen wie Rozenštejn in Berührung mit revolutionären
Emigrantengruppen.43 Der anarchistische Führer Bakunin, der 1872 nach Zürich
gezogen war, knüpfte dort Kontakte mit russischen Studenten und Studentinnen.44
Jetzt war es die russische Regierung, die in Zürich eine Brutstätte der Revolution sah.
Sie liess am 4. Juni 1873 in verschiedenen europäischen Tageszeitungen einen Ukaz,
einen Erlass veröffentlichen, der es allen russischen Frauen verbot, ihr Studium in
Zürich fortzusetzen.45:
Die in die Politik hereingezogenen Mädchen fallen unter den Einfluss der Rädelsführer der Emigration und werden zu folgsamen Werkzeugen in den Händen derselben. Einige reisen zwei- und dreimal jährlich aus Zürich nach Russland, nehmen verschiedene Aufträge mit, führen Briefe und Proklamationen über die Grenze und nehmen lebendigen Anteil an der verbrecherischen Propaganda. Andere lassen sich von den kommunistischen Theorien über die freie Liebe hinreissen und treiben – die Scheinheirath als Vorwand gebrauchend - die Verachtung der ersten Grundsätze der Sittlichkeit und der Frauenkeuschheit bis auf die höchste Spitze. Das unwürdige Betragen der russischen Frauen hat gegen dieselben den Hass der dortigen Bevölkerung geweckt, und sie werden sogar nur mit grossem Widerwillen von
38 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 60. 39 Ebd. S. 53. 40 Bankovski-Zülig 1988 – Zürich. S. 135. 41 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.12. 42 Huser Bugmann, Karin (1998): Schtetl an der Sihl. Einwanderung, Leben und Alltag der Ostjuden in Zürich 1880-1939. Zürich. S.145. 43 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.12. 44 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 23. 45 Ebd. S. 27.
9
den Wirthinnen in ihre Wohnungen hereingelassen. Einige dieser Mädchen sind sogar so niedrig gefallen, dass sie speziell denjenigen Theil der Geburtshülfe studiren, welcher in allen Ländern vom Kriminalgesetz und von der Verachtung aller ehrlichen Leute verfolgt wird.46
In der Folge verliessen die meisten Russinnen Zürich, und in den kommenden Jahren
erfolgte eine Verlagerung nach Bern und auch Genf. Von den im Sommersemester
1873 eingeschrieben Russinnen blieben nur noch zwölf in Zürich.47 90% der
Russinnen kehrten nach dem Ukaz nach Russland zurück, und die Zahl der
russischen Studentinnen in der Schweiz blieb bis in die 1880er Jahre relativ klein.48
Wenngleich ab den 80er Jahren die meisten russischen Studierenden in Bern und
Genf waren, bildete sich auch in Zürich wieder eine grosse Russenkolonie und wurde
später in einem Sonderdruck zum 100jährigen Jubiläum der Hochschule als die
„eigentliche ‚Russenzeit’ der Zürcher Universität“ bezeichnet.49
Zürich galt noch lange als das Zentrum der russischen revolutionären Studenten. Aus
diesem Grunde wünschte später Theodor Herzl, der das zaristische Regime nicht
provozieren wollte, dass der 1. Zionistenkongress von 1897 nicht in Zürich, sondern
in Basel abgehalten werden sollte.50
Bern und Genf, die neuen Zentren der Russinnen
Die Universität Bern öffnete nur zögerlich ihre Tore für weibliche Studierende. Die
ersten Frauen, die ab 1872 in Bern studierten, wurden anfänglich als eine
vorübergehende Erscheinung angesehen, doch die meisten Lehrkräfte verhielten sich,
wie schon in Zürich, den Studentinnen gegenüber offen und freundlich. Die
Medizinstudentin Chassja Schur schrieb dazu: „Aeby, Professor der Anatomie, zeigte
uns Studentinnen seine moralische Unterstützung, wenn die schweizerischen
Corpsstudenten uns Russinnen gegenüber ausfällig wurden und uns grundlos
beleidigten.“51 In den folgenden Jahren strömten Hunderte von Studentinnen,
46 Ebd. S. 304. 47 Ebd. S. 28. 48 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.14. 49 Huser Bugmann 1998 – Schtetl an der Sihl. S.145. 50 Kury, Patrick (1998): ".die Stilverderber, die Juden aus Galizien, Polen Ungarn und Russland. Überhaupt die Juden.". Ostjudenfeindschaft und die Erstarkung des Antisemitismus. In: Mattioli, Aram (Hg.): Antisemitismus in der Schweiz. Zürich. S.426. 51 Rogger 1999 – Der Doktorhut im Besenschrank. S.39.
10
hauptsächlich Russinnen, nach Bern. 52 Die meisten von ihnen studierten Medizin.
Die ersten Doktorarbeiten in den Jahren zwischen 1874-1879 von Frauen waren
ausschliesslich von Russinnen.53 Die Studentinnen aus dem Zarenreich hatten für
Schweizerinnen durchaus eine Vorbildfunktion:
Das Bild der kleinen Russin, die mit ihrer Mappe auf dem Arm, das Pelzmützchen auf dem oft kurzen Haar, die Augen wie von einem geheimen Schatz leuchtend, den Hörsälen zueilte, hat wohl doch mancher Schweizerin den Gedanken an ein Studium in die Nähe gerückt, wenn die betreffende sich oft dessen auch nicht bewusst sein mag. Ohne diese Fremdlinge hätten wir den Weg in die Hochschule vielleicht noch später und noch seltener gefunden.54
In den 1880er Jahren stieg die Zahl der russischen Studentinnen sprunghaft an. Nach
der Ermordung des Zaren Alexanders des Zweiten 1881 verschlechterte sich die
Bildungssituation für Frauen in Russland. Die von ihm eingeführten Frauenkurse
wurden 1882 durch die Regierung geschlossen, und die Studentinnen waren
gezwungen, im Ausland zu studieren.55 Gleichzeitig verschlechterte sich die Lage
der Juden in Russland. Den Pogromen und den wirtschaftliche Beschränkungen
folgte 1886 ein Numerus Clausus für jüdische Studenten. In der Folge nahm die Zahl
der jüdischen Studenten in Deutschland und in der Schweiz um ein Vielfaches zu.56
In den Städten Bern und Genf bildeten sich wie in Zürich eigentliche
Russenkolonien, wo heftig diskutiert und politisiert wurde: Zionismus, Anarchismus
und Sozialismus bildeten wichtige Strömungen.
Die Zahl der russischen Studierenden erreichte im Wintersemester 1906/1907 seinen
Höhepunkt: Von gesamtschweizerisch 6444 Studierenden waren 2322 russische
Staatsangehörige, davon 1507 Frauen und 815 Männer.57 Das heisst, dass die
Russinnen über 23 % der gesamten Studentenschaft ausmachten. Zusammen mit den
Studentinnen aus den anderen Ländern betrug der Frauenanteil 30 %.58
Ressentiments und Beeinflussung
52 Ebd. S.15. 53 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 107. 54 Ebd. S. 101. 55 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.48. 56 Graetz, Michael (1997): Die russisch-jüdischen Studenten an den Universitäten in Deutschland und der Schweiz - eine "Subkultur" um die Jahrhundertwende. In: Graetz, Michael (Hg.): Krisenwahrnehmungen im Fin de siטcle. jüdische und katholische Bildungseliten in Deutschland und der Schweiz. Zürich. S.140. 57 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.15. 58 Ebd. S.17.
11
In den ersten Jahren gab es nur sporadische Kontakte zwischen Russinnen und
Einheimischen. Die erste Schweizer Ärztin, Marie Heim-Vögtlin, schrieb 1868 als
frischgebackene Studentin: „Denke Dir, wir sind nun acht Frauen, fünf neue mit mir,
zwei Russinnen, eine Amerikanerin und eine Engländerin. Die Russinnen gefallen
mir weniger; aber die anderen, mit denen ich alle Kollegien teile, haben mich
ungemein angesprochen...“59 . Diese Ablehnung kann noch nicht beispielhaft
gesehen werden, da möglicherweise persönliche Ressentiments im Spiel waren:
Sollte doch Maries ehemaliger Verlobter, der Arzt und spätere Zürcher
Sozialreformer Friedrich Erismann (1842-1915) noch im selben Jahr seine ehemalige
Kommilitonin, die Russin Nadežda Suslova, heiraten.60 Zwei Jahre später, als immer
mehr Russinnen in Zürich studierten und die männliche Studentenschaft offen gegen
studierende Frauen agierte, schickten Marie Vögtlin und fünf weitere Studentinnen,
darunter auch die Russin Marija Bokova61eine Petition an den Senat, in der verlangt
wurde, dass von nun an nur noch Frauen mit Maturitätsprüfungen an der Universität
zugelassen werden sollten.62 Man nimmt es Marie Vögtlin gerne ab, dass es ihr
dabei um die Rettung des Frauenstudiums ging, dennoch hat damals dieser Schritt
viel böses Blut geschaffen. Sie schrieb am 11. März 1870:
Das Resultat unserer Petition ist noch nicht bekannt. An einem Abend musste ich eine Schar Studenten versammeln und ihnen eine Rede halten – es war ganz schön zu sehen, wie herzlich bereit sie waren, für unsere Meinung und Sache gegen die Widersacher ins Feld zu ziehen. Die Russen hatten nämlich arge Drohungen gemacht, und wir wollten, dass unsere Studenten von uns aus die Sachlage erführen - daher die Rede. Schliesslich ergaben sich die Russen und Russinnen und sandten mir offiziell einen Nuntius mit der Ankündigung dieser Sinnesänderung.63
Obwohl die Petition von einer russischen Studentin mitunterschrieben worden war,
zeigen die Worte „Widersacher“, „Drohung“ und „Nuntius“, dass zwischen dem
Grossteil der russischen und schweizerischen Studierenden ein miserables Verhältnis
geherrscht haben muss. Dennoch können die Schweizer Verhältnisse dieser
Anfangszeit nicht direkt mit der breitangelegten Ausgrenzung der Russinnen durch
deutsche Studentinnen an deutschen Universitäten um die Jahrhundertwende
verglichen werden.64 Im Vergleich zu Deutschland der Jahrhundertwende gab es in
59 Siebel 1933 – Das Leben von Frau Dr..S.59. 60 Bankovski-Züllig, Monika (1988): Nadežda Prokof'evna Suslova (1843-1918) - die Wegbereiterin. In: Verein Feministische Wissenschaft Schweiz (Hg.): Ebenso neu als kühn. 120 Jahre Frauenstudium an der Universität Zürich. Zürich. S. 122. 61 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.100. 62 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 24-25. 63 Siebel 1933 – Das Leben von Frau Dr..S.87-89. 64 Burchardt, Anja (2000): "Schwestern reicht die Hand zum Bunde"? Zum Verhältnis zwischen russischen und deutschen Medizinstudentinnen in den Anfängen des Frauenstudiums (1865-1914). In:
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diesen Anfangsjahren kaum einheimische Studentinnen, und Schweizerinnen
konnten keine eigene Gruppe bilden. Doch auch wenn die Schweizerinnen nicht die
Möglichkeit hatten, die Russinnen im grossen Stil auszugrenzen, blieben die
Russinnen weitgehend isoliert. Die verschiedenen Kreise hielten sich auch später von
einander fern, und Freundschaften entstanden hauptsächlich innerhalb der eigenen
nationalen Gruppe. Die Medizinstudentin Virgijna Šlykova schrieb:
Als ich im Frühjahr 1872 nach Zürich kam, mochte die Zahl der Medizin-Studentinnen ungefähr 20 gewesen sein, die meisten älter als ich, ernste reife Persönlichkeiten, die voll Eifer nur ihrem Studium oblagen. Zwei davon die Schweizerin Marie Vögtlin und die Engländerin Frl. Atkin waren bereits in den höheren klinischen Semestern, mit Franziska Tiburtius hatte ich manches gemeinsame Kolleg, aber keine nähern persönlichen Beziehungen; die ältere etwas steife, norddeutsche, überaus korrekte, ehemalige Erzieherin war für mich eher Respektsperson als Kommilitonin. Ich verkehrte ausschliesslich mit meinen Landsmänninnen, deren Zahl immer mehr, im Sommer 1873 bis auf 100 angewachsen war. Unter ihnen waren viele Revolutionärinnen, denen das Studium nur Mittel zum Zweck war.65
Die russischen Studentinnen, die sich oft auch in ihrem Äusseren vom Bild eines
braven Fräuleins abhoben, sollten das Bild der studierenden Frau per se prägen. In
ihrer Beschreibung der russischen Studentin Lubatowitsch zeichnet Virgijna Šlykova
das Bild einer solchen Studentin:
Sie war der Typus jener Studierenden, die durch ihr Auftreten und ihr Äusseres auffallen wollen: Kurzer schwarzer Rock, kurze Haare – [...], auf der Strasse trug sie einen Matrosenhut und einen nachlässig über die Schultern geworfenen Schal, dazu rauchte sie Zigaretten, etwas in Zürich Niedagewesenes, und missachtete aus Prinzip die üblichen Umgangsformen; kein Wunder, dass sie und ihresgleichen in den etwas kleinstädtischen und philiströsen bürgerlichen Kreisen Zürichs verschrien war, und auch im Auslande die Absicht verbreitet war, alle Studentinnen seien emanzipiert.66
Die erschreckte Bevölkerung vermischte bald einmal die Begriffe Frauenstudium
und Nihilismus, wie die berühmte Friedensaktivistin Bertha von Suttner später
bemerken sollte.67 Die Einheimischen begegneten den russischen Studentinnen
zurückhaltend bis feindselig: oft wurde ihnen die Miete von Zimmern verweigert,
und so wundert es nicht, dass sie hauptsächlich in den Russenkolonien anzutreffen
waren. 68
Unter den anderen Mitstudentinnen entstand die Maxime, sich möglichst unauffällig
zu kleiden und „jede als männlich zu deutende Note in der äusseren Erscheinung und
Konferenz 100 Jahre Frauen in der Wissenschaft (Hg.): Barrieren und Karrieren. Die Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland;Dokumentationsband der Konferenz "100 Jahre Frauen in der Wissenschaft" im Februar 1997 an der Universität Bremen. S.297. Burchardt erwähnt nicht, dass auch eine Russin die Petition mitunterschrieben hat. Dadurch entsteht ein ungenaues Bild der Schweizer Verhältnisse in den 1870er Jahren, das zum direkten Vergleich mit den Zuständen in Deutschland um die Jahrhundertwende verleitet. 65 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 61. 66 Ebd. S. 59. 67 Burchardt 1997 – Blaustrumpf. S.56. 68 Bankovski-Zülig 1988 – Zürich. S.127-128.
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im Auftreten“69 zu vermeiden, wie dies die deutsche Studentin Ricarda Huch, die ab
1888 in Zürich Geschichte, Philologie und Philosophie studierte, ausdrückte.70 So
liess sich Ricarda Huch zu Beginn ihres Studiums die kurzgeschnittenen Haare
wieder wachsen. Möglicherweise haben deutsche und einheimische Studentinnen,
wenn sie sich so deutlich von den russischen Studentinnen absetzten, indirekt vom
negativen Image der Russinnen profitieren können.
Auf andere Studentinnen muss der nonkonforme Studentinnenlook aber eine grosse
Anziehungskraft gehabt haben. So schrieb Hedwig Bleuler-Waser (1869-1940), die
1889-1893 in Zürich studierte, und die Vorkämpferin der schweizerischen
Abstinenzbewegung werden sollte, über ihre Auseinandersetzungen im Vorfeld zu
ihrem Studium:
Junge Herren seien sich doch alle darin einig, dass sie so etwas entartetes wie eine Medizinerin nie heiraten würden. In der Tat versicherte mir das auch derjenige, den ich damals für meinen Zukünftigen – allerdings noch sehr Zukünftigen - hielt. Ich aber hatte nun einmal meinen Entschluss gefasst, lieber allem Irdischen zu entsagen, als mein Vorhaben aufzugeben, und war bereit, als erstes Opfer und Symbol meinen Zopf auf den Altar der Wissenschaft zu legen.71
Auch die aufmüpfige Art der Russinnen und ihre gegenseitige Solidarität fiel auf. Als
sich einmal eine Studentin der Berner Russenkolonie von einem bekannten
politischen Aktivisten schwanger glaubte, taten sich alle Frauen der Kolonie
zusammen und zwangen den Mann zur Heirat mit seiner Kommilitonin.72 Die
Gründerinnen des Berner Studentinnenvereins (1899) müssen vom selbstbewussten
Auftreten der Russinnen beeinflusst gewesen sein. Der Berner Studentinnenverein
wehrte sich dezidiert gegen sexistische Übergriffe. Im sogenannten
„Rachmilewitschhandel“ von 1901 verliessen einmal sämtliche Russinnen in corpore
den Hörsaal, als Protest gegen die „ungezogene Gebärde“ des Schweizer Studenten
Hermann Richter gegen die russische Medizinstudentin Esther Rachmilewitsch. Der
Berner Studentinnenverein verlangte „Genugtuung“, und Richter verliess die
Universität Bern.73 Die Historikerin Franziska Rogger bezeichnet den Berner
Studentinnenverein, aus dem die führenden Feministinnen der 20er Jahre 69 Huch, Ricarda (1960): Frühling in der Schweiz. Jugenderinnerungen. [5. Aufl.]. Freiburg i.Br.;Zürich. S.30. 70 Schnurrenberger, Regula (1988): Die Philosophische Fakultät I. In: Verein Feministische Wissenschaft Schweiz (Hg.): Ebenso neu als kühn. 120 Jahre Frauenstudium an der Universität Zürich. Zürich. S. 167. 71 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 66. 72 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.142. 73 Schweizerischer Verband der Akademikerinnen (Hg) 1928 – Das Frauenstudium. S. 105. und Rogger 1999 – Der Doktorhut im Besenschrank. S.11. In „Das Frauenstudium“ wird das Engagement des Berner Studentinnenvereins in dieser Affäre nicht erwähnt. Dadurch entsteht das falsche Bild von völlig angepassten Schweizer Studentinnen und isolierten Russinnen.
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hervorgingen, als eine „eigentliche Kaderschmiede für die Schweizer
Frauen(stimmrechts)bewegung“.74
Antisemitismus in den Hochschulen
Jüdische Studentinnen waren schon in den frühesten Anfängen des Frauenstudiums
vertreten. So sind in der Matrikeledition der Universität Zürich für das Jahr 1868
unter sieben Studentinnen zwei Ostjüdinnen aufgeführt: die Medizinstudentin Anette
Serebrianny und Betty Frohnstein, die an der mathematisch-naturwissenschaftlichen
Fakultät immatrikuliert war.75
Es liegen keine genauen Zahlen über den Anteil der jüdischen Studentinnen vor.
Jacob Leśćinskij, Begründer der jüdischen Soziologie und Demographie, der vor der
Jahrhundertwende in Zürich und Bern studiert hat, schätzte den Anteil jüdischer
Studierender innerhalb der russischen Studentenschaft auf 90 %.76 Daniela
Neumanns Einschätzung ist etwas zurückhaltender. Für die Jahre von 1880 bis 1914
kommt sie auf einen Anteil von 60 % bis 80 %.77 Neumann hat die Zahlen für die
Universität Zürich im Zeitraum 1900-1908 genauer untersucht und kommt dort auf
einen Anteil von mindestens 60 % Jüdinnen unter den russischen Studentinnen.78
Doch selbst bei der vorsichtigsten Schätzung kann davon ausgegangen werden, dass
spätestens ab den 1880er Jahren die Mehrheit der Studierenden aus dem Zarenreich
jüdischer Abstammung war und dass Jüdinnen spätestens ab der Jahrhundertwende
die Mehrheit aller Studentinnen ausmachten.
Die jüdischen Studentinnen unterschieden sich in ihrem Äusseren kaum von den
übrigen russischen Studentinnen, und die Unmutsäusserungen aus der Bevölkerung
richteten sich anfangs eher gegen das „Russische“ als gegen das „Jüdische“.79
Innerhalb der Hochschulen wurden sie hingegen sehr wohl wahrgenommen. Die
deutsche Studentin Franziska Tiburtius, die 1876 in Zürich in Medizin doktorierte,
74 Rogger 2002 – Kropfkampagne. S.106. 75 Universität Zürich - Rektorat der Universität Zürich (Hg.) (2006): Matrikeledition der Universität Zürich. Jahr 1868: Nr. 3348-3461 - 7 Online verfügbar unter http://www.matrikel.unizh.ch/pages/357.htm. 76 Huser Bugmann 1998 – Schtetl an der Sihl. S.144. 77 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.51. 78 Ebd. S.82. 79 Ebd. S.173.
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erwähnte in einem ihrer Briefe, dass das Deutsch einiger russischer Jüdinnen recht
gut gewesen sei.80
Im Jahre 1866 wurde in der Schweiz den Juden Niederlassungsfreiheit ohne
Kultusfreiheit81 gewährt. Assimilierte Juden konnten sich somit in der Schweiz
niederlassen. Nach der späten Gleichstellung der Schweizer Juden 1874 erfolgte eine
grössere Zuwanderung von Juden aus dem Ausland. So wuchs die Zahl der in der
Schweiz lebenden Juden von 3145 im Jahre 1850 auf 8089 im Jahre 1888.82 Auch
wenn die Einwanderung hauptsächlich vom Elsass und vom Vorarlberg her erfolgte
und die Zahl der Ostjuden sich auf einige Hundert beschränkte, beschworen
Schweizer Antisemiten das Feindbild vom unzivilisierten Ostjuden. Mit der
Annahme des Schächtverbots von 1893 hatte ein grosser Teil der schweizerischen
Bevölkerung ihrer judenfeindlichen Gesinnung Ausdruck gegeben. Mit dem Verbot
war der Wunsch verknüpft, dass es zu keiner weiteren jüdischen Zuwanderung
kommen sollte.
Gegen Ende des Jahrhunderts, als die ostjüdischen Studierenden an Schweizer
Hochschulen in grosser Zahl vertreten waren, wuchs auch der Antisemitismus in
akademischen Kreisen. Die Zahl der jüdischen Studentinnen und Studenten aus
Russland hatte sich aufgrund der Verfolgungen und Repressionen im Zarenreich
vervielfacht. Der Zoologieprofessor Conrad Keller an der ETH Zürich schrieb:
Ich muss zugeben, dass ich unter den studierenden Russen und Russinnen, soweit es sich um reinblütige Rasse handelte, sehr strebsame und tüchtige Typen kennengelernt habe[...] Daneben waren aber auch viele minderwertige Elemente vorhanden, die namentlich von jüdischen Studentinnen und Studenten beherrscht wurden und für mich abstossend waren.[...] Von 1874 an wechselte in Zürich die Physiognomie der russischen Studierenden sehr auffallend. Die minderwertigen Elemente zeigten eine ungesunde Zunahme, das russische Judentum gewann die Oberhand.83
Kellers pseudowissenschaftlicher „rassischer“ Antisemitismus ist nicht ganz typisch
für den Antisemitismus der Schweizer Bevölkerung in der damaligen Zeit, der
weniger auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse gründete, als auf religiöser
und kultureller Voreingenommenheit, die in einer allgemeinen Fremdenfeindlichkeit
ihren Ausgangspunkt hatte.
Nach der Jahrhundertwende begannen die antisemitischen Blätter „Berner
Volkszeitung“ und „Der Samstag“ mit einer Hetze gegen die „Verjudung“ der
80 Burchardt 1997 – Blaustrumpf. S.64 81 Mattioli, Aram (1998): Die Schweiz und die jüdische Emanzipation 1798-1874. In: Mattioli, Aram (Hg.): Antisemitismus in der Schweiz. Zürich. S.77. 82 Kommisssion zur Verbreitung jüdischer Volksbildung in der Schweiz (Hg.) (1918): Jüdisches Jahrbuch für die Schweiz 1917/1918. Luzern, Leipzig S. 221. 83 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S.174.
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Schweizer Universitäten.84 1908 setzte ein Kesseltreiben gegen den Berner
Philosophieprofessor Ludwig Stein (1859-1930) ein. Er war Jude aus Ungarn, und
ungefähr die Hälfte seiner Doktorandinnen und Doktoranden waren jüdischer
Herkunft. Stein hatte sich stark für ostjüdische Studierende eingesetzt und sie
manchmal auch finanziell unterstützt. Man warf ihm vor, weniger ein Gelehrter als
ein ruchloser Spekulant zu sein. Unter dem Druck der Anfeindungen reichte Stein
1910 seine Demission ein.85 In diesem Klima wurden nun auch die jüdischen
Russinnen auf einmal als Jüdinnen wahrgenommen. In seinem Roman „Alles in
Allem“ streift Kurt Guggenheim dieses Phänomen, wenn er eine kurze Bemerkung
einer Schweizer Mutter über ihre Tochter wiedergibt:
Es gehe Jacqueline gut. Sie zeige eine grosse Neigung zur Naturwissenschaft, zur Botanik vor allem. Sie habe interessante Studienkolleginnen. An zwei Schwestern scheine sie sich besonders angeschlossen zu haben, Natanson mit Namen, des israélites russes. „A vrai dire, je n’aime pas beaucoup cela.”86
Unter den Studierenden gab es keine einheitlichen Reaktionen auf die Jüdinnen und
Juden. Die unterschiedlichen Stellungnahmen für oder gegen Jüdinnen und Juden
sind nicht immer aus der Biographie der Einzelnen zu erklären. Die deutsche
Schriftstellerin und ehemalige Studentin in Zürich (1870-1871) Alexandra von
Schleinitz (1842-1901) wurde eine glühende Patriotin und Wagner-Verehrerin; sie
hat 1881 eine Streitschrift gegen den Antisemitismus „An die Judenverfolger“
herausgegeben.87 Eine andere ehemalige deutsche Studentin, Agnes Bluhm (1862-
1944) die von 1884 bis 1889 in Zürich studiert hatte, wurde Ärztin und
Rassenhygienikerin, und wurde 1940 von Adolf Hitler persönlich für ihre Studien
zur Höherentwicklung der „Rasse“ ausgezeichnet.88 Die revolutionäre Russin Lidija
Petrovna (1872-1921), die in den 1890er Jahren in Zürich, Bern und Genf studierte
und in Russland Semstwo-Ärztin wurde, äusserte sich ausgesprochen rassistisch und
judenfeindlich. Die Juden, deren Nationalcharakter so grundsätzlich verschieden, von
demjenigen der Russen sei, sollten lieber eine eigene Partei bilden „um die anderen
nicht zu demoralisieren“, schrieb sie 1906 in einem Brief an Fritz Brupbacher. 89
84 Debrunner 1998 – Der Samstag. S.310-311. 85 Ebd. S.313-314. 86 Guggenheim 1953 – Alles in Allem. Band II. S.65. 87 Pataky, Sophie (1898): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienenen Werke weiblicher Autoren, nebst Biographieen der Lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. Berlin. 88 Siebertz, Karin (1992): Agnes Blum (1862-1944). ִ◌Ärztin und Rassenhygienikerin. In: Schlüter, Anne (Hg.): Pionierinnen, Feministinnen, Karrierefrauen? zur Geschichte des Frauenstudiums in Deutschland. Pfaffenweiler. S.102. 89 Huser, Karin (2003): Eine revolutionäre Ehe in Briefen. die Sozialrevolutionärin Lidija Petrowna Kotschetkowa und der Anarchist Fritz Brupbacher. Zürich. S.342.
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Weltanschauliche Differenzen
Weltanschaulich blieben sich die Studentinnen aus Russland und die Einheimischen
oft fremd. Die Russinnen waren von hohen gesellschaftlichen Idealen getragen und
wollten gegen das Elend in ihrer Heimat ankämpfen. In ihrem sozialen Engagement
bevorzugten sie häufiger als die übrigen Studentinnen das Medizinstudium. In den
Jahren zwischen 1882 und1913 studierten so 74 % der Russinnen Medizin, während
von den übrigen Studentinnen nur 36 % diese Studienrichtung wählten.90 Dennoch
bestand durchaus eine gewisse Ähnlichkeit in der Motivation Schweizer
Studentinnen für das Medizinstudium. Auch wenn in der Literatur das Hegen und
Pflegen, das im Einklang mit dem überlieferten Frauenbild stand, betont wird91,
können die sozialen Ideale, die Schweizerinnen mit dem Medizinstudium verbanden,
nicht übersehen werden. Parallel zu den Russinnen suchten auch die Schweizerinnen
den Zugang zu den sozial Schlechtgestellten und wollten aufklärend auf sie
einwirken. Wenn auch die Schweizerin Marie Heim-Vögtlin durchaus keine
„Revoluzzerin“ war, wurde von ihr immerhin gesagt, dass sie „den Sozialismus der
helfenden Tat gelebt“ hätte.92 Sie sah im Arztberuf nicht einfach einen Selbstzweck,
sondern verband ihn mit ihrem Einsatz für die „armen Wibervölcher“.93 Auch
Ärztinnen wie beispielsweise Caroline Farner (1842-1923)94 oder Clémence Broye
(1860-1946)95 zeigten ein hohes soziales Engagement, doch es kam kaum zu einer
Annäherung zwischen russischen und Schweizer Medizinerinnen: die soziale
Verelendung im Zarenreich konnte nicht mit Schweizer Verhältnissen gemessen
werden, und Schweizerinnen, die längst nicht so politisiert waren, hatten ganz andere
Lebensentwürfe.
Die meisten russischen Studentinnen lebten in bescheidensten Verhältnissen und
waren oft bereit, ihr Leben ganz der Revolution zu opfern. Sie empfanden die
90 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S. 18. 91 Müller, Verena E. (1988): Die Medizinische Fakultät. In: Verein Feministische Wissenschaft Schweiz (Hg.): Ebenso neu als kühn. 120 Jahre Frauenstudium an der Universität Zürich. Zürich. S. 148. 92 Siebel 1933 – Das Leben von Frau Dr.. S.107. 93 Siebel 1929 – Dr. S.243. 94 Müller 1988 – Die Medizinische Fakultät. S. 150. 95 Rogger 1999 – Der Doktorhut im Besenschrank. S.51-52.
18
Schweizer oft als sehr materialistisch und politisch indifferent.96 Der Schweizer
Sozialrevolutionär Fritz Brupbacher (1874-1945) der sich dreimal mit ehemaligen
russischen Studentinnen verheiratete schilderte dies so: „Der Schweizer Student hatte
Rendite- und Heiratsprobleme, der russische Weltprobleme...“97 Im Roman „Alles in
Allem“ schildert Kurt Guggenheim die Beziehung Brupbachers (Pseudonym:
Bluntschli) mit Lidija Petrovna. Die beiden bleiben sich in grundsätzlichen Fragen
fremd:
Sie nickte. „Ihr werdet nicht gehängt – und deshalb wisst ihr nicht, was das ist – die Idee.“ [...] „Eure Idee“, sagte er, „eure Idee ist genau das was dieser Anatomie-Idiot mit seiner weissen Kreide auf die Wandtafel zeichnet – etwas Starres, ein Schema, etwas wie das Gitter einer chemischen Strukturformel – man kann sich nicht vorstellen, dass es etwas mit lebendigen Menschen zu tun hat.“ Er sah, wie sie zunächst blass, dann weiss um die Nase herum wurde. Und dann schrie sie etwas, ganz rasch auf russisch: er verstand es nicht, aber er sah wie sie zitterte und ihr Wachstuchheft zwischen den mageren Fingern zerknüllte.98
Petrovna, die seit 1901 mit Brupbacher verheiratet war, kehrte nach Russland zurück
und engagierte sich als Ärztin und Revolutionärin. Guggenheim beschreibt die
unterschiedlichen Lebenswelten und die gegenseitige Entfremdung des Paares:
„Bleib hier“, rief Bluntschli, „bleib hier bei mir, als die Frau eines praktischen Arztes in Zürich [...] Wir werden von Zeit zu Zeit ausspannen, reisen, Paris, Rom, wohin du willst, und du kannst hier eurer Sache dienen wie die vielen Russen in Genf und in dieser Stadt!“ Lydia hatte die beiden Ellbogen auf die Blechplatte des Gartentisches gestützt, die breiten Ärmel waren bis zur Armbeuge zurückgefallen, ihr schmales Gesicht ruhte in der Schale ihrer beiden Hände, und sie blickte ihren Mann ernst und fremdartig ins Gesicht. „Du spürst es in dir selbst wie es ist“, sagte sie leise. „Dort ist meine Heimat, die Bauern sind meine Brüder, und sie zu befreien ist mein Beruf. Alle Weibchen-Empfindungen sind ganz nebensächlich.“99
Begegnungen und Karrieren
Die erste Studentinnengeneration hatte die Schweiz schon in den 1870er Jahren fast
gänzlich verlassen. Die erste Russenkolonie in Zürich hatte sich zudem relativ stark
von der Aussenwelt abgekapselt, Freundschaften wurden innerhalb der eigenen
Gruppe gepflegt und es kam kaum zu Kontakten mit der Bevölkerung. Trotz
Widerständen und Abgrenzungen kam es aber auch zu seltenen Karrieren,
Begegnungen, Freundschaften und Lebensbeziehungen zwischen ostjüdischen
Studentinnen und Einheimischen. So befreundete sich während ihrer Berner
Studentenzeit (1905-1910) die spätere israelische Kinderärztin Helena Kagan (1889-
96 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S. 136. 97 Ebd. S. 176. 98 Guggenheim 1954 – Alles in Allem. Band I. S.23. 99 Ebd. S.212.
19
1978) mit der späteren Schweizer Lehrerin Margrit Sahli (1886-1973).100 Helena
Kagan hatte mit der schweizerischen Bevölkerung einen engeren Kontakt als mit
ihren russischen Studienkolleginnen und verkehrte häufig im Elternhaus von Margrit
Sahli, deren Vater, Walther Sahli, Zentralsekretär des Schweizerischen Roten
Kreuzes war. Helena Kagan stammte aus einem gutbürgerlichen Elternhaus und
interessierte sich während ihrer Studienzeit nur wenig für politische Fragen.101
Obwohl sie sich als Studentin nie einem zionistischen Kreis angeschlossen hatte,
wanderte sie 1914 nach Palästina aus.102 Die Freundschaft mit Margrit Sahli blieb ein
Leben lang erhalten.
Es kam auch zu einzelnen Eheschliessungen zwischen russischen Studentinnen und
Schweizern. Die Jüdinnen unter ihnen heirateten aber nur selten einen Nichtjuden.
Eine Untersuchung aus dem Jahre 1920 ergab, dass nur 10% der zugewanderten
Ostjuden- und Ostjüdinnen eine Mischehe eingingen.103Einige führende Schweizer
Sozialreformer und Sozialisten wie Johannes Huber, Robert Grimm, Otto Lang, Fritz
Platten oder David Farbstein hatten offenbar eine Vorliebe für russische
Ehepartnerinnen.104 Den Anfang machte der Hygieniker Friedrich Erismann, der
zwischen 1868 und 1883 mit Nadežda Suslova verheiratet war. Er ehelichte später in
zweiter Ehe die russische Medizinstudentin Sofija Gasse (= Sophie Hasse) (1847-
1925), deren gemeinsamer Sohn F. Erismann heiratete die Russin Vera Stepanova
(1883- 1955), die in Zürich Philosophie und Kunstgeschichte studiert hatte.105 Auch
der Sozialreformer und Armenarzt Fritz Brupbacher verheiratete sich ausschliesslich
mit Russinnen. Die dritte Ehe schloss er mit der Ostjüdin Paulette Raygroski (1980-
1967). Paulette die früher auch schon verheiratet gewesen war, hatte in Bern
Philosophie und in Genf Medizin studiert und besass zwei Doktortitel. 1923 zog sie
nach Zürich und heiratete ein Jahr später im Alter von 44 Jahren. Paulette und Fritz
Brupbacher führten eine gemeinsame Arztpraxis im Zürcher Arbeiterquartier
Aussersihl, arbeiteten aber getrennt. Paulette Brupbacher, die als sehr lebensfroh
beschrieben wurde106, war politisch sehr aktiv, setzte sich für Proletariat und
Sozialismus, Gleichberechtigung der Frau, sexuelle Aufklärung und Legalisierung
100 Rogger 1999 – Der Doktorhut im Besenschrank. S.17. 101 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S. 150. 102 Ebd. S. 143 und S. 222-223. 103 Huser Bugmann 1998 – Schtetl an der Sihl. S.159. 104 Neumann 1987 – Studentinnen aus dem russischen Reich. S. 178. 105 Ebd. S. 62 und S. 237. 106 Huser Bugmann 1998 – Schtetl an der Sihl. S.176.
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der Abtreibung ein. Sie schrieb Bücher, Zeitungsartikel und Broschüren und hielt in
der ganzen Schweiz Vorträge. Sie war in den 30er Jahren eine bekannte
Persönlichkeit und in einigen Kantonen wurde es ihr verboten, über die sexuelle
Frage zu referieren. Sie beherrschte mehrere Sprachen perfekt und übersetzte 1932
Bakunins „Beichte“ ins Französische. Nach dem Tod ihres Mannes 1945 zog sie sich
von der ärztlichen Tätigkeit zurück und schrieb die bekannten Bücher „Meine
Patientinnen“ und „Hygiene für jedermann“. Sie schien in dieser Zeit nicht mehr
richtig Fuss fassen zu können und wechselte als Untermieterin mehrmals ihren
Wohnort, bis sie 1952, im Alter von 72 Jahren, ohne sich abzumelden nach Tel Aviv
abreiste. Über ihren letzten Lebensabschnitt bis 1967 müsste noch recherchiert
werden. Sie kehrte zum Sterben in die Schweiz zurück und ist auf dem israelitischen
Friedhof in Unterendingen begraben.107 Am Beispiel von Paulette Brupbacher wird
deutlich, dass auch eine geglückte Integration mit innerer Einsamkeit und mit
Brüchen verbunden sein kann.
Die Galizierin Augusta Wedler Steinberg (1879-1932) war schon als Kind in die
Schweiz gekommen und wuchs in Endingen auf. Als erste Jüdin der Schweiz erwarb
sie das Primarlehrerinnendiplom, und doktorierte 1901 in Bern in mittelalterlicher
Geschichte. Sie lebte mit ihrem Mann in Wien und in Zürich und engagierte sich als
Publizistin und Verlegerin. Als überzeugte Zionistin beteiligte sie sich am
„Weltverband Zionistischer Frauen“ (WIZO) und widmete sich als Journalistin der
Idee eines jüdischen Nationalstaates, verstand sich aber gleichzeitig auch als
Schweizer Patriotin. Sie schrieb das bis heute wegweisende Werk „Geschichte der
Juden in der Schweiz“.108 Sie starb im Alter von 53 Jahren in Zürich bevor das Werk
veröffentlicht wurde. Es sollten 35 Jahre vergehen, bis es überarbeitet und gedruckt
wurde. Der Schweizer Literaturkritiker Charles Linsmayer schreibt dazu:
Es war nicht nur das Misstrauen, das die ostjüdische Herkunft der Verfasserin noch immer erregte; der Veröffentlichung stand auch die Sorge im Wege, eine Darstellung der jahrhundertelangen Unterdrückung der jüdischen Minderheit könnte in dunkler Zeit von den Schweizer Mitbürgern als Provokation empfunden werden.109
Die Geschichte ihres Werkes zeigt symbolhaft, wie schwierig es gewesen sein muss,
in der Schweiz Fuss zu fassen. Augusta Wedler-Steinberg, die schon ihre ganze
107 Rutishauser, Hanna (1987): Paulette Brupbacher. Paula - Paulette - Pauline - Pelta Brupbacher. Quartierzentrum Kanzlei (Zürich), Historischer Verein Aussersihl. S.1 – 3. 108 Rogger 1999 – Der Doktorhut im Besenschrank. S.94. 109 Linsmayer, Charles (1989): Literaturszene Schweiz. 157 Kurzporträts von Rousseau bis Gertrud Leutenegger. Zürich S. 117.
21
Kindheit in der Schweiz verbracht hatte und sich aussergewöhnlich engagierte,
wurde letztlich immer als Fremde wahrgenommen.
Anna Esther Tumarkin (1875-1951) aus Kischineff studierte von 1892 bis 1895 in
Bern Philosophie. Ihr Doktorvater war Ludwig Stein, den sie 1909/1910 als
Stellvertreterin ablösen sollte. Sie wurde damit die erste Universitätsdozentin
Europas, die die Berechtigung hatte, Doktorexamen abzunehmen.110Sie war damals
bereits Titularprofessorin, dennoch wurde sie nicht als Steins Nachfolgerin ordiniert.
Die Begründung lautete:
Wenn Fräulein Tumarkin trotzdem nicht die geeignete Persönlichkeit für das zu besetzende Ordinat zu sein scheint, so hat dies darin seinen Grund, dass ihre Arbeitskraft doch nicht den Vergleich aushalten kann mit derjenigen der tüchtigeren unter ihren männlichen Mitbewerbern.111
Obwohl Tumarkin dieses hohe Ziel nicht erreichte, hatte sie aussergewöhnlichen
Erfolg und lehrte als Extraordinaria, bis sie sich 1943 aus gesundheitlichen Gründen
zurückzog. Ihr Erfolg wird auch im Zusammenhang mit ihrem bescheidenen Wesen,
und ihrem Desinteresse für Politik in Verbindung gebracht. 112 Lange Zeit hatte sie
kein Verständnis für die Anliegen der schweizerischen Frauenbewegung. Sie schrieb
1929:
Und nun höre ich die Schweizerfrauen seit Beginn unseres Jahrhunderts ihre politischen Rechte reklamieren. Rechte? Hatten denn jene Heldinnen der russischen Geschichte, wenn sie ihre durch Zuchthausarbeit in Sibirien verurteilten Männer begleiteten, wenn sie ihr eigenes Leben opferten, wenn sie ihre Männer und Söhne zu dem schwersten Leiden und Tod drohenden Kampfe segneten, je an die Frauenrechte gedacht? [...] Für die Frau, die in der Politik nur darum frägt, weil sie ihre Rechte wahren will, konnte ich mich nicht erwärmen. Politische Rechte ohne uneigennützige Liebe zum Volk und reines, ursprüngliches Interesse für den Staat schien mir kein ideelles Ziel.113
Im Laufe der 20er Jahre wandelte sich ihre Sichtweise, und sie engagierte sich für die
Frauenbewegung und für die Saffa (Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit)
von1928 und schrieb Artikel wie „Ein Blick in das Geistesleben der Schweizer
Frauen einst und jetzt“.114 Als ihr russischer Pass ungültig wurde, liess sie sich 1921
einbürgern und erwies der Schweiz in etlichen Publikationen und im Buch „Wesen
und Werden der schweizerischen Philosophie“ liebevolle Reverenz.115 Gleichzeitig
unterstützte sie ihre Familienangehörigen in Kischineff und litt grenzenlos unter der
Vernichtung ihrer Heimatstadt und der Auslöschung der jüdischen Bevölkerung.
Über diese Gefühle sprach sie nur selten in der Öffentlichkeit, doch sie teilte sie mit
110 Rogger 1999 – Der Doktorhut im Besenschrank. S.164-167. 111 Ebd. S.168. 112 Rogger 1999 – Der Doktorhut im Besenschrank. S.170. 113 ebd. S.173. 114 Ebd. S.172. 115 Ebd. S.172.
22
ihrer jüdischen Lebensgefährtein Ida Hoff (1880–1952) mit der sie von 1912 an bis
zu ihrem Tod zusammenlebte. Ida Hoff war 1886 mit zusammen ihrer Mutter Anna
(1861–1901), die in Zürich studierte, aus Moskau in die Schweiz gekommen.116 Ida
Hoff und Anna Tumarkin lernten sich später in Bern kennen, wo Ida Medizin
studierte. Die engagierte Feministin Ida Hoff wurde die erste Schulärztin Berns. Die
beiden Freundinnen, die 1927 und 1937 Reisen in die alte Heimat unternahmen,
litten unter der allgemeinen Herzlosigkeit angesichts des Schicksals des jüdischen
Volkes. Eine gute Freundin erinnerte sich:
Dass den Juden all das Grauenhafte angetan werden konnte, ohne dass ein Sturm der Entrüstung durch die ganze Welt gebraust wäre, daran haben die Freundinnen schwer getragen[...] Auch die nicht immer rühmliche Haltung der Schweiz gegenüber den Flüchtlingen und manche Äusserungen des Antisemitismus in der Schweiz bedrückten sie.117
So trüben der Umgang mit dem Holocaust und der schweizerische Antisemitismus
die beispielslose Erfolgsgeschichte zweier ehemaliger russischen Studentinnen, die
sich mit grossem Einsatz und Überzeugung in der Schweiz engagierten.
116 Rogger 2002 – Kropfkampagne. S.103. 117 Ebd. S.114.
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Schlussfolgerungen
Die Literatur, die sich auf die Anfänge des Frauenstudiums in der Schweiz bezieht,
ist voller Widersprüche. Beinahe die ganze Sekundärliteratur stützt sich auf „Das
Frauenstudium“ von 1928, ein Werk, das in seiner Darstellung einen stark
nationalistischen Anstrich hat. Daraus Strukturen und Mechanismen für die Zeit
zwischen 1867 bis 1914 ableiten zu wollen, ist heikel. Gerade in den Anfangsjahren
sind die regionalen und individuellen Unterschiede zu gross, als dass sich aus den
verschiedenen Einzelteilen ein einheitliches Gebäude zimmern liesse. Einen
Lichtblick bildet Daniela Neumanns Dissertation von 1987, die in ihrer Fülle und
ihren Fragestellungen nicht zu einfachen Antworten verleitet.
Die ersten Studentinnen an den Schweizer Universitäten hatten, wenngleich die
Randbedingungen im internationalen Vergleich ideal waren, gegen vielfältige
Hindernisse anzukämpfen. Der liberale Geist, positiv eingestellte Lehrkräfte und
mögliche finanzielle Vorteile für die Universitäten allein boten keine Garantie für die
Durchsetzung des Frauenstudiums. Gesellschaftliches Unverständnis, Angriffe von
Seiten der männlichen Kommilitonen und pseudowissenschaftliche Bedenken gegen
die Eignung von Frauen für geistige Tätigkeiten mussten überwunden werden.
Dieser Kampf wurde auf verschiedenen Ebenen geführt: Einerseits durch einzigartige
Pionierleistungen und Karrieren einzelner Frauen, die forderten und Forderungen
erfüllten, bevor sie an sie gestellt wurden. Nadežda Suslova, die ihre
Doktordissertation schon vor der Immatrikulation einreichte, aber auch die
Studentinnen um Marie Vögtlin, die, ohne selbst im Besitz eines
Aufnahmezeugnisses zu sein, verlangten, dass ein solches für alle Studierenden
eingeführt werden sollte, verdienen hinsichtlich der Anfangsjahre eine besondere
Beachtung. Der frühe Erfolg dieser Frauen führte dazu, dass in der Schweiz weniger
gegen das Frauenstudium im Allgemeinen argumentiert wurde und die Rolle der
Frauenbewegung in dieser Debatte nur marginal war.
Neben diesen individuellen Pionierleistungen hat auch das frühe und massenhafte
Auftreten von Studentinnen für eine schnellere Akzeptanz des Frauenstudiums
gesorgt. Die Tatsache, dass die meisten Studentinnen Ausländerinnen waren, die die
Schweiz nach dem Studium wieder verlassen sollten, führte dazu, dass sie nicht als
Konkurrenz wahrgenommen wurden. Dass es Russinnen waren, die nicht ohne
weiteres von der Bevölkerung akzeptiert wurden, könnte für die einheimischen
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Studentinnen, die sich in ihrem Äusseren und in ihrem Auftreten klar von den
Fremden abgegrenzt haben, möglicherweise die Situation entschärft haben. Wenn
auch von Seiten der Schweizer Studentinnen nie eine Kampagne gegen die
russischen Studentinnen erfolgte, lebten diese doch mehrheitlich isoliert.
Dennoch hatten die Russinnen für Schweizer Studentinnen nicht nur die Funktion
von Wegbereiterinnen; sie hatten auch eine Vorbildfunktion und beeinflussten
führende Gestalten der Schweizer Frauenbewegung, die in Bern studiert hatten.
Wenn auch seltene Begegnungen und Beziehungen zwischen Einheimischen und
Russinnen möglich waren, waren die weltanschaulichen Differenzen kaum
überbrückbar. Die wenigen russischen Studentinnen, die in der Schweiz blieben,
mussten einen aussergewöhnlichen Einsatz leisten, um Brücken zu schlagen, und
sahen sich zunehmend mit der Schweizer Fremdenfeindlichkeit und dem
Antisemitismus konfrontiert. Sie zahlten manchmal einen hohen Preis für die
Aufnahme in die schweizerische Gesellschaft. Auch wenn sie sich hundertprozentig
mit der Schweiz identifizierten, blieb ein Rest von Fremdheit und Einsamkeit.
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