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der – nicht verlängerten – Bewerbungsfrist beworben habe (Urt. des LSG v. 23. 4. 2008). Im nachfolgenden Verwaltungsverfahren war zunächst der Verkehrs- wert der Praxis streitig. Mit Bescheid v. 13. 1. 2010 setzte der Bekl. den Verkehrswert auf 400.000 € fest und wies zugleich den Widerspruch des Kl. gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses zurück, weil der Kl. die Stellung einer Sicherheit verweigert habe. Das SG hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen, nachdem der Kl. erklärt hatte, dass eine Bankbürgschaft aus seiner Sicht weder sinnvoll noch machbar sei (Urt. SG v. 3. 8. 2011). Die Berufung des Kl. ist erfolglos geblieben (Urt. LSG v. 19. 9. 2012, MedR 2013, 266). Das LSG hat ausgeführt, der Beigeladene zu 7. sei ausnahmsweise als einziger verbliebener Be- werber zuzulassen, weil der Kl. nicht zu berücksichtigen sei. Dem Kl. fehle der notwendige Fortführungswille, weil er nicht bereit sei, die üblichen Sicherheiten – z. B. Bankbürgschaften – zu stellen. Insbe- sondere die jüngere Entwicklung während des Klageverfahrens lasse erhebliche Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Kl. entstehen. Dieser sei trotz entsprechender Aufforderung durch das Gericht nicht willens oder in der Lage gewesen, eine Sicherheit zu stellen. Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil machte der Kl. die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) geltend. Aus den Gründen: [4] II. Die Beschwerde des Kl. ist unzulässig, denn ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160 a Abs. 2 S. 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforde- rungen. [5] Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeu- tung einer Rechtssache muss danach in der Beschwerde- begründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulie- rung bezeichnet (vgl. BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr. 5, S. 31; BSG, SozR 3-1500 § 160 a Nr. 21, S. 37 f.) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbe- dürftig ist. Es muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt. Bei einer Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde ist es Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, die einschlägige Rechtsprechung aufzuführen und sich damit zu befassen; eine Beschwerdebegründung, die es dem Gericht über- lässt, die relevanten Entscheidungen zusammenzusuchen, wird den Darlegungserfordernissen des § 160 a Abs. 2 SGG nicht gerecht. Auch lediglich kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl. BVerfG [Kammer], DVBl. 1995, 35). Diese Anforderun- gen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s. die zitierte BVerfG-Rspr. und z. B. BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160 a Nr. 7, S. 14). [6] Dem wird die Beschwerde des Kl. nicht gerecht. Be- züglich der von ihm formulierten Rechtsfrage, „ob in Ver- fahren der Nachfolgezulassung nach § 103 Abs. 4 SGB V zum Schutz der Abgeberinteressen aus Art. 14 Abs. 1 GG vom Bewerber als ausschließlich mögliches Sicherungsmit- tel die Vorlage einer Bankbürgschaft verlangt werden darf oder eine solche Forderung unverhältnismäßig ist“, fehlt es – unabhängig davon, ob die Frage in dieser Allgemein- heit überhaupt klärungsfähig wäre – an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Bedeutung der Rechtssache über den Einzelfall hinaus. [7] Zur Darlegung eines Klärungsbedarfs i. S. grundsätz- licher Bedeutung gehört vor allem, dass ersichtlich sein oder aufgezeigt werden muss, dass nicht nur die Richtig- keit der Rechtsanwendung im Einzelfall in Frage steht. Die Untauglichkeit der Beanstandung von Rechtsanwendungs- fehlern im Einzelfall für eine Grundsatzrüge entspricht der Konzentration der Revisionsgerichte auf die ihnen vorrangig zugewiesene Aufgabe, sich mit grundsätzlichen Rechtsfragen zu befassen und das Recht zu vereinheitli- chen und fortzubilden. Aufgabe der Revisionsgerichte ist es hingegen nicht, die – unterstellt – fehlerhafte Subsumti- on eines Berufungsgerichts zu korrigieren (BSG, Beschl. v. 31. 1. 2013 – B 6 KA 49/12 B –, Rdnr. 9, m. w. N.). [8] Der Kl. legt nicht dar, warum die von ihm aufge- worfene Frage grundsätzlicher Klärung durch das Revisi- onsgericht bedarf. Seine Ausführungen beschränken sich vielmehr auf die Darstellung, warum die Entscheidung des Berufungsgerichts seines Erachtens unzutreffend ist („Dieser Rechtsstandpunkt ist falsch. Er verstößt gegen den Verhält- nismäßigkeitsgrundsatz.“). Zumindest hätte der Kl. darle- gen müssen, inwieweit die Auffassung des LSG, wonach grundsätzlich eine Bankbürgschaft verlangt werden darf, in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten ist. Dazu wäre ggf. auch auf die Praxis der Zulassungsgremien in dieser Fra- ge einzugehen gewesen, damit für den Senat deutlich wird, dass nicht nur ein einziger – möglicherweise atypisch gela- gerter – Fall betroffen ist. Schließlich hätte sich der Kl., der ausdrücklich auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abstellt, dazu äußern müssen, ob zur Erreichung des Sicherstellungs- zwecks andere Sicherheiten gleichwertig sein können. Da- bei hätte sich der Kl. aber auch damit befassen müssen, wie denn entsprechende Sicherheiten ggf. zu verwerten wären oder ob im Geschäftsleben die Bürgschaft einer Bank schon aus Gründen der Praktikabilität allgemein als Standardsiche- rungsmittel akzeptiert ist. Naheliegend wäre es weiterhin gewesen, auf die Neufassung des § 95 Abs. 2 S. 6 SGB V einzugehen. Diese Norm schreibt die Abgabe von „Bürg- schaftserklärungen“ durch die Gesellschafter der GmbH vor, die Träger eines medizinischen Versorgungszentrums sein soll. Ohne auf diese hier nur exemplarisch aufgeführten As- pekte einzugehen, hat der Kl. dem Senat nicht hinreichend dargelegt, weshalb die Rechtsauffassung des LSG einer revi- sionsgerichtlichen Überprüfung zuzuführen ist. [9] Selbst wenn das Vorbringen des Kl. zutreffend wäre, dass – zum einen – die Zulassungsgremien vorliegend keine anderen Sicherungsmittel als eine Bankbürgschaft akzeptiert hätten, und – zum anderen – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es erforderte, auch andere Siche- rungsmittel zu akzeptieren, läge darin allein eine fehler- hafte Subsumtion der Vorinstanzen in einem Einzelfall. Dies rechtfertigte jedoch keine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung. DOI: 10.1007/s00350-013-3518-x Anforderungen an die Bedarfsermittlung für die Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung von Opiatabhängigen SGB V §§ 27, 72, 135 Abs. 1; SGB X §§ 20, 21 Abs. 1 S. 1, 35; BtMVV § 5 Abs. 2 u. 3; GBA-RiLi Untersuchungs- und Behand- lungsmethoden (Substitutions-RiLi) 1. Die Sachaufklärungspflicht endet (erst) da, wo weitere Bemühungen im Verhältnis zum Erfolg nicht mehr vertretbar und zumutbar sind oder die Mitwir- kungspflicht eines der Verfahrensbeteiligten die Amts- ermittlungspflicht begrenzt. 2. Ein Beurteilungsspielraum besteht nicht bei der Frage, wie weit die Behörde ihre Ermittlungen er- streckt, und wenn sich weitere Ermittlungen als erfor- derlich aufdrängen. 3. Ermittlungen zur Bedarfslage müssen sich an der Versorgungsrealität ausrichten. Eingesandt von Rechtsanwalt Dr. iur. Stefan Bäune, Fachanwalt für Medizinrecht, Sozietät Schmidt, von der Osten & Huber, Haumannplatz 28, 45130 Essen; bearbeitet von Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. iur. Franz-Josef Dahm, Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Sozietät Schmidt, von der Osten & Huber, Haumannplatz 28, 45130 Essen, Deutschland Rechtsprechung 634 MedR (2013) 31: 634–637

Anforderungen an die Bedarfsermittlung für die Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung von Opiatabhängigen

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Page 1: Anforderungen an die Bedarfsermittlung für die Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung von Opiatabhängigen

der – nicht verlängerten – Bewerbungsfrist beworben habe (Urt. des LSG v. 23. 4. 2008).

Im nachfolgenden Verwaltungsverfahren war zunächst der Verkehrs­wert der Praxis streitig. Mit Bescheid v. 13. 1. 2010 setzte der Bekl. den Verkehrswert auf 400.000 € fest und wies zugleich den Widerspruch des Kl. gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses zurück, weil der Kl. die Stellung einer Sicherheit verweigert habe. Das SG hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen, nachdem der Kl. erklärt hatte, dass eine Bankbürgschaft aus seiner Sicht weder sinnvoll noch machbar sei (Urt. SG v. 3. 8. 2011). Die Berufung des Kl. ist erfolglos geblieben (Urt. LSG v. 19. 9. 2012, MedR 2013, 266). Das LSG hat ausgeführt, der Beigeladene zu 7. sei ausnahmsweise als einziger verbliebener Be­werber zuzulassen, weil der Kl. nicht zu berücksichtigen sei. Dem Kl. fehle der notwendige Fortführungswille, weil er nicht bereit sei, die üblichen Sicherheiten – z. B. Bankbürgschaften  – zu stellen. Insbe­sondere die jüngere Entwicklung während des Klageverfahrens lasse erhebliche Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Kl. entstehen. Dieser sei trotz entsprechender Aufforderung durch das Gericht nicht willens oder in der Lage gewesen, eine Sicherheit zu stellen.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil machte der Kl. die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) geltend.

Aus den Gründen: [4] II. Die Beschwerde des Kl. ist unzulässig, denn ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160 a Abs. 2 S. 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforde­rungen.

[5] Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeu­tung einer Rechtssache muss danach in der Beschwerde­begründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulie­rung bezeichnet (vgl. BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3­5870 § 10 Nr. 5, S. 31; BSG, SozR 3­1500 § 160 a Nr. 21, S. 37 f.) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbe­dürftig ist. Es muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt. Bei einer Revisions­Nichtzulassungsbeschwerde ist es Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, die einschlägige Rechtsprechung aufzuführen und sich damit zu befassen; eine Beschwerdebegründung, die es dem Gericht über­lässt, die relevanten Entscheidungen zusammenzusuchen, wird den Darlegungserfordernissen des § 160 a Abs. 2 SGG nicht gerecht. Auch lediglich kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl. BVerfG [Kammer], DVBl. 1995, 35). Diese Anforderun­gen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s. die zitierte BVerfG­Rspr. und z. B. BVerfG [Kammer], SozR 3­1500 § 160 a Nr. 7, S. 14).

[6] Dem wird die Beschwerde des Kl. nicht gerecht. Be­züglich der von ihm formulierten Rechtsfrage, „ob in Ver­fahren der Nachfolgezulassung nach § 103 Abs. 4 SGB V zum Schutz der Abgeberinteressen aus Art. 14 Abs. 1 GG vom Bewerber als ausschließlich mögliches Sicherungsmit­tel die Vorlage einer Bankbürgschaft verlangt werden darf oder eine solche Forderung unverhältnismäßig ist“, fehlt es – unabhängig davon, ob die Frage in dieser Allgemein­heit überhaupt klärungsfähig wäre – an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Bedeutung der Rechtssache über den Einzelfall hinaus.

[7] Zur Darlegung eines Klärungsbedarfs i. S. grundsätz­licher Bedeutung gehört vor allem, dass ersichtlich sein oder aufgezeigt werden muss, dass nicht nur die Richtig­keit der Rechtsanwendung im Einzelfall in Frage steht. Die Untauglichkeit der Beanstandung von Rechtsanwendungs­fehlern im Einzelfall für eine Grundsatzrüge entspricht der Konzentration der Revisionsgerichte auf die ihnen vorrangig zugewiesene Aufgabe, sich mit grundsätzlichen Rechtsfragen zu befassen und das Recht zu vereinheitli­chen und fortzubilden. Aufgabe der Revisionsgerichte ist es hingegen nicht, die – unterstellt – fehlerhafte Subsumti­on eines Berufungsgerichts zu korrigieren (BSG, Beschl. v. 31. 1. 2013 – B 6 KA 49/12 B –, Rdnr. 9, m. w. N.).

[8] Der Kl. legt nicht dar, warum die von ihm aufge­worfene Frage grundsätzlicher Klärung durch das Revisi­onsgericht bedarf. Seine Ausführungen beschränken sich vielmehr auf die Darstellung, warum die Entscheidung des Berufungsgerichts seines Erachtens unzutreffend ist („Dieser Rechtsstandpunkt ist falsch. Er verstößt gegen den Verhält­nismäßigkeitsgrundsatz.“). Zumindest hätte der Kl. darle­gen müssen, inwieweit die Auffassung des LSG, wonach grundsätzlich eine Bankbürgschaft verlangt werden darf, in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten ist. Dazu wäre ggf. auch auf die Praxis der Zulassungsgremien in dieser Fra­ge einzugehen gewesen, damit für den Senat deutlich wird, dass nicht nur ein einziger – möglicherweise atypisch gela­gerter – Fall betroffen ist. Schließlich hätte sich der Kl., der ausdrücklich auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abstellt, dazu äußern müssen, ob zur Erreichung des Sicherstellungs­zwecks andere Sicherheiten gleichwertig sein können. Da­bei hätte sich der Kl. aber auch damit befassen müssen, wie denn entsprechende Sicherheiten ggf. zu verwerten wären oder ob im Geschäftsleben die Bürgschaft einer Bank schon aus Gründen der Praktikabilität allgemein als Standardsiche­rungsmittel akzeptiert ist. Naheliegend wäre es weiterhin gewesen, auf die Neufassung des § 95 Abs.  2 S.  6 SGB V einzugehen. Diese Norm schreibt die Abgabe von „Bürg­schaftserklärungen“ durch die Gesellschafter der GmbH vor, die Träger eines medizinischen Versorgungszentrums sein soll. Ohne auf diese hier nur exemplarisch aufgeführten As­pekte einzugehen, hat der Kl. dem Senat nicht hinreichend dargelegt, weshalb die Rechtsauffassung des LSG einer revi­sionsgerichtlichen Überprüfung zuzuführen ist.

[9] Selbst wenn das Vorbringen des Kl. zutreffend wäre, dass – zum einen – die Zulassungsgremien vorliegend keine anderen Sicherungsmittel als eine Bankbürgschaft akzeptiert hätten, und – zum anderen – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es erforderte, auch andere Siche­rungsmittel zu akzeptieren, läge darin allein eine fehler­hafte Subsumtion der Vorinstanzen in einem Einzelfall. Dies rechtfertigte jedoch keine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung.

DOI: 10.1007/s00350-013-3518-x

Anforderungen an die Bedarfsermittlung für die Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung von Opiatabhängigen

SGB V §§ 27, 72, 135 Abs. 1; SGB X §§ 20, 21 Abs. 1 S. 1, 35; BtMVV § 5 Abs. 2 u. 3; GBA-RiLi Untersuchungs- und Behand-lungsmethoden (Substitutions-RiLi)

1. Die Sachaufklärungspflicht endet (erst) da, wo weitere Bemühungen im Verhältnis zum Erfolg nicht mehr vertretbar und zumutbar sind oder die Mitwir-kungspflicht eines der Verfahrensbeteiligten die Amts-ermittlungspflicht begrenzt.

2. Ein Beurteilungsspielraum besteht nicht bei der Frage, wie weit die Behörde ihre Ermittlungen er-streckt, und wenn sich weitere Ermittlungen als erfor-derlich aufdrängen.

3. Ermittlungen zur Bedarfslage müssen sich an der Versorgungsrealität ausrichten.

Eingesandt von Rechtsanwalt Dr. iur. Stefan Bäune, Fachanwalt für Medizinrecht, Sozietät Schmidt, von der Osten & Huber, Haumannplatz 28, 45130 Essen; bearbeitet von Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. iur. Franz­Josef Dahm, Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Sozietät Schmidt, von der Osten & Huber, Haumannplatz 28, 45130 Essen, Deutschland

Rechtsprechung634 MedR (2013) 31: 634–637

Page 2: Anforderungen an die Bedarfsermittlung für die Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung von Opiatabhängigen

4. Solange eine Versorgung nicht real gewährt wird oder keine Bereitschaft zur Leistungserbringung im Wege der vollständigen Ausschöpfung zugeteilter Kon-tingente besteht, kann im Einzelfall der Beurteilungs-spielraum reduziert sein. (Leitsätze des Bearbeiters)LSG Nordrh.-Westf., Urt. v. 16. 1. 2013 – L 11 KA 122/10 (SG Düsseldorf )

Problemstellung: Der Kl., ein als Facharzt für Innere Medizin niedergelassener Vertragsarzt, und die beklagte KV hatten darüber gestritten, ob dem Kl. zur Behandlung opiatabhängiger Patienten ein höheres Be­handlungskontingent zur Sicherstellung der Versorgung zuzubilligen ist. § 11 Abs. 4 der Substitutions­RiLi sieht vor, dass über die Regelversorgung von nicht mehr als 50 Opiatabhängigen hinaus seitens der zuständigen KV in geeigneten Fällen zur Sicherstellung der Versorgung der regelhaft begrenzte Umfang erweitert werden kann.

Anhand der Rechtsprechung des BSG zur Sachauf­klärungspflicht im Zusammenhang mit der Feststellung eines (Zulassungs­)Sonderbedarfs konkretisiert das LSG den Umfang der Verpflichtung zur Bedarfsermittlung (vgl. dazu auch BSG, Urt. v. 5. 11. 2008 – B 6 KA 10/08 R –, MedR 2009, 560 m. Anm. Dahm; sowie BSG, Urt. v. 2. 9. 2009 – B 6 KA 21/08 R –, zur Ermittlung von Wartezeiten und von Leistungsangeboten anderer Ärz­te). Das LSG hebt allerdings zu Recht hervor, dass die Behandlung von drogenabhängigen Patienten eine Son­dersituation darstellt, bei der auch zu prüfen ist, ob die im Planungsbereich zur Substitution ausgesprochenen Genehmigungen kontingentmäßig ausgeschöpft werden.

Danach ist weniger entscheidungserheblich, ob die zur Bedarfsprüfung herangezogenen Ärzte noch freie Plätze haben, als vielmehr der Umfang ihrer Leistungs­bereitschaft.

Im Ergebnis ist die beklagte KV unter Berücksich­tigung der mangelhaften Bedarfsermittlung und der besonderen Umstände zur Neubescheidung verurteilt worden, weil die anzustellenden Ermittlungen nicht ersetzend oder ergänzend von den Gerichten vorzu­nehmen sind (so schon BSG, Urt. v. 5. 11. 2008 – B 6 KA 10/08 R –, MedR 2009, 563; dazu kritisch Dahm, a. a. O., S. 564 f.).

Zum Sachverhalt: Zwischen den Beteiligten ist der Umfang der Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhän­giger streitig.

Der als Facharzt für Innere Medizin niedergelassene Kl. ist zur ver­tragsärztlichen Versorgung zugelassen und hat eine Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung von bis zu 85 Opiatabhängigen.

Am 25. 3. 2008 beantragte er unter Hinweis auf eine lange Warte­liste und den zu erwartenden Druck auf seine Praxis eine Erweite­rung der Genehmigung auf 120 Patienten. Die Bekl. bat die Kreis­stelle O. am 26. 3. 2008 um nähere Auskunft.

Hierauf teilte die Kreisstelle mit Schreiben v. 2. 4. 2008 den Um­fang freier Therapieplätze mit.

Daraufhin lehnte die Bekl. mit Bescheid v. 5. 5. 2008 den Antrag des Kl. ab, da für eine Erhöhung des Patientenkontingents kein Be­darf bestehe.

Zur Begründung seines dagegen eingelegten Widerspruchs mach­te der Kl. unter dem 6.5. und 26. 5. 2008 geltend, die Ablehnung seines Antrags ignoriere die dargelegten Probleme der Patientenver­sorgung und stehe im Widerspruch zu den Feststellungen der Kreis­stelle. Diese habe selber Engpässe festgestellt und in Rundschreiben an Kollegen appelliert, sich für die Behandlung Opiatabhängiger anzumelden. Schon in den Neunzigern und vor allem Anfang 2000 habe er als örtlicher „Pionier der Substitution“ O. mit 65 Metha­donpatienten die dreifache Anzahl einer „normalen Praxis“ betreut.

Die Widerspruchsstelle der Bekl. wies den Widerspruch mit Be­scheid v. 17. 6. 2008 zurück. Nach Maßgabe der Richtlinie über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs­ und Behandlungsmethoden zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger solle ein Arzt in der Regel nicht mehr als 50 Opiatabhängige gleichzeitig

substituieren. Da die Kreisstelle O. noch freie und auch verfügbare Substitutionsplätze gemeldet habe, bestehe kein Anspruch auf eine Erhöhung der Patientenzahl. Zudem sei festzustellen, dass zwei Kol­legen nach Beendigung ihrer Zulassung aus Altersgründen eine Er­mächtigung für Substitutionsbehandlungen erteilt worden sei.

Diese Entscheidung hat der Kl. vor dem SG Düsseldorf mit der Klage angegriffen.

Das SG hat unter dem 2. 2. 2010 Auskünfte der (außer dem Kl.) im Planungsbereich O. substituierenden Ärzte eingeholt, die auf die Frage nach den ihnen zugewiesenen Kontingenten, nach der aktu­ellen Patientenzahl und der rechtlichen Grundlage (im Rahmen der Zulassung oder auf der Grundlage einer hierfür erteilten Ermächti­gung) geantwortet haben.

Das SG hat der Klage sodann mit Urt. v. 8. 9. 2010 stattgegeben und die Bekl. verurteilt, über den Antrag des Kl. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Ab­lehnung des Erweiterungsantrages könne nicht allein auf die Aus­kunft der Kreisstelle gestützt werden. Der Bekl. stehe zwar Beur­teilungsspielraum zu, sie müsse ihr Beurteilungsergebnis jedoch auf fundierte Ermittlungen gründen. Auf freie Behandlungskapazitäten anderer Leistungsträger könne nur verwiesen werden, wenn es sich nicht lediglich um potentielle, sondern um reale Versorgungsan­gebote handele, wozu eine konkrete Ermittlung und Feststellung der noch freien Versorgungskapazitäten erforderlich sei. Würden Leistungserbringer befragt, so müssten deren möglicherweise inte­ressenorientierte Angaben an Hand der zugänglichen weiteren Un­terlagen verifiziert werden. Die Bekl. hätte daher die mitgeteilten freien Substitutionsplätze etwa anhand der Genehmigungen und der Behandlungsanzeigen überprüfen müssen. Zu berücksichtigen seien auch die sich aus den Statistiken der Bundesopiumstelle ergebenden Erkenntnisse.

Hiergegen hat die Bekl. Berufung eingelegt.

Aus den Gründen: Der Senat hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Vertrags­ärzte entschieden (§§ 33, 12 Abs. 3 S. 2 SGG). Beim Streit über die von der KV zu erteilende Genehmigung zur Me­thadon­Substitution wie auch über die Erweiterung der mit der Genehmigung gewiesenen Kontingente handelt es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte (vgl. BSG, Urt. v. 20. 3. 1996 – 6 RKa 62/94 –).

Die zulässige […] Berufung der Bekl. ist unbegründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der ange­fochtene Bescheid der Bekl. v. 5. 5. 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 17. 6. 2008, mit der sie die Er­weiterung der Genehmigung zur Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger abgelehnt hat, ist rechtswidrig. Der Kl. ist dadurch i. S. des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert.

Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Ein­wendungen werden insofern vom Kl. nicht erhoben. Der Bescheid verstößt indes gegen das materielle Recht.

Rechtsgrundlage für den vom Kl. geltend gemachten Anspruch ist die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesaus­schusses (GBA) zu Untersuchungs­ und Behandlungsme­thoden der vertragsärztlichen Versorgung. Ob für sein Be­gehren die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Entscheidung und damit die Richtlinie i. d. F. v. 17. 1. 2006 (veröffentlicht im BAnZ 2006 Nr. 48, S. 1523), in Kraft ge­treten am 1. 4. 2006, zuletzt geändert am 24. 11. 2011 (ver­öffentlicht im BAnZ 2012 Nr. 31, S. 747), in Kraft getreten am 24. 2. 2012, maßgeblich ist, kann dahinstehen. Die ein­schlägigen Bestimmungen galten wortgleich bereits in der zum Zeitpunkt der Antragstellung ab 1. 4. 2006 geltenden Fassung der Richtlinie v. 17. 1. 2006 (BAnZ 2006 Nr. 48, S. 1523).

Die Richtlinie benennt in Anlage I die vom GBA nach Überprüfung gemäß § 135 Abs. SGB V anerkannten ärzt­lichen Untersuchungs­ und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung und – soweit zur sachge­rechten Anwendung der neuen Methode erforderlich – die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie die Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung und die erforderliche Aufzeichnung über die ärztliche Behandlung (so § 1 Abs. 1 der Richtlinie).

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Page 3: Anforderungen an die Bedarfsermittlung für die Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung von Opiatabhängigen

Gemäß § 2 Abs.  1 S.  1 der in die o. a. Bestimmungen unter Nr. 2 eingebunden Substitutionsrichtlinie (Substitu­tions­RL) dürfen Substitutionen in der vertragsärztlichen Versorgung nur von solchen Ärzten durchgeführt werden, die gegenüber der KV ihre fachliche Befähigung gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 der Betäubungsmittel­Verschreibungsver­ordnung (BtMVV) oder die Erfüllung der Voraussetzun­gen gemäß § 5 Abs.  3 BtMVV nachgewiesen haben und denen die KV eine Genehmigung zur Substitution erteilt hat. § 11 Substitutions­RL normiert in Abs. 3 und Abs. 5 S. 2 die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Geneh­migung zu erteilen ist. Nach § 11 Abs. 4 Substitutions­RL gilt: Die Anzahl der vertragsärztlich durchzuführenden Substitutionsbehandlungen sind je Arzt begrenzt (Satz 1). Ein Arzt soll in der Regel nicht mehr als fünfzig Opiatab­hängige gleichzeitig substituieren (Satz 2). Die KV kann, was vorliegend zwischen den Beteiligten streitig ist, in ge­eigneten Fällen zur Sicherstellung der Versorgung den Ge­nehmigungsumfang erweitern (Satz 3).

Die Wortfolge „zur Sicherstellung der Versorgung“ impliziert, dass eine ausreichende (wirtschaftliche und zweckmäßige) Versorgung der gesetzlich Versicherten auf der Grundlage der bestehenden Genehmigungen entgegen dem Sicherstellungsauftrag (§ 72 SGB  V) nicht gewähr­leistet ist, so dass der auf ambulante Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) gerichtete Anspruch des Versicherten, wozu nach der Präambel zur Substitutions­RL im Rahmen eines umfassenden Therapiekonzepts auch eine Substitutionsbe­handlung gehört, nicht erfüllt werden kann.

Der Umfang der Sachaufklärungspflicht wird durch § 20 SGB X i. V. mit § 21 Abs. 1 S. 1 SGB X vorgegeben. Die Ermittlung des Sachverhalts muss das nach pflichtgemäßem Ermessen erforderliche Maß ausschöpfen. Die Amtsermitt­lungspflicht gilt insofern nicht schrankenlos. Die Pflicht der Bekl. zur Ermittlung des Sachverhalts (§ 20 SGB  X) und zur Darstellung der für ihre Entscheidung maßgebli­chen Gründe (§ 35 SGB X) wird dadurch näher bestimmt, inwieweit entscheidungserhebliche Umstände von den Beteiligten vorgetragen werden. Auf der Grundlage von §§ 20, 21 SGB X ist die Bekl. zwar verpflichtet, den Sach­verhalt erschöpfend zu ermitteln, doch endet die Sachauf­klärungspflicht jedenfalls da, wo weitere Bemühungen im Verhältnis zum Erfolg nicht mehr vertretbar und zumutbar sind oder die Mitwirkungspflicht eines des Verfahrensbe­teiligten die Amtsermittlungspflicht begrenzt (Senat, Urt. v. 18. 2. 1998 – L 11 Ka 152/97 – zum Sonderbedarf; nach­gehend BSG, Beschl. v. 30. 10. 1998 – B 6 KA 39/98 B –).

Bei der Beurteilung, ob und inwieweit ein „geeigneter“ (Bedarfs­)Fall zur Sicherstellung der Versorgung vorü­bergehend oder auf Dauer besteht, verfügt die Bekl. über einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beur­teilungsspielraum, der sich zunächst auf den Umfang der erforderlichen Ermittlungen im Zusammenhang mit der Bewertung, Gewichtung und Abwägung der ermittelten Tatsachen bezieht. Darüber hinaus hat die Bekl. einen Be­urteilungsspielraum aber auch bei der schlussfolgernden Bewertung, ob und inwieweit der Versorgungsbedarf be­reits durch das Leistungsangebot der zugelassenen Ärzte, die über die erforderliche Genehmigung zur substitutions­gestützten Behandlung Opiatabhängiger verfügen, gedeckt ist oder ob (ggf. befristet) ein Versorgungsbedarf besteht. Einen Beurteilungsspielraum hat sie hingegen nicht bei der Frage, wie weit sie ihre Ermittlungen erstreckt. Denn der Umfang ihrer Ermittlungen ist durch § 21 SGB X vorgege­ben; die Ermittlung des Sachverhalts muss das nach pflicht­gemäßem Ermessen erforderliche Maß ausschöpfen, d. h. so weit gehen, wie sich weitere Ermittlungen als erforderlich aufdrängen (§ 21 Abs. 1 S. 1 SGB X). In diesem Bereich ist kein Raum für die Annahme eines Beurteilungsspielraums (BSG, Urt. v. 2. 9. 2009 – B 6 KA 21/08 R –; LSG Nordrh.­Westf., Urt. v. 25. 4. 2007 – L 10 KA 48/06 –; nachgehend

BSG, Urt. v. 5. 11. 2008 – B 6 KA 10/08 R [­, MedR 2009, 563 m. Anm. Dahm]). Ein „gerichtsfester“ Beurteilungs­spielraum ist der Bekl. nur nach Maßgabe vorgenannter Grundsätze eingeräumt.

Die hiernach gebotenen Ermittlungen zur Bedarfslage müssen sich an der Versorgungsrealität ausrichten (BSG, Urt. v. 2. 9. 2009 – B 6 KA 21/08 R –). Nur eine Versor­gung, die den zur Inanspruchnahme berechtigten Opiat­ab hängigen tatsächlich zur Verfügung steht, kann ihren Versorgungsbedarf decken. Insofern gilt nichts anderes als im Rahmen der Ermittlung von Sonderbedarf. Solange die Versorgung nicht real gewährt wird oder keine Bereitschaft der über die erforderliche Genehmigung verfügenden Ärz­te zur Leistungserbringung im Wege der vollständigen Aus­schöpfung ihrer Kontingente besteht, kann ein geeigneter Fall i. S. des § 11 Abs. 4 S. 3 Substitutions­RL vorliegen, der im Einzelfall den Beurteilungsspielraum dahin reduziert, dass eine bereits erteilte Genehmigung zu erweitern ist. Je nach Sachlage sind in Zulassungsstreitigkeiten Ermitt­lungen zu Wartezeiten (BSG, Urt. v. 2. 9. 2009 – B 6 KA 21/08 R –), Leistungsangeboten von konkurrierenden Ärz­ten (BSG, a. a. O.), Entfernungen (BSG, a. a. O.) usw. gebo­ten. Soweit dem Umfang der Leistungserbringung durch die bereits zugelassenen Ärzte entscheidende Bedeutung bei[ge]messen wird, muss das Beurteilungsergebnis auf aus­reichend fundierte Ermittlungen gegründet sein. Hierzu ist es erforderlich, diejenigen Ärzte bzw. Praxen, die solche Leistungen möglicherweise bereits erbringen bzw. erbrin­gen können, zu befragen und deren Angaben, da diese in­teressenorientiert sein könnten, anhand ihnen zugänglicher weiterer Unterlagen – insbesondere der sog. Anzahlstatis­tiken – zu verifizieren (BSG, Urtt. v. 8. 12. 2010 – B 6 KA 36/09 R –; und v. 5. 11. 2008 – B 6 KA 10/08 R –). Verfü­gen diese Ärzte über freie Kapazitäten, so ist bei der Frage der Deckung des Versorgungsangebots zu prüfen, ob (noch) Bereitschaft besteht, die freien Plätze in Gänze oder in An­teilen zu nutzen, oder ob und ggf. aus welchen Gründen (etwa auch wegen Nichterfüllung der Behandlungsvoraus­setzungen) Patienten abgewiesen werden. Der Bekl. obliegt es insofern, diejenigen Ärzte bzw. Praxen, die solche Leis­tungen erbringen (dürfen), zu befragen und das Ergebnis zu bewerten, weshalb die Ermittlung[en] nicht ersetzend oder ergänzend vom angerufenen Gericht durchzuführen sind.

Vorgenannte Grundsätze können indes nicht unbese­hen auf vorliegende Fallgestaltung übertragen werden. Die Behandlung drogenabhängiger Patienten bedingt eine Sondersituation, die sich z. B. an „Imageproblemen“ und erhöhtem Personal­ und Einbruchsschutzaufwand der je­weiligen Praxis ausmachen läßt. Dies könnte darauf hin­deuten, dass dem Vermeidungsverhalten des Konkurrenten und damit dem Gesichtspunkt der interessenorientierten Beurteilung der Versorgungssituation eher geringere Be­deutung beizumessen ist. Indessen kann nicht pauschal angenommen werden, dass in Fällen einer Konkurrenzsi­tuation substituierender Vertragsärzte eine durch Eigenin­teressen bestimmte Ausrichtung der angefragten Auskunft ausgeschlossen ist. Demzufolge ist die Bekl. in solchen Fall­gestaltungen gehalten, den Sachverhalt dahin zu ermitteln, ob und inwieweit die im Planbereich substituierenden Ärz­te ihr Kontingent ausschöpfen. Dies ist namentlich deswe­gen angezeigt, weil der Kl. schon im Verwaltungsverfahren auf von der Kreisstelle selbst festgestellte Versorgungseng­pässe hingewiesen hat. Die Bekl. hat dies auch zutreffend erkannt und deswegen die Kreisstelle mit Schreiben v. 26. 3. 2008 richtigerweise um Zweierlei gebeten, nämlich „bei den Ärzten, die ihr Kontingent von 50 oder mehr Pa­tienten noch nicht voll ausgeschöpft haben, anzufragen, ob sie noch bereit wären, weitere Patienten zu substituieren“ und eine detaillierte Aufstellung vorzulegen, „inwieweit jeder Arzt bereit ist, sein Patientenkontingent auszuschöp­fen“. Dem ist die Kreisstelle indes nicht nachgekommen.

Rechtsprechung636 MedR (2013) 31: 634–637

Page 4: Anforderungen an die Bedarfsermittlung für die Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung von Opiatabhängigen

Sie hat mit Schreiben v. 2. 4. 2008 lediglich mitgeteilt, dass drei namentlich benannte Ärzte noch je 15, 8 und 15 freie Plätze zur Verfügung haben. Hierauf gestützt hat die Bekl. den Antrag mit Bescheid v. 5. 5. 2008 abgelehnt.

Die Auskunft der Kreisstelle ist keine geeignete Grund­lage, um einen Bedarf zu verneinen und damit den Antrag des Kl. auf Erweiterung des Genehmigungsumfangs ab­zulehnen. Die mitgeteilte Erkenntnis, dass die benannten Ärzte noch freie Plätze haben, ist nicht entscheidungser­heblich. Wesentlich ist, ob sie bereit sind, das ihnen zuge­wiesene Kontingent auszuschöpfen, und ggf. warum nicht. Hinzu kommt, dass die Auskunft der Kreisstelle auf einer telefonischen Nachfrage beruht. Insoweit bleibt unklar, ob die Fragestellung der Bekl. aus dem Schreiben v. 26. 3. 2008 weitergegeben oder aber modifiziert worden ist. Nicht un­beachtlich ist ferner, dass unklar ist, wer die entsprechenden Auskünfte gegeben hat (Arzt? Helferin?). Schließlich lässt sich der Auskunft nicht entnehmen, ob die Kreisstelle nur bei den drei benannten Ärzten oder bei allen substituieren­den Ärzten angefragt hat.

Die Bekl. ist allerdings nicht verpflichtet, die Auskünfte mit der Datenlage der zum Geschäftsbereich des Bundes­instituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) gehörenden Bundesopiumstelle, die das Substitutionsregis­ter nach § 5 a BtMVV führt, abzugleichen. Die Meldepflicht des Arztes gemäß § 5 a Abs.  2 BtMVV erstreckt sich auf alle Patienten, denen ein Substitutionsmittel verschrieben wird. Da die registrierten Daten nicht zwischen privaten/privat­versicherten und gesetzlich versicherten Patienten, die auch zur Vermeidung von Mehrfachsubstitutionen ge­mäß § 5 Substitutions­RL zu melden sind, unterscheiden, lassen sie keine Rückschlüsse auf die Bedarfslage gesetzlich Versicherter zu, auf die es hier allein ankommt (vgl. auch § 11 Abs. 4 S. 1 Substitutions­RL).

Bei ihrer neuen Entscheidung wird die Bekl. die Rund­schreiben der Kreisstelle v. März 2008 und Oktober 2012 zu berücksichtigen haben. So heißt es im vom Vorsitzenden der Kreisstelle unterzeichneten Rundschreiben v. 9. 10. 2012: „Zum Schluss möchte ich noch einmal daran erinnern, dass für [Ort] immer noch Kolleginnen gesucht werden, die die Methadon­Substitution durchführen wollen“.

Auch soweit die Bekl. auf die Regelanzahl von 50 Pa­tienten gemäß § 11 Abs. 4 S. 2 der Substitutions­RL und die Gewährleistung der besonderen Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Versorgung hinweist, besteht ein von ihr aufzulösender Widerspruch infolge der – nach Aktenla­ge erteilten – Zuweisung eines Kontingents von bis zu 150 Patienten für Dr. S.

Zur Leistungspflicht der Gesetzlichen Kranken-kasse bei einer Behandlung, die nicht dem all-gemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (Tomatis-Therapie bei auditiver Wahrnehmungsstörung)

SGB V §§ 135 Abs. 1, 13 Abs. 3; SGB IX § 15 Abs. 1

Ein Versicherter hat gegen seine Krankenkasse we-der einen Anspruch auf die Gewährung der begehrten Horchtherapie nach Tomatis als Sach- oder Dienstleis-tung nach dem SGB V noch kann er die Krankenkasse als erstangegangenen Rehabilitationsträger nach den Leistungsgesetzen eines anderen Rehabilitationsträgers

in Anspruch nehmen. Aus diesen Gründen hat er auch keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm aufge-wandten Kosten. (Leitsatz des Bearbeiters)LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 2. 5. 2012 – L 10 KR 31/09 (SG Halle)

Problemstellung: Das Urteil befasst sich mit der Reichweite des Behandlungs­ und Versorgungsan­spruchs von gesetzlich krankenversicherten Patienten gegen die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Im Kern geht es um die Frage, unter welchen Umständen die Kosten für medizinische Leistungen, die nicht Be­standteil des Leistungskatalogs der GKV sind, von der Krankenkasse erstattet bzw. die Behandlung als Sach­leistung gewährt werden muss. Zentraler Streitpunkt war vorliegend die Frage, ob die Kosten für eine spezi­elle Therapie (Tomatistherapie bei auditiver Wahrneh­mungsstörung) bei vorgetragener deutlicher Besserung der Beschwerden und mangelnden Behandlungsalter­nativen von der Krankenkasse zu tragen sind. Erörtert wird in diesem Zusammenhang unter anderem der „Ni­kolaus­Beschluss“ des BVerfG vom 6. 12. 2005. Nach dieser Entscheidung sind die Krankenkassen verpflich­tet, bei lebensbedrohlichen Erkrankungen, für die eine anerkannte Behandlung nicht zur Verfügung steht, für die Kosten einer neuen, (noch) nicht anerkannten Be­handlungsmethode aufzukommen, wenn sich dadurch zumindest die Aussicht auf eine spürbare positive Ein­wirkung auf den Krankheitsverlauf im Einzelfall ergibt. Das LSG kommt vorliegend zu dem Schluss, dass eine solche Therapie dann nicht auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden kann, wenn diese nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizini­schen Erkenntnisse entspricht, und lehnt auch eine Kos­tenerstattung nach den Grundsätzen des Nikolausbe­schlusses ab. Gleichzeitig äußert das LSG die Tendenz, die Anforderungen an eine Kostenerstattung nach dem Nikolaus­Beschluss weiter auszulegen als das BVerfG.

Zum Sachverhalt: Der Kl. begehrt die Erstattung von Be­handlungskosten für die Durchführung einer Horchtherapie nach Prof. Dr. Tomatis in der Zeit vom 24. 7. 2006 bis 5. 8. 2006 und vom 5. 11. 2006 bis 10. 11. 2006 einschließlich Fahrt­ und Übernachtungs­kosten. Außerdem begehrt er die weitere Übernahme solcher Kosten in der Zukunft.

Die nach ihrem Begründer benannte Tomatistherapie ist eine Au­dio­Psycho­Phonologie­Therapie, beruhend auf Behandlungen mit speziell aufbereiteter Musik und Stimme.

Der 1994 geborene, bei der Bekl. krankenversicherte Kl. leidet unter ausgeprägten auditiven Wahrnehmungsstörungen und daraus folgenden Entwicklungsstörungen im Hinblick auf schulische Fähig­keiten und die motorische Koordination. Im November 2005 bean­tragte er bei der Bekl. einen Zuschuss für die Teilnahme an einem auditiven Wahrnehmungstraining nach Tomatis im Institut in S.­T. in B. Sein Vater sei als Bezieher von Arbeitslosenhilfe nicht in der Lage, die erforderlichen Kosten zu tragen. Er fügte eine fachärztliche Bescheinigung von Dr. S. v. 16. 11. 2005 bei, der ihm zu dieser not­wendigen therapeutischen Maßnahme riet.

Im Auftrag der Bekl. fertigte der Medizinische Dienst der Kran­kenkassen ein Gutachten nach Aktenlage, in dem ausgeführt ist, bei der Maßnahme handele es sich um eine neue Untersuchungs­ und Be­handlungsmethode sowie um eine außervertragliche Leistung. Es gebe hierzu keine wissenschaftlich gesicherte Datenlage, die die Wirksam­keit und Wirtschaftlichkeit der Methode belege. Der Kostenübernah­me könne daher nicht entsprochen werden. Es werde die Vorstellung in einer speziellen Einrichtung in Wohnortnähe empfohlen.

Mit Schreiben v. 23. 12. 2005 teilte die Bekl. dem Kl. mit, ggf. wäre eine Kostenübernahme des zuständigen Kreisjugendamtes nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch – Kinder­ und Jugendhilfe (SGB VIII) zu prüfen.

Mit Bescheid v. 30. 1. 2006 lehnte die Bekl. eine Kostenbeteiligung an dem auditiven Wahrnehmungstraining (sog. Tomatiskur) ab, da es sich um eine außervertragliche Methode handele, die nicht Bestandteil des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenversicherung sei.

Eingesandt vom Landessozialgericht Sachsen­Anhalt; bearbeitet von Rechtsanwalt Dr. iur. Albrecht Wienke, Fachanwalt für Medizinrecht, Wienke & Becker – Köln, Sachsenring 6, 50677 Köln, Deutschland

Rechtsprechung MedR (2013) 31: 637–640 637