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© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 90 (2013), Heft 10 609 DOI: 10.1002 / bate.201300048 AUFSATZ ARTICLE Ivan C ˇ adez ˇ*, Sascha Hofmann AUFSATZ Anforderungen an die Bewertung der Nachhaltigkeit von Straßenbauwerken 1 Einleitung Im Jahr 2010 entfielen 4,4 % (12,7 Mrd. €) der Bauinves- titionen in Deutschland auf den Straßenbau [1]. Das deut- sche Straßennetz wird im Wesentlichen durch öffentliche Baulastträger (Bund, Länder, Kreise, Kommunen) ge- plant, gebaut und betrieben und umfasste im Jahr 2012 etwa 12 845 km Autobahn, 39 673 km Bundesstraßen, 178 184 km Landes-, Staats- und Kreisstraßen sowie etwa 395 400 km Gemeindestraßen [2]. Anhand ihrer Funkti- on sowie der bautechnischen Anforderungen werden Straßen in sieben Kategoriengruppen (Autobahnen, Bun- des-, Land-, Staats-, Kreis- und Stadtstraßen sowie Ländli- che Wege) eingeteilt und klassifiziert. Neben der primä- ren technischen Funktion der Lastaufnahme von Fahr- zeugen übernehmen Straßen dabei auch soziokulturelle und ökonomische Funktionen für den Menschen (Sekun- därfunktionen). Durch den Transport von Gütern oder Personen, die Verbindung zweier Orte oder die Erschlie- ßung von Grundstücken tragen Straßen zum Erhalt des gesellschaftlichen Lebens und der wirtschaftlichen Leis- tungsfähigkeit bei. Verkehrsbauwerke bieten aufgrund ihrer bauwerksspezi- fischen Gegebenheiten signifikante Werterhaltungs- und Kosteneinsparpotenziale. Speziell Straßen sind hohen di- rekten und indirekten Belastungen, wie beispielsweise Brems- und Beschleunigungskräften oder Witterung, über den Lebenszyklus ausgesetzt. Der Herstellungsprozess ist maschinen-, zeit-, kosten- sowie emissionsintensiv und be- nötigt spezielle Baustoffe und Verarbeitungsverfahren. Sowohl die technisch konstruktive Ausgestaltung als auch die straßenbetriebliche Erhaltung und Instandhal- tung haben großen Einfluss auf die Nutzungsdauer sowie die Verkehrssicherheit und -qualität. Betriebskosten, Res- sourcenverbrauch oder Emissionen können durch nach- haltige Planungsprozesse bereits frühzeitig beeinflusst und gesteuert werden. Der Schutz der menschlichen Le- bensgrundlagen – zu denen Umwelt, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft gehören – ist auch im Straßenbau von immer größerer Bedeutung. Zentrale Ziele sind daher die Zur Bestimmung der Nachhaltigkeit von Infrastrukturprojekten existieren in der Praxis bislang nur vereinzelte Bewertungssys- teme, wie das US–amerikanische ENVISION-Rating-System oder das britische CEEQUAL-Assessment-Scheme. Diese ba- sieren auf für alle Infrastrukturmaßnahmen allgemein anwend- baren Kriterien und ermöglichen dem Anwender somit keine bauwerks- oder funktionsspezifische Nachhaltigkeitsbetrach- tung. Für eine ganzheitliche und lebenszyklusumfassende Be- wertung von Verkehrsbauwerken sind jedoch insbesondere eine Differenzierung hinsichtlich der Bauwerksart (z. B. Stra- ßen, Tunnel, Brücken) sowie die Definition spezifischer Zielkri- terien für die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit erforderlich. Allgemeine Kriterien müssen dabei um funktionsspezifische In- dikatoren der jeweiligen Bauwerksklasse ergänzt werden, um die Besonderheiten in Planung, Bau und Betrieb über den Le- benszyklus des Bauwerks bewerten zu können. Als Ergebnis dieses Beitrags wird ein modularer Bewertungsansatz für Stra- ßenbauwerke vorgestellt. Weiterhin werden erforderliche Sys- temgrenzen sowie spezifische Zielkriterien für die Bewertung der Nachhaltigkeit von Verkehrsinfrastrukturprojekten am Bei- spiel von Straßenbauwerken aufgezeigt. Keywords Nachhaltigkeit; Verkehrsinfrastruktur; Straßenbau; Lebenszyklus; Zertifizierung; Bewertungssystem; Green Streets; Zielkriterien Sustainability assessment scheme for transport infrastructure projects In this article system boundaries for the development of a sus- tainability assessment scheme of transport infrastructure projects are discussed. Existing assessment methods as the ENVISION Rating System launched by the Institute for Sustain- able Infrastructure (ISI) and the Harvard Graduate School of Design or the UK-based CEEQUAL Assessment Scheme base upon on general criteria which avoid a holistic sustainability evaluation. Hence, it is necessary to define specific criteria including particular requirements for each infrastructure con- struction type. This has to be carried out for each of the three sustainability dimensions. Especially for transport infrastruc- ture projects sustainability requirements must be evaluated over the projects life cycle. As the result of the study a new modular assessment scheme for highways as a part of trans- port infrastructure projects is presented. In addition several new specific evaluation criteria for highways are introduced and explained. Keywords sustainability; assessment scheme; durability; transport infrastructure; green streets *) Corresponding author: [email protected] Submitted for review: 18 June 2013 Revised: 05 September 2013 Accepted for publication: 05 September 2013

Anforderungen an die Bewertung der Nachhaltigkeit von Straßenbauwerken

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Page 1: Anforderungen an die Bewertung der Nachhaltigkeit von Straßenbauwerken

© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 90 (2013), Heft 10 609

DOI: 10.1002 / bate.201300048

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Ivan Cadez*, Sascha Hofmann AUFSATZ

Anforderungen an die Bewertung der Nachhaltigkeit vonStraßenbauwerken

1 Einleitung

Im Jahr 2010 entfielen 4,4 % (12,7 Mrd. €) der Bauinves-titionen in Deutschland auf den Straßenbau [1]. Das deut-sche Straßennetz wird im Wesentlichen durch öffentlicheBaulastträger (Bund, Länder, Kreise, Kommunen) ge-plant, gebaut und betrieben und umfasste im Jahr 2012etwa 12 845 km Autobahn, 39 673 km Bundesstraßen,178 184 km Landes-, Staats- und Kreisstraßen sowie etwa395 400 km Gemeindestraßen [2]. Anhand ihrer Funkti-on sowie der bautechnischen Anforderungen werdenStraßen in sieben Kategoriengruppen (Autobahnen, Bun-des-, Land-, Staats-, Kreis- und Stadtstraßen sowie Ländli-che Wege) eingeteilt und klassifiziert. Neben der primä-ren technischen Funktion der Lastaufnahme von Fahr-zeugen übernehmen Straßen dabei auch soziokulturelleund ökonomische Funktionen für den Menschen (Sekun-därfunktionen). Durch den Transport von Gütern oder

Personen, die Verbindung zweier Orte oder die Erschlie-ßung von Grundstücken tragen Straßen zum Erhalt desgesellschaftlichen Lebens und der wirtschaftlichen Leis-tungsfähigkeit bei.

Verkehrsbauwerke bieten aufgrund ihrer bauwerksspezi-fischen Gegebenheiten signifikante Werterhaltungs- undKosteneinsparpotenziale. Speziell Straßen sind hohen di-rekten und indirekten Belastungen, wie beispielsweiseBrems- und Beschleunigungskräften oder Witterung, überden Lebenszyklus ausgesetzt. Der Herstellungsprozess istmaschinen-, zeit-, kosten- sowie emissionsintensiv und be-nötigt spezielle Baustoffe und Verarbeitungsverfahren.Sowohl die technisch konstruktive Ausgestaltung alsauch die straßenbetriebliche Erhaltung und Instandhal-tung haben großen Einfluss auf die Nutzungsdauer sowiedie Verkehrssicherheit und -qualität. Betriebs kosten, Res-sourcenverbrauch oder Emissionen können durch nach-haltige Planungsprozesse bereits frühzeitig beeinflusstund gesteuert werden. Der Schutz der menschlichen Le-bensgrundlagen – zu denen Umwelt, Wirtschaft, Kulturund Gesellschaft gehören – ist auch im Straßenbau vonimmer größerer Bedeutung. Zentrale Ziele sind daher die

Zur Bestimmung der Nachhaltigkeit von Infrastrukturprojektenexistieren in der Praxis bislang nur vereinzelte Bewertungssys-teme, wie das US–amerikanische ENVISION-Rating-Systemoder das britische CEEQUAL-Assessment-Scheme. Diese ba-sieren auf für alle Infrastrukturmaßnahmen allgemein anwend-baren Kriterien und ermöglichen dem Anwender somit keinebauwerks- oder funktionsspezifische Nachhaltigkeitsbetrach-tung. Für eine ganzheitliche und lebenszyklusumfassende Be-wertung von Verkehrsbauwerken sind jedoch insbesondereeine Differenzierung hinsichtlich der Bauwerksart (z. B. Stra-ßen, Tunnel, Brücken) sowie die Definition spezifischer Zielkri-terien für die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit erforderlich.Allgemeine Kriterien müssen dabei um funktionsspezifische In-dikatoren der jeweiligen Bauwerksklasse ergänzt werden, umdie Besonderheiten in Planung, Bau und Betrieb über den Le-benszyklus des Bauwerks bewerten zu können. Als Ergebnisdieses Beitrags wird ein modularer Bewertungsansatz für Stra-ßenbauwerke vorgestellt. Weiterhin werden erforderliche Sys-temgrenzen sowie spezifische Zielkriterien für die Bewertungder Nachhaltigkeit von Verkehrsinfra strukturprojekten am Bei-spiel von Straßenbauwerken aufgezeigt.

Keywords Nachhaltigkeit; Verkehrsinfrastruktur; Straßenbau; Lebenszyklus;Zertifizierung; Bewertungssystem; Green Streets; Zielkriterien

Sustainability assessment scheme for transport infrastructureprojectsIn this article system boundaries for the development of a sus-tainability assessment scheme of transport infrastructure projects are discussed. Existing assessment methods as theENVISION Rating System launched by the Institute for Sustain-able Infrastructure (ISI) and the Harvard Graduate School ofDesign or the UK-based CEEQUAL Assessment Scheme baseupon on general criteria which avoid a holistic sustainabilityevaluation. Hence, it is necessary to define specific criteria including particular requirements for each infrastructure con-struction type. This has to be carried out for each of the threesustainability dimensions. Especially for transport infrastruc-ture projects sustainability requirements must be evaluatedover the projects life cycle. As the result of the study a newmodular assessment scheme for highways as a part of trans-port infrastructure projects is presented. In addition severalnew specific evaluation criteria for highways are introducedand explained.

Keywords sustainability; assessment scheme; durability; transportinfrastructure; green streets

*) Corresponding author: [email protected] for review: 18 June 2013Revised: 05 September 2013Accepted for publication: 05 September 2013

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Minimierung ökologischer und ökonomischer Auswir-kungen auf Mensch, Natur und Gesellschaft sowie dieAufrechterhaltung von Verkehrsfluss und Verkehrssicher-heit [3].

2 Aktueller Stand der Nachhaltigkeitsbewertung imStraßenbau

Zentrales Instrument für die Planung und Bewertungnachhaltiger Bauwerke sind Zertifizierungssysteme. Dieseexistieren vorrangig für den Hochbau und weisen denGrad der Zielerreichung nachhaltiger Planungen bzw. dieQualität und Art durchgeführter Maßnahmen aus. EineBeurteilung der Nachhaltigkeitsaspekte wird anhandvon spezifischen Kriterienkatalogen (Nutzungsprofile)vorgenommen. Diese enthalten Maßnahmen oder zu er-reichende Grenz- und Referenzwerte für definierte Be -wertungskriterien in Abhängigkeit der Bauwerksnutzungoder -funktion. International etablierte Bewertungssyste-me im Hochbau sind unter anderem LEED (Leadership inEnergy an Environmental Design, USA), BREEAM (Buil-ding Research Establishment’s Environmental AssessmentMethod, Großbritannien) und DGNB (Gütesiegel derDeutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen). Be -wertungssysteme der neueren Generation, wie beispiels-weise DGNB und BNB (Bewertungssystem NachhaltigesBauen), ermöglichen dem Nutzer dabei eine über das klas-sische 3-Säulen-Modell hinausgehende Nachhaltigkeitsbe-trachtung. Die ursprünglich definierten drei DimensionenUmwelt (Ökologie), Wirtschaft (Ökonomie) sowie Kulturund Gesellschaft (Soziokultur) werden dabei in den Syste-men der zweiten Generation um technische und prozes-suale Aspekte erweitert. Somit wird die ganzheitliche Be-trachtung eines Bauwerks hinsichtlich seiner ökologi-schen, ökonomischen und soziokulturellen Auswirkungenunter Berücksichtigung der technischen Ausstattung undProzessabläufe ermöglicht [4].

In Deutschland existiert aktuell kein marktreifes Bewer-tungssystem für den Straßenbau. Erste Ansätze bei derErstellung von Ökobilanzen sowie die Untersuchungökologischer Einflüsse von Straßen durch BEUVING un-terstreichen jedoch die fortschreitende Entwicklung vonNachhaltigkeitsaspekten für Straßen in der Wissenschaft[5]. GRAUBNER entwickelte im Jahr 2010 erste allgemeineBewertungskriterien für Infrastrukturbauwerke inDeutschland und stellte im Jahr 2011 erste Ordnungs-strukturen anhand des DGNB-Systems vor [6]. Seit 2008arbeiten zudem Forschungs- und Expertengruppen derBundesanstalt für Straßenwesen (BASt) an der Entwick-lung von Bewertungskriterien für den Verkehrsinfrastruk-turbau in Deutschland. Der Fokus liegt hierbei auf derEntwicklung von Zielkriterien für Brückenbauwerke.

Erste internationale Bewertungsansätze für Infrastruktur-bauwerke, wie das ENVISION-Rating-System (USA,2012) oder das CEEQUAL-Assessment-Scheme (Großbri-tannien, 2004), zielen auf die Betrachtung übergeordne-ter Kriterien für alle Infrastrukturkategorien ab und sind

beispielsweise sowohl für Windkraftanlagen oder Ver-kehrsbauwerke als auch für Telekommunikationsbauwer-ke gültig. Eine differenzierte Betrachtung ist mit den bis-herigen Systemansätzen jedoch nicht möglich, da bau-werks- und funktionsspezifische Bewertungsmaßstäbeund Zielkriterien fehlen. Besonderheiten der Planung,Herstellung und des Betriebs einzelner Infrastrukturbau-werke können nur bedingt oder überhaupt nicht erfasstund bewertet werden [7].

3 Systemgrenzen für die Nachhaltigkeitsbewertungvon Straßen

Im Hochbau existieren zur Bewertung der Nachhaltigkeitvon Gebäudetypen unterschiedliche Nutzungsprofile undKriterienkataloge. Das Gebäude und seine Nutzungsart(räumlich/sachlich) sowie der Lebenszyklus (zeitlich)stellen dabei die Systemgrenzen für die Bewertung dar.Auch der Straßenbau weist eine solche Komplexität auf.Straßenfunktion und spezifische bautechnische Anforde-rungen sind daher für die Identifikation von Bewertungs-kriterien sowie für die Definition entsprechender System-grenzen für Straßen besonders zu berücksichtigen.

Durchgeführte Untersuchungen zeigen, dass nur mit all-gemeinen Bewertungsansätzen, wie beispielsweise beimbritischen CEEQUAL-System, keine ganzheitliche Nach-haltigkeitsbewertung von Straßenbauwerken durchzufüh-ren ist [8]. Da es insbesondere bei Straßen zu Bauwerks-und Funktionsdurchmischungen innerhalb einer Trassekommt, können bauwerkstypische Anforderungen undGegebenheiten mit allgemeinen Zielkriterien nicht be-wertet werden. Im Straßenbau ist daher eine weiterge-hende Differenzierung anhand der Kategoriengruppenzur eindeutigen Definition der Systemgrenzen notwendig.Wesentliche Gründe dafür sind die unterschiedlichen Se-kundärfunktionen sowie die bautechnischen Anforderun-gen innerhalb der Bauwerksart Straße. Die aus demHochbau bekannte zeitliche Systemgrenze (Lebenszy-klus) kann auch für die Bewertung von Straßenbauwer-ken übernommen werden. Als räumliche/sachliche Sys-temgrenze müssen Trassen jedoch nicht nur nach derBauwerksart (erste Ebene: Tunnel, Brücken, Anbauten),sondern auch anhand der zu erfüllenden Straßenfunktion(zweite Ebene: Kategoriengruppen und Entwurfsklasse)unterschieden werden.

Weiterhin sind innerhalb einer Bauwerksart bauliche undfunktionale Besonderheiten anhand spezifischer Zielkri-terien zu bewerten. Am Beispiel Straßenbau lassen sichdie aus den funktionalen Unterschieden entstehendenNachhaltigkeitsanforderungen innerhalb eines Bauwerk-typs verdeutlichen: Eine Autobahn mit Verbindungsfunk-tion unterscheidet sich demnach grundlegend von einerAnliegerstraße mit befestigtem Fahrradweg und Erschlie-ßungsfunktion.

Vergleichbare Prozessabläufe sowie gemeinsame rechtli-che Grundlagen für Planung und Ausführung im Hoch-

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und Straßenbau können bei der Festlegung einer System-struktur, geeigneter Systemgrenzen sowie für die Krite -rien identifikation herangezogen werden. So sind die ausder Hochbauzertifizierung bekannten fünf Qualitäten(ökologische, ökonomische, soziokulturelle, technischesowie prozessuale Qualität) auch für die Bewertung vonStraßenbauwerken geeignet. Insbesondere ökologischeund ökonomische Kriterien, wie die Erstellung von Öko-bilanzen oder die Berechnung von Lebenszykluskosten,sind auch auf Straßen übertragbar [8].

4 Modulare Systemstruktur und Zielkriterienfür nachhaltige Straßen

Aus den oben genannten Anforderungen an ein Bewer-tungssystem für Straßenbauwerke lässt sich die Notwen-digkeit einer modularen Systemstruktur ableiten. In einerersten übergeordneten Ebene sind die Infrastrukturkate-gorien zu unterscheiden. Zudem sind weitere nutzungs-spezifische Unterteilungen, beispielsweise innerhalb vonVerkehrsbauwerken, als Substruktur notwendig (Bild 1).

Speziell für Straßenbauwerke sind in einer zweitenEbene weitergehende spezifische Bewertungssysteme zurDifferenzierung von Bauwerksart und -funktion erforder-lich. Die in Abschn. 3 dargestellte Trassen problematikverdeutlicht die Komplexität bei der Betrachtung derNachhaltigkeit von Straßen. Durch auftretende Funkti-ons- und Bauwerksdurchmischung ist eine Segmentie-rung des Trassenverlaufs erforderlich. Zudem benötigtjedes Einzelsegment eigene Bewertungsmaßstäbe und-kriterien (Nutzungsprofil). Weiterhin ist auch eine demHochbau gleichende Unterscheidung in Neubau und Be-standsmaßnahmen (hier: Erneuerung) sinnvoll. Eine mo-dulare Untergliederung zur Bewertung von Straßenbau-werken ist in Bild 2 als Vorschlag dargestellt.

Die Zertifizierung einer Trasse kann in einen vierstufigenProzess gegliedert werden. Zunächst ist eine Segmentie-

rung in Bauwerksklassen nach Straßenabschnitten, An-bauten, Ingenieurbauwerken und Sonderbauwerken er-forderlich. Weiterhin muss eine Unterteilung hinsichtlichder bautechnischen/funktionalen Einzelsegmente in ent-sprechende Nutzungsprofile durchgeführt werden. Stra-ßen sind demnach anhand der definierten Kategorien-gruppen zu differenzieren. Für Anbauten, wie beispiels-weise Parkplätze oder Auf- und Abfahrten, sind weitereNutzungsprofile erforderlich. Zudem müssen beispiels-weise für Sonder- und Ingenieurbauwerke Nutzungsprofi-le für Tunnel, Regenrückhaltebecken oder Brückenbau-werke entwickelt werden. Für jedes Nutzungsprofil sindanschließend Teilergebnisse entsprechend der fünf Nach-haltigkeitsdimensionen zu ermitteln. Das Gesamtergebnisfür die Zertifizierung einer Trasse kann abschließenddurch Zusammenführung der bauwerksspezifischen Teil-ergebnisse gebildet werden.

Für die Straßenkategorien sind funktionsspezifische Ziel-kriterien zu definieren. Erst diese ermöglichen eine ganz-heitliche Nachhaltigkeitsbetrachtung von Straßenbaupro-jekten und deren Besonderheiten. Durchgeführte Analy-sen verdeutlichen, dass für die Nachhaltigkeit vonStraßen beispielsweise eine wirtschaftliche Organisationdes Straßenbetriebs oder eine ökologische Linienführungder Trasse von besonderer Bedeutung sind. Zudem sindspezifische Schutzziele des Sicherheitsempfindens, desFahrkomforts und der Verkehrsqualität bei der Betrach-tung besonders zu berücksichtigen [8].

Dabei sind spezifische Anforderungen aus allen fünfQualitätsbereichen der Nachhaltigkeit zu beachten. Be-einträchtigungen des Verkehrsflusses, wie zum BeispielBaustellen, Fahrspur verengungen oder Beschädigungender Deckschicht, haben signifikante Auswirkungen aufdie ökologische und technische Qualität einer Straße.So führen Staubildungen zu erhöhten Materialbelastun-gen und verursachen zusätzliche externe Kosten inForm von Zeitverlusten, Mehrverbrauch an Kraftstoffenoder höheren CO2-Belastungen [9]. Eine nachteilige Li-

Bild 1 Modulare Systemstruktur für InfrastrukturbauwerkeModular system structure for infrastructure projects

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nienführung (beispielsweise Kuppenausbildung, Kurven-verläufe) oder Beschädigungen der Konstruktion undStraßenausstattung führen zu erhöhtem Materialver-schleiß an Fahrzeugen oder Beeinträchtigungen vonFahrkomfort und Verkehrssicherheit. Auch technischeKriterien der Dauerhaftigkeit sowie eine spezifische Prozessplanung und -kontrolle stellen weitere wichtigeEinflussgrößen für die Nachhaltigkeit von Straßen -bauwerken dar. Vorhandene Konstruktions- und Aus-baureserven können bei veränderten Nutzungsanfor -derungen oder erhöhten Verkehrsaufkommen genutztwerden. Technisch optimierte Deckschichten könnenzu verlängerten Instandhaltungszyklen und somit zurReduzierung von Instandhaltungsmaßnahmen beitra-gen.

5 Zusammenfassung

Die Untersuchungen machen deutlich, dass eine Nach-haltigkeitsbewertung im Straßenbau notwendig und sinn-voll ist. Die aus dem Hochbau bekannten Methoden undSystematiken können als Grundlage für die Entwicklungeines Bewertungssystems herangezogen werden. Jedochsind im Gegensatz zum Hochbau für den Verkehrswege-bau und speziell den Straßenbau weitergehende Differen-zierungen und Ergänzungen notwendig.

Es wird deutlich, dass eine umfassende Bewertung an-hand der Struktur von Bewertungssystemen der zweitenGeneration sinnvoll erscheint, da Kriterien aus allen fünfNachhaltigkeitsqualitäten für die Bewertung von Stra-ßenbauprojekten von Bedeutung sind. Für die Definitionvon Kriterienkatalogen können aus dem Hochbau undden allgemeine Bewertungssystemen Zielkriterien abge-leitet und um straßenbauspezifische Zielkriterien ergänztwerden. Weiterhin ist eine dem Hochbau gleichende Un-terscheidung in bauwerksspezifische Nutzungsprofileauch für den Straßenbau sinnvoll, jedoch ist insbesonderehinsichtlich der Bauwerksart und -funktion eine tieferge-hende Unterscheidungen in mehrere Ebenen notwendig.Als Organisationsstruktur für die Bewertung von Ver-kehrsinfrastrukturbauwerken ist daher ein modulares Be-wertungssystem vorteilhaft.

Abschließend ist festzuhalten, dass die Nachhaltigkeitsbe-wertung von Straßen als komplex einzustufen ist; insbe-sondere der zeitliche, monetäre und organisatorische Zu-satzaufwand sind im Vergleich zum Hochbau höher ein-zuordnen. Bewertungssysteme und deren Zielkriterienkönnen im Straßenbau jedoch zur Minimierung volks-wirtschaftlicher Auswirkungen (externe Kosten), zur Re-duzierung von Emissionen und somit zur Schonung vonRessourcen sowie zum Schutz von Mensch und Umweltbeitragen.

Bild 2 Modulares Bewertungssystem für StraßenbauwerkeModular assessment scheme for road projects

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Literatur

[1] Heinze Marktforschung: Bauen in Deutschland 2011.URL: http://www.baudatenonline.de/bauenindeutschland,Aktualisierungsdatum: 16.5.2013.

[2] Deutscher Bundestag: Verkehrsinvestitionsbericht für dasBerichtsjahr 2011. Drucksache 17/12230, Köln: Bundesan-zeiger Verlagsgesellschaft mbH, 2011.

[3] RICHTER, D.; HEINDEL, M.: Straßen- und Tiefbau. Stuttgart:Vierweg + Teubner, 2011.

[4] EBERT, T.; ESSIG, N.; HAUSER, G.: Zertifizierungssysteme fürGebäude. In: EDITION Detail green books, 1. Aufl., Mün-chen: Institut für internationale Architektur-Dokumentatio-nen GmbH & Co. KG, 2010.

[5] BEUVING, E.; DE JONGHE, T.; GOOS, D.: Environmental impacts and fuel efficiency of road pavements. In: Industryreport March 2004, Joint EAPA/Eurobitume Task GroupFuel Efficiency, 2004, URL: http://www.eapa.org/usr_img/position _paper/fuel_efficiency_report.pdf, Aktualisierungs-datum: 16.5.2013.

[6] GRAUBNER, C.-A.; BAUMGÄRTNER, U.; FISCHER, O.: Nach-haltigkeitsbewertung für die Infrastruktur. In: Bauingenieur85 (2010), Heft 7/8, S. 331–340.

[7] CLEVENGER, C. M.; OZBEK, M. E.; SIMPSON, S.: Reviewof sustainability rating systems used for infrastructure

projects. Colorado State University, USA, 2013, URL:http://ascpro.ascweb.org/chair/paper/CPRT88002013.pdf,Aktualisierungsdatum: 16.5.2013.

[8] CADEZ, I.; HOFMANN, S.; HEINENDIRK, E.-M.: Bewertungs-ansatz für die Nachhaltigkeit von Straßenbauprojekten. In:Bauprozessmanagement und Immobilienentwicklung, Band33 – Jubiläumsausgabe, München: Schriftenreihe des Lehr-stuhls Bauprozessmanagement und Immobilienentwick-lung, TU München, 2013, Abschnitt C, S. C12 – 1 – 12.

[9] Weber, H.: Stauvermeidung an Tagesbaustellen. Regierungs-präsidium Tübingen, Landesstelle Straßentechnik, Karls ru -he, 2006, URL: http:// www.ise.kit.edu/ rd_ down load/ SEB /Kolloquium_SEB_06-02_H._Weber.pdf, Aktualisierungsda-tum: 16.5.2013.

AutorenProf. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Ivan CadezDipl.-Ing. (FH) Arch. Sascha HofmannTechnische Universität DortmundLehrstuhl Immobilienwirtschaft und BauorganisationAugust-Schmidt-Straße 844227 [email protected]@tu-dortmund.de