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Angriff der Unsichtbaren

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

Nr. 615

Angriff der Unsichtbaren von Hans Kneifel

Die Verwirklichung von Atlans Ziel, das schon viele Strapazen und Opfer gekostet hat – das Ziel nämlich, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen –, scheint nun außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besor-gen zu müssen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Randgebiete der Galaxis Xiinx-Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird, die auf das unheilvol-le Wirken der sogenannten »Mental-Relais« zurückzuführen sind. Inzwischen herrscht durch die Ausschaltung einiger Relais im Umfeld der SOL Ruhe. Da-für aber ist in der SOL selbst der hoffnungslos anmutende Kampf gegen das Manifest C entbrannt, das das Schiff völlig zu übernehmen und in die Vernichtung zu führen droht. Um sich die Handlungsfähigkeit und die Chance zur Rettung der SOL zu bewahren, ver-läßt Atlan mit seinen engsten Mitarbeitern das Schiff und dringt in das Zentrum von Xiinx-Markant ein. Dabei trifft der Arkonide auf einen Gegner, der unbesiegbar zu sein scheint – das zeigt der ANGRIFF DER UNSICHTBAREN ...

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

Die Hauptpersonen des Romans: Tauprin – Ein Manifest wird befreit. Atlan – Der Arkonide auf dem Planeten der Unsichtbaren. Iray Vouster, Tyari, Garrett und Insider – Atlans Gefährten im Kampf gegen die Unsichtbaren. Bjo Breiskoll – Der Telepath empfängt ein seltsames Signal. Aork und Dork – Eingeborene des Plane-ten Uhzwutz.

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

1. Im Augenblick herrschte in der Zentrale

des Raumschiffs eine ungute Stimmung. Nur ein paar Grad oberhalb der Polarkälte, dachte Atlan.

Archetypische, sozusagen steinzeitliche Re-aktionen inmitten der Supertechnik, und das auch noch in der Dunkelzone einer fremden Milchstraße. Gefällt dir das? flüsterte der Extrasinn.

Atlan würde noch lange brauchen, um statt Barleona den Namen Iray Vouster zu benut-zen.

Auch Iray selbst hatte damit einige Schwie-rigkeiten.

Erst vor rund zwei Tagen, nach dem aufre-genden Zwischenfall an Bord, war ihr Erinne-rungsvermögen teilweise zurückgekehrt. Iray war Terranerin! Dort drüben saß sie, warf ihr schulterlanges braunes Haar in den Nacken und lächelte ihn an.

Links von Atlan saß Tyari, körperlich und in fast allen Verhaltensweisen das genaue Gegenteil von Iray. Tyari, die ihm selbst über-raschend ähnlich sah, schien auf die dunkel-haarige Terranerin eifersüchtig zu sein. Atlan war auch in diesem Punkt nicht sicher; manchmal war er ganz davon überzeugt, daß die weißhaarige Frau aus Bars-2-Bars nichts anderes im Sinn hatte, als ihn herauszufordern und ihrer Nebenbuhlerin zu beweisen, daß sie aus irgendeinem Grund besser und begeh-renswerter war.

Atlans Überlegungen wurden durch Feder-spiels Stimme aus einem Bordkommunikator des Schwanenschiffs unterbrochen.

»Atlan. Du hast vor kurzem eine Informati-on von mir verlangt.«

»Ja ...« »Ich habe alles sehr genau geprüft, und es

bleibt dabei. Ich spüre noch immer deutlich den Impuls von Cpt’Carch. Zwar kann ich immer noch nicht genau sagen, von welchem Punkt die Impulse ausstrahlen. Aber ich glau-be, daß wir dieser rätselhaften Quelle näher-gekommen sind.«

»Zumindest eine positive Neuigkeit!« murmelte Atlan. »Danke.«

Tauprin schaltete die Verbindung ab. Das Schiff sagte mit der warmen, dunkel-

sympathischen Stimme: »Also weiter auf dem Flug ins Zentrum von

Xiinx-Markant.« »Richtig. Weiter durch die Innenzone.« Die Ortungen und Untersuchungen ergaben

keine aufregenden oder optimistisch stim-menden Neuigkeiten. Die Innenzone, durch die sich das Manifest J bewegte, glich der normalen, gewohnten Definition des Weltalls.

Die Menge der Sonnen und deren Charak-teristika waren ebenso alltäglich wie ihre Ver-teilung. Der Kern der Galaxis war keineswegs auffallend dicht gedrängt voller Sterne und Planeten. Eher ließen die Aufnahmen erken-nen, daß der Kern leerer war, als es die Erfah-rung der Raumfahrer vermuten ließ.

Trotzdem liegt dein Ziel dort und nirgend-wo anders, sagte der Logiksektor abermals.

Er nickte und beobachtete weiterhin die Schirme und Anzeigen. Sowohl Sannys pa-ramathematische Berechnungen als auch alle Vermutungen, die im Verlauf des Fluges ge-äußert worden waren, deuteten darauf hin. Es gab auch kein anderes, besseres Ziel. Wieder einmal war alles vage und unklar. Niemand an Bord des Schwanenschiffs – und ebenso wenig an Bord der beiden Beiboote der SOL – ahnte, wo des Rätsels Lösung lag und wie sie aussah.

»Wie üblich«, murmelte der Arkonide. Er kippte den Sessel und lehnte sich zu-

rück. Die Dunkelzone mit ihren Gefahren lag fast schon hinter ihnen. Durch den Korridor, der von Yuz geschaffen worden war, konnten die SOL-Beiboote folgen. Bisher war der te-lepathische Kontakt zwischen Federspiel und Breiskoll immer wieder abgerissen. Die Ver-ständigung stellte sich als sehr schwierig her-aus. Die Dunkelzone beeinflußte nicht nur den Funkverkehr zwischen den Schiffen, son-dern selbst die telepathischen Verbindungen.

»In den letzten Stunden war der Kurs be-merkenswert stabil. Wie groß ist die Wahr-scheinlichkeit, daß wir weiterhin Ruhe haben werden?« fragte er.

Augenblicklich erwiderte das Raumschiff: »Für die nächsten Stunden sehe ich keine

Schwierigkeiten. Meine Vorausortung zeigt einen Abschnitt des Weltraums, der frei von herumschwirrenden Trümmern ist.«

»Völlig frei?«

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

»Abgesehen von kleineren Partikeln, die ich leicht vernichten kann. Es gibt bisher kei-ne Anzeichen, daß wir auf ernsthafte Hinder-nisse stoßen.«

»Eine beruhigende Auskunft. Ich habe vor, mich für die nächsten Stunden in mein Quar-tier zurückzuziehen.«

Aus dem linken Sessel kam eine spitze Bemerkung.

»Sicher nicht allein, Atlan?« Atlan drehte seinen Sessel halb herum und

blickte Tyari ins Gesicht. »Ich bin ganz sicher«, sagte er höflich und

beherrscht, »daß deine Anwesenheit hier ge-nügen wird, uns allen einen friedvollen Flug zu gewährleisten. Zumal ich das Objekt dei-ner Aggression mitzunehmen gedenke.«

Tyari stieß einen unverständlichen Laut aus und ignorierte Atlan und Barleona-Iray.

Ungerührt bemerkte das Raumschiff: »Es ist erfrischend, inmitten kosmischer

Gefahren die geistvollen Rededuelle von euch Besatzungsmitgliedern mitanzuhören.«

Als Atlan aufstand und Iray mit sich zog, schaltete sich ein Monitor zu, und Federspiel sagte:

»Ein ironisches Raumschiff! Tut mir leid, Atlan, daß ich deinen Schlaf zum Alptraum mache. Aber soeben ist mein letzter, unschar-fer Kontakt zu Bjo völlig abgerissen.«

»Ein Ärger kommt selten allein. Was noch?«

»Bjo hat sich trotz der Korridorspur von Yuz verflogen. Beim Eindringen in die Kern-dunkelzone ist er auf ein ernstes Hindernis gestoßen. Ich erfuhr nicht, was es war. Er scheint aber nicht um die Schiffe und die Mannschaften zu bangen. Für uns bleibt aller-dings die Unsicherheit.«

»Sie bleibt. Vor allem wissen wir nicht, ob unsere Nachhut uns tatsächlich folgt.«

»Erfahrungsgemäß«, meinte Federspiel be-ruhigend, »stellt Bjo bei der ersten sich bie-tenden Gelegenheit den Kontakt sofort wieder her.«

Wieder unterbrach das Manifest J: »Zu unserer Sicherheit und zu deiner Beru-

higung, Atlan, werde ich den Schutzschirm GELB zuschalten.«

»Danke!« sagte Atlan, verließ die Haupt-zentrale und schwebte zusammen mit Iray

durch den Liftschacht in den Bereich der we-nigen Kabinen, die dem Führungspersonal vorbehalten waren. Er atmete auf, als sich das Schott hinter ihm geschlossen hatte. Iray lehn-te sich an ihn. Er strich über ihr Haar und zog sie an sich.

»Hin und wieder sehne ich mich auf ein Südseeinselchen zurück, wo es nur Kokos-nüsse, gegrillten Fisch und Wasser gibt, dazu Einsamkeit und dich.«

»Jetzt ist ein solcher Moment!« sagte sie und lachte. Sekundenlang fiel die Spannung von ihnen ab. Sie versuchten unbewußt, sich wie normale Menschen zu verhalten, die ihre Verliebtheit entdeckt hatten.

»Koste ihn aus«, sagte Atlan und küßte sie. »Tyari«, sagte Iray nach einer Weile, »ist

noch immer eifersüchtig.« »Erstens stört es mich wenig«, meinte At-

lan und versuchte, durch die Auswahl von Beleuchtung und Getränken sowie durch Mu-sik aus dem Bordspeicher eine Spur von Ge-mütlichkeit herzustellen, »zweitens glaube ich es nicht. Ich durchschaue sie nicht. Aber ich glaube, daß sie auf ihre Stunde wartet. Sie ist ein sehr starker, harter Charakter. Ihre Seele wird kaum ernsthaft Schaden nehmen.«

»Bist du sicher?« fragte sie und nahm eines der Gläser, die aus demselben Material wie die Hülle von der TAUPRIN zu bestehen schienen.

»Ziemlich sicher«, antwortete der Arkoni-de.

Sie saßen in tiefen, weichen Sesseln einan-der gegenüber. Auf einem Bildschirm, der fast eine Wand der geräumigen Kabine ein-nahm, erschienen im langsamen Wechsel ho-lografische Bilder, die das Manifest irgend-wann auf kosmischen Reisen und Planetenbe-suchen aufgenommen und gespeichert hatte.

»Denkst du an Benjamin?« fragte Atlan nach einer Weile. Schweigend schüttelte Iray den Kopf.

»Nein. Irgendwie denke ich zwar ab und zu an meine Rache oder den Versuch, Geschehe-nes zu erklären – aber mein Bruder ist nicht allgegenwärtig.«

Sie hatten nächtelang miteinander gespro-chen, in der Dunkelheit der Kabine. Eng anei-nandergepreßt, Iray in Atlans Armen, hatte sie erzählt, woran sie sich nach dem Schock erin-

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL nerte:

Der Planetoid zwischen der Doppelsonne, der Raumgleiter, der von unbekannten Kräf-ten gesprengt wurde, der feste Glaube an ei-nen Traum, den jeder der beiden Geschwister gehabt hatte. Dann der sogenannte Entschei-dungstest und der langsame Tod, die Auflö-sung, des Bruders. Testperson A! Dann neue, unbekannte Begriffe: Namenlose Zone ... An-ti-Homunk ... weitere Ausbildung ... Zeit-spannen von mehreren hundert Jahren ... ihr eigener Racheschwur, den sie im wortlosen Dialog mit der beschwichtigenden Stimme aussprach ... die Hohen Mächte ... und dann: Anti-ES. Immer wieder kamen diese Erinne-rungen, aber sie waren im Lauf einer langen Zeit verblaßt und nicht mehr lebensbestim-mend geworden.

Sie lächelten sich an; niemand, der nicht verliebt war, verstand ein solches Lächeln richtig zu deuten. Für dritte Personen hatte es unzweifelhaft einen melodramatischen Cha-rakter und wirkte oft unsinnig. Auch Atlan wußte es, aber ihn scherte es nicht.

»Was hast du vor? Was erleben wir in den nächsten Tagen?« fragte sie, nahm sein leeres Glas und füllte es wieder, ebenso wie ihres. Atlan zog die Schultern hoch.

»Wenn ich’s wüßte«, gab er zurück, »wür-de ich weniger verkrampft sein.«

Bisher hatte er versucht, Iray vorsichtig ei-nige Zusammenhänge zu erklären, die für ihn und die Mitglieder des Teams sowie Breckc-rown Hayes ziemlich sicher waren. Sie, Iray, stellte nur kluge Fragen, die niemals aus dem Zusammenhang gerissen waren. Wöbbekings Wirken diente dem Arkoniden dazu, für Iray wichtige Informationen geben zu können. Er selbst hielt es für möglich, daß Bruder Ben-jamin noch in irgendeiner Form mit Anti-Homunk zu verbinden war, vielleicht einen Teil dieser Kreatur darstellte.

Natürlich belastete er seine schöne Freun-din nicht mit diesem Wissen.

Auch darüber hatten sie gesprochen: Zur Zeit, als das kosmische Schachspiel

zwischen ES und Anti-ES die Erde und die Menschheit in Atem gehalten hatte, damals ... waren die Geschwister aufgebrochen und vor dem Ende ihrer Mission in das Machtgefüge der Superintelligenzen hineingerissen worden.

Es war müßig, den gesamten Weg von die-sem Zeitpunkt bis heute mit akribischer Sorg-falt nachvollziehen zu wollen. Nur wenig aus der Zeit, die Iray bei den Barleonern verbracht hatte, konnte den aktuellen Stand des Wissens beeinflussen. Die Vergangenheit war ziemlich unwichtig – wenige Ausnahmen mochten diese Regel bestätigen.

Atlans Gedanken wirbelten unruhig umher. Er selbst haßte diesen Zustand. Auch er be-fand sich nachweislich leider nicht auf jenem imaginären terranischen Südseeatoll. Er war im Manifest Tauprin und flog mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit dem Zentrum von Xiinx-Markant entgegen und einer Vielfalt von Abenteuern, Überraschungen und Gefah-ren.

Ein anderer Umstand indessen erfüllte At-lan mit zunehmender Freude.

Iray war seit dem Tag, an dem sie in der SOL aufgetaucht war, immer bewußter, siche-rer und selbständiger geworden. Durch ihre gegenseitige Zuneigung hatte sie sich erinnern müssen, daß sie eine Frau war, eine schöne Frau, und dies gab ihr zusätzliche Festigkeit.

Atlan streckte sich auf der Liege aus und zog die weichen Bordstiefel von seinen Fü-ßen.

»Tatsächlich müde? Ich dachte, du brauch-test keinen Schlaf?« fragte sie mit einem An-flug von Koketterie.

»Ich brauche Schlaf, wenn ich auch wegen des Aktivators länger ohne Ruhe und Schlaf sein kann. Aber die Natur läßt sich nicht stän-dig überbelasten«, sagte er und griff nach ih-rer Hand.

*

Atlan wachte auf und blieb still liegen. Er

bemühte sich, Iray nicht zu wecken. Die fast nicht mehr wahrnehmbar leise Mu-

sik, das ruhige Bild scheinbar dicht außerhalb des Raumschiffs und die ruhigen Atemzüge der jungen Frau hielten ihn entspannt. Die Prognose des Schwanenschiffs war also rich-tig gewesen, wie Atlan nach einem Blick auf die wechselnden Ziffern des Chronometers feststellte.

Tatsächlich hatten Mannschaft und Schiff ein paar Stunden Ruhe gehabt. Sechseinhalb

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL Stunden genau.

In der Stille hörte Atlan eine schnelle Folge dumpfer Gongsignale.

Das Schiff meldete sich. »Ich glaube, ernsthafte Schwierigkeiten

stehen unmittelbar bevor, Atlan.« »Wir kommen!« sagte Atlan halblaut. Iray rührte sich, gähnte und rieb sich die

Augen. »Gefahren?« »Ich kann es noch nicht genau abschätzen.

Wir befinden uns in unterlichtschnellem Flug.«

»Ich bin sofort in der Zentrale«, antwortete Atlan und zog sich schnell an. »Kommst du nach, Iray?«

Sie nickte. Im gleichen Augenblick führte das Schwa-

nenschiff eine harte Kursänderung durch. Der Boden vibrierte kurz, dann schwankte das Schiff, und Atlan wurde von den Füßen geris-sen. Er klammerte sich an dem federnden Sessel fest, fluchte unterdrückt und hörte, während er sich aufzurichten versuchte, das Manifest sagen:

»Wir weichen einem unsichtbaren Hinder-nis aus.«

Wieder ertönte innerhalb des Schiffes eine warnende Tonfolge. Atlan war mit einigen Sätzen am Schott. Es glitt lautlos auf. Er stürmte ein kurzes Stück Korridor entlang, schwang sich in die Liftröhre und war wenige Sekunden später in der Zentrale.

Eine Batterie von Leuchtfeldern brannte hell, flackerte und erlosch. Es war die Kon-trolle der automatischen Abwehrgeschütze.

Auf dem Bildschirm zeichnete sich – scheinbar – ein normaler Bezirk des Alls ab. Ein einzelner Stern, unmittelbar in der Flug-bahn des Schiffes, leuchtete stärker, war also in größerer Nähe.

»Was war das?« fragte Atlan, und ließ sich in einen Sessel fallen und das Gurtschloß zu-schnappen.

»Ich bin auf ein unsichtbares Hindernis ge-prallt. Glücklicherweise auf ein schwaches Feld, das nicht zu orten war. Die Schwierig-keiten beginnen wieder.«

»Das sehe ich genauso!« bestätigte Tyari, lief durch die Zentrale und schnallte sich e-benfalls fest.

»Tatsächlich nicht zu orten?« fragte Atlan. »Nein. Die letzten Stunden wurden unter

größter Beachtung sämtlicher Vorsichtsmaß-nahmen durchgeführt. Ich habe nichts mehr als unsere Sicherheit geplant. Das Hindernis war nicht feststellbar.«

Die TAUPRIN hatte ihre Geschwindigkeit abgebremst. Die Aktivitäten auf den Kontroll-schirmen zeigten an, daß das Schwanenschiff ununterbrochen, mit höchstem Energieauf-wand, Ortungsanstrengungen unternahm. Im normaloptischen Bereich war tatsächlich nicht das geringste zu sehen.

Tauprin führte wieder eine Kursänderung durch. Gleichzeitig erklärte die dunkle Stim-me:

»Da nicht festzustellen ist, wo sich die Hindernisse befinden, fliege ich einen will-kürlichen Kurs.«

»Meinetwegen.« Außer Atlan und Tyari befanden sich nur

noch Federspiel und Hage Nockemann in der Zentrale. In ruhigem Flug wich das Schiff aus, schwang herum, drehte sich entlang der komplizierten Flugachse und kippte wieder zurück.

Und dann, gleichzeitig mit einem schmet-ternden Schlag, flammte der Schirm auf und ließ sekundenlang die Umrisse des Hindernis-ses erkennen. Rechts auf dem Schirm zeich-nete sich eine seltsame Barriere ab; eine Kan-te, von der aus zwei riesige, leicht geschwun-gene Flächen sich nach »oben« und zur Seite erstreckten. Das Raumschiff taumelte hin und her, der Schirm riß auf und zerriß in einer Kaskade von vielfarbigen Blitzen. Wieder ließ das Schiff warnende Gongsignale erklingen.

»Es schmerzt mich, erklären zu müssen, daß ich beschädigt wurde. Es sind im hinteren Bereich einige Teile der Hülle mit der Barrie-re in Berührung gekommen.«

»Sind die Zerstörungen harmlos oder schwer?«

»Zur Reparatur werde ich einen Planeten aufsuchen müssen, jedenfalls muß eine Lan-dung durchgeführt werden. Irgendwo – aber bald.«

»Ich verstehe«, sagte Atlan. Der Flug wür-de also unterbrochen werden müssen.

»Immerhin gibt es keinerlei Störungen in den Antriebseinheiten«, verkündete das Mani-

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL fest.

»Wie tröstlich!« sagte Tyari, wandte sich an Atlan und erkundigte sich:

»Ich hoffe, daß du mehr Erfolg bei Iray hast als wir mit dem Flug, mein Freund.«

Atlan verfolgte einige Sekunden lang, wie das Manifest versuchte, einen anderen, weni-ger gefährlichen Kurs zu fliegen. Der Stern war einige Lichtminuten seit dem ersten Auf-prall näher gekommen.

»Ich hingegen hoffe«, antwortete der Arko-nide grimmig, »daß der Flug ebenso erfolg-reich ist wie Iray und ich.«

»Sehr witzig!« Hage Nockemann kicherte, zupfte an sei-

nem Bart und meinte: »Es ist richtig erfrischend, dir zuzuhören,

Tyari. Du benimmst dich, als sei Atlan der einzige Mann in dieser Galaxis.«

»Sollte ich deiner Meinung nach mich Hayes an den Hals werfen?« gab sie bissig zurück. »Oder wäre vielleicht Blödel der rich-tige Partner für mich?«

Hage brach in unkontrolliertes Gelächter aus. Mit einer energischen Geste faßte sie ihr auffallendes Haar zusammen und strich es nach hinten. Federspiel murmelte:

»Solltest du etwa eifersüchtig sein, Tyari?« Tyari wurde einer Antwort enthoben, denn

wieder schrammte Manifest J entlang eines unsichtbaren Riffs, der das gesamte Raum-schiff in wilde Vibrationen versetzte.

»Vor uns liegt ein Sonnensystem mit sechs Planeten«, erklärte Tauprin. »Ich werde ver-suchen, einen geeigneten Planeten anzusteu-ern und dort zu landen.«

»Einverstanden.« Von den beiden Beibooten wußten sie

nichts. Mit größter Wahrscheinlichkeit jagte die SOL, dessen Bordrechner vom Manifest C unter Kontrolle genommen war, dem absolu-ten Untergang entgegen. Und jetzt wurde Ma-nifest J gezwungen, auf einer unbekannten Welt zu landen, um Reparaturen auszuführen. Atlan war nicht wohl während all dieser Überlegungen. Auf den speziellen Bildschir-men erschienen die ersten umfassenden In-formationen über die Bahnen, die Abstände und die Größen der sechs Welten, sowie die Charakteristika der Sonne.

Das Schiff gab akustisch die weiterführen-

den Erklärungen ab. Federspiel drehte plötz-lich seinen Sessel, stützte sich schwer auf das Vorderteil des seltsam geformten Pultes und konzentrierte sich auf die wenigen Bilder, die er vor sich sah.

Ein Planet nach dem anderen wurde von Tauprin geschildert. Da zum großen Teil die-se Informationen auch auf Anzeigen und Schirmen auftauchten, war der Verfrem-dungseffekt nicht außerordentlich groß.

»Halt!« sagte Federspiel plötzlich. Seine Stimme war ungewöhnlich rauh.

»Worauf bezieht sich diese Anordnung?« wollte Tauprin wissen.

»Auf den vierten Planeten«, sagte der Tele-path.

»Warum?« »Ich muß mich korrigieren. Es ist der Pla-

net, den du an vierter Stelle genannt hast. Ich sehe eben, daß es der zweite Planet ist, hier, an den projizierten Umlaufbahnen. Ich spüre, daß diese Welt bewohnt ist. Ich fange Be-zeichnungen oder Namen auf. Kannst du mich bestätigen, Tyari.«

Tyaris Gesicht war seltsam ausdruckslos, als sie entgegnete:

»Du unterstellst mir Eifersucht und darüber hinaus die Fähigkeit, Fernanalysen lebender Wesen vornehmen zu können. Vermutlich unterschätzt du meine Fähigkeiten, zu kombi-nieren und naheliegende Dinge miteinander zu verbinden.«

»Ganz sicher unterschätze ich dich nicht«, sagte Federspiel. »Die Wesen des zweiten Planeten nennen ihre Welt Uhzwutz oder so ähnlich. Sie sind ein Volk ohne viel Technik, offensichtlich wenig jenseits des Stadiums der Jäger und Sammler.«

Atlan fragte: »Die fünf anderen Welten sind unbe-

wohnt?« »Ich empfange meine Impulse und Eindrü-

cke nur vom zweiten Planeten«, antwortete Federspiel.

»Es gibt keinerlei meßbare Hinweise dar-auf, daß auch nur eine der Welten bewohnt ist. Keinerlei Strahlungen oder einschlägige Emissionen«, erläuterte das Schwanenschiff weiter. »Das unterstreicht die Feststellungen unseres Freundes Federspiel.«

»Uhzwutz den Uhzwutzern!« stöhnte Atlan.

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL »Hoffentlich sehen sie netter aus, als ihr düs-terer Name vermuten läßt.«

»Das Zentralfeuer nennen sie Emtau.« Das Schiff hatte in den zurückliegenden

Minuten einen bizarren Kurs beschrieben. Es wirbelte in Spiralen, kurzen Geraden und en-gen Kurven durch den Weltraum. Inzwischen befand es sich innerhalb der Umlaufbahn des sechsten Planeten, einer atmosphärelosen Steinwelt, die von einem Ring aus winzigen Fragmenten umgeben war.

Immer wieder hatten kleinere und größere Erschütterungen den Körper des langgestreck-ten Raumschiffs getroffen. Auf dem Instru-mentenpaneel leuchteten inzwischen mehr als ein Dutzend Warnlampen. Die wenigen Ge-schütze, von denen normalerweise Felsbro-cken und kleinere Asteroiden vernichtet wur-den, halfen nichts gegen die unsichtbaren Sperren. Schräg auf die Ebene der Ekliptik hinuntertauchend, näherte sich die TAUPRIN dem zweiten Planeten. Hin und wieder be-schleunigte das Schiff und flog fast licht-schnell, dann wieder wurde die Geschwindig-keit drastisch reduziert.

Sanny kam an der Hand Irays in die Zentra-le.

»Es ist wirklich notwendig«, sagte das Ma-nifest, »daß wir landen. Ich habe zwar keinen einzigen irreparablen Schaden festgestellt, aber die Gesamtheit der Ausfälle macht uns in kurzer Zeit manövrierunfähig.«

»Dann suche einen guten Landeplatz und lande auf Uhzwutz«, sagte der Arkonide.

Vier Stunden lang bewegte sich das Mani-fest J von Hindernis zu Hindernis, von einem Fluchtpunkt zum anderen. Ununterbrochen klirrten und krachten die Inneneinrichtungen. Die künstliche Schwerkraft fiel etwa dreißig-mal kurz aus.

Sämtliche Hindernisse waren unsichtbar; die Ortung versagte vollständig. Für Atlan schien es, als würde das Schwanenschiff durch eine Art verdrehten und verkanteten Korridor geschleudert wie ein Ball, der völlig wahllos von Wand zur Decke, vom Boden zur anderen Wand sprang und geprellt wurde.

Einmal sagte Federspiel: »Kannst du errechnen, Sanny, in welch ei-

nem Teil dieses verrückten Universums wir uns befinden?«

»Ich kann nichts Genaues sagen«, wich sie aus. »Mir wäre wohler, wenn ich bestätigen könnte, daß wir in irgendeiner Form manipu-liert werden. Fehlanzeige.

Außerdem scheint dein weißer Schutz-schirm zu flackern und ernsthafte Auflö-sungserscheinungen zu zeigen, Tauprin.«

»Das trifft zu. Es wird Zeit, daß wir lan-den.«

Nockemann stöhnte auf: »Es ist wie Spießrutenlaufen. Gut, daß sich

Blödel gerade mit irgendwelchen Erfindungen beschäftigt. Ich könnte es nicht aushalten, auch noch von ihm geärgert zu werden.«

Manifest J schwieg. Auf den Bildschirmen schälte sich unend-

lich langsam der Planet aus dem kosmischen Hell-Dunkel heraus. Zuerst nur ein Ortungs-echo, dann ein Punkt, der das Sonnenlicht Emtaus reflektierte, dann eine fast volle Scheibe, schließlich eine Kugel, die voll von der Sonne angestrahlt wurde, und um die langsam die Sichel der Schattenzone zu wan-dern begann, als das Schiff auf seinem selt-samen Kollisionskurs einen indirekten Weg wählte, um in einen Landeorbit zu gehen.

Dann, ein plötzlicher Ruck. Es gab keine Hindernisse mehr. Der Planet

lag unter ihnen. »Lande dort«, meinte Atlan, »wo es Wasser

gibt, ein unüberschaubares Gelände, notfalls einige Schlupfwinkel und Bäume. Es kann sein, daß die Reparaturversuche einen unver-muteten Verlauf nehmen.«

»Ich habe verstanden und führe genau diese Anregungen aus«, erwiderte das Schwanen-schiff und ließ eine aufheiternde Folge von hellen Glockentönen durch sämtliche Räume hallen.

Unter den faserigen weißen Spiralen und Wolkengebilden, die einzelnen Federn gli-chen, erstreckten sich braune, gelbe, blaue und grüne Flächen, in denen weiße Ein-sprengsel waren. Tauprin gab die Ergebnisse der Fernanalyse frei.

»Genau jene Zusammensetzung der Atem-luft, die ihr braucht und vertragt. Ein paar Spurenstoffe unterscheiden sich von den ge-wohnten Werten.«

Der Schirm erlosch, die überforderten Pro-jektoren wurden desaktiviert. Durch die im-

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL mer dichter werdenden Luftschichten sank das Schwanenschiff schräg abwärts, beschrieb über der Landschaft einige Kreise, die immer enger wurden, und landete schließlich.

Im Norden ein mäandernder Fluß, der lange Sandbänke und bewachsene Inseln erkennen ließ. Rund um das Schiff breitete sich eine Art Savanne aus, die aus hohen Gräsern, Sandflä-chen und kleinen Wäldchen bestand. Die Bäume wirkten seltsam geometrisch und starr. Zwischen den inselartigen Wäldern hingen dünne, treibende Nebelschichten. Im Westen stieg hinter den bewaldeten Hügeln ein schroffer Gebirgszug auf, dessen einzelne Gipfel voller Schnee oder Eis waren. Tiefe Erdspalten gab es im Osten, und im Süden breitete sich ein kleiner See aus.

Ein letzter Ruck ging durch das Manifest J, wieder ein Glockensignal, und dann sagte Tauprin:

»Wir sind gelandet. Ich bitte alle Besat-zungsmitglieder in die Zentrale.«

»Wir kommen!« Zusammen mit den Beschädigungen und

den notdürftigen Reparaturen aus dem Kampf mit den Ardsly-Schiffen würden die Defekte wohl einen weitaus gefährlicheren Grad er-reicht haben. Die TAUPRIN war, wenn die Solaner die Anzeigen richtig deuteten, ziem-lich schwer beschädigt. Als Schutz und Wohnbezirk war das Schiff jedoch voll funk-tionstüchtig.

Wenigstens bis zum gegenwärtigen Zeit-punkt, wisperte der Logiksektor.

Es dauerte nicht lange, dann war das Team versammelt. Atlan sagte zunächst, daß sie sich alle in ihre Schutzanzüge kleiden und bewaffnen sollten. Dann unterbrach die Stimme der TAUPRIN:

»Ihr seht, mit welchen Eingeborenen wir es zu tun haben. Hier sind die Vergrößerungen.«

Einer der riesigen Monitoren zeigte eine Gruppe seltsamer Wesen. Sie waren etwa eineinhalb Meter groß und sahen aus wie eine Mischung zwischen Pflanze und Tier, mit Schädeln, die an die Darstellungen von Gott-heiten aus altägyptischen Tempeln erinnerten. Sie waren mit Speeren, Bögen, Kampfäxten und Riemenschleudern bewaffnet.

Schweigend und nachdenklich betrachtete Atlan die Wesen.

»Die Uhzwutzer ... schnell bewegen sie sich. Höllisch schnell«, murmelte Insider.

Sonnenlicht und Schattenlinien ließen er-kennen, daß es auf dieser Welt später Morgen war. Die Uhzwutzer waren aus dem nächstge-legenen Wald hervorgekommen, etwa zwan-zig Wesen von dunkelgrüner und brauner Farbe, deren Fell oder Pelz aussah, als be-stünde er aus vielen Blättern, die angeordnet waren wie Dachschindeln und mit ihren Spit-zen nach unten zeigten. Die Eingeborenen liefen auf vier Gliedmaßen schnell wie Raub-tiere durch den dünnen Nebel, hielten an und blieben in sicherer Entfernung vom Schiff stehen. Sie hatten Schakalköpfe mit großen, schwarzen Ohren und großen Augen. Die Gesichter wirkten halb verschmitzt, halb wie die von großen Katzen. Zwischen den Ohren lief eine starre Mähne bis zum Rücken des Tierkörpers und verschwand dort zwischen den blattartigen Fellschuppen. In das Haar der Mähnen, das in allen Farben leuchtete, waren irgendwelche Dinge geknotet: ausgebleichte Knochen, schimmernde Steinsplitter, winzige Schädel von Beutetieren.

Das Schiff sagte: »Ich werde mit ihnen reden. Vielleicht hel-

fen sie uns.« »Einem dreihundertfünfzig Meter langen

Schiff mit höchstentwickelter Technik?« zweifelte Insider. »Naja, warten wir’s ab.«

Außenlautsprecher knackten. Die Eingebo-renen sprangen vor Schreck in die Höhe, ras-ten davon und wirbelten wild die Waffen über ihre Köpfe. Unter den Pranken wurden Gras und Erdreich hochgeschleudert. Die Büsche am Waldrand zitterten und peitschten mit ih-ren Ranken, dann waren die Eingeborenen verschwunden.

»Sie sehen alles andere als entgegenkom-mend aus«, sagte Iray leise zu Atlan.

»Jäger in dieser Zivilisationsstufe sind sel-ten liebenswürdige Geschöpfe. Ihr Leben ist hart, und sie müssen schnell und entschlossen sein. Eine Eigenschaft der Evolution.«

Natürlich verstanden die Solaner kein Wort der kehligen, vokalreichen Sprache, in der die TAUPRIN mit den Uhzwutzern sprach. Fe-derspiel versuchte, deren Gedanken und Emp-findungen zu erfassen, und winkte Atlan zu sich heran. Sie sprachen leise miteinander.

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

»Immerhin ...«, kommentierte Nockemann, als sich die Jäger wieder aus dem Wald her-vortrauten. »Sie haben uns verstanden.«

In den Nebelschleiern und dem schräg ein-fallenden Licht der gelben Sonne Emtau wirk-ten die Oberkörper der Uhzwutzer besonders bedrohlich. Die Wesen hatten vier Arme und einen muskelstarrenden Oberkörper, der im Gegensatz zum übrigen Körper mit einem dunklen, nassen Pelz bedeckt war. Zwei win-zige Arme mit langen Fingern hielten irgend-welche Waffen fest, die langen Gliedmaßen hingen fast bis zu den Kniegelenken der Vor-derläufe herunter. Über die Brust verliefen fast bei allen Uhzwutzern breite Gurte aus Fell oder Leder, an denen Jagdutensilien steckten.

Einer von ihnen trabte auf das Schiff zu und schrie etwas.

Ein Glockenton. »Der Eingeborene nennt sich Aork«, sagte

das Schwanenschiff. »Er meint, daß wir das Werk von kalacktischen Dämonen sind.«

»Nichts weniger als das«, sagte Tyari. »Ich glaube, ich sollte hinausgehen und ihnen bei-bringen, wie sie sich zu verhalten haben.«

»Oft schadet blinder Eifer«, erklärte Atlan. »Wir wollen etwas von ihnen, nicht umge-kehrt. Lasse die TAUPRIN verhandeln – das Manifest kann es besser.«

»Meinetwegen.« Aork und Tauprin verhandelten wortreich

miteinander. Von Federspiel erfuhr Atlan, daß die Eingeborenen tatsächlich an alle mögli-chen Geister und an ein »Kleines Volk« glaubten, das in ihrer Sprache den Namen »Weißsäulengeister« genannt wurde. Schließ-lich faßte das Schiff alle Einzelheiten des lan-gen Dialogs zusammen und übersetzte:

»Die Eingeborenen werden uns helfen, wenn sie können. Natürlich weiß ich, daß sie bestenfalls Steine schleppen werden. Aber sie fürchten sich vor den allgegenwärtigen Geis-tern. Die Geister sind unsichtbar, aber zu be-stimmten Zeiten gibt es Begegnungen, in de-nen sie sich zeigen. Sie gleichen weißen Säu-len, einen Meter hoch und dreißig Zentimeter im Durchmesser, die schweben und fliegen können und natürlich alle Macht haben, die man Gespenstern allgemein andichtet.«

Federspiel und Atlan wechselten einen be-

ziehungsvollen Blick. »Zum Thema Reparaturen«, meldete sich

die Molaatin. »Ich bin sicher, daß sie mit Bordmitteln durchzuführen sind?«

»Ja. Nicht alle. Aber ich werde nach dem Start wieder voll aktionsfähig sein.«

»Wie lange wird unser Aufenthalt dauern?« »Zwei Planetentage etwa«, antwortete das

Manifest. Langsam, während die Außenlaut-sprecher ununterbrochen Worte von sich ga-ben, kamen die Uhzwutzer wieder aus dem Schutz der Bäume und Büsche hervor. Über einen Teil der Savanne galoppierten Rudel von rotwildähnlichen Tieren, von denen man die Köpfe sah und die Körper nur dann, wenn sie in die Luft sprangen. Über dem Schiff kreisten riesige Vögel mit metallisch glänzen-dem Gefieder. Die TAUPRIN öffnete eine kleine Schleuse, die hoch über dem Boden lag. Frische Luft kam durch die unsichtbaren Schächte in die Zentrale.

»Also!« sagte Tyari zum Manifest. »Fange an, dich zu reparieren. Wir haben nichts zu verschenken, am wenigsten Zeit.«

»Die Reparatursysteme arbeiten bereits!« antwortete die TAUPRIN.

Ein undurchschaubares Spiel von flackern-den Lichtern in vielen Farben bewies, daß innerhalb des riesigen Schiffes verborgene Mechanismen in voller Aktion waren. Dann summte etwas, und das Schwanenschiff be-wegte den langen Hals. Der Kopfteil erhob sich hoch über den Boden der Savanne, drehte sich langsam nach allen Richtungen und ver-harrte dann, wie der Kopf eines riesigen Ur-weltvogels, in waagrechter Position.

Die Solaner hatten im normaloptischen Be-reich einen großartigen Ausblick über die gesamte Umgebung des Landeplatzes.

»Ich werde TOCHTER ausschleusen«, sag-te das Schiff nach einer Weile. »Ein paar von euch sollten sich vielleicht einen Überblick verschaffen. Ich traue diesem unsichtbaren Kleinen Volk nicht. Überdies brauche ich eine Schadensfeststellung im optischen Bereich – es erleichtert die Reparaturen.«

Atlan sagte: »Iray und ich sind die ersten Freiwilligen

für diese Mission.« »Dann geht bitte in den hinteren Teil mei-

nes Körpers. Vermeidet, den Reparaturrobo-

11

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL tern in den Weg zu laufen.«

»Ich komme mit euch«, sagte Insider und schloß sich Atlan an. Ebenso Federspiel. Draußen löste die Wärme des Sonnenlichts die Nebelstreifen auf. Die Gruppe der Einge-borenen stand regungslos da und starrte hin-auf zu dem seltsamen Vogelkopf.

Die Uhzwutzer wirkten, als würden sie je-den Augenblick damit anfangen, Speere, Stei-ne und Pfeile auf die TAUPRIN abzuschie-ßen.

2.

Bjo Breiskoll fühlte sich überfordert und al-

leingelassen. Die MT-K-20 FARTULOON hatte an-

scheinend das Ende des Korridors erreicht. Das Manövrieren wurde wieder so schwierig, daß Vorlan Bricks Fähigkeiten bis zum Äu-ßersten beansprucht wurden. Die FARTU-LOON-Positronik vollbrachte zusammen mit den Instrumenten der Ortung wahre Wunder-dinge. Die Besatzungen der Ortungszentrale dieser Korvette aber sahen sich außerstande, weiterzuplanen, sie waren ratlos.

Vor dem Kreuzer und der Korvette er-streckte sich eine riesige, undurchdringliche Zone. Sie bestand aus kosmischem Staub, aus wilden Schleiern winziger Metallpartikel, die entlang rätselhafter Kraftlinien bizarre Strö-mungsbilder erkennen ließen, und aus gigan-tischen Massen von Gesteinsbrocken in jeder denkbaren Größe.

»Ein kosmischer Sumpf!« stöhnte Breiskoll.

Ununterbrochen berührten einzelne Partikel die Schutzschirme des Kreuzers und der Kor-vette. Beide Raumschiffe flogen fast im Sichtkontakt hintereinander. Die Materie dort draußen war keine unmittelbare Gefahr, denn schnellere Trümmerstücke verglühten in der Energie der halbdurchsichtig flimmernden Kugelschirme. Größere Brocken wurden auf-blitzend zurückgefedert und kollidierten ohne Unterlaß mit anderen Teilchen. Aber es war unmöglich, diese riesige Wolke zu durchflie-gen, weil kein einziger Ortungsschirm etwas darüber aussagen konnte, was sich eintausend Meter jenseits der Sichtbarkeitsgrenze befand.

Wenigstens funktionierte zwischen den

beiden Schiffen der Funkverkehr noch. »Vorlan!« sagte Bjo nachdenklich. »Was

tun wir?« »Weiterfliegen, Katzer!« brummte Brick.

Er hatte offensichtlich den Rest seines Hu-mors verloren. »Langsam weiterfliegen.«

Für die Ortungsfachleute und die Kom-mandanten beider Schiffe stand fest, daß diese gigantische Materieansammlung am Rand der Innenzone sich unregelmäßig bewegte. Die diffuse Masse verhielt sich im wesentlichen wie eine Wolke aus Wasserdampf in einer planetaren Atmosphäre. Sie dehnte sich aus, schrumpfte, driftete in unterschiedliche Rich-tungen und entwickelte riesige Ausläufer.

»Wir sind bisher immer wieder aus dem treibenden Chaos herausgekommen«, sagte Bjo. »Jetzt sieht es so aus, als säßen wir fest.«

»Wir sitzen nicht fest!« beharrte der Pilot. Mit einem Fünftel der Lichtgeschwindig-

keit bahnten sich die Schiffe ihren Weg durch die stauberfüllte Umgebung. Sie waren rich-tiggehend blind. Die FARTULOON-Positronik schaffte es aber mühelos, den Kurs zu halten. Beide Boote flogen parallel zuein-ander und seit Stunden geradeaus, einem un-sichtbaren und unbekannten Zielpunkt entge-gen.

»Einverstanden«, murmelte Bjo und sehnte sich nach dem Anblick einiger einfacher Ster-ne. »Können wir es riskieren, die Geschwin-digkeit heraufzusetzen?«

»Geringfügig!« brummte Vorlan. Das Gebiet in Flugrichtung der Schiffe

wurde heller; sie durchflogen eine Zone ge-ringerer Dichte. Also mußte eine Sonne in der Nähe sein. Breiskoll streckte die geistigen Fühler aus und versuchte, irgend etwas aufzu-fangen.

Gab es in dieser Hölle aus Staub und kos-mischem Schutt etwa einen Planeten. Wieder wurde es auf den Schirmen der Panoramaga-lerie heller. In Bjos Empfinden tauchte ein Begriff auf, ein Name ...

Murrleufer. Er runzelte die Stirn und bewegte sich un-

ruhig. Hinter dem Begriff entdeckte er keiner-lei Bedeutung. Er fand keine Ausstrahlung lebender Wesen, keine geistigen Strömungen. Nur diesen Begriff.

Bjo zuckte die Schultern und beobachtete

12

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL weiterhin die Vorausschirme. Aus den Laut-sprechern krächzte und knisterte die Stimme des Chefpiloten der CHYBRAIN.

»Es scheint voraus etwas heller zu werden, Bjo!«

»Seid darauf gefaßt, daß wir irgendeine Begegnung haben werden. Ich konnte einen Begriff orten!« sagte Bjo scharf akzentuiert in die Mikrophone.

»Nähere ...zelheiten?« »Noch nicht. Ich melde mich.« Tatsächlich zeichneten sich im harten Son-

nenlicht einige Einzelheiten ab. Zwischen den Ausläufern schossen einzelne Lichtbalken durch. Sie kamen von einem riesigen Loch in der wolkigen Struktur. Das Licht wirkte leicht diffus; es brach sich an dem feinen Staub zwi-schen den dichteren Abschnitten. Wieder er-höhte der Pilot die Geschwindigkeit.

Murrleufer. Der Begriff wurde lautlos ein zweitesmal

dem Telepathen entgegengeschleudert. Er erschrak, sagte seiner Mannschaft aber kein Wort und versuchte, Kontakt mit Federspiel aufzunehmen.

Nichts. Bjo blieb unsicher und ratlos. Er konnte mit

seiner Entdeckung nichts anfangen. Einige Minuten vergingen, während die Schiffe ver-suchten, mit ständig ansteigender Geschwin-digkeit so weit wie möglich durch den Staub zu kommen, um eine Linearetappe einleiten zu können.

Die Ortungsabteilung schaltete ein Ach-tung-Signal.

Dann erschien auf dem Schirm ein unge-wöhnliches Echo.

Wieder drängte sich der seltsame Begriff in Bjos Bewußtsein.

Er mußte ihn mit dem Echo in Verbindung bringen. Es gab keine andere gleichgroße Wahrscheinlichkeit. Mit Federspiel hatte er keinen Kontakt gehabt – noch immer nicht. Irgendwo hinter ihnen raste die SOL in ihr Verderben, irgendwo vor ihnen kämpfte die TAUPRIN mit Schwierigkeiten.

»Also, Freunde«, sagte Breiskoll schließ-lich, »ich habe vor kurzer Zeit eine Art Signal empfangen. Ein Begriff wurde mir lautlos entgegengeschleudert. Kann jemand etwas mit Murrleufer anfangen?«

Kein Besatzungsmitglied hatte diesen Aus-druck jemals gehört. Aus dem Ortungsecho war mittlerweile ein ziemlich scharfes drei-dimensionales Bild geworden. Es schwebte dort, mehrere Lichtminuten entfernt, ein Wür-fel, der sich langsam über zwei Achsen dreh-te, als habe ihn die Hand eines Spielers ins All geschleudert.

Der Würfel zeigte zwar keine Augen, aber an deren Stelle saßen in unregelmäßiger Ver-teilung verschieden große Öffnungen. Es konnten Löcher sein, riesige Höhlen oder auch nur Farbunterschiede oder solche der Struktur.

»Ortung! Welches Material? Ich meine den Würfel!« rief Bjo aufgeregt.

»Wir sind sicher, daß es sich um Gestein handelt. Und zwar um Basalt, um Urgestein.«

»Könnt ihr Bearbeitungsspuren feststel-len?«

Es war ihnen klar, daß der Würfel irgend-wann einmal bearbeitet worden war. Die Wahrscheinlichkeit, daß dieses exakte Gebil-de natürlichen Ursprungs war, konnte als äu-ßerst gering angesehen werden.

»Keine eindeutigen Spuren. Wir versuchen, ins Innere eines dieser Löcher hineinzutasten, aber wir haben immer nur dieselben Anzei-gen. Kantenlänge übrigens elftausend Meter, ziemlich genau. Unser Kurs führt hinter der Bewegungsbahn des Würfels vorbei.«

»Danke.« Vorlan Brick fragte kurz: »Hinfliegen und nachsehen, Bjo?« »Jawohl. Ich habe schon wieder den Begriff

Murrleufer gehört. Der Würfel ist oder heißt Murrleufer. Ich schlage vor, wir folgen die-sem Lockruf. Es kann sein, daß der Würfel diesen Begriff so aussendet wie ein Leucht-feuer seine Blitze.«

»Verstanden«, rief Uster Brick aus der CHYBRAIN. »Wir bleiben in unserer Positi-on hinter euch.«

Der Würfel kam nach zwei weiteren lang-samen Überschlägen in den Bereich der Licht-flut. Vom gegenüberliegenden Rand der Staubmassen schoben sich die beiden Schiffe näher. Sie verringerten ihre Geschwindigkeit.

»Ortung klar. Achtung. Informationen.« Als Maße und weitere Analysen auf den

Monitoren erschienen, fiel das volle Licht von

13

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL der Seite auf den Würfel. Noch immer gab es genügend Staub, so daß die Schatten weniger hart waren und sich nicht in der absoluten Schwärze auflösten. Die riesigen Flächen wa-ren tatsächlich voller Löcher. Die Öffnungen waren unterschiedlich groß, von wenigen Me-tern bis hinauf zu neunhundert Metern Durchmesser, und sie waren völlig rund.

Ohne Respekt vor der riesigen, dunkel-schimmernden Masse bemerkte ein hochge-wachsener Solaner:

»Das Ding sieht aus wie ein Stück Käse mit Löchern. Nur schwarz kenne ich ihn nicht.«

Bjo wandte sich wieder an den Piloten. »Geh im Schutz der Schirme näher an den

Felsen dort draußen heran. Wir sollten eine Untersuchungssonde ausschleusen. Ich fühle mich durch diesen telepathischen Ruf heraus-gefordert.«

Der Kreuzer und die Korvette flogen einige enge Kreise um den Würfel. Der Schutz-schirm öffnete sich an einer Stelle, bildete eine Strukturschleuse aus, und aus einem winzigen Hangar startete eine raketenförmige Sonde. Sie wurde von einem Platz in der Or-tungsabteilung ferngesteuert.

Natürlich fragte sich jeder, was inmitten der chaotischen Staub- und Materiebrockenmasse ausgerechnet ein durchlöcherter Würfel zu suchen hatte. Wilde Vermutungen wurden laut; die Spannung stieg, als die ersten Bilder und Meßergebnisse der Sonde eintrafen und von der Ortung auf die Bildschirme überspielt wurden.

Die Sonde aktivierte sämtliche Systeme, aber mehr als die sichtbaren Informationen vermochte sie auch aus nächster Nähe nicht einzuholen.

»Ich kann mir nicht helfen«, sagte Bjo Breiskoll nach einer Weile, in der die Schiffe weiterhin ihre Kreise um den Würfel zogen und die ständig wechselnden Bilder der Sonde über die Schirme huschten, »aber der Würfel kann nichts anderes sein als ein effektvolles Nichts.«

Das Spähgerät wechselte die Richtung und drang in ein Loch ein, dessen Durchmesser etwa zweihundert Meter betrug. Auch im In-nern des Würfels gab es treibende Ansamm-lungen kosmischen Staubes. Langsam schwebte die Sonde tiefer, drehte sich lang-

sam und tastete die Innenwandungen ab. »Fels!« Der winzige Fremdkörper beschleunigte

und tauchte tief in das Loch hinein. Auf einer Strecke von eineinhalbtausend Meter verrin-gerte sich der Durchmesser des Loches auf einhundert Meter, und der runde Tunnel be-schrieb eine weite Spiralkurve und ver-schwand im Innern. Falls dies bei allen diesen Öffnungen der Fall war, dann mußten sich im Innern des Würfels unzählige Gänge kreuzen und umeinanderwinden wie ein Geflecht von Schlangen.

Wieder reagierte die Sonde. Ein starker Rundumscheinwerfer schaltete sich ein und ließ den weiteren Weg des Testinstruments erkennen. Der Gang verengte sich weiter, beschrieb abermals zwei Windungen und ver-lor sich im Würfelinnern. In den absolut glat-ten Wänden gab es keine einzige Unterbre-chung, keine Öffnung und auch nicht ein ein-ziges technisches Gerät.

Uster Brick meldete sich von der CHYBRAIN.

»Bjo! Wir kreisen seit mehr als einer Stun-de um den Würfel.«

»Das ist richtig. Ich bin inzwischen fast si-cher, daß wir nichts finden werden. Aber da ist dieser Ausdruck.«

»Murrleufer?« »Ja. Was schlägst du vor?« »Weiterfliegen«, sagte der Chefpilot der

CHYBRAIN. »Vielleicht befindet sich Atlan in einer Notlage. Außer dem einzigen telepa-thischen Ruf gibt es nicht den geringsten Hinweis, daß der Würfel mehr ist als ein rie-siges Stück Basalt. Hole deine Sonde zurück, Bjo.«

»Wird gemacht.« Bjo winkte dem Diensthabenden der Or-

tung zu und machte einige eindeutige Hand-bewegungen.

»Alles klar.« Die Ortungsabteilung bremste die Sonde

ab. Sie hatte inzwischen innerhalb des Wür-fels eine Strecke von mehr als siebentausend Metern zurückgelegt. Das Gerät drehte sich und, als sich im letzten Augenblick der Spezi-alist anders besann, drehte sich abermals, nahm Geschwindigkeit auf und raste, immer schneller werdend, durch die Röhre weiter.

14

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL Die Solaner hatten blitzschnell überlegt und sich gesagt, daß es länger dauern würde, wenn der gesamte Weg bis zum Eintrittspunkt zu-rückgelegt werden mußte. Es dauerte tatsäch-lich noch mehrere Minuten, bis die Sonde aus einem anderen Loch hervorschoß.

Eine Strukturschleuse öffnete sich, und die Sonde wurde eingeholt.

Bjo nahm seinen Blick von den stumpfen Kontrollschirmen und sagte zu den beiden Piloten:

»Wir behalten unseren bisherigen Kurs weiter bei. Auch das angestrebte Ziel. Versu-chen wir weiter, Atlan und das Manifest J zu finden.«

»Verstanden.« Die CHYBRAIN und die FARTULOON

lösten sich aus den Kreisbahnen, die sie um den Würfel beschrieben hatten. Während der letzten Zeit war das rätselhafte Wort nicht wieder aufgetaucht. Während die Schiffe den neuen Kurs einschlugen und beschleunigten, sagte sich Breiskoll, daß er möglicherweise, ohne es bemerkt zu haben, einen Wächter der Dunkelzone getroffen hatte.

3.

Das Beiboot TOCHTER, rund einund-

zwanzig Meter lang, wirkte nicht nur auf die Uhzwutzer wie ein kleineres Abbild der TAUPRIN. Als das Boot seinen ersten Rund-flug beendet hatte, steuerte das Manifest das kleinere Schiffchen auf den riesigen Körper zu, bremste das Tempo herunter und ließ die TOCHTER entlang der Hülle aus unbekann-tem Material schweben, das aussah, als ob es hochverdichteter Stahl wäre.

»Es sieht nicht gerade vielversprechend aus!« murmelte Atlan und erschrak, als er das wahre Ausmaß der Beschädigungen erkannte. Die letzte Phase des Fluges hatte durch die unaufhörlichen Kollisionen dem Schwanen-schiff stark zugesetzt.

»Die schwenkbaren Korrekturtriebwerke, fast alle Antennen, überall die Risse und Beu-len im Metall ...« Iray schüttelte fassungslos den Kopf.

»Das Aussehen ist nicht so wichtig«, sagte Insider. »Wenn die Technik zu sehr beschä-digt ist, wird es kritisch.«

Das Schwanenschiff lag auf der Savanne. Sonnenlicht ließ alle Einzelheiten der tiefen Schrammen und Risse erkennen. An einigen Stellen arbeiteten bereits die Robotautomati-ken und schweißten die Risse in der Außen-hülle. Einzelne Luken glitten auf und entlie-ßen kleine metallische Gestalten, die sich auf die zerstörten Punkte zu bewegten.

»Immerhin verhalten sich die Ureinwohner friedlich«, stellte Federspiel fest.

»Noch.« Mittlerweile umgaben etwa tausend der

bewaffneten Vierbeiner das Raumschiff. Sie standen in schätzungsweise fünfzig Gruppen beisammen und bewegten sich unruhig hin und her. Beruhigend sprach Tauprin auf sie ein. Die TOCHTER schwebte weiter, über den Schiffskörper hinweg und auf die andere Seite der Metallmasse. Immer mehr kleine Öffnungen klappten auf, aus denen Roboter hervorwieselten und sich klappernd, sum-mend und klirrend an die Arbeit machten.

»Ich habe erkannt, daß die Zerstörungen of-fensichtlich ernster Natur sind«, erklärte das Schiff in der Kabine der TOCHTER. Atlan erwiderte:

»Ich bin schon mit weitaus zerbeulteren Schiffen geflogen. Hoffentlich kannst du dei-ne Technik wieder instandsetzen.«

»Ich bin sicher, daß die nötigen Ersatzteile in meinen Magazinen vorhanden sind.«

Federspiel hob warnend die Hand und sagte in aufgeregtem Tonfall:

»Da geht etwas vor!« »Was hast du ...« flüsterte Iray. Atlan und

Federspiel deuteten gleichzeitig zu den Uhzwutzern hinunter.

»Die Eingeborenen. Verdammt, sie werden immer aufgeregter.«

»Sie denken jetzt nur an die Kalackter und an das Große Ungeheuer«, sagte der Telepath. »Sie scheinen etwas zu spüren.«

»Spürst du nichts?« fragte Atlan. »Nein. Nur die Uhzwutzer.« Die Tauprin-Intelligenz schien nicht beun-

ruhigt zu sein. Während das Beiboot tiefer dem Boden entgegensank, kamen noch mehr Roboter, schleppten Einzelteile und arbeiteten an den verschiedenen Stellen der Hülle. Die Eingeborenen warfen die Köpfe hoch, daß die Mähnen flogen. Sie hoben ihre Waffen, stie-

15

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL ßen bellende Schreie aus und trabten auf das Schiff zu.

Als die TOCHTER herumschwenkte und auf die weit geöffnete Hangarschleuse zu di-rigiert wurde, erfaßte eine kollektive Bewe-gung auch die Roboter. Zuerst schwebten und rollten Dutzende von ihnen auf einen gemein-samen Mittelpunkt zu, ließen Werkzeug und Lasten fallen und versammelten sich.

Dann, auf ein unhörbares Kommando, ras-ten sie auseinander. Jeder begann gegen sei-nen Nachbarn zu kämpfen. Sie wandten ihre eigenen Waffen an; die eingebauten Apparate, Werkzeuge und Brenner.

Auf der Außenhülle brach ein höllischer Lärm aus. Die Maschinen droschen aufeinan-der ein, stießen sich über abschüssige Teile hinunter und fielen funkensprühend und rau-chend in die Montageöffnungen hinein.

Atlan schlug mit der Hand auf das Instru-mentenpaneel und fluchte.

»Also doch die Kalackter! Sie scheinen uns vernichten zu wollen.«

Oder das Wesen, das sie kontrolliert, will euch warnen! sagte der Logiksektor.

Das Beiboot wurde in der Luft angehalten und steuerte dann langsam im Rückwärtsflug von der Schleuse weg. Die letzten Roboter ließen voneinander ab und schleppten sich zurück ins Schiff. Einige Sekunden später öffnete sich unter dem äußersten Heckteil des Schiffes ein Krater im Boden. Ein riesiger Sandtrichter erschien, riß weit auf, schickte seine Massen durch eine unsichtbare Öffnung in die Tiefe und ließ das Schiff um einige Meter absacken.

Ein Teil der planetaren Jäger raste schrei-end im schnellen Trab davon.

In der Kabine war eine alarmierende Ton-folge zu hören.

»Auf mich hat ein Angriff stattgefunden. Vielleicht existieren die Gespenster der Ein-geborenen tatsächlich. Jedenfalls ist keine Fehlschaltung meiner Systeme für dieses De-bakel der Reparatureinheiten verantwortlich!« erklärte das Manifest.

»Wir haben alles gesehen«, sagte Insider und verschränkte zwei seiner Arme vor der Brust. »Können wir irgend etwas helfen?«

»Ich lasse es euch wissen. Zuerst beraten wir in der Zentrale. Ich hole euch herein.«

Die TOCHTER wurde schnell und sicher in den Hangar bugsiert. Die Insassen liefen in die Zentrale. Viele Solaner hatten bereits ihr Gepäck bereitgestellt; Vorräte, Waffen, Kommunikationsgeräte und Material, das zum Überleben diente, waren Teile der eng ge-packten Taschen, Rucksäcke und Tragen. Fast alle hatten die leichten, raumfesten Expediti-onsanzüge angelegt.

»Patsch-uuh!« machte der grünhäutige All-roundmann. »Wir werden wohl gegen die unsichtbaren Geister kämpfen müssen.«

»Wenn du einen von ihnen sehen solltest«, spottete Federspiel voller Grimm, »er ist weiß, säulenartig und einen Meter hoch. Vermutlich ernähren sie sich von unserer Rat-losigkeit.«

Atlan fragte sich, natürlich ergebnislos, was der Name Whyburin, der ihm in den Sinn gekommen war, mit den Kalacktern zu tun hatte – falls es sie tatsächlich geben sollte. Die nächste Auskunft des Manifests ließ ei-nen Tatbestand erkennen, der wirklich sehr ernst war.

»Ihr wißt, daß beide Boote, SOHN und TOCHTER, ohne mich und ohne Überlichtan-trieb kaum als Raumschiff im herkömmlichen Sinn zu gebrauchen sind. Sie können für at-mosphärische Flüge und draußen im All, von mir gesteuert, verwendet werden. Sie stellen also kein echtes Rettungsmittel dar.«

»Mehr oder weniger wußten wir dies be-reits«, antwortete der Arkonide.

Wieder ein beruhigender Gongschlag oder Glockenton.

»Ich habe jegliche Einflußmöglichkeit auf die kleinen, leistungsfähigen Reparaturma-schinen verloren.«

»Woran liegt das?« fragte die Molaatin. »Nicht an den Uhzwutzern, nicht an den

von mir verwendeten Kodegebern und Steu-erbefehlen. Die Verbindung ist abgerissen. An einigen Stellen habe ich erkennen müssen, daß eine Art unsichtbares Messer Verbindun-gen gekappt hat. Es gelangte hier eine unbe-kannte, aber sehr wirkungsvolle Kraft zur Anwendung.«

»Federspiel?« Der junge Telepath winkte fast verärgert

ab. Es war seiner Erregung und der Furcht, hier auf Uhzwutz ausgesetzt zu werden, zuzu-

16

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL schreiben, daß er schroff sagte:

»Fragt mich nicht! Wenn ich etwas spüre, sage ich es schon! Bis jetzt registriere ich nur die Aufregung der Eingeborenen, die von dem Kampflärm erschrocken sind. Ich habe weder Verbindung mit Sternfeuer noch mit Bjo.«

Unsichtbare Hindernisse im All und An-griffe der Unsichtbaren auf dem Planeten, rechnete Sanny aus, das kann mühelos mit-einander verknüpft werden. Ob beides diesel-ben Ursachen hatte, konnte sie nicht sagen. Noch nicht.

Noch während sie ziemlich ratlos ihre Mei-nungen austauschten, ertönte aus dem Heck des Schiffes ein neues, dröhnendes Geräusch. Einmal, zweimal, dann ging es in ein lautes, zerstörerisches Hämmern über. Die Konstruk-tion des langen Halteseils übertrug die Vibra-tionen, und der Klang der Erschütterungen wurde durch die vielen Hohlräume verstärkt.

»Was ist das ...?« schrie Jork Garrett, der hünenhafte Techniker. »Sie machen das Schiff kaputt!«

Auf den Bildschirmen wechselten in rasend schneller Folge die Bilder. Tauprin aktivierte eine Außenkamera nach der anderen. Dann sahen sie es, aufgenommen von einer Optik nahe dem schwenkbaren Korrekturtriebwerk.

Sanny stöhnte auf. »Ein unsichtbarer Hammer!« schrie sie. Scheinbar unerschütterlich verkündete die

Stimme des Manifests: »Die Zerstörungen können tatsächlich von

einer derartigen Einwirkung herrühren.« Vom äußersten Punkt des Hecks, von der

Wölbung um das Haupttriebwerk, bis zum Ansatz des Halsstückes, drosch mit gewalti-ger Kraft ein unsichtbarer Hammer auf das Schiff ein. Die Einschlagstellen selbst waren nicht sonderlich groß, etwa dreißig, fünfzig Zentimeter im Durchmesser. Aber die Ein-schläge saßen dicht nebeneinander. Sie er-schienen aus dem Nichts – im nächsten Se-kundenbruchteil zeigte sich in der Schiffshül-le ein metertiefer Krater im Metall. Der nächste, etwa einen Meter weiter, erschien augenblicklich. Die Serie der vernichtenden Einschläge hinterließ eine breite Bahn der Zerstörung. Luken, Linsensätze, Klappen und Verbindungsteile wurden verbogen, zer-schmettert und hoffnungslos verbeult. Das

Schiff dröhnte noch immer unter den Ein-schlägen, die hallende Geräusche weit in die Savanne hinausschickten und dort kleine Tie-re zur Flucht trieben.

Als die Zerstörung jene Stelle erreicht hat-te, an der der Hals in den Körper überging, riß das schreckliche Geräusch ab.

Der Angriff der Unsichtbaren hinterließ furchtbare Zerstörungen. An vielen Stellen detonierten Teile der Energieversorgung. Rie-sige Funkenbündel zuckten nach allen Seiten. Flammen und schwarzer Rauch schlugen aus den gezackten, weißglühenden Öffnungen.

Der Arkonide reagierte, nachdem der letzte Lärm aufgehört hatte, ganz pragmatisch.

»Ich bin sicher, daß keiner von uns im hin-teren Teil wichtige Ausrüstungsgegenstände vergessen hat?«

»Nein. Wir haben uns stets im Kopfteil aufgehalten!« sagte Garrett. Die anderen nick-ten.

»Ich schleuse zur Sicherheit TOCHTER und SOHN aus«, meldete sich das Schiff. »Die Zerstörungen sind furchtbar. Ich glaube, wir haben keine Chancen mehr, alles zu repa-rieren.«

»Und schon wieder unsichtbare Kräfte!« sinnierte die Molaatin.

Die TAUPRIN handelte sofort. Die beiden Boote hoben sich aus den Halterungen und schwebten entlang des Vorhangs aus Flam-men und Rauch nach vorn. Das Kopfteil senk-te sich langsam; noch funktionierte dieser Teil der Schaltungen. Dann lag der Kopf der TAUPRIN auf dem Boden der Savanne. In etwa fünfzig Metern Entfernung landeten die Beiboote.

Die Tauprin-Intelligenz, also das Manifest, ist noch unversehrt, sagte Atlans Logiksektor.

»Also doch die Kalackter!« murmelte In-sider.

Mittlerweile befanden sich alle Solaner mit ihrer gesamten Ausrüstung in der Zentrale und im angrenzenden Raum. Noch sprach es keiner aus, aber die Wahrscheinlichkeit, daß es außerhalb des Schiffes sicherer sein würde als innerhalb, war größer, je mehr Zeit ver-ging.

Schließlich sagte die Molaatin in das ratlo-se Schweigen hinein:

»Die Hindernisse im All waren unsichtbar,

17

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL ebenso die Kräfte, die das Schiff demolieren, nicht anders als die Gespenster der Eingebo-renen, die Weißsäulengeister; auch sie sollen unsichtbar sein. Ich habe zwar nichts errech-net, aber ich meine, es ist sicher. Unsichtbare, die auf diesem Planeten oder in der Nähe hau-sen, griffen uns an.«

»Möglicherweise haßt uns deren Chef«, fügte Atlan hinzu. »Was können wir tun? Recht wenig, denke ich.«

Wenige Minuten waren seit dieser Orgie aus Krach und Zerstörung vergangen.

»Ich habe einen Vorschlag«, sagte Tyari plötzlich. »Hörst du zu, Tauprin?«

»Ich höre immer zu.« »Atlan und ich nehmen SOHN und

TOCHTER und versuchen, unterstützt von deinen technischen Möglichkeiten, die Ka-lackter zu finden. Irgendwo auf dem Planeten, tief in seiner Kruste versteckt oder außerhalb der Lufthülle. Ich halte dies für eine gute I-dee.«

Sie fügte nach einer kurzen Denkpause hin-zu:

»Zumindest wird uns die Suche ablenken. Wir müssen einfach etwas tun. Die Alternati-ve ist, daß wir im Kopfteil des Schiffes blei-ben und warten, bis die Unsichtbaren die TAUPRIN ganz zerstört haben.«

Eine junge Solanerin nickte Iray zu und rief unterdrückt:

»Sie hat recht. Das scheint eine Möglich-keit zu sein. Tauprin, was sind deine Anre-gungen?«

»Ich denke ununterbrochen darüber nach, wie ich es schaffen könnte, mit welchen Ver-fahren, die unsichtbaren Kalackter zu entde-cken. Bis zum gegenwärtigen Moment habe ich nicht einmal eine Ahnung.«

Also rätselte auch die bisher so überlegene Tauprin-Intelligenz hoffnungslos herum. Zur Lösung des aktuellen Problems konnte sie nicht das geringste beitragen. Atlan und seine Freunde warteten auf den nächsten Angriff der rätselhaften Intelligenzen.

Der Roboter Blödel verlängerte einen sei-ner dünnen Arme bis zum Maximum und zeigte in die Richtung des offenen Schotts.

»Draußen ist es genauso wie drinnen«, sag-te er vorwurfsvoll. »Nur anders. Ich suche mein Heil und das von Wuschel in der Flucht

aus dem Kopfteil.« Nockemann rief aufgeregt einige Worte. »Jawohl!« gab Blödel zurück. »Ich mache

genau das, was du in deiner bodenlosen Igno-ranz vorgeschlagen hast, Partner. Ich bekehre die Uhzwutzer und entlocke ihnen das Ge-heimnis der Unsichtbaren. Außerdem erinnere ich mich an ein altes alchimistisches Rezept, mit dessen Hilfe man Unsichtbares sichtbar machen kann.«

»Ziehe in Frieden!« rief ihm die Molaatin nach.

Blödel stapfte in die Richtung der offenen Schleuse davon und verschwand aus dem Sichtfeld der Solaner. Die Unterbrechung hatte zwar gemäßigte Heiterkeit erzeugt, aber das Problem war dadurch nicht einmal ange-schnitten worden.

Atlan brummte nach einigen Sekunden. »Ich akzeptiere den Vorschlag Tyaris unter

einer Bedingung. Tauprin muß das Beiboot steuern und rechtzeitig vor dem nächsten An-griff alles tun, um uns zu retten oder erst gar nicht in eine schwierige Lage geraten zu las-sen. Also: dauernde Beobachtung dessen, was wir sehen und erleben. Es genügt, wenn Iray und ich und meinetwegen dieser kräftige, ent-schlossene Garrett losfliegen.«

»Akzeptiert!« erwiderte die Schiffsintelli-genz.

Atlan, Iray und Garrett hoben einen Teil ih-res Gepäcks auf und gingen langsam hinüber zum Beiboot und stiegen ein. Vom Waldrand äugten die aufgeregten Uhzwutzer herüber. Atlan vergewisserte sich, daß seine Waffe entsichert war. Die Schleuse glitt in die wuls-tigen Dichtungslager und wurde verriegelt.

»Wie können wir es schaffen, Unsichtbare sichtbar zu machen?« fragte sich der Arkoni-de laut.

»Mir fällt nur der alte Trick mit Rauch und Nebel ein«, antwortete Garrett. »Es scheint, als ob wir endgültig auf Uhzwutz festsitzen.«

»Bis uns Bjo abholen kann«, meinte Iray und schmiegte sich an Atlans Seite, »und das hängt davon ab, wann er mit Federspiel wie-der Kontakt bekommt.«

Die TOCHTER stieg auf, umkreiste einmal den Kopfteil des Schwanenschiffs und schwirrte nach Südosten davon, hinüber zum See und dem riesigen, cañonartigen System

18

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL von Erdspalten.

Nach einem Glockenton sagte die TAUPRIN:

»Ich kümmere mich um deine Freunde, At-lan. Ich schlage vor, sie auf den Hügel im Norden zu bringen. Dort scheinen sie sicherer zu sein als im Raumschiff. Ich befürchte wei-tere Angriffe und Verzögerungen der Repara-turen.«

»Einverstanden.« »Inzwischen verwende ich alle meine Sys-

teme dazu, etwas zu finden, die Unsichtbaren aufzuspüren. Vielleicht gelingt es mir, die verwendete Energie anzumessen.«

»Ich hoffe«, versicherte Atlan ehrlich, »daß es dir recht bald gelingt!«

Die unverhältnismäßig großen, ungewöhn-lich geformten Bildschirme funktionierten besser als gläserne Fenster. Atlan, Garrett und Iray schauten jeder auf einen anderen Schirm und versuchten, hinter der vorübergleitenden Landschaft etwas zu erkennen, das sie näher an das Problem heranbringen konnte.

Am Horizont jagten kleine Gruppen von Uhzwutzern. Sie kümmerten sich nicht um den stählernen Giganten, der mitten in ihrem Jagdgebiet gelandet war. Atlan versuchte, in den riesigen Grasflächen Spuren zu sehen, die von nicht sichtbaren Wesen stammten.

Weiße, dicke Wolken trieben über einen dunkelblauen Himmel. Die Schatten zeigten ziselierte Umrißlinien, die gelb, purpurn und rot funkelten.

Ein mittelstarker Wind aus westlichen Richtungen kräuselte die Oberfläche des Sees und schüttelte die Blätter der Bäume, die Bü-sche und die Gräser. Die Grasflächen wurden wie die Wellen eines Meeres bewegt. Ab und zu tauchten in dieser grünen Flut größere Tie-re oder Rudel kleinerer Tiere auf. Sofort machten die Eingeborenen Jagd auf diese Beute, die sich meist durch rasende Flucht der Verfolgung entzog.

»Es ist scheinbar so friedlich, so natürlich«, sagte Iray bedauernd. »Und dabei wimmelt es von Gefahren.«

»Normalerweise sind wimmelnde Gefahren sichtbar«, meinte Garrett und sah Iray kurz an. Dann hob er dozierend den Zeigefinger und fügte hinzu:

»Oder auch direkter Beschuß aus Energie-

waffen, Atlan!« »Richtig!« stimmte der Arkonide zu. Beide Tricks waren ihm geläufig. Innerhalb

einer rauch- oder nebelerfüllten Zone zeichne-ten sich unsichtbare Objekte mehr oder weni-ger deutlich als Hohlräume ab. Da die Solaner stillschweigend voraussetzten, daß die Un-sichtbarkeit technisch herbeigeführt wurde, konnte auch ein Energiestrahl ebenso wie das Licht gleichmäßig um das Objekt herumgelei-tet werden. Beides war mit bloßem Auge zu erkennen. Vermutlich verfügte die TAUPRIN auch, ohne es zu wissen und ohne es bisher angewendet zu haben, über dementsprechende Ortungsmöglichkeiten. Garrett schwächte seinen optimistischen Zwischenruf ab, indem er sagte:

»Um beide Techniken anzuwenden, muß man allerdings ungefähr wissen, wo sich die Unsichtbaren befinden.«

Das Beiboot machte eine Schleife und um-kreiste mehrmals den Hügel, den das Manifest erwähnt hatte.

Der Ort versprach eine gute Deckung und genügend Platz für ein kleines Lager. Die Hügelkuppe war von Büschen, Bäumen und niedrigem, abgeweideten Gras bewachsen. In einem unregelmäßigen Dreiviertelkreis waren riesige Findlingsblöcke zu erkennen, stark bewachsen, die knapp unterhalb der Kuppe aus dem Boden zu wachsen schienen.

»Ein guter Platz, Tauprin«, bestätigte At-lan. »Hast du eben unserer Unterhaltung zu-gehört?«

»Ja. Garrett erwähnte interessante Metho-den. Ich versuchte eben zum erstenmal, die Kalackter zu orten. Bisher ergebnislos.«

Der Flug ging in geringer Höhe weiter. Wieder tauchten der See und die Erdspalten auf. Schweigend und konzentriert starrten die Solaner nach unten. Sie sahen eine Art Dorf der Uhzwutzer; einfache Hütten aus Geflecht, verstärkt mit Lehm und gedeckt mit Blättern und dicken Bündeln aus Gras. Neben den Bauwerken entdeckten sie zwischen großen Steinen die Feuer und die erkalteten Feuer-stellen, aus denen dünne Rauchfäden hoch-stiegen. Abermals ein trügerisches Bild des Friedens!

»Eines steht fest«, sagte Atlan überzeugt. »Die Eingeborenen haben alles andere im

19

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL Sinn, als uns zu überfallen oder anzugreifen.«

»Ich habe sie beruhigt!« bestätigte die TAUPRIN. »Vor euch, jenseits der ersten tiefen Schlucht, habe ich eine Energieemissi-on angemessen, die es eigentlich hier nicht geben dürfte.«

Garrett und Atlan hoben die Köpfe und sa-hen das Bild auf dem Frontalschirm. Etwa viertausend Meter entfernt, vor der Kulisse aus riesigen Zacken und Kegeln, deren Spit-zen abgeschnitten, flach und von Trümmern übersät waren, klaffte ein riesiger Abgrund. Zur Kante hin nahmen die Gewächse an Höhe ab, das saftige Grün riß einige Dutzend Meter vor dem Fels jäh ab.

Das Manifest zeichnete auf dem Schirm ein Lichtzeichen. Es deutete auf eine glatte, rötli-che Felswand etwa in der Mitte der Schlucht, rechts hinter dem riesigen Kegelstumpf.

»Mehr kannst du uns nicht sagen?« fragte Atlan.

»Nein.« »Gibt es Schwierigkeiten mit dem Aufbau

des Lagers?« »Bisher nicht die geringsten Schwierigkei-

ten.« Das Beiboot schwebte weiter, gesteuert von

der Tauprin-Intelligenz und dem technischen Nervenknoten der eigenen automatischen Zentrale. Auch in der Vergrößerung war in der bewußten Felswand nichts Auffälliges zu sehen. Die Wand wurde zu einer Felsplatte, die nicht ganz senkrecht hing und von zahllo-sen unregelmäßigen Rillen und Sprüngen durchzogen war. Das Boot hielt unverändert darauf zu.

Da nur die TAUPRIN mit ihren Beibooten kommunizieren konnte, waren Atlan und sei-ne Begleiter vorübergehend von ihren Freun-den abgeschnitten. Die TOCHTER schwankte hin und her, verlor einige Meter an Höhe und wurde langsamer. Garrett schrie auf.

»Was hat das zu bedeuten, Tauprin?« »Es gibt neue Schwierigkeiten. Die Un-

sichtbaren haben euch soeben attackiert!« Noch ehe die drei Solaner reagieren konn-

ten, spürten sie, daß das Boot unter harten Schlägen vibrierte, zur Seite gerissen wurde und sich so verhielt, als würde es mit Impuls-strahlen beschossen.

In diesen Sekunden schwebte die TOCH-

TER über die schroffe Kante des Abrisses. Unter dem Beiboot öffnete sich, mindestens fünfhundert Meter tief, der steinerne Ab-grund. Wieder schwankte und zitterte das Boot. Dreimal ruckte es, als ob gewaltige Hindernisse es aufhalten würden. Die Solaner wurden in den Sitzen wild geschüttelt.

In einer schrägen Fallbewegung torkelte und taumelte die TOCHTER auf die Felsen zu. Auf den Schirmen schwankten die Bilder, Felsen schoben sich ins Blickfeld und schie-nen direkt auf das Objekt zu zielen.

Die Solaner kamen nicht einmal dazu, die-sen neuen Angriff richtig zu verstehen. In dem Schlingern und Dröhnen, dem Kreischen und Klirren, das um sie herum Schrecken er-zeugte, klammerten sie sich irgendwo fest und versuchten, zu sehen, was vor ihnen geschah.

Das Beiboot überschlug sich in der Luft, fing sich wieder und kurvte in unberechenba-ren Schwenkungen auf irgendwelche Felsplat-ten zu. Dann stabilisierte sich kurz die Flug-lage, und nach zwei harten Gongsignalen rief die Tauprin-Intelligenz etwas, das in dem Krachen und Klirren unterging.

Die TOCHTER berührte mit dem Unterteil einige Felszacken. Schwere Erschütterungen und ein infernalisches Kreischen zerreißenden Metalls erfüllten das Innere des Beiboots. Dann schlug es schwer auf, sprang wieder in die Höhe und landete abermals in einer ge-waltigen Staubwolke und inmitten von losem Geröll, riesigen Steinbrocken und massiven Felsen. Ein letzter dröhnender Schlag, und der Kopfteil des Beiboots kam auf dem Boden zur Ruhe.

»Ich habe vorübergehend die Kontrolle ü-ber die TOCHTER verloren«, berichtete das Schwanenschiff aus krachenden Lautspre-chern. Sämtliche Anzeigen und Leuchtfelder auf den Instrumentenborden schalteten sich ab.

»Wo sind wir gelandet?« schrie Garrett. »Wir sehen nichts!«

Eine Wolke aus Staub und Sand verhinder-te die Sicht auf die Umgebung. Atlan und Iray vermuteten, daß sie nicht auf dem Boden der Schlucht aufgeschlagen waren.

»Nach meinen Feststellungen ist das Boot auf einem tafelbergähnlichen Felsen notge-landet.«

20

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

Langsam sank der Staub. Die Schirme zeig-ten erste Bilder der Umgebung. Die Schleuse öffnete sich, während die Solaner mit zittern-den Fingern die Gurte öffneten.

»Hinaus!« sagte Garrett. Atlan hob die Hand. Er murmelte:

»Wir sind vermutlich von den Unsichtbaren abgeschossen worden. Mehr Vorsicht ist ge-boten!«

»Klar.« Langsam tasteten sie sich hinaus ins Freie.

Der aufgewirbelte Staub lagerte sich bereits in der Schleuse und auf den Flächen der Umge-bung ab. Atlan sprang mit einem weiten Satz hinunter in Sand und Geröll, sah sich um und erstarrte vor Überraschung und Schrecken.

Die TOCHTER war fast genau in der Mitte einer runden Fläche aufgeschlagen. Die Ober-fläche, annähernd waagrecht, war von Stein-brocken in unterschiedlicher Größe übersät, aber keiner war wesentlich größer als das zer-beulte und zerschrammte Beiboot. Der riesige Kegel ragte aus der tiefen Schlucht auf und lag mit der Oberfläche höher als der erste Ab-bruch am Schluchtrand. Die drei Solaner wa-ren also auf dem flachen Gipfel eines riesigen Berges ausgesetzt, dessen Rand von dem ab-gerissenen Ende der Savannenfläche nicht weniger als sechshundert Meter entfernt war.

»Seht euch das an!« knurrte der Aktiva-torträger und streckte den Arm aus, um Iray aus der Schleuse zu helfen. »Wir sind isoliert. Mit diesem Wrack werden wir es nicht mehr schaffen, dort hinüberzukommen.«

Ohne zu antworten, tastete sich Garrett bis zum Abgrund vor, blickte kopfschüttelnd hin-unter und hielt sich an den staubbedeckten Felszacken fest.

»Dort hinunter geht es auch nicht. Die an-deren müssen uns abholen. So schnell wie möglich.«

Er kam zurück zu Atlan und Iray, lehnte sich gegen das staubige Metall und schaute in ihre Augen.

»Ich habe bisher alles mitgemacht und mich nicht gewundert, weil es offensichtlich zu einem solchen Flug gehört. Aber jetzt wit-tere ich unter jedem Stein eine giftige Schlan-ge«, sagte er.

»Es wird noch viel schlimmer!« versprach Atlan und ließ sich auf einem Felsbrocken

nieder.

* Tyari blieb ganz starr stehen, langte nach

dem Griff des Kombistrahlers und musterte aufmerksam die verstreuten Haufen der Ge-päckstücke. Die SOHN löste sich gerade wie-der aus dem tiefen Eindruck, den sie zwischen den Felsen des Hügels hinterlassen hatte, und flog langsam hinüber zur TAUPRIN.

Einige bestimmte Vorgänge waren für die Frau aus Bars-2-Bars mittlerweile völlig klar geworden:

Das Manifest war durch jenen unsichtbar abgegrenzten Korridor im All hierher, auf diesen Planeten Uhzwutz gelenkt worden. Es hatte unter diesen Umständen überhaupt keine andere Wahl gegeben.

Atlan und Iray-Barleona waren ineinander verliebt; ein Umstand, der zwar Tyari nicht behagte, an ihrem Konzept aber nichts änderte und nichts verdarb.

Der Translator, der in der kleinen Schleife an ihrem linken Ohr baumelte, gab flüsternde Übersetzungen von sich. Inzwischen be-herrschte die Frau das Interkosmo der Solaner so gut, daß das Gerät nur selten einspringen mußte. Die Lage hier auf Uhzwutz wurde von Stunde zu Stunde gefährlicher. Die Unsicht-baren hatten sie hierher gelockt und began-nen, das Schiff zu zerstören.

Also verhinderten die Unsichtbaren den Weiterflug. Hier, in jenem Teil der Galaxis, in dem mit größter Wahrscheinlichkeit die Pla-netenvölker keine sogenannten Auslesekämp-fe gegeneinander führten, wurden die Ein-dringlinge manipuliert. In diesem Fall waren es die Solaner, denen das weitere Vordringen unmöglich gemacht werden sollte. Hüter oder Beschützer der Dunkelzone, jene Kalackter also, sorgten dafür. Was Tauprin ebenso rich-tig gesehen hatte, war der übereinstimmende Faktor der Unsichtbarkeit.

Der Sitz der Unsichtbaren war der Planet. Irgendwo versteckten sie sich!

Von hier aus bauten sie unsichtbare, nicht zu ortende Barrieren auf und würden die TAUPRIN flugunfähig machen. Tyari wußte fast instinktiv, daß sie absolut recht hatte. »Und wo sind die Unsichtbaren?« fragte die

21

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL Frau laut, kontrollierte flüchtig ihren engan-liegenden Einsatzanzug und versuchte zu-sammenzufassen, was sie in den vagen, unge-ordneten Gedanken der Eingeborenen gefun-den hatte.

Die Unsichtbaren kamen von Sonnenauf-gang.

Das stimmte mit den Feststellungen Tauprins überein. Aber wie würde es möglich sein, sie zu bekämpfen oder umzustimmen?

Sanny wandte sich an Tyari. »Du bist sicher ebenfalls davon überzeugt,

daß die Kalackter die Innenzone schützen und Kreaturen von Anti-Homunk sind!«

»Mit Sicherheit sind sie hochintelligent, haben überraschende technische Möglichkei-ten und bekämpfen jeden, der die Innenzone erreichen will. Ja. Du hast recht. Nach meiner Meinung wenigstens.«

Zwei kleine Roboter aus dem technischen Fundus des Schwanenschiffs halfen den Sola-nern, zwischen Felsen und Bäumen das Lager aufzuschlagen. Es ging sehr schnell vor sich, und die igluförmigen Elemente wurden aufge-stellt und fixiert.

»Ich werde ...«, begann Tyari, aber ihr nächstes Wort wurde von einer Detonation übertönt. Schlagartig drehten sich alle Köpfe; jedermann starrte hinüber zur TAUPRIN, die sich hinter den Bäumen erhob. Im hinteren Drittel des Körpers wallte eine riesige, schwarze Rauchwolke in die Höhe und breite-te sich pilzartig aus. In ihrem Innern zuckten und flackerten riesige Flammen.

Dann erst schlugen das Heulen und Brodeln des Brandes an die Ohren der Arbeitenden.

»Verdammt!« schrie Insider. »Die TAUPRIN kontrollierte noch immer die bei-den Boote! Die Kalackter zerstören sie plan-mäßig und gnadenlos.«

Von hier aus waren die wenigen Solaner, die vom Schiff wegliefen, winzig wie Amei-sen. Sie schleppten die Reste der Ausrüstung zum Beiboot. Tyari nahm einen schweren Feldstecher von einem Stapel und blickte hin-unter auf die Szenerie. Die SOHN schwebte knapp hundert Meter vom brennenden Schiff entfernt.

Jetzt setzte die TAUPRIN Löschanlagen ein. Die Flammen änderten ihre Farben und erloschen dann. Der Rauch färbte sich zuerst

gelb, dann weiß. Das Beiboot startete, nach-dem die letzten Solaner an Bord waren, mit weit offener Schleuse.

In leicht torkelndem Flug bewegte es sich auf den Hügel zu. Nockemann kam zu Sanny und Tyari herüber und säuberte seine Hände an einem Spezialtuch.

»Wir müssen warten, bis Breiskoll kommt, nicht wahr?«

»Auf diese traurige Wahrheit müssen wir uns einstellen, Hage«, sagte Sanny. Tyari füg-te grimmig hinzu:

»Und wenn die Kalackter damit fertig sind, das Schwanenschiff zu demolieren, greifen sie uns an. Mit Sicherheit.«

Die Frauen und Männer unterbrachen ihre Arbeiten und blickten dem näherkommenden Boot entgegen. Es schwankte hin und her und sackte in hartem Rucken tiefer, obwohl es nicht höher als hundert Meter über dem Bo-den schwebte. Der Hals mit dem kleinen, kopfartigen Steuerteil bewegte sich wie derje-nige eines verletzten Vogels auf und ab. Die Korrekturtriebwerke arbeiteten knatternd und spuckend. Dann machte die SOHN einen lan-gen Satz. Es war, als sammle sie zu einem entscheidenden Sprung die letzten Kräfte. Der Apparat stieg höher, wurde schneller, und für mehrere Sekunden stabilisierte sich die Flug-lage. Das Beiboot steuerte direkt auf eine Gruppe niedriger Bäume mit ungewöhnlich dicken Stämmen zu, schien sich darüber hin-wegschwingen zu wollen und krachte dann mitten in die Baumkronen hinein.

Es hagelte Blätter und Blattfetzen. Zweige und Äste zitterten, rissen ab und brachen kna-ckend. Das Boot fiel durch die verwüsteten Kronen, kippte hin und her und krachte haar-scharf zwischen zwei Felsen zu Boden, keine zwanzig Schritte von großen Gepäckstapeln und drei fertigen Iglus entfernt. Die Solaner waren in drei Richtungen auseinandergerannt.

Tyari stürzte nach vorn und spurtete auf die Schleuse zu, um zu helfen, wenn es noch et-was zu helfen gab.

In diesem Augenblick summte der Mini-kom Insiders auf.

Der Extra blieb stehen, winkelte den Arm an und aktivierte das Gerät.

»Hier Zwzwko! Wer ruft?« »Atlan hier, mit Iray und Garrett notgelan-

22

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL det. Ihr müßt uns abholen.«

»Wo seid ihr?« Atlan schilderte ihren Standort so schnell

und präzise wie möglich. Niedergeschlagen erwiderte der Allroundmann:

»Soeben ist das andere Boot hier vor unse-ren Füßen abgestürzt. Tyari hilft gerade den Insassen aus der Schleuse. Es scheint keine Verluste gegeben zu haben. Habt ihr Flugag-gregate?«

»Nein. Ihr müßt uns holen, bringt die Ag-gregate mit. Ist es klar, wo wir sind?«

»Ziemlich. Die TAUPRIN brennt.« Atlan stöhnte auf und fuhr fort: »Sonst scheint ihr alle in Ordnung zu sein?

Jedenfalls ...« »Tyari winkt gerade. Niemand ernsthaft

verletzt, Atlan. Ich komme, so schnell ich kann – mit drei Ersatzaggregaten.«

»Einverstanden.« Die übrigen Solaner waren zur Schleuse

des Beiboots gerannt, schleppten das Gepäck heraus und halfen ihren Freunden. Stöhnend und fluchend hinkten sie zum Lager hinauf und ließen sich ins Gras fallen oder auf die ausgeklappten Liegen. Tyari rannte auf In-sider zu, packte eines der Aggregate und fing an, die breiten Gurte zu befestigen. Insider benutzte alle vier Hände und gab einen kurzen Bericht für die anderen ab.

»Wie weit ist es?« fragte Tyari knapp. »Fünfzehn Kilometer?«

»Nicht weniger, klatsch-hurra!« »Kein Grund zur guten Laune«, meinte die

Molaatin. »Bringt sie heil zurück! Und denkt an die Unsichtbaren!«

»Überlege dir in der Zwischenzeit, was wir gegen sie tun können«, erwiderte Tyari. Sie nickte ihm zu. »Fertig?«

»Ja. Dicht über dem Boden, aus Sicher-heitsgründen. Klar?«

Die Ersatztriebwerke auf dem Rücken, packten sie die Steuerhebel der Aggregate, stiegen einige Meter hoch in die Luft und schwebten auf die Schlucht zu.

Sie flogen nicht sonderlich schnell neben-einander her. Sie dachten schweigend nach. Wieder hatten die Unsichtbaren zugeschlagen und das Raumschiff vermutlich derart zer-stört, daß es aus eigener Kraft nie wieder würde starten können. Als habe Tauprin ihre

Gedanken mitgehört, brüllten ihnen die Au-ßenlautsprecher des Kolosses nach.

»Tyari und Insider! Obwohl die Unsichtbaren mein Schiff in-

nen und außen zu vernichten versuchen, konnte ich noch Ortungen ausführen. In direk-ter Linie, zwischen mir, über den Notlande-platz der TOCHTER hinweg, erstreckt sich eine Felswand. Dort messe ich eine Art von Energie an, die jene ›Weißsäulenleute‹ un-sichtbar machen kann. Es ist weit und breit die einzige hochorganisierte Energieemission! Fliegt dorthin und seht nach. Gefährdet euch und Atlan nicht. Ich habe keine andere Spur!«

Insider meinte, daß Tauprin sie vielleicht noch sehen konnte. Er aktivierte seinen Mini-kom und winkte, während er antwortete, mit zwei Armen.

»Verstanden. Wir sehen nach.« »Schade, daß wir keine schwere Waffe

mitgenommen haben!« meinte Tyari. »Vielleicht schaffen wir es auch mit unse-

ren Strahlern.« Im weiten Zickzack schwebten sie über die

Savanne. Inzwischen war es Mittag gewor-den. Die Schatten fielen fast senkrecht.

Obwohl sie sich sagen mußten, daß sie die Unsichtbaren mit bloßem Auge nicht entde-cken würden, hielten sie genau Umschau. Sie prägten sich jede Einzelheit des Geländes ein, das sie überflogen. Die Eingeborenen hielten an, als sie die Fliegenden sahen, und vergaßen die Jagd. Aber sie griffen nicht an, schienen sich eher zu fürchten.

Insider, der Tyari seit langem genau beo-bachtete, wußte genau, daß sie schnell und entschlossen handelte, wenn es sein mußte. Überdies waren die Solaner sicher, daß die Abgesandte aus Bars-2-Bars über die gleiche telepathische Begabung wie Sternfeuer, Breiskoll und Federspiel verfügte – aber sie verriet sich nicht.

Unter ihnen wogte im Mittagswind das Gras. Die Kronen der Bäume raschelten, von den Blüten in den dunkelgrünen Büschen stiegen atemberaubende Düfte auf. Kleine Vögel flatterten hin und her, hoch über den beiden Solanern drehten geierartige Riesen-vögel mit silbernen Schwingen ihre lautlosen Kreise. Das Wild äste friedlich und flüchtete nur, wenn eine Gruppe Uhzwutzer durch das

23

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL Unterholz brach.

Die Schlucht mit ihren gewaltigen Schrof-fen und Rissen schob sich näher. Von hier aus wirkte der trümmerübersäte Tafelberg vor der jenseitigen Felswand klein und unbedeutend, noch kleiner sah das zerbeulte Beiboot aus, das inmitten von braunen, gelben und schwarzgeäderten Felsen lag. Es hatte fast die Farbe der Umgebung angenommen.

Tyari rief mit unterdrückter Stimme zu In-sider hinüber:

»Atlan hat sich ein unbequemes Liebesnest ausgesucht. Hier wird es bald ungemütlich werden!«

Der kleine, breitschultrige Extra schüttelte seinen grünen Kopf und gab zurück:

»Du bist tatsächlich eifersüchtig! Warum gönnst du ihm die Zerstreuung nicht? Er hat das Äußerste für die SOL und uns alle getan!«

»Seine wahren Aufgaben und Ziele sind unvergleichlich größer!«

»Das weiß er. Auch dieses Abenteuer ist nur eine Station auf seinem beschwerlichen Weg.«

»Ich, im Gegensatz zu Iray, würde ihn nicht ablenken!«

»Atlan bestimmt selbst, wann er sich ab-lenken läßt – und von wem!« rief Insider und erhöhte die Geschwindigkeit. Sie schwebten über die steinerne Kante hinweg und sahen tief unter sich einen schmalen, schäumenden Fluß, der zwischen engen Felswänden dahin-schoß und Katarakte bildete. Über dem Was-ser, dessen Rauschen undeutlich bis hierher drang, hingen die Fetzen von Nebel und zer-stäubtem Wasser.

»Nicht gerade komfortabel, der Lande-platz!« brummte Insider und vermied es, di-rekt nach unten zu blicken. Vor sich sah er die drei Gestalten, die neben der offenen Schleuse und zwischen Felsbrocken standen und saßen. Er winkte kurz, überwand den gähnenden Abgrund und fühlte, wie ihn kurze Windstöße von vorn, von unten und vom Plateau her tra-fen und aus der Flugrichtung drängten. Er bremste ab, als er die kleine Gruppe erreichte, ließ sich auf einen freien Platz heruntersinken und wartete, bis dicht neben ihm Tyari auf-setzte.

»Wir wissen jetzt«, sagte Tyari hart, »daß die Kalackter von dort kommen.«

»Also von der Wand. Wir haben beobach-tet«, erwiderte Garrett mürrisch und ließ sich von Iray helfen, »aber nichts gesehen.«

Die drei befestigten die Gurte, schlossen die Verbindungen und rückten die Steuerung zurecht. Atlan und Tyari berieten sich kurz, nahmen an ihren Waffen kurze Einstellungen vor, und dann sagte der Arkonide in entschie-denem Tonfall:

»Garrett! Bitte, hilf Iray hinüber zur Savan-ne oder zurück zum Hügel. Wir versuchen, die Unsichtbaren aufzustöbern.«

»Wird gemacht, Chef!« Garrett und Iray testeten die Flugaggregate,

nahmen ein paar Probeschaltungen vor, dann stiegen sie langsam senkrecht in die Höhe. Iray lächelte tapfer, obwohl sie Schwierigkei-ten mit der Technik hatte. Der Hüne schwebte hinüber zu Iray, legte seine Pranke auf ihre Finger und bewegte die Hebel der Schaltung. Nebeneinander sanken sie wieder abwärts. Garrett machte ein Stück isoliertes Tau vom Gürtel frei und klinkte es in eine Gürtelöse von Irays Ausrüstung.

»Jetzt wird es gehen«, brummte er beruhi-gend. »Notfalls schleppe ich dich, Iray. Los!«

Sie schwebten wieder hoch, dann vorwärts und über den Rand des Kegels hinweg. Atlan, Insider und Tyari blickten ihnen dreißig Se-kunden lang nach, bis sie sicher sein konnten, daß sie den jenseitigen Rand der bodenlosen Schlucht erreicht hatten.

»Wir gehen ein verdammtes Risiko ein«, sagte Atlan und warf einen bedauernden Blick auf das Wrack der TOCHTER. »Das wißt ihr!«

»Das Risiko ist nicht geringer als das, hier ausgesetzt zu bleiben und von den Kalacktern gehetzt zu werden. Wir haben ganz andere Ziele, Atlan«, erwiderte Tyari.

»Du sagst es.« Sie nickten sich zu, schalteten die Flugag-

gregate ein und schwebten schräg aufwärts und auf die Felswand zu. Nach einigen Dut-zend Metern änderten sie ihre Flugrichtung nach rechts und steuerten auf kanzelartige, überhängende Felsformationen zu. Sie dreh-ten sich in der Luft, unter sich den schroffen Abgrund und die hochwirbelnden Windstöße und Nebelfetzen. Dann erreichten sie den Raum hinter den Felsnasen und klammerten

24

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL sich fest, ließen aber die Antigravelemente eingeschaltet.

Insider schlug vor: »Einen ersten Schnitt diagonal über die

Wand. Vielleicht treffen wir zufällig eine Lu-ke oder sonst eine getarnte Öffnung.«

»Ich ziele nach ganz links!« sagte Atlan. »Feuer frei.«

Sie zogen die Strahler, zielten kurz und drückten die Auslöser. Das ohrenbetäubende Geräusch der Schüsse wurde von der Wand reflektiert und donnerte hallend durch die Schlucht. Drei Einschlagstellen verwandelten sich in kochende, weißglühende Krater im Fels, die sich zu doppelt handbreiten Spalten erweiterten. Das Gestein spritzte in Tropfen und Splittern nach allen Seiten, krachend barsten Steine und fladenförmige Brocken und überschlugen sich, als sie abwärts polter-ten. Der Wind riß die Fahnen verdampfenden Gesteins zur Seite. Die drei Schnitte wurden tiefer und breiter und berührten sich schließ-lich.

»Aufhören!« schrie Insider keuchend. Das Geräusch der Schüsse riß ab und rollte noch als schwächer werdendes Echo durch die Schlucht.

Ein lautes Knirschen ertönte aus der Rich-tung der Wand. Der Spalt, der an den Rändern rauchte, zerbrach in riesige Platten. Unterhalb der Wand schienen sie gegen ein unsichtbares Hindernis zu prallen, rutschten schräg ab und türmten sich übereinander, bis sie schließlich in einer langgezogenen Lawine in die Schlucht krachten.

Unterhalb des Felsens erschien plötzlich ei-ne waffelartig gerasterte Platte, mit Sicherheit aus Metall, auf dem sich die Spur des Be-schusses deutlich durch vielfarbige Brandli-nien und Flecken abzeichnete.

Also doch! sagte der Logiksektor. Die Tauprin-Intelligenz und ich hatten recht.

»Tatsächlich!« stieß Insider hervor, löste seinen Griff und schwebte rückwärts aus der Deckung heraus, schwang sich hinüber und schwebte einige Meter vor der Metallfläche hin und her. Atlan brüllte aufgeregt:

»Zurück! Weg hier! Die Unsichtbaren wer-den zurückschlagen, Zwo!«

Mit einer Hand winkte Insider ab. Wie ein Insekt bewegte er sich aufwärts und abwärts,

nach links und wieder zurück, dann sagte er aufgeregt in den Minikom:

»Es gibt eine Öffnung. Sie ist nicht sehr groß. Mehr kann ich nicht erkennen.«

Wieder winkte er, deutete nach Westen und stieß sich mit den Beinen ab, als er sich her-umdrehte und davonschwebte. Atlan und Tya-ri folgten und rasten Insider hinterher. Über dem Rand der Schlucht bogen sie nach Nor-den ab, in die Richtung auf den fernen Hügel.

»Halt!« schrie Tyari plötzlich. Ihr langes, gekräuseltes Haar flatterte im Fahrtwind.

Atlan und Insider stoppten und flogen eine enge Kurve. Noch ehe sie richtig begriffen hatten, warum Tyari den Schrei ausgestoßen hatte, sahen sie, was sie meinte. Wieder grif-fen die Unsichtbaren an.

Die Solaner konnten nicht mehr erkennen, ob es in der Metallwand eine Öffnung gab, denn das Sonnenlicht brannte in einem grellen Reflex darauf und zwang dazu, die Augen abzuwenden und mit der Hand zu beschatten. Von mehreren Stellen aus schlugen gewaltige Kräfte nicht nur auf das Wrack der TOCH-TER, sondern auch auf Felsen und Steine ein. Sie wirkten auch auf dem Plateau wie riesige Hammerschläge, die blitzschnell und mit äu-ßerster Wucht herunterprasselten.

Felsen, übermannsgroß, zersplitterten in tausend Bruchstücke. Die Hülle des Wracks wurde hin und her geschleudert, hochgewir-belt und wieder zu Boden geschlagen. Tyari griff mit der Linken in die Steuerung, raste in wilden Schlangenlinien auf das Plateau zu und begann mitten über dem Abgrund zu feu-ern.

Ihre Schüsse blitzten und dröhnten über die Schlucht, trafen mitten in die Staubwolken, auf hochgewirbelte Felsen und auf Teile des Beiboots. In der Luft, zwischen den Trüm-mern und den aufflammenden Gasfackeln erschienen plötzlich seltsame Schemen.

Sie sahen wie aufrecht schwebende Säulen-stücke aus.

Auch Atlan und Insider hatten es riskiert, zurückzukehren. Jetzt holten sie die junge Frau ein und sahen ebenfalls den ersten Ka-lackter.

Auch das Schutzfeld, in dem er sich ver-steckt hatte, wurde sichtbar. Es entsprach ei-nem sphärischen Oval und leuchtete zuckend

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL unter der Einwirkung der Waffenenergie und des vergasenden Materials. Im Innern des Feldes schwebte tatsächlich ein strahlend weißer Körper, der etwa einen Meter hoch, ohne jede Kontur oder Markierung war, eine Säule von weniger als dreißig Zentimeter Durchmesser. Flüchtig und immer wieder in einzelnen Phasen aufblitzend, zeigten sich andere Säulen. Sie bewegten sich aufwärts und abwärts und führten die dröhnenden Hammerschläge aus.

»Zurück!« ordnete Atlan laut an. »Sofort!« Während sie auseinander rasten, Höchstge-

schwindigkeit einschalteten und ebenfalls in Spirallinien und im Zickzack davonjagten, steckte Tyari mit einem zufriedenen Lachen die Waffe ein. Die Frau, die Atlan so ähnlich sah, war wirklich eine eiskalte Kämpferin. Dicht über dem Boden zwischen den Vegeta-tionsinseln und den Buschflächen, schwebten sie im heulenden Gegenwind auf den Hügel zu.

Die TAUPRIN rief ihnen nach: »Ich habe fast alles mitangesehen. Jetzt

kennen wir unsere Gegner besser.« »So ist es«, knurrte Atlan. »Aber die Lage

ist nicht besser geworden dadurch.« Sie landeten inmitten der übrigen Solaner

und berichteten der kleinen Gruppe, was sie erlebt hatten. Der letzte Rest von Hoffnung, mit dem Raumschiff von Uhzwutz starten zu können, schwand dahin.

Ab jetzt würden die Kalackter nicht nur Material zerstören, sondern die notgelandeten Solaner angreifen.

4.

Federspiel gähnte, richtete sich ächzend auf

und fühlte, daß er schweißgebadet aufgewacht war. Er warf ein Tuch in den Wasserbehälter und wischte Gesicht und Hals ab, reinigte die Hände und hörte von draußen die Schritte der Wachen und die knappen Fragen und Antwor-ten, die aus den Minikoms drangen.

Es war dunkel; vor dem Einschlafen hatte Federspiel einen Blick auf eine Handvoll Sterne und einen verdüsterten, von Wolken halb verdeckten Himmel werfen können. In den Iglus brannten nur wenige, schwache Leuchtkörper. Von zwei Seiten drang heftiges

Schnarchen an Federspiels Ohren. Er schaltete die Lampe ab, öffnete den Iglu

und verscheuchte einen Insektenschwarm. Er tastete sich einige Schritte weit zum nächsten Baum, lehnte sich zuerst gegen den Stamm und hockte dann entspannt zwischen den knorrigen, moosüberzogenen Wurzeln.

Er konzentrierte sich, versuchte mit seinen Gedanken und Empfindungen die Enge des nächtlichen Planeten zu verlassen und vorzu-stoßen in die kosmische Weite, hinein in die Gedanken Bjo Breiskolls.

Er kannte jede Schwingung, die eine be-wußte Gegenwart von Breiskoll signalisierte. Schweigend, in sich gekehrt, lauschte er hin-aus in den Kosmos, der von Staub und Trümmern erfüllt war.

Leere ... Ereignislosigkeit ... nichts. Zwischen Bjo und ihm befand sich eine

Barriere, die seine telepathischen Schwingun-gen schluckte. Federspiel tastete weiter – jetzt versuchte er den dünnen, ausgefaserten Im-puls von Cpt’Carch zu spüren. Er erhielt ein Echo, einen Widerhall von unendlicher Zag-haftigkeit, dünn und gerade noch zu spüren.

Er dachte, bewußt und zufrieden: Wir haben die Spur noch nicht verloren.

Die Möglichkeit für Iray-Barleona besteht weiterhin, Rache an Anti-ES zu nehmen.

Die SOL? Wieder versuchte er, länger als eine Stunde,

Kontakt zu Sternfeuer zu bekommen. Es war absolut vergebens. Er empfing die Impulse einer großen Anzahl von Eingeborenen, deren Träume voll von den seltsamen Dingen wa-ren, die während der Helligkeit des Tages geschehen waren. Erschöpft riß Federspiel die Augen auf und sah, wie zwischen den Iglus der Strahl eines Handscheinwerfers aufblen-dete und umherschwenkte.

»Hier!« sagte er leise. Der Lichtkegel fiel auf sein Gesicht und den Oberkörper.

Hage Nockemann, eine schwere Zwei-handwaffe vor der Brust, kam fast geräusch-los heran und fragte leise:

»Nachgedacht, Federspiel?« »Nein. Ich habe versucht, Verbindung zur

SOL oder zu den zwei Nachhutschiffen auf-zunehmen.«

»Mit Erfolg?« fragte Hage in einem Ton, der erkennen ließ, daß er auf keine positive

26

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL Antwort wartete.

»Total erfolglos. Wo ist Atlan?« Nockemann tippte auf den Minikom am

Handgelenk und brummte verdrießlich: »Ich warte auf eine neue Schreckensmel-

dung. Bei Anbruch der Dämmerung sind At-lan und Iray zum Schiff geflogen. Zum Wrack, um genauer zu sein.«

»Was, bei allen Staubwirbeln, suchen sie dort?«

»Atlan sagte, er wolle Zwiesprache mit der Tauprin-Intelligenz halten, ehe es ihm wegen der Zerstörung ganz unmöglich gemacht wird.«

Federspiel überlegte kurz und nickte dann. »Keine unsinnige Idee. Von den Kalacktern

ist nichts zu melden?« »Sie haben seit der Zerstörung der TOCH-

TER nichts mehr unternommen. Es wurde versucht, auf dem normalen und auf dem Hy-perfunkweg die Beiboote zu erreichen. Er-gebnis natürlich auch gleich null.«

»Sonst?« »Alles normal und ruhig. Fast alle schlafen.

Dort drüben sind noch zwei Wachen.« »Dann«, meinte der Telepath resignierend,

»werde ich wieder in den Iglu zurückgehen und weiterschlafen. Ich habe das dumpfe Ge-fühl, daß es morgen einen heißen, ungewohn-ten Tag geben wird.«

»Höchstwahrscheinlich. Du kannst mich in vier Stunden ablösen, ja?«

»Mit zweifelhaftem Vergnügen, aber not-gedrungen ...«, murmelte Federspiel und winkte dankbar zurück, nachdem der Strahl des Scheinwerfers ihm den Weg bis zum Ein-gang des Iglus beleuchtet hatte.

*

Die Tauprin-Intelligenz, das eigentliche

Manifest, befand sich im hinteren Teil des demolierten Schwanenschiffs. Ein einziges Mal war Atlan in jenem Bezirk gewesen, vor wenigen Tagen, als er gegen die Scheinunge-heuer gekämpft hatte. Daß er sich, zusammen mit Iray, jetzt wieder im Schiff befand, hatte mehrere Gründe.

Gegen Abend hatte die TAUPRIN ihre hochentwickelten Außenlautsprecher einge-schaltet. Die Fähigkeit des Schiffes, mit

fremden Wesen innerhalb und außerhalb der Hülle verkehren zu können, war erstaunlich. Gerichteter Schall hatte das Lager erreicht und Atlan hierher gebeten.

Noch immer war die Stimme Tauprins wohlklingend. Aber sie war längst nicht mehr so klar und voll wie vor den schweren Zerstö-rungen.

»Ich wiederhole«, sagte das Manifest zö-gernd, »daß ich zwar hilfsbereit bis zum äu-ßersten bin, aber von einer Lösung unserer Probleme so weit entfernt wie nie zuvor.«

»Das wissen wir«, erwiderte Iray. Sie hielt Atlans Hand. »Das Schiff wird niemals wie-der starten?«

»Mit größter Wahrscheinlichkeit nicht! Ich muß euch bitten, etwas für mich zu tun.«

Als Iray und Atlan hierhergeflogen waren, hatten sie die erstaunliche Feststellung ge-macht, daß einzelne Uhzwutzer ihnen nicht nur nachgeblickt, sondern auch zugewinkt hatten. Also identifizierten sie die Solaner nicht als Gefahr.

»Gern. Wenn es in unserer Macht liegt!« sagte der Arkonide vage. Sie waren zweimal um den hingeschmetterten Körper geflogen und hatten die furchtbaren Zerstörungen ge-sehen. Als Raumschiff war die TAUPRIN nicht mehr zu gebrauchen.

»Es ist riskant für euch«, sagte das Mani-fest J.

»Seit wir gestartet sind«, erklärte Iray trot-zig, »löst ein Risiko das nächste ab.«

»Du weißt, Atlan, daß ich in einer Kugel-schale eingeschlossen bin?«

Atlan wußte es nicht; er hatte es sich ausge-rechnet. In dem kugelförmigen Raum hatte er keinerlei Zeichen für die Anwesenheit des Manifests feststellen können. Aber wie konn-te er ohne telepathische Fähigkeiten eine sol-che Wesenheit erkennen?

»Jetzt weiß ich es«, antwortete er. »Aber was hat das mit uns zu tun?«

»Sehr viel. Ich bin bewegungsunfähig. Die Beiboote sind zerstört.«

»Das haben wir merken müssen«, sagte I-ray leise. »Wir leiden ebenso wie du, wie das Schiff und das Manifest.«

»Materielle Werte sind am leichtesten zu ersetzen. Bisher hat niemand von euch Scha-den genommen.«

27

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

»Das ist wirklich so. Bisher sind wir alle so gut wie unversehrt!« antwortete Atlan.

»Das kann sich ändern.« »Wem sagst du das!« seufzte der Arkonide.

»Zurück zu deiner Frage oder Bitte. Wir sol-len dir helfen?«

»Ich bitte darum.« »Wie? Auf welche Weise?« Die TAUPRIN machte eine kurze Pause.

Dann sagte die warme, ruhige Stimme unsi-cher und gepreßt:

»Ich bin körperlos und unsichtbar. Ich bin kein Gas und kein Plasma. Ich brauche aber eine Umgrenzung meines Lebensraums. Zu-dem ist diese Umgrenzung nicht mein Werk, sondern zeigt, daß ich gefangen bin. Ich bin in dieser Kugelhülle eingeschlossen. Versuche nicht, eine schlüssige Erklärung für meine Zustandsform zu finden – vielleicht hilft dir ein Modell: Ich bin ein gefangener, einge-schlossener Gedanke. Akzeptiert?«

»Akzeptiert«, entgegnete Atlan. »Eine sol-che Erklärung verwundert mich nicht. Ich kenne derlei.«

»Gut. Danke. Bringe die Kalackter dazu, diese Schale zu zerstören.«

Atlan zuckte zusammen. »Haben wir dich recht verstanden? Ist nicht

schon genug zerstört?« Bevor dieser Teil der Unterhaltung ange-

fangen hatte, ließ sich Tauprin berichten, was im einzelnen vorgefallen war. Vieles wußte das Manifest bereits, einiges half ihm dazu, weitere Schlüsse zu ziehen. Atlan versuchte zu erkennen, worauf das Manifest abzielte.

»Darum geht es nicht«, sagte die Tauprin-Intelligenz. »Ich will frei sein. Das geht nur, wenn die Hülle durch mechanische Kräfte oder andere, übergeordnete, aufgerissen wird. Ich wäre dann frei.«

»Was hätte deine neu gewonnene Freiheit«, wollte Iray wissen, »mit uns zu tun? Welche Vorteile oder Nachteile hätten wir zu erwar-ten?«

Sofort antwortete das Manifest. »Keine Vorteile. Und keinerlei Nachteile.

Abgesehen davon, daß die zerstörte Hülle des Schiffes vielleicht noch lediglich als Schlupfwinkel zu gebrauchen sein könnte.«

Atlan holte tief Atem. »Wir sollen also die Kalackter dazu brin-

gen, sich einen Weg durch die Schotte und den Stahl zu bahnen und die Kugelzelle zu zerstören. Vermutlich könnten wir es auch mit unseren Energiewaffen schaffen.«

»Ausgeschlossen.« Der Trick, mit dem Tyari endlich die Un-

sichtbaren zum Auftauchen gezwungen hatte, war vergleichsweise simpel gewesen – direk-ter Beschuß einer Stelle, an der man sie ver-mutete. Atlan sah neue Schwierigkeiten vor-aus und fragte wieder: »Wir, die Solaner, schaffen es nicht? Bist du dessen sicher?«

»Ich bin völlig sicher.« »Ich bin es nicht«, murmelte Atlan. »Und

ich habe nicht einmal die entfernteste Idee, wie wir es schaffen können, die Unsichtbaren hierher zu locken. Muß das sein?«

Wieder dauerte es mindestens zwanzig Se-kunden, bis Tauprin antwortete.

»Warst du schon einmal unendlich lange eingesperrt, von allem, was dir wertvoll er-schien, ausgeschlossen?«

»Ja.« »Dann weißt du, welche Qualen ich ausste-

he. Die Hülle, die mich von all dem trennt, ist eine Schöpfung von Anti-ES. Zerbrich diese Hülle, Atlan. Entlasse mich in die heißersehn-te Freiheit. Ich kehre dann zurück in den Be-reich des Kosmos, in dem ich zu Hause bin, in die Namenlose Zone. Hilf mir, mein Freund!«

Nach einer langen Pause des Nachdenkens fügte das Manifest hinzu:

»Hilf mir, wie du Barleona geholfen hast. Ich habe mir gestattet, euch genau und inten-siv zu beobachten.«

Für ein Wesen wie das Manifest J war diese dringende Bitte weitaus mehr. Es war ein Notschrei aus tiefster »Seele«. Atlan verstand und billigte diese Bitte.

»Wir helfen dir!« »Danke.« »Aber ... wie?« meinte Iray. »Der Umstand,

daß wir die Unsichtbaren erkannten, ist hier nicht wiederholbar.«

»Ihr müßt sie hierher bringen. Den Rest be-sorge ich, mit euch zusammen.«

»Kannst du, wenigstens ein einziges Mal, noch starten? Beziehungsweise, würde es dir gelingen, das Schiff abheben zu lassen?« frag-te Atlan.

»Ich bin sicher, daß ich es schaffe. Viele

28

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL Reparaturen wurden trotz der Zerstörungen und des Brandes durchgeführt. Eine Minute! Ich teste meine Systeme.«

Schon nach neunzig Sekunden erklärte die Tauprin-Intelligenz:

»Bis zum Anbruch der Helligkeit werde ich es fertigbringen, das Schiff wenigstens einmal vom Boden zu heben. Ich werde auch alle Voraussetzungen schaffen, daß ihr die Un-sichtbaren erkennt. Vielleicht kann ich auch meine Materie-Abwehr einschalten.«

Die persönlichen Interessen des Manifests waren ein wenig klarer geworden. Ein Gefan-gener von Anti-ES; auch in diesem höchst seltsamen Fall von Verschmelzung einer In-telligenz mit einem derart hochentwickelten Mechanismus ein bedauerliches Schicksal. Es war anzunehmen, daß nach diesem Versuch die Kalackter das Schiff in einen völlig un-brauchbaren Trümmerhaufen verwandeln würden. Das wiederum war die Vorausset-zung, daß Tauprin befreit wurde.

»Das bedeutet, daß Teile des Schiffes repa-riert werden können?«

»Es ist richtig. Ununterbrochen wird alles unternommen, um Schäden zu neutralisie-ren.«

»Wann soll der Überfall auf dich stattfin-den?« fragte Atlan.

»Bei Sonnenaufgang oder kurz danach.« »Einverstanden«, antwortete Atlan. »Tyari

und ich werden die Kalackter hierher locken.« Iray hatte nichts dagegen einzuwenden. Sie

wandte sich an das Manifest. »Können wir ungefährdet die Nacht hier

verbringen?« »Ja. Sucht euch eine Kabine aus.« »Vorher muß ich noch Tyari verständigen«,

schaltete sich Atlan ein und ging in die Rich-tung der offenen Schleuse, deren Rahmen verkantet und deren Türen zerbeult waren. Er rief Nockemann und bat ihn, Tyari zu we-cken. Minuten später hatten sie die wichtigs-ten Einzelheiten des Einsatzes abgesprochen.

Noch einmal wandte sich Atlan an die Tauprin-Intelligenz.

»Nicht, daß ich deine erstaunlichen Fähig-keiten unterschätze, Manifest. Aber wir müs-sen uns darauf verlassen können, daß jeder einzelne Schritt genau mit dem nächsten ver-zahnt ist, daß wir uns in Sicherheit bringen

können, und daß du alle deine Fähigkeiten anwendest, um uns zu helfen.«

»Da ich dabei mir helfe, könnt ihr euch auf ein reibungsloses Zusammenspiel aller noch verbleibenden Kräfte verlassen«, betonte die TAUPRIN.

»Warten wir’s ab!« murmelte Atlan, legte seinen Arm um Irays Hüften und zog sie durch einen breiten Korridor auf die nächstge-legenen Kabinen zu. Überall waren Beleuch-tungskörper und Schaltungen ausgefallen. Glas und Splitter aus scharfkantigem Material knirschten unter den Sohlen. Es stank nach kaltem Rauch, Kondensat und dem pulveri-sierten Niederschlag des Lösungsmittels.

Atlan trat mit einem Fuß die klemmende Tür auf, sah sich einer leeren, unbenutzten Kabine gegenüber und tastete die Beleuch-tung ein. Das Innere der kleinen Räume war fast unbeschädigt.

»Wir haben noch acht Stunden Ruhe«, sag-te Atlan nach einem Blick auf die Ziffern ei-nes Monitors. »Machen wir das Beste dar-aus.«

Sie strahlte ihn an, aber auch ihr Lächeln trug die Spuren der Erschöpfung.

»Mit Vergnügen.« Die Versorgungseinheiten arbeiteten mit

Ausfällen, aber Atlan und Iray konnten so-wohl duschen, essen und trinken und ruhig schlafen. Das Manifest weckte sie mit leisen Gongsignalen.

»Bleibe liegen«, sagte der Arkonide. »Es eilt nicht.«

Er bereitete sich schweigend vor. Jeder ein-zelne Handgriff, ausgeführt mit der Sicherheit unendlicher Einsätze, saß. Die Schlösser der Gurte klickten, die Waffen wurden kontrol-liert, die Ersatzmagazine nachgesehen und wieder verstaut. Mitten unter den Vorberei-tungen summte der Minikom.

Atlan hob das Handgelenk und aktivierte das Gerät.

»Du bist ungeduldig, Tyari«, sagte er leise. »Wir kommen sofort. Hier ist alles ruhig.«

»Noch. Unsere Freunde befürchten, daß die Kalackter sich an uns rächen werden.«

»Das befürchten sie zu Recht«, erwiderte der Arkonide. »Wir besprechen alles, wenn ich im Lager bin.«

»Wie lange dauert es noch?«

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

»Etwa eine halbe Stunde.« »Beeile dich, es wird bald hell sein.« Atlan seufzte leise. Die wenigen Stunden,

in denen er sich seiner Liebe hatte widmen können, waren vorbei. Nach dem Einsatz ge-gen die Kalackter würde es keine Ruhe mehr geben. Die Unsichtbaren hetzten dann die Solaner. Das war für ihn sicher. Er warf Iray einen langen, schweigenden Blick zu. Die junge Frau zog sich an; Atlan bewunderte schweigend die Linien ihres Körpers. Dann drehte er sich herum und riß die klemmende Tür auf.

»Manifest J!« rief er. Sofort ertönte wieder ein sanfter Glockenton.

»Ich höre.« »Wir verlassen in wenigen Minuten das

Schiff, fliegen zum Lager, und dann greifen wir die Metallplatte in der Felswand an. Das ist alles. Du weißt, was zu tun ist.«

Sie leerten die großen Tassen eines heißen, aufmunternden Getränks, verließen die Kabi-ne und kletterten aus der Schleuse. Die Dun-kelheit der Nacht war nicht mehr vollkom-men, denn am östlichen Horizont, über den zackigen Rändern der Schlucht, begann sich ein hellgrauer Streifen abzuzeichnen.

Fast überall breitete sich dicht über dem Boden dichter Nebel aus. Atlan fiel, völlig unmotiviert, eine Zahl ein: etwa fünfundacht-zig Tage brauchte die SOL noch, um das Zentrum dieser Galaxis zu erreichen.

Iray und Atlan schwebten mit summenden Aggregaten über dem Nebel durch die feuch-te, kühle Luft. Sie roch frisch und nach den fremdartigen Pflanzen und Blüten. In einem der Wäldchen, in denen sich die Lager der Uhzwutzer befanden, brannte ein einzelnes, kleines Feuer. Der Rauch kroch mit dem Ne-bel über den Planetenboden und bildete dün-ne, fast nicht sichtbare Schleier in den ver-schiedenen Grautönen.

Atlan drückte mehrmals seinen Daumen auf den Kontakt des Schalters. Aus dem Hand-scheinwerfer zuckte ein breitgefächerter kalkweißer Strahl auf das Lager zu, streifte die Bäume und wurde von den Iglus förmlich aufgesogen. Die Außenhülle hatte sich der Umgebung angepaßt und war dunkelgrün und gemustert.

Ein Scheinwerfer blinkte zurück. Nocke-

mann oder Federspiel! Atlan und Iray landeten in der Nähe des

Postens. Es war Federspiel, der Atlan hastig versicherte, daß er keinerlei Kontakt mit Sternfeuer und ebenfalls keinen mit Breiskoll gefunden hatte.

Tyari kam aus einem Iglu, blieb im Licht-kreis stehen und sagte hart:

»Bringen wir’s hinter uns, Arkonide?« »Nimm’s leicht, Schwester«, erwiderte At-

lan. »Noch haben wir nicht genug Licht.« »Das ist der beste Vorteil, den wir jetzt ha-

ben. Wir bleiben vermutlich ebenso unsicht-bar wie die Kalackter.«

»Ein ausgezeichnetes Argument, Tyari!« stimmte Atlan überrascht zu. »Du hast recht. Es ist keine Zeit zu verlieren. Die Waffen?«

Sie reichte ihm eine schwere Zweihandwaf-fe. Atlan hängte sie sich um den Hals und sagte zu Iray:

»Ihr müßt euch verteilen, verstecken und versuchen, den Kalacktern zu entkommen. Sie werden uns natürlich angreifen, klar?«

»Klar!« sagte Federspiel trocken. »Viel Glück. Ich kümmere mich um Iray und orga-nisiere hier alles. Der erste Schuß ist das Sig-nal.«

»Verstanden.« Tyari hatte ihr langes Haar zu einem festen

Zopf geflochten und ihn um den Kopf ge-schlungen und irgendwie befestigt. Ihr Ge-sicht wirkte hart und entschlossen. Auch sie trug Scheinwerfer, zwei Strahler und eine Zweihandwaffe mit mehreren Ersatzmagazi-nen. Über ihrer Brust kreuzten sich die Gurte des Flugaggregats. Atlan zog Iray kurz an sich, küßte sie und murmelte:

»Keine Sorge. Wir kommen heil zurück.« Er schaltete den Scheinwerfer aus und nick-

te Tyari zu. Sie packten die Schaltung, stiegen langsam auf und schwirrten dann dem breiten, hellgrauen Streifen am östlichen Horizont entgegen, der bereits eine hellrote Kante hatte.

Tyari rief unterdrückt: »Gut ausgeschlafen, Atlan?« »Es wird reichen, den Kalacktern unange-

nehme Augenblicke zu bereiten.« »Du hast mit Tauprin gesprochen.« »Ja. Und was das Manifest will, ist genau

folgendes.« Atlan erklärte ihr alle Zusammenhänge, die

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL sie noch nicht kannte. Tyari verstand das Problem schon längst und hörte schweigend zu. Sie näherten sich, eine schräg abdriftende Rauchsäule hinter sich lassend, dem Absturz der Felsformationen, und vor ihnen brodelten riesige Wolken aus Wasserdampf aus dem tiefen Talkessel. Schließlich fragte Atlan zu-rück:

»Haben wir uns verstanden?« Ihre Stimmen klangen ebenso wie das

Summen der Antigravtriebwerke unnatürlich laut in der fast absoluten Stille des anbre-chenden Morgens. Tyari und Atlan überflo-gen den tiefen Riß, schwebten inmitten der Schwaden über den Kegel mit dem Wrack des Beiboots und näherten sich der riesigen Flä-che aus Metall. Die gerasterte Oberfläche wirkte stumpf und abweisend.

Tyari und Atlan blickten sich schweigend an. Sie wußten genau, was zu tun war.

»Los!« zischte Atlan. Sie bremsten ab und stemmten sich mit den

Händen gegen die Metallplatte. Durch die Handschuhe spürten sie die feuchte Kälte des Taus, der sich daran niedergeschlagen hatte. Die Sonne hob sich über den Horizont, wurde von zahllosen Zacken verschiedener Farben reflektiert, die die Metallplatte aufhellten. Tyari und Atlan schwebten hin und her und fanden schließlich die winzigen Vertiefungen, die eine Schleuse oder ein Schott kennzeich-neten.

Langsam schwebten sie zurück, schlangen die Riemen der Waffen um die Unterarme und eröffneten das Feuer. Die vernichtende Energie fraß sich entlang der fast unsichtbaren Linien in den Hohlraum hinein, ließ das Me-tall aufglühen und schmelzen, und über der Schlucht erhob sich ein gewaltiger Lärm.

An einigen Stellen schlug die Energie durch und verlor sich heulend und dröhnend, funkenerzeugend und aufflammend in den unbekannten Hohlräumen. Einige Explosio-nen waren undeutlich zu hören und wölbten die Platte nach außen.

Beide Angreifer veränderten langsam ihre Position. Sie schwebten weiter zurück und höher hinauf, ohne die Waffen abzusetzen. Die gleißenden, aufblitzenden Strahlen trenn-ten die verborgenen Lager, Zuhaltungen und Scharniere auseinander, verbrannten die Dich-

tungen und trafen, wenn sie ungehindert durch den ständig breiter werdenden Zwi-schenraum schlugen, auf irgendwelche tech-nischen Einrichtungen, die mit grellen Licht-erscheinungen und gewaltigen Donnerschlä-gen explodierten.

Schließlich, als Atlans erstes Magazin leer war und er mit schweißfeuchten Fingern das alte Magazin herausriß, fallen ließ und das neue hineinschlug, gab es eine ohrenbetäu-bende Detonation.

Die Explosionswelle erfaßte die Platte der Öffnung, beulte sie aus und faltete sie förm-lich zusammen, dann sprengte sie die schwere Metallmasse waagrecht aus der Felswand. Sie überschlug sich mehrmals und fiel taumelnd in den Abgrund.

Der Druck der Detonation packte auch Tya-ri und Atlan mit unsichtbarer Faust, schleu-derte sie wie Insekten rückwärts über die rie-sigen, gähnenden Abgründe hinweg und ließ sie hilflos umherschwirren. Sie fingen sich ab, taub vom Donner und von dem mehrfachen Überschlagen und Herumgewirbeltwerden.

Atlan hörte, wie seine Trommelfelle summ-ten und sirrten. Er versuchte, sich mit Tyari zu verständigen und gestikulierte.

Noch ein Vorstoß? besagten seine Gesten. Die Granaten?

Ja. Einverstanden. Sofort! erwiderte sie auf demselben Weg.

Sie schwebten wieder über gut ein Drittel der Schlucht hinweg, warfen die Waffen auf den Rücken und zogen die Explosivkörper aus den Gürtelhalterungen. Während des Flu-ges stellten sie die Vorlaufzeit der Zünder ein. Atlan wählte fünfzehn Sekunden.

Vorsichtig segelten sie im Zickzack von zwei Seiten auf die Öffnung in der Felswand zu. Aus der rechteckigen Schleuse, etwa zehn zu zehn Meter groß, kamen mehrfarbige Rauchwolken. Hinter dem Rauch zuckten irgendwelche Entladungen.

Atlan klammerte sich an den unteren, zer-fransten und gezackten Rand der Umfassung fest und blickte nach unten. Er sah, während der Explosivkörper Tyaris an seinem Kopf vorbeiflog, nur Rauch, Flammen und kalk-weiße Funken in einem schräg nach unten führenden, großen Korridor. Die Gase stachen in seine Nase. Er riß den Arm nach vorn und

31

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL schleuderte seine Bombe so weit nach vorn, wie er konnte. Dann packte er Tyari, die ne-ben ihm an der Kante hing, am Unterarm.

»Zurück zum Schiff!« schrie er und wußte noch immer nicht, ob sie ihn hörte. Aber sie verstand ihn, rief ebenfalls etwas und stieß sich von dem metallenen Rahmen ab.

Nebeneinander schwebten sie zurück und sahen sich immer wieder um.

Noch war nichts zu erkennen, keine Lücken oder Umrisse in dem Inferno aus Rauch und Dunst.

Inzwischen war die Sonne über dem Hori-zont. Sie überschüttete das Gelände mit fast waagrechten Strahlen. Hinter den Baumwip-feln tauchte der zerbeulte Rumpf der TAUPRIN auf.

Durch das Sirren in seinem Kopf hindurch rief der Arkonide:

»Wir müssen sicherstellen, daß uns die Ka-lackter hierher verfolgen!«

Tatsächlich konnte er inzwischen wieder verstehen, was Tyari ihm entgegenbrüllte.

»Wenn wir sie nur sehen würden. Oder ir-gend etwas von ihnen. Meinetwegen ihre Waffen oder Rückstände.«

»Warten wir über dem Schiff?« »Einverstanden. Wie besprochen, Atlan.« Sie flogen eine weite Kurve, rund fünfzehn

Meter über den Baumwipfeln. Die ersten vier-füßigen Jäger rasten in verwegenem Trab hin-ter den Beutetieren her. Atlan und Tyari wuß-ten, daß sie vom Lager aus genau beobachtet wurden. Sie hofften, daß sich die übrige Mannschaft entsprechend verteilt und ver-steckt hatte. Sie erreichten den Rand der riesi-gen Grube, in der die TAUPRIN lag. Dann senkten sie sich vorsichtig, landeten auf der höchsten Stelle des Rumpfes und verbargen sich hinter den zerbeulten Trümmerstücken.

Plötzlich sagte eine durchdringende Stim-me scheinbar im leeren Raum neben ihren Ohren:

»Ich werde eine Nebelwand errichten. Die Meteor-Abwehrgeschütze werden euch hel-fen, die Kalackter zu erkennen.«

»Verstanden, Tauprin!« entgegnete Tyari nicht ohne Verwunderung und warf Atlan ein Lächeln zu, das ihn an anderer Stelle und zu anderer Zeit erfreut hätte.

Sie warteten, erfüllt von fiebriger Unruhe.

Rings um das Schiff breiteten sich die kleinen Geräusche des Morgens aus. Die Sonne, meh-rere Handbreit über der Zackenlinie des östli-chen Horizonts, war blutigrot und färbte sich langsam durchdringend gelb. Vogelschwärme rasten kreischend hin und her, fielen in die Büsche ein und stoben daraus wieder hervor. Dann, nach einigen Minuten, in denen das Klingen in den Ohren sich beruhigte, flüsterte das Manifest:

»Achtung. Ich kann schwache Energie-echos anmessen. Ich versuche den Start. Gebt acht.«

»Verstanden.« Eine Hand an den Griffen der Aggregat-

schaltungen, die andere an einem Metallstück, warteten Tyari und Atlan. Unter den Sohlen ihrer Stiefel waren zuerst starke, langwellige, dann schnelle Vibrationen zu spüren. Es war, als würde die TAUPRIN ihre Muskeln span-nen. Dann ächzte und knarrte die ungeheure Metallmasse, schüttelte sich förmlich und drohte, die Solaner abzuwerfen.

Dann ging ein tiefes Dröhnen durch die Außenhülle. Das Geräusch schraubte sich die gesamte hörbare Tonleiter hinauf und riß ab.

Die TAUPRIN stieg senkrecht auf! »Sie schafft es!« keuchte Tyari maßlos ü-

berrascht. »Tatsächlich!« »Ich muß gestehen«, brummte Atlan, »daß

ich es selbst nicht für möglich gehalten habe.« Er deutete auf die Vielzahl der offenen Lu-

ken, deren Umgebung ausgeglüht war und erkennen ließ, wie wild und hemmungslos die Brände im Innern des Schiffes gewütet hatten. An den Baumkronen der Umgebung erkann-ten die beiden, wie hoch sich das Schiff vom Boden hob. Aber Atlan und Tyari konzent-rierten sich auf den Blick nach Osten. Von dort kamen, wie es die Gedanken der Uhzwutzer wahrheitsgemäß bestätigt hatten, die Kalackter. Noch war nichts zu sehen, trotz der Ankündigung des Manifests.

»Ruhig Blut, schönste Freundin«, sagte At-lan halblaut. »Wir werden alles erleben.«

»Und hoffentlich auch überleben!« Die TAUPRIN hob sich höher. Zehn,

zwanzig Meter, über die Bäume hinaus und noch höher. Ein unergründliches Geräusch drang aus dem Innern des Schiffes ... dann folgte ein schrilles Zischen, mit dem aus einer

32

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL Unzahl versteckter Düsen ein seltsamer Nebel entwich. Binnen einiger Sekunden hüllte er das Schiff vom Kopfteil über den langen Hals bis zum Hecktriebwerk ein. Der Nebel war grün und wurde langsam rot, je höher das Schiff stieg.

Atlan und die Frau blickten sich kurz an, griffen wortlos nach den Waffen und brachten sie in Anschlag. Atlan deutete auf eine auf-einanderfolgende Reihe weit offener Luken und rief:

»Wenn es brenzlig wird, müssen wir dort-hin!«

»Richtig!« stimmte die Tauprin-Intelligenz zu.

Wieder warteten die beiden Solaner ge-spannt und voller Nervosität, die Zeigefinger an den Auslösern der schweren Waffen. Das Schiff hüllte sich in kochendroten Nebel. Es schwebte rund hundertfünfzig Meter über dem Boden der langgestreckten Grube, die beim letzten Aufprall entstanden war.

Durch den Rauch erkannten sie, daß sich der Hals krümmte und den Kopfteil hochhiev-te und nach hinten drehte, tatsächlich wie ein Vogel, der sich nach den Verfolgern umwand-te.

»Achtung! Dort!« zischte Tyari plötzlich. Sofort feuerte sie. Am Rand der Dunstwol-

ke, kaum sichtbar, zeichneten sich einige der ovalen oder eiförmigen Körper als Hohlräume oder vage Umrisse ab.

Sie wurden deutlicher, als sie die Energie aus den Waffen schluckten und ableiteten.

Wieder sahen Atlan und Tyari die flim-mernden und zuckenden Schutzfelder und darinnen die Säulen. Zuerst waren es nur fünf oder sechs, dann wurden es mehr. Sie bildeten einen unregelmäßig geformten Keil, der sich in die Richtung der beiden Schützen voran-bewegte.

»Weg hier!« rief, ununterbrochen feuernd, die weißhaarige Frau und stieß Atlan mit der Schulter an.

Schritt um Schritt gingen sie vorwärts. Die Säulenwesen in ihren Schutzfeldern

bewegten sich schneller und aufgeregter als am Vortag; sicherlich eine Folge des Feuer-überfalls in der ersten Morgenstunde. Sie folgten Atlan und Tyari durch den kochenden, brodelnden Nebel, schwenkten herum und

schoben sich, als die beiden durch das erste Luk flüchteten, hinter ihnen her ins Innere des Schiffes. Unaufhaltsam hob sich die TAUPRIN. Sie war jetzt schätzungsweise zweihundertfünfzig Meter hoch.

Atlan und Tyari flüchteten durch einen ver-brannten, verwüsteten Korridor und konnten sich nur nach dem Licht orientieren, das des-sen Ende anzeigte. Sie taumelten und rannten durch rotleuchtenden Nebel und drehten sich alle zwanzig Schritte um.

Ihre Waffen dröhnten auf und trafen die Schirme. Zweimal gelang es ihnen, einen Schirm gleichzeitig zu treffen und aufzulösen. Das Wesen darinnen wechselte die Farbe, wurde zuerst brandig gelb und dann fleckig braun, schließlich färbte es sich grau und schwarz und zerfiel in viele große Flocken.

Hinter den Flüchtenden krachte ein massi-ves Schott aus der Decke und versperrte den Kalacktern den Durchgang. Wieder handelten diese unbegreiflichen Wesen wie bisher ge-wohnt. Sie verwandelten sich in energiereiche Hämmer.

Mit fünf Schlägen beulten sie das Schott aus. Der sechste, dröhnende Hieb sprengte die Metallscheibe aus den Halterungen und schleuderte sie einige Meter weit in den Gang hinein.

Ein Schwarm Kalackter drängte sich in den Schiffskorridor und wurde nur durch das wü-tende Feuer der Solaner aufgehalten.

Das Schiff schrie: »Nach rechts!« Tyari und Atlan wechselten die Richtung

und rasten mit langen Sprüngen einen Quer-gang entlang. Er war von den Spuren des höl-lischen Brandes ebenso gezeichnet wie die Inneneinrichtung der zurückliegenden drei-hundert Meter.

Wieder schlossen sich hinter den Rennen-den die schweren Stahlplatten. Sie wurden zerstört, aber der Vorgang hielt die Kalackter jedesmal eine Handvoll Sekunden auf.

Das Manifest hielt, was es versprochen hat-te.

Der Weg der Solaner führte im Zickzack tiefer in den Schiffskörper hinein und in der Form einer grob gezeichneten Spirale in des-sen absolutes Zentrum. Atlan hoffte, daß er mit dieser flüchtigen Schätzung recht hatte.

33

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL Das Schiff lenkte die Flüchtenden und diri-gierte die Verfolger auf den Ort zu, an dem sich die Hohlkugel befand. Immer wieder brachen die Schotte auf, die Kalackter ström-ten in den Raum dahinter und schwebten schneller und schneller auf die Solaner zu und wurden im konzentrierten Feuer vernichtet. Aber für jeden Verfolger, den Tyari und Atlan vernichteten, schienen aus dem Innern des Planeten oder aus dem Heer, das über der Savanne schwebte, zwei oder drei andere nachzudrängen.

Schließlich, nach mehr als einer halben Stunde Rennen und Feuern, glaubte Atlan jenen Bereich des Schwanenschiffs zu erken-nen, in dem er bereits gegen die wütenden Phantasiewesen gekämpft hatte. Er rannte weiter und schrie:

»Sind wir endlich am Ziel, Tauprin?« »Für meine Zwecke reicht es noch nicht.

Geradeaus, Atlan!« Sie spurteten einen gekrümmten Korridor

entlang, warfen sich an dessen Ende hinter eine herausgebrochene Schaltbank und feuer-ten auf die Verfolger. Wieder verwandelten sich vier Kalackter in handtellergroße Ruß- und Ascheflocken. Das Schiff stöhnte:

»Noch hundert Schritte!« Fast gleichzeitig fielen dröhnend einige

Schotte nach unten. Kurz darauf schoben sich mit kreischenden, schleifenden Geräuschen ebenso dicke Platten von rechts oder links aus den Wänden. Das nachfolgende Inferno aus dumpfen, hallenden Schlägen bewies, daß die vorrückenden Unsichtbaren die Barrieren zer-störten. Etwas langsamer und von zuckenden Lichtsignalen geleitet, zogen sich Atlan und seine Begleiterin zurück und befanden sich endlich an der Außenhülle der hohlen Kugel-schale.

»Diese Wände, nur eine davon«, rief die TAUPRIN, »müssen die Kalackter zerstö-ren!«

Gleichzeitig öffnete sich links von den schießenden Solanern ein schmaler Durch-gang. Dahinter blinkten vielfarbige Lichter.

»Hoffentlich tun sie’s!« meinte Tyari und lenkte den Feuerstrahl auf dieselbe Stelle, an der die Energie aus Atlans Projektor auf-schlug.

Unaufhaltsam kamen die Angreifer näher.

Sie zerstörten mit den hämmernden Schlä-gen jedes Hindernis, das sich ihnen in den Weg stellte. Durch den Schiffskörper liefen schwere Erschütterungen und tiefe, dröhnende Vibrationen. Das Schiff schwankte hin und her. Atlan und Tyari stießen mit der rechten und der linken Schulter gegen die Wände, als sie sich auf den Durchgang zu entfernten. Der vorderste Kalackter rammte seinen Körper gegen die Kugelschale, die mit Geräten, Leer-räumen und dicken Isolierschichten umhüllt war. Riesige Vertiefungen erschienen. Das Schiff schien Schmerzensschreie auszustoßen und schwankte noch stärker.

Atlan zwängte sich direkt hinter Tyari durch den Spalt, drehte sich um und sah, wie die Unsichtbaren in rasender Wut auf jede Fläche einschlugen.

Ein seltsam heiter klingendes Flüstern schlug durch die furchtbaren Geräusche an die Ohren der Solaner.

»Ich bin frei! Ein Riß in der Kugelschale ...«

Vor ihnen öffnete sich ein weiterer Durch-gang. Eine hell ausgeleuchtete Rampe er-streckte sich nach unten.

Der riesige Organismus des Schiffes schwankte hin und her. Der Hals schien abzu-knicken und förmlich durch die Luft zu peit-schen. Mit einem scharfen Ruck sank die TAUPRIN abwärts. Atlan und Tyari wurden zu Boden geschleudert.

»Das Anti-ES-Gefängnis ist zerbrochen! Ich bin frei und danke euch, Solaner. Ich keh-re zurück in die Namenlose Zone! Anti-ES herrscht nicht mehr über mich; ich bin nicht mehr sein Sklave oder Werkzeug. Ein Wort an dich, Atlan ...«

Ein neuer Ruck, eine Reihe von Geräu-schen, die allesamt Zerstörung signalisierten, abermals eine wilde Serie dieser hammerarti-gen Einschläge, dann kippte das Schiff nach rechts. Die heisere Stimme keuchte auf.

»Du siehst eine gewaltige Gefahr für dich und deine Freunde durch die unsichtbaren Kalackter. Auch sie sind nichts anderes als Handlanger eines Untergebenen, Sklaven ei-nes Abhängigen, nämlich Anti-Homunk.«

Atlan sagte stöhnend zu Tyari: »Hör gut zu! Wir erfahren neue Wahrhei-

ten!«

34

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

Wieder sprach das Schiff. »Die wirklichen Gefahren gehen jedoch

von Anti-ES aus. Anti-ES ist das Symbol für Gefahr. Dagegen mußt du mit all deinen Kräf-ten ankämpfen und dich davor schützen!

Ohne dich hätte ich meine Freiheit nicht wieder!

Dafür danke ich euch!« Mit einem letzten, dumpfen Aufprall schlug

die TAUPRIN wieder in die Savanne ein. Draußen erhob sich eine riesige Staubwolke. Dann ließ die schwächer und dünner werden-de Stimme aus den Lautsprechern erkennen, daß sich die Tauprin-Intelligenz, jenes befrei-te Manifest J, tatsächlich entfernte.

»Meine Relativ-Einheit wird wohl niemals beginnen ...«

Tyari und Atlan kamen stöhnend auf die Füße, orientierten sich und rannten einen schmalen Korridor entlang. An dessen Ende erkannten sie Licht und wallenden Staub. Während die Beleuchtungskörper erloschen, während jede Bewegung außer den Schlägen der Zerstörung aufhörte, liefen die Solaner auf die weit offene Luke zu, bahnten sich einen Weg durch den brodelnden Staub und über den nachrutschenden Sand und das Geröll.

»Aggregate an – und hinüber zum Lager!« knurrte Atlan.

»Geht in Ordnung.« Sie richteten sich auf, schalteten die Flug-

aggregate auf Höchstleistung und schossen aus der Staubwolke in nördliche Richtung hervor wie zwei Raketen.

Hinter ihnen zerhämmerten die Kalackter die Reste des zerstörten Raumschiffs.

Sie alle waren gestrandet, ausgesetzt. Ihre einzige Hoffnung konzentrierte sich nunmehr auf Bjo Breiskoll, die FARTULOON und die CHYBRAIN.

5.

Atlan öffnete das breite Schloß der Gurt-

konstruktion und murmelte niedergeschlagen, durstig und erschöpft:

»Das war wohl der letzte Akt der TAUPRIN. Habt ihr alles verstanden?«

Die meisten der Solaner kauerten um Atlan, Tyari und Iray unter den Ästen der Bäume, zwischen den Iglus und in den Gräben, die sie

mittlerweile ausgehoben hatten. Atlan hatte berichtet, wie sich die letzten Minuten des Schiffes ausgewirkt hatten. Während er sprach, ertönte aus der Richtung des Wracks ununterbrochen das vernichtende Hämmern.

»Alles ist zerstört! Beiboote und die TAUPRIN!« stellte Hage Nockemann fest.

»Wir sind auf das Wohlwollen der Einge-borenen angewiesen. Hoffentlich tauschen sie mit uns ihre Braten gegen einfache technische Gegenstände!« meinte Federspiel sarkastisch. »Jedenfalls sind sie nicht bösartig.«

»Im Gegensatz zu den Kalacktern!« warf Tyari ein.

Atlan hatte sich inzwischen ein wenig ent-spannt und beruhigt. Etwa dreißig Minuten war es her, daß sie aus dem Wrack geflohen waren. Das Manifest war endgültig ver-schwunden. Knapp zwei Dutzend Solaner waren hier gestrandet, und wenn sie sehr viel Glück hatten, gab es einen soliden Telepathie-Kontakt zwischen Federspiel und Breiskoll. Zwar hatte die Tauprin-Intelligenz einige Rät-sel gelöst oder Unsicherheiten beseitigt, aber noch lag die längere, weitaus gefährlichere Strecke vor den Eindringlingen.

Verschiebe vorläufig die Gedanken an die Koordinaten, an Anti-Homunk und Anti-ES! Konzentriere dich auf die unmittelbaren Not-wendigkeiten des Überlebens! mahnte der Logiksektor.

Als Antwort hob der Aktivatorträger ledig-lich die Schultern. Er ließ seinen Blick in dem grellen Licht des frühen Nachmittags über die gespannten Gesichter seiner Freunde gleiten, streichelte Irays Handrücken und sagte:

»Bis uns Bjo findet und abholt, haben wir noch ein paar harte Tage. Im Augenblick ha-ben uns die Kalackter noch nicht entdeckt.«

Die Probleme, die mit dem Verschwinden der Tauprin-Intelligenz entstanden waren, und all seine Überlegungen über den weiteren Lebensweg schob er tatsächlich in den Hin-tergrund. Es war wichtig, die nächsten Tage zu überleben.

»Ich erwarte ernsthafte Angriffe der Ka-lackter!« schaltete sich Sanny in das Gespräch ein. »Zumal sie einsehen werden, daß die Tauprin-Intelligenz sich ihrem Zugriff entzo-gen hat.«

»Sie halten sich an uns schadlos!« schrillte

35

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL der Robot Blödel. Nockemann hob einen kleinen Kiesel auf und schleuderte ihn in die Richtung seines intellektuellen Quälgeists.

»Es wäre nicht schade um dich Metallröh-re!« grollte er. »Höchstens um Wuschel.«

»Vielleicht helfen uns die Uhzwutzer!« gab Federspiel zu bedenken.

»Wie?« »In dem sie uns Verstecke zeigen. Das Ma-

nifest hat sie auf uns vorbereitet!« erläuterte der Vereiser.

»Wie auch immer«, murmelte der Arkoni-de. »Wir brauchen rasche und große Hilfe. Lange können wir uns gegen die Übermacht nicht halten. Ich erwarte jeden Augenblick den ersten Überfall.«

Wie jeder Planet in dieser Entwicklungsstu-fe bot auch Uhzwutz eine Unmenge Verste-cke. Zwei Dutzend Individuen, ausgerüstet mit genügend Waffen und Funkgeräten, mit Nahrungsmitteln und Flugaggregaten würden es wohl schaffen, sich einige Tage lang zu verstecken. Wie klug waren die Kalackter? Wie weit konnten die Uhzwutzer helfen? Und wenn sie halfen, konnte es leicht sein, daß sie gerade dadurch die Verstecke der Fremden verrieten. Es gab keine erkennbare Möglich-keiten, die Handlanger von Anti-Homunk zu beeinflussen.

Atlan sagte voller Unruhe, aber mit Nach-druck:

»Wir bilden kleine Gruppen! Je zwei oder drei Personen verstecken sich. Es ist wichtig, tagsüber unsichtbar zu sein. In der Dunkelheit sind die Kalackter wohl nicht aktiv.«

Die Molaatin, die auf Federspiels Knie schaukelte, warf ein:

»Keiner von uns kennt die Möglichkeiten der Kalackter genau. Bisher wissen wir, wie sie die TAUPRIN zerstört haben und SOHN und TOCHTER. Vielleicht verstehen sie es, Sonnenfinsternisse, Blitzschlag und Gewitter zu entfesseln und die harmlosen Vierbeiner auf uns zu hetzen. Ich setze dies voraus!«

Atlan wußte selbst nicht, woher diese Idee kam. Aber er sagte:

»Wir haben unsere Funkgeräte! Jeder ver-sucht, sich zu verstecken. Iray und ich gehen zu einem Eingeborenenstamm. Dort sind wir vielleicht in Sicherheit!«

Federspiel blieb sachlich und schwenkte

seinen Arm. Er deutete auf die Iglus und so-mit auf den gesamten Besitz der Solaner, auf die Funkgeräte ebenso wie auf die Nah-rungsmittelvorräte und die gerettete techni-sche Ausrüstung.

Vom Wrack her ertönten wieder die alar-mierenden Geräusche. In das dumpfe Häm-mern mischte sich ein neuer, nicht weniger gefährlicher Ton. Es war wie eine schnellau-fende Säge, die sich durch Metall fraß. Die Geräusche kamen näher. Unter dem Hügel flüchtete eine Gruppe Eingeborener auf den nächsten Wald zu.

»Auseinander, Freunde!« sagte Atlan scharf. »Es wird ernst.«

In Gruppen von je zwei oder drei Personen huschten die Solaner auseinander. Das Lager war fast geräumt. Treffpunkte und besondere Vorsichtsmaßregeln waren längst verabredet. Die Solaner versuchten, von den schweben-den Wesen nicht gesehen zu werden. Sie blie-ben in der Deckung der Bäume und der Bü-sche, sprangen von Felsen zu Felsen und suchten die einzelnen Verstecke auf.

Atlan nahm Iray an der Hand, schaltete das Flugaggregat ein und schwebte einige Hand-breit über dem Gras den Hügel hinunter. Auch er blieb im Sichtschatten der Stämme, Kronen und der Felsen. Der Schatten einer Baumreihe nahm die zwei Solaner auf.

Am Fuß des Hügels hielten sie an, schwan-gen herum und blickten in die Richtung, aus der die rasenden Geräusche kamen.

Die Kalackter suchten ihre Gegner! Sie schienen kein Risiko eingehen zu wol-

len. Das Schiff hatte sich in eine unförmige Metallmasse verwandelt und war von den Unsichtbaren tief in den Boden geschlagen worden. Jetzt vernichteten sie in einer breiten Front von nicht weniger als einem Kilometer sämtliche Gewächse. Das schauerlich grelle Sägen schwoll an, und sämtliche Gewächse verwandelten sich in kleine Bruchstücke, die wie eine grüne Walze hochwirbelten und zu Boden sanken. Etwa tausend Meter vom Kopf des Schwanenschiffs entfernt, in die direkte Richtung auf den fernen Hügel, erstreckte sich eine verwüstete Fläche. Sie war dick mit den zerfetzten Blättern, Ranken und dem Holz der Gewächse bedeckt. Wieder blieben die Kalackter unsichtbar – ihre Zerstörungen wa-

36

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL ren es nicht.

»Sie sind brutal und rücksichtslos!« sagte Atlan und schüttelte fassungslos den Kopf. Iray blickte starr auf das Werk der Vernich-tung, das sich langsam auf den Hügel zu ent-wickelte. Ein plötzlicher Windstoß wirbelte eine ungeheure Menge Holzstückchen und Blattreste in die Höhe und formte eine schlauchartige Wolke, die bald wieder zu-sammenfiel.

»Das Wild flüchtet«, sagte Iray. »Es wird nicht mehr zurückkommen, denn Buschwerk und Wälder sind für alle Zeit vernichtet.«

»Das bedeutet, daß auch die Uhzwutzer heimatlos werden!« meinte der Arkonide. »Dieser verdammte Anti-Homunk!«

Sie schwebten langsam weiter, zwischen mächtigen Bäumen, einen natürlichen Wall entlang, in südliche Richtung.

Hinter ihnen blieben der Lärm und die Zei-chen der Zerstörung zurück.

Erst, als sie sicher sein konnten, von der Umgebung des Schiffes aus nicht mehr gese-hen zu werden, gingen sie auf größere Flug-höhe. Das Heulen und Kreischen der unbe-kannten Vernichtungsenergie verschmolz mit den anderen Hintergrundgeräuschen über der Savanne. Leere Zonen und einzelne Wälder wechselten miteinander ab, das Sonnenlicht verwandelte die Oberfläche des Sees in einen riesigen Spiegel.

»Dort! Die Tiere! Bis hierher ist die Panik nicht gelangt!« sagte der Arkonide und deute-te auf eine Waldzone, die sich um eine kleine Bucht des Sees schmiegte. Hier jagten die Uhzwutzer, als sei nichts geschehen. Am Strand sahen die Solaner einfache Hütten, zum Teil auf vielen dünnen, weiß gebleichten Pfählen. Zwischen ihnen bewegten sich Ein-geborene. Andere paddelten auf kleinen Flö-ßen auf dem See und schossen Fische. Iray deutete darauf und rief:

»Unser Ziel. Hoffentlich fürchten sie sich nicht vor uns.«

»Ich vertraue darauf, was ihnen die TAUPRIN gesagt hat!«

Vorsichtig flogen Atlan und Tyari näher heran, umrundeten langsam den kleinen Wald und gingen tiefer. Aus dem Wald trabte eine kleine Gruppe Uhzwutzer mit farbigen Mäh-nen. Sie winkten mit ihren langen Armen, in

denen sie Waffen hielten. Atlan lächelte kurz. »Du hast recht. Hoffentlich hat Tyari den

Translator richtig programmiert.« Die Eingeborenen galoppierten in einem of-

fenen Halbkreis auf die Stelle zu, an der Iray und Atlan landeten. Das Summen der Aggre-gate hörte auf. Die schweren Rucksäcke bei-der Solaner drückten plötzlich.

Atlan aktivierte den Translator, der vor Stunden von Tyari so gut wie möglich in der drängenden Eile programmiert worden war. Dann sagte er:

»Wir sind nicht die Kalackter. Wir werden von diesen bekämpft.«

In einer vokalreichen, schnellen Sprache antworteten fast schnatternd drei Eingebore-ne. Der Apparat übersetzte ihre Antwort kei-neswegs flüssig.

»Woher seid ihr?« Iray sagte es langsam und hörte die Über-

setzung. Die braunen und dunkelgrünen Felle der Eingeborenen rochen streng nach kaltem Rauch, nach ranzigem Fett und feuchtem Wasser. Die großen, flinken Augen waren erstaunlich menschlich; die Ohren bewegten sich und richteten sich immer wieder nach vorn.

»Wir müssen uns vor den Kalacktern ver-stecken.«

»Sie sind überall. Wir spüren sie manch-mal.«

»Sie sind nicht immer unsichtbar.« »Wenn sie uns erschrecken wollen, zeigen

sie sich.« »Kommen sie oft hierher?« »Nein. Nicht oft.« Die Fremden und die Eingeborenen starrten

einander an. Die Uhzwutzer sahen unbe-schreiblich wild und kräftig aus. Ihre raub-tierhaft schnellen Bewegungen wirkten ge-fährlich. Sie vibrierten förmlich vor Spannung und innerer Unruhe. Aber sie schienen die beiden Solaner, die ihnen körperlich zweifel-los unterlegen waren, für willkommene Besu-cher zu halten. Derjenige, in dessen Mähne mindestens fünfundzwanzig große Knochen eingeflochten waren, sagte schließlich:

»Ich bin Dork. Ich bin vom Stamm der Wasserrandjäger. Kommt zu uns. Wir kämp-fen mit euch.«

»Ihr sollt uns nur verstecken. Nicht kämp-

37

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL fen.«

»Kommt.« Sie brachten Iray und Atlan zum Rand des

Waldes. Ein schmaler Pfad führte in den Schatten hinein. Die Eingeborenen bildeten eine lange Kette und rasselten mit ihren Waf-fen.

»Ihr seid viele!« »Wir verstecken uns in vielen Gruppen.« »Wir wissen es.« »Woher?« »Hört ihr nicht in der Nacht die Vögel?« »Vögel?« »Wie sprecht ihr, wenn viel Land zwischen

euch ist?« »Wir haben kleine Dinge, die wir aus unse-

rer Heimat mitgebracht haben«, sagte Atlan. »Ihr schickt Vögel hin und her?«

»Wir schreiben Zeichen auf Lederstücke und binden sie an die Beine von Vögeln.«

»Ich verstehe.« Der Wald wurde schnell durchquert.

Zweimal führte der Pfad über einen schmalen Wasserlauf. Ein Zeichen dafür, daß die Jäger bereits eine höhere Kulturstufe erreicht hatten, bildete die einfache, aber stabil gebaute Brü-cke aus Holz, mit Lianen und Lederschnüren zusammengebunden. Briefvögel, die Zeichen trugen, Brücken, Pfahlbauten ... die Uhzwut-zer konnten kaum als primitiv bezeichnet werden.

»Wie lange bleibt ihr? So lange wie die Ka-lackter, das Weißsäulenvolk?«

Atlan lachte kurz und sagte zu Dork: »Hoffentlich nur einige Hell-

Dunkelwechsel.« Der Pfad verbreiterte sich, eine Lichtung

schob sich auseinander, und die Rückseiten der Hütten wurden sichtbar. Weibliche Uhzwutzer und Kinder blickten den Solanern entgegen oder rannten neugierig auf sie zu. Iray wandte sich an Atlan und warf ein:

»Sollten die Kalackter uns verfolgen, wer-den sie sich an diesen unschuldigen Wesen rächen.«

»In diesem Fall fliehen wir von hier!« ver-sicherte er. »Wir bringen sie nicht in Gefahr.«

Shorg, einer der älteren Jäger, rief einige Befehle.

Die etwa fünfzig, sechzig Bewohner der Siedlung bildeten eine schmale Gasse. Ihre

Neugierde war unverkennbar. Die Kinder benahmen sich wie alle jungen Wesen; aufge-regt und tolpatschig liefen sie zwischen die Beine der Solaner und ließen die Jäger stol-pern. Die Vorstellung von Gastfreundschaft schien zu verlangen, daß man den Fremden eine Hütte gab. Am Rand des von Knochen und Abfällen übersäten Platzes erhob sie sich, ein wenig verfallen, über das Wasser vor-springend. Shorg und Dork schoben die Sola-ner auf eine breite, geflochtene Rampe aus Holz zu. Sie war für die Raubtierfüße der Uhzwutzer gebaut.

»Geht hinauf. Entspannt eure Muskeln. Am Feuer findet sich Fisch oder Braten für euch.«

»Danke. Warnt uns, wenn ihr Kalackter spürt.«

Sie kletterten hinauf, warfen ihr Gepäck zu Boden und setzten sich. Iray lehnte sich schwer gegen Atlans Schulter, blickte hinaus aufs Wasser und sah einer Floßbesatzung zu, die zappelnde Fische mit langen Speeren aus dem See zog.

»Ich fühle mich sicher. Aber es ist eine fal-sche Sicherheit.«

Atlan nickte und schaute auf die Uhr. Daß sich keiner der anderen über die Minikomver-bindung gemeldet hatte, war ein gutes Zei-chen. Offensichtlich hatten die Kalackter kei-ne der Gruppen gefunden. Die schakalköpfi-gen Fischer ruderten das Floß an den Strand.

»Wir merken es rechtzeitig«, sagte Atlan, dem bei dem Gedanken, daß unsichtbare ka-lacktische Späher durch die Luft flogen, nicht wohl war. Noch waren es rund acht Stunden bis zur völligen Dunkelheit. Er öffnete sein Gepäck und stapelte ein paar Rationen auf den Boden der Hütte. Er bestand aus festem, wie poliert wirkendem Lehm.

»Also! Warten wir!« sagte er, riß eine Dose auf und reichte sie Iray.

Die folgenden Stunden vergingen langsam und ereignislos. Nur noch wenige Uhzwutzer kümmerten sich um die Fremden. Ein paar neugierige Kinder liefen die Rampe hinauf, betasteten neugierig alles und stellten Fragen. Die Riegel der Notrationen stellten für sie unbegreifbare Delikatessen dar. Mitten in dem stockenden Gespräch mit einer jungen Fischerin summte der Minikom.

Sie machte einen Satz, packte ihr Kleines

38

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL und raste wie eine erschreckte Katze schnat-ternd die Rampe hinunter.

Atlan drückte den Kontakt und meldete sich.

»Hier Federspiel. Atlan! Ich habe schwa-chen Kontakt mit Bjo!«

Atlan fühlte, wie sein Herz einen rasenden Wirbel schlug. Er zwang sich, ruhig zu fra-gen:

»Sprich! Was ist los? Kommt er?« »Er weiß, wo wir sind, denn ich habe es

ihm so gut wie möglich erklärt. Er hat seine Schwierigkeiten, denn ihm werfen sich die-selben Abwehrfelder entgegen, von denen die TAUPRIN ramponiert wurde. Es kann Tage und Wochen dauern, bis er hier ist.«

»Verdammt. Also auch Probleme mit der Dunkelzone. Hast du ihn vor den Feldern ge-warnt?«

»Darüber weiß er ebenso viel wie wir?« »Und ihr im Versteck? Schwierigkeiten?« »Nein. Zweimal kamen Kalackter vorbei

und zerfetzten die Bäume unmittelbar vor unserer Höhle. Ich habe von keinen Zwi-schenfällen gehört.«

»Ausgezeichnet«, sagte Atlan. »Schalten wir ab. Vielleicht können sie uns auf diesem Weg orten.«

»Verstanden. Nächste planmäßige Meldung um Mitternacht.«

»Danke. Ende.« Iray hatte mitgehört. Sie legte das Flugag-

gregat ab und sah in Federspiels Meldung eine Bestätigung dafür, daß sie Ruhe vor den Verfolgern hatten. Als zwischen den Hütten das erste Feuer angezündet wurde, gingen Atlan und Iray hinunter und probierten von den gebratenen Fischen und dem langfaseri-gen Fleisch, das die Eingeborenen mit grauem Salz und grünen Kräutern würzten.

Die Kinder wurden müde, eine träge, dumpfe Mattigkeit legte sich über die Hand-voll Hütten. Das brennende Holz knackte un-natürlich laut. Nach und nach verschwanden die Uhzwutzer in ihren Hütten. Aber sie ach-teten sorgsam auf alle ihre Waffen. Schließ-lich winkten auch die Solaner dankbar in die Runde und kletterten hinauf zu ihrem Schlaf-platz. Atlan befahl seinem Extrasinn, ihn auf jeden Fall gegen Mitternacht zu wecken.

Zwei Decken übereinander waren ihre ein-

zige Unterlage. Atlan nahm Iray in die Arme und hoffte, daß die zwei Beiboote bald landen würden, ohne von den Kalacktern behelligt zu werden.

Mitten in der Nacht, bei völliger Dunkel-heit, wachte er auf. Er blinzelte, kam vollends zu sich und sah durch die Ritzen im Flecht-werk der Wände ein grelles Licht.

Er schob Irays Arme zur Seite und kroch zum Eingang. Über dem See bewegten sich grelle Lichter. Sie spiegelten sich im stillen Wasser.

Sichtbare Kalackter! rief der Extrasinn. Atlan starrte sie schweigend an. Etwa drei

Dutzend jener Ovale schwebten hochkant mitten über dem See, keine dreihundert Meter entfernt. Sie kamen langsam näher und san-ken tiefer. Als sie die leicht gekräuselte Ober-fläche fast berührten, ertönte schlagartig wie-der das bekannte, gefürchtete Geräusch, die-ses kreischende Heulen. Eine hohe Wasser-wand entstand, eine Reihe von ineinander-greifenden riesigen Fontänen, durch die das Licht der Schutzfelder strahlte.

Binnen Sekunden verwandelten sich die Fontänen in eine heranrollende Riesenwelle. Sie leuchtete schreckerregend auf und schob sich kreischend und rauchend näher heran. Dann zerriß sie in mehrere Teile. Im Wald hinter den Hütten und in dem kleinen Dorf brach ein Chaos aus. Die Uhzwutzer flüchte-ten in rasender Eile Hals über Kopf. Neben Atlan richtete sich Iray auf und rief voller Angst:

»Ist das wegen unserer Anwesenheit?« »Nein, ich glaube es nicht. Sie wollen uns

aufstöbern!« »Ausgerechnet hier?« »Sie denken, daß wir zu den Eingeborenen

geflohen sind.« Das hochgewirbelte Wasser kochte und

verdampfte. Schleier wurden in die Höhe ge-rissen und breiteten sich aus. In der großen Wand erschienen senkrechte Schlitze. Noch hundert Meter bis zum Ufer! Das Kreischen nahm an Lautstärke zu, ein Hagel von Trop-fen ging über den Strand und die Dächer nie-der. Rechts und links der Hütte, in der Atlan und Iray kauerten und nach den Waffen und den Flugaggregaten tasteten, fegten die Was-sermassen vorbei, rissen das Dach herunter

39

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL und das Laub und kleine Äste von den Bäu-men. Die Hütte zitterte und schwankte, dann waren die erhellten Wassermassen und der Lärm vorbei und verwüsteten den Wald.

Mit einem donnernden Geräusch fiel die Wassersäule zusammen und riß die benach-barte Hütte zu Boden.

»Weg von hier!« rief Atlan und wischte sich das Wasser aus dem Haar und dem Ge-sicht. »Halt! Federspiel ruft uns in ein paar Minuten.«

»Wir brauchen Licht.« Atlan fand eine winzige Lampe, schaltete

sie ein und legte sie so ab, daß ihr Licht von einem hellen Teil der Ausrüstung reflektiert wurde. Sie brachten ihre Einsatzanzüge in Ordnung, packten zusammen und schnallten die Aggregate auf den Rücken.

»Wohin?« fragte Iray. Atlan schaltete den Minikom ein und brummte dabei:

»Das sprechen wir ab.« Die Lichterscheinungen und der höllische

Radau erstarben in der Entfernung. Atlan flüs-terte scharf in das Gerät:

»Federspiel! Hört ihr mich?« Nach einigen Sekunden ertönte die müde

Stimme des Telepathen. »Ich höre dich. Von überall stelle ich auf-

geregte Aktivitäten der Kalackter fest. Sie schwirren herum, leuchten und erschrecken uns alle. Die Uhzwutzer galoppieren blind durch die Landschaft. Und bei euch?«

Atlan schilderte, was vorgefallen war. Dann sagte er:

»Ich denke, wir schaffen es, uns bis zum Morgengrauen zu verstecken. Wir treffen uns in deiner Höhle. Neues von Bjo?«

»Nein. Er ist unterwegs hierher.« »Verstanden.« Iray knipste die winzige Lampe aus. Toten-

stille herrschte an dem verwüsteten Uferstrei-fen. Atlan richtete sich auf und warf einen langen Blick in die Runde. Es gab keinen wei-teren Hinweis auf einen Angriff der Kalack-ter. Schließlich fragte Iray:

»Bleiben wir hier, oder suchen wir ein neu-es Versteck?«

»Ich bin dafür, zu verschwinden. Aber es ist so dunkel, daß wir nicht sehen, wohin wir fliegen. Es ist mir zu gefährlich – nicht einmal Mondlicht. Und mit eingeschaltetem Schein-

werfer locken wir die Unsichtbaren an.« »Gehen wir trotzdem von hier weg!« bat

sie. Atlan murmelte: »Meinetwegen.« Sie ließen nur die nassen, schweren Decken

zurück, als sie senkrecht von der Plattform des zerstörten Holzhauses hochstiegen und langsam, weit über den zerzausten Baumwip-feln, in nördliche Richtung flogen. Es war nicht total finster; der Himmel, der Boden und die Gewächse konnten undeutlich voneinan-der unterschieden werden. Immerhin, sagte sich Atlan, die FARTULOON und die CHYBRAIN würden in absehbarer Zeit lan-den. Sie ließen den See und den Wald hinter sich und flogen geradeaus. Iray glitt durch die Dunkelheit weiter von Atlan weg, hielt sich auf gleicher Höhe und lauschte immer wieder auf das Summen von Atlans Flugaggregat. »Geradeaus!« sagte Atlan scharf. Dort, wo das Wrack lag, über dem Hügel, erschienen kleine, scharfe Lichter. Sie rasten auf das Ge-biet der Felsspalten zu. Atlan und Iray brems-ten sofort ab und schwebten aufeinander zu. Von Westen rasten weitere senkrecht stehen-de Ovale heran und vereinigten sich mit der anderen Lichterkette. Im Verlauf von wenigen Minuten bildeten die Kalackter eine langge-zogene Reihe strahlender Ellipsen, unter de-nen die Landschaft zum Leben erwachte. At-lan driftete mit Iray auf einen einzeln stehen-den Baum zu, hielt sich an einem Ast fest und starrte hinüber.

Die Kette riß auf, die Kalackter bildeten einzelne Gruppen, änderten ständig ihre Rich-tung, die Flughöhe und die Geschwindigkeit. Sie kamen näher, schwenkten wieder ab und verschwanden. Hin und wieder schien es, als ob sie ihre leuchtenden Schutzsphären ab-schalteten und wieder unsichtbar Jagd mach-ten. Das hammerartige Donnern war hinter den Wäldern zu hören, dann setzte wieder das Kreischen ein, riß wieder ab – die Geräusche tobten über der mitternächtlichen Savanne in voller Lautstärke hin und her.

Über den Baum rasten mit hohlem Rau-schen die Unsichtbaren hinweg. Der Luftzug riß und zerrte an Atlan und an dem Ast. Er glaubte, durch das aufgeregte Zwitschern und Kreischen der aufgescheuchten Vögel einen Schrei zu hören.

40

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

Er duckte sich zwischen die Zweige und kletterte mit ausgeschaltetem Aggregat einen Ast entlang, als schräg über ihm mehrere Ka-lackter die Sphären wieder zum Aufleuchten brachten.

Kümmere dich um Iray! fauchte das Extra-hirn.

Atlan fuhr herum, verlor fast den Halt und klammerte sich am Stamm fest. Die strahlen-den Unsichtbaren verschwanden. Dann heul-ten wieder einige der Sphäroide über den Baum hinweg, in östliche Richtung. Die Lich-terkette im Norden war nicht mehr zu sehen. Nur noch das sägeartige Heulen kam aus dem Osten.

Atlan aktivierte das Gerät, stieg aus dem Blattwerk auf und blickte sich ratlos um. Iray war verschwunden. Die Unsichtbaren hatten wieder zugeschlagen und Iray entführt. Das jedenfalls war seine sichere Meinung. Wenn sie entführt worden war, dann wußte er, an welchen Ort. »Und dort hole ich sie heraus!« sagte er in plötzlich aufflammendem wildem Zorn.

*

Whyburins letzte Meldungen und die Schil-

derungen des Vorgehens erfüllte den Beob-achter mit Schrecken.

Jetzt erfuhr das Wesen, das sich als Anti-Homunk begriff, was auf dem Bollwerkplane-ten, der Heimat der vierfüßigen Uhzwutzer, vor sich ging. Anti-Homunk raste vor Wut.

Seine Wut wurde noch größer, als er erken-nen mußte, daß Whyburin und dessen vorpro-grammierte Artgenossen genau das unter-nahmen, was ihnen verboten war. Sie handel-ten entgegen dem Befehl von Anti-ES!

Sie mußten sofort aufhören! Von Anti-ES hatte Anti-Homunk den aus-

drücklichen Befehl, die SOL ins Zentrum von Xiinx-Markant zu locken. Atlan mit dem Schwanenschiff und den beiden Beibooten bildete die Vorhut der SOL, ein Späherkom-mando. Wut verwandelte sich in Furcht und Angst, zu versagen und den Anforderungen nicht mehr zu genügen.

Anti-Homunk stellte sofort eine Verbin-dung zu Whyburin her.

Es war schon schlimm genug, daß er das

Manifest C nicht mehr beeinflussen konnte. Dieses Manifest beherrschte SENECA und somit die SOL. Manifest J war von den Ka-lacktern zerstört worden und hatte die Freiheit wiedergewonnen.

Versagen! Hilflosigkeit! Chaos an der fal-schen Stelle und zur unrechten Zeit!

Es geschah präzise all das, was Anti-ES nicht wollte.

Anti-Homunk dachte nicht im entferntesten daran, gegen seinen Herrn zu agieren. Er würde gehorchen, wie stets. Er dachte nach und erteilte dann Whyburin den Auftrag, die Kalackter anzuweisen.

Der Befehl: Die Vorhut der SOL – alle Solaner und die

beiden Schiffe – waren ab sofort tabu. Kein Angriff mehr!

Ihr Weg ins Zentrum von Xiinx-Markant durfte nicht mehr behindert werden. Schauer-liche Konsequenzen drohten für alle Werk-zeuge von Anti-ES. Aus der Furcht und der Angst wurde Ratlosigkeit über die Vorgänge, die in naher Zukunft abliefen.

Die Solaner unter Atlan waren als Faktor der Berechnung schwierig zu handhaben. Sie verhielten sich irrational und emotional. Das erschwerte jeden weiteren Zug.

Die Befehle von Anti-Homunk würden schnell befolgt werden.

*

Federspiel und Sanny kannten den Ge-

sichtsausdruck des Arkoniden und wußten, wie seine Stimmung war.

Entschlossen und voller Härte blickte er un-ter dem überhängenden Felsen aus der Höhle und sah dann auf das Kombiinstrument am Handgelenk.

»Wir schreiben den ersten Dezember«, sag-te er. »Zu viert werden wir es schaffen, Tyari? Wir müssen Iray zurückholen.«

»Ich bin dabei«, sagte sie kurz. Auch Gar-rett und Nockemann nickten. In den letzten Stunden der Nacht, nach einer langen ver-zweifelten Suche, war Atlan in der Höhle Fe-derspiels und Sannys eingetroffen, hatte in aller Eile etwas gegessen und eine Stunde geschlafen. Während dieser Zeit hatten sich seine Freunde aus den Verstecken hervorge-

41

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL wagt – nicht alle.

»Mit voller Ausrüstung. Wir dringen in die unterplanetarische Anlage ein!« schlug Gar-rett vor. »Den Weg und den Einstieg kennen wir inzwischen.«

»Und auch die Art, wie die Kalackter zu bekämpfen sind.«

Im Osten zeigte sich die erste Helligkeit. Die Raumfahrer testeten die Anzüge durch, sahen die Waffen nach und ergänzten Ausrüs-tungsteile aus dem wenigen Gepäck. Bei der Flucht war vieles verlorengegangen; Sanny sah schaudernd, wie Ersatzmagazine die Ta-schen ausbeulten und die verschiedenen Gra-naten die Gürtel herunterzogen. Tyari hob die Hand, warf Atlan, Garrett und Nockemann einen fragenden Blick zu und nickte.

Sie starteten von dem kleinen, von Fußab-drücken übersäten Sandplateau vor der nied-rigen Höhle, schalteten die Aggregate auf hohe Geschwindigkeit und jagten nach Osten davon, auf die Schlucht zu.

Atlan war der erste, der den Helm des Raumanzugs schloß und die Funkgeräte akti-vierte.

Als sie das Wrack der TOCHTER überflo-gen, hatten auch die anderen die Helme ge-schlossen.

Atlan bestimmte: »Wir stoßen so schnell und so weit wie

möglich vor. Einverstanden?« »Alles klar, Atlan.« Tyari verzichtete auf ironische Bemerkun-

gen, was Atlan dankbar vermerkte. Die Ein-stiegsschleuse war noch nicht instand gesetzt worden. Die schweren Waffen schwangen herum und legten sich in die Ellenbeuge der rechten Arme. Finger entsicherten die Projek-toren und legten sich auf die Abzüge.

Nacheinander, Atlan an der Spitze, schwangen sich die Raumfahrer über die Kan-te des Rahmens. Lautlos sanken sie etwa fünfundzwanzig Meter weit durch einen Schacht abwärts. Sämtliche Einrichtungen trugen die schweren Spuren der Zerstörung. Keiner von ihnen wußte, ob sich ihnen die Unsichtbaren entgegenwerfen würden – oder ob sie in ihren eigenen Räumen sogar sichtbar waren.

Vor ihnen lag die lange, schräge Rampe. Wenige noch intakte Beleuchtungskörper ver-

strömten ein blaues, schmerzendes Licht. Wie große, unbewegliche Vögel ebenso schnell, schossen die vier Eindringlinge etwa fünf-hundert Meter weit in einem Winkel von fünfundfünfzig Grad abwärts. Dann hielt sie eine Energiesperre auf.

»Überlastungsfeuer auf die Projektorenan-sätze!« sagte Tyari kurz und schoß. Aus vier schweren Waffen schlugen donnernde Glut-strahlen in die schmalen Falten zwischen dem Fels. Blitze schlugen über das federnde Feld, die Projektoren in den Wänden begannen zu schmelzen. Mit einem donnernden Krach lös-te sich die Sperre auf. Mit der Linken steu-ernd, schwebten die Solaner weiter, jetzt ei-nen fast waagrechten Korridor entlang.

»Noch immer keine Gegenwehr!« stellte Hage verwundert fest. Tyari knurrte halblaut: »Vielleicht schlafen sie.«

Der Korridor endete in einer würfelförmi-gen Höhle. Das Fehlen von Treppen oder Rampen bewies, daß die normale Fortbewe-gungsart der Kalackter das Schweben war. Auf dem Boden der Höhle standen zahllose Geräte, die ausnahmslos auf säulenartigen Postamenten standen.

»Hinunter.« Sie schwangen sich in den freien Raum.

Von jeder der vier Seiten zweigten jeweils mehr als zwanzig Stollen ab. Alle, bis auf zwei Ausnahmen, waren von dem zuckenden, intensiven blauen Licht erfüllt, mit einem einzigen Schwung landeten die Eindringlinge auf dem Boden. Sie sanken auf den letzten zwanzig Metern durch eine dünne Nebel-schicht, und als sie die Köpfe hoben, sahen sie sich in eine erstaunliche Umgebung ver-setzt.

»Das Weltall! Ein Modell des Emtau-Systems«, erklärte Tyari. »Kein Zweifel.«

Aus einem brodelnden Nebel ragten die Bedienungspulte der Geräte hervor. Über ih-nen schwebten entlang haarfeiner roter Linien die Symbole der Planeten, im Zentrum der Ringe stand die Sonne; ein winziger Leucht-körper. Zwischen den Planeten sowie den zahllosen Trümmern von mehreren zerbro-chenen Riesenkugeln auch außerhalb des Sys-tems schwebten Fragmente einer transparen-ten Materie.

Fast ehrfürchtig sagte Hage:

42

ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

»Bei der SOL! Atlan! Das sind die unsicht-baren Sperren!«

»Du hast recht. In diesem Fall handelt es sich bei den Pulten um die Bedienungsgeräte. Wir zerstören sie!«

»Seht ihr die Impulse der Beiboote?« Die Solaner versuchten etwas zu erkennen,

als sie sich verteilten und durch den Bühnen-effekt-Nebel wateten. Die Oberflächen der Pulte waren etwa drei Meter vom Boden ent-fernt. Die Raumfahrer nahmen die Explosiv-körper heraus, wählten unterschiedliche Zei-ten im Bereich von hundertzwanzig bis drei-hundert Sekunden vor und bemühten sich, an jedem Pult einen Explosivsatz anzubringen.

Es waren etwa dreißig Pulte. Die Arbeit dauerte nicht lange, dann ordnete Atlan an:

»Wir suchen Iray. Irgendwo hier ist sie. Rätselhaft, daß sich die Kalackter nicht weh-ren ...«

»Sie haben uns zweifellos entdeckt«, mein-te Garrett und riß die Folie von dem Haftele-ment seiner letzten Bombe. »Aufwärts?«

»Wohin sonst?« Sie schwebten durch die Teile der Projekti-

on, dann hielten sie in der Höhe der untersten Querstollen an, schwebten auseinander und näherten sich den einzelnen Eingängen. Atlan schaltete den Außenlautsprecher und die Mik-ros ein, drehte den Regler auf Maximum und brüllte:

»Iray? Barleona! Melde dich!« Es gab ein dröhnendes Echo. Die Raumfahrer suchten und lauschten. Die Gänge, etwa vier auf vier Meter groß, schienen sich endlos tief in den Fels hinein zu erstrecken und waren leer bis auf die langen Ketten der Beleuchtung. Gar-rett drängte:

»Neunzig Sekunden, Freunde.« Atlan und Tyari feuerten in die Korridore

hinein und stiegen langsam höher. Noch im-mer zeigte sich kein einziger Kalackter. Plötz-lich gab es eine Lichterscheinung, ein Schuß dröhnte auf.

»Hat von euch jemand geschossen?« schrie Atlan. Die Solaner verneinten. Er hatte gese-hen, wie rechts oben der charakteristische Einschlag eines Blasters in den Fels getroffen hatte. Also raste er schräg aufwärts nach links, beschrieb einen Zickzackkurs und sah, winzig klein am Ende eines der obersten Kor-

ridore, eine Gestalt auf die Höhle zulaufen. »Ich habe Iray gesehen. Hierher, hinter mir

nach«, rief er, schoß in den Stollen hinein und jagte ihr entgegen. Nach fünfzehn Sekunden gab es die erste, donnernde Explosion. Der Lichtschein durchdrang mühelos die Nebel-schicht der Tarnung. Dicht vor Iray bremste Atlan, berührte den Boden und sah, daß Iray nur noch den offenen Raumanzug und einen Strahler trug.

»Sie haben mich ausgeplündert, während des Fluges ...«, begann sie. Atlan bückte sich, warf sie über seine Schulter und legte ihre Hände vor dem Halsteil des Anzugs überein-ander. Dann flog er los und rief über die Au-ßenlautsprecher:

»Es muß schnell gehen. Alles andere dort draußen.«

Garrett und Tyari warteten bereits, sicher-ten Iray und folgten Hage, der ihnen winkte und vor ihnen durch den Eingangsstollen schwebte. Nacheinander, in Zehnsekundenab-ständen, ging eine Granate nach der anderen los. Die Detonationen und die Druckwellen wurden immer leiser und schwächer, und die Raumfahrer schoben sich aus der Öffnung und rasten über die Schlucht hinweg zum Hü-gel.

Etwa über den ersten hundert Metern der Savanne meldete sich Federspiel über Funk und sagte, daß der Kontakt mit Bjo kristall-klar sei. Die Hindernisse wären verschwun-den, und in einer Stunde würde die CHYBRAIN vor dem Hügel landen.

*

Noch im Raumanzug, stand Atlan in der

Zentrale und blickte, während das Schiff star-tete, auf die Bildschirme. Aus dem rechtecki-gen Loch in der Felswand quoll eine dunkle Rauchfahne. Die Kalackter hatten die Ver-nichtung ihrer Schaltstation teilnahmslos hin-genommen. Die Beiboote verließen die Welt der Uhzwutzer, und kaum eine einzige Frage war beantwortet worden.

»Kurs liegt an, Atlan«, sagte Uster Brick. »Zum Zentrum von Xiinx-Markant.«

Die Einschiffung der Gestrandeten war blitzschnell vor sich gegangen. Aber der Ar-konide hatte keine Ruhe, ehe nicht eine ge-

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL bührende Entfernung zur Sonne Emtau zu-rückgelegt war. Neben ihm stand Tyari, be-trachtete die Projektion des Kursrechners und sagte:

»Elf Lichtjahre weit. Ich spüre die Quelle, und ich hoffe, du glaubst mir, daß ich es ehr-lich meine. Dorther kommt der Leitstrahl für die Strahlung, mit der die Mental-Relais ar-beiten. Sie nehmen sie auf, verstärken sie und strahlen sie ab. Dorthin müssen wir.«

»Ich will ins Zentrum!« beharrte er. »Aber du siehst, daß unser Kurs an deinen Koordina-ten knapp vorbei geht.«

»Knapp? Du umfliegst diesen Punkt!« sagte sie und deutete auf die Darstellung. Sie er-kannte, daß Atlan sie in dieser Beziehung nicht ernst genug nahm. Ihre Vermutung traf fast zu: Atlan, dessen Schock, Iray verloren zu haben, noch nicht vorbei war, meinte, sie wolle ihn erneut für sich gewinnen oder dach-te an ähnliche Intrigen. Er merkte genau, daß sie ihn zu dieser Strahlenquelle dirigieren wollte. Wenig logisch erwiderte er:

»Etwa in neunundachtzig Tagen rast die SOL ins Verderben. Wir werden zu tun ha-ben, Erfrin, das Manifest C, unschädlich zu machen.«

»Darf ich etwas sagen?« Sanny, von den Strapazen gezeichnet, hob

aus der Tiefe des Sessels einen Arm. »Ja, natürlich«, murmelte Atlan und sehnte

sich nach Ruhe und Zweisamkeit in seiner vertrauten Kabine. Er blickte die Molaatin, der er immerhin den Erfolg im Kampf gegen Hidden-X zu verdanken hatte, irritiert an.

»Glaube an Tyaris Koordinaten. Ich habe es nachgerechnet. Es ist der richtige Weg, wenn wir uns zuerst um diese Strahlungsquelle kümmern. Und es wird uns nicht lange auf-halten. Kein Umweg, Arkonide.«

Atlan stieß einen lautlosen Fluch aus und beharrte:

»Mein Ziel ist das Zentrum.« Noch immer ruhig und bestimmt, mit einem

reizenden Lächeln, entgegnete Sanny: »Würdest du denn Kik glauben, wenn er es

dir bestätigte?« Atlan zuckte in der nächsten Sekunde zu-

sammen, als habe ihn ein Peitschenhieb ge-troffen.

Dort, wo Sanny saß, verschwamm die Wirklichkeit für einige Sekunden. Im Sessel hockte jener seesternähnliche Kik mit flam-mend rotem Haar und fünf Gliedmaßen in auffälligem Dunkelbraun. Sein Paar großer Augen starrte den Arkoniden – kein anderer Eindruck war möglich – warnend an, dann zwinkerte er. Sofort war er verschwunden. Sanny saß wieder da und lächelte unschuldig.

Oder war es nur ein Sekundenbruchteil ge-wesen? Atlan war völlig verwirrt. Sein Extra-sinn wies ihn an:

Vertraue den Zeichen. Du ahnst, daß Tyaris Telepathie anderen Gesetzmäßigkeiten ge-horcht. Wenn Tyari dir schaden wollte, hätte sie bessere Gelegenheiten gehabt!

»Meinetwegen«, grollte Atlan und fügte, wesentlich lauter, aber ebenso widerwillig hinzu:

»Uster! Ich beuge mich der Einsicht. Wir steuern also diese mysteriöse Strahlenquelle an. Und mich laßt bis dorthin in Ruhe, ja!«

»Gern«, antwortete Tyari gedehnt. »Späte Einsicht, aber immerhin. Versuche, mich zu vergessen, wenn du mit Iray allein bist!«

Dann lachte sie schallend. Atlan verließ mit dem letzten Rest Beherr-

schung die Zentrale. Seine einzigen Gedanken waren bei Iray. Aber während er durch die leeren Korridore ging, die Verbindungen des Raumanzugs löste, merkte er, wie sich ein Impuls in sein Bewußtsein tastete, aus unend-licher Ferne und mehr als vage – mehr ein verirrter Gedanke als eine gezielte, versuchte Kontaktnahme.

Kann es Wöbbeking-Nar’Bon sein? fragte behutsam der Logiksektor.

Atlan hob die Schultern. Im Augenblick war es ihm gleichgültig. Er verschob alles Nachdenken auf einen späteren Zeitpunkt. Er sehnte sich nach Irays Umarmung, und er sagte sich, daß es das einzig Erstrebenswerte sei.

ENDE

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ATLAN 116 – Die Abenteuer der SOL

Weiter geht es in Band 117 der Abenteuer der SOL mit:

Das Spinar von Peter Griese

Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2008, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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