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architheseArchitektursoziologieEine junge Disziplin mit neuen Sichtweisen
Projekte mit sozialem MehrwertHerzog & de Meuron: Arena do Morro, NatalMüller Sigrist: Genossenschaft Kalkbreite, Zürich
Nutzerinteressen als EntwurfspotenzialPartizipation zwischen politischer Agenda und Lifestyle
Etablierter 1970 er-Jahre-Diskurs ?Von der Spaziergangswissenschaft zum inklusiven Design
Soziale Interaktion gestaltenTransdisziplinäre Suche nach urbanen Qualitäten
2.2015 April
Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
International thematic review for architecture
Architektur und Soziologie
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archithese 2.2015 April 45 . Jahrgang
Titelbild: Joël Tettamanti
4 Editorial
A R C H I T E K T U R U N D S O Z I O L O G I E
10 In welcher Gesellschaft leben wir ?
Architektonische Modi der kollektiven Existenz
Heike Delitz
18 Für eine transdisziplinäre
Erforschung der urbanen Wirklichkeit
Christian Schmid im Gespräch mit
Jørg Himmelreich und Andrea Wiegelmann
26 Das Gebaute als handelndes Objekt ?
Was kann Architektursoziologie
für die Architektur leisten ?
Stephanie Kernich
32 Alle unter einem Dach
Herzog & de Meuron, Arena do Morro, Natal / Brasilien
Gustavo Hiriart
40 Vom Gemeinschaftstraum zum Wunschraum
Zur synergetischen Partizipation der jungen
Zürcher Genossenschaftsprojekte
Andreas Hofer und Margarete von Lupin
46 Crossbenching ?
Critical reflection on the practice of participation
Markus Miessen
52 Urbanity in a Box
Müller Sigrist Architekten,
Housing and commercial project Kalkbreite, Zurich
Suzanne Song
60 Geld regiert den Raum
Über das räumliche und architektonische
Potenzial alternativer Währungen
Stefanie B. Overbeck
66 Die Stadt der Unbekannten
Die Organisation des Nebeneinanders
Dirk Baecker
72 Wie Spazieren Wissen schafft
Über die Spaziergangswissenschaft
nach Lucius und Annemarie Burckhardt
Reto Bürgin und Aline Schoch
80 Direkter Urbanismus
Städtische Planung als offener Prozess
Barbara Holub und Paul Rajakovics
88 Ideologiekritik der modernen Architektur
Die Bauten der Nachkriegszeit
im Kreuzfeuer der Disziplinen
Angelika Schnell
96 Die Stadt, der Mensch und das Design
Zum sozialen Planungsverständnis
von Lucius Burckhardt
Matthias Drilling und Stephanie Weiss
R U B R I K E N
102 Im Gespräch. 8 Positionen zur
Schweizer Architektur
Rezension von Constanze Nobs und
Andrea Wiegelmann
104 Premium Brands Online
105 Neues aus der Industrie
112 Vorschau und Impressum
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2 archithese 4.2015
architheseInternationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
International thematic review for architecture
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4 archithese 2.2015
E D I T O R I A L
Architektur und Soziologie
Architektinnen und Architekten mögen mit ihren Bauten, Entwürfen oder Texten nach einem
Mehrwert für die Gesellschaft suchen. Die Klassiker von Lefebvre, Habermas oder Latour
gehören noch immer zu den vielgelesenen Standardtexten. Doch was genau wissen die bei-
den Disziplinen Architektur und Soziologie heute tatsächlich voneinander ? Gibt es Schnitt-
stellen und gemeinsame Projekte ? Kennen Architekturschaffende die Theorien und Frage-
stellungen, die aktuell in der Soziologie diskutiert werden ? Wie betrachtet und wertet diese
die Gesellschaft und wie gewichtet sie die Rolle der Architektur für die Gemeinschaft ?
Mit dieser Ausgabe zeigt die archithese alte und neue Schnittstellen zwischen Architek-
tur und Soziologie, zeigt Ergebnisse und Potenziale und rückt damit einmal mehr die Archi-
tektur der Gesellschaft ins Zentrum. Damit thematisieren wir, was selbstverständlich
scheint, dies in der neoliberalen Wirtschaftsordnung jedoch nicht ist. Ein Architekt sollte
über die Bedürfnisse und das Zusammenleben der Gesellschaft nachdenken und mit jedem
Projekt nach dem bestmöglichen Beitrag für die Gemeinschaft suchen. Ein Rückblick zeigt
aber, dass der Diskurs zwischen Architektur und Soziologie mit der Postmoderne abgenom-
men hat. Im Zuge der Autonomen Architektur trat die Suche nach der Verortung in der Ge-
schichte für die meisten Gestalter in den Vordergrund. Zunehmend gewann auch das globale
( Stadt- ) Marketing und somit die Stararchitektur an Bedeutung. In den 1980 er Jahren löste
der Immobilienmarkt den Sozialstaat ab, der Marketingberater ersetzte den Soziologen.
Hier deutet sich jedoch eine Wende an. Beide Disziplinen interessieren sich zunehmend
( wieder ) füreinander. Jedoch kann bisher nur von einer Annäherung gesprochen werden
und noch nicht von einem gemeinsamen Diskurs. Die Architektursoziologie formiert sich
aktuell zu einer eigenen Gruppe innerhalb der Soziologie. Sie interessiert sich für Phänome-
nalität, Materialien und Ausdruck des Gebauten. Parallel stossen auch Stadtsoziologen und
Geografen in die Diskussion vor. Städte werden als Abbild und bestimmendes Gefäss für die
Gesellschaft untersucht. Auch wenn deren Definition im westlichen Kulturkreis zunehmend
diffizil erscheint und dem multiparadigmatischen Ideal sogar abträglich ist: Seit der Jahr-
tausendwende wagt sich die Soziologie wieder an die Kritik von Lebensformen und fragt
nach deren Einflüssen und Anforderungen an die zeitgenössische Architektur. Der Fokus
liegt allerdings auf empirischen Untersuchungen und nicht darin, einen aktuellen Stand der
Gesellschaft zu definieren und nach Übertragungen in die gebaute Umwelt zu suchen. Doch
genau hier liegt ein grosses Potenzial.
Aufseiten der Architektur zeigen aktuell mehrere Genossenschaften, dass es lohnt, die
Bedürfnisse der Zielgruppen ernst zu nehmen. Die Kalkbreite in Zürich sticht als Beispiel für
Alternativen zum Real Estate-Mainstream hervor und macht Mut, vermehrt über partizipa-
tive Planungsprozesse nachzudenken. Engagierte Projekte etablierter Büros beweisen, dass
es möglich ist, durch die Architektur einen gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Die
Arena do Morro in Brasilien beispielsweise von Herzog & de Meuron zeigt, dass Architektur
nicht trotz, sondern gerade wegen ihres sozialen Anspruchs eine konzeptionelle Tiefe und
eine kontextuelle Verortung erfahren kann.
Dass heute zunehmend transdisziplinäre Zusammenarbeiten gesucht und Soziologen im-
mer häufiger als Teammitglieder bei der Planung grösserer Überbauungen angefragt werden,
macht deutlich: Das Feld für neue fruchtbare Kooperationen ist eröffnet. Wir möchten inspi-
rieren und motivieren, den Diskurs über den Beitrag der Architektur zu einem qualitätsvollen
Miteinander in den Fokus zu rücken.
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K L I N K E R K R E AT I O N
18 archithese 2.2015
FÜR EINE TRANSDISZIPLINÄRE ERFORSCHUNG DER URBANEN WIRKLICHKEITChristian Schmid im Gespräch mit Jørg Himmelreich und Andrea Wiegelmann Wenn Architekten
und Soziologen voneinander profitieren wollen, dann durch den direkten Austausch, die alltägliche
Zusammenarbeit an konkreten Fragestellungen. Christian Schmid plädiert im Gespräch mit archithese
für eine transdisziplinäre Stadt- und Architekturforschung.
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19
1 Probe 1: Idaplatz in Zürich. ( Foto © Le Calvados )
Jørg Himmelreich: Wir stellen in Architektur, Planung und
Politik ein wachsendes Interesse an soziologischen Frage-
stellungen fest und sehen parallel in der Soziologie ein Be-
dürfnis, sich mehr mit den Wechselwirkungen von Raum
und Stadt und den Nutzern auseinanderzusetzen. Neue
Publikationen über Lucius Burckhardt und die Präsenta-
tion seiner Arbeiten im Schweizer Pavillon auf der Archi-
tekturbiennale in Venedig im letzten Jahr [ siehe dazu die
Texte von Philip Ursprung, Ueli Mäder und das Interview
mit Herzog & de Meuron in: archithese 5.2014, S. 64 – 73 ]
sind für uns zwei Symptome dieses Interesses. Wann gab
es in der Geschichte Überschneidungen, Kollaborationen
oder Konflikte zwischen Soziologie und Architektur ?
Christian Schmid: Zunächst müssen wir verschiedene
Aspekte der Architektursoziologie voneinander unterschei-
den: Es gibt die Architektursoziologie im engeren Sinne, die
Architektur als Disziplin und Berufsfeld thematisiert und die
Rolle der Architektur innerhalb der Gesellschaft untersucht.
In einem weiteren Sinne analysiert die Architektursoziolo-
gie die gesellschaftlichen Bedingungen und Konsequenzen
des Bauens und der gebauten Umwelt und verbindet sich
hier mit den Raumwissenschaften und der Stadtforschung.
Und dann gibt es auch die Ebene der Zusammenarbeit in
architektonischen und städtebaulichen Fragen, wo sich Ar-
chitektur und Sozialwissenschaften in gemeinsamen Pro-
jekten finden. Ich unterrichte seit 2001 Soziologie am Depar-
tement Architektur der ETH Zürich, mehrere Jahre davon
gemeinsam mit Christina Schumacher. Was wir in der Do-
zentur Soziologie mit den Studierenden bis heute machen,
ist keine Architektursoziologie im engeren Sinne, sondern
das Anwenden von sozialwissenschaftlichen Theorien,
Methoden und Verfahren auf das Feld von Architektur und
Städtebau.
Lucius Burckhardt war mein Vorvorvorgänger am Depar-
tement Architektur. Er hat sich als Soziologe intensiv mit
dem Bauen und dem städtischen Alltag auseinandergesetzt
und auch mit Architekten zusammengearbeitet – und zwar
sehr erfolgreich. Er wurde von den Architekten respektiert.
Seine Schüler Jacques Herzog und Pierre de Meuron waren
so beeindruckt, dass sie, wie angesprochen, Burckhardts
Arbeiten auf der Architekturbiennale 2014 in Venedig ge-
zeigt haben.
Andrea Wiegelmann: Seit wann genau setzen sich Soziolo-
gen mit der Stadt, der Architektur oder allgemein dem
Raum auseinander ?
Schon die Klassiker der Soziologie beschäftigten sich mit
der Frage des Raumes und wichtige stadtsoziologische
Texte, die bis heute gerne zitiert werden, gibt es ebenfalls
bereits aus den Anfängen der Soziologie, zum Beispiel von
Georg Simmel und Max Weber. Ein erster Höhepunkt der
Stadtsoziologie kam in den 1920 er und 1930 er Jahren mit
der Chicago School of Sociology, die eine ethnografische
Stadtforschung begründete, unter anderem mit Robert
E. Park, Ernest Burgess und auch dem Geografen Roderick
McKenzie [ siehe auch: Stephanie Weiss / Matthias Drilling,
« Die Stadt, der Mensch und das Design », S. 96 – 101 ]. In den
1970 er Jahren kam dann die Blüte der kritischen Stadtfor-
schung in der Soziologie und der Geografie, mit den Leitfi-
guren Henri Lefebvre, Manuel Castells und David Harvey.
Die 1990 er Jahre wurden vor allem von der Erforschung der
Globalisierung und der Global Cities, der Gentrifizierung
und der neuen Entwicklungen in der urbanen Peripherie
geprägt, wobei unterschiedlichste sozialwissenschaftliche
Disziplinen beteiligt waren. Heute sind es vor allem die
postkolonialen Ansätze in der Stadtforschung und die Frage
der planetaren Urbanisierung, die die aktuelle Debatte be-
einflussen. Alle diese Ansätze haben in die Architektur aus-
gestrahlt, doch bis heute bleibt die sozialwissenschaftliche
Forschung für viele Architektinnen und Architekten eine
weitgehend unbekannte Welt. Das geht so weit, dass viele
beim Begriff der Chicago School nicht etwa an die Anfänge
der empirischen Stadtforschung denken, sondern an die
Architektur der 1890er Jahre, mit den Arbeiten von Louis
Sullivan, Daniel Burnham und anderen.
Moderne Architektur und der moderne Städtebau haben
sich aber durchaus mit soziologischen Fragen beschäftigt
und waren offen gegenüber soziologischen Ansätzen. So
gab es beispielsweise im Frankreich der 1960er und 1970er
Jahre grosse inhaltliche Auseinandersetzungen um soziolo-
gische Fragen in Architektur und Städtebau, und beim Bau
der villes nouvelles spielten Soziologinnen und Soziologen
durchaus eine wichtige Rolle. Ich selber arbeite stark mit
den Theorien von Henri Lefebvre. Er hat intensiv mit Archi-
tekten zusammengearbeitet, mehrfach auch mit Architek-
turteams an Wettbewerben teilgenommen und versucht, So-
ziologie als Mittel einzusetzen, um einen Städtebau und
eine Architektur zu ermöglichen, die von den alltäglichen
Bedürfnissen der Menschen ausgehen. Auch in der Schweiz
reicht die Zusammenarbeit von Soziologie und Architektur
weit zurück, wie das berühmte Buch achtung: Die Schweiz
von 1955 zeigt, das Lucius Burckhardt zusammen mit Mar-
kus Kutter und Max Frisch publiziert hat.1
AW: Lefebvres wichtige Schriften stammen aus den 1960er
und 1970er Jahren. In dieser Zeit wurden die – mitunter
kritischen – Stimmen der Soziologen in der Architekturde-
batte besonders stark wahrgenommen.
Dass man zu dieser Zeit viel über Soziologie in der Archi-
tektur sprach, hatte mit dem gesellschaftlichen Umbruch
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26 archithese 2.2015
Autorin: Stephanie Kernich
Was ist unter Architektursoziologie zu verstehen ?
Die Feststellung, dass Architektur nicht einfach nur das
Abbild einer Gesellschaft ist, sondern eine « durchdringen-
de baukörperliche Gestalt der Gesellschaft » 1 darstellt,
führt uns bereits ins Zentrum der Architektursoziologie.
Unsere Umwelt zeigt in ihren sehr unterschiedlichen Aus-
formungen wie Städten, Industriegebieten, Vororten oder
Dörfern sehr wirkungsvoll, womit sich eine Gesellschaft
und deren Individuen baulich umgeben, wie sie damit leben
und darin ( inter- ) agieren. Dies manifestiert sich etwa dar-
in, wie über Architektur diskutiert wird – beispielsweise
wenn ein Neubau in einem Stadtquartier mit vorwiegend
älterem Baubestand realisiert wird: Es ergeben sich spon-
tane Gespräche auf der Strasse; man wird angesprochen,
wenn man beim Betrachten des Neubaus beobachtet wird.
Im Vergleich zu stadtsoziologischen Forschungsthemen
richtet sich der architektursoziologische Blick jedoch nicht
ausschliesslich auf die Menschen und deren in der Regel
vorwiegend städtische Lebensumwelt. Architektursozio-
logie hat sich vor allem zum Ziel gesetzt, soziologische
Grundlagen zum Verhältnis des Architektonischen zum
Sozialen und umgekehrt des Sozialen zum Architektoni-
schen zu erarbeiten.
Zur Konzentration auf das Wesentliche der Architekturso-
ziologie kann mit Joachim Fischer festgehalten werden,
dass es bei Architektur immer um ‹soziale Dimensionen›
geht. « Architektur ist ( somit ) brisant und penetrant wie
das Soziale selbst.» 2 Daher schreiben Joachim Fischer und
Heike Delitz der Architektur zu Recht ein grosses gesell-
schaftsdiagnostisches und gesellschaftstheoretisches Po-
tenzial zu. [ Siehe auch: Heike Delitz, « In welcher Gesell-
schaft leben wir ? », S. 10 – 17. ] Das gilt es in der
architektursoziologischen Forschung zu fokussieren: die
Architektur in der ihr eigenen « Gestalt, Phänomenalität,
Materialität und Expressivität » .3
Exkurs: Stadt- oder Raumsoziologie ist nicht
Architektursoziologie ( aber Teil davon )
Verallgemeinernd und abkürzend können die Themenfelder
der Stadtsoziologie mit « soziale Differenzierung und Isola-
tion, der ‹ Segregation › in der Grossstadt [ … ], Interaktionen,
Lebensstilen, Vergesellschaftungsmodi ‹ in › der Stadt » 4
zusammengefasst werden.
Als Anfänge der Stadtsoziologie gelten in erster Linie
die sozialökonomischen Studien der Chicagoer Schule 5, die
als eine der ersten die gesellschaftlichen Entwicklungen in
DAS GEBAUTE ALS HANDELNDES OBJEKT ? Architektur wirkt – wie zahllose andere Objekte auch – biografisch prägend. Anders als ein Kleidungsstück oder
ein Auto ist sie jedoch als gebautes Objekt manifest und erreicht damit eine ganz andere Präsenz. Die Architektursoziologie
kann dabei helfen, die Dimensionen des Sozialen, die der Architektur innewohnen, aufzuzeigen, zu entschlüsseln und
damit eine Brücke der Verständigung zwischen Architektur und Gesellschaft zu bilden.
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27
den Städten veranschaulichten. Stadtspezifischere Unter-
suchungen, die sich auf das städtische Leben und die Stadt
selbst beziehungsweise deren Stadtteile bezogen, waren
erst später Forschungsgegenstand. Als einer der wichtigs-
ten Vertreter der soziologischen Stadtforschung gilt das
Team des Forschungsprogramms « The City». 6 Besonders
das Zonenmodell von Ernest W. Burgess ( erstmals 1925
publiziert ) war hier wegweisend. Dieses Modell beschreibt
« in idealtypischer Weise den Wachstumsprozess von Städ-
ten unter starkem externen Druck ». 7
In den 1960 er und 1970 er Jahren gab es zwar Schnitt-
punkte und gemeinsame Interessensgebiete von Architek-
ten und Soziologen. Diese bezogen sich jedoch aus damali-
ger soziologischer Perspektive weiterhin auf das Leben in
der Stadt.
Neben Aspekten der Stadtvermarktung waren es in den
1970 er Jahren – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Öl-
krise – ökologische Fragestellungen, die in Bezug auf Stadt-
planung und Stadtentwicklung sowohl bei Quartierentwick-
lungsfragen als auch bei Aufwertungs- und Partizipations-
projekten zum Tragen kamen. In beiden Punkten lag es in
der Natur der Sache, dass eine Verknüpfung von Stadtent-
wicklungsthemen mit parteipolitischen Grabenkämpfen
häufig nicht vermieden werden konnte. So wurde beispiels-
weise 1973 das Grossprojekt einer U- und S-Bahn für die
Stadt Zürich nach einem intensiven Abstimmungskampf
von der Bevölkerung von Kanton und Stadt Zürich abgelehnt.
Im Vorfeld der Abstimmung wurden damals neue Begriffe
wie ‹ Wohnlichkeit ›, ‹ Lebensqualität › und ‹ Umweltschutz ›
ins Feld geführt.8 Zum anderen kam vermehrt die Kritik an
der « im Dienste des Kommerz stehenden Stadtplanung » 9
auf. So entbrannten beispielsweise in Deutschland Mitte
der 1970er Jahre hitzige Diskussionen über die « restaura-
tive Stadtgestaltung »10 des Frankfurter Römerbergs.11
Die damalige Annäherung der Disziplinen Architektur
und Soziologie hatte allerdings nicht nachhaltig Bestand:
Rückblickend muss vor allem aufseiten der Soziologie eine
gewisse ‹ Betriebsblindheit › und ein Hang zu dogmatischem
Auftreten und Denken festgestellt werden. In dieser Zeit
Die Bilder dieser Reihe entstanden im Jahr 2004 entlang der Badener- / Zürcher- strasse zwischen Zürich und Dietikon im Rahmen eines Projekts der Gruppe autodidaktischer Fotografen und Fotogra-finnen ( GAF ). Ziel war, den Blick für die gebaute Umgebung zu schärfen und zu entdecken, welche Elemente den Charakter eines Ortes ausmachen. Die hier gezeigten Aufnahmen aus Projekt Nr. 43 stammen von: Andrea Helbling ( Dozentin ), Sonja Casty, Yonca Even Guggenbühl, Wolf D. Herold und Rudolf Michel.
machte das Fachgebiet Soziologie nicht selten Führungs-
ansprüche gegenüber anderen geistes- und sozialwissen-
schaftlichen Disziplinen wie beispielsweise der Politikwis-
senschaft oder der Philosophie geltend. Unter anderem
deshalb wurden in der Disziplin Soziologie ganz andere,
stark politisierte Kämpfe ausgefochten und schier endlose
Grundsatzdebatten aneinandergereiht. Ohne die zum Teil
sehr fruchtbare interdisziplinäre Zusammenarbeit der oben
genannten Epoche herabsetzen zu wollen, ist festzustellen,
dass gerade in Anbetracht der aktuellen gesellschaftlichen
Herausforderungen die Soziologie der Architektur etwas
schuldig bleibt. Zu viele Differenzierungen, zu starke Spe-
zialisierungen und auch zum Teil intransparente, immer auf
gleiche Weise angewandte Verfahren im Fach Soziologie
erschweren für Nichtsoziologen den Zugang erheblich.
Neuere Untersuchungen zum Thema Stadtsoziologie –
vor allem diejenigen, die ihr Interesse auf raumsoziologische
Konzeptionen richten – vermeiden den Begriff ‹ Architektur ›
und beschäftigen sich mit der von Helmuth Berking und
Martina Löw so genannten « Eigenlogik von Städten ».12
Diese ist zwar soziologisch betrachtet durchaus bedeu-
tungsvoll, wenn sie sich auf mögliche Vergesellschaftungs-
formen in den beiden von Löw verglichenen Städten Berlin
und München bezieht, jedoch dominiert in Löws Analyse
das nach aussen transportierte Image der beiden ausge-
wählten Städte und damit indirekt die Marketingkampag-
nen der Werbebeauftragten. Die architektonische Gestalt
der beiden Städte selbst wird nicht angemessen behandelt.13
Diese raumsoziologischen Konzeptionen sollen jedoch hier
nicht weiter ausgeführt werden, da sie sich ganz eigene
Schwerpunkte setzen. Generell kann mit Ueli Mäder fest-
gehalten werden, dass die aktuelle Raum-Debatte durch
eine « dialektische Dynamik zwischen Raum und Gesell-
schaft » 14 gekennzeichnet ist.
Was ist das Besondere an der Architektursoziologie ?
Gebaute Umwelt – manifestiert durch Baukörper – ist immer
auch die «Gestalt einer Gesellschaft » und bringt sowohl
deren Besonderheiten als auch deren Alltäglichkeiten zur
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CROSSBENCHING?Welcome to Harmonistan ! Over the last decade, the term “ participation ” has become increas-
ingly overused. When everyone has been turned into a participant, the often uncritical, innocent and
romantic use of the term has become frightening. Supported by a repeatedly nostalgic veneer
of worthiness, phony solidarity and political correctness, participation has become the default of politi-
cians withdrawing from responsibility. Rather than breading the next generation of consensual
facilitators and mediators, this text argues for conflict as an enabling, instead of disabling, force. It calls
for a format of conflictual participation – no longer a process by which others are invited ‘ in ’, but
a means of acting without mandate, as uninvited irritant: a forced entry into fields of knowledge that
arguably benefit from exterior thinking. Sometimes, democracy has to be avoided at all costs.
1 Signage and Smoke Machine developed for Consensus Bar by Studio Miessen for Witte de With, Rotterdam ( © Witte de With Center for Contemporary Art )
2 Crossbenchers in the House of Lords ( © House of Lords, London )
Author: Markus Miessen
In Representations of the Intellectual, Edward Said intro-
duces the public role of the intellectual as outsider, as an
amateur and disturber of the status quo. In his view, one task
of the intellectual is to break down stereotypes and reduc-
tive categories that limit human thought and communica-
tion.1 Said speaks about intellectuals as figures whose public
performance can neither be predicted nor reduced to a fixed
dogma or party line. He clearly distinguishes between the
notion of the intellectual and that of the insider: “Insiders
promote special interests, but intellectuals should be the
ones to question patriotic nationalism, corporate thinking
and a sense of class, racial or gender privilege.” 2 For Said, an
ideal intellectual works as an exile and marginal, as an am-
ateur, and as the author of a language that tries to speak the
truth to power, rather than an expert who provides objective
advice for pay. This disinterested notion of what one could
call the ‘ uninvited outsider ’ is, in the context of this text, the
most relevant of Said’s writings. It puts forward the claim
that universality always comes hand in hand with risk tak-
ing. There are no rules. There are “no gods to be worshipped
and looked to for unwavering guidance.” 3 By questioning the
default mode of operation, which is clearly that of the spe-
cialist, the insider, the one with an interested agenda, he
writes of intellectuals as those who always speak to an au-
dience, and by doing so, represent themselves to themselves.
This mode of practice is based on the idea that one operates
according to an idea that one has of one’s practice, which
brings with it the intellectual duty of independence from ex-
ternal pressures. In underlining the role of the outsider, Said
exposes the need to – at times – belong to a set and network
of social authorities in order to directly effect change. This
spirit of productive and targeted opposition, rather than ac-
commodation, is the driving force behind such a practice. To
understand when to be part of something and when to be
outside of it, to strategically align in order to make crucial
decisions, which will otherwise be made by others ( most
likely with a less ethically developed horizon ).
Said, however, also illustrates that the role of the outsider
is a lonely one, and that it involves what Foucault calls “ a
relentless erudition ”: “ There is something fundamentally
unsettling about intellectuals who have neither offices to
protect nor territory to consolidate and guard.” 4 The unin-
vited outsider is someone who has a background within a
particular ( taught ) discipline, but ventures out of his or her
milieu and immediate professional context, using a set of
soft skills required elsewhere. He or she then applies them
to found situations and problematics. According to Said, this
person ( also as an individual ) has a specific public role in
society that cannot be reduced to a faceless professional; it
is precisely the fact that one is operating without one’s own
professional boundaries that one can start to articulate con-
cerns, views and attitudes that go beyond the benefit of the
individual or the particular. It seems that there is a benefit
to professional boundaries, expertise and specific knowl-
edge. However, one could argue that specific sets of parasitic
knowledge can most generatively, surprisingly, and produc-
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52 archithese 2.2015
URBANITY IN A BOXMüller Sigrist Architekten : Kalkbreite, Zurich The Kalkbreite cooperative has transformed a tram
parking lot in Zurich’s inner city into a bustling new center of neighborhood life, thereby creating ein neues Stück
Stadt, a new part of the city. It was initiated by an engaged group of citizens who envisioned the innovative
mixed use of the site, which includes commercial businesses, affordable housing and retention of the transport
infrastructure program – all in one package. The building design optimizes the organization of its complex
programs into a hybrid perimeter block building in which shops and cafés that enliven the street level wrap around
the tram hall and the apartment block above encloses a nuanced and domestically scaled yet publicly
accessible courtyard built onto the roof of the tram parking garage. The Kalkbreite project performs on several
urban, spatial and social levels, producing an exemplary project in the process.
1
2100 5
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53
Autor: Suzanne Song
Earmarked for affordable housing by the district since 1975,
the fenced-in tram parking lot had remained a neighborhood
dead zone between Langstrasse and Lochergut for decades.
When the city approved construction for track upgrades, a
group of about fifty neighborhood citizens participated in a
2006 public workshop that initiated the political steering
process for a new use for the parcel. They formed the Kalk-
breite cooperative, envisioning a self-sufficient complex that
covers an entire city block and incorporates tram parking
with a mix of 40 percent commercial and 60 percent living
area. The bottom-up initiative started at the district level,
garnered support from the city administration and in 2007
won the bid for building rights for the city-owned parcel.
Their use rights extend through 2070 and are then renewa-
ble for another 30 years. After Müller Sigrist Architekten
won the open architectural competition in 2009, the coop
directors spent over two years gathering a mix of commer-
cial members that include a multifaceted array of trendy
cafés, restaurants, bars, a health food store, a modern an-
tique furniture shop, and a cinema. The mezzanine and
lower floors contain studios, office spaces, medical practices
and a daycare center. The complex, where almost 500 people
now live and work, has revitalized the neighborhood block
since its opening in August 2014.
The building form optimizes its programs. The perimeter
block typology is used to surround the tram infrastructure
with a small-scaled commercial program which fosters
neighborhood street activity.1 The apartment block that sits
atop the commercial spaces serves to reduce noise from the
heavily trafficked thoroughfares that bound the site, pro-
tecting the courtyard. Each cluster apartment is laid out
with access to a double-height common area with a kitchen-
ette and a balcony that is oriented toward the quiet inner
courtyard. Along the sunken rail tracks to the southwest,
where noise protection is less critical, four stories of the
block are carved away in steps to offer many benefits: pro-
vide access to roof terraces, ease the load spanning the tram
hall, optimize evening sun exposure to the courtyard and its
large windows, and grant views over the city and to the dis-
tant Uetliberg.
The interior organization optimizes social interaction. An
entry hall at the courtyard level is the juncture of inter-
change between the public and residents. It houses the re-
ception desk, where member events are organized and com-
mercial guesthouse rooms are booked, and it connects to the
Rue Intérieure, a generous 2.5 meters wide internal street
that replaces corridors found in typical housing. As a circu-
lation concept of interwoven organizational structures that
establish physical and social connections for the coopera-
tive community of over 250 inhabitants, it cascades diago-
nally in section over five floors to connect private and shared
coop spaces, some of which are rented externally. The flexi-
ble configuration of apartments accommodates sixty differ-
ent dwelling types with shared rooms that spatialize new
ways of living, including live /work studios and communal
apartment clusters for up to fifty people. These target a di-
verse population that includes elderly and disabled persons,
varied family structures, and large, loosely related house-
holds of individuals who share a kitchen and hired cook.
There is already a waiting list for the so-called jokers – tem-
porary-use rooms with private bathrooms – that account for
changing needs by providing extra space ( to accommodate
growing teens, grandparents, or separated partners, for ex-
ample ), indicating the demand for flexible living situations.
1 View over Zurich-Wiedikon train station, a 1920s tram depot, Kalkbreite and Lochergut ( photos 1, 13: Joël Tettamanti )
2 Section
3 8.5-room duplex apartment ( photos 3, 4, 7: Volker Schopp )
4 Communal cafeteria
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DIE STADT DER UNBEKANNTEN Bekannt und unbekannt, innen und aussen Zwei einfache Unterscheidungen definieren die urbane Architektur.
Ein kultiviertes Miteinander von Fremden war in den vermutlich ersten 300 000 Jahren der Menschheit ausgeschlossen.
Fremde erschlug man, um nicht Gefahr zu laufen, von ihnen erschlagen zu werden. Die soziale Funktion der Stadt
besteht also darin, Unbekannte miteinander leben zu lassen, ein Verhalten zu ermöglichen, das unter Bedingungen als
normal und vertraut gelten kann, die ausschliesslich das Produkt einer alles andere als selbstverständlichen
sozialen Evolution sind.
Autor: Dirk Baecker
Architektur als Medium und Symbol des Sozialen
Die Soziologie der Architektur, so Heike Delitz, betrachtet
die Architektur in Hoch- und Städtebau als Medium und
Symbol des Sozialen 1.[ Siehe auch: Heike Delitz, « In welcher
Gesellschaft leben wir ? », S. 10 – 17. ] Verschiedene Formen
der Vergesellschaftung – etwa die Familie, die Schule, die
Kirche, das Büro, das Theater, das Stadion, das Kranken-
haus, das Gefängnis – sind darauf angewiesen, Räume vor-
zufinden, in denen die jeweilige soziale Interaktion stattfin-
den und von anderen Möglichkeiten unterschieden werden
kann. Die Soziologie spricht von Medien und nicht einfach
von Räumen, weil es diese Räume auszeichnet, nicht als
Konstante, sondern als Variable betrachtet zu werden. Dazu
müssen die Räume in ihre verschiedenen Bestandteile zer-
legt ( analysiert ) und in anderen Kombinationen wieder zu-
sammengesetzt ( synthetisiert ) werden können. Die Organi-
sation des Nebeneinanders, um mit der Soziologin Martina
Löw zu sprechen, ist nicht fix, sondern in allen ihren Dimen-
sionen variierbar, wenn auch nicht nach Belieben.2 Einen
Medienbegriff, der diesem Verständnis zuarbeitet, hat der
Psychologe Fritz Heider [ 1896 – 1988 ] bereits 1926 im An-
schluss an gestalttheoretische Überlegungen formuliert, in-
dem er das Medium als lose gekoppelte Menge von Elemen-
ten vom Ding als fest gekoppelte Menge von Elementen un-
terscheidet.3 Typischerweise verwandelt der Blick eines
Architekten Räume beliebigen Zuschnitts in alternative
Möglichkeiten ihrer Gestaltung. Die Dinglichkeit des Raums
wird aufgelöst und zum Medium der Veränderung des
Raums. Dies gilt für architektonische und innenarchitekto-
nische Eingriffe ebenso wie für städteplanerische. Der Ar-
chitekt sieht einen Raum – und gestaltet ihn um.
Dies allerdings, wie gesagt, nicht beliebig. Die Architektur
ist ein « schweres Kommunikationsmedium », so der Sozio-
loge Joachim Fischer,4 in dem nicht nur auf die Gegebenheit
der Physik und Statik, sondern auch auf das Mass des Men-
schen und die Ordnung der Gesellschaft Rücksicht genom-
men werden muss. Das betrifft vordergründig wirtschaftli-
che und politische Gegebenheiten ebenso wie Präferenzen
für Privatheit und Öffentlichkeit. Weitergehend jedoch auch
Formen der Selbstfindung, Strategien der Individualisie-
rung sowie Möglichkeiten der Begegnung und der Abschot-
tung.
Deswegen ergänzt Delitz ihre Bestimmung der Architek-
tur als Medium des Sozialen um die Definition von Architek-
tur auch als Symbol des Sozialen. Jedes einzelne Element der
Architektur, von der Schwelle über die Tür und das Zimmer
bis zur Strasse, dem Haus und dem Fluchtpunkt symbolisiert
bestimmte Möglichkeiten des Handelns und Erlebens, die
mithilfe dieser Symbole sowohl markiert als auch voneinan-
der abgegrenzt werden. Von Symbolen spricht man frei nach
Jurij Lotman immer dann, wenn die Verknüpfung bestimm-
ter Handlungen mit bestimmten Orten nahegelegt, aber
nicht erzwungen wird.5 So symbolisiert die Schwelle sowohl
die Möglichkeit des Zutritts als auch der Abweisung, lässt
jedoch offen, welche der Möglichkeiten gewählt und ob das
Symbol überhaupt wahrgenommen wird. Soziologen neigen
ebenso wie Architekten dazu, das Symbolwissen als ein im-
plizites, eher in Praktiken und Einstellungen als in bewuss-
ter Reflexion verkörpertes Wissen anzunehmen. So können
sie auch dann auf Wirkung schliessen, wenn die Akteure von
ihrer Orientierung nichts wissen. Doch muss schon wegen
der Vielfalt möglicher und sich in jedem Moment widerspre-
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1 Poller im öffent- lichen Raum als Symbol der Ambi-guität von Durch-lässigkeit und Abweisung. Philipp Goll ( Hg. ), Helmut Höge, Pollerfor-schung. Siegen: 2010 ( Fotos: Helmut Höge )
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