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AR CHI VAR 01 62. Jahrgang G 4914 Februar 2009 Heft Herausgeber Landesarchiv Nordrhein-Westfalen VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. Zeitschrift für Archivwesen Bestandserhaltung im Filmarchiv des Bundesarchivs Digitalisierung und Nutzungsmöglichkeiten historischen Filmguts Die Welt im Auge des Filmamateurs Zeitschrift für Archivwesen ARCHIVAR 01 62. Jahrgang Februar 2009

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Zeitschrift für Archivwesen

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ARCHIVAR

0162. Jahrgang G 4914

Februar 2009 Heft

Herausgeber Landesarchiv Nordrhein-Westfalen VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V.

Zeitschrift für Archivwesen

Bestandserhaltung im Filmarchiv desBundesarchivs

Digitalisierung und Nutzungsmöglichkeitenhistorischen Filmguts

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EDITORIAL 5

AUFSÄTZE 6

Bestandserhaltung im Filmarchiv des Bundesarchivs 6

Digitalisierung und Nutzungsmöglichkeiten historischen Filmguts 16

Die Welt im Auge des Filmamateurs 26

ARCHIVTHEORIE UND PRAXIS 34Wirtschaftsarchiv für den Norddeutschen Raum besteht seit einem Jahr . Audiovisuelles Sammlungsgut . Zwischen analog und digital · Digitalisierung von Tonbändern im Stadtarchiv Bergisch Gladbach . Jahrestagung 2008 des Bestandserhaltungsausschusses der ARK .

Nestor/DPE Summer School 2008 . Jenseits der Erschließung . Stage Technique International d’Archives aus Paris im Generallandesarchiv . 66. Fachtagung rheinland-pfälzischer und saarländischer Archivarinnen und Archivare . Wert und Last des DDR-Schriftgutes in den Archiven .

21. schleswig-holsteinischer Archivtag . 18. Landesarchivtag Mecklenburg-Vorpommern .

60. Deutscher Genealogentag in Bad Elster . Archive verbinden Generationen

LITERATURBERICHTE 59

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES LANDESARCHIVS NRW 78Die Praxis der Filmerschließung am Beispiel des LandesarchivsNordrhein-Westfalen Abteilung Rheinland 78Die Weiterentwicklung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen 82Das Personenstandsreformgesetz ist sexy84

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA 86Für die Zukunft sichern – Bestandserhaltung analoger und digitaler Unterlagen78. Deutscher Archivtag 16. bis 19. September 2008 in Erfurt 86 Berichte zu den Sitzungen der Fachgruppen 90Berichte der Arbeitskreise in der Mitgliederversammlung 97

PERSONALNACHRICHTEN 100

KURZINFORMATIONEN UND VERSCHIEDENES 104

IMPRESSUM 105

INHALT

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EDITORIALLLiieebbee LLeesseerriinnnneenn uunndd LLeesseerr,, lliieebbee KKoolllleeggiinnnneenn uunndd KKoolllleeggeenn,,

„Bilder sagen mehr als tausend Worte“. Dieser Satz bringt die zunehmende visuelle Prägung unserer Gesellschaftauf den Punkt und gilt in besonderem Maße für die „laufenden Bilder“. So kommt auch dem in Archiven ver-wahrten audiovisuellen Quellenmaterial eine wachsende Bedeutung zu. Archive sehen sich in diesem Bereich abernicht nur veränderten Nutzererwartungen gegenüber, sondern sind auch mit anderen fachlichen Anforderungenkonfrontiert. Diese übersteigen die Möglichkeiten und Kräfte vieler Archive, so dass das Dienstleistungsangebotauf diesem Feld boomt. Für das erste Heft des Jahres 2009 haben wir deshalb das audiovisuelle Archivgut alsSchwerpunktthema ausgewählt und stellen in den Aufsätzen und Beiträgen verschiedene Aspekte der Archivierungaudiovisueller Quellen vor.Das Bundesarchiv zählt zu den wenigen Archiven, das mit seinem Filmarchiv über eigene Möglichkeiten zurBestandserhaltung bei audiovisuellem Archivgut verfügt. Egbert Koppe beschreibt in seinem Aufsatz technischeAspekte der Bestandserhaltung von Filmen im Bundesarchiv und schließt seinen Beitrag mit einer kleinen Hand-lungsanweisung zum fachgerechten Umgang mit Filmmaterialien. Simone Görl stellt exemplarisch das mit einemDienstleister durchgeführte Projekt zur Digitalisierung der WAAGE-Werbefilme vor und geht in ihrem Beitragauch auf Aspekte der Nutzung von audiovisuellem Archivgut ein.Das Interesse der Archivarinnen und Archivare zielt nicht nur auf professionell erstellte Filme, sondern auch aufprivate Aufnahmen. Reiner Ziegler hat seinem Aufsatz den Titel „Die Welt im Auge des Filmamateurs“ gegebenund beschreibt darin die Landesfilmsammlung Baden-Württemberg mit ihrem breiten Spektrum privater Film -überlieferung. Über die Erschließung von Filmen berichtet schließlich Verena Kinle in den Mitteilungen undBeiträgen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen. Sie erörtert in ihrem Beitrag Möglichkeiten, wie „ein gesundesGleichgewicht zwischen hinreichend recherchierbarer Erschließungstiefe und vertretbarem Arbeitsaufwand“ zuerreichen ist.In der Rubrik „Archivtheorie und Praxis“ finden Sie wie immer verschiedene aktuelle Kurzbeiträge aus derArchiv welt, aber auch zwei weitere, in engem Bezug zum Schwerpunktthema stehende Beiträge zur Archivierungnichtschriftlichen Archivguts: Hans-Jürgen Klegraf und Peter Crämer berichten dort über das audiovisuelleSammlungsgut in der Online-Bestandsübersicht des Archivs für Christlich-Demokratische Politik, und MichaelKrischak stellt ein Projekt zur Digitalisierung von Tonbändern im Stadtarchiv Bergisch-Gladbach vor.Zeitgleich mit dem ersten Heft des Jahres 2009 gilt es, einen Wechsel in der Redaktion der Zeitschrift anzukündi-gen. Neuer Redakteur ist Andreas Pilger, der zum 1. Februar 2009 die Leitung des Dezernats Öffentlichkeitsarbeitim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen übernommen hat. Frau Wiech scheidet als Redakteurin der Zeitschrift aus,bleibt aber als Leiterin des Fachbereichs Grundsätze im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen weiter Mitglied desBeirats.Aufgrund der zahlreichen Nachfragen am Ende dieses Editorials noch folgender Hinweis auf das Internetangebotdes ARCHIVAR: Das Jahresinhaltsverzeichnis finden Sie dort ab dem Jahrgang 2007 online unter dem entspre-chenden Jahrgang als ausdruckbares pdf-Dokument vor. Auch das Jahresinhaltsverzeichnis 2008 ist bereits einge-stellt.

Herzlichst, Robert Kretzschmar, Andreas Pilger, Wilfried Reininghaus,

Ulrich Soénius, Martina Wiech, Klaus Wisotzky

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man zunächst natürlich die möglichst optimale Klimatisierungder betreffenden Magazine. Des Weiteren ist sicherzustellen, dassdie Behältnisse, in welchen die Archivalien aufbewahrt werden,geeignet sind. Zeigen neu übernommene Film- und Videomate-rialien im Ergebnis des Eingangsbefundes bzw. Film- und Video-materialien des Altbestandes im Rahmen eines KontrollbefundesZersetzungs- oder Befallserscheinungen, so ist – sofern erfolgver-sprechend – eine Behandlung zu planen und vor zunehmen. Lastbut not least bedarf es einer möglichst um fang reichen Datener-fassung und -pflege, welche die grundlegenden Eigenschaftenund den Zustand der Materialien beschreiben. Unter Bezug aufdiese Daten ist es dann z. B. möglich, nicht nur durch geeignetesMikro- und Makroklima für den Langzeiterhalt zu sorgen,sondern auch Prioritäten bei der Planung bestandserhaltenderMaßnahmen zu setzen.In der Praxis werden die oben aufgeführten Punkte wie folgtumgesetzt. Bei Übernahme von Filmmaterialien von Außen,gleich ob das BA damit Eigner wird, die Materialien geliehensind oder als Deposita eingelagert werden, werden über einenEingangsbefund die grundsätzlichen technischen Daten desMaterials – konkret Filmformat, Trägerart, Materialart, Emulsi-onsart (also im Wesentlichen SW oder Farbe), Länge und Infor-mationen über dessen Zustand – in einer Datenbank erfasst.Zudem erhält jede aus einer einzelnen oder mehreren Archivalienbestehende Kopie eine Signatur. Jede Filmrolle oder Teile davon, deren Träger nicht zweifelsfrei alsSicherheitsfilm (Ozaphan-, Diazetat-, Triazetat- oder Polyesterträ-ger) identifiziert werden kann, muss als Nitrofilm gelten. Wennein Filmmaterial als Randsignatur ein „S“, die Worte „SafetyFilm“, „Sicherheitsfilm“ oder „nonflame“ aufweist, kann es alsSicherheitsfilm gelten. Andernfalls bieten sich verschiedene Testsan. Der praktikabelste davon ist der so genannte Schwimmtest.Voraussetzung dafür ist lediglich ein kleines Reagenzglas mitTetrachlorethen. Eine kleine Filmprobe wird ausgestanzt und indas Reagenzglas getan. Nachdem das Reagenzglas wieder ver-

AUFSÄTZE

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BESTANDSERHALTUNG IM FILMARCHIV DESBUNDESARCHIVSBESCHREIBUNG TECHNISCHER ASPEKTE1

Im Bundesarchiv sind an den Dienstorten Koblenz, Berlin-Wil -mers dorf, Berlin-Wilhelmshagen und in Hoppegarten vor denToren Berlins gegenwärtig insgesamt etwa 1 Mio. Film- undVideoeinzelträger magaziniert. Diese Träger sind – in Form vonFilmrollen oder Videokassetten – Kopien bzw. Teile von Kopien,welche wiederum ein- bis mehrfach überliefert etwa 150.000Filmtitel repräsentieren. Der Anteil der Videomaterialien beträgtallerdings nur etwa 2 %. Die auf den Videoträgern enthaltenenAufzeichnungen stellen in der Regel inhaltliche Duplikate einesTeils der Filme dar. Der Anteil originärer Videoaufzeichnungen ist– wie bei einem Filmarchiv nicht anders zu erwarten – sehrgering. 98 % der benannten Menge sind also klassische photo-chemische Filmträger der Formate 16 mm und 35 mm bzw.dazugehörige Magnetfilmtonaufzeichnungen.

Die mit Pflege und Erhalt sowie der Gewährleistung von Siche-rung und Benutzbarkeit der Film- und Videobestände des Bun-desarchivs auf dem Gebiet der technischen Leistungen betrauteOrganisationseinheit in der Abteilung Filmarchiv des Bundesar-chivs ist das Referat FA 4. Darüber hinaus ist das Referat für dieErsatz- und Neubeschaffung und die Pflege der gesamten Film-Video- und Lagertechnik zuständig, die für die oben benanntenAufgaben und den Aufgabenbereich der anderen Referate derAbteilung Filmarchiv benötigt wird. Hauptsitz des Referats ist derDienstort Hoppegarten.Im Geschäftverteilungsplan des Bundesarchiv ist vermerkt: FA 4:Filmrestaurierung und -konservierung, Magazinierung. Wasverbirgt sich hinter dieser kurzen Formel im Detail?

PFLEGE UND ERHALT Die Pflege und der Erhalt einer solch großen wie der obenbezifferten Archivalienmenge stellt natürlich eine große fachlicheund logistische Herausforderung dar. Unter der Aufgabe derPflege und des Erhalts von Film- und Videomaterialien versteht

von Egbert Koppe

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In Tabelle 1 ist anhand der grauen Flächen die sich ergebendeMindest-Raumstrukturierung dargestellt (grau hinterlegteFlächen). Über die oben dargestellten Gründe hinaus ist natürlich auf-grund des Brandschutzes bei allen Trägerarten eine weitereräumliche Untergliederung gegeben. Nitrozellulosefilm wird imBundesarchiv z. B. in Einzelkammern mit maximal 2.000 RollenFassungsvermögen gelagert.Der in Tabelle 1 speziell für die Langzeitarchivierung von Farb-filmmaterialien vermerkte Klimabereich 4 ist im Bundesarchivmit -6° C und 30 % relativer Luftfeuchte festgelegt. Dieser Wertverdeutlicht, dass ein Zugriff u. a. auf diese Materialien zwangs-läufig nur über den Prozess einer Umklimatisierung mit einerzeitlichen Mindestdauer erfolgen kann. Dabei liegt der Schwer-punkt in der kontinuierlichen Anpassung der Temperatur desFilmwickels an die im Bearbeitungsraum herrschende Tempera-tur. Die kontinuierliche Anpassung der vorrangig in der Emulsi-on enthaltenen Feuchte des Filmwickels bedürfte (auch davonabhängig, ob die Filmbüchse dabei geschlossen oder geöffnetwäre) einer sehr langen Zeitspanne und hat sich in Untersuchun-gen in ihrer Bedeutung als nicht relevant herausgestellt. Für eineallmähliche Temperaturanpassung gibt es sowohl den Aushebe-als auch den Reponierungsvorgang betreffend vielfältige Gründe.Nicht erwünscht ist z. B. die Kondensation von Luftfeuchte aufder Filmrolle, wenn diese nach dem Ausheben ohne vorherigeTemperaturanpassung aus der Filmbüchse genommen würde.

schlossen und kurz geschüttelt wurde, kann das Testergebnis be -reits betrachtet werden: sinkt die Probe zu Boden, handelt es sichum Nitrozellulosefilm, dessen spezifische Dichte höher als diedes Trichlorethylens ist. Schwimmt die Probe an der Oberfläche,handelt es sich um einen Sicherheitsfilm. Auf weitere Tests (Chlo-roformtest, Methyltest, Brenntest, FTIR-Spektrokopie, Fluores-zenztest) soll hier nicht weiter eingegangen werden. Sie findensich z. T. in der unten unter 1) aufgeführten Quellenangabe oderauf einschlägigen Websites. Befinden sich die Filmrollen in zumindest innen korrosionsfrei-en, verzinnten Metallbüchsen oder Plastikbüchsen aus nachweis-lich archivtauglichem Material, so verbleiben sie in diesen Behält-nissen. Andernfalls oder im Falle dessen, dass sie in Kartons an -geliefert wurden, werden sie in neue Metallbüchsen gepackt. DieVerwendung von verzinnten Metallbüchsen ist zwar insbesonde-re hinsichtlich ihrer Rückwirkung auf sich in Zersetzung befind-liche Filmmaterialien umstritten, aber in Anbetracht des großenUmfangs der Bestände kann ein systematischer Austausch nurlangfristig gestaltet werden. Die über spezielle Drucker hergestell-ten Etiketten für Rand und Deckel weisen einen stückbezogenenBarcode, die Signatur und im Falle des Deckeletiketts noch wei -tere Daten auf. Dies betrifft z. B. die Angaben, die für eine Zuord-nung zu verschiedenen Lagerorten hinsichtlich Klimatisierung,Brandschutzanforderungen und Sicherungsstückstatus benötigtwerden. Die Differenzierung hinsichtlich der Klimatisierung istdabei vorrangig davon abhängig, ob es sich um Farb- oder SW-Filmmaterial handelt und ob die Materialien im Zwischenarchivlagern bzw. der Sicherung dienen oder ob sie der Benutzungdienen. Weitere Gründe für räumliche Trennung ergeben sich ausder großen Brandgefahr, die von Filmen auf Nitrozelluloseträgernausgeht, und dem Sicherungskonzept: zwischenarchivisch gela-gerte Stücke sowie erste und zweite Sicherungsstücke sind jeweilsunabhängig der klimatischen Anforderungen getrennt zu lagern,damit im Havarie- oder Katastrophenfall eine größere Wahr-scheinlichkeit einer Überlieferung gegeben ist.

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1 Der folgende Beitrag soll einen Überblick über die Aufgaben des für Filmres-taurierung, -konservierung und Magazinierung zuständigen Referats der Ab-teilung Filmarchiv im Bundesarchiv geben. Das Spektrum dieses Aufgabenbe-reiches ist so vielfältig, dass eine umfassende Darstellung den gegebenenRahmen sprengen würde. Einzelne Themen – z. B. der Umgang mit schimmel-befallenen Filmen und die Problematik der Filmschrumpfung – wurden et-was detaillierter dargestellt. Andere Bereiche, wie das Vorgehen bei der Um-kopierung historischer Farbvorlagen, mussten leider ausgespart bleiben.

Tabelle 1: Gliederung der Filmmagazinbereiche im Bundesarchiv

Zwischenarchiv Endarchiv

Klimabereich NI AC, PE 1. Sri.-Stück 2. Si.-Stück Be.-Stück

1 SW, FARBE

2 SW, MF SW, MF SW, MF

3 SW, FARBE

4 FARBE FARBE FARBE

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Stufe 3: Der Film wird mittels einer Reinigungsmaschine gewa-schen, indem das Filmband durch eine Reinigungsflüssigkeit ge -führt wird. Die verwendete Flüssigkeit ist Wasser, dem in ge ringerKonzentration Fungizide beigefügt werden. Eine entsprechendlange Verweildauer des Films im Flüssigkeitsbad garantiert einEindringen des Fungizids in die Emulsion. Zudem besteht dieChance, dass kleinere Fraßspuren in der Emulsion zuquellen.In Kürze wird zwischen Stufe 2 und 3 ein weiterer Behandlungs-schritt eingefügt. Ebenfalls in einem geschlossenen System wirdwährend eines Umrollvorgangs der Film beidseitig mit sehrstarken Luftströmen abgesaugt. Dies aus der Erfahrung heraus,dass bei einem normal fest gewickelten Film im Bereich um diePerforationslöcher mit weiteren Myzelansammlungen zu rechnenist. Die eingesetzten Sauger entsprechen hinsichtlich der einge-setzten Filter natürlich der Staubklasse H. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dassSchimmelpilze potentiell Allergien, Intoxikationen und Infektio-nen hervorrufen können. Deshalb empfiehlt es sich, bei Auftretenvon Schimmel fachkundigen Rat einzuholen und zumindest dieGattung des Schimmels feststellen zu lassen, um das von ihmausgehende Gefahrenpotential einschätzen zu können. Persönli-cher Schutz durch Verwendung von Atemschutzmasken mitFiltern der Schutzstufe P2, Schutzbrille und Handschuhe sind einMuss.Neben dem oben bereits erwähnten Eingangsbefund kommt denwährend der Langzeitlagerung auszuführenden Kontrollbefun-den von Filmmaterialien hinsichtlich chemischer wie biologi-scher Zersetzungserscheinungen große Bedeutung zu. GegenüberPolyesterträgern sind die Zelluloseträger in Abhängigkeit vonTemperatur und Feuchte relativ instabil. Unabhängig davon, ob

Ein ähnliches Problem ergibt sich, wenn die Filmrolle in der ge -schlossenen Büchse wieder eingelagert wird. Die Feuchte der inder Büchse eingeschlossenen Luft und ein Teil der im Filmwickelenthaltenen Feuchte führen wegen des hohen Wärmeleitkoeffizi-enten des Metalls relativ schnell zur Kondensation bzw. Vereisungvon Wasser an der Innenfläche der Büchse. Auch wenn die Film -büchsen nicht hermetisch dicht schließen, bedarf es doch länge-rer Zeit, ehe sich das Innenklima der Filmbüchse dem Außenkli-ma am Lagerort angepasst hat.Wird im Rahmen des Eingangsbefundes eine biologisch bedingteZersetzung, meist in Form Schimmelbefalls der Emulsion festge-stellt, so werden die betroffenen Büchsen separat gelagert. Dies,trotzdem die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass durch Luft -zirkulation Schimmelsporen in nennenswerter Menge aus der ge schlossenen Büchse nach außen gelangen. Angezeigt wird der Be fall in der Regel durch weiße Flecken unterschiedlicher Aus-dehnung auf den Filmwickelflächen – dem Myzel, bestehend auseiner Ansammlung sporenbildender Zellfäden.Bei der Beseitigung von Schimmelbefall auf Film geht das Film -archiv gegenwärtig wie folgt vor. Stufe 1: Zunächst wird der Film längere Zeit im für eine Lang-zeitarchivierung der Materialart vorgesehenen Klima gelagert.Damit wird nicht nur durch die relativ geringe Temperatur demweiteren Wachstum der typisch auftretenden SchimmelgattungenEinhalt geboten, sondern durch die sich nach und nach vermin-dernde Feuchte in Träger, aber vor allem Schicht, ein Absterbendes Schimmels bewirkt. Stufe 2: Das Myzel wird von der Wickeloberfläche abgesaugt.Dies geschieht in einer speziellen Box, wobei die Entfernung desMy zels durch Bürsten unterstützt wird.

AUFSÄTZE

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Schimmelbefall auf einem Filmwickel

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erwartende Lebensdauer von Nitrozelluloseträgern lässt sichleider nach wie vor nur über relativ aufwendige Testverfahrenbestimmen. Die bislang angebotenen Teststreifen sind definitiv zuungenau. Eines der aufwendigeren Testverfahren, der Azilarin-Red-Test, wird offensichtlich von vielen Archiven nicht mehr an -ge wandt, da die darauf basierenden Prognosen zu unsicher wa -ren. Dem in der unter 2) aufgeführten Quellenangabe beschrie-benen Water-Leach-Test, welcher auf der Bestimmung des Säure-gehalts des Filmmaterials basiert, wird größere Aussagekraftbescheinigt. Eine konservatorische Behandlung von sich in fortgeschrittenerchemischer Zersetzung befindlichen Filmarchivalien ist nur mitbegrenzter Wirksamkeit möglich. Zu empfehlen sind die Belüf-tung des Filmwickels, ergänzt durch wiederholte Umrollvorgänge,die Lagerung möglichst im negativen Temperaturbereich bei ge -ringer Luftfeuchte, die Beigabe so genannter Molekularsieve in

es sich um Nitro- oder Azetatzellulose handelt, verlaufen diechemischen Zersetzungsprozesse autokatalytisch und münden,nachdem sie über einen relativ langen Zeitraum mit geringerIntensität vonstatten gingen, in einen extrem beschleunigt verlau-fenden Zersetzungsvorgang. Bei der Auswahl der zu kontrollie-renden Filmmaterialien ist vor allem den von Außen übernom-menen Filmen, bei welchen ein langer Zeitraum zwischen Her-stellung (Kopierung) und Übernahme in das Archiv vermutetwerden muss und deren Lagerklimahistorie unbekannt ist, be -sondere Aufmerksamkeit zu schenken. Zur Feststellung deseventuell gegebenen Zersetzungsgrades kommen bei Azetatfilm-trägern seit geraumer Zeit so genannte A-D-Teststreifen (abgelei-tet von AciDity) bzw. DANCHEK-Teststreifen zur Anwendung.Chemische Grundlage des Testprinzips ist die Reaktion mit derbei Zersetzung frei werdenden Säure unter Einfluss von Luft-feuchte. Der chemische Zersetzungsgrad respektive die noch zu

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Ablaufplan der Filmrestaurierung

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AUFSÄTZE

die Filmbüchse. Auf diese Weise kann zumindest eine Verlangsa-mung des Zersetzungsprozesses erreicht werden. So bald als mög -lich sollte jedoch eine Sicherung durch Umkopierung stattfinden.Wichtig ist, dass die in Zersetzung befindlichen Filme separat inbesonders gut belüfteten Zwischenlagern aufbewahrt werden,damit ein Übergreifen auf andere Bestände ausgeschlossen wird. Das Konzept der Langzeiterhaltung von Filmen zielt entspre-chend nicht nur darauf ab, zwischenarchivisch gelagerte Filmma-terialien so lang als möglich zu erhalten, sondern über den Wegder Sicherung den Zugang zu z. Zt. nicht benutzbaren Filmtitelnstetig zu erweitern.

SICHERUNG UND BENUTZBARKEIT Die Sicherung und Benutzbarkeit eines Filmtitels ist nach denRegeln des Bundesarchivs optimal dann gegeben, wenn ein sogenanntes Sicherungspaket existiert. Die Idee des Sicherungspa-ketes ist durch folgende Grundsätze gekennzeichnet:– die Überlieferung des Filmtitels wird durch zwei so genannte

Sicherungsstücke gewährleistet– die Benutzung des Filmtitels wird durch die Bereitstellung von

zwei Benutzungsstücken – eines als Filmmaterial, eines alsVideo material – gewährleistet

– alle Stücke des Sicherungspaketes, insbesondere die Siche-rungsstücke, sind getrennt zu lagern.

Das Paket besteht also aus einem ersten Sicherungsstück Film,einem zweiten Sicherungsstück Film, einem BenutzungsstückFilm und einem Benutzungsstück Video. Dabei wird davon aus -gegangen, dass alle benannten Stücke dieses Paketes hinsichtlichihres audiovisuellen Inhaltes identisch sind und in Bezug auf ihrezeitliche Länge und innere Ordnung soweit wie möglich der zu

überliefernden Fassung (in der Regel der Uraufführungsfassung)entsprechen. Weiter wird davon ausgegangen, dass die Stücke zu -mindest auf die Filmmaterialien bezogen nahezu gleiche, imIdealfall sich nur durch typische analoge Kopierverluste unter-scheidende Qualität der Aufzeichnung aufweisen. Die Festlegung, in welcher inhaltlichen Ordnung ein Filmtitel zuüberliefern ist, wird durch ein anderes Referat der Abteilung ge -troffen. In schwierigen Fällen werden dabei nicht nur die vor han -denen Filmmaterialien eines Titels inhaltlich abgeglichen, son-dern auch die Informationen filmbegleitender Materialien wieZensurkarten, Drehbücher, Filmprogramme u. ä. mit einbezogen.Als inhaltliche Grundlage der in FA 4 zu erbringenden techni-schen Leistungen wird in der Regel eine so genannte Bezugskopiebenannt. Im Folgenden werden diese Leistungen – der Restaurie-rungsbefund, die manuelle Filmrestaurierung, die Filmreinigung,die Filmkopierung und die Film-Videoüberspielung – näher be -schrieben.Alle zu einem Titel im Archiv überlieferten Materialien werdenzunächst einem technischen Restaurierungsbefund unterzogen.Diese Befunde klären, ob die Positionen des Sicherungspaketesvollständig oder teilweise mit bereits verfügbaren Filmmaterialienbesetzt werden können oder ob die für das Sicherungspaket be -nötigten Materialien vollständig oder teilweise über den Weg derKopierung neu hergestellt werden müssen. Im Idealfall würde das Sicherungspaket aus dem Originalnegativals 1. Sicherungsstück, einem davon kopierten Duplikatpositiv als2. Sicherungsstück und einer Vorführkopie oder einem Duplikat-positiv für die Benutzungsformen Projektion bzw. Duplizierungüber Filmkopierung oder Videoüberspielung und einem Benut-zungsvideo – z. B. einer DVD – bestehen. In der Praxis ist die Zu -sammensetzung des Sicherungspaketes allerdings eher davon ge -

Filmbearbeitungstisch für diemanuelle Restaurierung und dieSchrumpfungsmessung

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kennzeichnet, welche Materialien im Archiv überliefert sind undwelche davon für die einzelnen Positionen des Sicherungspaketesim oben beschriebenen Sinne geeignet sind. Dies ist natürlichauch von der Vielfalt der in der Vergangenheit hergestellten Roh -filmarten und praktizierten Filmproduktionsmethoden ge prägt. 1. und 2. Sicherungsstück müssen natürlich hinsichtlich ihrergrundsätzlichen Format- und Materialeigenschaften bzw. desErhaltungszustandes bestimmten Mindestanforderungen ent-sprechen. Filmmaterialien auf Nitrozellulosebasis oder sich inZersetzung befindlicher Azetatbasis erfüllen diese Anforderungenz. B. nicht.Besondere Beachtung ist dem Befund der Schrumpfung des Film -materials zu schenken. Der überwiegende Teil der Beschädigungan Filmmaterialien ist auf die Bewegung (den Transport) vongeschrumpftem Film auf nicht entsprechend modifizierten Ge -räten zurückzuführen. Da Filmschrumpfung selbst nicht dauer-haft zu beseitigen ist, muss bei allen vorgesehenen Bearbeitungs-stufen auf geeignete Gerätewahl geachtet werden. Sowohl wenn einem Filmmaterial eine Sicherungsstufe zugeord-net wird, als auch wenn es als Vorlage für eine Umkopierung aus -gewählt wird, bedarf es in der Regel einer manuellen Restaurie-rung. Diese umfasst im Wesentlichen alle im Zusammenhang mitder Herstellung der so genannten inneren Ordnung zu leistendenFilmmontagearbeiten und die Reparatur von Beschädigungenaller Art. In erster Linie sind dies mangelhafte oder instabile Kle -bestellen, beschädigte Filmperforation sowie allgemein Einrisse. Klassische, also der Montage dienende Klebestellen können beibestimmten Archivmaterialien aus verschiedenen Gründen inbesonders hoher Zahl vorliegen. Z. B. in Originalnegativen, dahier die aus einer Vielzahl von Einstellungen ausgewählten Sze -nen montiert wurden, oder in viragierten und getonten Vorführ-

kopien, da die Szenen gleicher Farbe gemeinsam gefärbt bzw.getont werden mussten und dann erst im Positiv getrennt zurkompletten Kopie montiert wurden. Aber auch in anderen Film-materialien sind Klebestellen, z. B. als Reparatur eines Film risses,nicht selten. Bei älteren Archivalien überwiegen klassische Nass -klebestellen. Aufgrund der im Gegensatz zu heute größerenFilmtransportkräfte, die im Rahmen der Filmbearbeitung undProjektion auf das Filmmaterial einwirkten, waren Haltbarkeits-anforderungen an diese Nassklebestellen entsprechend hoch. Siewurden deshalb oft bis zu einem Perforationsschritt, also etwa4,75 mm breit, ausgelegt. Diese Klebestellen wiesen naturgemäßeine relativ große Dicke auf. Zudem führte die relativ großeMenge an Filmleim, der für solch eine Klebestelle aufgebrachtwerden musste, oft zu Verwerfungen. Spätestens dann, wenn einFilmmaterial dupliziert werden soll, stellen derartige Klebestellenein Problem dar. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen drohtdie Gefahr, dass sich diese alten, versprödeten Klebestellen wäh -rend des Kopiervorganges lösen. Infolge können unabsehbare,irreversible mechanische Schäden am Film entstehen. Des Weite-ren bewirken diese Klebestellen auf Grund ihrer mangelhaftenMaßhaltigkeit zumindest an einer so genannten Durchlaufkopier-maschine eine kurze Ungleichmäßigkeit im Transportverlauf. DieAuswirkung ist eine meist über mehrere Felder verlaufende Ver -zerrung des neu kopierten Bildes, deren Auswirkung als so ge -nannter Bildstandsfehler, also eine Bildunruhe wahrgenommenwird. Last but not least beeinträchtigen solche Klebestellen dieFunktion von Nasskopierfenstern (Wet-Gates) nachteilig. Auchden empfindlichen Abstreiflippen, die das Nasskopiermittel vondem aus dem Nasskopierfenster respektive dem Immersions-Bereich kommenden Film streifen sollen, droht Gefahr. All diesist Grund, mangelhafte Klebestellen zu erneuern. Dabei wird

Inspektion eines Films am Unterlicht

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AUFSÄTZE

zunächst versucht, die alte Klebestelle ohne weitere Beschädigungdes Filmes zu öffnen, und nach entsprechender Veränderung derFilmenden eine neue, schmale und auch in ihren sonstigenEigen schaften für den Duplikationsprozess vorteilhafte Klebestel-le herzustellen. Dies trifft im Übrigen auch auf Klebestellen zu,bei denen Einrisse oder defekte Perforation mit Blankfilm, alsovon der Emulsion befreiten Filmträgerstücken, nass überklebtwurden.In möglichst seltenen Fällen werden zur Reparatur so genannteTrockenklebestellen angewandt. Dabei werden die Filmenden aufStoß geschnitten mit einem transparenten Klebeband überklebt.Anwendungsfälle sind z. B. ungleichmäßige Filmrisse oder auchursprüngliche Nassklebestellen, die sich nicht ohne Bild- bzw.Tonverlust erneuern lassen. Abgesehen von diesen Vorteilen istdie Trockenklebestelle im Archivbereich letztendlich unerwünscht:Nasskopierung ist an solchen Klebestellen wirkungslos, die Halt -barkeit der Klebestellen ist begrenzt und die Schicht des Klebe-bandes trägt zur beschleunigten Zersetzung von Azetatfilm bei.Zur Sicherung vorgesehene Filmmaterialien dürfen deshalb imBundesarchiv nicht mit Trockenklebestellen versehen sein.Dies gilt auch für mit Klebeband ausgeführte Reparaturen anbeschädigter Perforation. Doch je nach Ausmaß dieser Schädenund der Art der für eine Duplizierung vorgesehenen Kopierma-schine bzw. des vorgesehenen Digitalisierungsgerätes(Scanner/Datacine) bietet sich zumindest eine Alternative an: dasso genannte Auszacken. In der Regel wird dabei der gesamte Be -reich der Perforation bis zu den zur Filmmitte zeigenden Perfora-tionsrändern weggeschnitten. Die Länge solcher Auszackungkann sich von einem Perforationssteg bis zu mehreren Zentime-tern erstrecken. Wichtig ist dabei, dass die Perforation an der ge -genüberliegenden Seite weitestgehend intakt ist. Denn Grundlage

der Anwendbarkeit der Auszackmethode ist die Tatsache, dass derFilmtransport durch entsprechende Zahnkränze beidseitig erfolgtund ein stark beschädigter Perforationsbereich lieber gleich völligentfernt wird, ehe Ecken und Kanten von Einrissen oder bereitsfehlenden Stücken zur Ursache weiter reichender Beschädigungenwerden. Eine wichtige Stufe der Bearbeitung von für die Belegung einerSicherungsstufe oder als Kopiervorlage vorgesehenen Filmmate-rialien ist die Filmreinigung. Die uns umgebende Luft führtStaub und Fasern verschiedener Größe mit sich. Diese Partikellagern sich, eventuell durch Elektrostatik unterstützt, währendder Filmbearbeitung – sei es während des einfachen Umrollens,des Filmschnittes, der Lichtbestimmung, der Sichtung oder derProjektion – auf beiden Seiten der Filmoberfläche ab und werdendurch den Druck der einzelnen Lagen des Filmwickels auf denOberflächen der Filmbahn festgedrückt bzw. gar in die Emulsioneingedrückt. Gelingt es nicht, diesen Schmutz vor Duplizierungzu beseitigen, wird er Teil der fotografischen Aufzeichnung vonBild und Ton des neu kopierten Films. Bei Projektion entspre-chend vergrößert sind sie als auffällige Störung des Bildes und inForm von Knister- und Knackgeräuschen im Ton wahrzuneh-men. Weitere Verunreinigungen sind – oft bereits verharzte – Öl -filme, Fettstifteinzeichnungen und Fingerabdrücke. Im Filmarchiv des Bundesarchivs in Hoppegarten werden je nachVerschmutzung und Status des zu reinigenden Filmmaterials vierverschiedene Methoden angewendet.Solange Staub und Fasern nur relativ lose an der Filmoberflächehaften, können diese mittels so genannter PTR (Particle TransferRolers) entfernt werden. Der Film wird zur beidseitigen Reini-gung durch eine Kaskade mindestens zweier PTR geführt. DiePTR bestehen aus Polymeren, deren Adhäsionskräfte während

Perchlorethylen-Filmreinigungsma-schine mit Ultraschalleinwirkung

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des Moments der Umschlingung durch den Film von der Film -oberfläche abgehoben werden. Die PTR ihrerseits sind natürlichje nach Verschmutzungsgrad regelmäßig zu reinigen. Für fester anhaftenden Schmutz und Verölungen bzw. Verharzun-gen bietet sich eine Nass-Behandlung an. In Abhängigkeit vonGrad und Art der Verschmutzung werden dazu verschiedenespezielle Maschinen, welche mit Wasser, Isopropanol bzw. Per -chlorethylen arbeiten, eingesetzt. Dabei wird der Reinigungsvor-gang durch rotierende Walzen mit weicher textiler Oberfläche,Sprühdüsen oder Ultraschalleinwirkung unterstützt.Wie eingangs bereits erwähnt, nachfolgend einige Anmerkungenzur Problematik der Filmschrumpfung. Bei der Herstellung vonZellulosefilmunterlagen wird eine ganze Reihe von Zusatzstoffenverwendet, welche u. a. der Flexibilität des Filmmaterials dienen. Diese Lösungsmittel verflüchtigen sich mit der Zeit. Infolgeschrumpft das Filmmaterial. Üblicherweise wird das Maß derSchrumpfung relativ in % angegeben. Werte bis zu 1,5 % sindhäufig, vereinzelt treten bis zu 2,5 % auf. Natürlich ist von dieserSchrumpfung auch der Bereich der Perforation betroffen. Da diePerforation dem absolut synchronen Transport des Films mittelsspezieller Zahnkränze dient, müssen Perforation und Zahnkranznatürlich optimal aufeinander abgestimmt sein. Dabei wird eineGenauigkeit von 1/100stel mm vorgegeben. Der Film umschlingteinen Standardtransportzahnkranz mit 32 Zähnen je nach Füh -rung durchschnittlich über einen Bereich von ¼ des Umfangs,also 8 Zähnen. Diese Umschlingung wird gewählt, damit die Kräfte, welche dieZahnflanken auf den in Transportrichtung vorderen Rand derPerforation ausüben, gleichmäßig auf eine möglichst große Zahlvon Rändern bzw. Stegen zwischen den Perforationslöchern – indiesem Falle 8 – aufgeteilt werden. Bei nur leichten Schrumpfun-

gen wird die nicht mehr gegebene Passgenauigkeit zwischenPerforationslöchern und Zähnen durch die Elastizität des Film-materials ausgeglichen. Bei höheren Schrumpfungsgraden,welche in der Regel auch mit einer Versprödung des Filmmateri-als einhergehen, treten zumindest zwei typische Probleme auf:Mit steigendem Schrumpfungsgrad wird der Transport zuneh-mend primär durch den in Laufrichtung vorderen Zahn über-nommen. Entsprechend hoch ist die Belastung der zugehörigenPerforationskante. Durch die Versprödung begünstigt, bestehtgroße Gefahr, dass besonders in dem Moment, da dieser Zahnaus dem Perforationsloch austaucht, die Perforationskante be -schädigt wird und die Ecken der Perforationslöcher einreißen.Optimal lösbar wäre das Problem nur durch Einsatz von an denjeweiligen Schrumpfungsgrad angepassten Zahnkränzen. Übri-gens würden sich bei Transport eines ungeschrumpften Filmsmittels eines für geschrumpften Film gefertigten Zahnkranzes dieVerhältnisse umkehren. Der in Laufrichtung letzte Zahn würdenun die ganze Arbeit leisten müssen. Mit ähnlichen Folgen fürdas Filmmaterial. In der Praxis werden von den Produzenten von Filmbearbei-tungsgeräten Zahnkränze für bestimmte Schrumpfungsbereicheangeboten. Sofern das zu bearbeitende Filmmaterial noch einegewisse Elastizität aufweist, werden Differenzen zwischen Perfo-ration und Zahnkranz in geringen Grenzen ausgeglichen. Über-oder unterschreitet die Filmschrumpfung diesen Bereich über einbestimmtes Maß hinaus, treten die oben beschriebenen Effekteein.

Ein Teil der zur Ergänzung zum Sicherungspaket notwendigenfotochemischen Kopierleistungen, nämlich solche, die 35-mm-Schwarz-Weiß-Filmmaterialien betreffen und Film-Video-Über-

Über einen Transportzahnkranzgeführter Film – Detail einesFilmbearbeitungstischs

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AUFSÄTZE

spielungen können im eigenen Kopierwerk des Filmarchivs er-bracht werden. Alle Aufträge zur hochauflösenden Digitalisie-rung und analogen 16-mm- und die 35-mm-Farbmaterialkopier -leistungen werden an private Dienstleister vergeben. Dies natür-lich unter der Voraussetzung, dass diese Dienstleister über geeig-nete, den mit der Verarbeitung von Archivmaterialien verbunde-nen Problemen angepasste Technik verfügen und entsprechendeErfahrungen nachweisen können.Bei der fotochemischen Duplizierung im Kopierwerk des Bundes-archivs werden folgende Stationen durchlaufen:– Lichtbestimmung– Kopierung/Tonumspielung– Entwicklung– PrüfungIm Folgenden werden diese Stationen kurz beschrieben.Der Arbeitsplatz der Lichtbestimmung ist herkömmlich ein inte -graler Bestandteil der Filmproduktionskette. Obwohl am Drehortdas Bemühen herrscht, wechselnde Lichtverhältnisse schon so zukorrigieren bzw. zu gestalten, dass das in der Kamera befindlicheNegativ, also das Original-Negativ, diesen Intentionen entspricht,sind im Rahmen der Kopierung zum Positiv Korrekturen in derRegel unumgänglich. In der Lichtbestimmung wird das Negativanalysiert, die zu korrigierenden Szenen und entsprechend zu -geordneten Lichtkorrekturwerte festgelegt und auf einem Daten-träger abgespeichert. Mit diesen Daten wird dann während derdarauf folgenden Kopierprozesse zu Positiven oder Duplikatposi-tiven das Kopierlicht der Kopiermaschine adäquat gesteuert.Wird im Rahmen der Restaurierung ein Kopierschritt vom Ori -ginal-Negativ notwendig, ist die Lichtbestimmung im oben ge -nannten Sinne auszuführen. Die Notwendigkeit einer Lichtbe-stimmung vor im Rahmen der Restaurierung auszuführendenKopierschritten geht jedoch über den geschilderten Hintergrundweit hinaus. Häufig kann ein Filminhalt nur durch Rückgriff aufursprünglich verschiedene Kopien rekonstruiert werden, müssenKlammerteilkopierungen von einer in eine andere Materialartgel eistet werden oder – stehen keine klassischen Ausgangsmate-rialien, sondern nur Vorführkopien für eine Kopierung zu Dupli-katnegativen zur Verfügung – muss mit Hilfe der Lichtbestim-mung eine Angleichung der verschiedensten Dichteverhältnisseauch in Hinblick auf den zu verwendenden Rohfilm erfolgen.Zwar kann bei der Lichtbestimmung auf eine Simulation mittelseines so ge nannten Videoanalyzer zurückgegriffen werden. Dietechnisch nicht wirklich überbrückbare visuelle Differenz zwi-schen Monitorbild und Filmprojektion muss durch den Men-schen geleistet werden. Auch wenn eventuell bereits vor der Lichtbestimmung die grobenVerschmutzungen der Vergangenheit mittels einer Nassfilmreini-

gung beseitigt wurden, ist vor der Kopierung zu bedenken, obnochmals eine leichte Reinigung angesetzt wird, damit das Mate -rial völlig staubfrei kopiert wird. Kopiermaschinen werden unabhängig vom Filmformat nachbestimmten Funktionsprinzipien klassifiziert, welche Auswirkun-gen auf Kopierqualität, die Kopiergeschwindigkeit, die Toleranzgegenüber nicht maßhaltigen (geschrumpften) oder beschädigtenAusgangsmaterialien haben. In Hoppegarten werden in Anpas-sung an den Zustand der zu kopierenden Filmarchivalien dreiverschiedene Kopiermaschinentypen verwendet:– eine Kontakt-Durchlauf-Nasskopiermaschine mit FCC-Steue-

rung für verschrammte Filme und Schrumpfungen geringenbis mittleren Grades

– eine optische-Schritt-Nasskopiermaschine mit FCC-Steuerungfür verschrammte Filme und hohe Schrumpfungsgrade

– eine Kontakt-Schritt-Trockenkopiermaschine mit RGB/Kerben-steuerung für schrammfreie Filme und hohen Anspruch aufAbbildungsgüte

Zur Schwarz-Weiß-Filmentwicklung steht eine Maschine fürBild-Positive bzw. Tonnegative und eine Maschine für Bild-Dupli -katmaterialien zur Verfügung. Je nach Anweisung der Lichtbe-stimmung können Laufgeschwindigkeit und Entwicklungstem-peratur variiert werden, um eine an die Charakteristik des Aus -gangsmaterials angepasste Gradation zu erzeugen.Unabhängig davon, dass die Lichtbestimmung selbst über diefotografischen Ergebnisse wacht, wird das Gesamtergebnis derim Rahmen der Restaurierung intern oder extern ausgeführtenKopierungen einer Prüfung unterzogen. Geprüft wird dabei, in -wiefern Mängel in Bild und Ton beseitigt werden konnten undgegenüber der Kopiervorlage keine neuen Mängel zu verzeichnensind. Letzteres ist insofern schwierig, als es darum geht, bei einemz. B. mit zahlreichen Mängeln behafteten Bild auch noch diekleins ten, eventuell zusätzlichen Mängel zu differenzieren.Außerdem bildet ein positiver Bescheid der Filmprüfung u. U. dieGrund lage für Kassation der Vorlage. Das intern oder extern entstandene Filmbenutzungsstück wirdabschließend im Hause auf ein Videoformat transferiert. DerVerwendungszweck dieses Videomaterials liegt mehr in der Infor -mation als in der Präsentation begründet. Es soll also eher in -haltliche Sichtungen und Recherchen vereinfachen und hinsicht-lich seiner Qualität maximal semiprofessionelle Ansprüche aneine Präsentation über Monitor oder Videoprojektor erfüllen.Diesem Ziel angemessen werden lediglich gebrannte Einzel-DVDs hergestellt. Die verwendeten Abtaster sind dem mittlerenBudgetbereich zuzuordnen.

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ZUM SCHLUSS – EINE KLEINEHANDLUNGSANWEISUNG Fachgerechter Umgang mit Filmmaterialien bedarf in der Regelkeines hohen technischen Aufwands. Abschließend möchte ichdeshalb einige praktische Tipps auflisten, die Handlungshilfenbei der Beschäftigung mit kleineren Beständen bieten.

Klärung der Bedeutung der Stücke eines BestandesKlären Sie die Frage, welcher inhaltliche Wert der Archivaliezukommt, ob sie ein Unikat darstellt und ob sie der Sicherungoder der Benutzung dient. Bei hohem inhaltlichen Wert keineBenutzung ohne Sicherung!

Klärung der stofflichen ZusammensetzungIdentifizieren Sie Träger und Schicht. Insbesondere sollten Siewissen, ob sich Archivalien auf Nitrozelluloseträger in IhremBestand befinden. Differenzieren Sie zwischen Farb- undSchwarz-Weiß-Filmen.

Klärung des Zustandes Inspizieren Sie die Archivalie über die Feststellung der stofflichenZusammensetzung hinaus. Fertigen Sie zunächst einen Schnell-befund. Beachten Sie dabei markante Hinweise:– Essiggeruch bei Azetatmaterialien deutet auf akute Zersetzung

hin – Innen verrostete Büchsen deuten auf akute Zersetzung hin– Klebender Film deutet auf akute Zersetzung hin– weiße Flecken auf dem Filmwickel deuten auf Schimmelbefall

hin Entfernen Sie Trockenklebestellen einschließlich der Klebmittel-reste (mit Aceton).

Klären der LagermöglichkeitenLagern Sie in Abhängigkeit der Bedeutung, der stofflichen Zu-sammensetzung und des aktuellen Zustandes. Lagern Sie Film-materialien– so kalt und trocken wie möglich– ohne zusätzliche Verpackung wie Plastiktüten u. ä.– ohne Karteikarten u. ä in der Büchse– horizontal.

Beachtung bei Bearbeitung und BefundungAchten Sie bitte auf folgende Hinweise:Film nur mit fusselfreien Textilhandschuhen handhaben (Haut-schweiß setzt Zersetzung in Gang).

Vor jeglichem Bewegen über Zahnkränze die Schrumpfungbestimmen. Das geht auch ohne teure Schrumpfungslehre: 10Bildfelder à 19 mm = 190 mm. Messen Sie an der betreffendenFilmprobe die reale Längenausdehnung von 10 Bildfeldern.Setzen Sie die Zahlen ins Verhältnis. Jeder Millimeter Abweichungentspricht etwa 0,5 %.Geschrumpften Film nur über geeignet modifizierte Techniklaufen lassen.Filmenden nicht auf den Fußboden gleiten lassen – ein großerKarton mit einem eingehängten Wäschesack aus fusselfreiemStoff erfüllt den Zweck.

Quellen1) Preservation and Restoration of Moving Images and Sound,FIAF 1986, S. 231-2322) P.Z. Adelstein, J.M. Reilly, D.W. Nishimura; Stability ofCellulose Ester Based Photographic Film: Part III - Measure-ment of Film Degradation; SMPTE Journal Vol. 104, No. 5, May1995

FILM PRESERVATION IN THE BUNDESARCHIVFilm records stored in the Bundesarchiv in Berlin and Koblenzamount to the total sum of approximately one million units whichrepresent originals and copies of approximately 150.000 films. Themaintenance and preservation of this amount of archival materialcause an immense technical and logistical challenge to the archives.The article surveys the multifaceted area of subjects and problemsconcerning the maintenance and the preservation, but also theduplication of film material as a necessary means of securing itsusability.

Egbert KoppeBundesarchiv-FilmarchivReferat FA 4Lindenallee 55-57, 15366 HoppegartenTel. 03018-7770-628, Fax 03018-7770-999E-Mail: [email protected]

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DIGITALISIERUNG UNDNUTZUNGSMÖGLICHKEITENHISTORISCHEN FILMGUTS*von Simone Görl

Köln ansässigen Organisation führender deutscher Industrieller,welche in der „Wirtschaftswunder“-Zeit mit aufwendigen Anzei-genkampagnen sowie fünf kurzen Kinospots das Konzept der So -zia len Marktwirtschaft bewarb, exemplarisch die Digitalisierungund Nutzungsmöglichkeiten historischen Filmguts dargestellt.3

DIGITALISIERUNG Im Zeitalter der sog. „Digitalen Revolution“ werden viele Begriffeim Umfeld von Medien, Multime dia und Medieninformatik sehrundifferenziert verwendet. Im Rahmen des heutigen „Mega-trend[s] der Digitalisierung“4 wird der Begriff selbst vor allemmit zwei Vorgängen in der Datenverarbeitung assoziiert: Die Er -fassung und Umsetzung von Bildern oder Fotos in digitale Bild -dateien sowie die Erfassung und Umwandlung von Schrift indigitale Textdateien. Eine mögliche weitere Kategorie ist die Digi -talisierung analoger audiovisueller Medien, wie beispielsweisehistorischen Filmmaterials, welches bisher aus archivarischerSicht weitgehend vernachlässigt wurde.5

Die begriffliche Grundlage in der Informationstheorie bildet dasSignal. Ein Signal ist als „eine gezielt verursachte und wahrnehm-bare (messbare) Änderung einer physikalischen Größe in Raumund/oder Zeit“6 definiert. In Multimedia-Systemen unterscheidetman prinzipiell zwischen analogen und digitalen Signalen. Einanaloges Signal ist ein Signal, welches einen kontinuierlichenVorgang kontinuierlich abbildet, während ein digitales Signal nuraus (codierten) diskreten Zeichen besteht. Die Bearbeitung vonSignalen für menschliche Sinnesorgane mit den Möglichkeitender modernen Technik erfordert eine Digitalisierung analogerSignale. Bevor also ein analoges Signal in einem Computer weiterverarbeitet werden kann, muss eine kontinuierliche Umwandlungdieses Signals in eine Folge digitaler Werte erfolgen. Dementspre-chend ist die eigentliche Bedeutung von Digitalisierung als „Um -wandlung der analogen Darstellung eines Wertes einer physikali-schen Größe in eine digitale Darstellung“7 definiert.Der technische Prozess der Digitalisierung erfolgt durch Abtas -tung, Quantisierung und Codierung in drei Schritten. Zunächstwerden bei der Diskretisierung räumlich und/oder zeitlich äqui -distante Messwerte des analogen Signals aufgezeichnet bzw. ab -getastet. Danach erfolgt die Quantisierung des ermittelten Ab -tast wertes. Die Codierung besteht in der Darstellung der Mess -werte mit endlicher Auflösung, indem sie auf ganzzahlige Binär -werte abgebildet werden. Dadurch entsteht ein wert- und zeit -diskretes Signal.

VORBEMERKUNG Hinsichtlich des Umgangs mit historischem Filmmaterial stehen(Film-)Archive derzeit vor zwei für die historische Forschungwichtigen Herausforderungen. Erstens geht es um die Frage deradäquaten Konservierung dieser Quellen, die wegen ihres Altersund aufgrund unzureichender Lagerungsbedingungen zuneh-mend von chemischem Zerfall bedroht sind. Darüber hinausergibt sich zweitens das Problem der Nutzbarmachung dieserQuellen für die Forschung, ohne dabei jedoch durch häufigeNutzung und die Erzeugung von Kopien das Originalmaterial zubeschädigen.1

Filmmaterial unterliegt ähnlichen Konservierungsproblemen wiedie schriftliche oder bildliche Überlieferung, doch können diese– wie beispielsweise in den Bereichen analoge und digitale Foto -graphie – leichter und schonender auf andere Informationsträgerübertragen werden. Die auf Filmen enthaltene Menge und Kom-plexität unterschiedlicher Informationen – bewegte Bilder undakustische Signale – macht nicht nur die Übertragung auf andereInformationsträger erheblich schwieriger. Vielmehr stellt ihrewissenschaftliche Auswertung auch erheblich komplexere Anfor-derungen an die Verfügbarkeit des Materials und an die techni-sche Infrastruktur der jeweiligen Archive. Für eine tiefe inhaltli-che Analyse reicht es nicht aus, einen Film ein- oder zweimal zusehen, sondern die Bildsequenzen – eventuell sogar einzelneFrames – müssen genau analysiert werden können. Darüberhinaus sind historische Filme durch ihre frühere Nutzung unddurch die zumeist ungeeignete Lagerung des Materials häufigrestaurierungsbedürftig. Die Digitalisierung historischer Filmdokumente scheint hiereinen Ausweg zu bieten. Allerdings bestehen auf diesem Gebietaufgrund des erst seit wenigen Jahren vorhandenen Problembe-wusstseins bisher nur geringe Erfahrungswerte. Probleme derRestaurierung, wie die einhergehende Veränderung der Artefakteund die gleichzeitig beabsichtigte Bewahrung des „Originalcha-rakters“ dieser Quellen, sind zwar bereits abstrakt thematisiertworden, allerdings sind die daraus resultierenden Anforderungenbisher nicht präzise bestimmt und vor allem ist der Digitalisie-rungsprozess selbst nur unzureichend dokumentiert und reflek-tiert worden (und somit die Veränderung der „Originale“).2

Abgesehen von der Diskussion über den Quellenwert historischerFilme werfen diese neuen Herausforderungen für die historischeForschung wichtige und weitreichende Fragen auf.Im Folgenden werden anhand der Werbefilme der „WAAGE. Ge -meinschaft zur Förderung des sozialen Ausgleichs e.V.“, einer in

AUFSÄTZE

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Digitale Signalverarbeitung. Quelle: Andreas Holzinger: Basiswissen Multimedia,Bd. 1, Würzburg 22002, S. 66

Wird ein analoges Signal abgetastet, amplitudenquanti-siert und die Abtastwerte binär verschlüs selt bzw. codiert, erhält man ein digitales Signal. * Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um Auszüge einer Magisterar-

beit zum Thema „Soziale Marktwirtschaft im Film. Die Werbefilme der WAA-GE – digitalisiert und analysiert“. Sie wurde am Seminar für Wirtschafts- undSozialgeschichte in Kooperation mit dem Institut für Historisch-Kulturwissen-schaftliche Informationsverarbeitung der Universität zu Köln angefertigt undwird demnächst als VdA-Beiheft veröffentlicht. Ich danke der Stiftung Rhei-nisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA), dem Archivdienst-leister eins:eins medienproduktion gmbh (Köln), der PostproduktionsfirmaH[ea]d-Quarter Gesellschaft für digitale Bildbearbeitung mbH (Köln) sowiedem Tonstudio Soundeluxe (Dahlem, Eifel) für die freundliche Unterstützung.

1 Filmarchivierung im digitalen Zeitalter stellt v. a. kleinere Archive vor großeHerausforderungen, vgl. Sabine Lenk: Filmarchivierung im digitalen Zeital-ter – eine Herausforderung für kleine Archive, in: Wilfried Feldenkirchen u.a. (Hg.): Geschichte – Unternehmen – Archive, Essen 2008, S. 483-494.

2 Andreas Weisser: Die Restaurierung und Konservierung von audiovisuellenDatenträgern aus restaurierungsethischer Sicht, in: Joachim Polzer (Hg.):Weltwunder der Kinematographie. Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Film-technik, Bd. 8, Potsdam 2006, S. 324; Peter C. Slansky: Die Digitalisierung desKinos – ein kultureller Quantensprung? Stefan Drößler im Gespräch mit demHerausgeber, in: Ders. (Hg.): Digitaler Film – digitales Kino, Konstanz 2004,S. 363-378.

3 Im Einzelnen sind dies drei ‚Fritz und Otto-Spielfilme‘: „Anglerfilm“ (1953),„Hamburger-Hafen-Film“ (1953), „Beim Frisör bzw. ‚Meinungsverschiedenhei-ten?’ zwischen Fritz und Otto“ (1954), welche jeweils mit realen Figuren inschwarzweiß gedreht wurden sowie zwei in Farbe realisierte Zeichentrickfil-me: „Behalte Deinen klaren Blick“ (1957) und „Mit beiden Füßen auf der Erde“(sog. Loriot-Film) (1960); alle fünf Werbefilme haben eine Sendelänge von je-weils ca. zwei bis drei Minuten. Alle Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirt-schaftsarchiv zu Köln (RWWA), 16-Fi-1-5.

4 So der Titel des 5. Bayerischen Archivtags, vgl. Generaldirektion der StaatlichenArchive Bayerns: 5. Bayerischer Archivtag vom 15. bis 17. Juni 2007 in Erlan-gen zum Thema: Megatrend der Digitalisierung. Strategien der Archive, in:www.gda.bayern.de/aktuell/archivtag/presse.pdf (Stand: 12/2008).

5 Andreas Rossmann: Gedächtnisschwund. Aufruf der Filmarchive in NRW, in:FAZ, 01.12.2006, Nr. 280, S. 42 sowie AK Filmarchivierung in NRW: Düssel-dorfer Erklärung zur Bewahrung des historischen Filmguts, in:www.duessel-dorf.de/kultur/filmmuseum/pdf/rettung_des_filmguts.pdf (Stand: 12/2008).

6 Kai Bruns, Klaus Meyer-Wegener: Medieninformatik, in: Dies. (Hg.): Taschen-buch der Medieninformatik, Wien u. a. 2005, S. 17.

7 Hans-Joachim Schneider (Hg.): Lexikon Informatik und Datenverarbeitung,München u. a. 41997, S. 243.

8 Ein Farbbestimmer versieht jede Szene mit einem gefälligen Licht, um die aus-geblichenen Farben zu kompensieren, was zu einem Ergebnis führen kann, dasanders ist als das originale Vorführbild, wenn für den damaligen Film z. B. eineheute nicht mehr bekannte Farbentwicklung verwendet wurde. Tonspurenkönnen in großem Maße „gereinigt“ werden, um nicht nur das Rauschen deralten Kopie, sondern auch das Grundrauschen der Originalaufnahme zu ent-fernen, vgl. Auskunft von Peter Kleinmann (Filmrestaurator und Lichtbestim-mer im Bundesarchiv, Koblenz) am 30.5.2007 sowie Interview mit MarcelSchleibaum (Toningenieur, Restaurierungsexperte für audiovisuelle Medien,Inhaber von Soundeluxe) am 14.6.2007.

9 Weisser: Restaurierung, S. 324. 10 Die Charta von Venedig stammt aus dem Jahr 1964 und gilt als zentrale und

international anerkannte Richtlinie in der Denkmalpflege; vgl. InternationalCouncil on Monuments and Sites (ICOMOS) (Hg.): The Venice Charter. In-ternational Charter for the Conservation and Restoration of Monuments andSites, in: www.baudid.de/doc/Charta_von_Venedig.pdf (Stand: 12/2008).

11 European Confederation of Conservator-Restorers’ Organisations (Hg.):E.C.C.O. Professional Guideli nes, in: www.ecco-eu.info/matador/eccosite/ecco_contents.php?doc_id=170 (Stand: 12/2008).

12 Weisser: Restaurierung, S. 334.13 Wie essentiell internationale Kodizes bei restauratorischen Eingriffen von bis-

her „klassischen“ Archivalien sind, welche Konsequenzen dies für die Authen-tizität der Objekte sowie für die weitere Forschung ha ben kann, zeigt das Bei-spiel der Reinigung von mittelalterlichen Handschriften, vgl. Ebd., S. 328.

14 Interview mit Marcel Schleibaum.

vernehmen mit dem RWWA, welche die historischen Filmrollenverwaltet, festgelegt, nach den Grundsätzen der Charta von Vene -dig und den E.C.C.O. Richtlinien eine sog. „Sicht- oder Arbeits-kopie“ zu erstellen. Eine Signalbearbeitung von Ton und Bild„zum Zweck der Forschung“ ist ausdrücklich erlaubt, wenndadurch die „Lesbarkeit des Objektes“ einem breiten Personen-kreis eröffnet und damit gleichzeitig das Original geschont

Die technische Umsetzung erfolgt in vielen Fällen mit einemAnalog-Digital-Umsetzer. Auflösung und Abtastrate bestimmen,mit welcher Genauigkeit das analoge Signal digital dargestelltwird. Das Ergebnis der Digitalisierung wird i.d.R. in binär co -dier ter Form gespei chert, übertragen und verarbeitet.Die digitale Technik bietet einen beachtlichen Spielraum bei derRestauration alter Filme. Die Möglichkeiten auch größerer audio -visueller Korrekturen und den damit verbundenen Eingriffsmög -lichkeiten bzw. Veränderungen des originalen Erscheinungsbildesstellen den Restau rator nicht nur vor technische, sondern zu -nächst vor theoretisch-ästhetische Fra gen.8 Dennoch gibt es vonrestauratorischer Seite bislang erstaunlicherweise keine offiziel-len Formulierungen bzw. Richtlinien zum Umgang mit audiovi-suellen Datenträgern.9 Um diese Lücke zu überbrücken, wird andieser Stelle auf die Charta von Venedig,10 eine international an -erkannte Richtlinie im Bereich der Denkmalpflege sowie auf dieE.C.C.O.-Berufsrichtlinien für Restauratoren zurückgegriffen.11 InAnlehnung an diese beiden weltweiten Stan dards und übertragenauf den Digitalisierungsprozess historischen Filmmaterials sinddie wichtigs ten Ziele aus restauratorischer Perspektive:1. [E]ine möglichst exakte Dokumentation der Bearbeitungsschritte[…].

2. [Die] Aufbewahrung des Originals für weitere Forschungen undBearbeitungen […].

3. [E]ine verlustfreie Übertragung der analogen Information aufeinen neuen, möglichst haltbaren Datenträger.12

Während die beiden ersten Postulate meist problemlos umgesetztwerden können, stellt die dritte und in diesem Fall entscheidendeRichtlinie dagegen eine besondere Herausforderung dar, da siefür den Erhalt des vollen Reichtums an Authentizität steht.13

Übertragen auf audiovisuelle Datenträger bedeutet dies, dass beider Digitalisierung weder Datenreduktion noch Signalverände-rungen stattfinden dürfen. Doch wie gerade aufgezeigt, stelltauch eine hochauflösende Digitalisierung eine Veränderung oderReduktion der Daten dar, weil analoge in digitale Informationtransferiert wird. Mit anderen Worten: „Durch die Digitalisie-rung findet immer eine Datenreduktion statt.“14

Dieser Interessenkonflikt ist das zentrale Problem bei der Digita-lisierung der historischen Werbefilme. Um diesen Antagonismuszu umgehen, wurde hier vor Beginn der audiovisuellen Bearbei-tung des neu gewonnenen digitalen Filmmaterials und im Ein-

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Tonfilm mit einer Lichttonspur zwischen dem Bild und der Per -foration der linken Bildkante. Die Lichttontechnik kam auch beider Aufzeichnung der Werbefilme zum Ein satz. Das Lichttonver-fahren wurde erstmalig in den 1920er Jahren eingesetzt und istseitdem das älteste noch heute gebräuchliche Tonfilm-Verfahren,bei dem Bild- und Toninformation auf demselben Träger aufge-bracht sind. Das Aufzeichnungsprinzip der Lichttontechnik lässtsich in verschiedene Herstellungsverfahren unterteilen. Bei demsog. Intensitätsverfahren der Sprossenschrift, welche auch aufden Werbefilmen zu finden ist, wird der Ton auf dem Filmstrei-fen in gleich bleibender Breite aufgezeichnet, wobei die Lichtstär-ken im Rhythmus der Schallschwankungen moduliert werden.Dadurch entsteht eine variable Schwärzungsintensität, welche jenach Lautstärke, im unterschiedlich starken Lichteinfall begrün-det liegt. Die dadurch auf dem Filmstreifen entstehende „Schrift“wird als Sprossenschrift bezeichnet.20 Liegen zwei dieser Spros-senspuren nebeneinander, wird ein Stereoton erzeugt. Da auf denWerbefilmen allerdings nur eine Sprossenspur erkennbar ist,wurden die Filme mit einer Einkanaltechnik, also monoton,aufgezeichnet, welches dem damaligen Standard entspricht.21

Mittlerweile existieren digitale Lichtton spuren, wie Dolby StereoSR-Digital, auch Dolby Digital genannt, welches neben SonyDynamic Digital Sound (SDDS) das am weitesten verbreitetedigitale Tonverfah ren ist.22

Ähnlich wie die Filmton-Verfahren haben sich die Trägermateria-lien für die fotografische Emulsion im Lauf der Jahrzehntegewandelt. Von 1895 bis in die Mitte der 1950er Jahre bestanddieser Teil des 35-mm-Normalfilmmaterials aus Nitrofilmzellu -lose, ein Kohlenstoffhydrat, welches in Verbin dung mit Salpeter-säure Nitrozellulose ergibt.23 Die damit verbundene große Feuer-gefährlichkeit sowie die instabile molekulare Verbindung vonNitrozellulose führte schließlich zum Ersatz durch den schwerentflammbaren Sicherheitsfilm (safety film), auch Azetatzellulo-sefilm genannt, welcher auch als Trägermaterial für die Werbefil-me verwendet wurde. Die Zersetzungsgefahr besteht zwar auchfür den Sicherheitsfilm, er unterscheidet sich jedoch chemischgesehen von Nitrozellulose dadurch, dass er nicht durch eineVerbindung der Kohlenstoffe mit Salpetersäure, sondern mitEssigsäure entsteht, wodurch die Explosionsgefahr entfällt. Aberauch diese Verbindung ist nicht stabil, auch dieser Film zersetztsich langsam, aber stetig, wie das erst seit wenigen Jahren be-kannte Essigsäure-(„vinegar“-)Syndrom beispielhaft belegt.24

Erste Anzeichen dieses Phänomens sind am scharfen Geruch derEssigsäure erkennbar, welche beim Zersetzungsprozess vonAzetatfilm freigesetzt wird. Dies hat im weiteren VerlaufSchrumpfung, Verwerfung und Brüchigwerden des Trägermateri-als zur Folge. Des Weiteren können durch den sog. Vinegareffektfreigesetzte Abbauprodukte zum Ausbleichen von Farbmateriali-en beitragen. Nach Aussagen von Filmarchivaren sind die Ursa-chen des Befalls und wirksame Gegenmaßnahmen noch weitge-hend unbekannt. Seit Beginn der 1980er Jahre wird daher invielen Bereichen Polyesterfilmmaterial eingesetzt, ein thermoplas -tischer Kunststoff auf petrochemischer Basis, dessen Trägermate-rial eine vielfach höhere Lebensdauer aufweist.25

Die wesentliche audiovisuelle Information eines Films ist jedochin der auf dem Trägermaterial bzw. auf der Filmunterlage hauch-dünn aufgetragenen Emulsionsschicht gespeichert.26 Da die fünfWerbefilme sowohl aus drei Schwarzweißfilmen als auch zweiFarbfilmen bestehen, werden deren spezifische Charakteristikahier kurz umrissen. Die Emulsion des Schwarzweißfilms besteht

werden kann.15 Die im Folgenden beschriebenen Restaurierungs-maßnahmen folgen dabei dem Artikel 9 der Charta von Venedig,wobei eine Restaurierung „dort ihre Grenze findet, wo die Hypo -these beginnt“16. Dies bedeutet, dass Veränderungen nur dortvorgenommen werden dürfen, wo zweifelsfrei geklärt werdenkann, wie der vermeintliche Fehler entstanden ist. Deshalb ist dieim Folgenden beschriebene Befundanalyse des historischen Aus -gangsmaterials unabdingbar. In der Archivpraxis werden Arbeits- und Sichtungskopien i.d.R.in drei verschiedenen Ausführungen erstellt. Dies richtet sich vorallem nach dem beabsichtigten Verwendungszweck sowie nachdem vorhandenen Budget. Man unterscheidet dementsprechendzwischen einer 1:1 Kopie, bei der das analoge Ausgangsmaterialohne weitere Bearbeitung auf einen digitalen Träger überspieltwird. Eine 1:1 Kopie dient in erster Linie dem Erhalt der Informa-tion vor dem physikalischen Verfall. Die zweite Möglichkeit be -steht in einer Teilrestaurierung mit einer pauschalen Bild- undTonbearbeitung. Die dritte und kostenintensivste Variante ist diesog. Vollrestaurierung. Diese beinhaltet neben einer szenenweisenFarbkorrektur sowohl eine Einzelbildretusche als auch eine de -taillierte Überarbeitung der Tonspur. Grundsätzlich gilt jedoch,dass „[d]ie 1:1 Kopie bzw. der originalgetreue Erhalt auf einemheute gängige[n] Medium […] erste Priorität [hat]. Die Restaurie-rung und Formatvielfalt steht an letzter Stelle“17. In Absprachemit dem RWWA wurde für die digitale Restauration der Werbe-filme eine Mischung aus einer Teil- und Vollrestauration gewählt,d. h. es wurden neben der Farb- und Tonkorrektur einige ausge-wählte Einzelbildretuschen bzw. Tonsequenzen bearbeitet. Dochbevor diese Schritte im Einzelnen aufgezeigt werden, erfolgt zu -nächst eine genaue Analyse des vorgefundenen Ausgangsmateri-als.

VORBEMERKUNGEN ZUM AUSGANGSMATERIAL Da bis auf den Entstehungszeitraum der Filme und ihren heuti-gen physischen Zustand keine zusätzlichen Informationen greif-bar sind, werden die folgenden Ausführun gen zum Ausgangsma-terial der fünf Filmrollen aus ihrer vorgefundenen physischenKonsistenz selbst abgeleitet. Dabei wird neben der Bestimmungdes Formats und der Tonspur auf die beiden Kategorien Trägerund Schicht näher eingegangen, da die Zusammensetzung so -wohl des filmischen Trägermaterials als auch ihrer Beschichtung(Fotoemulsion) für die spätere Langzeitarchivierung von zentralerBedeutung sind.Der Filmstreifen selbst, der sog. Blank- oder Rohfilm, ist ein kom -pliziertes System und besteht aus zwei Seiten: einer glatten band -förmigen (blanken) Vorder-Oberseite sowie einer lichtdurchlässi-gen Rück- bzw. Schichtseite, die durch einen „special bindinglayer“18 zusammengehalten werden. Die Rückseite ist aufgrundihrer (Bromsilber-)Gelatine-Beschichtung besonders empfindlichund damit sehr anfällig für Gebrauchsspuren.19 Aus dieser Kom-bination entwickelte sich der kinematographische Film, der inverschiedene Formate, je nach Breite, unterteilt werden kann. DasStandardformat für Film, welches auch bei den Aufnahmen derWerbefilme zum Einsatz kam, ist 35 mm. Es ist das meistbenutz-te Aufnahme- und Projektionsformat für Kinofilme, da 35-mmein ideales Bildseitenverhältnis erlaubt.Zunächst wurde der 35-mm-Normalfilm als Stummfilm miteinem sehr schmalen Bildstrich eingesetzt, ab 1929/1930 als

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15 Weisser: Restaurierung, S. 330 f.16 www.baudid.de/doc/Charta_von_Venedig.pdf, S. 2, Art. 9.17 Interview mit Marcel Schleibaum.18 Paul Read, Mark-Paul Meyer: Restoration of Motion Picture Film, Oxford u.

a. 2000, S. 19.19 Paul Hofmann: Blankseite, in: Ders. (Bearb.): Filmschätzen auf der Spur.

Verzeich nis historischer Filmbestände in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf²1997, S. 371.

20 Frank Bell: Der Lichtton und seine Geschichte: Erfinder und Erfindungen –120 Jahre „Tönendes Licht“, in: Polzer: Kinematographie, Bd. 6, 2002, S. 115.

21 Interview mit Marcel Schleibaum.22 Peter C. Slansky: Projektionsverfahren für das Kino der Zukunft, in: Ders.: Film,

S. 273.23 Der Nitrozellulosefilm wurde aufgrund seiner leichten Entzündbarkeit durch

das „Gesetz über Sicherheitsfilme“ (Sicherheitsfilmgesetz) vom 11.6.1957 ver-boten; vgl. Paul Hofmann: Nitro(zellulose)film, in: Ders.: Filmschätze, 1997,S. 376.

24 Ders.: Essig-(„vinegar“)-Syndrom, in: Ders.: Filmschätze, 1994, S. 180.25 Martin Koerber: Sicherheitsfilm, in: Rainer Rother (Hg.): Sachlexikon Film,

Reinbek bei Hamburg 1997, S. 270.26 Goetz Pollakowski: Filmbearbeitung und Filmarchivierung. Ökonomische und

ökologische Aspekte, Berlin 1990, S. 66.27 Ebd., S. 83.28 Rainer Rother: Schwarzweißfilm, in: Ders.: Sachlexikon, S. 263.29 Interview mit Andreas Fröhlich am 28.2.2007.30 Paul Hofmann: Vorbemerkung, in: Ders.: Filmschätze, 1997, S. 7.31 Dominic Case: Filmtechnik in der Postproduktion. Das Kompendium, Frank-

furt a. M. 2004, S. 84.32 Read, Meyer: Restoration, S. 69.

der Unterlage als auch von der Emulsionsschicht, die sich imLaufe der Jahre bzw. Jahrzehnte auf historischen Filmrollenakkumuliert haben. Je nach Zustand und Menge des Filmmateri-als erfolgt die Säuberung der Filmstreifen entweder manuell oderdurch eine Filmreinigungs- bzw. Ultraschallwaschmaschine.Hierbei durchlaufen die Filmrollen einen mit erhitztem Lösungs-mittel gefüllten Tank. Ein darin enthaltener vibrierender Hochfre-quenzwandler entfernt lose Schmutzpartikel und fetthaltigeSubstanzen. In einem Kabinett wird anschließend das Materialdurch warme Luftzufuhr getrocknet, wobei das Lösungsmittelrückstandslos von der Filmoberfläche verdampft. Da diesesVerfahren nicht nur filmschonend, sondern auch umweltfreund-lich und ökonomisch preiswert ist, hat es sich weltweit durchge-setzt.31

Nach der Befundanalyse und der Filmreinigung erfolgt alsnächster Arbeitsschritt die Abtastung sowie die digitale Restau-rierung der Werbefilme. Bild und Ton werden getrennt bearbeitet,um nach den „principles of film restoration and film reconstruc -tion“32 mit den jeweils verschiedenen Techniken die bestmöglicheWiederherstellung des authentischen Hör- und Seherlebnisseseines Films zum Zeitpunkt seiner Entstehung zu ermöglichen.

VISUELLE BEARBEITUNG Die visuelle Bearbeitung der Werbefilme erfolgt in mehrerensukzessiven Bearbeitungsschritten. Zunächst wird das gereinigteanaloge Material abgetastet bzw. digitalisiert. Während derÜberspielung erfolgt bei jeder einzelnen Einstellung der Filmeeine szenenweise Farbkorrektur. Anschließend durchläuft dasFilmmaterial verschiedene digitale Filtersysteme, um weiterenBildverfremdungen mittels neuester digitaler Technik entgegen-zuwirken. Diesen beiden Schritten folgt nach dem Photoshop-Prinzip die Einzelbildretusche, wobei jedes Bild auf weitereverbleibende Verletzungen analysiert wird und diese bestmöglichmanuell eliminiert werden.Ein Filmabtaster ist ein in der Postproduktion verwendetes Ge -rät, welches analoges oder digitales Filmmaterial einliest, dieseDaten hoch auflösend in ein Videosignal umwandelt und sie

aus in Gelatine gebundenen lichtempfindlichen silberhalogenenKristallen. Das mikrofeine Silber lässt ein Bild aus verschiedenenGrautönen entstehen, d. h. Schwarzweißfilme sind i.d.R. nichtwirklich schwarzweiß, sondern setzen sich aus abgestuftenGrautönen zusammen. Aufgrund des Alterungsprozesses desFilmmaterials geht das metallische Bildsilber des ursprünglichenschwarzen Silberbildes in verschiedene Silberverbindungen über,deren Färbungen alle Schattierungen von Dunkelbraun bis zuweißlichem Gelb annehmen können.27 Der bei der Sichtung derSchwarzweißfilme vorgefundene Grünstich kann auf dieseVeränderung zurückgeführt werden. Ohne eine fotochemischeAnalyse der Emulsionsschicht lässt sich die genaue Ursache derGrünfärbung allerdings nicht bestimmen. Bis in die 1960er Jahrehinein blieb der Schwarzweißfilm trotz der eingeführten Farbfil-me das meistgenutzte Material.28

Die Emulsionsschicht eines Farbfilms besteht aus drei Lagen, indenen für die Primärfarben sensibilisierte Kristalle eingebettetsind. Dementsprechend ist beim sog. Dreischichtfarbfilm, der inder Fotografie um 1935/36 durch Kodak und Agfa etabliertwurde, die oberste Schicht für blaues, die mittlere Schicht fürgrünes und die unterste Schicht für rotes Licht sensibilisiert. Dasich diese drei Lagen im Laufe der Zeit als unterschiedlich che-misch stabil erwiesen haben, stößt man bei historischem Farbma-terial, so auch bei den farbigen Werbefilmen, häufig auf eineFarbstichigkeit. Der Rotstich hat sich dabei als dominierendherausgestellt, weil sich die rote Schicht als am chemisch stabils -ten erwiesen hat. Laut Andreas Fröhlich, Fotograf und SeniorColorist bei H[ea]d-Quarter, geht „die grüne Farbschicht in derRegel meist als erste kaputt. Dies hängt mit den damals verwen-deten Farbmaterialien bzw. der Haltbarkeit der organischenFarbstoffe zusammen. Des Weiteren liegt es natürlich auch an derTemperatur und der Luftfeuchtigkeit“29. Zudem wird die untererote Schicht von den beiden darüber liegenden Lagen vor bei-spielsweise auftretendem Bakterienbefall geschützt.Nachdem sowohl Format (35 mm) und Tonspur (Lichtton) alsauch Trägermaterial (Sicherheitsfilm) und Beschichtung (Silber-halogen- bzw. Dreischichtfarbfilm) der Werbefilme bestimmtwurden, bleibt abschließend festzuhalten, dass es sich bei denvorgefundenen historischen Werbefilmen der WAAGE nicht umNegativfilme, also der ersten verfügbaren Generation der Werbe-filme, sondern um Positivfilme, eine bereits entwickelte, vomNegativ gezogene Kopie eines Films für die Vorführung (Theater-kopie) handelt. Da es in Deutschland damals wie heute nochimmer keine Verordnung über eine Pflichtabgabe aller inDeutschland produzierten Filme gibt, wie es für Druckwerke imRahmen der Pflichtstückverordnung an die Deutsche Bibliothekin Leipzig schon längst Standard ist, werden die Originalnegative(bzw. die Nullkopie) wohl nicht mehr auffindbar sein – sofern sieüberhaupt noch existieren.30

Abschließend bleibt anzumerken, dass die historischen Werbefil-me der WAAGE in einer relativ guten physischen Konsistenzerhalten geblieben sind. Trotz leichter Materialkratzer sowieeinzelner Perforationsschäden und einem leichten Essiggeruch,konnte keine Schichtablösung vom Trägermaterial festgestelltwerden, welche die Information der Bilder komplett zerstörthätte. Eine detaillierte Befundanalyse ist auch die Voraussetzung derFilmreinigung, bevor man zur digitalen audiovisuellen Bearbei-tung übergeht. Die Filmreinigung dient zur Entfernung vonSchmutzpartikeln und löslichen Verunreinigungen sowohl von

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anschließend zur digitalen Bildbearbeitung zur Verfügung stellt.Im Zuge der technologischen Entwicklung standen ab Anfangder 1980er Jahre CCD-Sensoren zur Verfügung, welche auch imBereich der Filmabtastung eingesetzt wurden. Bei CCD-Abtasterndient als Lichtquelle eine Halogenlampe. Das Licht leuchtet da -bei durch eine Spaltoptik auf das Filmbild. Durch eine Linsewird das Bild des kontinuierlich weitertransportierten Filmmate-rials über ein strahlenteilendes Prisma durch rote, grüne undblaue Filter auf drei einzeilige CCD-Elemente projiziert. AlsEmpfänger dienen eine oder mehrere CCD-Zeilen mit einerAuflösung von bis zu 4096 Pixeln. Das elektronische Abbild derZeile wird digital weiterverarbeitet und steht am Ausgang desFilmabtasters als analoges oder digitales Video- bzw. Datensignalzur Verfügung.33

Prinzipiell ist die Qualität der Digitalisierung historischen Film -materials maßgeblich abhängig vom verwendeten Abtastverfah-ren. Deshalb wurden die Werbefilme mit dem z. Zt. bestmögli-chen High-End Gerät, einem CCD-Filmabtaster mit einer Auf -lösung von bis zu 4K, abgetastet.Die Farbkorrektur bzw. das Color Grading ist ein entscheidenderTeil des Produktionsablaufs bei Postproduktion und Digital In -termediate (DI). Generell versteht man unter Farbkorrektur eine„Angleich[ung] unterschiedlicher Belichtungs- und Farbverhält-nisse, die bei der szenenweisen Produktion eines Films zwangs -läufig auftreten“34. Dies bezieht sich bei der Restauration histori-schen Filmmaterials hauptsächlich auf alterungsbedingte Farbsti-che. Wenn kein Vergleichsmaterial oder vorgegebene Farb kon -zepte – wie es bei den Werbefilmen der Fall ist – zur Verfügungstehen, obliegt es dem geschulten Auge des Operator bzw. Coloris-ten, die Farbkorrektur eines Films so zu gestalten, dass sie derIntention des Originals entspricht bzw. der „Look“35 des Filmsbewahrt bleibt.Das integrierte 4K-Farbkorrektursystem des CCD-Filmabtasterssteuert den Rechner parallel als Wiedergabe- und Aufnahmema-schine. So werden bei jeder einzelnen Filmeinstellung die Farb-,Helligkeits- und Dichteänderungen bzw. -sprünge angepasst unddie Korrekturen automatisch gespeichert. Dafür werden alleMög lichkeiten des Systems von der dynamischen Korrektur übervektorielle Änderungen im RGB-Farbraum (primäre Farbkorrek-tur) bis hin zum gleichzeitigen Einsatz mehrerer Powerwindows,

die Farbänderungen für frei definierte Bildausschnitte ermögli-chen (sekundäre Farbkorrektur), ausgeschöpft. Da sich der alterungsbedingte chemische Zersetzungsprozess beiden Kinospots in ei ner bereits erwähnten Grün- bzw. Rotstichig-keit niederschlug, wird deren digitale Restauration durch die pri -märe und sekundäre Farbkorrektur detailliert dargestellt. In derprimären Farbkorrektur wird die Gesamtfarbigkeit des Bildes imRGB-Farbraum durch drei Regler bestimmt, von denen jederjeweils nur eine einzige oder alle Farben steuern kann. Der RGB-Farbraum ist ein additives Farbmodell, bei dem sich im sog.Lichtmischungsprozess die Grundfarben zu Weiß addieren.36 EineFarbe wird dabei durch drei Werte beschrieben: den Rot-, denGrün- und den Blauanteil. Durch die separaten Steuerknöpfekönnen Schatten und Mitteltöne sowie Lichter und Farben re -guliert werden. Die sekundäre Farbkorrektur ermöglicht die Ver -änderung der sechs Grundfarbenbereiche unabhängig voneinan-der in Helligkeit und Sättigung, ohne dabei andere Farben zubeeinflussen.37

Dem bei allen Schwarzweißfilmen vorgefundenen Grünstichwurde durch eine Reduzie rung des grünen Farbraums entgegen-gewirkt. Nach Aussage von Andreas Fröhlich folgt die anschlie -ßende Feinjustierung gemäß dem Motto „schwarz soll schwarzsein, weiß soll weiß sein, dann erledigt sich das in der Mitte meistvon alleine. Beim Frisörfilm orientiert man sich beispielsweiseam Frisörkittel, der ja eigentlich weiß sein soll. Deshalb wird dasBild zunächst so korrigiert, dass der Kittel weiß ist, dementspre-chend werden die anderen Farben angepasst.“38

Analog wurde bei den schwarzweißen Werbefilmen die Steue-rung für den Weißwert verwendet, um Weiß und Spitzlichterheller bzw. dunkler zu regulieren oder ihre Farbbalance zuverändern. Mitteltöne und Schatten wurden durch diesen Reglerrelativ wenig beeinflusst. Für den Schwarzwert gibt es eine ähn -liche Regulierung. Bei der Veränderung dieses Wertes könnendünne Schatten komprimiert oder zu einheitlichem Schwarzvertieft bzw. tiefe Schwärzen in einen Grauton „aufgezogen“ wer -den. Durch die Manipulation des Schwarzwertes können folglichFarbstiche der Schattenpartien erzeugt bzw. entfernt werden,wobei die Mitteltöne verhältnismäßig unverändert bleiben.Damit wurde vor allem im „Hamburger-Hafen-Film“ gearbeitet,da sich in fast allen Einstellungen dieses Films um die Protago -

Das CCD-Gerät liest den Filmzeilenweise ein, während dieseran einer Anordnunglichtempfindli cher Fotozellenvorbei läuft.

Theoretische Funktionsweise eines Charge-Coupled-Device (CCD)-Filmabtasters. Quelle: Case: Filmtechnik, S. 169

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nisten Fritz und Otto ein Nebelschleier bzw. leichte Schattenum-risse gebildet haben. Der dritte Regler, mit welchem die Gradati-ons- oder Gammawerte angesteuert werden können, senkt dieMitteltöne ab bzw. hebt diese an und gibt dadurch dem Bildeinen helleren, dunkleren oder andersfarbigen Gesamteindruck,ohne dass die Schwarz- und Weißpegel beeinflusst werden. EineAuf hellung erfolgte ebenfalls bei allen schwarzweißen Fritz undOtto-Filmen, wobei diese verstärkt beim „Hamburger-Hafen-Film“ zum Einsatz kam. Zusammenfassend, so Andreas Fröhlichweiter, verlief die Farbkorrektur bei den Schwarzweißfilmen„relativ schnell, da die vorgefundene Qualität ziemlich gut war“39.So einfach die Farbkorrektur für die frühen Schwarzweißfilmeverlief, so komplex und zeitintensiv gestaltete sich die Bearbei-tung der später entstandenen farbigen Zeichentrickfilme. Derausgeprägte Grünstich beim sog. Loriot-Film sowie die starkeRotstichigkeit bei „Behalte Deinen klaren Blick“ liegen neben denfortgeschrittenen chemischen Auflösungserscheinungen desDreischichtfarbfilms hauptsächlich in ihrem Genre begründet,worauf der Senior Colorist von H[ead]-Quarter ausdrücklichhinweist: „Animations- bzw. Zeichentrickfilme sind Exoten, dahierfür das Filmmaterial eigtl. zweckentfremdet wird. [DerDreischichtfarb film] ist ja dazu da, um die Wirklichkeit abzubil-den. Die Farbschichten sind auch dementsprechend sensibilisiert,d. h. im Zeichentrickfilm werden Farben verwendet, die es soeigentlich in der Natur nicht gibt.“ Die künstlich intensiveFarbgebung in den Zeichentrickfilmen wirkt folglich als Verstär-ker auf die alterungsbedingten Farbstiche.Die bei den Zeichentrickfilmen vorgefundenen Farbverfärbungenwurden durch eine Reduzierung des grünen bzw. roten Farb raumsund einer entsprechenden Anhebung des roten bzw. grünen undblauen Farbraums behoben. Nach der gerade beschriebenen undfür jede Einstellung erforderlichen Anhebung bzw. Absenkungder Weiß-, Schwarz- und Gammawerte erfolgte im Rahmen dersekundären Farbkorrektur bei sog. Selected Takes eine Manipula-tion verschiedener Bildausschnitte. Auf diese Weise wurde zumBeispiel dem grünen Him mel im Loriot-Film seine blaue Farbewiedergegeben.Der Farbkorrektur schließt sich das sog. „digital filtering“ an. Beidieser wiederum in Echtzeit erfolgten „Kosmetikbehandlung“(Andreas Fröhlich) durch elektronische Filtersysteme wurde der

Schwerpunkt auf die Reduktion bzw. Beseitigung mehrerer Stö -rungen gelegt. Dazu zählen die Entfernung des restlichen Film-schmutzes, die Angleichung des leicht divergierenden Filmkornsder Positivfilme, eine Signalglättung sowie die Verwendung vonRauschunterdrückungs- und Schärfeanhebungssystemen. DieVerminderung des Farbrauschens wurde vorwiegend im Loriot-Film angewendet. Die Bearbeitung der Bildschärfe dagegen kambesonders bei den Schwarzweißfilmen zum Einsatz. Dies liegthauptsächlich in den Übergängen der verschiedenen Grautöne inden Schwarzweißfilmen begründet. Je weiter eine Grauzone imVerhältnis zu einer vorgegebenen Linienstärke ist, desto unschär-fer erscheint das Bild.40 Die Vorgabe bestand dabei darin, dass dervisuelle Eindruck des Films möglichst unberührt bleiben sollte.Des Weiteren durften keine digitalen Artefakte auftreten.Obwohl durch das digitale Filtersystem bereits viele Mängelauto matisch beseitigt wurden, blieben dennoch einige gravieren-de Bildstörungen zurück, die nur mit einer Handretusche beho-ben werden konnten. Deshalb wurde im Anschluss an die Farb-korrektur der digitale Datensatz der Werbefilme für die Einzel-bildretusche über eine genormte HD-SDI-Schnittstelle in Echtzeitin ein iQ-System überspielt. Ähnlich wie andere DI-Workstationsist das Cut- und Compositingsystem von iQ geeignet für Pre-Visualisierung, Schnitt, Trailer- und Versionserstellung sowie

33 Wolfgang Seyppel: Problemanalyse und Optimierungsmöglichkeiten für DIWorkflow mit den Bildfrequenzen 24 Hz und 25 Hz, unv. Diplomarbeit Fach-hochschule Köln, Mai 2006, S. 21.

34 Tintes: Digitalisierung, S. 3.35 Interview mit Andreas Fröhlich.36 Case: Filmtechnik, S. 43.37 Ebd., S. 190 ff.38 Interview mit Andreas Fröhlich.39 Ebd., Andreas Fröhlich berichtete in diesem Zusammenhang, dass dies bei

Schwarzweißfilmen – auch älteren Jahrgangs – häufig der Fall ist. Als Beispielnannte er vor einiger Zeit von ihm abgetastete Schwarzweißfilme aus den 1930erJahren, die ebenfalls in erstaunlich guter Qualität erhalten geblieben sind: „Ambesten eignen sich Schwarzweißfilme. Diese haben eine Haltbarkeit von 100Jahren. Da kann man sicher gehen, dass man in 100 Jahren noch ein Bild hat,mit Brief und Siegel.“

40 Walter Pätzold: Digitale Bildbearbeitung, in: Bruns, Meyer-Wegener: Medien -informatik, S. 162.

41 Auf dem ersten Bild ist deutlich ein schwarzer nach oben zeigender Pfeil zuerkennen, der über die ganze Kadrage gezeichnet ist. Dieser Pfeil wurde ver-mutlich von einem Filmvorführer nachträglich auf das Filmmaterial aufgemalt,wahrscheinlich als Hilfestellung, in welcher Laufrichtung die Filmrolle einge-legt werden muss, Interview mit Andreas Fröhlich.

Screenshot vor der Bildbear beitung Screenshot nach der Bildbearbei tung 41

Einzelbildretusche-Beispiel „Anglerfilm“. Quelle: Screenshots erstellt bei H[ea]d-Quarter

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schließt sich eine Unterdrückung störender Klick- und Krackler-Geräusche an. Solche Verzerrungen sind meist als scharfe Spitzenim Signalverlauf erkennbar. Ferner unterlaufen die Audiodateneine Normierung, indem der vorgegebene Dynamikumfang desDatenformats voll ausgenutzt wird. Durch die Reduktion hoherFrequenzanteile kommt es zu einer Signalglättung. Für die Eli -minierung von Rauschanteilen durch Rauschminderer in bei-spielsweise leisen Passagen oder zwischen den Fritz und Otto-Dialogen werden alle Signalpegel, die kleiner als ein bestimmterSchwellenwert sind, auf Null gesetzt. Das bereinigte Rohmaterialwird daraufhin in weiteren Schritten modifiziert. Im Fall derWerbefilme wurde durch ein digitales Filtersystem, welches ausHochpass-, Bandpass- und Tiefpassfilter besteht (ggf. auch inKombination als Equalizer), die frequenzselektive Anpassung inausgewählten Teilbereichen vorgenommen. Eine Minimierungbzw. Maximierung der Signalflanken bei extremen Übergängenzwischen den Signalzuständen high (H) und low (L), auchKompression genannt, ergänzt die Filterbearbeitung. So wurdenim Rahmen der Restaurierung der Mono-Signale je nach Verhält-nis von Stör- und Nutzsignal Klangunterschiede ausgeglichen.Des Weiteren wurden technische Störungen wie Netzbrummenoder Kamerasirren behoben sowie Materialfehler wie Klebestel-len und die damit verbundenen Lichtton-Knackser entfernt bzw.editiert. Nach der Beseitigung der Störsignale folgt der „kreativeTeil“ (Marcel Schleibaum) der auditiven Bearbeitung, in dem dasMaterial nach heutigem Standard sendefähig „gemastert“ bzw.pegeltechnisch „gelevelt“ wird. Da kein Normpegel zu Beginnjeder Tonspur auf den Filmen vorhanden war, wurde zunächstein Pegelangleich des Gesamtsignals entsprechend des Normpe-gels durchgeführt. Das Ziel ist hierbei die Angleichung derStimmen, damit sie gleich verständlich sind.Als Ergebnis der Audio-Bearbeitung kann festgehalten werden,dass durch die Beseitigung des Grundrauschens bei allen Werbe-filmen das Klangbild klarer erscheint. Besonders bei den Dialo-gen zwischen Fritz und Otto ist die Restaurierung der Tonspurdeutlich hörbar. Als Hörbeispiel sind stellvertretend ihre Ge-spräche im „Hamburger-Hafen-Film“ zu nennen, da dort dieAufnahmen im Freien auf dem Hafen-Gelände mit entsprechen-der Geräuschkulisse teilweise nur schwer verständlich waren. DieZeichentrickfilme hingegen zeigten eine deutlich bessere Klang-qualität, weil die Texte vermutlich im Studio direkt vor Mikrofoneingesprochen wurden. Aber auch hier musste an einigen Stellenlautes Kamerasirren akustisch reduziert werden. Nachdem das digitalisierte Audio-Material die verschiedenengrob skizzierten Bearbeitungsschritte durchlaufen hat, wurdeabschließend ein „weiterverwertbares Endergebnis erzielt, mitwelchem je nach Kunden- bzw. Archivwunsch verschiedeneFormate erzeugt werden können.“45

FERTIGSTELLUNG UND DARLEGUNGDER AUFGETRETENEN PROBLEME Es ist eine wichtige Aufgabe der Filmarchive, zu kommunizieren,dass der Film, so wie er ausgesehen hat, tatsäch lich nur auf derKinoleinwand so gesehen werden kann und dass die Neuen Medienihre eigenen Gesetze haben und das Aussehen der Filme verän-dern.46

Die von Stefan Drößler, Filmhistoriker und Leiter des Filmmu-seums München, pointiert zusammengefasste Problematik greiftdie einleitend erwähnte Thematik des Authentizitäts- bzw. Histo -

einfache Farbkorrekturen. Mit einer integrierten Paintbox wurdefür jeden einzelnen Fehler eine Key-Maske erstellt und diese miteinem fehlerfreien, vorherigen oder nachfolgenden Bildinhaltdurch das „key and fill“-Tool aufgefüllt. Die Performance des iQ-Systems ermöglicht es ferner, durch eine Kombination des sog.„zipper and glow“-Tools, das Bild zunächst pixelgetreu heranzu-zoomen, um damit Laufschrammen, welche meistens nur ein bisdrei Pixel breit sind, sowie weitere Fehler wie „Spratzer“ digitalzu korrigieren.42

Um die Ergebnisse der visuellen Bearbeitung in einem Zwischen-fazit festzuhalten, lässt sich an dieser Stelle konstatieren, dass dieFarbstichigkeit bei allen Werbefilmen (bis auf ein Minimum beiden Zeichentrickfilmen) reduziert und die ursprüngliche Farbba-lance wiederhergestellt werden konnte. Durch den Einsatz digita-ler Filtersysteme konnte die digitalisierte Arbeits- bzw. Sichtungs-kopie an Schärfe und Kontrast gegenüber dem analogen Aus-gangsmaterial gewinnen. Des Weiteren wurden an ausgewähltenBeispielen Einzelbildretuschen vorgenommen, um Verfremdun-gen und Gebrauchsspuren am Material zu entfernen und denOriginalzustand möglichst genau zu rekonstruieren.

AUDITIVE BEARBEITUNG Die auditive Restaurierung der Tonspuren gestaltete sich ebensofacettenreich wie die visuelle Rekonstruktion. Da die Audio-Qualität des analogen Ausgangsmaterials starken Schwankungenim Klangbild unterlag, erfolgte nach der Digitalisierung derLichttonspur eine Korrektur der Störgeräusche mit Hilfe einesAudio-Software-Pakets, das für die Signalverarbeitung neben derRechenleistung des Host-Computers insbesondere auf spezielleDSP-Chips zurückgreift.Um eine originalgetreue Sound-Wiedergabe durch die digitaleTonabtastung zu gewährleisten, wird in einem ersten Schritt(Preset) die Hard- bzw. Software gemäß der Tapesheet-Vorgabeeingestellt.43 Nachdem die bereits gereinigten historischen Film-rollen in einen entsprechenden 35-mm-Projektor eingelegt sind,wird die Tonspur mit Hilfe eines Laserkopfes des Lichttonkonver-ters ausgelesen und digitalisiert. Dabei wird die Audio-Informa -tion durch Fotozellen erfasst und in einem Decoder in elektro-akustische Signale umgewandelt. Je nach Verwendungszweckbzw. Archivsystem liegt die Audio-Spur nach der Digitalisierunghoch aufgelöst als 24 Bit 96 kHz AIFF- bzw. WAV-Datei vor. Beiaudiovisuellen Materialien erfolgt nun die Synchronisation vonBild und Ton. Dabei wird der Audio-Datenstrom an die DigiBeta-Bildkopie als Referenz nach den Vorgaben des Timecodes auf derMazkarte angelegt. Für die vorgesehene Teil- bzw. Vollrestaurierung wird der digitaleAudio-Stream zunächst akustisch analysiert. Durch einen Audio-Analyser wird das Frequenzspektrum des abgetasteten Signalsermittelt. In einem graphischen Wellenform-Editor werden so diediskreten Samples der Audiodaten als kontinuierliche Kurve ge -zeigt. Vorab werden die Rohdaten von Störfrequenzen (undPhasenverschiebungen bei Mehrkanal-Tonsystemen) bereinigt.44

Die nötige Reduktion bzw. Entfernung von Rausch-, Knister- undKnack-Geräuschen geschieht typischerweise in den nachfolgendskizzierten Bearbeitungsschritten, welche sich analog zur Bildkor-rektur von allgemeinen Eingriffen bis hin zum Einsatz speziellerFiltersysteme steigern. In einem ersten Schritt nach der pauschalen Rauschreduktionwerden führende und nachfolgende Leerräume entfernt. Dem

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42 Interview mit Severin Siebertz (Mediengestalter für Bild und Ton bei H[ead]-Quarter) am 28.9.2007.

43 Dazu zählen u. a. die Bestimmung der historischen Aufzeichnungsverfahrensowie die Frage, ob Rauschunterdrückungssysteme benutzt wurden.

44 Vor der Einführung von Mehrkanalsystemen gab es nur Mono-Aufnahmen,wie es auch bei den Werbefilmen der Fall ist.

45 Interview mit Marcel Schleibaum.46 Slansky: Digitalisierung, S. 367.47 Interview mit Marcel Schleibaum.48 Hierbei wird jedes 12. und 24. Filmbild um ein Halbbild erweitert, vgl. Case:

Filmtechnik, S. 172.49 Interview mit Marcel Schleibaum.50 Joachim Polzer: Film is over, in: Hans-Peter Burmeister (Hg.): Transformation

von Film und Kino in der europäi schen Integration, Rehburg-Loccum 2000,S. 114.

51 Als Beispiel einer digital bearbeiteten Rückkopie auf 35 mm sei hier die Film-restaurierung der „Lola Mon tèz“ (Max Ophüls, 1955) an der Hochschule fürFilm und Fernsehen München in Zusammenarbeit mit dem FilmmuseumMünchen genannt; vgl. Martin Kreitl: Filmrestaurierung – die digitale Aufer-stehung der »Lola Montez«, in: Slansky: Film, S. 361.

52 Noch bezieht sich auf die fortschreitende Digitalisierung des Kinos, vgl. Ingavon Staden, Beate Hundsdörfer: Die digitale Zukunft der Kinobran che, in:Slansky: Film, S. 225-251 oder Dietrich Westerkamp: Standardisierung für dasdigitale Kino, in: Ebd., S. 253-270.

53 Interview mit Marcel Schleibaum; eine Rückkopie auf analoges Filmmaterialfindet meist nur in ausgewählten Einzelfällen wie z. B. bei „Metropolis“(Fritz Lang, 1927) durch die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung statt; vgl.www.murnau-stiftung.de/de/03-01-00-restauration-1.html (Stand: 12/2008).

54 Dafür wurde das Softwarepaket von Sonic (Sonic DVD Creator) verwendet.55 Thomas Aigner, Karin Winter (Hg.): Alte Archive – Neue Technologien/ Old

Archives – New Technologies, St. Pölten 2006.56 Weisser: Restaurierung, S. 333.57 E-Mail-Korrespondenz mit Martina Werth-Mühl vom 15.5.2007.58 James Monaco: Film verstehen, Reinbek bei Hamburg ³2001, S. 533.

von der Authentizität des Ausgangsmaterials.50 Die einzige Mög-lichkeit, an dieser Stelle der Datenreduktion entgegenzutreten, istdie sog. „Film auf Film Kopie“, eine Rückkopie der digitalenDaten auf analoges 35-mm-Filmmaterial,51 welches derzeit nochdem aktuellen Kinostandard entspricht.52 „Nur macht das keinermehr, weil erstens diese Variante viel zu teuer ist und zweitensdas Format nicht mehr zeitgemäß ist bzw. weil dann in zehnJahren wieder das gleiche Problem bestehen könnte. Aber histo-risch gesehen wäre das das einzige Verfahren, das zählt.“53 Für dieWerbefilme konnte diese Option aus den genannten Gründennicht realisiert werden. Stattdessen wurde ein DVD-Video mitHilfe einer professionellen DVD-Authoring-Software erstellt.

54

Obwohl analoge Technologien nach wie vor an zentralen Schnitt-stellen eingesetzt werden, gibt es heute kaum mehr einen Bereich,der nicht von der Digitalisierung dominiert wird. So wichtig undwünschenswert daher die Anwendung dieser „[n]eue[n] Techno-logie“ in „[a]lte[n] Archive[n]“

55 ist, birgt sie aus Sicht der klassi-

schen Restaurierungsethik auch „ernst zu nehmende Gefah-ren“,56 auf die unter anderem Martina Werth-Mühl, Archivarinim Bundesarchiv-Filmarchiv, hinweist.

57So kann durch die Digita-

lisierung historischen Filmmaterials die Authentizität bzw.Historizität eines historischen Datenträgers stark beeinträchtigtoder gar zerstört werden, da das ursprüngliche Hör- und Seher-lebnis durch die gerade beschriebene Konvertierung und Kompri-mierung sowie wegen einer dadurch bedingten anderen Handha-bung nachhaltig verändert wird.58 Neben dem Verlust der physi-kalischen Besonderheiten bleiben beim Übergang des Inhalts aufeinen neuen Datenträger möglicherweise wichtige Informationenauf dem historischen Datenträger zurück, die für die Authenti-zität von großer Bedeutung sind. Die von Drößler angesprocheneVeränderung des Aussehens ist sowohl auf der technischen alsauch auf der ästhetischen Ebene problematisch. Die Normierungdurch PAL verändert nicht nur die Bildwiederholungsfrequenz,

rizitätsverlustes wieder auf. Die zitierten „eigenen Gesetze“ derelektronischen Medien spiegeln sich auf technischer Ebene durchdie Normwandlung von analog in digital in der Konvertierungsowie der Komprimierung audiovisueller Information wider.Mit der Entwicklung und Einführung des Fernsehens haben sichweltweit verschiedene Fernsehstandards durchgesetzt, die sichunter anderem auf die Bearbeitung von Filmmaterial auswirken.Das zentrale Problem ist dabei die unterschiedliche Wiedergabeder Bildwiederholungsfrequenz. Während ein Kinofilm traditio-nell mit 24 Bildern pro Sekunde (fps) gedreht wird (Filmstan-dard), wird das Fernseh- bzw. Videobild nach europäischemBroadcast-Standard durch PAL mit 25 fps wiedergegeben (Vi-deostandard). Das PAL-Verfahren benutzt üblicherweise einVideoformat, welches mit 625 Zeilen pro Bild arbeitet, von denen576 sichtbar sind. Das Bildformat weist ein Verhältnis von 4:3auf. Dies führt zu einer Auflösung von 720 x 576. Die Bildwieder-holungsfrequenz beträgt daher 25 Hz bzw. 25 fps. MarcelSchleibaum konkretisiert das Problem des PAL-speed-up Effektsfolgendermaßen: Wenn man mit 24 fps abtastet und anschließend das Bildmaterialmit 25 fps wiedergibt, ergibt sich zeitlich ein Bild pro Sekunde mehr,welches vom Original abgespielt wird bzw. die Filmlänge des Bildeswird pro Sekunde ein Frame kürzer. Das bedeutet, dass mein Filmpro Sekunde ein Frame schneller läuft, was weiterhin bedeutet, dassdie Bildspur nicht mehr synchron zur Tonspur ist, da ohne Ton -höhen änderung eine Überspielung des Tons nur mit 24 Framesmöglich ist.47

Analoges Filmmaterial muss dementsprechend so abgetastet wer -den, dass es einerseits in 25 fps wiedergegeben werden kann undandererseits der Ton zum Bild synchron bleibt. Dafür gibt es zweiMöglichkeiten: Die erste Option besteht darin, den Film für denTransfer auf PAL durch das sog. Pitch-Shifter-Verfahren (PAL-Pullup/ down) zu beschleunigen. Er muss dementsprechend um 25/24

~ 4,167 % schneller abgespielt werden. Dies hat zur Folge, dassKinofilme im Fernsehen genau um diese 4,167 % kürzer wieder-gegeben werden. Die PAL-Beschleunigung wird als Tonhöhenän-derung wahrgenommen. Die Abweichung entspricht ungefähreinem Halbton. Die zweite und „weitaus professionellere“ (Mar-cel Schleibaum) Variante, welche auch bei der Bearbeitung derWerbefilme zum Einsatz kam, wird als Timecorrection bzw.Time-Stretch-Verfahren bezeichnet. Diese Methode der TimeCompression bzw. Expansion erlaubt es, die Länge und Tonhöheeines Geräusches unabhängig voneinander zu verändern.48

Dadurch bleibt die Tonhöhe trotz veränderten Tempos konstant.Je nachdem, ob eine Expansion oder Compression durchgeführtwird, werden Samples aus dem Audio-Material interpoliert oderverworfen. In der Praxis kommen beide Verfahren zum Einsatz,wobei professionelles Time-Strechting mit einem deutlich höhe-ren Arbeits- und damit Kostenaufwand verbunden ist.Eine weitere technische Hürde der mittlerweile digitalisierten,restaurierten und synchronisierten Werbefilme stellt die bereitsangesprochene „Sendefähigkeit“ dar. Die geplante Veröffentli-chung der Werbefilme auf DVD, aber auch deren zukünftige Ein -bindung in das Datenbanksystem des RWWA, erfordern eineweitere technische Spezifikation mittels Kompression. Wenn dieFülle der bisher erzeugten Daten für die standardisierten Ver-triebsmedien wie Internet, Fernsehen oder DVD „zeitgemäß“

49

und damit heutigen Normen entsprechend aufbereitet wird, ziehtdies automatisch eine weitere Komprimierung nach sich. Damitentfernt sich der digitale Datenstrom einen zusätzlichen Schritt

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onskosten beliebig erweitern. Der für Archive in Zeiten generellerSparzwänge so wichtige ökonomische Aspekt berührt darüberhinaus auch sozial-gesellschaftliche Bereiche, die unter demSchlagwort der „Demokratisierung des Zugangs zu Information“und einer damit verknüpften „Verfügbarmachung“ bzw. Partizi-pation an Information zusammengefasst werden können.71

Besonders für die historische Forschung spielt der Aspekt desleichteren Zugriffs auf Information und deren umfassendeErschließung und Vernetzung durch Verzeichnung bzw. Indexie-rung eine zentrale Rolle.72 Manfred Thaller, Fachinformatiker fürHistorisch-Kulturwissenschaftliche Informationsverarbeitung,fasst diese Thematik wie folgt zusammen: Wir sprechen dabei von der systematischen Bereitstellung vonDigitalisaten von Bibliotheks- und Archivbeständen, die nationalund international […] vorangetrieben wird, zu dem die Vorstellung,dass die neuen Möglichkeiten des digitalen Informationsaustauschesund der Vernetzung von Information […] zusammen mit neuenPublikationswegen eine ganz allgemein ‚verbesserte‘ Art der For-schung ermöglichten, was sich hinter dem forschungspolitischwichtigen Schlagwort der E-Science verbirgt […]. Aus dieser Vor-stellung entwickelt sich in anderen Ländern mittlerweile ein Kon-zept der ‚E-Humanities’, rund um die Vorstellung einer Geschichts-wissenschaft, die die digitalen Medien langfristig als primäres Mittelfür den Zugang zu Forschungsinformation, deren Analyse und derVeröffentlichung der so erzielten Ergeb nisse nutzen könnte.73

Übertragen auf die Digitalisierung historischen Filmguts bedeu-tet die „verbesserte Art der For schung“ nicht nur einen erleich-terten, zum Teil ortsunabhängigen Zugriff mittels DVDs oderspeziellen Mediennetzwerken, sondern es eröffnen sich darüberhinaus neue Möglichkeiten für eine detaillierte Filmsequenzana-lyse im Rahmen einer filmischen Quellenkritik. Für eine wissen-schaftlich fundierte Analyse reicht es eben nicht aus, den Filmein oder zweimal im Archiv zu sichten – vorausgesetzt, dasArchiv verfügt über eine dafür nötige Infrastruktur. Am digitalenFilmmaterial lassen sich beispielsweise mittels einer Edit Decisi-on List Timecode oder Bildnummern exakt ablesen. Auch durchandere Funktionen, wie z. B. Standbilder, kann viel genauer „amFilm selbst“ gearbeitet werden. Dies impliziert wiederum eineoptimierte Analyse der formalen und inhaltlichen Gestaltung,welche so bei der Sichtung analoger Filmdokumente nichtmöglich ist.

MÖGLICHKEITEN DER VERWERTUNGUND NUTZUNG HISTORISCHENFILMMATERIALS Das traditionelle Nutzungsverhalten eines Archivs ist meist einnach innen gerichteter Prozess, d. h. es findet vorwiegend eineinterne Nutzung statt.74 Natürlich hat es immer auch Anfragenvon außen gegeben, allerdings mit niedriger Frequenz und einemNutzungsfeld vorwiegend wissenschaftlicher oder administrativerArt. Durch die Umwälzungen im Bereich der Informationstech-nologie und die rasche Expansion des Internets haben sich dieFormen wissenschaftlicher Forschung und Kommunikationgrund legend verändert. Damit eröffnet sich für Archive undArchivbenutzer eine Vielzahl neuer – auch kommerzieller – Ver -wertungs- und Nutzungsmöglichkeiten, welche nachstehend,bezogen auf digitalisierte historische Filmquellen, kurz umrissenwerden.

sondern auch das Bildseitenverhältnis. Während 35 mm alsklassisches Filmformat auf der Kinoleinwand in einem Verhältnisvon 1,375:1 (=12,5:9) proji ziert wird, erfolgt die Wiedergabe durchPAL in einem standardisierten Verhältnis von 4:3. Darüber hinausist die Verwendung digitaler Restaurationstechniken nur soweitmöglich, wie es das analoge Ausgangsmaterial überhaupt zulässt.Im Fall der Zeichentrickfilme konnte aufgrund der fortgeschritte-nen Zersetzung der Farbstoffe „überhaupt kein 100prozentigneutrales Bild mehr hergestellt werden“59. Inwieweit zudem Ein -griffe wie Einzelbildretuschen – wenn sie nicht eindeutig wie imFall des Anglerfilms nachträglich auf das Filmmaterial aufge-bracht wurden – einen Film „verbessern“, ist zudem aus filmhis -torischer Sicht umstritten, wie Drößler weiter schreibt: Bei diesem »Besser« ist die Frage, wie man es definiert. Kommt mannäher daran, wie der Film ursprünglich aussehen sollte, oder schießtman über das Ziel hinaus und »verbessert« den Film, dass er plötz -lich anders aussieht als bei seiner Premiere. Da liegt für mich dieGrenze. Diese ist aber schwer zu bestimmen.60

Dies konstatiert auch Martina Werth-Mühl: Das „Zurückrechnen“ rotstichiger Filme ist üblich, weiteres Remas -tering des Ursprungmaterials […] würde von Filmarchiven eher alsnur bedingt mit der Restaurierungsethik vertretbar empfundenwerden. Die teure Einzelbildkorrektur scheint mir auch im Archiv -alltag kaum finanzierbar.61

Nach den E.C.C.O.-Richtlinien muss deshalb auch der Begriffdes Originals in Bezug auf audiovisuelle Datenträger neu über-dacht werden. „[E]s [muss] also möglich sein […], von einemOriginal zu sprechen, auch wenn eine Trennung des Signals vomTräger stattgefunden hat“62, wie der Restaurierungsexperte füraudiovisuelle Medien, Andreas Weisser, folgerichtig fordert. AuchDrößler stimmt dem zu, wenn er dafür plädiert, dass „[d]ie Be -grifflichkeiten auf jeden Fall neu definiert werden [müssen].“63

Hierzu bedarf es allerdings einer breiten Diskussion, in der Kr i -terien definiert werden, nach denen eine neu gefertigte Kopieerstellt werden muss, um als Original bestehen zu können.64

Trotzdem dürfen diese Einwände die vielen Vorteile einer Digita-lisierung nicht in den Hintergrund rücken. Die als Arbeits- undSichtungskopie titulierte DVD der Werbefilme dient in ersterLinie dem „Erhalt des Inhalts in zeitgemäßer Form“65 gemäßeiner „Preservation Digitisation“66. Damit wird es in der moder-nen trägerlosen Welt des Digitalen – „die ja eigentlich nur träger-beliebig und nicht trägerlos ist“67 – möglich, den digitalen Daten-strom der Werbefilme ohne weiteren Qualitätsverlust zu verviel-fältigen. Oder anders formuliert: „Liegt ein Kunstwerk wie einFilm erst einmal in einem digitalen Endformat vor, so reduziertsich die Frage seiner Reproduzierbarkeit im Sinne Walter Benja-mins auf einen einzigen Befehl: »Copy«“68. Während analogeInhalte mit jedem Kopiervorgang an Qualität verlieren (Kopieref-fekt), werden durch die Digitalisierung nicht nur die bereits be -schädigten Filmrollen der WAAGE geschont, sondern es istdarüber hinaus durch Migration möglich, digitale Inhalte bzw.die diskreten Werte in andere Umgebungen bzw. Systeme ohneInformationsverlust zu transferieren.69 Neben der einfachen,verlustfreien und kostengünstigen Kopier- und Übertragbarkeitauf andere Plattformen zieht die Digitalisierung aus ökonomi-scher Perspektive eine generelle Kostenreduktion nach sich.70 Diesbetrifft nicht nur die digitalen Vervielfältigungsmöglichkeiten,sondern auch den geringeren physikalischen Platzbedarf. DieAuf listung lässt sich beispielhaft durch schnelle und günstigeTransportwege (z. B. via Internet) oder durch marginale Produkti-

AUFSÄTZE

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59 Interview mit Andreas Fröhlich; vgl. auch Slansky: Digitalisierung, S. 366.60 Slansky: Digitalisierung, S. 363.61 E-Mail-Korrespondenz mit Martina Werth-Mühl.62 Weisser: Restaurierung, S. 334.63 Slansky: Digitalisierung, S. 373; vgl. dazu auch die Diskussion um die „Auf-

hellung“ des Films bei der Filmrestaurierung von „Berlin Alexanderplatz“ (Rai-ner Werner Fassbinder, 1980) Andreas Busche: „Wünschenswert ist Transpa-renz“. Gespräch mit Rainer Rother (Direktor des Berliner Filmmuseums undder Stiftung Deutsche Kinemathek), in: www.taz.de/nc/1/archiv/archiv-start/?dig=2007%2F06%2F12%2Fa0050 (Stand: 12/2008).

64 Ulrike Gutzmann, Claudia Nieke: Welcome Bits and Bytes. Grundsätze für dieArchivierung digitaler Unterlagen: Bestandsaufnahmen und Perspektiven, in:Archiv und Wirtschaft. Zeit schrift für die Erhaltung des Archivwesens derWirtschaft, 2005/ 4, S. 84.

65 Interview mit Marcel Schleibaum.66 Montevideo (Niederländisches Institut für Medienkunst, Amsterdam): Preser-

vation Formats for Video. An empiri cal examination report, in: www.oasis-ar-chive.info/index.php/En:Preservation:Digitization (Stand: 12/2008).

67 Polzer: Film is over, S. 122.68 Peter C. Slansky: Geschichte und Technologie des bewegten Bildes, in: Ders.:

Film, S. 33.69 Karl Griep: Ein digitales Filmarchiv?, in: Slansky: Film, S. 353.70 Dabei darf selbstverständlich die Frage nach Urheber- und Verwertungsrech-

ten nicht außer Acht gelassen wer den.71 Nach Derrida bemisst sich die „wirkliche Demokratisierung […] stets an die-

sem essentiellen Kriterium: an der Partizipation am und dem Zugang zum Ar-chiv“, Jacques Derrida: Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impressi-on, Berlin 1997, S. 14 f.

72 Monaco: Film, S. 544.73 Manfred Thaller: „Wie ist es eigentlich gewesen, wenn das Gedächtnis virtu-

ell wird?“ Die historischen Fächer und die digitalen Informationssysteme, in:Rainer Hering u. a. (Hg.): Forschung in der digitalen Welt. Sicherung, Er-schließung und Aufbereitung von Wissensbeständen, Hamburg 2006, S. 14.

74 Zur Begriffsbestimmung von „Archiv“ vgl. Aleida Assmann: Das Archiv unddie neuen Medien des kulturellen Gedächtnisses, in: Georg Stanitzek, WilhelmVosskamp (Hg.): Schnittstelle: Medien und kulturelle Kommunikation, Köln2001, S. 268 ff; zur Wortgeschichte von „Archiv“ vgl. Derrida: Archiv, S. 9 ff.

75 Es ist vermutlich nur noch eine Frage von wenigen Jahren, bis die Übertra-gungskapazität der Netze ein hoch aufgelöstes Bild auch über das Internet er-laubt; vgl. Tintes: Digitalisierung, S. 22.

76 Ebd., S. 21 f.77 RWWA (Hg.): Die "Köln-Rolle" - Ein Streifzug durch Werbung von gestern

[DVD], eins:eins medienproduktion gmbh, Köln 2006, 38 min.78 Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Inter-

netportal Netzwerk Mediatheken (Flyer), Bonn 2005, S. 4 sowie www.netzwerk-mediatheken.de/index.html (Stand: 12/2008).

79 Griep: Filmarchiv, S. 353 sowie www.wochenschau-archiv.de (Stand: 12/2008).

DIGITIZATION AND WAYS OF ACCESS TO HISTORICALFILMFOOTAGE Currently, archives have to cope with two challenges concerningfilm footage: Firstly, new archiving technologies are necessary inorder to prevent the decay of old film material by oxidation. Second-ly, these films should be made available to both researchers and thepublic without causing major damage. Five advertising clips storedat the Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln(Rhenish-Westphalian Business Archives, Cologne), provide goodexamples for these challenges. These commercials were produced onbehalf of an association (DIE WAAGE) founded by Ludwig Erhardto promote the concept of the Social Market Economy during theGerman Economic Miracle. The author examines the technical,scientific and legal aspects of the emerging debate among archivistsand historians with regard to sustainable methods of preservationand use of film footage as a historical source.

Unter den oben genannten Gesichtspunkten stellt wohl das Fern -sehen das derzeit lukrativste Medium dar. Seit dem Aufkommendes privaten Rundfunks hat sich die Anzahl der TV-Sender ver -vielfacht und ist durch das digitale Fernsehen auf hunderte vonTV-Kanäle angewachsen. Vereinfacht dargestellt benötigt diesesich mehr und mehr vergrößernde Medienlandschaft (Sparten-kanäle, Zusammenfließen von TV und Internet etc.) vor allem„Content“.75 Dieses Bedürfnis könnten Archive bedienen, indemsie ihr Material für eine kommerzielle Verwertung zur Verfügungstellen. Im Zuge des „Histotainment-Booms“ der letzten Jahre istfür Archive besonders der Bereich historischer Dokumentationenvon Interesse. Nach Tony Tintes, Geschäftsführer des Archiv-dienstleisters eins:eins medienproduktion gmbh, liegt der mittlereMarktwert für „attraktives“ Archivmaterial, wie beispielsweisedem Loriot-Film, bei bis zu 3.000 € pro Sendeminute.76 DurchMehrfachnutzung identischer Inhalte unter verschiedenen The-menschwerpunkten oder den Verkauf „erfolgreicher“ Sendungenan andere Länder bleibt eine mögliche Verwertungskette nachoben offen. Zudem könnten Archive selbst in Zusammenarbeitmit spezialisierten Kooperationspartnern ihr eigenes Archivmate-rial auf dem „Consumer Market“ platzieren bzw. in einem eige -nen Archivshop anbieten. Stellvertretend sei hier das RWWAgenannt, das bereits DVDs wie Die „Köln-Rolle“ – Ein Streifzugdurch Werbung von gestern bereitstellt.77 Wenn man das Feld derprimär wirtschaftlichen Nutzung verlässt, eröffnen sich auch imBe reich der Nutzung durch Forschung und Wissenschaft neueMöglichkeiten. Eine besondere Bedeutung kommt dabei demInternet als dem globalen Verbreitungs- und Nutzungsmediumzu. Ein digitalisiertes und voll recherchefähiges Archiv würdenicht nur den Zugang zu histori schem Filmmaterial wesentlicherleichtern und damit auch das Sujet „Film als historischeQuelle“ für Historiker interessanter machen. Durch die größereNachfrage evtl. in Kombination mit einer moderaten Nutzungs-gebühr könnte es auch zur Refinanzierung der Digitalisierungbeitragen.Die Online-Verfügbarkeit von ausgewähltem historischem Film-gut hat bereits begonnen. Da noch kein zentrales digitales Archiv-portal zur Verfügung steht, haben sich dezentral auf Initiative desDeutschen Rundfunkarchivs sowie der Stiftung Haus der Geschich-te der Bundesrepublik Deutschland über 40 dezidierte überregio-nale medienhistorische Institutionen im Internetportal NetzwerkMediatheken zusammengeschlossen, dessen vorrangiges Ziel esist, „audiovisuelle Quellen und Materialien als bedeutendesKulturgut zu sichern, zu bewahren, zu erschließen und darüberhinaus für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Lehre und Kunstbereitzustellen“78. Im Zuge dessen ist beispielsweise die Internet-Verfügbarkeit von Wochenschauen aus der deutschen Geschichte„eine der ersten Initiativen weltweit, Filmmaterial im Umfangvon 90 Stunden online zu präsentieren“79. Denkbar als eine Option für die Zukunft wäre es beispielsweise,wenn Archive selbst durch eine im Archivsystem integrierte„Workstation“ in der Lage wären, vor Ort Kopien des jeweiligengewünschten digitalisierten historischen Filmmaterials in ver-schiedenen Formaten zu erstellen. So könnte man es Interessen-ten für den Wissenschafts- und Forschungsbereich oder profes-sionellen Verwertern gegen eine angemessene Bearbeitungsge-bühr zur Verfügung stellen.

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Simone Görl M. A.Wissenschaftliche MitarbeiterinUniversität zu Köln, Seminar für Wirtschafts- und SozialgeschichteAlbertus-Magnus-Platz, 50923 KölnTel. 0221-4702817, Fax 0221-4705209E-Mail: [email protected]://wigesch.uni-koeln.de

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DIE WELT IM AUGE DESFILMAMATEURSPRIVATE FILMÜBERLIEFERUNGIN DER LANDESFILMSAMMLUNGBADEN-WÜRTTEMBERG

besitz, aber dann vermehrt auch aus kommunalen und kirchlichenArchiven. Bedingt durch einen höheren Bekanntheitsgrad derLandesfilmsammlung Baden-Württemberg hat sich in den Jahrenab 2005 die Anzahl der Übernahmen von Filmbeständen deutlicherhöht. So wurden im 2. Halbjahr 2007 ca. 1.000 historische Filmein die Landesfilmsammlung Baden-Württemberg übernommen. Inden letzen Jahren konnten bedeutsame Filmbestände u. a. aus denStadtarchiven Esslingen, Freiburg im Breisgau, Heilbronn, Lahroder Pforzheim archiviert werden: Dabei handelt es sich überwie-gend um Dokumentationen von wichtigen Ereignissen der Stadt-geschichte, Imagefilme und private Filmüberlieferung mit lokalemBezug; so ist z. B. der Wiederaufbau Heilbronns und Pforzheims inden frühen Nachkriegsjahren nahezu lückenlos dokumentiert. DieZusammenarbeit mit dem Städtetag Baden-Württemberg hatte imVerlauf des Jahres 2008 die Übernahme zahlreicher Filmbeständeaus weiteren Stadtarchiven zur Folge: So z. B. Filmbestände derStadtarchive Gaggenau und Kirchheim unter Teck. Hervorzuhebenist ein besonders wertvoller Filmbestand mit Filmen des regionalbedeutsamen Filmemachers Friedrich Michel (Abb. 1) aus den1920er Jahren aus dem Stadtarchiv Heidenheim an der Brenz. Eswurden in den zurückliegenden Jahren aber nicht nur Filme vonPrivatpersonen bzw. aus kommunalen oder kirchlichen Archivenin die Landesfilmsammlung Baden-Württemberg übernommen;über das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg gelangten auchImage- und Werbefilme von Firmen des Landes in das Archiv. Eshandelt sich dabei u. a. um sehr frühe Werbefilme ab den 1920erJahren. Gegenwärtig (Stand Dezember 2008) kommen allerdingsnoch ca. 60 % des Filmbestandes der LandesfilmsammlungBaden-Württemberg aus Privatbesitz. Bei diesen Filmen handelt essich überwiegend um Impressionen aus allen Regionen Badensund Württembergs ab 1903, Familienalltag, das berufliche Umfeld,Filmtagebücher von Angehörigen der Wehrmacht, oder Filme, dieim Rahmen von Urlaubsreisen oder Auslandsaufenthalten vonBürgerinnen und Bürgern des Landes überall auf der Welt gedrehtwurden. Bei den Privatpersonen, die Filme an die Landesfilm-sammlung Baden-Württemberg abgeben, muss man zwischen zwei

Die Idee zur Gründung der Landesfilmsammlung Baden-Würt-temberg entstand aus der Notwendigkeit, ein zentrales Filmar-chiv für Baden-Württemberg einzurichten, das einerseits aktuelleFilmproduktionen, die eine finanzielle Förderung der Medien-und Filmgesellschaft (MFG) Baden-Württemberg erhalten, anderer seits aber auch historische Filmdokumente aus und überBaden-Württemberg für die Zu kunft archiviert. Der Sammelauf-trag der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg wurde in denEmpfehlungen der Arbeitsgruppe Filmkonzeption Baden-Würt-temberg1 erstmalig formuliert und deren Etablierung im Okto-ber 2000 verabschiedet.Als ersten Schritt zur Realisierung der LandesfilmsammlungBaden-Württemberg übernahm das HAUS DES DOKUMEN-TARFILMS (HDF) 1998 die Aufgabe, alle Belegexemplare derMedien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg mbH Filmför-derung (MFG) zu archivieren. In einem weiteren Schritt konntenmithilfe einer umfangreichen Fragebogenaktion Stadtarchive,Wirtschaftsunternehmen, Museen, Kreismedienzentren u. a., aberauch Privatpersonen ermittelt werden, die über historische Film -dokumente verfügen. Die Ergebnisse dieser Recherche wurden ineiner Datenbank erfasst und im Herbst 2002 in der Publikation„Filmschätze in Baden-Württemberg“ veröffentlicht. In einemletzten Schritt wurde ab 2002 die Landesfilmsammlung Baden-Württemberg aufgebaut. Bislang konnten so ca. 4.000 historischeFilmdokumente (Stand Dezember 2008) zusammengetragenwerden. Die Landesfilmsammlung wird heute im Auftrag desLandes Baden-Württemberg aus Mitteln der Filmförderung derMedien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg mbH und desStaatsministeriums finanziert; dazu kommen eigene Erträge.

BESTÄNDE DERLANDESFILMSAMMLUNGIn den Jahren von 2002 bis 2005 wurden ca. 2.000 historischeFilmdokumente an die Landesfilmsammlung Baden-Württem-berg abgegeben; diese kamen zunächst überwiegend aus Privat-

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von Reiner Ziegler

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1 S. Palmer, 2000.

Abb. 1: Hermann Hähnle und FriedrichMichel (Filmarchiv Ing. Hermann Hähnle /Foto: HAUS DES DOKUMENTARFILMS)

Das Spektrum des originalen Filmmaterials umfasst nicht nuralle analogen Filmformate: 35 mm, 16 mm, Normal 8, Super 8sowie das in Deutschland eher ungebräuchliche Format 9 ½ mm,das von der Firma Pathé in Frankreich vertrieben wurde, sondernauch eine Vielzahl von Kassettenformaten. Der Sammlungs-schwerpunkt der Landesfilmsammlung Baden-Württembergreicht bis Mitte der 1960er Jahre; für nachfolgende Jahrzehntekann die private Filmüberlieferung nur noch exemplarisch archi -viert werden. Alle in die Landesfilmsammlung Baden-Württem-berg übernommenen Filme werden zunächst formal in der Da -tenbank erfasst. Für jeden Filmbestand wird eine Vereinbarunggetroffen, die nicht nur die Digitalisierung des analogen Filmma-terials und die Langzeitarchivierung des originalen Filmmaterialsim Filmlager der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg bei16 °C und 50 % Luftfeuchtigkeit, sondern auch Fragen der Nut -zung und Verwertung regelt.

NUTZUNG DER FILME Ziel der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg ist nicht nureine dauerhafte Archivierung des originalen Filmmaterials, son -dern auch eine Nutzung der Filmdokumente in aktuellen Pro-duktionen: Historisches Filmmaterial der LandesfilmsammlungBaden-Württemberg wird insbesondere von Redaktionen desSWR, aber auch von anderen ARD-Anstalten, vom ZDF, Filmpro-duzenten und Werbeagenturen angefragt. Den wertvollen Filmbe-stand insbesondere an privater Filmüberlieferung haben aberauch schon Filmemacher aus verschiedenen europäischen Län-dern und den USA entdeckt. Die Nutzung des Materials erfolgtauf der Grundlage von Filmlizenzen, die gegen Lizenzgebührenfür die Dauer von 7 Jahren eingeräumt werden. Die Höhe derLizenzgebühren pro Sekunde berechnet sich nach dem jeweiligen

Gruppen unterscheiden: Es handelt sich einerseits um Erben vonAmateurfilmern, die teilweise nur wenig Bezug zu den Filmenhaben, oder gar um Nachlassverwalter, die überhaupt keinenBezug zu den Filmen haben, aber den historischen Wert der Filmeerkannt haben und diese nicht einfach wegwerfen möchten. Essind dies andererseits insbesondere aber ältere Men schen, die oftüber Jahrzehnte ihr ganz persönliches Leben in Bildern dokumen-tiert haben. Primär mit der Absicht der persönlichen Erinnerung –häufig wohl unbewusst auch mit dem Wunsch, Spuren zu hinter-lassen. Gewollt oder ungewollt transportiert ihr ganz persönlicherBlick auf die Welt immer auch ein Stück Zeitgeschichte. Im Rück-blick und im Vergleich mit anderen Filmdokumenten bekommtdiese scheinbar subjektive und indi viduelle Sicht allgemeineGültig keit.

FILMMATERIALEine ganz besondere Bedeutung kommt bei den Filmen ausPrivat besitz sicher einem wertvollen Filmbestand mit Luftauf-nahmen von Paul Strähle von Städten und Regionen in Süd-deutschland aus den Jahren 1921-1924 zu; die Überspielung desoriginalen Nitrofilmmaterials konnte mithilfe von Mitteln derStiftung Kulturgut auf 35-mm-Sicherheitsfilm finanziert werden.Der Vorbereitung des originalen Filmmaterials – das häufigdurch eine jahrzehntelange unsachgemäße Lagerung gelitten hat– für die Überspielung im Kopierwerk kommt ein besonderesAugenmerk zu. Sind doch häufig nicht nur konservatorischeMaßnahmen, sondern auch eine Restaurierung des Filmmaterialserforderlich. Gefährdetes Filmmaterial oder bereits geschädigtesMaterial muss daher auch vorrangig digitalisiert werden. Ein Teilder Filme kann aus dem laufenden Etat der LandesfilmsammlungBaden-Württemberg digitalisiert werden; für umfangreiche Be-stände müssen Drittmittel beantragt werden. Da die Landesfilm-sammlung Baden-Württemberg aus öffentlichen Mitteln finanziertwird, muss vor der Digitalisierung eine historische Bewertung derFilme für das Land Baden-Württemberg erfolgen.

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Abb.2: Stuttgarter Schlossplatz um 1904(Filmarchiv Ing. Hermann Hähnle / Foto:HAUS DES DOKUMENTARFILMS)

ANFÄNGE DES AMATEURFILMS Die frühen Filmaufnahmen des Filmpioniers Hermann Hähnle(Abb. 1) ab 1904 verdienen innerhalb der privaten Filmüberliefe-rung in der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg besonde-re Erwähnung. Elegante Damen und Herren flanieren an einemFrühlingsmorgen im Jahr 1904 über den Stuttgarter Schlossplatz.Hermann Hähnle (1879-1965) hat diese Szene mit seiner 35-mm-Kamera auf Film gebannt und für die Ewigkeit festgehalten (Abb. 2). Der Film zählt wohl zu den ältesten Dokumenten ausdem Amateurfilmbereich überhaupt. Man darf Hermann Hähnledaher heute zu Recht zu den Pionieren des Films in Baden-Württemberg rechnen. Zunächst waren es familiäre Ereignisse,die sein Interesse weckten. Aus der Passion sollte bei HermannHähnle später dann „Profession“ werden. Er ist heute insbeson-dere durch seine Tier- und Naturfilme bekannt, die für die Arbeitdes Vogelschutzbundes werben sollten. Initiiert hat diese Aufnah-men vermutlich seine Mutter, Lina Hähnle, die 1899 den Vogel-schutzbund gegründet hatte. Aber gerade die ganz privaten Film -aufnahmen – wie eine Familienfeier in der Stuttgarter Jägerstraßeim Jahr 1905 – lassen den heutigen Betrachter wie durch ein Zeit -fenster in den Familienalltag einer großbürgerlichen Familie um1900 blicken und er begibt sich auf eine Zeitreise in längst ver -gangene Tage. Die Anfänge des Amateurfilms lassen sich bereits wenige Jahrenach der Erfindung des neuen Mediums selbst datieren. Diebeiden Brüder Max und Emil Skladanowsky entwickelten 1895 inBerlin ihren Projektionsapparat „Bioscop“, der eine Vorführungvon bewegten Bildern möglich machte. Für die Summe von 2.500Reichsmark hatten sie die Verwertungsrechte an ihrer Erfindungdem Berliner Variete „Wintergarten“ überlassen. Am 1. November1895 wurde ihr „Filmprogramm“ mit einer Dauer von 15 Minu-ten erstmalig als Schlussnummer des Varieteprogramms gezeigt.Zeitgleich arbeiteten die beiden Brüder Louis und AugusteLumière in Paris an ihrem „Cinématographe“, der am 22. März

Ausstrahlungsgebiet bzw. der vorgesehenen Verwertung der Pro -duktion. Die Gebührentafel der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg orientiert sich an den Gebühren der Verwertungs-gesellschaft des Bundesarchivs-Filmarchivs in Berlin und derDeutschen Wochenschau GmbH in Hamburg. Museen und Insti -tutionen des Landes bedienen sich für Ihre Ausstellungsprojekteebenfalls des Filmmaterials der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg. In Städten und Gemeinden des Landes präsentiertsich die Landesfilmsammlung Baden-Württemberg in Form vonFilmabenden mit regionalem oder lokalem Bezug. In Kooperationmit Kommunen des Landes entstehen aus den historischenFilmdokumenten Imagefilme in Form von Kompilationsfilmen,die in der Filmreihe „Eine Filmreise in die Vergangenheit“ aufDVD veröffentlicht werden.

ERSCHLIESSUNG DER FILMEGrundvoraussetzung für eine spätere Nutzung des Filmmaterialsist aber zunächst eine detaillierte inhaltliche Erschließung derFilme. Die formale Erfassung und inhaltliche Erschließung desFilmmaterials erfolgt mithilfe des Datenbanksystems FESAD, dasvom Süddeutschen Rundfunk entwickelt wurde und heute inden Fernseharchiven zahlreicher ARD-Anstalten im Einsatz ist. Inder Datenbank werden zunächst formale Aspekte des originalenFilmmaterials und der erstellten Bild- und Tonträger erfasst. Dieinhaltliche Erschließung besteht aus einem kurzen Abstract undeinem Bildprotokoll, das auch scheinbar banale und nebensächli-che Inhalte beschreibt. Orte, Bauwerke, Personen der Zeitge-schichte usw. müssen identifiziert und benannt werden. DieEingabe von unterschiedlichen Suchbegriffen in verschiedenenFeldern der Datenbank liefert später bei der Recherche einmöglichst breites, oder möglichst exaktes Ergebnis und ermög-licht so eine Suche, die auf das Profil der jeweiligen Anfragezugeschnitten ist.

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Abb.3: Werbeprospekt derFirma BAUER GmbH für einen16-mm-Filmprojektor (Foto:WIRTSCHATSARCHIVBADEN-WÜRTTEMBERG,Bestand Y 12 Eugen Bauer,Stuttgart)

fungspreises in Höhe von 200 Reichsmark auf dem Markt nichtwirklich durchsetzen. Ein weiterer Grund für die geringe Akzep-tanz sowohl des 35-mm, als auch des 17,5-mm-Films war nebenden hohen Anschaffungskosten für die Kamera auch die leichteEntflammbarkeit des Filmmaterials. Aufgrund der Größe und desGewichts der Kamera konnte diese nur auf einem Stativ bedientwerden (Foto 2). Der Kameramann hatte auch keine Möglichkeit,seine Position während des Drehens zu verändern; ein Schwenkwar nur mit Einschränkungen möglich. In den Kurbelkastenkonnte eine Kassette mit 30 Meter Negativfilm eingelegt werden.Bei einer Geschwindigkeit von 16 Bildern pro Sekunde war dieseRolle innerhalb von 80 Sekunden abgekurbelt und es musste eineneue Kassette eingelegt werden. Jede Einstellung musste dahersorgfältig vorbereitet werden. Das Filmmaterial konnte aufgrundseiner geringen Lichtempfindlichkeit auch nur im Freien einge-setzt werden.Einen wirklich entscheidenden Impuls im Amateurfilmbereichlieferte letztlich erst die Entwicklung des 16-mm-Filmmaterialsdurch die Firma Kodak im Jahr 1923. Im Gegensatz zum leichtentflammbaren 35-mm bzw. 17,5-mm-Nitrofilmmaterial der Jahrezuvor, wurde dieses auf einer schwer brennbaren Azetatcellulosehergestellt. Durch Perforationslöcher auf beiden Seiten desFilmstreifens war eine optimale Ausnutzung des Bildes gewähr -leistet. Ab Mitte der 1920er Jahre kamen zahlreiche Modelle vonhandlichen Filmkameras auf den Markt, die mit einem Feder-werk ausgestattet waren und so einen gleichmäßigen Bildtrans-port garantierten. Der Film musste nicht mehr von Hand gekur-belt werden und diese Kameras konnten daher ohne Stativüberall eingesetzt werden. Der schwere und unhandliche „Kur-belkasten“ gehörte damit der Vergangenheit an. Ab Mitte der1930er Jahre wurden Schmalfilmprojektoren auch für Tonfilmausgerüstet, aber aus Kostengründen blieb der Amateurfilm bisin die 1960er Jahre überwiegend stumm. Das private Heimkinotritt seinen Siegeszug an (Abb. 3). Im Jahr 1932 brachte die Firma

1895 erstmals vor einem geschlossenen Publikum präsentiertwurde. Die erste öffentliche Vorführung fand am 28. Dezember1895 im Grand Café in Paris statt. In den folgenden Monatenmussten die Brüder Skladanowsky allerdings die technischeÜberlegenheit des „Cinématographe“ erkennen und überließennach verschiedenen Verbesserungsversuchen – vermutlich aberauch aus finanziellen Gründen – die weitere Entwicklung desKinos den Brüdern Lumière.In Deutschland war das Filmen aus Kostengründen allerdingszunächst wenigen Vertretern der wohlhabenden Oberschichtvorbehalten. Die ab den 1920er Jahren sich zahlenmäßig stetigerhöhende Anzahl an Amateurfilmern ist selbstverständlich engverknüpft mit der Entwicklung der Filmtechnik. Bis in die 1920erJahre konnte sich in Deutschland der Film im Amateurfilmbe-reich nicht wirklich durchsetzen, da – ganz im Gegensatz zuFrankreich oder den USA – keine preisgünstigen Kameras undProjektoren für Filmamateure auf dem Markt angeboten wurden.In Frankreich eroberte die Firma Pathé, in den USA Edison mitihrem Angebot an Schmal- und Sicherheitsfilmen bereits ab 1912auch den privaten Markt. Zum Vergleich: Eine 35-mm-Kamera kostete in DeutschlandMitte bis Ende der 1910er Jahre ca. 1000 Reichsmark. Der Monats-lohn eines Angestellten betrug durchschnittlich 160 Reichsmark.Eine Minute Film kostete 20 Reichsmark; dafür musste einIndustriearbeiter fast drei Tage arbeiten. Obwohl es in der Ober-schicht zunächst Vorbehalte gegenüber dem neuen Medium gab,leisteten sich auch hierzulande schon vor 1910 einige technikbe-geisterte und finanzkräftige Amateurfilmer diesen Luxus. Bereits1898 wurde in Deutschland durch Halbierung des teuren 35-mmFilmmaterials das kostengünstigere Format 17,5 mm entwickeltund auf dem Markt angeboten. Der ab 1903 von der DresdnerFirma Heinrich Ernemann AG vertriebene Filmprojektor „KinoI“ – der gezielt auf den privaten Gebrauch zugeschnitten war –konnte sich aber aufgrund des immer noch sehr hohen Anschaf-

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Abb. 4: Zeitschrift der FirmaBAUER GmbH für eine Super 8-Kamera (Foto: WIRTSCHATSAR-CHIV BADEN-WÜRTTEMBERG,Bestand Y 12 Eugen Bauer,Stuttgart)

den jeweiligen Zeitgeist des Jahrzehnts fest, in dem der Filmentstanden ist. Hin und wieder gelingt es dem Filmamateur – inder Regel allerdings eher zufällig – aber auch, für die NachweltEreignisse von regionalem oder gar überregionalem Interesse aufFilm zu bannen. Die Übergänge vom subjektiven Filmtagebuchzur objektiven Dokumentation werden hier fließend. Einen ganzbesonderen Blick entwickelt der Filmamateur für das Fremdeund Exotische ferner Länder. Neben der Dokumentation vonprivaten Urlaubsreisen entstanden so auch immer wieder Film-aufnahmen im Rahmen von dienstlichen Auslandsaufenthalten.Das berufliche Umfeld wird insbesondere in Form von Betriebs-ausflügen und Betriebsfeiern festgehalten; es finden sich aberauch immer wieder Aufnahmen, die Menschen bei der Arbeitzeigen. Es ist auffällig, dass es Mitte der 1930er Jahre – nebenzeitgleich entstandenen Kulturfilmproduktionen zu diesemThemenkomplex – auch zahlreiche Amateurfilme gibt, die„aussterbendes Handwerk“, oder die Arbeit in der Landwirt-schaft dokumentieren, da sich zu diesem Zeitpunkt ganz offen-sichtlich eine Verdrängung dieser Tätigkeiten durch die techni-sche Entwicklung abzeichnete. Auch in den Jahren der national-sozialistischen Diktatur ist es allerdings insbesondere das persön-liche Umfeld des Amateurfilmers, das sich in seinen Filmen wie -derfindet. Die Kamera dient gewissermaßen als Werkzeug füreine Flucht aus einer als bedrohlich empfundenen Realität in einganz privates Glück.3 Nur wenige Amateurfilme liefern – in Formeiner Dokumentation von Aufmärschen und Kundgebungen –ein Gegenbild zu den offiziellen Bildern der Wochenschau.Zufälle, Widrigkeiten des Schicksals und Glücksmomente bestim-men dabei an Stelle eines Drehbuchs die „Dramaturgie“ derFilme des Amateurfilmers. In der Regel handelt es sich beimAma teurfilm um dramaturgisch nicht gestaltetes „Rohfilmmate-rial“ ohne jegliche gestalterische Ambition. Die einzelnen Sujetsfolgen in einem Gros der Filme unverändert in der Reihenfolge,wie sie der Zufall vor die Linse des Amateurfilmers geführt hatte.

Kodak in den USA den Normal 8-Film auf den Markt; 1936 nahmdie Firma Agfa in Deutschland die Produktion des Einfach 8-Filmsauf. Es konnten in der Folgezeit immer kleinere und handlichereKameras hergestellt werden. Dieser „technologische Innovations-schub“ in den 1930er Jahren hatte zur Folge, dass das Filmen zueinem weit verbreiteten Hobby wurde.2 Filmkameras und Filmma-terial wurden jetzt auch für die Mittelschicht erschwinglich. DieEntwicklung des Super 8-Films im Jahr 1965 löste einen wahrenBoom im Amateurfilmbereich aus (Abb. 4). In vierzig Jahren wurden weltweit ca. 30 Millionen Super 8-Kameras verkauft und allein im Jahr 1980 wurden nur in Deutsch -land knapp 20 Millionen Filmkassetten verfilmt. Der Super 8-Filmbekam 1969 Konkurrenz in der Videotechnik und wurde ab Mitteder 1990er Jahre vollständig von der Digitaltechnik verdrängt.

DIE WELT IM AUGE DESFILMAMATEURSDie Welt „im Auge“ und vor der Linse des Filmamateurs hat sichin den letzten Jahrzehnten scheinbar nur wenig verändert. Heute– wie vor 100 Jahren – sind ganz offensichtlich immer wiederkeh-rende Motive für ihn von Interesse; insbesondere der Familienall-tag mit Höhepunkten des Jahres wie Festen oder Urlaubsreisenhaben in allen Generationen absolute Priorität (Abb. 5). DerAmateurfilmer ist von dem Wunsch beseelt, Höhen und Tiefenseines Lebens in Form eines ganz persönlichen Filmtagebuchsfür die Ewigkeit festzuhalten. Diese Filme waren natürlich nichtfür das große Publikum bestimmt, sondern lediglich für dieeigene Familie. Das private Heimkino war und ist aber nicht nurein Ort der kollektiven Erinnerung im Familienkreis; manmöchte sich beim Betrachten der Filme auch ganz einfach nuramüsieren (Abb. 6). Das Reservoir persönlicher Erinnerungen des Amateurfilmerstransportiert dabei immer auch ein Stück Zeitgeschichte und hält

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2 Roepke, 2006, S. 9.3 Kuball, 1980, Bd. 2, S. 10.4 Kuball, 1980, Bd. 2, S. 105.5 Ebd.

Abb.5: Feiertage, Urlaubsreisen und Familienalltag dominie-ren die private Filmüberlieferung (Foto: HAUS DESDOKUMENTARFILMS)

Diese Filme transportieren die klare Botschaft „Uns geht’s janoch gut“5. Sie zeigen die Soldaten zum Beispiel beim Einkaufauf dem Markt, im Straßencafe, oder bei der Ableistung destouristischen Pflichtprogramms. Zahlreiche Filmtagebücher inder Landesfilmsammlung Baden-Württemberg, die im Verlaufdes Krieges in allen Regionen Europas gedreht wurden, haltendieses ganz „private“ Soldatenleben fest. Einige Filmdokumentebelegen aber, dass es von Amateurfilmern auch ganz andereAufnahmen gibt: Filmaufnahmen, die das Grauen des Kriegesaus der Sicht des einfachen Soldaten einfangen und festhalten.Man kann diese Aufnahmen heute als Dokumente einer objekti-ven Kriegsberichterstattung bezeichnen und muss sie als Ergän-zung zu den offiziellen Aufnahmen der Wochenschauen oderKriegsdokumentationen betrachten.Bereits ab Ende der 1920er Jahre organisierten sich Amateurfil-mer zunehmend in Filmamateurclubs. Eine wichtige Rolle kamhier dem Bund der Filmamateure zu, der 1927 in Berlin gegründetwurde. Der Amateurfilmer wollte in den Filmamateurclubs seine

Die mit Zwischentiteln oder mit Hilfe von Ton nachträglich vomAmateur gestalteten und inszenierten Filme bilden eher dieAusnahme. Der Maßstab und das meistens unerreichte Idealvieler Amateurfilmer war aber doch der professionelle Spiel- undDokumentarfilm. In einigen wenigen Amateurfilmen ist in Formeiner anspruchsvollen Dramaturgie, einer aufwändigen Schnitt-technik und liebevoll gestalteten Zwischentiteln eine Annäherungan dieses Vorbild erkennbar; wobei es sich dabei häufig um Ge -meinschaftsproduktionen von Filmamateurclubs handelt. DenWeg des Experimentalfilms beschreitet das Gros der Amateurfil-mer für das private Heimkino hingegen nicht. Der künstlerischambitioniere Super 8- oder Videofilm ist eine Randerscheinunginnerhalb des Amateurfilms ab den späten 1970er Jahren.Eine Sonderrolle innerhalb des Amateurfilms kommt sicherlichden Filmtagebüchern von Angehörigen der Wehrmacht zu, diemit ihren Filmen die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs aus indi -vidueller Sicht dokumentierten. Da es Soldaten verboten war,aktive Kriegshandlungen zu filmen, dokumentiert ein Großteildieser Filme insbesondere den Alltag hinter der Front. MichaelKuball hatte 1980 diese Filmtagebücher von Angehörigen derDeutschen Wehrmacht treffend mit „Landserromantik derMänner clique mit Schnaps und Zigaretten“ umschrieben.4

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Abb. 6: Opa Frank wird rasiert(Foto: HAUS DES DOKU-MENTARFILMS)

Auch in Deutschland haben Fernsehsender und Filmproduzentenden Marktwert von historischem Amateurfilmmaterial längsterkannt. Das Geschäft mit dem ganz privaten Blick des Filmama-teurs auf die Welt hat Konjunktur. Die Redaktionen von Fernseh-sendern und Filmproduzenten sind heute weltweit auf der Suchenach interessantem und bislang unveröffentlichtem Amateurfilm-material. Dominierte bis Anfang der 1980er Jahre in Dokumenta-tionen eindeutig noch das offizielle Filmmaterial – zum Beispielaus Wochenschauen und Kulturfilmen – wird heute dem Ama-teurfilm der Vorzug eingeräumt. Etwaige technische Mängel desAmateurfilmmaterials wurden dabei „längst zum Indikator fürVergangenheit und Erinnerung schlechthin“6 und belegen gleich -zeitig die scheinbar unantastbare Authentizität des Amateurfilms.Bei der Verwendung von Amateurfilmmaterial in aktuellenGeschichtsdokumentationen setzt man heute ganz offensichtlichvoraus, dass der Amateurfilmer die Wirklichkeit – frei vonkommerziellen Hintergedanken und ideologischen Überlegungen– weitgehend objektiv festgehalten hat. Dies ist bei einem Groß-teil der Filme zweifelsohne auch der Fall. Die privaten Filmquel-len liefern darüber hinaus dem heutigen Betrachter Möglichkei-ten der Identifikation; kann er doch über diese „privaten“ Bilder– ganz im Gegensatz zu den offiziellen Aufnahmen der Wochen-schau – Bezüge zu seinem Leben herstellen. Geschich te wird inFernsehdokumentationen exemplarisch am per sönlichen Schick-sal greif- und nachvollziehbar. Der Amateurfilm ist daher nichtnur eine wichtige Geschichtsquelle, sondern hat durch Möglich-keiten der Verwertung ohne Zweifel auch einen Gegenwert infinanzieller Hinsicht.

technischen Fertigkeiten verfeinern; vor den „Fachkollegen“ aberauch sein Können unter Beweis stellen. Ab Ende der 1920er Jahrekonnte sich der Amateurfilmer mit Hilfe eines breiten Angebotsan Fachliteratur Tricks und Kniffe für die Produktion seinerFilme aneignen und es wurden – wie zum Beispiel von der FirmaKodak – spezielle Schulungen für den Amateurfilmer angeboten.Nach der Revision des Reichslichtspielgesetzes von 1934 musstenAmateurfilmer ihre Filme nicht mehr der Reichsfilmstelle in Ber -lin zur Zensur vorlegen; diese konnte theoretisch künftig vonjeder Polizeiortsbehörde vorgenommen werden. 1934 wurde derBund der Filmamateure als Bund Deutscher Filmamateure derReichsfilmkammer angeschlossen.Wenigen historischen Filmdokumenten aus dem Amateurfilmbe-reich bis in die 1920er Jahre steht heute eine wahre Flut von Bil -dern gegenüber. Jedes Ereignis wird heute gleich mehrfach vonAmateurfilmern, oder auch von zufälligen Passanten mit derKamera ihres Handy festgehalten: Denken Sie z. B. an die Aufnah-men vom Attentat auf das World Trade Center am 11. September2001 in New York. Einer der bekanntesten Amateurfilmer derFilmgeschichte ist vermutlich Abraham Zapruder, der am 22.November 1963 das Attentat auf John F. Kennedy filmte. Die Auf -nahmen wurden später in zahlreichen Dokumentationen überJohn F. Kennedy immer wieder verwendet. Trotz der technischenMängel des Filmmaterials – oder vielleicht gerade deshalb –wirken die Bilder auf den Betrachter beklemmend authentisch.Man hat geradezu das Gefühl, hautnah dabei zu sein. AbrahamZapruder selbst erkannte bereits 1963 den Wert seiner Filmauf-nahmen und verkaufte die 26 Sekunden Film mit allen Verwer-tungsrechten für 150.000 US$ an das Life-Magazin.

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FILMPUBLIKATIONEN

In Kooperation mit Städten des Landes produziert das Haus desDokumentarfilms Imagefilme aus historischem Filmmaterial; alsBegleitpublikation zur Ausstellung „100 Jahre Filmland Baden-Württemberg“ erschien die DVD „Baden-Württemberg privat –Sehenswertes aus der Landesfilmsammlung Baden-Württem-berg“ (November 2008). Robert van Ackeren stellte bereits 1979erstmalig unter dem Titel „Deutschland privat“ eine Anthologievon privaten Filmaufnahmen zusammen. Sein Vorhaben begrün-dete er damals mit der Absicht, „eine möglichst unverfälschteWiedergabe unserer Wirklichkeit aus privater Perspektive“ zuliefern. Er inserierte Ende der 1970er Jahre in diversen Zeitungenund bat um Zusendung von privat gefilmten Super-8-Filmen, die– von den Amateurfilmern autorisiert – einen ganz intimen Ein -blick in das private Leben der Deutschen bieten sollten. Die Reso -nanz auf den ungewöhnlichen Aufruf war überwältigend, so dassfür den geplanten Film reichlich Filmmaterial vorhanden war, dasteilweise mit Frivolitäten und Pornografischem nicht geradegeizte. Robert van Ackeren, der die mittlerweile wohl größteSammlung privater Schmalfilme besitzt, setzte dieses Konzeptfort und brachte 2007 einen Film gleichen Titels ins Kino. SeinemBeispiel sollten viele Nachahmer folgen und dem Publikum wur -den in den vergangenen Jahren zahlreiche Anthologien privaterFilmdokumente präsentiert; diese – unter lokalen, regionalen,oder thematischen Gesichtspunkten zusammengestellt – bildengewissermaßen einen Mikrokosmos privater Befindlichkeiten ab.So lieferte Michael Kuball unter dem Titel „Volkskino“ mitprivaten Filmdokumenten aus der ehemaligen DDR nach derWende einen ganz privaten Blick auf den Alltag in der DDR. DieGrenze zum Trivialen, Banalen und Geschmacklosen wurde hierzwar häufig überschritten und verletzt. Aber die Bedeutung desAmateurfilms als historische Quelle in seiner Gesamtheit wurdelängst erkannt und ist unbestritten.

Film ist das visuelle Gedächtnis unserer Gesellschaft. Film ist inseiner Wirkung direkter und unmittelbarer als jeder Bericht, alsjede Erzählung, als jedes Foto. Die Landesfilmsammlung Baden-Württemberg möchte dieses kulturelle Erbe – und damit verbun-den die Erinnerung – für künftige Generationen bewahren.

Bibli ografie:Koleczko, Heinz: Der Amateurfilmtitel. Leipzig 1966.Kuball, Michael: Familienkino. Geschichte des Amateurfilms inDeutschland, Bd. 1: 1900-1930. Reinbek bei Hamburg 1980.Kuball, Michael: Familienkino. Geschichte des Amateurfilms inDeutschland, Bd. 2: 1931-1960. Reinbek bei Hamburg 1980.Opfermann, Hans C.: So leicht ist das Filmen. 4. Aufl. Düsseldorf1963.Opfermann, Hans C.: Kleine Schmalfilm-Schule. Seebruck amChiemsee 1976.Palmer, Christoph-E. (Hrsg.): Empfehlungen der ArbeitsgruppeFilmkonzeption Baden-Württemberg. Stuttgart 2000.Roepke, Martina: Privat-Vorstellung. Heimkino in Deutschlandvor 1945. Hildesheim 2006. (Medien und Theater, Neue Folge; Bd. 7).Roepke, Martina: Bewegen und bewahren. Die Wirklichkeit imHeimkino. In: Geschichte des dokumentarischen Films inDeutschland, Bd. 3: Drittes Reich 1933-1945. Stuttgart 2005, S.287-298.Schlager, Franz u. Gruber, Peter (Hg.): Von Döbler bis DV-CAM.Ergonomics für Amateurfilm. Zur Geschichte der Kinematogra-phie. Frankfurt am Main 2000.Schneider, Alexandra: Die Stars sind wir. Heimkino als filmischePraxis. Marburg 2004.Wolf-Czapek, K.W.: Die Kinematographie. Wesen, Entstehungund Ziele des lebenden Bildes. Dresden 1908.

THE WORLD IN THE EYE OF THE AMATEUR FILM-MAKER. PRIVATE FILM TRADITION IN THE FILMCOLLECTION OF THE STATE OF BADEN-WÜRTTEM -BERG

During the last ten years, the Film Collection of the State of Baden-Württemberg has become the central film archives of the federalstate. The Collection’s stock consists of approximately 4000 films,including many from the first decades of the 20th century.The huge range of historical footage comprises everything fromimages of everyday family life, impressions from private holidaysand city trips, to film journals of German soldiers, industrial filmsor commercials. On behalf of the Ministry of State and funded by the MFG FilmFund of the State of Baden-Württemberg, the regional film fund, theCollection’s purpose is to accumulate every aspect of social existencethat has been recorded on film over the last decades and preserve itfor the future.

Dr. Reiner ZieglerLandesfilmsammlung Baden-WürttembergHaus des DokumentarfilmsEuropäisches Medienforum StuttgartMörikestraße 19, 70178 StuttgartTel. 0711-997808-0, Fax 0711-99780820E-Mail: [email protected]

6 Roepke, 2006, S. 18.

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ARCHIVTHEORIE UND PRAXISARCHIVTHEORIE UND PRAXIS

Im Januar 2008 hat die Handelskammer Hamburg die gemein -nützige Stiftung Hanseatisches Wirtschaftsarchiv gegründet. Imgleichen Monat nahm die wissenschaftliche Archivarin KathrinEnzel ihre Arbeit als Geschäftsführerin der Stiftung auf undverhalf dem Wirtschaftsarchiv zu einem erfolgreichen Start.Den Grundstock des Wirtschaftsarchivs bildet der Altbestand derCommerzbibliothek der Handelskammer, der mit über 270Jahren ältesten privaten Wirtschaftsbibliothek der Welt. DerBestand aus dieser „von Kaufleuten für Kaufleute“ gegründetenBibliothek enthält Bücher zu allen Themen, die für die Hambur-ger Kaufleute der Hanse und für ihre wirtschaftlichen Aktivitätenwichtig waren. So finden sich in der Sammlung nicht nur Atlan-ten, Seekarten und Reisebeschreibungen aus fernen Ländern,sondern auch Chroniken, Stadtrechtstexte Hamburgs und ande-rer Hansestädte, Kalender sowie Literatur über Münzen, Maßeund Gewichte, Länderkunde, Schiffbau, Kameral- und Staatswis-senschaft, See- und Völkerrecht. Die sogenannten „Hamburgensien“ bilden einen weiteren Samm-lungsschwerpunkt. Diese umfassen neben Unterlagen aus dempolitischen Leben der Hansestadt Hamburg (zum BeispielProtokolle der Commerzdeputation, Mandatsammlungen oderConsularberichte) auch Rechtstexte und Dokumente aus demkirchlichen Leben der Stadt. Hinzu kommt eine große Samm-lung an Gelegenheitsdichtung zu feierlichen Anlässen der Ham-burger Bürgerschicht wie Taufen, Eheschließungen und Todesfäl-len. Dieser Bestand soll ergänzt werden durch archivwürdigeUnterlagen von Unternehmen, Kammern und Verbänden ausHamburg und Norddeutschland. Als regionales Wirtschaftsarchiv für Hamburg und Norddeutsch-land bietet die Stiftung Unternehmen die Möglichkeit, archiv -

ONLINE-BESTANDS -ÜBER SICHT DES ARCHIVS FÜR CHRISTLICH-DEMOKRATISCHE POLITIK Das Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) derKonrad-Adenauer-Stiftung e.V. bildet mit seinen AbteilungenHistorisches Archiv, Bibliothek und Dokumentation eine jeder-mann zugängliche Anlaufstelle auf dem Gebiet der Zeitgeschich-te. Als Zentralarchiv der Christlichen Demokratie sichert dasHistorische Archiv seit 1976 die Zeugnisse der Christlich-Demo-kratischen Union, ihrer führenden Repräsentanten, Gremien undOrganisationen sowie der christlichen Vorläuferparteien und

jener Parteien, die in der Union aufgegangen sind. Zudem wirddas Schriftgut der europäischen Zusammenschlüsse christlich-demokratischer Parteien archiviert. Mit einem Bestand von ca. 17.000 laufenden Metern Akten -material ist das ACDP von der Größenordnung her mit einemLandesarchiv zu vergleichen. Zwar dominiert das Schriftgut beiweitem, doch umfasst das ACDP auch eine umfangreiche Samm-lung an audiovisuellem Sammlungsgut. Hierzu gehören das Bild-und Fotoarchiv, die Werbemittel, das Plakatarchiv sowie das Film-und Tonarchiv. In früheren Zeiten oftmals eher stiefmütterlich be -handelt, gewinnen die historisch wertvollen Bestände von Plakat-und Filmarchiven in unserer visuell geprägten Zeit mit ihren

AUDIOVISUELLES SAMMLUNGSGUT

würdiges Material langfristig lagern, aufbereiten und auswertenzu lassen. Das Archiv sichert langfristig historisch bedeutendesSchriftgut, erschließt es für die wissenschaftliche und unterneh-menseigene Auswertung und Nutzung und macht es, soferngewünscht, der Öffentlichkeit zugänglich.Das Hanseatische Wirtschaftsarchiv berät und unterstützt Unter-nehmen in Fragen der Unternehmensgeschichte und -archive, esversteht sich als Forschungseinrichtung für Wirtschafts- undRegionalgeschichte sowie als Aufbewahrungs- und Sammelstellefür archivwürdige Unterlagen von Betrieben und Verbänden derWirtschaft. In den Gremien der Stiftung sind Wirtschaft, For-schung und Wissenschaft vertreten.Im ersten Jahr seines Bestehens setzte sich das neue Wirtschafts-archiv vor allem das Ziel, die Grundlagen für die Archivarbeit zuschaffen, etwa durch den Erwerb eines Erschließungsprogrammsoder die Bereitstellung von Räumen. Daneben wurde mit demReedereiarchiv Ick-Mathies-Sommer schon ein erstes Unterneh-mensarchiv übernommen und archivgerecht aufgearbeitet. DasFindbuch wird in diesem Jahr im Rahmen einer kleinen Ausstel-lung präsentiert werden.Die Stiftung Hanseatisches Wirtschaftsarchiv hat ihren Sitz in derHandelskammer Hamburg und ist dort auch postalisch zuerreichen unter Stiftung Hanseatisches Wirtschaftsarchiv, c/oHandelskammer Hamburg, Adolphsplatz 1, 20457 Hamburg (Tel. 040/36138-517, E-Mail: [email protected]).Weitere Informationen über die Stiftung und ihre Tätigkeit imInternet unter: www.hanseatisches-wirtschaftsarchiv.de

Kathrin Enzel, Hamburg

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WIRTSCHAFTSARCHIV FÜR DENNORDDEUTSCHEN RAUMBESTEHT SEIT EINEM JAHR

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Abbildung 1: Eingangsseite zurPlakat- und Filmdatenbank in derOnline-Bestandsübersicht

bewusst nur in einer geringen nicht veränderbaren Auflösung alsthumbnails zu sehen. Eine bessere Qualität und höhere Auflö-sung kann zur Verfügung gestellt werden. Dazu bedarf es einerschriftlichen zweckgebundenen Anfrage. Ausdrücklich sei andieser Stelle darauf hingewiesen, dass seitens des ACDP aufgrunddes Copyrights eine Nutzungsgenehmigung, d. h. eine Abdruck -erlaubnis nur für Plakate der CDU erteilt werden kann. In allenanderen Fällen sind die jeweiligen Eigentümer eigenverantwort-lich zur Abklärung der Rechte zu kontaktieren.Die Datenbank bietet folgende Nutzungs- und Recherchemög-lichkeiten, wobei die weiteren Aussagen im Prinzip für Plakat-und Filmbestand gleichermaßen gelten: Durch das Anklicken „Klassifikation audiovisuelle Medien“öffnet sich die systematische Ordnung bzw. das Inhaltsverzeich-nis von Plakat- und Filmarchiv. Die Klassifikation zeigt bei denPlakaten die chronologische Ablage und Zuordnung zu Parteienund sonstigen Institutionen und spiegelt gleichzeitig die grund -sätzliche Charakterisierung der Plakate im Motiv-, Text- undPersonenplakate wider. Die in Klammern angegebenen Zahlenhinter dem jeweiligen Gliederungspunkt weisen auf die Anzahlder vorhandenen Plakate/Filme hin. Fährt man mit dem Cursorder Maus über den Text, leuchten die genannten Kategorien rotauf. Sie können mit einem Mausklick geöffnet werden und eserscheinen die hinterlegten Exponate in Form einer Standardlisteim Bild mit allen notwendigen textlichen Informationen. Durcheinen Klick auf das Feld Bildgalerie kann der Text ausgeblendetwerden und es werden nur die Icons aufgelistet.Die Kategorien „Bestandsbezeichnung“ und „Objektsignatur“zeigen die Plakate/Filme in einfacher nummerischer Reihenfolge.Hinter den Kategorien „Sachbegriffe“ und „Person“ verbergensich Registerfelder, d. h. die Verschlagwortung der Plakate nachPersonen, Ortsnamen und Sachbegriffen.2

vielfältigen technischen Möglichkeiten immer mehr an Bedeu-tung. Seit dem Frühjahr 2008 sind beide Sammlungen – Filmund Plakat – über eine Online-Bestandsübersicht im Internetunter www.kas.de/wf/de/71.5707/ zugänglich und recherchierbar.Zur Plakatsammlung liegt bereits eine detaillierte Darstellungbzgl. des Aufbaus, Inhalts und den Nutzungsmöglichkeiten vor1,so dass an dieser Stelle auf eine wiederholende Beschreibung ver -zichtet werden kann. Vielmehr richtet sich das Augenmerk zu -nächst auf die im Screenshot abgebildete Datenbank, die in ihrerBedienbarkeit näher vorgestellt und erläutert werden soll, nichtzuletzt im Hinblick auf Erfahrungen der bisherigen Praxis. An -schließend folgt eine ausführliche Beschreibung des Filmarchivs.Die Plakatsammlung umfasst insgesamt mehr als 20.000 vorwie-gend politische Plakate verschiedener Parteien aus der Zeit 1918bis heute.Alle Plakate sind katalogisiert und fotografiert, jedoch sind inder Datenbank gegenwärtig nur Plakate zu den Bundestagswah-len zu sehen, d. h. im Augenblick sämtliche Plakate, die dasACDP zu den Bundestagswahlen 1949-1983 besitzt. Mit Beginndes nächsten Jahres werden die Plakate der Bundestagswahlen1987, 1990 und 1994 hinzugefügt werden, womit auch die Plakateder 12. und zugleich ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl insBlickfeld geraten und sich der Fokus auf den Prozess der Wieder-herstellung der deutschen Einheit richtet. Bisher wurden imRahmen einer Projektförderung durch den Deutschen Bundestagjährlich 500 Plakate digitalisiert und zugleich neu verzeichnet.Die Plakat- und Filmdatenbank wird unter dem oben angegebe-nen Link aufgerufen und öffnet sich mit einem Klick auf diebeiden Porträtplakate Adenauers (s. Abbildung 1). Ihre Benutzungim Internet steht unter dem Motto „ansehen aber nicht downloa-den“. Bequem kann der Nutzer von daheim oder an seinem Ar -beitsplatz die abgebildeten Plakate betrachten, so als hingen siedraußen an Plakat- und Hauswänden oder Plakatständern, wasin der Tat bei einigen Abbildungen der Fall ist (s. Stichwort ‚Au -ßen aufnahme‘ in der Objektbeschreibung). Er kann die Scansjedoch nicht von seinem PC aus herunterladen. Sie sind ausGründen des Urheberrechts und zum Schutz der Sammlung

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1 Siehe in der Plakat- und Filmdatenbank hinterlegte aktualisierte Fassung desBeitrags „Die Plakatsammlung der Konrad-Adenauer–Stiftung e.V. Ein Berichtaus der Praxis der alltäglichen Arbeit im Archiv für Christlich-DemokratischePolitik“/Vortrag von Hans-Jürgen Klegraf auf dem Deutschen Archivtag 1999.

2 Die Kategorie „Volltextindex“ ist zu vernachlässigen.

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ARCHIVTHEORIE UND PRAXIS

Abbildung 2: Abgebildet sind ein Plakat des Zentrums von der Wahl zum Preußischen Landtag 1932 (Druck: Willy Größchen, Dortmund) und ein Plakat von derBundestagswahl 1976 als Illustrationsbeispiele für den zeitlichen Umfang und den Facettenreichtum der Sammlung

Daher hat sich das ACDP bei der Erschließung der Filme in derDatenbank bewusst auf eine knapp gehaltene Verzeichnungbeschränkt, die den Anforderungen an Formalerfassung undInhaltserschließung gerecht wird. Der Aufbau der zur Erfassunggenutzten Faust-Maske in der Datenbank basiert auf der Einga-bemaske für Schriftgut und wurde den Erfordernissen des audio -visuellen Bereichs angepasst. Die in der Film-Datenbank erfas-sten Merkmale sehen Sie in Abbildung 3 auf der nächsten Seite.Jeder im ACDP archivierte Filmtitel besitzt eine spezielle Objekt-Signatur, die sich aus der Bestandssignatur des Sammlungsberei-ches Film (10-100) und einer fortlaufenden vierstelligen Nummerzusammensetzt (Beispiel Abbildung 3: 10-100-0029). Es folgen dieTitelaufnahme (vorgegebener Filmtitel oder selbst formulierter„Archivtitel“ bei titellosen Aufnahmen) und die inhaltlichenAngaben im „Enthält/Inhalt“-Vermerk. Die deskriptorischeInhaltsanalyse bildet den Schwerpunkt der archivarischen Filmer-fassung in der Datenbank. Unter sach- und bildthematischenAspekten werden Schauplätze, Ereignisse, handelnde Personenund Motive beschrieben und falls notwendig um Hintergrundin-formationen ergänzt. Eventuell vorhandene Film-Untertitel sowieAngaben zu Produktion bzw. Mitwirkenden bei der Produktion(Regisseur, Sprecher u. ä.) rahmen die inhaltliche Beschreibungein. Die notwendige formale Erfassung der Filme umfasst folgen-de Angaben: Datierung (Jahr/Datum: Entstehung des Films bzw.Erstausstrahlung), Format, Filmart (Farbe/Schwarz-Weiß), Ton/ohne Ton, Laufzeit in Minuten, produzierende Stelle sowiebesondere Bemerkungen (z. B. Angaben zur Länge des Filmmate-rials in Metern, Herkunft des Films).4. Zusätzlich erfolgt eine

Wichtig für eine Recherche ist im Feld „Suchboxen“ die Katego-rie „Volltextsuche“, bei der zunächst unterschieden werden kann,ob innerhalb der Plakatsammlung oder des Filmbestandes alleinoder in beiden zugleich gesucht werden soll, und in der danngezielt nach gewünschten Begriffen recherchiert werden kann,wobei die Treffer und ihre Anzahl sortiert angezeigt werden.Entsprechendes gilt für das Feld Kombinationssuche und weitausdifferenzierter für das Feld „Feldsuche“.Auf diese Weise kann in jeder Hinsicht innerhalb der Datenbankrecherchiert werden. Die gewünschten Daten werden sofort undübersichtlich benutzerfreundlich angezeigt, so dass sich dieDatenbank gleichsam als parteiübergreifendes breitgefächertesWissens- und Dokumentationszentrum der im ACDP vorhande-nen Bundestagswahlplakate und Filme präsentiert. Letzterewerden im Folgenden näher vorgestellt.Das Filmarchiv im ACDP umfasst insgesamt 1.090 Filme3 auf ca.4.800 Filmrollen und anderen Trägern. Diese Filme sind in der füralle Archiv-Bestandsgruppen im ACDP genutzten DatenbankFaust 6 erfasst. Im Frühjahr 2007 wurde die Filmsammlungkomplett überarbeitet, ergänzt und der aktuellen Datenbank-struktur angepasst. Die seit 2008 der Öffentlichkeit zugänglicheOnline-Bestandsübersicht wird regelmäßig aus den aktuellenFaust-Daten generiert und ist damit immer auf dem neuestenStand. Die Eingangsseite der Online-Bestandsübersicht ermög-licht wie oben bereits beschrieben einen direkten Zugang zumPlakat- und Filmarchiv.Die Erschließung von „Moving Images“ ist immer von denvorhandenen personellen und zeitlichen Ressourcen abhängig.

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Abbildung 3: Ausschnitt aus derOnline-Bestandsübersicht: Film„Ferien ohne Urlaub“

allgemeinem historischem Bezug sowie zu verschiedenen Sachbe-reichen. Bei diesen Filmen, die sich in der Mehrzahl mit derpolitischen, sozialen oder wirtschaftlichen Entwicklung derjungen Bundesrepublik befassen, ist meist kein direkter CDU-Bezug gegeben. Daher ist hier inhaltlich eine flachere Er -schließung vorgesehen. Das gesamte Filmmaterial in diesemBereich ist alphabetisch nach Sachbereichen gegliedert, die von„Agrarpolitik“ über „Bildungswesen“, „Frauen- und Gesell-schaftspolitik“, „Deutschlandpolitik“, „NS-Vergangenheitsbewäl-tigung“, „Verfassungsorgane und Staatssymbole“ bis hin zu„Wohnungsbau“ reichen (Auswahl).Das gesammelte Filmmaterial liegt in den unterschiedlichstenFormaten vor: 16- und 35-mm-Filmrollen überwiegen immernoch bei weitem, daneben sind zahlreiche Videokassetten (meistVHS), Betacam sowie DVD vorhanden. Die große Zahl der 16-mm/35-mm-Filme stellt heute ein Problem dar, denn aus Grün-den des Erhaltungszustandes vieler Filme und der technischenAusstattung vor Ort können im ACDP Filme im Format 16-mm und 35-mm nicht mehr ohne Weiteres gesichtet werden.Dies bedeutet unter anderem, dass sich die in Datenbank undFindbuch vorliegenden Beschreibungen von Filmen zum Teil aufRecherchen in Filmkatalogen verschiedener Film- und Medien-dienste stützen. Die Möglichkeit der Online-Recherche hat hier in

ausführliche Verschlagwortung der Filme anhand von Personen-,Orts- und Sachbegriff-Indices, die neben dem Filmtitel-Register5

die Recherchierbarkeit im Bestand erleichtern.Inhaltlich gliedert sich das Filmarchiv in zwei große Bereiche.6

Im ersten Bereich liegt der Schwerpunkt des gesammelten Film-materials auf der Geschichte der CDU und ihrer führendenRepräsentanten. Entsprechend dem Dokumentationsprofil desACDP wurde dieses Filmmaterial inhaltlich in der Datenbankintensiv erschlossen. Im Mittelpunkt stehen Filmporträts zumNamensgeber der Stiftung, Konrad Adenauer. Auf die ca. 25 imACDP archivierten Filmtitel zu Konrad Adenauer entfällt einwesentlicher Anteil der Anfragen und Recherchen durch auswär-tige Nutzer. Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard und KurtGeorg Kiesinger sind ebenfalls mit zahlreichen Filmporträtsvertreten, dazu weitere Bundes-, Europa-, Landes- und Kommu-nalpolitiker sowie ausländische Persönlichkeiten (als Beispieleseien genannt: Heinrich Lübke, Hermann Ehlers, Walter Hallsteinoder Franz Meyers, auf internationaler Ebene Charles de Gaulleoder Dwight D. Eisenhower).Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei Wahlfilmen und Wahlspots.Im Vordergrund stehen hier die Wahlfilme/-spots zu den Bundes-tagswahlen. Ein „Highlight“ der Sammlung und bei Anfragenbesonders begehrt sind die Zeichentrick-Wahlfilme zu denBundestagswahlen 1957 und 1961, deren bekanntester analog zumdamaligen Wahlslogan der Film „Keine Experimente“ aus demJahr 1957 sein dürfte.7 In einer Auswahl umfasst das Filmarchivauch Wahlspots zu den Landtagswahlen, Kommunalwahlen undEuropawahlen. Parteiporträts, meist im Auftrag der CDU zu „runden“ Parteiju-biläen erstellt, sowie vereinzelte Mitschnitte von Bundesparteita-gen und von Partei- und Fachkongressen ergänzen die Film-sammlung. Eine Besonderheit stellt im Filmarchiv die Sammlungvon Filmmaterial der Ost-CDU dar.Der zweite große Bereich der Filmsammlung umfasst Filme mit

3 Stand: Juli 2008. Zur Begriffsbestimmung „Film“ s. Susanne Pollert: Film- undFernseharchive (Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 10,1996), S. 29 f.

4 Feld „Bemerkungen Film“ nur in der Faust-Datenbank, nicht in der Online-Bestandsübersicht!

5 Das Filmtitel-Register ist für die gedruckte Findbuch-Version von Bedeutung.In der Online-Bestandsübersicht besteht die Möglichkeit der Volltextrecher-che.

6 Siehe „Klassifikation audiovisuelle Medien“ in der Online-Bestandsüber-sicht.

7 Dieser und weitere ausgewählte Wahlwerbespots der CDU sind im Internet-Angebot des ACDP unter www.kas.de/wf/de/71.3794/ zu sehen.

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ARCHIVTHEORIE UND PRAXIS

8 Digitale Kopien liegen im Standardformat MPEG-2 vor.9 U. a. Wahlspots zu den Bundestagswahlen 1957 bis 1969, Filme zu Bundespar-

teitagen und Parteijubiläen, Filmporträts von Konrad Adenauer und LudwigErhard.

10 Das ACDP ist sich der Problematik urheberrechtlicher Fragen im audiovisu-ellen Bereich bewusst. Nutzern des audiovisuellen Materials stehen dahergrundsätzlich nur solche Nutzungsrechte zu, die das Urheber- und Persönlich-keitsrecht ohne Zustimmung der Berechtigten zulässt. Bei einer zustimmungs-pflichtigen Verwendung des AV-Materials hat der Nutzer die entsprechendenRechte zu recherchieren und einzuholen.

ZWISCHEN ANALOG UND DIGITAL

SCHRIFTGUTVERWALTUNG ALSHERAUSFORDERUNG FÜR DIEARCHIVE

Am 10. und 11. Juni 2008 kamen in der Evangelischen Stadtmis -sion Marburg mehr als 120 Teilnehmer aus 13 Ländern (nebenDeutschland aus Australien, Belgien, England, Finnland, Frank-reich, Kanada, Luxemburg, Norwegen, Rumänien, Schweden,Schweiz und Tschechien) zu dem von der Archivschule Marburgorganisierten 13. Archivwissenschaftlichen Kolloquium mit demThema „Schriftgutverwaltung als Herausforderung für dieArchive“ zusammen.In seiner Eröffnung wies Frank M. Bischoff (Leiter der Archiv-schule Marburg) eindringlich darauf hin, dass sich die Zusam-menarbeit der Archive mit den Behörden auf dem Gebiet derSchriftgutverwaltung nicht auf die gesetzlich festgeschriebene„Beratung“ beschränken könne. Vor allem vor dem Hintergrundder elektronischen Vorgangsbearbeitung, die auch eine wichtige

Triebfeder für die unter maßgeblicher Mitwirkung von Archiva-ren erfolgte Erstellung einer internationalen Norm zur Schrift-gutverwaltung war (ISO 15489), habe hier ein intensiver Aus-tausch zwischen Archiv und Verwaltung über die Standards derSchriftgutverwaltung zu erfolgen, insbesondere da bislang keine„records manager“ für Behörden ausgebildet werden. Somit seienArchivare tatsächlich als die kompetentesten Schriftgutverwalteranzusehen. In seinem Grußwort zur Tagung ging der Oberbür-germeister der Stadt Marburg, Egon Vaupel, vor allem auf dieaktuellen Umbrüche in der Verwaltung durch Internet-Angebote,E-Government und digitale Unterlagen ein.Mit Peter Toebak (Liestal/Schweiz), Autor des Handbuchs „Re-cords Management“ (2007), konnte für den Eröffnungsvortrag„Records Management. Für den Alltag zu umständlich?“ einerder profundesten Kenner der Materie gewonnen werden. InZeiten, in denen die Ablaufroutinen des Records Management inden Verwaltungen immer mehr in Vergessenheit gerieten undSchriftgutverwaltung ein langweiliges und aufwändiges Imagehabe, sei ein multi- und interdisziplinäres Vorgehen (von Archiva-

weise erfolgen. Dabei orientiert sich die Auswahl des zur Digitali-sierung anstehenden Filmmaterials pragmatisch am Dokumenta-tionsprofil des ACDP. Bisher liegen in Form eines Offline-Maga-zins ca. 100 Titel auf DVD vor9. Weitere Digitalisierungen sind inPlanung. Eine Integration des bereits digital vorliegenden Film-materials in die Datenbank Faust mittels einer Serverlösung istfür die nähere Zukunft geplant.Soweit technisch und vom Copyright10 her möglich, können vonden erfassten Filmtiteln kostenpflichtig Kopien erstellt werden.Zur Anwendung kommt dabei die aktuelle Fassung der Entgelt -liste des Archivs für Christlich-Demokratische Politik.

Peter Crämer/Hans-Jürgen Klegraf, St. Augustin

den letzten Jahren die Informationsbeschaffung zwar erheblicherleichtert. Mögliche Irrtümer bei Datierung und inhaltlicherZuordnung des Filmmaterials können jedoch nie völlig ausge-schlossen werden. In diesem Zusammenhang hat es sich ausheutiger Sicht als Glücksfall erwiesen, dass in den 80er Jahren imACDP ca. 200 Titel der Filmsammlung im Format 16 mm mittelseiner Videokamera auf VHS abgefilmt wurden. Bei dieser Vorge-hensweise im „vordigitalen Zeitalter“ standen sowohl konserva-torische Gesichtspunkte als auch die Notwendigkeit im Vorder-grund, das Filmmaterial im Alltagsgeschäft leichter nutzen zukönnen und recherchierbar zu machen. Angesichts des Qualitätsverlustes analoger Bänder über die Jahr -zehnte hinweg und der schwierigen Nutzung von Original-Filmrollen hat sich das ACDP für eine professionelle Digitalisie-rung des Filmmaterials auf DVD entschieden. Obwohl bekann-termaßen eine Digitalisierung grundsätzlich keine Langzeitsiche-rung bedeutet, wird doch eine Schonung der Originalmedienerreicht und die Nutzung erheblich vereinfacht. Dabei steht fürdas ACDP eindeutig der inhaltliche Aspekt der Filme im Vorder-grund, eventuelle Einbußen bei der Bildqualität der digitalenKopie8 im Vergleich zum Original-Bildträger werden in Kaufgenommen. Aufgrund der sehr hohen Kosten kann die Digitali-sierung des Filmmaterials durch externe Dienstleister nur schritt-

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zen. War in der DDR die Altregistratur Teil des Stadtarchivs, sowurde die Zuständigkeit nach der Wende getrennt. Erhalten bliebjedoch die gemeinsame Leitung durch die Stadtarchivarin, waseine effiziente Zusammenarbeit ermöglicht. Dabei wurde auchauf die positiven Erfahrungen beim Einsatz von AUGIAS-Zwi-schenarchiv eingegangen. Anette Meiburg (Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde) stellte in ihrem Bericht die Beratungstätigkeit desBundesarchivs im Bereich der behördlichen Schriftgutverwaltungvor. Da das Wissen um die effektive Aktenführung in Behördenweitgehend verloren gegangen sei, sei eine „Reorganisation desGeschäftsgangs“ unabdingbare Voraussetzung für die Ein führungvon Dokumentenmanagementsystemen. Daraus resultiere jedochein erhöhter Schulungsbedarf der Mitarbeiter, dem das Bundesar-chiv durch das Angebot von Fortbildungsveranstaltungen Rech-nung trage.Alexandra Lutz (Archivschule Marburg) stellte unter dem Vor-tragstitel „Wie räume ich (m)eine Schriftgutverwaltung auf?Vorgehensweisen und Hilfsmittel am Beispiel der Archivschule“die Arbeitsschritte vor, mit denen die Schriftgutverwaltung derArchivschule analysiert und verbessert wurde. Detailliert wurdendie einzelnen Arbeitsschritte erläutert, aus denen sowohl ein ver -besserter Aktenplan und ein Fristenkatalog als auch eine Ge-schäftsordnung hervorgingen. Dabei ermöglichte die Bestands-aufnahme der Registratur erstmals eine Abgabe an das Staatsar-chiv Marburg.Die verstärkt praxisorientierte dritte Sektion zum Thema„Schrift gutverwaltung digital: Ist-Stand und Probleme bei derEinführung von DMS“ eröffnete Peter Sandner (Hauptstaatsar-chiv Wiesbaden) mit einem Vortrag über DOMEA®, das zentraleDokumentenmanagementsystem für alle Dienststellen des Lan-des Hessen. Anhand eines einleitenden aktuellen Beispiels – denPannen, die sich durch die Bearbeitung von Dokumenten außer-halb des DMS beim Gesetzgebungsverfahren zur Abschaffungder Studiengebühren in Hessen jüngst ereigneten – verdeutlichteer die Wichtigkeit der Ablage und Bearbeitung von Vorgängeninnerhalb eines Systems. Auf Grundlage der Erfahrungen vonAnwendern (DOMEA® wird seit Dezember 2005 im Pilotbetriebim hessischen Wirtschaftsministerium angewendet) ging Sandnerauch auf die Probleme bei der Einführung des DMS ein: Insbe-sondere die Eingangsbearbeitung (Scannen, Erfassung der Meta -daten) werde als aufwändig angesehen und treffe deshalb weiter-hin auf Vorbehalte bei den Bearbeitern. Ebenso stelle die Rechte-verwaltung ein kompliziertes Terrain dar. Andrea Hänger (Bun-desarchiv Koblenz) zog in ihrem Beitrag zur Umsetzung derelektronischen Schriftgutverwaltung in den Bundesbehördennach zwölf Jahren eine geradezu ernüchternde Bilanz: Die Ein-führungsprojekte wiesen eine hohe Misserfolgsquote auf, die ihreUrsachen in organisatorischen Schwächen, einer fehlendenUnterstützung durch die Leitungsebene und rechtlichen Unsi-cherheiten, die zu einer doppelten Aktenablage in der Papierakteund im Dokumentenmanagementsystem führten, habe. Um hiergegenzusteuern, hat das Bundesarchiv eine Arbeitsgruppe Behör-denberatung eingerichtet, die Workshops zur Vorgangsbearbei-tung sowohl in Papierform als auch elektronisch anbietet undregen Zuspruch findet.Die vierte Sektion widmete sich dem Records Management inUnternehmen und supranationalen Institutionen, die FiorellaFoscarini (Europäische Zentralbank Frankfurt am Main/Van -couver) mit einem Vortrag zur integrierten „Archival and RecordsManagement Section“ bei der Europäischen Zentralbank Frank-

ren, aber auch von Wirtschaftsinformatikern oder Organisations-fachleuten) erforderlich, um Behördenmitarbeitern die Grundla-gen der Schriftgutverwaltung wie Geschäftsprozesse, Metadatie-rung, Aktenbildung oder den Lebenszyklus von Unterlagen zuvermitteln. In diesem Zusammenhang und auch in der anschlie -ßenden Diskussion wurden terminologische Unschärfen (etwaRecords / Akte / Dossier) thematisiert. Auf Grundlage seiner Er -fahrungen als Consultant im Bereich Records Management undArchivierung legte Toebak dar, dass sich bei der Vermittlung derSchriftgutverwaltung an Behördenmitarbeiter die Reduktion vonKomplexität als zentral erweist: Wenn Archivare als Informations-spezialisten in der „E-Gesellschaft“ auftreten und dabei als „Ini -tiatoren, Multiplikatoren und Controller“ tätig werden, sollten siedie gleiche Sprache wie die Mitarbeiter in der Verwaltung spre-chen und auf Haarspaltereien verzichten.In der ersten Sektion „Die Rolle der Archive in der behördlichenSchriftgutverwaltung im internationalen Vergleich“ wurde deut -lich, dass im Gegensatz zu Deutschland Archivarinnen undArchi vare in Australien, Schweden und Großbritannien in hohemMaße in die Arbeit in den Verwaltungen involviert sind. KarenAnderson (Australien, z. Zt. Professor of Archives and Informati-on Science an der Midsweden University Härnösand) skizziertein ihrem Vortrag den starken Einfluss der Archivbehörden, in denVerwaltungen Standards des Records Management zu etablieren,um „good, reliable and usable records“ zu generieren. Ihnenkäme neben der Einsicht in Prozesse der Schriftgutverwaltungauch eine Aufsichtsfunktion zu, eine Entwicklung, die durch denEinsatz elektronischer Registratursysteme forciert werde. Ähnlichwie in Australien sind auch in Schweden das Nationalarchiv unddie regionalen Archive in die laufende Schriftgutverwaltung inBehörden direkt eingebunden, wie Anneli Sundqvist (MidswedenUniversity Härnösand) darlegte. Unter primär historischerPerspektive erläuterte sie die Besonderheiten der schwedischenVerwaltung, die den Bürgern seit 1634 Zugang zu staatlichenDokumenten bereits in der Verwaltung gewährt. In jeder Behördeist ein Registrator sowohl für die laufende als auch die Altregis -tratur zuständig. Aktuelle Entwicklungen sind die Europäisie-rung und Flexibilisierung der Organisationsstrukturen in derVerwaltung. Einen Überblick zu aktuellen Themen und Trendsdes Records Management in Großbritannien gab MargaretCrockett (Archive-Skills Consultancy, London). Records Manage-ment etablierte sich seit Ende der siebziger Jahre und existiertespätestens seit Gründung der „Records Management Society“1983 als Profession. Auch in der archivarischen Ausbildung besitztRecords Management einen hohen Stellenwert. Nach einerDarstellung wichtiger Entwicklungen der letzten Jahre wie des„Freedom of Information Act“ (2000), ISO 15489 und der wach-sende Bedeutung digitaler Unterlagen, prog nostizierte die Refe-rentin, dass sich die Nachfrage nach Records Managern sowohlin öffentlichen Verwaltungen als auch bei pri vaten Unternehmenund die Anforderungen, die an sie gestellt werden, massiv er-höhen werde. Dies resultiere aus der Tatsache, dass der Umganginsbesondere mit elektronischem Schriftverkehr oder Hybridak-ten keineswegs befriedigend sei.Die zweite Sektion setzte den Schwerpunkt auf die analogeSchrift gutverwaltung. Anhand von Berichten aus der Praxiswurden Probleme und Lösungsansätze in verschiedenen Verwal-tungsbereichen vorgestellt. Grit Richter-Laugwitz (Leiterin desArchivverbundes Stadtarchiv/Staatsfilialarchiv Bautzen) berichte-te in ihrem Vortrag über die Entwicklung des Stadtarchivs Baut-

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ARCHIVTHEORIE UND PRAXIS

tung aufgrund dessen versagt (als markantes Beispiel wurde hierdie offensichtlich mangelhafte Verwaltung von Jugendämtern inFällen von Kindesmisshandlung angeführt). Als weiteres Argu-ment für eine effiziente Schriftgutverwaltung wies die Referentindarauf hin, dass diese auch die wirtschaftlichen Ressourcen inBehörden schone: Die Mitarbeiter könnten sich auf ihre eigentli-chen Aufgaben konzentrieren.In einem abschließenden Referat legte Alexandra Lutz (Archiv -schule Marburg) anhand einer Analyse der Ausbildung in denVerwaltungsberufen (Fachangestellte für Bürokommunikation,Verwaltungssekretäre, Verwaltungsfachangestellte und Diplom-Verwaltungswirte) dar, dass hier die Schriftgutverwaltung oderdie Zusammenarbeit mit dem Archiv nur (noch) in sehr begrenz-tem Maße thematisiert werde. In den Ausbildungsgängen für dengehobenen Dienst ist Schriftgutverwaltung kaum relevant; in denAusbildungsgängen für den mittleren Dienst werde sie nuroberflächlich behandelt: Ausgebildete „Registratoren“ werdenheute in Verwaltungen nicht mehr beschäftigt. Die Leitungsebeneanzusprechen, um ihr die Wichtigkeit dieser Thematik – auch vordem Hintergrund rechtlicher Bestimmungen wie des Archivgeset-zes – zu verdeutlichen, wäre somit eine Aufgabe von Archivarin-nen und Archivaren als den eigentlichen Experten für Schriftgut-verwaltung. Die Referentin sprach zudem weitere Strategien wiedie Multiplikatorenschulungen, die Schaffung eines Lehrwerkesoder die Einladung von Auszubildenden ins Archiv an. Nichtzuletzt dürfte der Weiterbildungsmaster „Records Management“,der nach einem Beiratsbeschluss zukünftig an der ArchivschuleMarburg angeboten werden soll, dazu beitragen, Schriftgutver-waltung als Führungsaufgabe zu etablieren.In der sehr angeregten Abschlussdiskussion gingen die Beiträgeim Anschluss an diese Vorschläge ins Grundsätzliche des archiva-rischen Berufsbildes. Es wurde etwa die Frage aufgeworfen,inwieweit Archivare gegenüber ausgebildeten Records Managern„überflüssig“ werden könnten. Zukunftsperspektiven der Schrift-gutverwaltung wurden thematisiert – eine von festen Standardsgeprägte Entwicklung ist jedoch nicht absehbar!Wie bereits üblich geworden, sollen die Diskussionsbeiträge inForm eines Tagungsbandes in der Reihe der „Veröffentlichungender Archivschule Marburg“ 2009 publiziert und somit demInteressentenkreis zur weiteren Auseinandersetzung mit dieserThematik zugängig gemacht werden.

Lars Adler/Katrin Marx-Jaskulski/Hendrik Weingarten, Marburg

furt am Main eröffnete. In diesem Fall ist eine Trennung inArchiv und Registratur nicht existent. Archivare und RecordsManager arbeiten gemeinsam am Aufbau einer Schriftgutverwal-tung für eine politisch unabhängige, offene, supranationale Insti -tution, für die es kaum Vorbilder gibt. Dabei soll sowohl einevollständige Einbindung in die Geschäftsgänge der Bank als aucheine identitätsstiftende Sichtbarkeit für das Institut erreichtwerden. Ruth Kappel (Abteilungsdirektorin Corporate SocialResponsibility des Pharmazieunternehmens Celesio AG inStuttgart) skizzierte in ihrem Vortrag, welchen großen Einflussdas Konzernarchiv auf die Schriftgutverwaltung im Unterneh-men habe. Die ISO 15489, an deren Zertifizierung die Referentinbeteiligt war, stellt den Standard bei Celesio dar; als Dokumen-tenmanagementsystem wird der „Elektronische Leitz-Ordner“verwendet, der die Möglichkeit der Langzeitspeicherung bietet.Alle Dokumenttypen (Word, PDF, Scans), die seit dem Jahr 2000in den Bearbeiterablagen der einzelnen Abteilungen und nichtmehr in einer zentralen Registratur abgelegt werden, werdenzentral vom Konzernarchiv verwaltet, in dem die Recherche nurnoch digital erfolgt. Inwiefern ein ausgebildeter Archivar in einemUnternehmensarchiv, dass gleichzeitig als laufende Registraturfungiert, als Records Manager tätig sein muss, zeigte der Beitragvon Ullrich Hanke (Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & OHG):Hier wird der ein- und ausgehende Schriftverkehr erfasst, sortiertund klassifiziert. Die Archivmitarbeiter verwalten Vorgänge mitHilfe eines Dokumentenmanagementsystems und stellen Unter-lagen wie Genehmigungen, Änderungsanträge, Berichte oderSystembeschreibungen für die Dokumentation des Baus undBetriebs des Kernkraftwerkes nach KTA 1404 bereit.Eine abschließende Sektion zu möglichen Strategien einer Opti-mierung von Schriftgutverwaltungen zeigte auf, dass Archivare –wie schon öfters in Vorträgen und der Diskussion des Kolloqui-ums angeklungen – sich als Experten auf diesem Gebiet bezeich-nen können. Dies als ein Alleinstellungsmerkmal von Archivarin-nen und Archivaren bekannt zu machen, dafür plädierte IrmgardMummenthey (Staatsarchiv Hamburg, Leiterin des ReferatesGrundsatzangelegenheiten des Archivwesens und des Kulturgut-schutzes). Das Staatsarchiv Hamburg habe es geschafft, den Be -schäftigten in der Verwaltung sowohl in der Registratur als auchauf der Führungsebene bewusst zu machen, dass die Trans parenzder Vorgangsbearbeitung während des gesamten Lebenszyklus’eines Schriftstückes von hoher Bedeutung für den Informations-fluss in der Verwaltung ist. Dies werde besonders dann deutlich,wenn dieser Informationsfluss nicht funktioniert und die Verwal-

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PRAXISBERICHT Unter „Digitalisierung“ versteht man ganz allgemein die Umset-zung eines beständigen analogen Signals in eine Folge digitalerWerte. Das Ergebnis der Digitalisierung wird in binär codierterForm gespeichert, übertragen und verarbeitet. Bei der Digitalisie-rung werden die Informationen (beim Film bewegte Bilder undTöne, beim Tonband der Ton/Klang) auf den in analoger Formvorliegenden Daten- und Informationsträgern (also z. B. magneti-sche Datenträger wie Magnettonbänder) herausgelöst und indigitale Objekte umgewandelt. Es gibt unkomprimierte (verlustfreie) Formate, Dateiformate, diekomprimiert und verlustfrei und Dateiformate, die komprimiertund verlustbehaftet sind. Der Arbeitskreis „Elektronische Archi -vierung“ der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare e. V. hatauf der Homepage des VdW1 Audioformate in einer Tabelle miteinem Bewertungssystem dargestellt. Dort schneiden folgendeAudioformate besonders gut ab:– RF64 (MBWF): Dieses nicht-proprietäre Format ist mehrka-

nalfähig und wird hauptsächlich im Broadcasting-Bereicheingesetzt. Es ist ausgelegt auf bis zu 16 Kanäle und wird als„zukunfts trächtig“ eingestuft. Das Format erhält in den Kate-gorien „Audio qualität“, „freie Verarbeitbarkeit, Maschinenles-barkeit“, „Zugänglichkeit/Migrierbarkeit“, „Interne Struktur/Selbstdoku mentation“, „freie Nutzbarkeit“, „vollständig undoffen dokumentiert“, „Stabilität/Reife“ und „standardisiertesCodier ver fahren“ jeweils eine „4“ für „sehr gut“.

– Ganz ähnlich schneidet dort RIFF WAV ab, erhält aber zusätz-lich bei „Wiedergabefähigkeit ohne Spezialsoftware“ und bei„Verbreitungsgrad“ eine „4“ für „sehr gut“ und kommt auchbei der „Streamingfähigkeit“ etwas besser als RF64 weg.

– AIFF-Format: erhält in den Kategorien „Audioqualität“, „freieVerarbeitbarkeit, Maschinenlesbarkeit“, „Zugänglichkeit/Mi-grierbarkeit“, „Interne Struktur/Selbstdokumentation“, „Stabi-lität/Reife“ und bei „standardisiertes Codierverfahren“ dieHöchstpunktzahl „4“.

– MPEG-1 Layer 3 (MP3) zeichnet sich besonders in denBewertungskategorien „Wiedergabefähigkeit ohne Spezialsoft-ware“, „freie Verarbeitbarkeit, Maschinenlesbarkeit“, „Verbrei-tungsgrad“, „Stabilität/Reife“ und „Streamingfähigkeit“ aus(jeweils Höchstnote „4“).

Dieses Bewertungsschema soll an konkret gemachten Er -fahrungen im Stadtarchiv Bergisch Gladbach etwas näher be -leuchtet werden.

Ausgangssituation Im Stadtarchiv Bergisch Gladbach befindet sich eine überschau-bare Anzahl an Magnettonbändern, die bisher nicht ge nutzt wer-den konnten, weil das Stadtarchiv kein eigenes Tonbandab spiel -gerät besitzt. Die Tonbänder sind zudem unterschiedlich: Zum

einen gibt es Bänder, die mehrere Tonspuren haben, zum anderensind die Bänder mit jeweils unterschiedlichen Abspielge schwin -dig keiten wiedergebbar. Schon allein die angestrebte Nutzung der– nur mit wenigen Hinweisen zum Inhalt beschrifteten – Bänderrechtfertigte einen Handlungsbedarf. Durch einen bei der mit derStadtbücherei zusammengelegten Kreisbildstelle beschäftigtenTechniker gelangte das Stadtarchiv in den Besitz eines Tonband -abspiel- und -aufnahmegeräts, welches in der Lage war, dreiBand geschwindigkeiten abzuspielen. Damit war der Großteil dervorhandenen Tonbänder abspielbar. Zudem erläuterte der Tech -niker eine Verfahrensweise, mit der die analogen Magnetton -bänder über ein mit dem Tonbandgerät verbundenes Minidisc -gerät in ein digitales Audioformat umgewandelt werden könnten.Anschließend sind die nun digitalen Tontracks auf ein Speicher -medium (CD, Festplatte) übertragbar. Das Stadtarchiv BergischGladbach arbeitet mit dem Archivdatenbanksystem FAUST 6.Das Verfahren wird im Folgenden näher beschrieben.

VorgehensweiseDas Tonbandgerät wird zunächst mit dem Minidisc-Gerät ver-bunden (Chinchkabel). Das Minidisc-Gerät wird via Glasfaser -kabel mit einem CD-Brenner verbunden.

Übertragung auf MinidiscAls Erstes muss der analoge Ton des Magnetbandes auf eineMinidisc übertragen werden. Dies geschieht in Echtzeit. Mit demMinidisc-Gerät ist jede beliebige Stelle des Audiotracks ansteuer-bar, so dass das Ergebnis der Digitalisierung direkt überprüftwerden kann. Nach der Aufnahme auf Minidisc kann der gebil-dete Track nachbearbeitet werden: Die Splittung in mehrereTracks sowie das Löschen von Sequenzen (Störgeräusche,Stummstellen etc.) ist möglich. Ebenso das Löschen ganzerTracks.

Umkopieren auf CDSind die Tracks soweit bearbeitet, kann auf eine CD-RW Audio(bzw. Musik)2 umkopiert werden. Nach dem Finalisieren kanndie CD ins PC-Laufwerk eingelegt werden; die digitale Dateiwird auf den PC übertragen und kann dort weiterverarbeitetwerden. Es sind im Wesentlichen vier Optionen durchführbar:1. Auswahl des Dateiformats2. Konvertierung3. Speicherung auf Datenträger4. Einbindung der Tondatei in das Archivierungsprogramm

FAUST 6

DIGITALISIERUNG VONTONBÄNDERN IM STADTARCHIVBERGISCH GLADBACH

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1 www.wirtschaftsarchive.de/akea/handreichung.htm, letzter Zugriff: Dezember2007.

2 Es ist darauf zu achten dass es sich um diese spezielle CD-RW handelt. Beieiner „normalen“ CD-RW ist das Verfahren nicht durchführbar.

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ARCHIVTHEORIE UND PRAXIS

Kopieren in Ordner auf dem PCIm Stadtarchiv wurde mit der Software „Windows Media-Player“gearbeitet. Damit kann beispielsweise auch das Dateiformat aus-gewählt werden, welches erzeugt werden soll. Mit der Version 7.0stehen neuerdings zwei grundsätzlich zur Archivierung geeigneteAudioformate zur Verfügung: WMA (auch als „lossless“-Version)und WAV Bei Einlegen der mit dem CD-Brenner gebrannten CD wird dieTondatei darauf in den angegebenen Ordner, dessen Pfad vorherim Auswahlmenü festgelegt wurde, kopiert. Das Betriebssystemerzeugt dabei automatisch einen Ordner, der als Metadaten Da -tum und Uhrzeit des Kopiervorgangs trägt.Bei den Einstellungen im Media-Player wurde am Anfang mitder älteren Version das Format WMA-lossless ausgewählt, bei derVersion 7.0 dann das WAV-Format. Außerdem bei der Justierungder Audioqualität der Balken auf „Optimale Qualität“ gezogen.

Konvertieren der wma-Audiodateien in ein anderes FormatDie Wiedergabequalität von WMA kann man als schlecht unddumpf bezeichnen. Deshalb wurde bald die Konvertierung in einanderes Audioformat ins Auge gefasst. Zur Konvertierung be -nötigt man ein Audiokonvertierungsprogramm. Zunächst wur-den Versuche mit dem Programm „CDex“ (Freeware) gestartet.Im Test hat sich CDex aber als nicht funktionstüchtig erwiesen,wenngleich das User Manual ausführlich und teilweise hilfreichwar. Nachteil des Programms ist zudem, dass nur ganz wenigeFormate zur Verfügung stehen, in die konvertiert werden kann.Eine Internetrecherche brachte uns auf das Programm „Switch“von Swift3, ebenfalls Freeware, das eine Vielzahl von Formatenvorhält, wovon einige auch auf der Empfehlungsliste des VdW-AKEA4 stehen bzw. von FAUST unterstützt werden (z. B. AIFF).Außerdem zeichnet sich das Programm durch seine einfacheBedienbarkeit aus.Ausprobiert wurden zunächst die Zielformate AIFF und WAV5.Die AIFF-Datei ist ungefähr 10x mächtiger als die WMA-Quell -datei. Die WAV-Datei ist noch speicherplatzfressender: Sie be -nötigt mehr als 20x so viel Speicherplatz als die WMA-Quell -datei. Beide Formate können über den Switch-Player wiedergege-ben werden.

ResultatBei der Einbindung der konvertierten Formate in FAUST tratenfolgende Phänomene auf: 1.) Die AIFF-Datei wird als WAV-Format Audio erkannt und ist

auch mit dem FAUST-integrierten Player wiedergebbar. DieWAV-Datei hingegen wird von FAUST nicht erkannt.

2.) Das (komprimierte) Dateiformat MP3 wird von FAUST pro -blemlos erkannt. Es wird dort angezeigt als „MPEG1 Audio/Video“ und lässt sich auch über den FAUST-Player abspielen.

3.) Die unterschiedlichen Formate erzeugen unterschiedlicheGesamtspielzeiten des Tracks. So schwankt die Gesamtspiel -dauer bei Objekt XT 3/3 beispielsweise zwischen 10´27´´ und14´40´´ min.

Zur Archivierung in Frage kommt in jedem Fall das AIFF-Format. Es kommt auf der Empfehlungsliste des VdW-AKEAgut weg und kann zudem problemlos von FAUST erkannt undabgespielt werden. Allerdings schafft dieses Format die Schwie -rig keit dass die Tracks z. T. nicht mehr auf eine CD passen6.Besteht das Digitalisat z. B. nur aus einem Track, müsste die digi-

talisierte Quelldatei weiter gestückelt werden. Alternative wäre,auf DVD (bzw. ab 2009 auf Blu-Ray) zu brennen. Hierzu bedarfes zusätzlich eines DVD-Brenners oder eines entsprechendenKombi gerätes.

Zur Nutzung würde sich das MP3-Format anbieten. EineHörprobe ergab folgendes:

– MP3-Format rauscht mehr als WMA– AIFF klingt sehr klar und deutlich– WAV ist auch nicht schlecht, dennoch im Vergleich schlechter

als AIFF.

Fazit: Das als Nutzungsformat favorisierte MP3-Format schnei-det gleich in zweifacher Hinsicht schlecht ab: es ist klanglichunbefriedigend und „verbraucht“ dennoch viel Speicherplatz.Absolut gesehen ist zwar das WMA-Format immer mächtiger alsMP3, man sollte aber überlegen, ob man nicht trotzdem demFormat WMA als Nutzungsformat den Vorzug geben sollte.Als Archivierungsformat wird AIFF favorisiert. Da aber dasWAV-Format die Anforderungen ebenso gut erfüllt, dafür aberweniger Speicherplatz benötigt, einigte man sich auf diesesAudioformat.

Dateigrößen bei den unterschiedlichen Audiodateiformaten amBeispiel zweier Audioobjekte:

XT 3/3 XT 3/5 [Dauer: 11 Minuten]: —— x 7- ---> [Dauer: 79 Minuten]:AIFF: 108.126 KB ____x7,6___> AIFF: 822.548 KBMP3: 6.877 KB ____x6,8___> MP3: 46.731 KBWAV: 13.600 KB ____x131__ > WAV: 1.790.254 KB WMA: 22.707 KB ____x3,6___> WMA: 82.710 KB

Dieser Praxisbericht kann nur eine grobe Richtschnur sein. Ein„Non-plus-ultra“-Format für Audiodokumente, das die allge-meingültige Lösung für Archive ist, gibt es nicht. Jedes Archivmuss für sich entscheiden, welches Format es für sich gemäß sei-nen Anforderungen, seinen Aufgaben und seiner Ausstattungnach favorisiert.

Literaturverzeichnis

Coy, Wolfgang: Perspektiven der Langzeitarchivierung multimedialer Objekte (Ne-stor-Materialien 5), URL: www.langzeitarchivierung.de/modules.php?op=modload&name=PagEd&file=index&page_id=2#section7, letzter Zugriff:02.06.2008Gutzmann, Ulrike / Kamp, Ulrich / Keitel, Christian / Scheiding, Antje: Prakti-sche Lösungsansätze zur Archivierung digitaler Unterlagen: „Langzeitarchivie-rung“ und dauerhafte Sicherung der digitalen Überlieferung. – In: Der Archivar,Jg. 60 (2007), Heft 4, S. 322-327. – URL: www.wirtschaftsarchive.de/akea/hand-reichung.htm.

Michael Krischak, Bergisch Gladbach

3 NCH Software: www.nch.com.au/switch/index.html.4 Arbeitskreis Elektronische Archivierung bei der Vereinigung deutscher Wirt-

schaftsarchivare e.V. [Anm. des Verf.] 5 Mit der älteren Version des Windows Media-Players stand dieses Format noch

nicht zur Verfügung. Erst die Version 7.0 erzeugte das wav-Format bei entspre-chender Voreinstellung, so dass dann eine spätere Konvertierung entfallenkonnte.

6 Auf eine CD passen normal 750 MB, das entspricht 750.000 KB

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JAHRESTAGUNG 2008 DES BESTANDSERHALTUNGS -AUSSCHUSSES DER ARK

1 Siehe Martin Luchterhandt/Marcus Stumpf: Jahrestagung des Bestandserhal-tungsausschusses und des Fototechnischen Ausschusses der ARK, in: Archi-var, Jg. 61 (2008), S. 40-41.

2 Siehe Positionspapier der ARK: Digitalisierung von Archivgut im Kontext derBestandserhaltung, in: Archivar, Jg. 61 (2008), S. 395-398), auch im Internetwww.landesarchiv-bw.de (Fachinformationen/Bestandserhaltung/Grundsätz-liches).

externen Dienstleister aufzufordern, die DIN-Empfehlungen zurKontrolle der Entsäuerung umzusetzen und die Zusammenarbeitmit den Bibliotheken auf diesem Gebiet auszubauen. Eine bundesweite Vereinheitlichung der Schadensklassifikation(Schadensgrad auf- oder absteigend gewertet) wird vom Aus-schuss nicht angestrebt. Die in Nordrhein-Westfalen entwickelteund erprobte Priorisierungstabelle (Stichprobenverfahren) zurSchadensklassifikation wurde vorgestellt und diskutiert. Damitsollen Bestände zur Schadenskartierung ermittelt werden. DasSystem wurde bereits an einem Bestand des HauptstaatsarchivsDüsseldorf erprobt und befindet sich noch in der Evaluierungs-phase. Der Ausschuss stellte fest, dass die vorgestellte Praxis dieAufwandskalkulation und die Ermittlung von Dringlichkeitenermöglicht, und möchte die in verschiedenen Verwaltungen ge -wonnenen Erfahrungen auch weiterhin verfolgen. Weitere The-men waren die Umfrage und Diskussion zum „seriellen Arbei-ten“, die Erhebung zur Restaurierungskapazität, Empfehlungendes ICA zur Bestandserhaltung bei Ausstellungen, Notfallvorsor-ge, Öffentlichkeitsarbeit sowie die Vorstellung von neuen Produk-ten, z. B. Light-Check-Streifen zur Messung der Gesamtlichtbelas -tung. Das Thema Lagerung und Verpackung von Archivalien bestimm-te der Ausschuss zum Schwerpunkt der nächsten Tagung. Hierzuwurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die Empfehlungen für Min-destanforderungen formulieren soll.

Annegret Marx/Martina Nützmann, Darmstadt

Am 22. und 23. April 2008 fand im Hessischen StaatsarchivDarm stadt die jährliche Sitzung des Bestandserhaltungsausschus-ses der ARK statt. Neben der Diskussion von Fachthemen hattendie Teilnehmenden die Gelegenheit, den Mollerbau, der als Hausder Geschichte mehrere Archiveinrichtungen beherbergt, undinsbesondere die Restaurierungswerkstatt des Staatsarchivs zubesichtigen. Das gemeinsam mit dem Fototechnischen Ausschuss1 erstelltePapier zur „Digitalisierung von Archivgut im Kontext der Be-standserhaltung“ wurde bereits im März von der ARK als beson-ders wichtige Publikation verabschiedet.2 Aus der Normungsar-beit wird bekannt gegeben, dass der DIN-Fachbericht Bau (13)unter besonderer Berücksichtigung des Archivbaus zu Beginn desJahres 2009 bei Beuth veröffentlicht wird. In einem Gastreferatberichtete die Referentin Birgit Dreuth über die Verankerung vonNormen im Beschaffungswesen bei der Evangelischen Kirche inHessen-Nassau (EKHN): Sämtliche Institutionen der EKHN sindbereits über die Problematik des alterungsbeständigen Papiersinformiert. Des Weiteren teilte sie dem Ausschuss den Stand derZertifizierung von Druckern nach DIN ISO-Norm 11798 bei denentsprechenden Herstellerfirmen mit. Die Input-Output-Statistik für die Bestandserhaltung wurdefortgeschrieben. Sie ermöglicht einen vergleichenden Blick aufdie Anstrengungen der Archivverwaltungen für Bestandserhal-tungsmaßnahmen. Nach einem Erfahrungsaustausch über dieerfolgten Massenkonservierungsmaßnahmen in den verschiede-nen Archivverwaltungen sprach sich der Ausschuss dafür aus, die

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ARCHIVTHEORIE UND PRAXIS

NESTOR/DPE SUMMER SCHOOL2008

der Arbeitsergebnisse sowie eine Abschlussdiskussion. An die Begrüßung der TeilnehmerInnen durch Heike Neuroth(Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Max PlanckDigital Library) schlossen sich die einführenden Vorträge vonAchim Oßwald (Fachhochschule Köln) und Regine Scheffel(Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, Leipzig) an.Diese führten in zentrale Begrifflichkeiten und Problemstellun-gen der digitalen Langzeitarchivierung ein. Sie gaben einenÜberblick über ausgewählte nationale und internationale Projek-te und Empfehlungen zur digitalen Langzeitarchivierung (z. B.die UNESCO-Charter) und benannten Maßnahmen, mit denender Einstieg in die digitale Langzeitarchivierung begonnenwerden kann (u. a. Datensicherung, erste Risikoanalyse, Bestands -übersicht). In der sich anschließenden Gruppenarbeitsphasesetzten die TeilnehmerInnen sich anhand eines konkreten Bei-spiels mit grundsätzlichen Fragen auseinander, die bei der Pla-nung von digitaler Langzeitarchivierung in Betracht gezogenwerden müssen: Für welche Nutzergruppen und welche zukünf-tigen Nutzungsformen archivieren wir digitale Objekte? WelcheFunktions- und Datenverluste können oder müssen in Kaufgenommen werden?Der Vormittag des zweiten Tages war dem Thema „Metadaten/Standards“ gewidmet. In ihrem Vortrag ging Heike Neuroth zu -nächst auf die Bedeutung von Metadaten und internationalenStandards im digitalen Zeitalter ein. So können Metadaten dazubeitragen, die Erschließung digitaler Objekte, ihre Auffindbarkeitsowie den Datenaustausch zu erleichtern. Nach einer Beschrei-bung des Dublin Core Metadata Element Sets (DCMES)4 erörter-te Neuroth den Nutzen und die Notwendigkeit spezifischer LZA-Metadaten, d. h. von Informationen über digitale Objekte, die zurPlanung und Durchführung von Langzeitarchivierungsmaßnah-men unabdingbar sind, und stellte mit PREMIS einen wichtigeninternationalen Standard aus diesem Bereich vor.5 In der sichanschließenden Übung setzten die TeilnehmerInnen sich anhandvon Beispielen mit der Frage auseinander, welche Metadaten fürdie digitale Langzeitarchivierung von besonderer Bedeutungsind. Die von Jens Ludwig (Staats- und Universitätsbibliothek Göttin-gen) präsentierte dritte Lektion „Digitale Objekte und ihreEigenschaften“ ging nach einer Unterscheidung der drei Ebeneneines digitalen Objekts nach Thibodeau (konzeptionelles, logi-sches und physisches Objekt) der Frage nach, was die Komple-xität digitaler Objekte ausmacht. So können digitale Objekte ausanderen Objekten bestehen (Komponiertheit), sie können dyna-misch, d. h. der Veränderung – auch durch NutzerInnen – unter-worfen sein, und das Verhältnis der verschiedenen Objekt-Ebe -nen kann oft komplex oder uneindeutig sein (Granularität).Hierauf aufbauend beleuchtete Ludwig die für die digitale Lang -zeitarchivierung resultierenden Anforderungen und gab an -schließend eine Einführung in den Themenkomplex „Formate

In dem Maße, wie unser kulturelles und wissenschaftliches Erbezunehmend in rein digitaler Form vorliegt, ist dieses Erbe voneinem „digitalen Gedächtnisschwund“1 bedroht, dessen Ursa-chen zum einen in dem Verlust der Daten durch eine Zerstörungoder Fehlfunktion der physischen Trägermedien liegen können;zum anderen besteht die Gefahr einer Nichtinterpretierbarkeitvon Daten in neuen Hard- und Softwareumgebungen. Um diesenGefahren entgegenzuwirken, gilt es, im Rahmen einer digitalenLangzeitarchivierung ausschließlich digital verfügbare Datenauch über Technologiewechsel hinweg in interpretierbarer Formzu erhalten. Hierbei beschreibt der Begriff „Langzeit“ keinen klarumrissenen oder abgegrenzten Zeitraum und so bemerken dieAutoren des OAIS-Modells: „Long Term may extend indefinite-ly“.2 Hierbei muss Langzeitarchivierung sicher stellen, dass digi -tale Objekte dauerhaft identifizierbar, auffindbar und interpre-tierbar bleiben und darüber hinaus die Wahrung von Integrität,Authentizität, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit der Daten ge -währ leisten können. Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es geeigneter Rahmenbedin-gungen und Regelungen sowie Kooperationen auf institutioneller,nationaler und internationaler Ebene. Nestor, das Kompetenz-netzwerk Langzeitarchivierung und Langzeitverfügbarkeit digita-ler Ressourcen in Deutschland3, unterstützt daher die Koopera -tion verschiedener Institutionen und Organisationen, die im Be -reich der digitalen Langzeitarchivierung tätig sind, nicht nurdurch die Entwicklung von Verfahrensmodellen und Standards,sondern auch indem es eine Informations- und Kommunikati-onsplattform für bestehende Projekte zur Verfügung stellt. Im Rahmen des nestor-Qualifizierungsangebots fand vom 16.-20.Juni 2008 zum nunmehr dritten Mal eine nestor/DPE SummerSchool zum Thema digitale Langzeitarchivierung statt. Gut 45TeilnehmerInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiztrafen in Staufen/Breisgau zusammen, um sich über „Technologi-en und Strategien für die digitale Langzeitarchivierung“ zu infor -mieren und auszutauschen. Studierende aus den Bibliotheks-und Informationswissenschaften waren hierbei ebenso vertretenwie Praktiker aus Bibliotheken, Archiven, Museen und dem infor -mationswirtschaftlichen Bereich.Erstmalig bestand die School aus zwei aufeinander aufbauendenThemenblöcken, die getrennt voneinander gebucht werden konn -ten. Während der erste Block („Einführung in die digitale Lang-zeitarchivierung“) einen Überblick über grundsätzliche Fragenund Konzepte der digitalen Langzeitarchivierung gab, lag derSchwerpunkt des zweiten Themenblocks („Speichertechnologienund LZA-Konzepte“) auf praktischen Fragestellungen und derBehandlung konkreter Szenarien wie beispielsweise der Planunginstitutionsbezogener Langzeitarchivierungs-Strategien. Jede derLektionen bestand aus einem einführenden Vortrag sowie einerGruppenarbeitsphase. In dieser wurden auf den Vortrag bezogeneAufgabenstellungen bearbeitet. Es folgte jeweils die Präsentation

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zu finden, d. h. eine Strategie, welche optimal auf die Eigenschaf-ten der zu archivierenden Objekte, die (derzeitigen und zukünfti-gen) Anforderungen der Benutzer und der Institution sowie denzur Verfügung stehenden Mitteln und Werkzeugen abgestimmtist. Rauber stellte dann das an der TU Wien entwickelte Werk-zeug PLATO9 (Planets Preservation Planning Tool) vor, welchesdie Evaluation von Langzeitarchivierungsstrategien im Hinblickauf das individuelle Anforderungsprofil einer Institution sowiedie Erstellung eines Preservation Plans ermöglicht. BesonderesAugenmerk richtete Rauber hierbei auf einen der Kernschrittedes Evaluierungsprozesses: die Erstellung eines sogenanntenObjective Tree, also einer gewichteten Auflistung aller Anforde-rungen (Objectives) an die Langzeitarchivierungsstrategie u. a.hinsichtlich der Objekteigenschaften, Metadaten, Prozesseigen-schaften und Kosten. Die Erstellung solcher Objective Trees fürunterschiedliche digitale Objekte war auch Gegenstand der sichanschließenden Gruppenarbeitsphase. Im Rahmen der nestor/DPE Summer School konnten die Teilneh-merInnen einen ausführlichen Einblick in die Fragestellungenund Problemkomplexe sowie in Werkzeuge und Strategien derdigitalen Langzeitarchivierung gewinnen. Es wurde hierbei nichtnur ein Bewusstsein für die Komplexität und Dringlichkeit desThemas geschaffen, gleichzeitig wurden die TeilnehmerInnenauch mit dem Handwerkszeug ausgerüstet, in der eigenen Institu-tion oder Organisation erste Schritte in Richtung der Entwick-lung von Langzeitarchivierungsstrategien zu gehen. Insbesonderedas ausgewogene Verhältnis von Theorievermittlung in Vorträgenund praktischer Anwendung in den Arbeitsgruppen trug dazubei, den TeilnehmerInnen die Lerninhalte näher zu bringen. AlleLektionen waren geprägt von anregenden Diskussionen, dieeinen starken Praxisbezug aufwiesen und von Impulsen undDenkanstößen aus vielen Bereichen profitierten. Gemeinschaftli-che Unternehmungen jenseits der fachlichen Aktivitäten wieabendliche Weinprobe, Wanderung oder Stadtführung durchStaufen rundeten die School ab und boten eine willkommeneGelegenheit Kontakte zu knüpfen und Diskussionen in einemungezwungenen Rahmen fortzuführen und zu vertiefen. Insge-samt ist es den Veranstaltern der nestor/DPE Summer School2008 gelungen, ein ansprechendes Qualifizierungs-, Kommunika-tions- und Informationsangebot zu schaffen und für die Teilneh-merInnen in jeder Hinsicht gewinnbringend umzusetzen.

Astrid Recker, Köln

und Kriterien für die Formatauswahl“ sowie die damit in Zusam-menhang stehenden Aufgaben im Rahmen der digitalen Lang-zeitarchivierung. Im Rahmen der Übung stellten die verschiede-nen Arbeitsgruppen unter anderem Überlegungen zur Auswahlvon geeigneten Formaten an. In der Lektion „OAIS, Kriterien und Zertifizierung“ gab NiklausStettler (Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur) zum Ab -schluss des ersten Themenblocks der School eine Einführung indas Referenzmodell OAIS6 und die Vertrauenswürdigkeit vonArchiven. Ausgehend von der Fragestellung, warum elektronischeArchivsysteme Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Vertrau-enswürdigkeit ergreifen müssen und wie diese gewährleistet wer -den kann, ging Stettler auf den nestor-Kriterienkatalog vertrau-enswürdige digitale Langzeitarchive7 ein, einem für Gedächtnis-organisationen entwickelten „Hilfsmittel zur Erlangung undDarstellung von Vertrauenswürdigkeit“.8 Im Anschluss erläuterteer wichtige Begrifflichkeiten des OAIS-Referenzmodells, welchesin abstrakter Form Funktionsbereiche und Datenfluss-Prozesseeines digitalen Langzeitarchivs beschreibt. Die Arbeitsgruppenbeschäftigten sich dann unter anderem mit der Frage, wie dieArchivierung komplexer digitaler Informationsobjekte in Ein-klang mit dem OAIS geplant und durchgeführt werden kann. Frank M. Bischoff (Archivschule Marburg) und Karsten Huth(Bundesarchiv) eröffneten am Morgen des vierten Tages mit ihrenVorträgen zum Thema „LZA-Strategien (Migration, Emulation)“den zweiten Themenblock der School. Hierbei erläuterte Bischoffzunächst theoretische Grundlagen der beiden Strategien.Während im Rahmen einer Migrationsstrategie bedrohte Datenin ein neues Standardformat übertragen werden, um die Lang-zeitverfügbarkeit und -lesbarkeit digitaler Objekte zu gewährleis -ten, bildet man bei der Emulation Hardware- und/oder Soft-wareumgebungen nach, um digitale Objekte in ihrer ursprüngli-chen Funktionalität verfügbar und interpretierbar zu erhalten. ImAnschluss an diese Ausführungen zeigte Huth anhand von prak -tischen Beispielen Vor- und Nachteile der jeweiligen Strategienauf. In den Arbeitsgruppen widmeten die TeilnehmerInnen sichder Lösung praktischer Aufgabenstellungen, die ein Bewusstseinfür Abläufe bei der Planung von Migrations- oder Emulationsvor-haben, aber auch für möglicherweise auftretende Problemeschufen. In der sechsten Lektion der Summer School führte Rolf Däßler(Fachhochschule Potsdam) in das Thema „Speichertechnologien“ein. In seinem Vortrag beleuchtete er unter anderem verschiedeneSpeichertechnologien (magnetische, optische, magneto-optische,elektronische) und ging auf Archivsysteme und die Haltbarkeitder verschiedenen Speichermedien ein. Schließlich widmete ersich aktuellen Entwicklungen und Trends – insbesondere holo-grafischen Speicherverfahren und Flashspeichern. In den Arbeits-gruppen beschäftigten die TeilnehmerInnen sich mit ausgewähl-ten Themenkomplexen – u. a. holografischer Datenspeicherung,RAID-Systemen und Archivierungsstrategien. Hierbei ging es vorallem um die Bewertung bewährter Speicherverfahren und denVersuch, zu einer selbstständigen Einschätzung der neuerenTechnologien zu gelangen. Zum Abschluss der nestor/DPE Summer School gab AndreasRauber (Technische Universität Wien) eine Einführung in dasThema „Preservation Planning: Ermittlung der ‚optimalen‘Langzeitarchivierungsstrategie“. Ausgangspunkt des Vortrags warhierbei die Schwierigkeit, die für eine bestimmte Institution oderGedächtniseinrichtung „richtige“ Langzeitarchivierungsstrategie

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1 Vgl. Strathmann, Stefan: Digitaler Gedächtnisschwund, in: InformationWeek,23.02.06. Verfügbar unter http://informationweek.de/showArticle.jhtml?ar-ticleID=193002999, 17.11.08.

2 Consultative Committee for Space Data Systems (CCSDS): Recommendationfor Space Data System Standards: Reference Model for an Open Archival In-formation System (OAIS). Washington, DC Januar 2002, S. 1-1. Verfügbar un-ter http://public.ccsds.org/publications/archive/650x0b1. pdf, 17.11.08.

3 www.langzeitarchivierung.de/, 17.11.08.4 http://dublincore.org/documents/dces/, 17.11.08.5 www.oclc.org/research/projects/pmwg/, 17.11.08.6 http://public.ccsds.org/publications/archive/650x0b1.pdf, 17.11.08.7 http://edoc.hu-berlin.de/series/nestor-materialien/2006-8/PDF/8.pdf, 17.11.08.8 nestor-Arbeitsgruppe Vertrauenswürdige Archive – Zertifizierung (Hrsg.):

Kriterienkatalog vertrauenswürdige digitale Langzeitarchive, Version 1, Frank-furt am Main Juni 2006, S. 1. Verfügbar unter http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0008-2006060710, 17.11.08.

9 www.ifs.tuwien.ac.at/dp/plato/intro.html, 17.11.08.

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BILDUNGS- UND FORTBILDUNGS -ANGEBOTE IM ZENTRALARCHIV DEREVANGELISCHEN KIRCHE DER PFALZ

Archive sind längst mehr als Aufbewahrungsstätten von histo-risch wertvollen Unterlagen. Selbst wer diese Aussage bejaht,weiß oft nicht, was sich hinter dem „Mehr“ verbirgt. Die klassi-schen Kernaufgaben von Archiven, wie sie in der Regel in denArchivgesetzen festgeschrieben sind, beziehen sich auf die Über-nahme, Verzeichnung und Bereitstellung archivwürdiger Unterla-gen.1 Hinzu kommt die Beratung der Verwaltung bei der Füh -rung der Registratur.2 Schließlich nehmen viele Archive einenBildungs- und Vermittlungsauftrag wahr, der in den Archivgeset-zen in unterschiedlichen Formulierungen festgeschrieben ist. ImFalle des Zentralarchivs der Evangelischen Kirche der Pfalz heißtes in § 4 Abs. 5: „Das Zentralarchiv wirkt an der Auswertung undVermittlung des von ihm verwahrten Archivgutes mit. Es nimmtAufgaben im Rahmen der Aus- und Fortbildung sowie im Bereichder kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit wahr. Das Zentralarchivunterstützt die Kirchengeschichtsforschung und die kirchlicheDenkmalpflege.“ Das landeskirchliche Archivgesetz fixierte im Jahre 1999 Aufga-ben, die das Zentralarchiv über Jahre hinaus bereits erledigthatte. Andererseits war der gesetzliche Auftrag wiederum Anlassfür eine Neuorientierung im Bildungs- und Vermittlungsbereich.

Registraturberatung und Seminare zur Schrift-gutorganisationDie Registraturberatung gehört zum klassischen Angebot vonArchiven – und dies nicht ohne Grund. Archive sind daraufangewiesen, nach Möglichkeit geordnetes Registraturgut, dasheißt gut geführte Akten zu übernehmen. Die Beratung am Tele -fon und vor Ort ist daher eine gleichsam vorbeugende archivi-sche Maßnahme.Auch die Seminareinheit „Archiv und Registratur“ im Rahmender Vikarsausbildung gehört zu diesen prophylaktischen Aktivitä-ten. Die Nachwuchsgeistlichen kommen in dem eintägigen Kursin der Regel erstmals in Kontakt mit dem Archiv und gewinneneinen Eindruck von der Bandbreite archivischer Tätigkeit, inso-weit sie für das Pfarramt von Belang ist. Dabei liegt der Schwer-punkt auf der Arbeit mit dem Aktenplan, den das Zentralarchivfür Gemeindepfarrämter im Jahre 2004 in überarbeiteter Formpubliziert hat.3 Seit 2008 ist die Fortbildung in den ersten Amts-jahren verpflichtend. Im Rahmen der vom Institut für die kirchli-che Fortbildung, Landau, zusammengestellten Seminareinheitenentfällt ein Tag auf die Schriftgut- und Informationsverwaltungim Pfarramt.

JENSEITS DER ERSCHLIEßUNG

Von der Organisation am Arbeitsplatz überTeamarbeit bis zum ZeitmanagementSeit 2003 ist das Zentralarchiv in die Fortbildungen der Evangeli-schen Arbeitsstelle für Kirche und Gesellschaft, Kaiserslautern,eingebunden. Für die Zielgruppen Verwaltungskräfte und inzwi-schen auch für die Ehrenamtlichen bestehen Seminarangebote zuden Themenbereichen Organisation am Arbeitsplatz, Selbstkon-trolle, Teamarbeit, Projekt- und Zeitmanagement. VergleichbareFortbildungen sind auf Ökumenische Sozialstationen, Diakoni-sche Beratungsstellen und die Verwaltung in der Diakonie abge-stimmt.Je nach Bedarf können Seminareinheiten für weitere Zielgruppenoder Einrichtungen zugeschnitten werden. Die Kurse werden alsHalbtageseinheiten oder Ganztagsseminare angeboten undkönnen auf Wunsch mehrere Module umfassen. Die Teilnahmeist kostenpflichtig.Die Kompetenz zur Abhaltung der Kurse speist sich einerseits auslangjähriger Erfahrung in der Schriftgutorganisation und -bera -tung. Außerdem wurden von den Archivkräften gezielt Fortbil-dungen zu diesem Themenkomplex mit einer Ausweitung zurOrganisationsberatung hin wahrgenommen.

HandschriftenlesekurseViele Menschen interessieren sich für Geschichte oder Familien-forschung und würden gern Originalquellen studieren. Doch dieHandschriften in der so genannten deutschen Schrift bildenschon bald ein schwer zu überwindendes Hindernis. Seit 2006bietet das Team des Zentralarchivs daher Lesekurse an, umgezielte Hilfen zu geben. Das Angebot unter dem Leitmotiv„Schrift muss keine Schranke sein“4 ist im Jahr 2008 nochmalserweitert worden.Neben dem bewährten Lesekurs für Schriften des 19. Jahrhun-derts als Einstieg stehen Texte des 18. und 17. Jahrhunderts aufdem Seminarplan. Außerdem wird ein Vertiefungskurs fürHandschriften des 19. Jahrhunderts angeboten. Die Kurse vermit-teln nicht nur Lesefertigkeit, sondern auch Informationen zurSchriftgeschichte und zu Hilfsmitteln wie etwa Spezialwörter-büchern.Für Kinder ab 10 Jahren gibt es unter dem Motto „Schriftdetekti-ve im Archiv“ ein eigenes Angebot.Alle Kurse finden im Lesesaal des Zentralarchivs am Domplatz 6in Speyer statt und dauern zwei Stunden. Aufgrund der gutenResonanz wird das Angebot weiter ausgebaut.

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Abb. 1: Handschriftenlesekurs im Archiv, Oktober 2006. Foto: Zentralarchiv

1 Vgl. Gesetz zur Sicherung und Nutzung von kirchlichem Archivgut in derEvangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) – Archivgesetz– vom 7. Mai 1999. Amtsblatt der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestanti-sche Landeskirche) – Jg. 79/1999, 112 f., § 4: Die kirchlichen Archive haben dieAufgabe, das Archivgut in ihrem Zu ständig keits bereich 1. festzustellen, zu er-fassen, zu bewerten und aufzunehmen, 2. auf Dauer zu verwahren, zu sichern,instandzusetzen und zu erhalten, 3. zu erschließen, nutzbar zu machen undfür die Benutzung bereitzustellen.

2 A.a.O., § 4 Abs. 2.3 Vgl. www.zentralarchiv-speyer.de,Menupunkt „Serviceseiten“, „Pfarrämter“,

hier Möglichkeit zum Download der jeweils aktuellen Fassung.4 Das Motto verdanken wir dem Beitrag von Diether Degreif: Schrift muss kei-

ne Schranke sein, in: Thomas Lange (Hrsg.): Geschichte – selbst erforschen.Schülerarbeit im Archiv. Weinheim und Basel 1993, S. 128-158.

5 Vgl. etwa zuletzt Christine Lauer: Archivpflege in Pfarrarchiven, Speyer 2007;Christine Lauer: Online-Findbücher in kirchlichen Archiven, Düsseldorf2008.

und Kulturgut einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.Bei der Verwirklichung dieses Leitziels verbindet sich das Engage-ment des Archivteams mit einer zur Verfügung stehenden zeit-gemäßen Technik.Ein besonderes Augenmerk richtet sich auf Jugendliche und Kin -der, die Benutzenden der Zukunft. Ihnen soll die reiche prote-stantische Überlieferung so vermittelt werden, dass ihr Interessean der (Kirchen-)Geschichte vor Ort, in ihrer jeweiligen Kirchen-gemeinde, geweckt wird.Durch Synergieeffekte mittels Vernetzung mit wichtigen Multipli-katoren – Lehrkräfte, kirchliche Werke (z. B. Evangelische Ar-beitsstelle, Kindergottesdienst) oder Kultureinrichtungen wieArchive und Museen – vermag das Zentralarchiv seinen Aktions-radius nachhaltig zu vergrößern. Weitere Vernetzungsprojektesind in der Planung.

Gabriele Stüber, Speyer

Fortbildungen im Rahmen des Verbandes kirchlicher ArchiveIm Rahmen der EKD sind alle protestantischen Archive imBereich von Landeskirchen, Diakonie und Mission im Verbandkirchlicher Archive zusammengeschlossen. Bei den jährlichstattfindenden Fortbildungen des Verbandes leisten auch dieMitarbeiterinnen des Zentralarchivs einen Beitrag etwa durchErfahrungsbericht aus der Praxis.5

Archiv- und AusstellungsführungenDas Zentralarchiv wird in den letzten Jahren von immer mehrGruppen aufgesucht. Im Rahmen eines Speyer-Besuchs stehtetwa bei kirchlichen Gruppen häufig auch ein Archivbesuch aufdem Programm. Auf Anfrage geben die Mitglieder des Archiv-teams eine Einführung in die Tätigkeit des Archivs und stimmendie Archivführung auf die jeweilige Zielgruppe ab (Frauenkreise,Presbyterien, Rotarier u.a.). Für Konfirmandinnen und Konfir-manden besteht ein inzwischen mehrjährig erprobtes und be-währtes Angebot, das unter anderem ein Fotoquiz beinhaltet. Das Angebot ist unentgeltlich und richtet sich an Gruppen abacht Personen. Im Rahmen der wechselnden Ausstellungen imArchiv werden nach Absprache auch Einführungen in das jeweili-ge Ausstellungsthema geboten.

BilanzDas Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestan-tische Landeskirche) hat seit Verabschiedung des Archivgesetzesim Jahre 1999 seinen Bildungs- und Vermittlungsauftrag durchvielfältige Medien und mit zahlreichen Zielgruppen umgesetzt.Oberste Richtschnur ist dabei das Bestreben, kirchliches Archiv-

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STAGE TECHNIQUE INTER -NATIONAL D’ARCHIVES AUS PARIS IM GENERALLANDESARCHIV

gebreiteten Schätze der badischen Landesgeschichte, wie zumBeispiel eine mit einem goldenen Siegel versehene UrkundeKaiser Barbarossas (1155), das reich illustrierte LehensbuchPfalzgraf Friedrichs des Siegreichen (1464), die zwölf Meter langeRheinstromkarte (1595) und die Heiratsurkunde der Großherzo-gin Stéphanie (1806).Die Präsentation der künstlerisch hochwertigen Entwürfe aus derGeschichte der Karlsruher Majolika, die im Generallandesarchivverwahrt werden, leitete dann zum zweiten Hauptteil des Be-suchsprogramms über: der Besichtigung der weit über die Lan-desgrenzen hinaus bekannten Keramikmanufaktur, der einzigenihrer Art in Deutschland. Von Geschäftsführer Anton Goll per-sönlich begrüßt, konnten die interessierten Besucher hier einenfaszinierenden Blick in die Produktionsstätten werfen und soselbst Altes und Neues miteinander verbinden. Die Visite endetemit einer kleinen Führung durch das Zentrum der Fächerstadt,die in ihrer logischen und zugleich harmonischen Anlage die ausaller Welt angereisten Gäste sehr beeindruckte.Mehrfach wurde von den sehr engagierten Teilnehmern die Fragegestellt, warum in einem Land wie Deutschland, das über eine solange und reiche Archivtradition verfügt, kein „Stage“ für auslän-dische Kollegen angeboten wird. Könnten doch gerade hier ge -won nene Einsichten auch in anderen Teilen der Welt weiterhelfen.

Rainer Brüning, Karlsruhe

32 ARCHIVARE AUS ALLER WELT AM15. MAI 2008 IN KARLSRUHE Seit vielen Jahrzehnten versammeln sich jedes Jahr im Frühlingausgewählte Archivare aus aller Welt für mehrere Wochen imFranzösischen Nationalarchiv in Paris, um sich über die neuestenEntwicklungen im Archivwesen zu unterrichten (Stage TechniqueInternational d’Archives). In diesem Jahr erlebten die Teilnehmernun eine ganz besondere Premiere, denn sie überschritten zusam-men mit ihrem Ausbildungsleiter Direktor Jean-Pierre Defrancezum ersten Mal die deutsch-französische Grenze und besuchtendas Generallandesarchiv Karlsruhe. Die Archivare aus Frankreich,Kanada und vor allem aus Nord- und Zentralafrika sowie ausOsteuropa konnten sich hier nach einer herzlichen Begrüßungdurch Volker Rödel über die Besonderheiten des deutschenArchivwesens und die aktuelle Entwicklung des Erweiterungs-baus für das Archiv informieren.Drei Kurzvorträge von Peter Exner (L’histoire du Land Bade-Wurtemberg), Rainer Brüning (L’organistaion des LandesarchivBade-Wurtemberg) und Christof Strauß (La pratique archivis -tique allemande) vermittelten den Besuchern wichtige Einblickein die deutsche Archivwelt. Zahlreiche Nachfragen und Diskus-sionen führten zu einem besseren Verständnis für die zentralenProblemfelder und Lösungsstrategien im internationalen Archiv -wesen. Besonderen Eindruck machten natürlich auch die aus -

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66. FACHTAGUNG RHEINLAND-PFÄLZISCHER UND SAAR -LÄNDISCHER ARCHIVARINNENUND ARCHIVARE1

lität und der modulare Aufbau, der es ermöglicht, nur diejenigenFunktionen zu beschaffen, die auch tatsächlich benötigt werden.Die Reduktion des Angebotes auf das Wesentliche/Notwendigeerfordert gegenüber dem Anbieter allerdings Verhandlungsge-schick. Zwar ist die Software komplex, doch relativ einfach zubedienen. Positiv ist die gute Dokumentation, die gute Schulungund Kommunikation mit dem Anbieter, doch eignet sich dasSystem nur für größere mit Fachpersonal besetzte Archive. ZumEinsatz archivbezogener Software in den Archiven kommunalerGebietskörperschaften im Saarland berichtete die Referentin, dasslediglich das Stadtarchiv Völklingen eine Eigenentwicklungeinsetzt; andere Archive verwenden Bibliothekssoftware. Für dasLandesarchiv Saarbrücken ergänzte Michael Sander, dass dortFaust eingesetzt wird. Gelobt wurde die große Flexibilität desSystems, das ohne spezielle Schulung verwendet werden kann.Das Archiv der ev. Kirche der Pfalz setzt – wie Gabriele Stüberberichtete – bereits seit 1993 Augias ein, womit positive Erfahrun-gen gemacht worden sind.Im zweiten Teil der Veranstaltung stellte Sigrid Schieber2, Archiv-schule Marburg, das Förderprogramm der DFG zur Retrokonver-sion archivischer Findmittel vor, das es auch Archiven kommuna-ler Gebietskörperschaften ermöglichen soll, Findmittel zu digita-lisieren und online zugänglich zu machen.Während die Zugänglichmachung von Verzeichnungseinheitenonline – sowohl durch Verzeichnung als auch durch Retrokonver-sion – bereits in den benannten Referaten thematisiert wordenwar – aktuell hält die Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalzca. 1 Mio. Datensätze online bereit – sollen durch das mit einerPilotphase auf fünf Jahre angelegte Förderprogramm der DFGgeschätzte ca. 55-60 Mio. ältere, analog vorliegende Verzeich-nungseinheiten digitalisiert werden.Um eine flächendeckende Retrokonversion archivischer Findmit-tel zu gewährleisten, wurde an der Archivschule Marburg einezunächst für zwei Jahre mit Sach- und Personalmitteln ausgestat-tete „Koordinierungsstelle Retrokonversion“ eingerichtet, dieBeratungsfunktionen ausübt, Anträge entgegennimmt, Prioritä-tenlisten erstellt und Anträge auf Retrokonversion zur Entschei-dung der DFG zuführt. Antragsberechtigt sind alle öffentlich-rechtlichen Archive. In das Programm einbezogen werden könnenalle, die keinen Sperrfristen unterliegen. Da die DFG-Förderung

Die 66. Fachtagung rheinland-pfälzischer und saarländischerArchivarinnen und Archivare fand am 5. November 2007 inLandau, der mit 43.000 Einwohnern kleinsten kreisfreien Stadtdes Landes Rheinland-Pfalz, statt.Elsbeth Andre, neue Leiterin der Landesarchivverwaltung Rhein-land-Pfalz, stellte sich im Kollegenkreis vor und gab der Hoff-nung Ausdruck, dass in der Perspektive alle Archivsparten in denbeiden Bundesländern enge Kommunikation pflegen.Im ersten Teil der Veranstaltung, der den Einsatz archivbezogenerSoftware in den Kommunalarchiven von Rheinland-Pfalz undSaarland und Erfahrungen damit thematisierte, referierte GeroldBönnen, Stadtarchiv Worms, die Ergebnisse einer Umfrage zumEinsatz archivbezogener EDV in Archiven rheinland-pfälzischerkommunaler Gebietskörperschaften. Grundsätzlich setzen bishererst einige Archive archivbezogene EDV ein, andere wartenzunächst die weitere Entwicklung ab.Als Umfrageergebnis stellten sich deutliche Unterschiede beimEinsatz archivbezogener Software heraus: Im Raum Koblenz istdie von der Landesarchivverwaltung verwendete Software Dr.Docverbreitet. Während das Stadtarchiv Mainz Faust6 einsetzt undgute Erfahrungen mit Flexibilität und Unterstützung durchtelefonische Hotline gemacht hat, ist im rheinland-pfälzischenkommunalen Archivwesen Augias weiter verbreitet. Am Beispieldes Stadtarchivs Worms, das ebenso wie die städtische Pressestel-le Augias seit 2001 einsetzt, hob der Referent als vorteilhaft dieflexible Eingabemaske, die Indizierungsfunktionen, Findbuch-ausdrucke und die Anwenderfreundlichkeit hervor. Der Supportper Hotline sei gut. Altverzeichnungen seien extern erfasst und indas System importiert worden. Während die Bestands- undBenutzerdatenverwaltung in Augias erfolge, müssten Bibliotheks-daten und ZGD noch ausgebaut werden.Anschließend stellte Beate Dorfey, Landeshauptarchiv Koblenz,das in den Landesarchiven Koblenz und Speyer verwendeteSystem Dr.Doc vor. Hierbei handelt es sich nicht um ein Verzeich-nungsprogramm, sondern um ein flexibles datenbankbasiertesDokumentenmanagementsystem, das seit 1995 eingesetzt wird.Der aufwendige Aufbau des Systems ermöglicht es, alle Elementewie Archive, Eingabemasken, Felder, Thesauri und Verknüpfun-gen frei zu definieren und somit an spezielle Anforderungenanzupassen.Im Stadtarchiv Saarbrücken wird, wie Irmgard Becker referierte,seit 2006 das „nicht billige“ scope-Archiv eingesetzt. Positivvermerkt wurden die Innovation von Darstellung und Funktiona-

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1 Gekürzte Fassung des Beitrags in: Unsere Archive Nr. 53, 2008.2 Vgl. dazu jetzt: Frank M. Bischoff/Sigrid Schieber, DFG-Förderprogramm zur

Retrokonversion archivischer Findmittel, in: Archivar 1/2008, S. 36-38.

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3 Die Rückmeldungen belegen, dass eine Verbundlösung für die Archive zumjetzigen Zeitpunkt nicht infrage kommt.

TAGUNG IM LANDESHAUPTARCHIVSCHWERIN Diese archivische Fachtagung am 25. April 2008 im SchwerinerSchleswig-Holstein-Haus setzte den Schlusspunkt unter eineReihe von Veranstaltungen, für die das 850. Jubiläum der Ausfer-tigung der ältesten Archivalie des Landeshauptarchivs Schwerin1

den Anlass bildete. Am 18. Januar fand im Schweriner Schlossunter dem Motto „Was bleibt. 850 Jahre im LandeshauptarchivSchwerin 1158-2008“ ein Festakt u. a. mit MinisterpräsidentHarald Ringstorff und Finanzministerin Sigrid Keler statt, beidem auch der viertelstündige Dokumentarfilm „Gedächtnis fürdie Zukunft – das Landeshauptarchiv Schwerin“ zu seineröffentlichen Premiere gelangte.2 Vom 20.-27. Februar präsentiertedas Landeshauptarchiv in der Berliner Vertretung des LandesMecklenburg-Vorpommern die Archivalienausstellung „Wasbleibt. Ein Streifzug durch neun Jahrhunderte mecklenburgi-scher Geschichte 1158-2008“, die vom 1.-2. März im Rahmen desbundesweiten Tags der Archive auch in Schwerin gezeigt wurde.3

Nach dem ältesten Dokument und dem die Jahrhunderte über-greifenden Einblick in das „Gedächtnis des Landes“ standen

WERT UND LAST DES DDR-SCHRIFTGUTES IN DEN ARCHIVEN

nunmehr also neuere Unterlagen im Blickpunkt des – letztenEndes so nicht erwartetem Maße – großen Interesses.Die gut 80 Teilnehmer kamen aus den kommunalen und staatli-chen Archiven in Mecklenburg-Vorpommern und den anderenostdeutschen Bundesländern, aus dem Bundesarchiv und Häu-sern der Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicher-heit (BStU) sowie von Institutionen der politischen Bildung.Angemessen war diese Resonanz ohne Zweifel, macht die schrift-liche Überlieferung aus 40 Jahren DDR doch in der Regel einViertel bis ein Drittel der Unterlagen in den staatlichen Archivenaus. Neben der schieren Menge des DDR-Archivguts verdeutlich-te sich die Notwendigkeit dieser Veranstaltung auch in der Frag -würdigkeit der von Andreas Röpcke, Leiter des Landeshauptar-chivs Schwerin, einleitend wiedergegebenen Aussage eines na-mentlich nicht genannten hohen Landesbeamten, seit Ewigkeitenfände eine Besatzungsmacht für 30 Silberlinge ihre Diener undden Opfern der zweiten Diktatur in Deutschland sei die Aufwen-dung von Ressourcen für die schriftlichen Hinterlassenschaftender 40 Jahre nicht zuzumuten.4 Diesbezüglich äußerte VolkerWahl (Thüringisches Hauptstaatsarchiv) zu einem späteren Zeit -punkt, historische Quellen würden und dürften nicht nur das

des Bundesarchivs im Umfang von 245.000 Einheiten begonnen.Für die Antragstellung wurden mit der DFG feste Terminevereinbart: Stichtage sollen der 15. Juni und der 15. Dezembersein.Um die Stellung der an der Retrokonversion interessierten rhein-land-pfälzischen und saarländischen Archive zu stärken, wurdeaus dem Plenum die Forderung nach einer Stelle erhoben, dieAnträge regional bündelt und an die Koordinierungsstelle weiter-leitet. Das Landeshauptarchiv erklärte sich bereit zu ermitteln,welche Archive an dem Programm teilnehmen wollen.3

Jost Hausmann, Koblenz

als Anschubfinanzierung konzipiert ist, müssen teilnehmendeArchive die Bereitschaft erklären, zeitgleich oder zeitnah Eigen -leis tungen in Höhe von 50 % zu erbringen; bereits vor Antrag-stellung erbrachte Eigenleistungen bleiben unberücksichtigt. Alleretrokonvertierten Findmittel müssen in einem nichtkommerziel-len Archivportal – Portal D – hinterlegt oder mit ihm verlinktwerden. Die Findmittel sind in einem mit DFG-Unterstützungentwickelten Standardaustauschformat Saft-XML oder EAD-XML zugänglich zu machen. Die Retrokonversion erfolgt zu -nächst durch externe Dienst leister; das Preis-Leistungs-Verhältniswird von der „Koordinierungsstelle Retrokonversion“ überprüft;nicht ausgeschlossen ist, dass bei entsprechenden Voraussetzun-gen auch Eigenleistungen der Archive gefördert werden können.Als erster Schritt wurde im August 2007 mit der Retrokonversionvon 86 Findbüchern des Staatsarchivs Marburg, des Landes -archivs Baden-Württemberg, des Sächsischen Staatsarchivs und

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tig, wie er mit – im Übrigen zu Recht erfolgtem – Verweis auf dasseit der Amtsübernahme von Minister Henry Tesch deutlichgesteigerte Engagement für archivische Belange versicherte, umentsprechende Lösungen bemühen. Die Realität, nämlich dasLandespersonalkonzept, setze allerdings bestimmte Grenzen.Detlev Brunner (Institut für Zeitgeschichte, Berlin / UniversitätRostock) verwies auf die einzigartige Chance, anhand der DDR-Archivalien einen untergegangenen Staat auf unterschiedlichenEbenen in seiner Breite und Tiefe zu erforschen. Die Auseinander-setzungsverpflichtung erstreckt sich nicht allein auf Staatssicher-heit und Repression, sondern auch auf das Funktionieren derDiktatur auf der mittleren Ebene und beispielsweise sozialpoliti-sche Angebote. Die Stasi-Unterlagen haben zwar große Bedeu-tung für die Bewältigung persönlicher Schicksale, die Akten vonPartei und staatlicher Verwaltung sind jedoch erheblich wichtigerfür eine Gesamtbeurteilung der DDR und ihrer Geschichte. DieArchive seien unabhängig von einer unverdient geringen öffentli-chen Wahrnehmung, unter der aufgrund einer allgemeinenTendenz zur „schnellen Schlagzeile“ im Übrigen auch die histori-sche Forschung leidet, das Gedächtnis der Nation und für dieGeschichtswissenschaft unverzichtbar.Rücksichtlich der Ausführungen seiner Vorredner konzentriertesich Volker Wahl stärker auf den Lastaspekt. Schriftgut kannnicht nur im Archiv abgelegt werden, sondern muss zu Archivgutaufbereitet werden. Diese wichtigste Kategorie der Archivarbeitwird in der Öffentlichkeit, in der nicht zuletzt in Bezug auf dasDDR-Archivgut ein verschobenes bzw. verschwommenes Bildvorherrscht, kaum wahrgenommen – verschoben, weil die Staats-sicherheit im Mittelpunkt des Interesses steht, verschwommen,weil entgegen einer weit verbreiteten Ansicht in der DDR ebennicht über alle und alles auf jeder Ebene Aufzeichnungen ange-legt wurden. Der Journalist Thomas Balzer (NorddeutscherRundfunk) sah die Archive vor allem im Bewusstsein derjenigenverankert, die der Einfluss der Diktatur auf ihre Biografie interes-siert – der Wert der Unterlagen besteht also auch darin, dass ihreAuswertung von mancher persönlichen Last befreit. Obwohl eineThematisierung der Stasi-Unterlagen in der ursprünglichenTagungskonzeption nicht vorgesehenen war, wie nicht zuletzt imTagungstitel zum Ausdruck kommt, reflektierte die parallele bzw.anschließende Publikumsdiskussion in nicht unerheblichemMaße gerade darauf.

Schöne und Bequeme überliefern (was ein völlig verzerrtes Bildbeispielsweise des Dreißigjährigen Krieges nach sich zöge). EinArchiv habe, wie schon Goethe zutreffend bemerkte, neben derArt eines Zeitalters auch dessen Unarten zu verewigen.5

Die sich im Lauf der Veranstaltung mehrfach offenbarendeUnhaltbarkeit der zutiefst unhistorischen Beamtensicht klangbereits in den folgenden Grußworten an. Angelika Menne-Haritz,Vizepräsidentin des Bundesarchivs und Leiterin der StiftungParteien und Massenorganisationen (SAPMO), verwies auf dievielfältigen Nachwirkungen der DDR-Zeit in der Gegenwart,deren Entstehungsursachen transparent gemacht und aufgearbei-tet werden müssen. Die dafür erforderliche Sicherung, Auswer-tung und Aufarbeitung der DDR-Unterlagen, so zitierte sie dieEnquete-Kommission des Bundestages, könne erlittenem Unrechtim Nachhinein einen Sinn geben. Dirk Alvermann (Universitäts-archiv Greifswald) verwies in seinem Grußwort für den mitver-anstaltenden Landesverband Mecklenburg-Vorpommern desVerbandes der deutschen Archivarinnen und Archivare (VdA)darauf, dass Archive mehr als historische Schatzkammern verkör-pern. Vielmehr stellen sie jenen Teil der demokratischen Gegen-wartsgesellschaft dar, der Geschichtsbewusstsein, Identitätsbil-dung und Erinnerungskultur erst ermöglicht, die künftigeRetrospektive auf die heutige Gesellschaft formt.Im weiteren Verlauf des Vormittags stand der gesamtgesellschaft-liche Kontext des Tagungsthemas zur Debatte. In seinem ein-führenden Grundsatzreferat „Die Bedeutung der Archive vonMfS und SED für die Selbstaufklärung über die Geschichte derDDR“ charakterisierte Manfred Wilke (Berlin) die DDR-Archiva-lien als integralen Bestandteil der Zeugnisse des deutschen Um -weges zur Demokratie und somit von nationaler Bedeutung fürdie Geschichte des 20. Jahrhunderts. Vor allem anhand der Aktenkönnen Strukturen und Methoden der SED-Diktatur sichtbargemacht, das Ausmaß von Verantwortlichkeiten nachgewiesensowie Aufklärung zur (Selbst-)Befreiung von Lügen und Miss -trauen betrieben werden. Den dafür erforderlichen Aktenzugangbieten keineswegs allein Unterlagen des Ministeriums für Staats-sicherheit, sondern auch und gerade die anderer Machtfaktorenbzw. -zentren, so dass die Sicherung und Öffnung der DDR-Archive als institutionalisiertes Gedächtnis der Nation zu denwesentlichen Ergebnissen der friedlichen Revolution von 1989gehört.Die anschließende, von Angelika Menne-Haritz souverän geleitetePodiumsdiskussion thematisierte vorrangig drei Fragen: Wertund/oder Last des DDR-Archivgutes, die Verankerung der Archi-ve im Bewusstsein der Bevölkerung sowie Wünsche bzw. Vorstel-lungen zum künftigen, insbesondere archivischen, Umgang mitden DDR-Unterlagen. Udo Michallik, Staatssekretär im Ministe-rium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vor-pommern, betonte die relativ lückenlose Dokumentation vonPolitik, Gesellschaft und Alltag einer Epoche. Dieser Wert, dessenErschließung freilich eine Last darstelle, müsse beispielsweise zurVerhinderung von Legendenbildung genutzt und entsprechendetwa im Schulunterricht vermittelt werden. Nicht zuletzt auf-grund dieser politischen Herausforderung seien neben demstaatlichen Archivwesen die Landeszentrale für politische Bildungund der Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen an sein Hausangebunden worden. Das Ministerium sehe sowohl das von denArchivaren bisher Geleistete als auch die Herausforderung bei dermittelfristig anstehenden Überführung der regionalen Stasi-Überlieferung in Landeshoheit. Es werde sich daher auch künf-

1 Wolfgang Eric Wagner: Machtspiel zwischen Papst und Kaiser. „Was bleibt“– Archivalien aus 10 Jahrhunderten vorgestellt. Die älteste Urkunde im Lan-deshauptarchiv Schwerin, in: Schweriner Volkszeitung vom 18. Januar 2008, S.21.

2 Archive sind Fundgruben und Dienstleister für Forschung und Bildung. Pres-semeldung des Ministerpräsidenten Nr. 16/2008 vom 18. Januar 2008 (URL:www.regierung-mv.de/cms2/Regierungsportal_prod/Regierungsportal/de/start/_Dienste/Pres-se/Archiv_Pressemitteilungen/index.jsp?&pid=30, Abruf 30. Juni 2008). –Corinna Pfaff: Älteste Urkunde von MV gefeiert, in: Ostsee-Zeitung vom 19./20.Januar 2008. S. 23. – Der Film lief am 25. März 2008 in der N3-Sendung „Landund Leute“ auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

3 Älteste Dokumente gezeigt. Landeshauptarchiv stellte Raritäten im Schleswig-Holstein-Haus vor, in: Schweriner Volkszeitung vom 3. März 2008, S. 11.

4 So auch bei Philip Schroeder: Erinnerungshüter. Aufarbeitung der DDR-Dik-tatur braucht starke Archive, in: Schweriner Volkszeitung vom 26./27. April2008, S. 2.

5 Willy Flach: Goethes literarisches Archiv, in: Archivar und Historiker. Studi-en zur Archiv- und Geschichtswissenschaft. Zum 65. Geburtstag von HeinrichOtto Meisner, Berlin 1956 (Schriftenreihe der Staatlichen Archivverwaltung,7), S. 45-71, hier S. 53.

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Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Angelika Menne-Haritz, PD Dr. Detlev Brunner, Udo Michallik, Thomas Balzer, Prof. Dr. Volker Wahl, v.l.n.r. (Abb.: LandeshauptarchivSchwerin)

dem Bundesarchiv und staatlichen Archiven aller ostdeutschenBundesländer die Bewertung und deren Probleme auf spezifi-schen Arbeitsfeldern: Schriftgut der DDR-Zentralbehörden(Gisela Haker, Bundesarchiv), der Bezirke Schwerin und Neu-brandenburg (Sigrid Fritzlar, Schwerin), der SED (Hans ChristianHerrmann), der Massenorganisationen (Katrin Beger, Rudol-stadt), der DDR-Justiz (Torsten Hartisch), der Wirtschaft (HeikeSchroll, Berlin) bzw. der Volkseigenen Betriebe (Uta Thunemann,Magdeburg). Hier und in der Schlussdiskussion wurde neben deraußer Frage stehenden und bereits am Vormittag diskutiertenWerthaltigkeit deutlich, das sich Last und Belastung unabhängigvom Archivstandort gleichen, nämlich in der Menge des zubearbeitenden Schriftguts und in der geringen Anzahl des dafürverfügbaren Personals. Dieses Missverhältnis wächst sich zueinem Circulus vitiosus aus, da nicht oder nur unzureichenderschlossenes Archivgut einer wissenschaftlichen Wertschöpfungnicht zur Verfügung steht und zu einer verzerrten öffentlichenWahrnehmung führt. Das zu ändern, so brachte es Jürgen ReinerWolff (Sächsisches Staatsarchiv) mit Max Weber auf den Punkt,sei ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leiden-schaft und Augenmaß zugleich.

Matthias Manke, Schwerin

Hans Christian Herrmann (Staatsarchiv Leipzig) sprach Defizitein der Außendarstellung der Archive gegenüber archivpädagogi-schen Angeboten der BStU an, die sich in der öffentlichen Wahr-nehmung widerspiegeln. Torsten Hartisch (BrandenburgischesLandeshauptarchiv) hielt diesen Vergleich für falsch, weil diestaatlichen Archive nicht über eigene Auswertungsabteilungenverfügen, aber von den Rehabilitierungs- bzw. Restitutions- überdie Zwangsarbeiter- bis hin zu den Anfragen für die Kriegsheim-kehrerentschädigung (Ost) immer neue Aufgaben in Größenord-nungen übertragen bekämen und gleichzeitig 20 - 40 % Personaleinsparen müssten. Während Volker Höffer (BStU-AußenstelleRostock) darauf hinwies, dass auch an seiner Institution keineeigene Forschung betrieben werde, entwickelten Jörn Mothes(Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in Mecklenburg-Vorpommern) und Andreas Röpcke die Kritik weiter. Erstererforderte, dass öffentliche oder politische Erwartungen wie etwadie Erfüllung eines Bildungsauftrages nicht mit Personalabbaueinhergehen könnten, sondern vielmehr eine entsprechendeUntersetzung nach sich ziehen müssen. Letzterer verknüpfte dieErwähnung des Landespersonalkonzepts durch den Staatsse-kretär und den archivischen Aufgabenzuwachs, um die realitäts-ferne Grundlage des Personalkonzepts – nämlich den Personal-schlüssel etwa gleich großer Staatsarchive in den alten Bundes-ländern, die eben bestimmte vereinigungsbedingte Tätigkeitennicht auszuführen gehabt hätten – zu kritisieren und eine künftigstärkere Orientierung an den Tatsachen anzumahnen.In den Fachvorträgen am Nachmittag, die im Übrigen in derKleinen Schriftenreihe des gastgebenden Archivs publiziert undder interessierten Öffentlichkeit dann zur Verfügung stehenwerden, thematisierten die Referentinnen und Referenten aus

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21. SCHLESWIG-HOLSTEINSCHERARCHIVTAG

Eine Fortführung der Bücher erfolgt in der Form von Randver-merken. Bei den Zweitbüchern handelt es sich um wortwörtlicheKopien der Personenstandsbücher. Zu den drei Personenstands-büchern werden Namensverzeichnisse geführt. Daneben werdenSammelakten geführt, in denen sich auch Schriftstücke befindenkönnen, deren Aussage nicht in den Büchern erscheinen. ZumSchluss ihres Vortrages wies die Referentin darauf hin, dass auchbei den zukünftig den Archiven anzubietenden Registern Einträ-ge vorhanden sein können, die dem Datenschutz unterliegen.Nach bisherigem Recht können nur einzelne Personenstandsein-träge, nicht die ganzen Bücher eingesehen werden, Behördenerhalten Einsicht nur unter Angabe des Zwecks. Privatpersonenkönnen nur den eigenen Eintrag bzw. die der geraden Linieeinsehen, nur bei glaubhaft rechtlichen Interesse auch die Zweig-linie. Jessica von Seggern vom Staatsarchiv Hamburg wies in ihremVortrag „Die Auswirkungen des Personenstandsrechtsreformge-setztes auf die Archive“ darauf hin, dass Personenstandsregister,Zweitbücher und die Sammelakten den Archiven anzubietensind. Während die Register und Zweitbücher dauernd aufzube-wahren sind, endet die Pflicht zur Aufbewahrung der Sammelre-gister. Für die Familienbücher werden keine Fristen genannt, siewerden nicht mehr fortgeführt. Nach Abgabe an die Archivewerden nur noch beglaubigte Abschriften ausgefertigt und keinePersonenstandsurkunden mehr.Die anschließende rege Diskussion, in der u. a. die Archivwürdig-keit der Sammelakten und die Möglichkeit der Mikroverfilmungder Zweitbücher angesprochen wird, zeigte Joachim Thode vomInnenministerium, dort zuständig für das Standesamtswesen,dass zwischen beiden Bereichen noch Abstimmungsbedarf be -stehe und ein Dialog erfolgen müsse. Die elektronischen Registerwürden in Schleswig-Holstein 2009 noch nicht eingeführt, einzentrales Register werde vom Ministerium befürwortet. DiePersonenstandsverordnung werde gerade erstellt. Besorgt zeigtensich die anwesenden Archivare vor allem über die Überlieferungin den Kommunen, die kein Archiv unterhalten. Es stellte sich dieFrage: „Was passiert, wenn nichts passiert?“ Mit einer Änderungwurde das Thesenpapier „Auswirkungen der Novellierung derPersonenstandsgesetzgebung auf die kommunalen Archive“verabschiedet.Am Nachmittag führte Jan Lokers vom Archiv der HansestadtLübeck durch die zweite Sektion: „Schüler und Archiv: ZweiWelten begegnen sich“. In seinem Vortrag „Spurensuche imGeschichtswettbewerb des Bundespräsidenten: Schüler forschen

Am 27./28. Mai 2008 fand der 21. Schleswig-HolsteinischeArchivtag statt. Eingeladen hierzu hatten die 3 kommunalenLandesverbände, das Landesarchiv Schleswig-Holstein und derVerband schleswig-holsteinischer Kommunalarchivarinnen und -archivare e.V. (VKA). In Vorbereitung des Experimentes, diebisherigen Landesarchivtage und die Fachtagungen des VKA zueiner gemeinsamen Veranstaltung zu verschmelzen, haben Mit-glieder des Vorstandes des VKA, Archivare des Landesarchivs, desNordelbischen Kirchenarchivs und der 3 größten schleswig-holsteinischen Stadtarchive ein attraktives Programm zusammen-gestellt, das mit 87 Teilnehmern/Teilnehmerinnen auch auf eineentsprechende Resonanz traf.Nach der Eröffnung sprach die Beauftrage für Minderheiten undKultur des Landes Schleswig-Holstein, Caroline Schwarz, die sichmit der Umsetzung des kommunalen Paragraphen des Landesar-chivgesetztes sehr zufrieden zeigte. Allerdings würden die Archivenoch häufig als Fremdkörper angesehen oder gar für überflüssiggehalten. Dabei sei eine Kontrollfunktion der Verwaltung nurdurch Archive möglich. Archive müssten als eine zentrale Verwal-tungseinheit angesehen werden. Das spreche dafür, dass dieKommunalklausel des Landesarchivgesetztes beibehalten werde.Das Geschäftsführende Vorstandmitglied des Städteverbandes,Jochen von Allwörden, wies insbesondere auf den vom VKAerstellten Flyer zur Schriftgutverwaltung hin, bemängelte dieungenügende Berücksichtigung der Archive bei der Umsetzungvon Verwaltungsprozessen und wünschte sich eine stärkereZusammenarbeit der kommunalen Landesverbände mit denArchiven. Andreas Breitner, Bürgermeister der Stadt Rendsburg,sah in dem Personenstandsrechtsreformgesetz eine Erhöhung derServicequalität der Archive. Wünschenswerte Kooperationenzwischen Kommunen seien auch im Archivbereich denkbar.Herr Carl vom Schleswig-Holsteinischen Heimatbund wies aufdie Bedeutung der Archive für seinen Verband hin. Ein sichtbaresZeichen sei das neue Findbuch über die Bestände des Heimat-bundes, erstellt vom Landesarchiv Schleswig-Holstein. Er kriti-sierte die mangelhafte personelle Ausstattung der Archive.Schließung von 4 Wochen im Sommer oder eine nicht täglicheÖffnung des Kieler Stadtarchivs zeigten deutlich die Problematik.Nach diesen Grußworten moderierte Johannes Rosenplänter vomStadtarchiv Kiel die erste Sektion: Reform des Personenstandsge-setztes. Einführend wies Carola Hofbauer-Raup vom StandesamtSchleswig in das Schriftgut des Standesamtes ein. Heiratsbücher,Geburtenbücher und Sterbebücher sind fest eingebunden imGegensatz zu den Familienbüchern, die als Loseblatt vorliegen.

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rung von Aufgaben auf Dritte und die Kommunalisierung vonLandesaufgaben ins Auge gefasst werden. Wesentliche Entschei-dungen für die Kreis- und Landesebene stehen noch aus. An -schließend wurde von Christian Lopau und Kirsten Puymanndas Positionspapier des VKA zur Verwaltungsstrukturreform inSchleswig-Holstein präsentiert. Christian Lopau von der Archiv-gemeinschaft Ratzeburg/Mölln verlor durch die Zusammenle-gung von Ämtern in seinem Sprengel 2 von 6 Mitarbeitern beigleichzeitiger Erhöhung der Aktenabgabe. Aufgrund bessererRäumlichkeiten und der Anschaffung neuer Regale zog er jedocheine positive Bilanz der Verwaltungsreform für seine Archivge-meinschaft. In der sich anschließenden Diskussion mit HaraldBach und Jan-Christian Erps vom Schleswig-HolsteinischenLandkreistag übte dieser eine strukturelle Kritik an dem Vorge-hen, er vermisste ein in sich schlüssiges Gesamtkonzept. GrößereÄmter, die jetzt eingerichtet wurden, verlangten eigentlich auchgrößere Kreise. Eine Stärkung der Verwaltung bedeute eineSchwächung der kommunalen Selbstverwaltung. Es entspannsich die Diskussion, wie die Archivierungspflicht für alle Kom-munen besser durchgesetzt werden kann. Das Innenministeriumund die Staatskanzlei sehen sich nicht in der Lage, den Kommu-nen Vorschriften zu machen. Mit ihrem Vortrag „Gebiets- undVerwaltungsreform in den nordelbischen Kirchenkreisen“ zeigtAnnette Göhres vom Nordelbischen Kirchenarchiv, dass auch dieKirche wegen der schlechten Finanzen eine Verwaltungsreformdurchführen muss. Aus den 27 Kirchenkreisen der NordelbischenKirche werden 11 Kirchenkreise gebildet. Das Archivwesen wirdim neuen Gesetz als Verwaltungsaufgabe erfasst werden.In Tradition der bisherigen Archivtage wird in der 4. Sektioneinem Archiv die Möglichkeit geboten, sich darzustellen. WilliamBoehart von der Archivgemeinschaft Schwarzenbek sprach an -lässlich seines Jubiläums „Gemeinsam sind wir stark – Ein Rück -blick auf 25 Jahre Archivgemeinschaft Schwarzenbek“. DieArchivgemeinschaft besteht aus 5 Archiven, die vor Ort angesie-delt sind, zweimal war die Einrichtung in den 90er Jahren gefähr-det, 2003 hat sogar der Kulturausschuss einer Mitgliedskommu-ne für den Austritt gestimmt, allerdings wurde der Beschlussnicht weiter verfolgt.Von den Teilnehmern wird das neue Tagungskonzept als gelun-gen betrachtet. Es wird nur bedauert, dass kirchliche Archivpfle-ger und Archivare des Landesarchivs unterrepräsentiert sind. DieTagungsberichte werden, wie es von den VKA-Tagungen bekanntist, in den VKA-Mitteilungen veröffentlicht.

Almut Ueck, Husum

im Archiv“ stellte Sven Tetzlaff von der Körberstiftung Hamburgdie Körberstiftung und den seit 1973 bestehenden Geschichts-wettbewerb vor. Dieser steht auf zwei Säulen, dem forschendenLernen und der Lokal- und Regionalgeschichte. Die StellungSchleswig-Holsteins im Bundesvergleich beschreibt er als stabileGrundlage, deutlich ausbaufähig. In drei Workshops wurde dasThema näher beleuchtet: „Archive und Geschichtswettbewerb:Möglichkeiten zur Zusammenarbeit“, „Schülerinnen und Schülerim Archiv: Praktische und rechtliche Aspekte“ und „Archiv undSchule – zwei ungleiche Partner?“ Obwohl Projektarbeit im 12.Schuljahr im Lehrplan steht, suchen nur wenige Geschichtslehrerden Kontakt zu ihrem Kommunalarchiv, da sie während ihrerAus bildung nichts über Archive erfahren haben und selbst keinelokalhistorische Kompetenz haben. So muss jedes Archiv durchpersönlichen Kontakt mit einzelnen Lehrern die Verbindung zurSchule herstellen und sich dabei bewusst machen, für welcheSchularten das Archiv über Archivalien verfügt, mit welchen Per -sonalressourcen die Schüler betreut werden können und wo dieBegrenzung durch die eigenen Möglichkeiten liegen. Arbeitser-leichterung könnte mit standardisierten regelmäßigen stattsporadischen Kontakten erreicht werden. Mit der 3. Sektion „Und was ist mit den Akten? Überlieferungssi-cherung in der Verwaltungsstrukturreform“, durch die Jutta Brielvom VKA führte, begann der 2. Tagungstag. In seinem Vortrag„Gliederung der Verwaltung und Rechtspflege in Schleswig-Holstein in vorpreußischer und preußischer Zeit“ gibt HansWilhelm Schwarz einen kurzen Überblick über die Verwaltungs-und Strukturreformen der letzten Jahrhunderte. Mit der aktuel-len Reform beschäftigte sich Harald Bach vom Innenministeriumdes Landes Schleswig-Holstein in seinem Vortrag „SachstandVerwaltungsstruktur- und Funktionalreform“. Er wies daraufhin, dass im Wesentlichen noch die Struktur aus den 70er Jahrenbesteht, die aufgrund des Wandels u. a. in der Technik und derInformationstechnologie gepaart mit einer komplexeren Anforde-rung an die Verwaltung nicht mehr den Ansprüchen der moder-nen Zeit genügt. Nach der Durchführung einer Aufgabenkritikwurde mit der Durchführung einer Funktionalreform und derVerwaltungsstrukturreform auf unterschiedlichen Ebenen begon-nen. Es fand eine Reduzierung der Verwaltungseinheiten vonJanuar 2000 bis Juni 2008 von 222 auf 148 statt. Durch den Ver -waltungszusammenschluss wird besser qualifiziertes Personalmit mehr Personalflexibilität und geringeren Verwaltungskostenerwartet. Nach Berechnungen des Landesrechnungshofes sind9000 Personen pro Verwaltungseinheit die Mindestgröße für einewirtschaftliche Verwaltung. Auf der Ebene des Landes muss derWegfall von Aufgaben, eine mögliche Privatisierung, die Verlage-

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18. LANDESARCHIVTAGMECKLENBURG-VORPOMMERN

überlieferung, mögliche Gründe für eine Vollarchivierung, Chan-cen für eine zuverlässige Stichprobenentnahme oder Argumentefür eine Totalkassation. Eine andere Form des Massenschriftgutspräsentierte Rita Roßmann (Kreisarchiv Bad Doberan). Nach dergeänderten Gesetzeslage seien 2006 umfangreiche Überlieferun-gen an Sozialhilfeakten von den Kommunen an das Archivübergeben worden. Aufgrund der Gleichförmigkeit der Akten, derein Interesse von Seiten der Sozial- und Familienforschunggegenübersteht, hat sich das Archiv für eine Teilarchivierungentschieden. Dieser liegt ein Sample zugrunde, welches auf einestatistisch repräsentative Stichprobe nach Zufallszahlentabellenund eine separate Klumpenstichprobe zurückgeht. Durch dieseKombination soll die gewünschte Repräsentativität des Bewer-tungsergebnisses gesichert werden. Einen weiteren Erfahrungsbe-richt zur Bewertung von Bauakten lieferte Hannelore Dwars(Kreisarchiv Nordvorpommern). Aufgrund der hohen Nachfragewurden Bauakten in der Regel nicht kassiert, bevor das entspre-chende Objekt nicht nachweislich abgerissen worden war. Dasführte zwangsläufig zu einem Massenproblem. Im Zuge derBewertungsdiskussion wurde im Kreisarchiv Nordvorpommernschließlich die Entscheidung für eine Ersatzverfilmung derBauakten getroffen. Die Runde der thematischen Vorträge schloss ein Praxisberichtvon Rene Wiese (Landeshauptarchiv Schwerin) über das aktuelleProblem der Bewertung von Akten zur Bodenordnung ab. InZusammenarbeit mit dem Ministerium für Landwirtschaft,Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommernwurde ein Modell zur Bewertung und Übernahme der Akten alsArchivgut entwickelt. Als Problem erwies sich die Fristsetzungder Übernahme, da das Ministerium an der dreißigjährigenAufbewahrungsfrist für rechtlich relevante Akten festhielt undeine Abgabe aller archivwürdigen Unterlagen, inklusive derrechtsrelevanten, ablehnte. In seinem Fazit betonte Dirk Alver-mann (Universitätsarchiv Greifswald) die Legitimität verschiede-ner Bewertungsmodelle und -strategien, die auf der Basis vonErfahrungen und anhand der äußeren Bedingungen im jeweili-gen Archiv entwickelt worden sind.In der Aktuellen Stunde stellte Thekla Kleindienst die im Lan-deshauptarchiv Schwerin eingerichtete Kommunale Archivbera-tungsstelle vor und erläuterte die Inhalte ihrer Arbeit. Gerd Giese(Stadtarchiv Wismar) beendete den Landesarchivtag mit seinemTätigkeitsbericht von der letzten Sitzung der BKK.

Kathleen Jandausch, Greifswald

Am 3. und 4. Juni 2008 lud der VdA-Landesverband Mecklen-burg-Vorpommern zum 18. Landesarchivtag in das Stadtkultur-haus in Ribnitz-Damgarten ein. Die bereits traditionelle Kombi-nation aus landesgeschichtlichen und archivfachlichen Themenbestimmte die beiden Veranstaltungstage. Die erste historischeSektion widmete sich interdisziplinär dem Thema „Grenzen –Grenzerfahrungen – Perspektiven“. Aus stadt- und landeshistori-scher, aus kirchlicher und politischer Sicht wurde die getrenntverlaufene historische Entwicklung der vormals eigenständigenTerritorien Mecklenburg und Pommern sowie das mehr oderweniger gelungene Zusammenwachsen derselben im BundeslandMecklenburg-Vorpommern nach 1990 beleuchtet. Die Mitgliederversammlung des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern leitete den zweiten Tag ein. Inhaltlich standendanach archivfachliche Erfahrungsberichte am Beispiel derÜberlieferung und Bewertung von Massenakten auf dem Ta-gungsprogramm. Klaus Kartowitsch (Stadtarchiv Schwerin)informierte über die Überlieferung und Erschließung von Schul -akten im Stadtarchiv Schwerin. Er verwies auf die Massenhaftig-keit der Überlieferung, vor allem seit den zahlreichen Schul-schließungen ab Mitte der 1990er Jahre. Regine Neitzel (Stadtar-chiv Greifswald) ergänzte den vorhergehenden Beitrag in Bezugauf den Umgang mit Schulunterlagen seit 1990 im StadtarchivGreifswald. Bei der Bewertung müsse zeitlich differenziert wer-den. Altunterlagen vor 1949 werden vollständig aufbewahrt.Jüngere Unterlagen werden hinsichtlich der gesetzlichen Aufbe-wahrungsfrist bewertet und dabei geprüft, ob bei gleichartigenAkten die repräsentative Auswahl eines Schulbestandes für diedauernde Aufbewahrung möglich ist. Matthias Manke (Landes-hauptarchiv Schwerin) berichtete über die Aussonderung undBewertung personenbezogener Unterlagen am Beispiel vonPrüfungsakten und Disziplinarverfahren. Kritisiert wurde diefehlende einheitliche gesetzliche Regelung für die Aufbewahrungvon Prüfungsakten, da diese nicht zu den Personalakten gezähltwürden. Der unkontrollierten Löschung von Akten durch Behör-den müsste durch die engere Zusammenarbeit mit denselbenentgegengewirkt werden. Dirk Alvermann (UniversitätsarchivGreifswald) ging in seinem Vortrag auf die Bewertung vonPatientenakten und Krankenblättern aus dem Universitätsklini-kum Greifswald ein. Grundlage des Bewertungsmodells sei dieAnalyse des historischen und medizinischen Quellenwertes derArchivalientypen und der Überlieferungsstrukturen sowie dieAbarbeitung eines Fragenkatalogs. Dieser prüfe unter anderemden Raumbedarf, die Existenz einer aussagekräftigen Parallel -

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60. DEUTSCHER GENEALOGEN TAGIN BAD ELSTER

Siegeszug der Informationstechnik einschließlich des Internetsund der Online-Re cherchierbarkeit genealogischer Quellen. Hierleiste vor allem der Verein für Com putergenealogie mit Projektenwie dem Deutschen Genealogie-Server und GenWiki hervorra-gende Arbeit. Allerdings sei die bisherige Struktur der DAGVnicht ausrei chend geeignet, um wissenschaftliche Anerkennungund effektive politische Lobby arbeit zu gewährleisten. Metzkeplädierte hier für den Ausbau der Zusammenarbeit zwischen dengenealogischen Vereinen, vor allem durch den Aufbau regionen -übergreifender Arbeitskreise mit gezielter thematischer Ausrich-tung.Ein konkretes Beispiel für die (zukünftige) Online-Recherchier-barkeit genealogischer Quellen erläuterte Karel Halla, Direktordes Staatlichen Kreisarchivs Cheb (Eger). Das Kreisarchiv ist alsStruktureinheit des Staatlichen Gebietsarchivs Pilsen an der Digi -talisierung der Kirchenbücher beteiligt. Halla stellte die Daten-bank zu den Kirchenbüchern des Gebietsarchivs Pilsen vor, diegezielte Abfragen zu den vorhandenen Büchern ermöglicht undüber die Ergebnislisten einen Zugriff auf die Filmnummern undzukünftig auch die Digitalisate ermöglichen soll. Das 2007 be -gonnene Projekt geht alphabetisch nach Gemeinden vor (derzeitBuchstabe F) und soll in zwei Jahren abgeschlossen werden.Weithin bekannt ist die Existenz des Internetangebots der Mor-monen, über dessen konkrete Inhalte aber doch oft Unkenntnisbesteht. Diese Lücke zu füllen war Anliegen des Vortrags vonBärbel S. Bell über „Die Bestände der Family History Library.Fundgrube für Einsteiger und Berufsgenealogen“. Die FHL ar be i -tet eng mit FamilySearch zusammen, dem nicht kommerziellenDatenbankservice der Kirche Jesu Christi der Heiligen derLetzten Tage. Bell erläuterte in ihrem Vortrag anhand einiger an -schaulicher Beispiele die Möglichkeiten der Recherche in denverschiedenen Datenbanken, die durch die jahrzehntelange Tätig -keit der Mormonen auch umfangreiche Daten mit deutschemBezug enthalten.In welchem Ausmaß auch junge Menschen Interesse an Familieund familiären Netzwerken haben, zeigt die bisherige Erfolgsge-schichte des sozialen Netzwerks www.verwandt.de, das von SaaraKorneli vorgestellt wurde und seit dem Start im Juni 2007 fastfünf Millionen Familien mit insgesamt 54 Millionen Einzelprofi-len als Nutzer gewonnen hat. Kern des Angebots ist die Möglich-keit zur Erstellung eines „Familienstammbaumes“, angesprochenwerden insbesondere junge Nutzer, die (laut Eigendarstellung)„so zum ersten Mal für die Thematik Stammbäume und Ahnen-

Obwohl die Familienforscher seit jeher einen großen Kunden-kreis und damit auch eine potentielle Lobby der Archive bilden,sind übergreifende Kontakte zwischen den Archivverwaltungen,dem Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. (VdA)und der organisierten Genealogie erstaunlich gering. Der Deut-schen Arbeitsgemein schaft genealogischer Verbände e.V. (DAGV)als dem Dachverband von Vereinen, rechtsfähigen Stiftungen undöffentlich rechtlichen Körperschaften, die wissenschaft lichenZwecken auf dem Gebiete der Familien- und Wappenkunde die -nen, gehören mit dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Perso-nenstandsarchiv Brühl und dem Sächsischen Staatsarchiv immer-hin auch zwei Archive an, letzteres aufgrund der 1995 erfolgtenEingliederung der Deutschen Zentralstelle für Genealogie(DZfG) in das Staatsarchiv Leipzig. Ein positives Beispiel füreinen konstruktiven Dialog bilden die von Bettina Joergens ini ti -ierten und seit 2004 jährlich stattfindenden Detmolder Sommer-gespräche des Staats- und Personenstandsarchivs Detmold, dieunter reger Beteiligung von Archivaren wie Familienforschernstattfinden. Themen für einen sol chen Dialog gibt es viele, zunennen seien nur die Auswirkungen des am 1. Januar 2009 inKraft getretenen Personenstandsrechtsreformgesetzes und dieFrage nach „Open Access“ versus Kommerzialisierung bei derOnline-Präsentation genealogisch relevanter Quellen.Beide Themen standen allerdings nicht im Mittelpunkt des 60.Deutschen Genealo gentages, der unter dem Motto „Grenzland-forschungen. Böhmen – Franken – Vogt land“ vom 10. bis 13.Oktober 2008 in Bad Elster im Vogtland stattfand. An dem vonder DAGV ausgerichteten und von der Arbeitsgemeinschaft fürmitteldeutsche Fami lienforschung e.V. organisierten Genealogen-tag nahmen rund 300 Gäste teil. Das Programm umfasste Vorträ-ge, Sondertreffen genealogischer Vereine und die Mit gliederver -sammlung der DAGV, Sonderveranstaltungen wie „Schnupper-kurse – Hilfe für Neueinsteiger“ und Exkursionen. Im Ausstel-lungsbereich stellten sich rund 30 genealogische Vereine vor,daneben präsentierten auf Genealogie spezialisierte Softwareher-steller und Verlage ihre Produkte (s. Foto). Der folgende Berichtkonzent riert sich auf einige Vorträge, die vor allem von der Infor -mationstechnik ermöglichte Entwicklungen in der deutschenGenealogie aufzeigen.Der Vorsitzende der DAGV, Hermann Metzke, eröffnete mit sei -nem Vortrag eine Dis kussion über „Die derzeitige Situation derGenealogie und die zukünftigen Aufgaben der DAGV“. Die mo -derne Genealogie sei unter anderem gekennzeichnet durch den

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Stand des Degener-Verlagsim Ausstellungsbereich,Foto: Katja Bude

genealogie von dem einen oder anderen „altgedienten“ Genealo-gen etwas misstrau isch beäugt werden mag – an der angestrebtenfachlichen Qualität der Informationen und an der hohen Wert-schätzung der aller genealogischen Information zugrunde lie -genden historischen Quellen kann aus Sicht der Berichterstatte-rin nicht gezweifelt werden.Die Informationstechnik hat die Familienforschung in denvergangenen Jahren revo lutioniert, und es ist kein Zufall, dass derVerein für Computergenealogie heute die größte genealogischeVereinigung in Deutschland ist. Man kann gespannt sein auf denvom ihm organisierten 61. Deutschen Genealogentag, der vom 11. bis 14. Sep tember 2009 in Bielefeld stattfinden wird.

Thekla Kluttig, Leipzig

forschung gewonnen werden“. Über die Hälfte der Nutzer sindunter 30 Jahre alt.Keine kommerziellen Absichten bestehen bei GenWiki, dem gro ßen „Mitmachprojekt“ des Vereins für Computergenealogie(http://wiki-de.genealogy.net). GenWiki funktio niert nach dem -selben Prinzip wie Wikipedia, konzentriert sich aber auf Inhaltevon genealogischem Interesse. Marie-Luise Carl stellte in ihremanschaulichen Vortrag Aufbau und Funktionsweise des GenWikivor, das inzwischen aus über 57.000 Sei ten besteht. Als wichtigePortale seien beispielhaft die „Digitale Bibliothek“, „Regio naleForschung“ oder „Basiswissen“ genannt, daneben bieten Daten-banken weitere Informationen in strukturierter Form, so zuForscherkontakten, Ortsfamilienbüchern oder Orten (Genealogi-sches Ortsverzeichnis). Auch wenn der Verein für Computer -

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ARCHIVTHEORIE UND PRAXIS

ARCHIVE VERBINDENGENERATIONEN

Förderung erhalten. Anschließend stellten die Juniorarchivareihre Referate über Herausforderungen und Möglichkeiten derdigitalen Archivierung in Kurzform im Forum vor und diskutier-ten darüber. Die vollständigen Texte der Vorträge waren schon vorder Konferenz den Teilnehmern in einem SharePoint zur Verbes-serung der Kommunikation zugänglich gemacht worden.Am Nachmittag wurden die Juniorarchivare auf drei Arbeits-gruppen aufgeteilt und diskutierten über die Probleme, die mitder digitalen Archivierung verbunden sind. Die Ergebnisse derGruppen wurden als PowerPoint-Präsentationen im Forumvorgestellt, u. a. die Anpassung der Studienprogramme und dieAbstimmung der Fachterminologien, die Kooperation mit Profisaus anderen Anwendungsbereichen der digitalen Kommunikati-on sowie die Berücksichtigung von gesellschaftlichen Minderhei-ten bei der Überlieferungsbildung eines archivischen Gesamtbe-standes.Am zweiten Tag referierte Lee McDonald über die Herausforde-rungen für europäische und amerikanische Archivare im digita-len Zeitalter und über die fehlende Zusammenarbeit zwischenArchivaren und Vertretern anderer Berufe, die sich mit Informati-ons-Management beschäftigen. Danach kam es zu einem intensi-ven Brainstorming über die geplante Konferenz in Genf. DieJuniorarchivare erarbeiten in Gruppen ihre konkreten Erwartun-gen, wie die Konferenz aussehen soll, um besonders für sieinteressant zu sein, welche Themen man besprechen könnte undwelche Referenten eingeladen werden sollen.Zum Tagungsschluss wurde festgestellt, dass man die geplantenZiele der Tagung erreicht hatte, nämlich: die Erwartungen derJuniorarchivare zur EAC2010 mit Erfolg zu besprechen und da -mit eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Gene-rationen der Archivare einleiten zu können.

Anna Sobczak, Stettin/Köln

Das Schweizerische Bundesarchiv (BAR) ist der Organisator der8. Europäischen Konferenz über digitale Archivierung (EAC2010),die im April 2010 in Genf stattfinden wird. Um sich daraufvorzubereiten, hatte das BAR entschieden, dazu eine Vorkonfe-renz für Juniorarchivare aus Europa durchzuführen. Als Arbeits-ziel der Vorkonferenz wurde das Thema gewählt: „Archiveverbinden Generationen“, weil es scheint, dass es keine hinrei-chende Kooperation zwischen Junior- und Seniorarchivaren gibt.Aus den zahlreichen Bewerbungen wurden nur 15 Archivarinnenund Archivare für die Teilnahme ausgewählt; sie kamen aus:Spanien (Spanish State Archives Office), der Schweiz (WorldTrade Organisation, Docuteam/Privatfirma für Archivierung,University of Applied Sciences of Chur, State Archives of Valais,International Commitee of the Red Cros), Großbritannien (WestYorkshire Archive Service, British Library, National Archives ofthe United Kingdom), Finnland (National Archives Service ofFinland), Schweden (National Archives of Sweden), Frankreich(Directorate of French Archives), den Niederlanden (University ofAmsterdam, Implementation Institute Employee Insurance) undPolen (University of Szczecin).Geleitet wurde diese Tagung von Ineke Deserno (Doktorandinder Monash University/Australien) und unterstützt wurde siedabei von zwei Seniorarchivaren, von Lee McDonald (Archivardes United Nations High Commissioner for Refugees) und JussiNuorteva (Direktor des National Archives Service of Finland).Am ersten Tag nach dem Grußwort von Andreas Kellerhals(Direktor des BARs) hielt Jussi Nuorteva seinen Einführungsvor-trag zum Thema „Records- und Data-Management“. Darin stellteer die Frage, von wem und warum wissenschaftliche Records undDaten verwaltet werden. Er zeigte, dass dieses Problem schwer zulösen ist, weil viele wissenschaftliche Institutionen die Ergebnisseihrer Forschungen als ihr Eigentum ansehen, statt als Eigentumder Weltgesellschaft zu betrachten. Sie machen diese Forschungennicht für alle zugänglich, obwohl sie sehr oft eine öffentliche

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ACTUALITÉ ARCHIVISTIQUE SUISSE. ARCHIVWISSENSCHAFT SCHWEIZ AKTUELLTravaux du certificat en archivistique et sciences d’in-formation. Arbeiten aus dem Zertifikat in Archiv- undInformationswissenschaften. Hrsg. von Gilbert Cour-taz, Nicole Meystre-Schaeren, Barbara Roth-Lochnerund Andreas Steigmeier. hier+jetzt, Verlag für Kulturund Geschichte, Baden 2008. 288 S., kart. 32,80 €.ISBN 978-3-03919-082-0

Wo eine gründliche und zeitgemäße archivarische Ausbildungfehlt, da leidet das Arbeitsergebnis und verschwimmt das Berufs-bild. Besonders der schweizerische Kollegenkreis hat bislang mitdiesem Sachverhalt leben müssen, denn der Eidgenossenschaftfehlte eine postgraduale Ausbildung für Archivare. Doch das Blattkönnte sich gewendet haben. Auf Betreiben des Vereins Schweize-rischer Archivarinnen und Archivare wurde 2002 an der Univer-sität Lausanne ein Aufbaustudiengang eingerichtet, der in Wo-chenendkursen theoretische Grundlagen, Records Management,Aufgaben und Methoden sowie Archive und Informationswissen-schaft behandelte. Eine jetzt veröffentlichte Auswahl von Ab-schlussarbeiten des Studienganges gibt Einblick in seine Inhalte.Die zwölf Beiträge fallen durch Praxisnähe auf, was sich aus demHintergrund der Teilnehmer erklärt, die fast alle einige Jahre anBerufserfahrung hinter sich hatten. Neben dem staatlichenArchivwesen waren unter ihnen auch Verwaltung, Sozialwesen,Wirtschaft und Kirchen repräsentiert. Fünf Arbeiten sind aufFranzösisch, die anderen auf Deutsch geschrieben. Im Anhangkönnen die Titel von allen 44 in Lausanne eingereichten Arbeitenermittelt werden, für Nachfragen sind Verfasser und Adresse an -gegeben.Die Arbeiten zu Bewertung und Erschließung: Brigitte Schmidlegt auf der Basis der internationalen Bewertungsdiskussion einBewertungsmodell für eine kantonale Steuerverwaltung vor, dasdie Gesamtüberlieferung einschließlich digitaler Unterlagen um -fasst. Nicole Meystre-Schaeren plädiert für eine Politik der Über -lieferungsbildung an Universitäten, welche die gesamte Lehr- undForschungstätigkeit abbildet und eng mit den Urhebern der Un -ter lagen zusammenarbeitet. Graziella Borelli beschreibt An for de -rungen an Archivinformationssysteme auf der Basis von ISAD(G).Ihre Ausführungen stehen unter dem Zeichen des Paradigmen-wechsels, der die Archive von der Produktion von Findmittelnweg- und zur zielgruppengerechten Präsentation von Metadatenhinführt.Der archivpolitische Themenbereich: Jean-Luc Wermeille widmetsich den genealogischen Dienstleistungen und ihrer Pflege als„archivisches Markenzeichen“ in der breiten Öffentlichkeit. Erbeschreibt vor allem Praxisbeispiele aus Frankreich, Kanada undden USA und leitet für die Schweiz neue Möglichkeiten ab. GabyKnoch-Mund behandelt in ihrem sehr ausführlichen, von zahlrei-chen Praxisbeispielen getragenen Beitrag Fragen von Fundraisingund Sponsoring für Archive und Bibliotheken. Jean-Daniel Zellerdiskutiert das sich wandelnde Berufsbild und beantwortet dieFrage, ob Archivinformatiker („cyberarchivistes“) gebrauchtwerden. Auf der Basis von Nachfragen bei verschiedenen Natio-nalarchiven kommt er zu dem Schluss, dass um das Jahr 2020mehr als ein Drittel der schweizerischen Archivare vor allem anelektronischen Überlieferungsformen arbeiten könnten. Um dieseAussicht zu meistern, empfiehlt er:

1. ein starkes Augenmerk auf diesen Bereich in der archivischen Ausbildung,

2. Anreize für Informatiker, archivische Zusatzkenntnisse zuerwerben und

3. ein Fortbildungsangebot für Archivare. Jérôme Guisolan skizziert den Rollenwandel, den die Archivevom geheimen Urkundenschatz des Landesherrn zum öffentli-chen Informationsdienstleister der demokratischen Gesellschaftdurchgemacht haben und fordert eine gesetzliche Regelung, dieArchivzugang, Informationsfreiheit und Datenschutz harmonischverbindet. Das Archivgesetz sei „l’élément maître pour garantir lapérennité des fruits de la loi sur l’information“.Zum Records Management: Urs Lengwiler evaluiert die Schrift-gutverwaltung in kleinen politischen Gemeinden der Schweizund vergleicht diese mit den deutschen Nachbarn. Trotz einerpersonell wesentlich besseren Ausstattung in Deutschland be-steht in beiden Ländern ein hoher Verbesserungsbedarf. Lengwi-ler empfiehlt möglichst einfache Maßnahmen, die eng an dastägliche Verwaltungshandeln angebunden sind. NotwendigeVerbesserungen sind in seinen Augen Registraturpläne undprospektive Bewertungsmodelle. Sehr wichtig erscheint ihm auch,die Erzeugung von Findbüchern in das Verwaltungsgeschehenvorzuverlagern. Durch die Erstellung von definitiven Aktenver-zeichnissen im aktiven Lebensabschnitt der Unterlagen wirdDoppelarbeit vermieden und in der Verwaltung ein Bewusstseinfür die archivischen Belange geschaffen – eine überzeugendeÜberlegung. Markus Trüeb gibt den internationalen Stand derDinge bei der kirchlichen Schriftgutverwaltung wieder undempfiehlt vor allem, durch Beratung und Überzeugungsarbeit inder Gemeinde vor Ort Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. GillesJeanmonod untersucht die Situation der Schriftgutverwaltung imUniversitätsklinikum von Lausanne. Für ihn stellt die Integrationder verschiedenen Unterlagentypen in ein globales Unterlagen -management die wichtigste Herausforderung dar. Zur Lösungbei tragen soll eine hauseigene Richtlinie, die den Lebenszyklusaller Unterlagen unabhängig von ihrem Träger normiert. DieÜberlieferung der Dokumente über ihren Lebenszyklus hinwegsoll durch einen Erhaltungskalender normiert werden, der dieEinhaltung von Aufbewahrungs- und Löschfristen sicherstelltund nicht zuletzt die geordnete Ablieferung an das kantonaleStaatsarchiv erleichtert.Und zu den elektronische Unterlagen: Andreas Steigmeier analy-siert in seinem sehr lesenswerten Beitrag die elektronischeSchriftgutverwaltung in schweizerischen Kommunen und zeigtLösungswege auf. Seiner Überzeugung nach werden alle Gemein-deverwaltungen elektronische Unterlagen auf Dauer verwahrenmüssen. Sie sollten daher durch Einstellung hauptamtlicherArchivare, durch Schulungsmaßnahmen und durch Kooperationmit Nachbargemeinden oder Outsourcing an Dienstleister dieseAufgabe frühzeitig angehen. Steigmeier ermittelt den Handlungs-bedarf, gibt eine Übersicht über die Unterlagenarten und Syste-me, die methodischen Anforderungen und Normen. Anschlie -ßend macht er einen Vorschlag über die schrittweise Umsetzungund referiert den Stand der Archivierung elektronischer Unterla-gen bei der Stadt Baden. Der Aufsatz von Beda Kupper über E-Mail-Archivierung beleuchtet einen von den öffentlichen Archi-ven noch wenig beachteten Bereich. Er behandelt zunächst recht -liche Fragen (Beweisfähigkeit, Datenschutz), Bewertung undErhaltung dieses Unterlagentyps. Danach werden zwei Pilotver-

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LITERATURBERICHTE

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LITERATURBERICHTE

ARCHIEVENBLADHrsg. von der Koninklijke Vereniging van Archivarissenin Nederland (KVAN). Jahrgang 111. 10 Ausgaben.81,50 € (Europa außerhalb der Niederlande). ISSN1385-4186

BIBLIOTHEEK- & ARCHIEFGIDS Hrsg. von der Vlaamse Vereniging voor Bibliotheek-,Archief- en Documentatiewezen (VVBAD). Jahrgang 83.6 Ausgaben. 80,- € (Ausland). ISSN 0772-7003

Als Vereinsblatt des KVAN, der Königlichen Vereinigung nieder-ländischer Archivare, ist das Archievenblad gewiss bunter, mitun-ter unterhaltsamer, aber gelegentlich auch unkritischer als einigeandere Zeitschriften in unserem Bereich. Aus der Vielzahl größe-rer und kleinerer Artikel und Nachrichten oder auch recht zahl -reichen persönlich getönten Berichten seien nachfolgend einigemarkante Artikel der Ausgaben des Jahres 2007 hervorgehoben.Zu den wenig erfreulichen Personalnachrichten gehören im all -gemeinen Nachrufe; so beschreibt Peter Horsman in der Januar-ausgabe (Heft 1) den Lebensweg seines Kollegen Hans Scheurko-gel, der am 9. Dezember 2006 mit nur 53 Jahren verstarb. Scheur-kogel, langjähriger Mitarbeiter der Archiefschool in Amsterdamund ihres Vorgängerinstituts, der Rijksarchiefschool, war nationalund international im Bereich der Archivausbildung bzw. ihrer An -passung an heutige Bedürfnisse sehr engagiert.Eine interessante Entwicklung im Archivwesen unseres Nachbar-landes beschreibt Hanno de Vries im gleichen Heft: Die „Archiv -freunde“ bzw. „vrienden van archieven“, so auch der Name desArtikels. Wer oder was sind diese Archivfreunde, und worinäußert sich ihre Freundschaft? Es sind Vereinigungen, die Archivebzw. die zu historischen Zentren fusionierten Bibliotheken,Museen und Archive unterstützen, sei es in finanzieller Hinsichtvermittels ihrer Mitgliedsbeiträge zur Unterstützung von Projek-ten, sei es für ganz praktische Tätigkeiten, die das Fachpersonalnicht (mehr) abdecken kann. In Grenzen sind diese Vereine mitGeschichtsvereinen in Deutschland vergleichbar, die ja oft auch

sehr stark mit einem lokalen oder regionalen Archiv verwobensind. Nachdem es Museen und Bibliotheken vorgemacht haben,ist erstmals 1991 eine derartige Vereinigung für das Gemeentear-chiv, also Stadtarchiv Vlissingen ins Leben gerufen worden, bzw.die Aktiviäten einer bereits für das Museum bestehenden Vereini-gung wurden auf das Archiv erweitert. Sie wirken auch durchausals Multiplikator oder PR, ganz besonders, da auch Personen desöffentlichen Lebens, sei es lokal, regional oder national, den Ver -einen angehören.In der 2. Ausgabe, dem Februarheft, berichtet Jac. Biemans überdas neue Besucherzentrum des Utrechts Archief, das aus einerFusion der vormaligen Gemeente- und Rijksarchiefs entstand.Ziel sei es, so die Direktorin des Archivs, Saskia van Dockum, dieBesucheranzahl zu verdoppeln und mindestens 20.000 Besucherp. a. zu erreichen. Dazu möchte man besonders drei Zielgruppenerreichen: Schüler bzw. Jugendliche, kulturgeschichtlich interes-sierte Touristen sowie Einwohner bzw. Besucher von Stadt undProvinz Utrecht. Von Fachwissenschaftlern als Besucher sprichtman ja in den Niederlanden schon länger nicht mehr so viel.Jedenfalls lässt man sich einiges einfallen, um den anvisiertenBesuchergruppen etwas zu bieten, so wird „der Besucher verführtmit einem spektakulären eyecatcher, womit er sich plötzlich indie Geschichte projiziert sieht“. Bleibt zu hoffen, dass bei allemEntertainment hier und da noch ein wenig Raum bleibt für Auf -klärung. Es könnte nämlich auch sein, dass die neuen Besuchernicht nur interaktive Spiele und digitale Jahrmarktsensationensuchen, sondern gerade seriöse Informationen. Die Tendenz,letztere als dröge, publikumsfeindlich und langweilig zu denun-zieren, ist in den Niederlanden schon seit Jahren z. T. recht offen -kundig. Besuchern ihres Archives hofft Frau van Dockum jeden-falls schöne Gefühle vermitteln zu können: „Du musst dich will -kommen fühlen, und wenn du wieder rausgehst, das Gefühlhaben, dass du etwas Überraschendes entdeckt hast“. In Heft 3, im April 2007 erschienen, erinnert Iet Erdtsieck an dieArchivarin Clara Welcker, die zwischen 1917 und 1946 Stadtarchi-varin in Kampen war. Damit war sie zwar nicht die erste weibli-che Archivarin in den Niederlanden, wohl aber die erste in her -ausgehobener Stellung. Sie leitete das Archiv und war direktBürgermeister und Stadträten gegenüber verantwortlich. Bis 1927blieb sie einzige Archivarin dort. Besucheranstürme gab es indiesen Zeiten noch nicht, und 1931 besuchten ganze 12 Personendas Archiv. Als Beispiel für die Unterdrückung der Frau imArbeits leben taugt sie keineswegs, da sie ein gutes Gehalt bezog.Wie viele intellektuell veranlagte oder berufstätige Frauen dieserZeit blieb sie aber unverheiratet. Einige der Probleme, mit der siezu kämpfen hatte, etwa der Raummangel, scheinen wohlbekannt.Auch dass sie als Historiker-Archivarin lieber publizierte undwissenschaftlich arbeitete, statt die eigentliche Archivarbeit zuverrichten, entsprach dem beruflichen Selbstverständnis vielerKollegen bis in die jüngste Zeit.Im vierten Heft, der Maiausgabe, erzählen Tony van Maren undFrank Holthuizen die Geschichte der Filmsammlung des Lim-burgse Land en Tuinbouw Bond (LLTB), des Limburger Land-und Gartenbaubundes aus dem vorwiegend katholischen Südendes Landes. Dies ist eine Dokumentation des Landlebens der Vor -kriegszeit, Kern der Sammlung sind die 1938/1939 im Auftrag desBundes vom Fotografen und Cineasten Alex Roosdorp ge drehtenFilme. Bereits 25 % dieser Filme wurden im damals brand neuenFarbfilm gedreht. Eine erste inhaltliche Erschließung des Film-materials erfolgte 1999, nachdem die Filme 60 Jahre gut erhalten

fahren zur Archivierung kritisch analysiert. Schließlich beschreibtKupper die von ihm selbst betriebene Archivierung von E-Mailsbei seinem Arbeitgeber, einem Energieversorger. Zukünftig solldort ein Teil der Bewertung dem Absender übertragen werden.Dieser kann eine E-Mail als rein private Botschaft oder als Ge-schäftsbrief einstufen. Im letzteren Fall ist ein Aktenzeicheneinzutragen, das für spätere Erhaltungsentscheidungen genutztwerden kann.Seit 2006 ist das Weiterbildungsprogramm an die UniversitätBern umgezogen und hat sich zu einem vollwertigen, berufsbe-gleitenden Master gemausert. In den letzten Jahren fanden inDeutschland ausgebildete Archivare häufig in der Schweiz Arbeit.Ob demnächst, gerade umgekehrt, Kollegen mit schweizerischemMaster-Diplom bei uns Karriere machen? Wer weiß.

Kai Naumann, Ludwigsburg

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in der Zentrale des LLTB in Roermond gelagert worden waren.Konservatorische Maßnahmen folgten 2001 bis 2002. Die Filmesind alle stumm und entsprachen damit durchaus noch denSehgewohnheiten der Vorkriegszeit. Statt einer Tonspur er läuternZwischentitel das Gesehene. Als wertvolle Dokumente, die nunvom Limburgs Film- en Videoarchief (LiFVA) bewahrt werden,zeigen die Filme eine nach dem Krieg recht rasch untergegange-ne, heutzutage archaisch anmutende agrarische Welt.In dieser Ausgabe berichtet Charles Jeurgens auch über dieKooperation zwischen der Universität Leiden und dem Indonesi-schen Nationalarchiv in Jakarta. Ziel der Kooperation, an derauch das Nationaal Archief in Den Haag beteiligt ist, ist insbe-sondere die Verbesserung der Zugänglichkeit der etwa 12 kmAkten, die durch die Verenigde Ostindische Compagnie und dienachfolgende niederländische Kolonialzeit bis Mitte des 20. Jahr -hunderts entstanden waren. Nur ein kleiner Teil der Archivmitar-beiter in Jakarta war bislang vertraut mit diesen Unterlagen.Wichtig für die Kooperation ist auch der akademische Austausch,und im Januar 2007 führte ein „BA honours“ Forschungsseminarder Leidener Universität fünf Studenten für drei Monate nachIndonesien, wo sie u. a. mit dem dortigen Archivwesen vertrautgemacht wurden. In Heft 5, das im Juni 2007 erschien, befassen sich Tijn van derZant und Henny van Schie mit dem „Supercomputer“ Blue Gene,der an der Universität Groningen beheimatet ist. Blue Gene stehtgegenwärtig an sechster Stelle in der Rangliste der schnellstenComputer der Welt. Anlass genug also, dem Rechner das Lesenbeizubringen, nämlich das Lesen alter Handschrift. Zunächstmuss der Computer an eine Handschrift gewöhnt werden, dieüber einige Jahre hinweg von ein und demselben königlichenBeamten geschrieben wurde. Damit identifiziert Blue Gene For -men, die für die alte Handschrift charakteristisch sind, so denVorder- und Hintergrund des Geschriebenen: Text und Papier.Danach wird die Dichte der Tinte gemessen. Angesichts der un -geheuren Fülle gegenwärtiger und historischer Handschriftenkann selbst ein Rechner dieser Güte noch sehr lange mit demLernen und Lesen von Handgeschriebenem beschäftigt werden.Heft 6 (Juli 2007) widmet sich u. a. dem Archivwesen in Japan.Fred van Kan erwähnt, dass die Archive Japans sehr lange öffent-lich unzugänglich waren. Dies mag eventuell mit der viel längerandauernden Feudaltradition Japans zu tun haben; In Europawurden ja mit der Französischen Revolution z. T. sehr alteArchiv bestände rechtlich ungültig und historisch und landeten instaatlichen Archiven. 1959 wurde in Yamaguchi das erste öffentli-che Archiv zugänglich, und ein Nationalarchiv gibt es in Japanerst seit 1971. Das heißt natürlich nicht, dass Archivbeständenicht schon vorher professionell verwahrt wurden, aber sie wareneben nicht allgemein zugänglich. Das japanische Archivgesetzvon 1987, das Public Archives Law, gibt Archiven keine sehr weit -reichenden Befugnisse, und so sind die Archive beim Transfer vonUnterlagen mangels gesetzlicher Regelung auf den guten Willender Behörden angewiesen. Ähnlich wie in Deutschland gibt es einArchiv des Außenministeriums (seit 1971), das Diplomatic RecordOffice, und auch das Verteidigungsministerium verwahrt seineUnterlagen gesondert und nicht im Nationalarchiv. Gegenwärtighaben im zentralistisch regierten Land lediglich 29 von 47 japani-schen Präfekturen ein eigenes Archiv, und daneben existieren 18Stadtarchive, was bemerkenswert wenig scheint für ein Landdieser Größe, Tradition und Bevölkerungszahl. Die Wissbegier,der van Kan bei den japanischen Kollegen begegnete, wurde fast

immer ein wenig eingetrübt durch die fehlenden Englischkennt-nisse dort, die durch Dolmetscher ausgeglichen werden mussten.In der Septemberausgabe, Heft 7, berichtet Charles Jeurgens überein immer wieder auftretendes, zentrales Problem. Ein Regie-rungsbericht, nicht der erste in dieser Form, stellte Mitte 2006wieder fest, dass es ernsthafte Probleme im Records Managementder Behörden gibt, besonders im Hinblick auf die Umsetzungvon Selektion und Vernichtung von Unterlagen, aber auch hin-sichtlich der Zugänglichkeit von Informationen. Um den Miss-ständen abzuhelfen, wurde im Frühjahr 2007 eine Kommission„Waardering en Selectie“ (Bewertung und Auswahl) ins Lebengerufen, um Selektionskriterien und -ziele zu aktualisieren unddiese an praktische Bedürfnisse anzupassen. Ein besonderesAugenmerk findet dabei die Frage, inwieweit die Bewertung vondigitalen Unterlagen abweicht von den bisherigen Prozeduren beiPapierunterlagen.In derselben Ausgabe stellt Jac. Biemans das neue Gebäude desAmsterdamer Stadtarchivs vor, das Gebäude „De Bazel“, benanntnach seinem vornehmlichen Architekten K.P.C. de Bazel (1869 -1923). Am 12. September 2006 eröffnete Königin Beatrix diesesbedeutende Stadtarchiv in der Amsterdamer Innenstadt, das nachseiner Fertigstellung 1926 Jahrzehnte als Bankgebäude diente. ImJahr 2004 stimmte der Amsterdamer Gemeinderat einem Kreditvon 65 Mio. Euro zu, der für Ankauf und Umbau des repräsenta-tiven Gebäudes notwendig war.Am 20. Juni 2007 fand in Hilversum eine Konferenz zum Thema„Erfgoed van de Oorlog“ (Kulturelles Erbe des II. Weltkrieges) alsBeginn eines Projektes zur Sicherung und Bewahrung relevanterBestände aus der Besetzungszeit bis 1945 statt. Karen Zwart er -läutert im Oktoberheft (Nr. 8) dieses vom Ministerie voor Volks-gezondheid, Welzijn en Sport VWS (Ministerium für Gesundheit,Wohlfahrt und Sport) unterstützte Programm, das bis 2009laufen wird. Das Programm, das insgesamt 21,6 Mio. Euro um -fasst, soll nicht allein staatliche Archivalien der Zeit von 1940 bis1945 besser bewahren oder zugänglich machen helfen, sondernauch museale Objekte, Bild- und Tondokumente oder persönli-che Erinnerungen von Zeitzeugen. Ein eher kleiner Bericht aus der Novemberausgabe 2007 (Heft 9)scheint besonders interessant und erwähnenswert. „Dioscuri“,präsentiert durch Nationaal Archief und Koninklijke Bibliotheekin Den Haag, ist „weltweit der erste modulare Emulator, der fürdigitale Bewahrung entworfen wurde. Das System ist fähig, eineComputerplattform auf Basis einer Intel 8086 Rechnerarchitekturzu emulieren, einschließlich der Unterstützung von Grafikkarte,Bildschirm, Tastatur und Festplatte“. Beteiligt bei der Entwick-lung war u. a. Jeff Rothenberg, der bereits in den 90er Jahren alsAnhänger von Emulation alter Hardwareumgebungen sich einenNamen gemacht hatte. Das Projekt wird weiterentwickelt, umauch die Emulation modernerer Rechner bis hin zum IntelPentium zu ermöglichen, auf denen ältere Windows- oder Linux-anwendungen möglich sind. Als Open Source Software ist dasProgramm unter http://dioscuri.sourceforge.net/ zu finden.In der letzten Ausgabe 2007, dem Dezemberheft (Nr. 10), be-schreibt Dick Deuzeman ein zentrales Digitalisierungsprojekt inden Niederlanden, nämlich die komplette Digitalisierung der seit1752 unter diesem Namen bestehenden Tageszeitung „Leeuwar-der Courant“ aus Friesland. Die alten Zeitungsausgaben wurdendabei nicht einfach nur gescannt, sondern sie haben auch einausgefeiltes Suchsystem erhalten. Verantwortlich dafür war dieRoermonder Firma X-CAGO. Kompliziert wurde und wird die

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LITERATURBERICHTE

nung des Flämischen den historischen Realitäten der Vorkriegs-zeit gerecht wird, und einerseits konstatiert Roobrouck einvermindertes Interesse an nationalen Projekten, wie sie ehedemvom BHIR verfolgt wurden, andererseits scheint die Identitätsstif-tung oder Mythenbildung nun ins Regionale gewandert zu sein.Dass von moderner Technologie bei der Erschließung undPräsentation des Bestandes Gebrauch gemacht wird, bedarfkeiner weiteren Erläu terung.Anders motiviert und nicht nur eine Zeitung umfassend wiebeim o. g. Leeuwarder Courant ist die in Heft 3/2007 vorgestellteDigitalisierung von Zeitungsbeständen aus Ieper (dt. Ypern),einer im I. Weltkrieg stark zerstörten Stadt. Eva Wuyts erinnertdaran, dass in Folge der Kämpfe Stadtarchiv und Stadtmuseumvernichtet wurden und nur die Bestände der Stadtbibliothekrechtzeitig gerettet wurden. So stellen historische Zeitungenheute einen erstklassigen Ersatz für die vernichteten Beständedar, die allerdings durch häufigen Gebrauch wie durch Papier-säuerung bedroht werden. Eine komplette Digitalisierung derZeitungsbestände ist nicht geplant, und die Selektion folgt be -stimmten Kriterien; so werden niederländisch- oder zweisprachi-ge Zeitungen bevorzugt digitalisiert, wiewohl die Mehrzahl derZeitungen vor dem Großen Krieg in Französisch erschien. Lo-gisch erscheint, dass vielgefragte und besonders von Verschleissbedrohte Titel bevorzugt digitalisiert werden (siehe auch www.ge-heugenvanieper.be/index.html).Ohne die Relativität von solchen Idealtypen zu verkennen, stelltBart de Keyser in Heft 4 „l’archiviste en profil“ vor. Seit 2007 gibtes in Flandern auch für Archivare drei offizielle Berufsprofile, fürden der Sociaal-Economische Raad van Vlaanderen (SERV)maßgeblich verantwortlich zeichnet. Archivare werden in dreiGruppen respektive hierarchische Level eingeteilt: Hoofdarchiva-ris (wörtlich: Hauptarchivar), also eine Managementfunktion, diedie Leitlinien der Archivpolitik festlegt; archivaris, ein Spezialistmit Fachaufgaben und schließlich archiefmedewerker (Archivmit-arbeiter), eine untergeordnete Funktion mit rein administrativenund weisungsgebundenen Aufgaben. De Keyser verkennt nicht,dass diese Einteilung künstlich ist und die Realitäten in vielenArchiven nicht widerspiegelt. Allerdings erleichtern derartigeProfile den Berufseinsteigern die Studien- oder Ausbildungswahl.Ebenso wird die Arbeit des Personalwesens und Karrieremanage-ments erleichtert, wenn Archivprofile Anhaltspunkte bieten.Typisch für aktuelle Strömungen ist die Ansicht, Qualität lassesich stets messen und in Zahlen fassbar machen. Das macht auchvor Archiven nicht halt, und Els Michielsen erläutert in der 5.Aus gabe 2007 die „kwaliteitszorg“, also Qualitätsbemühen imArchiv wesen. Archive als Dienstleister stellen auf dreierlei WeiseQualität dar: Als Dienstleister für den Bürger; hinsichtlich derBe wahrung des anvertrauten Archivguts und schließlich im Hin -blick auf die Dienstleistung für die Unterlagen produzierendenStellen. Um Qualität im Sinne einer „kwaliteitszorg“ überhauptmessbar und vergleichbar zu machen, bedarf es der Vorgabe vonsog. Indikatoren, die zumeist als Zahlen wiedergegeben werden,etwa die (erwünschte oder zu erreichende) Anzahl von Lesesaal-besuchern. Qualität bleibt dabei keine absolute Größe, son dernabhängig von den Vorgaben, die den Qualitätsbegriff definieren.Im abschließenden 6. Heft versucht Patrick Vanouplines eineDefinition des Begriffes informatiegeletterdheid im Bibliotheks-sektor (das meint die Fähigkeit des selbständigen Umgangs mitBibliotheken, wörtlich ist geletterdheid mit Lese- und Schreib-fähigkeit zu übersetzen). Eine Kette von sieben aufeinander

Anpassung eines digitalen Suchsystems durch die vielfältigenSprachen, die im Lauf von über 250 Jahren in dieser Zeitungverwendet wurden, so ältere Varianten des Niederländischen,Französisch, Deutsch, aber auch Friesisch. Das Archiv, onlineunter www.archiefleeuwardercourant.nl/ zu finden, ist gegenwär-tig noch gratis zu nutzen. Anders als das niederländische Archievenblad umfasst die bel -gische Fachzeitschrift Bibliotheek- & Archiefgids (Bibliotheks- &Archivführer) auch Schwerpunkte im Bereich des Bibliothekswe-sens, die aber auch für den interessierten Archivar oft mit Ge-winn zu lesen sind. Völlig im Einklang mit der heutigen Kultur-politik in Belgien respektive Flandern ist, dass der französich-sprachige Landesteil beinahe nicht Berücksichtigung findet, jaeigentlich Belgien im Rahmen dieser zweimonatlich erscheinen-den Fachzeitschrift kaum mehr existiert. So ähnlich kann es all -jährlich der Besucher der Frankfurter Buchmesse erfahren, Bel -gien scheint auch dort nicht mehr zu existieren. Selbst die Ab-stracts der Kernartikel sind nur in Niederländisch und Englischverfasst.In Heft 1 geht Edwin van Troostenberghe den Kriterien für denErfolg von Bibliotheksarbeit nach. „ROB“ ist das Akronym füreine „Risico-Analyse voor Openbare Bibliotheeken“ (Risikoana-lyse für öffentliche Bibliotheken). Mit Hilfe dieser Risikoanalysesollen Schwachstellen herausgefunden werden, die Bibliotheks-nutzer von einem erfolgreichen Besuch dieser Institutionen ab -halten. Nicht so sehr auf das persönliche Verhalten der Biblio-theksmitarbeiter zielt die Analyse, sondern auf das Offenlegenstruktureller Schwächen. Sog. „Mystery Shopper“, also genau vor -bereitete und instruierte Testpersonen, die Bibliotheksbenutzernur spielen, ohne dass dies für das Bibliothekspersonal offenkun-dig ist, haben hierbei eine zentrale Rolle. Die Mitarbeiter werdenaber schließlich mit den Ergebnissen konfrontiert. Um den Bib li o-theksservice auch für Nutzer ohne höhere Schulbildung zu ver -bessern, die sich erfahrungsgemäß schwerer tun, sich in Bib lio -the ken zu orientieren, wurde bei der Auswahl der „Mystery Shop -per“ besonderes Augenmerk auf diese Nutzergruppe gerichtet. Dass relevante Archivalien eines Landes, die über dieses Auskunftgeben können, oft auch außerhalb der Landesgrenzen sich be -finden, dürfte jedem Historiker deutlich sein. So finden in denVatikanischen Archiven reichhaltige Bestände – VaticaanseBelgica –, die über belgische Sachverhalte berichten können, wieJan Roobrouck im 2. Heft 2007 darstellt. Diese Unterlagen ent -standen in Belgien bereits kurz nach Gründung des belgischenStaates, und ab 1835 errichtete der Vatikan im katholisch gepräg-ten Belgien eine Internuntiatur, die bereits 1841 zur Nuntiaturerhoben wurde. Heutzutage befinden sich diese Bestände inRom, sie wurden ab 1927, dann 1940 und 1972 dorthin verbracht.Die Bestände spiegeln belgische und europäische Zeitgeschichtewider, und in den Berichten und Korrespondenzen mit demHeiligen Stuhl, belgischen Obrigkeiten oder auch Bistümernfinden sich Schlaglichter der belgischen Geschichte wie dieAnnexion Eupen und Malmédys nach dem I. Weltkrieg, dieflämische Frage oder auch die Entstehung totalitärer Bewegun-gen vor dem II. Weltkrieg. Die Bestände weckten schon früh dasInteresse belgischer Historiker und Archivare, die maßgebend zurErschließung bei trugen, besonders das 1902 errichtete BelgischeHistorische Insti tuut te Rome (BHIR). Jüngster, nicht mehr vomBHIR finanzierter Vorstoß der Erschließung ist das auf Flandernverengte Projekt „Vlaanderen en het Vaticaan: De geheime archie -ven van Pius XI“ (1922 - 1939). Fraglich mag sein, ob die Beto-

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bezogenen Fähigkeiten, mit Informationen umzugehen, bildenein Modell dieser informatiegeletterdheid: Das Erkennen vonInformationsbedürfnissen; die Fähigkeit, eine Frage zu stellen;die Identifikation von Informationsquellen; der Gebrauch derInformationsquellen; die Selektion und Bewertung wichtigerQuellen; die Speicherung und Verarbeitung der gewonnenInformationsquellen sowie schließlich die Produktion undVeröffentlichung von neuen Informationen. Der Bibliothekar hatbei der Entwicklung dieser Fähigkeiten eine wichtige unterstüt-zende Rolle, folgt man Vanouplines.

Matthias Weber, Frankfurt am Main

ARCHIVALISCHE ZEITSCHRIFT 89. Band. Hrsg. von der Generaldirektion der Staatli-chen Archive Bayerns. Schriftleitung und Redaktion:Gerhard Hetzer. Böhlau Verlag, Köln – Weimar – Wien2007. 484 S., geb. 49,90 €. ISSN 0003-9497

Die Archivgeschichte steht mit gediegenen, teils grundlegendenBeiträgen im Zentrum des vorliegenden Bandes, der zudem vielVerwaltungsgeschichte sowie hilfswissenschaftliche und überlie-ferungsgeschichtliche Studien bietet. Dass der Rahmen sich dabeivon einem frühmittelalterlichen Codex bis zur digitalen Überlie-ferung unserer Zeit spannt, kann und sollte als Signal gesehenwerden, dass überlieferungsbezogene und hilfswissenschaftlicheausgerichtete Perspektiven auch für zeitgenössische Unterlagentragfähig sind. Es ist nur zu begrüßen, dass die ArchivalischeZeitschrift ihr klassisches Profil unter Einbeziehung der Gegen-wart pflegt und weiter entwickelt. Klaus Rupprecht würdigt das Wirken Paul Oesterreichers (1767-1839) als Archivar des Hochstifts Bamberg bzw. – nach der Säku -larisation – Königlichen Kreisarchivs für Oberfranken, der sichauch als fränkischer Landeshistoriker, Archivtheoretiker und Her -ausgeber der ersten deutschen Archivfachzeitschrift einen Namengemacht hat; seine „Zeitschrift für Archivs- und Registraturwis-senschaft“ ist freilich über ihren ersten Band 1806 nicht hinaus-gekommen. Wird hier die Entwicklung des Archivwesens unddes archivarischen Berufsbildes für die Zeit nach 1800 in einerPerson greifbar, so gilt dies im folgenden Beitrag für die ersteHälfte des 20. Jahrhunderts. Michael Hochedlingers betrachtetim Spiegel der Karriere von Lothar Groß (1887-1944), des Direk-tors des Haus-, Hof- und Staatsarchivs und Vizedirektors desReicharchivs Wien, das österreichische Archivwesen von derJahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, wobeier auch besondere Schlaglichter auf die Entstehung der Akten-kunde als neue Historische Hilfswissenschaft, die Groß parallelzu Heinrich Otto Meisner entwickelt hat, die Archivwissenschaftund die Ge schichte des Instituts für Österreichische Geschichts-forschung wirft. „Archiv oder ‚Mülleimer‘? Das ‚NS-Archiv‘ des Ministeriums fürStaatssicherheit der DDR und seine Aufarbeitung im Bundesar-chiv“, ist der folgende Aufsatz von Sabine Dumschat überschrie-ben, dem ein Referat in der Fachgruppensitzung der Archivarin-nen und Archivare an staatlichen Archiven auf dem 75. Deut-

schen Archivtag 1975 in Stuttgart zugrunde liegt. Darin wirdneben der zeithistorisch hochinteressanten Bestandsgeschichteauch die aktuelle archivische Bearbeitung im Zuge der Proveni-enzbestimmung und Erschließung angesprochen, an deren Endeumfangreiche Abgaben an andere Archive standen. Auch derfolgende Beitrag ist aus aktuellen Ordnungsarbeiten hervorge-gangen: Unter dem Titel „Quellen aus über 350 Jahren Wissen-schaftsgeschichte. Das Archiv der Deutschen Akademie derNatur forscher Leopoldina in Halle (Saale): Entwicklung, Bestän-deprofil, Zugang“ informiert Karsten Jedlitschka über die wech-selvolle Geschichte des Archivs der 1652 gegründeten Akademie,über seine Bestände, aber auch über deren online-Zugänglichkeit,Benutzungsbedingungen und Quellenwert. „Zur Lage desArchiv wesens von Kirchen und Religionsgemeinschaften inUngarn und Rumänien“, berichtet sodann Helmut Baier, derdabei die Archivgeschichte resümiert, um die aktuelle Situationzu beschreiben. Verwaltungs- und quellenkundliche bzw. überlie-ferungsgeschichtliche Aspekte stehen im Vordergrund der beidenfolgenden Artikel von Silvia Trani („Die militärgeschichtlichenForschungsämter der italienischen Streitkräfte“) und AnnelieHopfenmüller („Die Vor- und Frühgeschichte der bayerischenGendarmerie als Teil der bayerischen Verwaltungsgeschichte derÄra Montgelas“), während Axel Metz („Die Erbeutung von Stutt -garter Kanzleiunterlagen durch Landgraf Philipp von Hessen1534 und der preußisch-württembergische Archivalienaustauschdes Jahres 1908“) ein interessantes Kapitel der württembergischenArchivgeschichte beleuchtet. „Zur Archivierung elektronisch signierter Dokumente“ äußertsich Pauline Puppel, die der Frage nachgeht, wie die Beweiskraftelektronisch signierter Dokumente unter Erhalt ihrer Integritätund Authentizität im Archiv langfristig gewährleistet werdenkann und welche rechtlichen und technischen Vorkehrungendazu getroffen werden müssen, wobei sie auch auf das DOMEA-Organisationskonzept eingeht. Wenn hier auch archivrechtlicheFragestellungen im Vordergrund stehen, kann man den Bei trag ingleicher Weise überaus Gewinn bringend aus hilfswissenschaftli-cher Perspektive lesen. Die folgenden Aufsätze sind ganz den traditionellen HistorischenHilfswissenschaften zuzuorten. Jens Blecher, „Die Siegel der Uni -versität Leipzig. Bedeutung, Symbolik und Siegelführung vom 15.bis zum 20. Jahrhundert“, beschreibt anhand der erhaltenenTypare und ihrer Symbolik die Entwicklung des universitärenSelbstverständnisses, aber auch die Strukturveränderungen an denHochschulen und den Gebrauch des Siegelwesens. Zwei hilfswis-senschaftliche Beiträge zur Archivgeschichte des Hochstifts Frei-sing beschließen den Band. Adelheid Krah, „Die Handschrift desCozroh. Einblicke in die kopiale Überlieferung der verlorenenältesten Archivbestände des Hochstifts Freising“, untersucht denberühmten Codex HL Freising 3a im Hauptstaats archiv München,der nach 824 auf Initiative Bischof Hittos von Freising durchCozroh, dem Leiter der bischöflichen Kanzlei, angelegt wurde undden ältesten Urkundenbestand des Domarchivs überliefert,während Matthias Bader und Julian Holzapfl, „KanzleimäßigeKorrespondenz des ausgehenden Spätmittelalters als quellenkund-liches Problem: Die Korrespondenzbücher der Freisinger Bischofs-kanzlei unter Sixtus von Tannberg (1474-1495)“, eine Amtsbuchse-rie des Spätmittelalters von hoher Aus sagekraft für die Kanzleige-schichte beschreibt und in den Forschungsstand zur Schriftlich-keits- und Kommunikationsgeschichte einordnet. Hier werdenauch aktenkundliche Fragestellungen aufgegriffen.

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Insgesamt belegt der 89. Band der Archivalischen Zeitschrift sehranschaulich, dass archiv- und verwaltungsgeschichtliche Themenden Archivarinnen und Archivaren weiterhin ein zentrales wis-senschaftliches Betätigungsfeld bieten. Die Archivgeschichtefindet derzeit sogar wieder verstärkt Interesse, nicht zuletzt, wennnach der Rolle der Archivare zwischen 1933 und 1945 gefragtwird. Der aktuelle Beitrag in dieser Zeitschrift von WilfriedReininghaus zur Funktion und Standortbestimmung der Archiv-geschichte (Archivar Heft 4/2008, S. 352-360) zeigt vor diesemHintergrund wichtige und beachtenswerte Perspektiven auf.Wieviel es noch in den Historischen Hilfswissenschaften frucht-bar zu erforschen gibt, wird ebenfalls am vorliegenden Banddeutlich. Nachdem sie an den Universitäten abgewickelt wurden,sind die Archivarinnen und Archivare da umso mehr gefordert.Neben den traditionellen Gefilden – darauf sei nochmals amBeispiel des Beitrags von Pauline Puppel hingewiesen – eröffnetsich hier ein weites Feld für die jüngeren, jüngsten und zeitgenös-sischen Überlieferungen, das noch weitgehend brach liegt. Esbleibt zu hoffen, dass der beim Verband deutscher Archivarinnenund Archivare sich in Gründung befindliche Arbeitskreis zurAktenkunde des 20. und 21. Jahrhunderts hier stimulierendwirkt.

Robert Kretzschmar, Stuttgart

ARCHIWUM PANSTWOWE W KATOWICACH Informator o zasobie archiwalnym. [Staatsarchiv Kat-towitz. Beständeübersicht]. Red.: Piotr Matuszek.Naczelna Dyrekcja Archiwów Panstwowych, Warszawa2007. 1188 S., 53 farbige Abb., geb. ISBN 978-83-89115-73-7

Wohl kaum eine europäische Region hat zwischen 1795 und 1945so oft die territoriale Zugehörigkeit gewechselt wie das östlicheOberschlesien. Der heutige Sprengel des Staatsarchivs Kattowitzgehörte 1795 zu Preußen und Österreich-Ungarn, zwischen 1815und 1917 zu Preußen, Russland und Österreich-Ungarn, 1922 zumDeutschen Reich und zwei polnischen Wojewodschaften und1939-1945 zu zwei preußischen Regierungsbezirken und zum Ge -neralgouvernement. Heute deckt er Teile der WojewodschaftenSchlesien und Kleinpolen ab. Die beigegebenen Karten sind drin -gend notwendig, um einen ersten Überblick über die Beständedes Staatsarchivs Kattowitz zu gewinnen. Der in polnischer Spra -che erschienenen Beständeübersicht ist daher eine Einführung inPolnisch, Englisch, Deutsch und Tschechisch vorangestellt, diedie bewegte Geschichte des Staatsarchivs Kattowitz schildert. Bis1922, als das östliche Oberschlesien an die 2. Polnische Republikfiel, war das Staatsarchiv Breslau zuständig. Die neugebildeteWojewodschaft Schlesien gründete zunächst kein eigenes Archiv,sondern bildete eine Sammelstelle in ihrer Präsidialabteilung. Sienahm die Akten früherer preußischer und österreichischer Behör-den auf. 1939/1941 wurde auf dieser Grundlage das StaatsarchivKattowitz gegründet, dem seit Oktober 1939 Karl Bruchmannvorstand. 1945 wurde es in die polnische Archivverwaltung ein -bezogen und durchlief mehrere Verwaltungsreformen. 1992 zog es

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LITERATURBERICHTE

aus dem Wojewodschaftsgebäude in ein ehemaliges Kasernen-gelände im Vorort Józefowiec um. Daneben bestehen siebenFilialen, die das am weitesten verzweigte Filialnetz in Polen bil -den; in die vorliegende Übersicht sind die Bestände der Filialennicht aufgenommen.Die Bestände bestehen aus ca. 11 km Akten. Die Schwerpunktedieser Bestände liegen aus Sicht der Benutzer erstens auf Aktender preußischen, österreichischen und russischen Behörden derZeit zwischen 1815 und 1917, zweitens der polnischen Behördender 2. Republik. Drittens gibt es in Kattowitz eine sehr dichteÜberlieferung zur regionalen NS-Herrschaft zwischen 1939 und1945. Wie der Rezensent aus eigener Einsichtnahme weiß, wurdenkomplette Registraturen beim Vormarsch der Roten Armee An -fang 1945 zurückgelassen und später in das Staatsarchiv über-nommen. Viertens ist die Überlieferung aus der Zeit zwischen1945 und 1989 zu nennen. Der fünfte Teilbereich sucht in Europaseinesgleichen: die Akten der Unternehmen und Wirtschaftsbe -hörden in Oberschlesien. Darunter befindet sich auch eine sin -guläre Sammlung von Bergbaukarten, die nach eigener Aussageder Stolz des Archivs sind. Kattowitz gehört sicher zu den bedeu-tendsten europäischen Montanarchiven. Die einzelnen Bestandsbeschreibungen sind formal gleich aufge-baut: 1. Bestandsname; 2. Laufzeit; 3. Umfang in lfdm.; 4. z. T. ausführliche Inhaltsangaben in Stichworten; 5. Sprachen, die in den Akten verwendet werden (sicher weithin

eine Besonderheit dieses Archivs, in denen Akten in den Amts-sprachen Deutsch, Polnisch, Russisch und gelegentlich Tsche-chisch vorkommen);

6. Stand der Mikroverfilmung; 7. Vorhandensein von Findmitteln (die Übersetzung des polni-

schen Wortes ewidencja mit „Evidenz- und Informationshilfe“ist zu präzisieren).

Im Unterschied zu Beständeübersichten deutscher Archive sindBearbeiter einzelner Bestände durch Siglen namentlich ausgewiesen. Die eigentliche Beständeüberstand ist in 17 Gruppen eingeteilt.Bei Beständen in überwiegend deutscher Sprache sind die deut-schen Behördenbezeichnungen mit aufgenommen, die allerdingsnicht über den Index erfasst sind. Die Beständegruppen sindjeweils nach historischen Epochen untergliedert. Den größtenRaum nehmen die allgemeinen Behörden (Wojewodschaften,Bezirksregierungen, Städte und Gemeinden bis 1945, Volksräte)ein. Die Akten des Magistrats von Bytom (Beuthen) mit Urkun-den von 1412 bis 1580 sowie die Ratsakten von 1742 bis 1945 sindhervorzuheben, ebenso das Magistratsarchiv von Chorzów(Königshütte) von 1853 bis 1939. Es folgen Spezialbehörden, vorallem Polizei, Schulaufsicht, Katasterämter, Zoll- und Zollämter,Statistikbüros nach 1945, Arbeitsämter, Versorgungsämter, sodannGerichte einschließlich der Notare und Anwälte, Personenstands -unterlagen mit Kirchenbüchern, die in Einzelfällen bis in das 18.Jahrhundert zurückreichen. Einen sehr großen Raum nimmtSchriftgut der Wirtschaft sowie der staatlichen Wirtschaftsver-waltung ein, von einzelnen Innungsunterlagen (zurück bis 1559),z. B. der Gauwirtschaftskammer Oberschlesien, über Genossen-schaften nach 1945, Banken und Bergämtern und -inspektionenseit 1784 bis zu Großunternehmen wie Henckel von Donners -marck, Giesche, den Reichswerken Hermann Göring, aber auchmittleren und kleineren Firmen. Dieser Abschnitt macht allein

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über 220 Seiten der Beständeübersicht aus. Im Bereich von Ver -einen und Verbänden stößt man auf viele deutschsprachigeBestände, wie den Männerturnverein Königshütte (1882-1922),den Hilfsverein Deutscher Frauen (1912-1939), den DeutschenVolksbund für Polnisch-Schlesien (1922-1944), den wichtigenOber schlesischen Berg- und Hüttenmännischen Verein (1879-1933) und andere. Unter die Rubrik Parteien fällt zum einen dieNSDAP mit Gau- und Kreisleitungen sowie weiteren NS-Verbän-den aus der Zeit 1939 bis 1945, sodann die Polnische Arbeiterpar-tei nach 1945. Abschließend sind Schulen, kulturelle und wissen-schaftliche Institute aufgeführt. Unter den Familienarchivensticht aus deutscher Sicht das der Fürsten Hohenlohe-Ingelfingen(1454-1945, 144 m) hervor. Unter den Sammlungsbeständen istneben einer umfassenden Dokumentation zu Beuthen die schonerwähnte Bergkarten-Sammlung zu erwähnen.Die Präsentation der Bestände in dieser Form ist angesichts derbewegten Geschichte Oberschlesiens eine sehr wichtige Hilfe, diefür deutschsprachige Benutzer durch eine Übersetzung nur nochvergrößert würde. Die Anstrengung und der Kraftakt einer sol -chen Beständeübersicht verdienen kollegialen Respekt! Über diereine Informationsvermittlung hinaus sind ferner in diesen Bandwichtige konzeptionelle Überlegungen für die Gestaltung vonBeständeübersichten eingegangen. Die Kattowitzer Beständeüber-sicht kann daher auch die Fachdiskussion zwischen pol ni schenund deutschen Archiven weiter befördern. Und noch eine An -merkung: Die Beständeübersicht zeichnet – mehr zwischen denZei len als ausdrücklich erwähnt – ein geradezu befreiend offenerUm gang mit der polnisch-deutschen Geschichte aus, so wie siesich in Oberschlesien abgespielt hat. Angesichts leidvoller Erfah-rungen und vieler Vorbehalte auf beiden Seiten bis in die jüngsteVergangenheit hinein kann dies gar nicht genug ge wür digt werden.

Wilfried Reininghaus, Senden

BALTIC CONNECTIONSArchival Guide to the Maritime Relations of the Coun-tries around the Baltic Sea (including the Netherlands)1450-1800. Edited by Lennart Bes, Edda Frankot andHanno Brand. Koninklijke Brill NV, Leiden 2007. 2320S., geb. 315,- €. ISBN 978-90-04-16429-1

Ein dreibändiges Werk dieses Formats, fünf Kilo schwer, ist aucheine Herausforderung für jeden Rezensenten. Wie kann er einerarchivischen Leistung gerecht werden, die in zwei Jahren,2005/06, bewältigt wurde, ein Jahr später, im Oktober 2007, imDruck präsentiert wurde, 982 Bestände aus 127 Archiven in 10europäischen Ländern erfasst? Maarten van Booven, Direktor desNationalarchivs der Niederlande, verweist im Vorwort darauf,dass dieses Unterfangen beispiellos in der Archivgeschichte ist.Initiiert wurde es von seinem Hause aus Anlass des Beitritts derdrei baltischen Staaten und Polens zur EU 2004, finanziert vonder Niederländischen Kulturstiftung, einer Einrichtung des nie -derländischen Außenministeriums, um internationale kulturelleBeziehungen zu intensivieren. Eine angemessene Würdigung

eines solchen Mammutwerks muss bei den Ausgangsfragen an -setzen. Was wollten die unter Federführung der Niederlande be -teiligten Archive nachweisen? Welche Themenfelder wollten sieabdecken, welche Räume, welchen wie begründeten Zeitraum?Methodische Grundlage war der einleitende Essay des GroningerHistorikers Hanno Brand über die Veränderungen des Seehandelsin der Ostsee zwischen ca. 1450 und 1800. Er beginnt mit derfrühen Hansezeit, liefert nur einen versteckten Hinweis für denAnfangszeitpunkt des Inventars, denn die Kriege zwischen Hol -land und den wendischen Städten 1438/41 öffneten den nieder-ländischen Städten den freien Zutritt zur Ostsee. Diese Erweite-rung sorgte für ein enges Netzwerk zwischen Ostsee, Nordseeund dem westlichen Atlantik. Die Einführung zeigt des Weiterenden Aufstieg der neuen Seemächte und der Nationalstaaten, derMerkantilismus und der Auswirkungen der Nordischen Kriege1700/22 auf. Das Jahr 1800 wird als Schlusspunkt nirgendwobegründet und lässt sich wahrscheinlich auch nicht begründen.Die Absteckung des zeitlichen Rahmens deckt eine gravierendeSchwachstelle des Gesamtprojekts auf. Es lassen sich nur willkür-lich Eckpunkte finden, wobei den Rezensenten der Verdacht be -fällt, dass ein von den Niederlanden her wichtiger Zeitpunkt anden Anfang gestellt wurde, der zugleich ermöglichte, die Masseder älteren Urkunden auszusparen. Ebenso fragwürdig wie diezeitliche Festlegung ist die räumliche. Der ehemals hansischeWirtschaftsraum wird durch die Auswahl der Archive – genau sowillkürlich wie der Zeitrahmen – auf die Anrainer der Ostsee, dieNiederlande und einige deutsche Nordseeanrainer festgelegt. Esfehlen: die englischen, belgischen, französischen und norwegi-schen Archive sowie die Archive des deutschen Hinterlandeshinter der Küste, vor allem also Köln und das von ihm geprägteHanseviertel. Was das bedeutet, zeigt ein Beispiel aus der For-schungspraxis des Rezensenten: Die Waffen für den Krieg Liv-lands mit Zar Iwan IV. lieferte 1558 ein Konsortium aus Köln undAntwerpen über London und Stockholm in das Baltikum. Dasvorliegende Inventar kann dazu nur die Hälfte der möglichenBestände nachweisen. Die Bemühungen, das Projekt nicht aus -ufern zu lassen, in Ehren: aber methodisch muss jeder Kenner derhansischen Geschichte, damit also potentielle Benutzer diesesInventars, ob solcher Engführung zusammenzucken. Die Vermu-tung, dass im Vorlauf dem Projekt die notwendige methodischeReflexion nicht zuteil wurde, wird genährt durch die Auswahlder abzudeckenden Themenfelder. Auf zwei Seiten vor BrandsEssay werden fünf Themenfelder mit bis zehn Unterthemenlisten förmig und ambitioniert benannt: (1.) Schifffahrt und mari -timer Sektor (u. a. mit Prosopographie der Kapitäne und Besat-zungen), (2.) Kaufleute und Kaufmannshäuser, (3.) Transaktions-kosten (u. a. Zoll, Versicherung, Informationsaustausch), (4.)Handelspolitik und Diplomatie, (5.) Nebenprodukte („spinn-offeffects“) wie Stapel, Migrationsmuster, Piraterie, Banken undWechsel. Darüber, welche Implikationen solche Themen aufarchivische Überlieferung haben oder wie bestimmte Nachweisegelingen sollen, wird keine Rechenschaft abgelegt. Zu gernewüsste man, mit welchen Vorgaben die beteiligten Archive wirk-lich auf die Suche nach relevanten Unterlagen geschickt wurden!Die Umsetzung in den Bestandsbeschreibungen lässt die The-menfelder außen vor, sie tauchen allenfalls als Stichwörter wiederauf. Nach den in mehreren Beschreibungen festgehaltenen Zunft-archivalien war überhaupt nicht gefragt worden. Das Ergebnis der Suche ist alphabetisch nach Ländern, archivi-schen Standorten und Archivbeständen gegliedert. Die Archivbe-

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stände wurden nach Informationen über den Bestand als Ganzes,relevanten Inhalten (Laufzeit, betroffene Länder, Sprache), Be-standsbildner, Bestandsgeschichte, verwandten Archivalien undPublikationen gegliedert. Stichproben zeigen eine sehr unter-schiedliche Intensität der Aufarbeitung. Sie reicht von der Be-schreibung einzelner Archivalien bis zur summarischen Zusam-menfassung. Hierfür war die jedem einzelnen beteiligten Landfreigestellte Umsetzung verantwortlich. Lücken sind dabei unver-meidlich. Einige Beispiele: In Dänemark fehlen Kommunalarchi-ve und das Wirtschaftsarchiv in Arhus. Für Deutschland ist dieÜbersicht auf die größeren Archive der Küstenanrainer sowie aufdas Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz wegen derOrdensgebiete konzentriert. Lübeck sprengt mit mehr als 200Seiten fast den Rahmen. Lettland weist nur das Staatsarchiv inRiga nach, Litauen hingegen auch zwei Bibliotheken. Ausführlichsind die niederländischen Archive beschrieben. Polen bietet eineBesonderheit. Unter Breslau (Wroclaw) findet sich die Karten-sammlung des ehemaligen Ossolinski-Instituts aus Lemberg,dessen Geschichte abenteuerlich ist. Zu Russland, bearbeitet vonEstland aus, werden nur Bestände aus St. Petersburg einbezogen.Unter Schweden vermisst der Rezensent die ausführlichen tech-nologischen Manuskripte, die in Uppsala liegen und die Schwe-dens Handelskonkurrenten in Europa beschreiben. Betrachtetman die Inhalte summarisch, dann drängt sich der Eindruck auf,dass Schifffahrt und Politikgeschichte dominieren, die Kauf-mannsgeschichte eher zurücktritt. Die Sprache ist englisch, nur die Bestandsbezeichnungen nehmenjeweils die archivische Provenienz auf. Ortsnamen, die mehrfachbelegt sind, müssen über die Register zu den einzelnen Bändenerschlossen werden. Das gesamte Werk ist zugleich im Internetveröffentlicht (www.balticconnections.net/; Zugriff: 4.5.2008).Dort steht auch eine Suchmaschine für die Suche über alle dreiBände zur Verfügung, die freilich nur Volltexte ohne Gewichtungnachweist. Gibt man „Trip“ ein, bekommt man sowohl Nachwei-se zur holländisch-schwedischen Kaufmannsfamilie dieses Na -mens wie zum englischen Wort „trip“ für Reise geliefert. Ange-sichts der bequemen Zugänglichkeit im Internet stellt sich dieFrage nach dem Sinn einer Druckversion, die mit einem solchenLadenverkaufspreis selbst potente Bibliotheken abschreckenwird. Genauso erlaubt sein muss die Frage nach dem Sinn desganzen Projektes, dessen wissenschaftliche Prämissen wohl nichtnur dem Rezensenten fragwürdig erscheinen. Wie können über-haupt transnationale Nachweise zu Archiven in Europa ausse-hen? Das (schlechte) Beispiel dieses Spezialinventars sollte ermu-tigen, auf präfigurierte Fragestellungen eher zu verzichten, als siezur Grundlage zu erheben.

Wilfried Reininghaus, Senden

DOKUMENTATIONSZIELE UND ASPEKTE DER BEWER-TUNG IN HOCHSCHULARCHIVEN UND ARCHIVENWISSENSCHAFTLICHER INSTITUTIONEN Beiträge zur Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 –Archivare an Hochschularchiven und Archiven wissen-schaftlicher Institutionen – des Verbandes deutscherArchivarinnen und Archivare am 23. und 24. März 2006an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.

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LITERATURBERICHTE

Hrsg. von der Universität des Saarlandes. Saarbrücken2007. 240 S., brosch. ISBN 978-3-940147-08-0 (Univer-sitätsreden 73)Der Band vereint 16 Aufsätze zum Thema. Mit zwei Ausnahmen(Plassmann und Nippert) liefern sie Erfahrungsberichte aus derjeweils örtlichen Archivpraxis, wobei Universitäten, Hochschulen,Akademien, Museen und andere Bildungseinrichtungen gleicher-maßen vertreten sind. Wolfgang Müller gibt zudem einen Situati-onsbericht zu den jüngsten Aktivitäten des Saarbrücker Univer-sitätsarchivs. Auf welches Interesse das Thema derzeit bei denArchivarinnen und Archivaren der Fachgruppe 8 des VdA stößt,lässt ein – für Tagungsbände eher ungewöhnliches – redaktionel-les Glück erkennen: Über den Kreis der Referenten hinaus botenacht Autorinnen und Autoren ergänzende Beiträge an. Im Ergeb-nis erhält der Leser damit, quer durch die Republik, Einblicke inArchive der Sparten-Kolleginnen und -Kollegen in Augsburg,Berlin, Bielefeld, Burgfarrnbach, Chemnitz, Düsseldorf, BurgGiebichenstein/Halle, Hamburg, Jena, Karlsruhe, Köln, München,Saarbrücken und Suhl.Ohne den Wert der übrigen Beiträge damit schmälern zu wollen,sei hier nur auf zwei Aufsätze besonders hingewiesen; sie sind imbesonderen für die Arbeit an Universitätsarchiven von grundle-gender Bedeutung und wurden vom Herausgeber daher zurechtden Erfahrungsberichten vorangestellt. Max Plassmann (Univer-sitätsarchiv Düsseldorf) kehrt in der „neueren Bewertungsdiskus-sion“ (S. 44) argumentativ überzeugend zu einem an Inhaltenorientierten Bewertungsverfahren zurück und stützt dieses aufdie Empfehlung eines – mittlerweile schriftlich vorliegenden –Dokumentationsprofiles für Universitätsarchive, das die Balancehält zwischen aus der Praxis entwickelten Theoremen und derMöglichkeit der effizienten Anpassung an spezielle Gegebenhei-ten. Dass die Bewertung des an Hochschulen entstehendenSchrift- und sonstigen Dokumentationsgutes angesichts eherschwieriger Voraussetzungen auf dieser Basis „systematischer,transparenter und wirtschaftlicher“ gelingen und die Planungvon Erschließungen und Bestandserhaltungen vereinfacht werdenkann, ist stichhaltig ausgeführt. Gleiches gilt für das von Klaus Nippert (UniversitätsarchivKarlsruhe) vorgestellte Votum für eine „integrierte Bewertung“,die als ein „Ansatz zu einem nachhaltigen Ressourceneinsatz imArchiv“ verstanden werden möchte. Auf der Basis der Ausführun-gen Plassmanns, die er durchaus stützt, hält uns Nippert hinrei-chend deutlich vor Augen, wie sehr heutzutage die im Archivverfügbaren finanziellen Ressourcen auch das Geschäft derBewertung des Archivgutes bestimmen (müssen). Sein aus eigenerErfahrung gewonnenes Resümee mündet in die schmerzhafteErkenntnis, die Bewertungsalternative „archivwürdig/kassabel“sei nicht mehr ohne weiteres tragfähig. Die Annahme, dassabsehbar Bewertung „durch die Einordnung in eine Dringlich-keitsskala abgelöst wird“ (S. 47 f.), mag zwar etwas überzogenklingen; dass bei der alltäglichen Archivarbeit Prioritäten gesetztwerden müssen, dürfte hingegen unstrittig sein. Die Kunst derFuge wird also darin bestehen, die notwendigen Schnitte bei derErhaltung archivwürdigen Materials „an der Machbarkeitsgren-ze“ bewusst und nachvollziehbar vorzunehmen und nicht zuwarten, bis sie sich aus Sachzwängen heraus der Planung undKontrolle mehr und mehr entziehen.

Werner Moritz, Heidelberg

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ERIC EHRENREICH, THE NAZI ANCESTRAL PROOF Genealogy, Racial Science, and the Final Solution.Indiana University Press, Bloomington – Indianapolis2007. XX, 235 S., geb. 34,95 US-$. ISBN 978-0-253-23945-3

Erst vor wenigen Jahren erschien mit Diana Schulles Dissertati-onsschrift über „Das Reichssippenamt. Eine Institution national-sozialistischer Rassenpolitik“ (Berlin 2001) die erste systemati-sche Untersuchung dieses für die Umsetzung der nationalsozialis -tischen Rassenpolitik wichtigen Amtes. Das Reichssippenamt, bis1940 Reichsstelle für Sippenforschung, wurde im Zusammenhangmit der Erstellung von Abstammungsnachweisen gutachterlichtätig, wenn nach Auswertung der üblichen Quellen (vor allemKirchenbücher und Personenstandsunterlagen) die „rassische“Einordnung einer Person nicht eindeutig oder umstritten war.Schulle hatte allerdings auf eine intensivere Auswertung der nochvorhandenen Abstammungsbescheide verzichtet, da sie ihre Zahl(etwa 300 von insgesamt ca. 160.000) als zu gering ansah, „umgesicherte Aussagen über eine Gesamthaltung der Mitarbeiterdieser Behörde gegenüber den rassenpolitischen Maßnahmen desStaates treffen zu können“ (S. 191). Auch wenn diese Einschätzung sicher zutrifft, ist die Analyse dernoch vorhandenen Abstammungsbescheide doch von einigemInteresse, wie die 2007 erschienene Dissertationsschrift von EricEhrenreich über „The Nazi Ancestral Proof. Genealogy, RacialScience, and the Final Solution” zeigt. Ehrenreich sieht in der Er -stellung der Abstammungsbescheide die „raison d’être“ desAmtes – ein wichtiges Element seiner Studie bildet daher dieAuswertung von 523 Einzelfallakten zu Abstammungsbeschei-den, die im Bundesarchiv überliefert sind. Ergänzend zog er dieersten 145 von insgesamt mehreren Tausend alphabetisch geord-neten Akten aus der Zweigstelle des Amtes für Sippenforschungder NSDAP in Wien heran, die sich heute im Wiener Stadt- undLandesarchiv befinden. Ehrenreich sieht in der Auffassung vom unterschiedlichen Wertder „Rassen“ eine wesentliche Grundlage des Nationalsozialis-mus und beginnt seine Untersuchung mit einer Leitfrage: War-um gab es im wissenschaftlich weit fortgeschrittenen Deutsch-land, im Land der „Dichter und Denker“, keinen individuellenoder institutionellen Widerstand gegen die Institutionalisierungder Rassenideologie? Die Antwort liegt für Ehrenreich im Zusam-menhang zweier historischer Phänomene: der institutionalisier-ten genealogischen Praxis im Kaiserreich und der Weimarer Re -publik als Voraussetzung und Grundlage für den nationalsoziali-stischen Arier- oder Abstammungsnachweis, der zur zentralenMethode für die Prüfung der „racial acceptability“ eines Men-schen wurde (S. XI). Die Studie beginnt mit einer Darstellung und Bewertung derrasse kundlichen Theorien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun-derts. Ehrenreich betont ihre Widersprüche gerade im Hinblickauf die Einordnung der Juden; allerdings bleibt er in seiner ana -lytischen Konsistenz deutlich hinter den Ergebnissen von Corne-lia Essner zurück, die mit ihrer 2002 erschienenen Habilitations-schrift über „Die ‚Nürnberger Gesetze‘ oder die Verwaltung desRassewahns 1933-1945“ einen überzeugenden Wegweiser im„Irrgarten der Rasselogik“ bot. Kapitel 2 und 3 zielen darauf, durch das Prisma der genealogi-schen Praxis die Entwicklung der rassekundlichen Ideen zwi-schen 1871 und 1933 zu beleuchten. Ehrenreich stellt hierzu

chronologisch die Entwicklung der genealogischen Forschung imKaiserreich und der Weimarer Republik vor. Er erläutert dieGründung von genealogischen Vereinen und Verlagen und erhelltden sozioökonomischen Hintergrund der Familienforscher unddie politische und kulturelle Ausrichtung ihrer Vereine. Dienationalsozialistische Rassenhygiene sieht er als Ergebnis derVerbindung von wissenschaftlicher Vererbungslehre, Eugenik undRassenkunde – alle drei Stränge werden in der genealogischenLiteratur bereits weit vor der Machtergreifung zunehmend the -matisiert (S. 24). Auch antisemitische Tendenzen waren – wennauch nicht flächendeckend – vorhanden und wurden vor allemvom „Deutschen Roland“ propagiert, der unter anderem durchBeiträge über in der Vergangenheit erfolgte Taufen von Juden die„Aufdeckung“ des jüdischen Hintergrunds ihrer Nachfahrenanstrebte (S. 29 f.). Mit der wachsenden Krisenstimmung in derWeimarer Republik wurden die „Einheit des Blutes“ aller Deut-schen und die Notwendigkeit einer „rassischen Säuberung“zunehmend Themen auch der genealogischen Literatur (S. 33).Zwar hätten die führenden Genealogen nicht selbst offen rassisti-sches Gedankengut unterstützt, allerdings hätten sie solches ingenealogischen Fachbeiträgen auch nicht kritisiert – es sei denn,es sei als „unwissenschaftlich“ angesehen worden. Hierin, in dervermeintlichen wissenschaftlichen Legitimation der nationalso-zialistischen Rassepolitik, sieht Ehrenreich den zentralen Grundfür ihre Akzeptanz durch die Genealogen und die deutsche Be -völkerung insgesamt. In den folgenden Kapiteln wendet sich Ehrenreich am Beispieldes Abstammungsnachweises der Institutionalisierung desRassismus im Nationalsozialismus zu. Rechtliche Grundlagebildeten neben dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbe-amtentums“ vor allem die Nürnberger Gesetze von 1935. Diegroße Mehrheit der deutschen Bevölkerung (Angehörige desöffentlichen Dienstes und des Militärs, Mitglieder der NSDAPund ihrer Gliederungen etc.) musste den Abstammungsnachweisführen, mehrheitlich in Form des „kleinen“ Abstammungsnach-weises (bis zu den Großeltern), teilweise auch in Form des „gro -ßen“ Abstammungsnachweises, der eine „arische“ Abstammungjedes nach dem 1. Januar 1800 geborenen Vorfahren forderte.Ehrenreich schildert zunächst die rechtlichen Anforderungenund die Prozedur der Dokumentenbeschaffung und stellt fest,dass der Abstammungsnachweis schnell ein „normales“ Elementdes öffentlichen Lebens wurde. Der Grund für seine Erstellung –die rassische „Säuberung“ – wurde nicht hinterfragt (S. 62). Diestark ansteigende Nachfrage nach Kirchenbüchern und Personen-standsregistern sowie nach Methoden genealogischer Forschungführte zu Regulierungsmaßnahmen, Gebühren wurden festge-legt, und 1933/34 fand sich mit der Einführung des „Ahnenpas-ses“ durch den 1920 gegründeten Reichsbund der deutschenStandesbeamten ein geeignetes Mittel zur Steigerung der büro-kratischen Effizienz (S. 68). Nebenbei sei erwähnt, dass FriedrichA. Knost, Mitglied des Reichsbundes der deutschen Standesbe-amten und Redakteur der „Zeitschrift für das Standesamtswe-sen“, 1936 zusammen mit Bernhard Lösener, Rassereferent imReichsministerium des Inneren, einen Kommentar zu den Nürn-berger Gesetzen verfasste und von 1939 bis 1943 Abteilungsleiterim Reichssippenamt war. Das tat seiner Stellung nach 1945keinen Abbruch – von 1957 bis 1980 war er Präsident des Bundes-verbandes der Deutschen Standesbeamten.Zentrale Institution in einem „schier unbeschreiblichen Durch-einander und Gegeneinander“ (so Wolfgang Ribbe 1998) von

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LITERATURBERICHTE

staatlichen und parteilichen sippenkundlichen Stellen war seit1935 die Reichsstelle für Sippenforschung, 1940 umbenannt inReichssippenamt. Vorläufer der Reichsstelle war seit 1933 derSachverständige für Rasseforschung beim Reichsministerium desInnern. Zur Unübersichtlichkeit trug wiederholte Personalunionbei – so war der langjährige Leiter der Reichsstelle für Sippenfor-schung / des Reichssippenamtes, Kurt Mayer, zugleich auch Leiterdes Amtes für Sippenforschung der NSDAP (und seit 1934 Vorsit-zender des bedeutenden genealogischen Vereins „Herold“).Ehrenreich geht hier einen unkonventionellen Weg: Aufgrund dergroßen Überschneidungen der zentralen staatlichen und parteili-chen Institutionen verwendet er für beides den Sammelbegriff„The Reich Genealogical Authority“ und spart sich weitereDifferenzierungen (S. 79). Seine Darstellung der Geschichte undAufgaben dieser „Authority“ muss schon angesichts ihres deut-lich geringeren Umfangs an Detailgenauigkeit hinter SchullesStudie zurückbleiben. Eine Ausnahme bildet die bereits erwähnteAuswertung der Abstammungsbescheide, die Ehrenreich imsechsten Kapitel vornimmt. Diese dienten der Klassifizierung alsvon „deutschem oder artverwandten Blut“, Mischling 1. Grades,Mischling 2. Grades, viertel-, halb- oder volljüdisch etc. (zudiesem „Rasserecht-Irrsinn“ sei wiederum auf Essners Studie ver -wiesen, hier S. 171 ff.) und wurden weit überwiegend auf derGrund lage zahlreicher vorzulegender oder von Amt selbst ermit-telter Dokumente erstellt (S. 97). Ehrenreich wertet die von ihmuntersuchten Abstammungsbescheide statistisch aus (u. a. hin-sichtlich Alter, Geschlecht, Wohnort, Beruf und Ergebnis derBegutachtung), konzediert aber selbst, das ihre Repräsentativitätfür die Grundgesamtheit der erstellten Abstammungsbescheidenicht sicher ist. Ertragreicher sind die Schlüsse, die über dasVerwaltungsverfahren gezogen werden können – so hinsichtlichder rassischen Einordnung von unehelich geborenen oder Findel-kindern. Ehrenreich schildert mittels verschiedener Fallbeispieleanschaulich entstehende Schwierigkeiten bei der „rassischenEinordnung“, die teilweise willkürliche Vorgehensweisen undEntscheidungen des Amtes sowie Strategien der Prüflinge, umeine günstigere Einordnung zu erzielen. Wenn der urkundliche Nachweis der Abstammung mittels ge ne a -logischer Methoden zu keinem eindeutigen Ergebnis führte,konnte das Amt ergänzend eine „erb- und rassekundliche“ Un -ter suchung durch ein dafür zugelassenes anthropologisches Insti -tut veranlassen. Ehrenreich behandelt die Durchführung diesererb- und rassekundlichen Untersuchungen im Kontext einesKapitels, das sich drei Nutznießern („beneficiaries“) des Abstam-mungsnachweises zuwendet, darunter an erster Stelle den Wis-senschaftlern. Zwar erfolgten erb- und rassenkundliche Untersu-chungen nur in geringem Umfang (Ehrenreich schätzt ca. 4 % derFälle), doch waren sie für den ganzen Prozess des Abstammungs-nachweises äußerst wichtig, da sie ihn mit dem An schein einerwissenschaftlichen Legitimation versahen – eine wichtige Voraus-setzung für die breite öffentliche Akzeptanz der nationalsozialisti-schen Rassenpolitik (S. 122). Ehrenreich bewertet speziell denrassekundlichen Teil der Untersuchung zu Recht als „Farce“ (S. 125), seine Darstellung hätte an Präzision und analytischerSchärfe allerdings gewinnen können, wenn er die Ergebnisse desForschungsprogramms „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesell-schaft im Nationalsozialismus“ berücksichtigt hätte. Genanntseien hier vor allem die Publikationen von Sheila F. Weiss (Hu-mangenetik und Politik als wechselseitige Ressourcen. DasKaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre

und Eugenik im „Dritten Reich“, online-Vorabdruck 2004) undHans-Walther Schmuhl (Rassenforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten vor und nach 1933, Göttingen 2003, sowie: Grenzüber-schreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie,menschliche Erblehre und Eugenik 1927 -1945, Göttingen 2005).Als weitere Nutznießer des Abstammungsnachweises sieht Ehren -reich die Genealogen und verweist unter anderem auf die Kom-merzialisierung durch Berufssippenforscher und die Publizierungvon Ratgebern und Ahnenpässen (S. 70 f.). Ehrenreichs auf derAuswertung zeitgenössischer genealogischer Literatur basierendeDarstellung ergänzt hier in sinnvoller Weise die Ausführungenvon Schulle über die Zusammenarbeit der Reichsstelle mit Gene a logen. Gleiches gilt für seine Darstellung der Zusammen -arbeit mit den beiden großen Kirchen, deren Kooperationsbereit-schaft angesichts der zentralen Bedeutung der Kirchenbüchereine uner lässliche Voraussetzung für die Erstellung von Abstam-mungsbescheiden war (S. 141).Die beiden abschließenden Kapitel widmet Ehrenreich der Frage,mit welchen weiteren Mitteln die breite Zustimmung der Bevöl-kerung zum institutionalisierten Rassismus erreicht werdenkonnte, und nennt unter anderem die behauptete historischeKontinuität, bei der eine Linie von der mittelalterlichen Ahnen-probe zum nationalsozialistischen Abstammungsnachweis kon -struiert wurde, sowie die juristische Grundierung und bürokrati-sche Abwicklung des Verwaltungsprozesses einschließlich detail-lierter Regularien bis hin zur Möglichkeit eines Widerspruchsgegen die Entscheidung der Reichsstelle (S. 156). Diese „Rationali-sierung“ der Rassenpolitik sowie ihre behauptete wissenschaftli-che Fundierung – so seine These – erleichterten es den Deut-schen, das zu glauben, was sie glauben wollten: Die Idee einerrassischen Überlegenheit gab der Ausbeutung „niedrigerer“ Ras -sen zum ökonomischen oder politischen Nutzen eine rationelleGrundlage. Wenn die rassekundlichen Ideen wissenschaftlichbegründet waren, war die Rassenpolitik das Ergebnis einer Not -wendigkeit, nicht eine eigennützige Wahl. Sie war essentiell fürdie Schaffung gesellschaftlicher Bedingungen für den Genozid,indem sie einen breiten sozialen Konsens für anti-jüdische Aktio-nen schuf – der Abstammungsnachweis ist hierfür ein treffendesFallbeispiel. Obwohl in seinen rechtlichen und methodischenGrundlagen äußerst fragwürdig, wurde seine Notwendigkeitnicht hinterfragt – ein Signal für die nationalsozialistische Füh -rung, dass eine noch radikalere Politik möglich sein würde (S. 170).Bilanzierend sei festgestellt, dass Ehrenreichs Untersuchung inTeilen eine interessante Ergänzung bereits vorliegender Studienbietet, so bei der Darstellung der Verbreitung rassekundlichenGedankenguts in der institutionalisierten Genealogie und durchdie Auswertung der noch vorhandenen Abstammungsbescheide,die einen Einblick in Vorgehensweisen und Ermessensspielräumeder Reichsstelle für Sippenforschung bzw. des Reichssippenamtesbietet. Seine Darstellung des fatalen Zusammenwirkens vonGenealogen, Standesbeamten, Kirchenfunktionären und Wissen-schaftlern illustriert zweifellos die breite Akzeptanz rassistischerVorstellungen. Ehrenreichs Ansatz, durch die Untersuchung derinstitutionalisierten genealogischen Praxis im Kaiserreich undder Weimarer Republik und des nationalsozialistischen Abstam-mungsnachweises eine Antwort darauf zu finden, warum es inDeutschland kaum Widerstand gegen die Institutionalisierungder Rassenideologie gab, greift aber angesichts der Komplexitätdes Geschehens letztlich zu kurz.

Thekla Kluttig, Leipzig

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Formulierungen sind immerhin ein legitimes Mittel, die wohlver-standenen Interessen der Zunft zu vertreten, mögen unbefangeneLeser sich durchaus auch differenziertere Zusammenhänge vor -stellen können.Mit dem „diakonie-spezifischen Altakten-Wildwuchs“ (vanSpankeren) und dessen sachgerechter Bewältigung unter denmeist bescheidenen Rahmenbedingungen des diakonischenRegistratur- und Archivwesens befassen sich die übrigen, sehrpraxisbezogenen Beiträge des Bandes. Dem/der erfahrenenArchivar/in bieten sie Altbekanntes in einer guten didaktischenAufbereitung; sie sind an ein Publikum gerichtet, das sich ohneVorkenntnisse mit den Eigenarten der Schriftgutverwaltung unddes Archivwesens vertraut machen möchte oder muss. Ausgehend von dem Gedanken, dass „ein gut organisiertes Büro[...] eine unverzichtbare Stütze für die tägliche Arbeit, die auchFreude bereiten soll“, sei, möchte Gabriele Stüber, orientiert amAlltag einer Behörde, den guten Sinn einer planmäßigen Organi-sation der Schriftgutverwaltung (einschließlich digitaler Unterla-gen) nahebringen. Eine geordnete Schriftgutverwaltung machtdas Verwaltungshandeln transparent; das ist eine unabdingbareVoraussetzung der Rechtsstaatlichkeit. Damit wäre dem zitierten„Wildwuchs“ zumindest für die Zukunft das Wasser abgegra-ben, wenn es denn nicht immer wieder Individualisten gäbe, diebei der permanenten Suche nach „verlorenen Urkunden“ amglücklichsten sind, weil sie hier ihre detektivischen Fähigkeitenbeweisen können. Gabriele Stüber gibt viele nützliche unddetaillierte Tipps zur effizienten Bewältigung des Büro-Alltags,von der Erklärung wichtiger Begriffe über die Organisation derSchriftgutverwaltung, den Aktenplan und die Akten, die Behand-lung digitaler Unterlagen – auch sie müssen sich dem Aktenplanfügen –, bis zur Aussonderung und Abgabe an das Archiv.Hier schließt Bärbel Thau mit ihrem Beitrag über die Bestands-bildung, Bewertung und Kassation an: „Müssen wir das eigent-lich aufheben?“ Diese Frage wird auch gerade von Nichtarchiva-ren, z. B. Finanzreferenten, gerne gestellt und sollte möglichstflüssig und überzeugend beantwortet werden. Das Dilemma liegtdarin, dass es allgemein gültige Bewertungskataloge nicht gibtund niemals geben kann. Vorrangig ist die Orientierung am Auf -bau einer aussagekräftigen Überlieferung. Was aussagkräftig ist,hängt von der Charakteristik des jeweiligen Registraturbildnersab. Hier wird man in der Diakonie keine für alle verbindlichenpraktischen Bewertungsstandards festlegen können. So be -schränkt sich die Verfasserin zu Recht auf die Darstellung objek-tiver Formalkriterien und eine vorsichtige, mit Beispielen versehe-ne Erörterung des inhaltlichen Kriteriums Evidenz- bzw. Infor-mationswert. Damit spätere Generationen unsere Entscheidun-gen und Irrtümer nachvollziehen können, sollte unbedingt einBewertungsprotokoll erstellt werden.Weil die Arbeit der Diakonie typischerweise personenbezogen ist,darf man sich nicht darüber wundern, dass der Schriftgutausstoßentsprechend strukturiert ist. Überwiegend personenbezogenesSchriftgut erfordert im Umgang besondere Sensibilität, so etwadie Patienten- und Klientenakten, die in vielen diakonischen Ein -richtungen massenhaft anfallen. Kerstin Stockhecke befasst sichmit diesem Unterlagentyp, der durch § 203 StGB besonderenstraf rechtlichen Schutz genießt, in einem eigenen Beitrag. DieArchivgesetze des Bundes, der Länder und der meisten Kirchenermöglichen eine Übernahme in das Archiv. Im Bereich derDiakonie müssten entsprechende Satzungen erlassen oder dieeinschlägigen archivrechtlichen Regelungen der verfassten Kir-

HANDBUCH ARCHIVARBEIT IN DER DIAKONIEOrganisieren – Informieren – Dokumentieren. Hrsg.vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche inDeutschland. Mit Beiträgen von Jan Cantow, MichaelHäusler, Matthias Honold, Reinhard van Spankeren,Kerstin Stockhecke, Gabriele Stüber, Bärbel Thau.Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2008. 184 S., geb.19,- €. ISBN 978-3-17-020362-4

Das vorliegende neue Handbuch will all jenen, die in Einrichtun-gen der Diakonie mit der Arbeit im Archiv betraut sind, Handrei-chung und Anleitung vor allem für die tägliche Praxis sein. Eswill zeitgemäße fachliche Standards, ganzheitliche Konzepte undverbindliche Regeln für eine effektive diakonische Archivarbeitvermitteln, weil man der Auffassung ist, dass die diakonischenEinrichtungen und Werke spürbar von der Arbeit ihrer Archiveprofitieren, sobald diese auf einer professionellen Basis ruht.Rechtzeitig zum 160. Jubiläum des bekannten Aufrufs Wichernszur Inneren Mission und sozialen Verantwortung erscheint somitein Band, der helfen soll, das historische Gedächtnis der InnerenMission bzw. Diakonie in Deutschland zu organisieren und ab -rufbar zu machen. Eigentlich handelt es sich um eine Vielzahl„historischer Gedächtnisse“; das liegt an der dezentralen Struk-tur der Diakonie, die – wie Reinhard van Spankeren in seinemeinleitenden Aufsatz „Das Archiv in der Diakonie: Gedächtnis,Lernort, Kompetenzzentrum für Informationsmanagement“anführt – 27.301 Einrichtungen mit fast einer halben Million Mit -arbeiterinnen und Mitarbeitern unterhält. Es gibt nur einigewenige größere Archive in der Diakonie, die hauptamtlich betreutwerden, so u. a. das des Diakonischen Werks der EKD, des Diako-nischen Werks Westfalen oder der Anstalten in Bethel. Es gibtauch Werke der Diakonie, die ihre archivwürdigen Unterlagen andas jeweilige Landeskirchliche Archiv abgeben. Im Prinzipkönnte jede diakonische Einrichtung ein eigenes Archiv haben.Daher soll das Buch auch all jene Personen ansprechen, die indiakonischen Einrichtungen Leitungsfunktionen innehaben: „Siemögen erkennen, dass diakonische Archivarbeit weder Luxus istnoch einfach nur nebenbei betrieben werden oder von Fall zuFall einmal intensiviert werden kann, wenn zufällig ein Jubiläumansteht. Wir wollen diese ‚Entscheider‘ in unseren Einrichtungenmotivieren, diakonische Archivarbeit zu fördern und zu ent-wickeln.“ (van Spankeren). Diese Arbeit kann in vielen Diakonie-archiven auch in Zukunft wohl nur nebenamtlich geleistet wer -den, was aber keinesfalls Abstriche an Professionalität bedeutenmuss. Da müssen zunächst einmal falsche Vorstellungen aus-geräumt werden: es gebe keine Antinomie zwischen Sozialarbeitund „Aktenarbeit“, unkontrollierte Aktenvernichtung diene nichtdem „Datenschutz“, die Ersatzverfilmung bzw. Digitalisierungvon Papiermassen sei keine Lösung, Archive seien keine Ansam -mlung von Kuriositäten. Archive in der Diakonie hätten sich – sovan Spankeren – inzwischen zu „Lernorten für eine lebendigeGeschichte des Helfens“ entwickelt; neben der traditionswahren-den und identitätsstärkenden komme ihnen auch eine gesell-schaftskritische Dimension zu.Eine zukunftsfähige diakonische Kultur des Helfens sei nichtohne die Fundierung in einer professionellen Archivarbeit zuhaben. Dieser Satz mag ähnlich überspitzt klingen wie das vor -gestellte Motto der diakonischen Archivarbeit: „keine Altenpflegeohne Aktenpflege“, oder der bekannte Slogan, an den er sichoffenbar anlehnt: „Keine Zukunft ohne Herkunft“. Griffige

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chen qua Satzung für anwendbar erklärt werden, weil eine Archi -vierung ohne formal-rechtliche Grundlage nicht legal wäre. DieVerfasserin rät, die für die Verwaltung vorgeschriebenen Aufbe-wahrungsfristen vor der Abgabe an das Archiv möglichst auszu-schöpfen, weil das Archiv nicht die Fachkompetenz für die Beant -wortung medizinischer Anfragen besitzt. Wie bei allen massen-haft anfallenden Einzelfallakten sieht sich das Archiv vor die Auf -gabe gestellt, einen repräsentativen Querschnitt für die Aufbe-wahrung zu bilden. Es werden die bekannten, überwiegend aufformalen Kriterien beruhenden Methoden vorgestellt. Methoden,die fachliches Detailwissen oder darüber hinaus prophetischeGaben voraussetzen, werden sich wohl kaum realisieren lassen.Wenn aber bereits bekannt ist, welche Einzelfälle wissenschaft-lich interessant sind, kann auch eine zusätzliche inhaltlich-quali -tative Auswahl getroffen werden. – Kerstin Stockhecke orientiertsich in archivrechtlichen Fragen an den „Richtlinien der EKD fürein Archivgesetz“ vom 10. Oktober 1997; hierin ist vorgesehen,dass Unterlagen aus Beratungsstellen („Klientenakten“) vor derAbgabe an das Archiv anonymisiert werden. Es handelt sich umeine Empfehlung, die keinesfalls von allen Landeskirchen in ihreArchivgesetze übernommen wurde. Der Rezensent hält einesolche Bestimmung für höchst problematisch, weil sie zur Verfäl-schung der Überlieferung führt. Sie ist auch systemwidrig; denndie Archivgesetze als Spezialgesetze des Datenschutzes halten inihren Benutzungsbestimmungen ein ausreichendes Instrumenta-rium vor, um den Umgang mit dergleichen sensiblen Materialienlegal zu gestalten. Sie gehen insoweit den allgemeinen Daten-schutzgesetzen vor. Im folgenden Beitrag befasst sich Michael Häusler mit der Ord-nung und Verzeichnung. Er gibt zu bedenken, dass die meistendiakonischen Einrichtungen weder eine (zentrale) Registraturnoch einen Aktenplan hatten (bzw. haben), so dass letzterer nichtals Richtschnur für die Ordnung des Bestandes herhalten kann.Vielfach liegen wohl nur Sachbearbeiterablagen vor. In solchenFällen empfiehlt er, sich an dem inneren Aufbau und der Ge-schäftsverteilung der Verwaltung zu orientieren („Verwaltungs-strukturprinzip“), was bedeutet, dass die Unterlagen einer Ab -teilung im Archivbestand zusammenbleiben. Das bedeutet aller -dings für die Benutzung die Suche desselben Betreffs an verschie-denen Stellen – es ist eben alles eine Frage der Perspektive! Mankönnte ja auch denken, dass das Archiv nachträglich einenAkten plan entwirft und ein wenig Registratur spielt. – Der Auf -satz bietet eine Vielzahl detaillierter, mit Beispielen gewürzterpraktischer Hinweise. Der Rezensent möchte allerdings einfachnicht glauben, dass „oft“ wirre Verhältnisse in der Verwaltungherrschen (S. 102) – denn sonst hätte die Diakonie nicht bis heuteüberlebt. Er möchte auch bezweifeln, dass es wirklich preiswerteEinzelplatzversionen gängiger Archivprogramme gibt (S. 106). AufSeite 120 soll es wohl heißen: „aus einem Überblick über dieGeschichte des Bestandsbildners und des Bestandes“. – „Be -stands erhaltung und Archiveinrichtung“ ist das Thema desnächsten (und vorletzten) Beitrags von Jan Cantow, der schreibt:„Die dauerhafte Sicherung der Archivalien aber ist alternativlos.“(S. 123). Diesen Kernsatz bedenkenlos akzeptierend kann mangleich weiter fragen: „Aber wie?“ Gerade in Sachen Bestandser-haltung und Unterbringung klaffen Wunsch und Wirklichkeit inder Regel am weitesten auseinander. Cantow referiert die bekann-ten Zielvorstellungen, versäumt jedoch nicht einzuräumen, dassin der Praxis Kompromisse zwischen räumlichen Gegebenheiten,wirtschaftlichen Möglichkeiten und konservatorischen Notwen-

digkeiten – man müsste ergänzen: „und personellen Möglichkei-ten“ – geschlossen werden müssen. Das weiß jeder langgedienteArchivar, besonders, wenn er schon mehrmals Anläufe zu einerNeubauplanung unternommen hat. Auf Seite 134 ist ein Druck-fehler unterlaufen: CO2 ist Kohlendioxid, nicht Kohlenmonoxid(CO). Dem Rezensenten war bislang nicht bekannt, dass Bücheruneinheitlich gelagert werden (S. 138); ihm ist nur die vertikaleLagerung geläufig, zumindest, soweit es sich um Bibliotheksguthandelt. Vielleicht wurde hier auch etwas missverständlich aus -gedrückt. Das Kopieren von Archivgut auf Bürokopierern (S. 141)ist immer problematisch; wenn irgend möglich, sollte man aufeinen richtigen Buchscanner mit schonender Beleuchtung undBuchwippe umsteigen. Die Benutzer nehmen Digitalkopien, wo -möglich noch im PDF-Format, sehr gerne entgegen. Auch inpuncto Mikroverfilmung (S. 142) darf nicht unerwähnt bleiben,dass neue Mikrofiche-Lesegeräte inzwischen kaum noch auf demMarkt angeboten werden. Der Mikrofiche als Arbeitsmittel istwohl zum Aussterben verurteilt. – Der letzte Beitrag, verfasst vonMatthias Honold, ist der Benutzung und der Öffentlichkeitsar-beit gewidmet. Honold hält die Öffnung der Diakoniearchivegrundsätzlich für wünschenswert, vertritt aber andererseits dieAuffassung, dass das in den Archivgesetzen formulierte Recht aufBenutzung vielleicht für die Benutzungsordnung eines diakoni-schen Archivs „zu weit gefasst“ sei (S. 147). Dem ist entgegenzu-halten, dass die Schranken dieses Rechts (z. B. Schutzfristen,Persönlichkeitsrechte) in allen Archivgesetzen und Benutzungs-ordnungen bereits mit bedacht werden. Die diakonischen Archivewerden auch im Hinblick auf ihre Besonderheiten durch diegängigen Benutzungsbestimmungen hinreichend geschützt.Honold führt alle Aspekte der Benutzung und der Öffentlich-keitsarbeit in einem – in der Regel – kleinen Archiv an. Dem istnichts hinzuzufügen. – Ein „Serviceteil“ mit nützlichen Hinweisenund Beispielen, ein Literaturverzeichnis und Kurzbiografien derAutorinnen und Autoren runden den empfehlenswerten Band ab.

Werner Jürgensen, Nürnberg

CHRISTINE VAN DEN HEUVEL, KLEINE NIEDERSÄCH-SISCHE ARCHIVKUNDE Eine Orientierungshilfe für die Ausbildung zum/rFachangestellten für Medien- und Informationsdienste– Fachrichtung Archiv. 177 S., 29 Abb., kart. 9,90 €.ISBN 978-3-7752-5917-0 (Kleine Schriften des Nieder-sächsischen Landesarchivs, H. 1)

Im zentralen Ausbildungsarchiv des Landes Niedersachsen fingenim Jahr 2003 erstmals unter der Leitung von Christine van denHeuvel drei Auszubildende mit einer Ausbildung zum/r Fachan-gestellten für Medien- und Informationsdienste – FachrichtungArchiv an. Die Situation war schwierig: Es gab keine geeignetenLehr- oder Handbücher und der Berufsschulunterricht war aus -schließlich auf die Fachrichtung Bibliothek beschränkt. 2004erschien die von Norbert Reimann herausgegebene „PraktischeArchivkunde“, die bei allen in der Ausbildung engagierten Kolle -gen, Kolleginnen und den Auszubildenden auf große Resonanzstieß. Es stellte sich schnell heraus, dass diese wichtige Veröffent-

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Voraussetzung einer effektiven staatlichen Archivarbeit sindKenntnisse der Schriftgutverwaltung innerhalb der niedersächsi-schen Landesverwaltung. So werden Aktenplan und Aktenordnunganhand der niedersächsischen Gegebenheiten erläutert. Kurz wirdauch die kommunale Schriftgutverwaltung aufgegriffen.Eine Literaturauswahl, der Abdruck des NiedersächsischenArchivgesetzes, die Benutzungsordnung des NiedersächsischenLandesarchivs sowie Mustervordrucke für Archivarbeiten wieKassation und Aktenzugänge runden im Anhang den Band ab.

Sabine Maehnert, Celle

LEADING AND MANAGING ARCHIVES AND RECORDSPROGRAMS Strategies for Success. Edited by Bruce W. Dearstyne.Facet Publishing, London 2008. 347 S., kart. 44,95 £.ISBN 978-1-85604-654-1

Der vorliegende Band eröffnet eine neue Buchserie (The Archivist’sand Record Manager’s Bookshelf). Er wendet sich einem Themazu, das in dieser Form in der deutschen Fachliteratur noch nichtbehandelt wurde: Welches sind die Erfolgsstrategien für Füh -rungskräfte in den Archiven? Diese eingedeutschte Leitfrage isterklärungsbedürftig. Denn erstens sind, wie der Titel schon aus -weist, nicht nur Archive, sondern „Records“ Gegenstand der Aus -führung. „Records“ werden definiert als „the evidence of what theorganization does”. Sie sind Kernstück vor allem des unternehme-rischen Handelns, entsprechend wird man auf der Suche nacheinem deutschen Wort für „Records Manager” wohl am ehestenUnternehmensarchivar ansetzen müssen. Records Manager schei-nen aber angesehener zu sein als deutsche Unternehmensarchive,jedenfalls wenn man von diesem Buch ausgehen kann. Obwohl inzwei Berufsverbänden organisiert, der Society of American Archi-vists (SAA) einer- und der Association of Records Managers andAdministrators (ARMA) andererseits, sieht der Herausgeber die -ses Bandes die Herausforderungen für beide Berufsgruppen imRahmen von „Informationspolitik“ als beinahe kongruent an.Deswegen kann er auch Beiträge sowohl der einen wie der ande-ren Seite hier einbeziehen. Allerdings ist stärker „Leadership“ als„Management“ gefragt. Dies wird aller dings erst spät (S. 292 f.)explizit gemacht, wobei die schroffe Ge genüberstellung (The lea -der innovates, the manager administers usw., S. 293) sicher zu kurzgreift und in einem Aktionsprogramm die ausgewogene Balancezwischen Leadership und Management gefordert wird (S. 315). Diese Vorbemerkungen sind wichtig, um die Beiträge im einzel-nen zu verstehen, denn man könnte den Eindruck gewinnen, siehandelten von einer anderen, uns völlig fremden Kultur, gäbe esnicht auch selbstkritische Äußerungen über unterentwickelteFührungskompetenzen unter amerikanischen Archivaren (S. 14 f.).Der Herausgeber benennt einleitend die großen Herausforderun-gen und Chancen: der technologische Wandel und die darausabgeleitete neue Rechtsprechung in den USA, die die Positionender Archive stärkt; die Allianz mit den Trägern; die Sicherungvollständiger Überlieferung; die neuen Gefährdungen von Ar-chivgut durch Umweltkatastrophen und Terroristen; mangelnde

lichung aber kein Ersatz für einen Leitfaden zur niedersächsi-schen Archivkunde sein konnte, der sich an den speziellen Ver-hältnissen innerhalb der niedersächsischen Landesarchivverwal-tung orientiert. Dies war das Ziel des vorliegenden Bandes.Die vorgelegte Kleine Niedersächsische Archivkunde ist einehilfreiche und informative Lektüre für in der Ausbildung befind-liche Fachangestellte für Medien und Informationsdienste imFach bereich Archiv, Praktikanten und auch andere am nieder-sächsischen Archivwesen Interessierte. Kurz und kompakt, dazuleicht verständlich führt die Verfasserin umfassend in das Nieder-sächsische Archivwesen ein. Das kommunale niedersächsischeArchivwesen wird wenig erörtert und hätte mehr Aufmerksam-keit verdient, dem eigentlichen Zweck des Bandes „allgemeineAusbildungsrichtlinien in konkrete Ausbildungsinhalte der regio -nalen ‚Archivlandschaften‘ des Bundeslandes Niedersachsen um -zusetzen“ wird er in jedem Fall gerecht.Nach einer allgemeinen Einführung in die Archivkunde nimmtdie Beschreibung der speziellen niedersächsischen Archivland-schaft breiten Raum ein. Insbesondere stellt die Verfasserin dasniedersächsische Landesarchiv mit seiner speziellen Geschichte,seiner Struktur und mit einer Kurzinformation zu den verwahr-ten Beständen vor. Einer namentlichen Aufzählung der vorhande-nen Kommunalarchive und der deren Existenz begründendengesetzlichen Regelungen geht eine Kurzbeschreibung aller kirchli-chen Archive in Niedersachsen voran.Darüber hinaus weist van den Heuvel auf weitere in Niedersach-sen vorhandene Archive wie Guts- und Adelsarchive, Herrschafts-und Hausarchive, deren Mehrzahl sich als Depositum in denstaatlichen Archiven des Landes Niedersachsen befindet, hin. ZurGründung eines Wirtschaftsarchivs ist es in Niedersachsenbislang nicht gekommen. Ein erster Schritt in diese Richtung wardie Errichtung der Stiftung „Niedersächsisches WirtschaftsarchivBraunschweig“. Archivalien aus niedersächsischen Wirtschafts-unternehmen befinden sich in jedem der sieben niedersächsi-schen Staatsarchive, aber auch in den niedersächsischen Kommu-nalarchiven. Eine Aufstellung der in Niedersachsen vorhandenenWirtschaftsarchive ist wie die Auflistung aller niedersächsischenGuts- und Familienarchive ein Desiderat. Einzig der 2004 heraus-gegebene Archivführer für die Region Hannover sowie der 1995veröffentlichte Archivführer für den Landkreis Celle erfassen dieim jeweiligen Bereich vorhandenen selbstständigen Kammer- undWirtschaftsarchive. Abschließend nennt die Autorin die Parla-ments-, Partei- und Verbandsarchive, die Medienarchive, dieHoch schularchive und die Archive der wissenschaftlichen Institu-tionen im Bundesland Niedersachsen mit Adresse und einerKurz beschreibung der verwahrten Bestände.An konkreten Beispielen des Landesarchivs Niedersachsen wer -den der Aufbau und die Gliederung eines Archivs ebenso wie dieverschiedenen Arten von Archivgut erläutert und mit Fotos illus -triert. Dabei steht die ganze Bandbreite des klassischen Archiv-guts im Mittelpunkt.Der vierte Abschnitt der Veröffentlichung widmet sich den Auf -gaben des Niedersächsischen Landesarchivs, die das Niedersäch-sische Archivgesetz regelt und die sich aus ihm ableiten lassen.Die Verzeichnung der Akten mit der Archivsoftware AIDA, dieErstellung von Klassifikationen, Registern, die Gestaltung einesFindbuchs stellt die hannoverschen Gegebenheiten vor. Archiv-technik und Bestandserhaltung sowie die verschiedenen Mög-lichkeiten der archivischen Öffentlichkeitsarbeit runden diesesKapitel ab.

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LITERATURBERICHTE

Ressourcen in den Archiven. Eugenia K. Brumm, eine archivnaheUnternehmensberaterin, benennt dann Eigenschaften einesidealen Records Managers, der eine „Leadership Role“ spielt:strategisches Denken, Visionen, Innovationen, Risikobereitschaft,Aufbau eines Netzwerks. Diane K. Carlisle schildert anschließenddie Standards, die ARMA anwendet, Carol Choksy, ebenfallsARMA, ein Managementprogramm, das auch die mittleren undunteren Hierarchieebenen einbezieht.Dem allgemeinen Teil folgen zehn Darstellungen aus der Federerfahrener Archivarinnen und Archivare mit einschlägiger Lei-tungserfahrung. Der Herausgeber sieht einen Generationswech-sel heraufziehen und hat deshalb sie gebeten, ihre Erfahrungenwei terzugeben und festzulegen, was aus ihrer persönlichenPerspektive „Leadership“ bedeutet und wie sie sie gelebt haben.Diese Erfahrungsberichte bieten eine faszinierende Binnensichtauf amerikanische öffentliche und private Archive in ihrer ganzenVielgestaltigkeit, die sie von kontinentaleuropäischen Archivenabhebt. Es muss hier genügen, die prominenten Autoren mitihren wichtigsten Berufsstationen zu benennen: Peter Emmerson(British Steel), James E. Fogerty (Minnesota Historical Society),Mark A. Greene (American Heritage Center Wyoming), EdieHedlin (Smithsonian Institution Archives), Philip F. Mooney(Vermont State Archives), Philip F. Mooney (Coca Cola), KelvinSmith (The National Archives, London), Leon Stout (Penn StateUniversity) and Christine Ward (New York State Archives). MarkA. Greene ist aktueller Präsident, Edie Hedlin eine frühere Prä -sidentin der SAA. Bruce W. Dearstyne zieht abschließend einedoppelte Summe aus den Beiträgen. Zuerst vermittelt er klareBot schaften über „Leadership“ im Archiv und ihre Varianten undentwickelt ein Programm für Strategien, sodann gibt er künftigeThemen sowie Quellen zur weiteren Lektüre an. Alle Leserinnenund Leser dieser Zeitschrift, die mit wachen Sinnen und mit Füh -rungsverantwortung die gegenwärtigen Entwicklungen registrie-ren, werden entdecken, dass die Autoren des Bandes keine leerenPhrasen dreschen, sondern selbstkritisch Bilanz ziehen und prü -fen, wie sie ihre Rolle als Führungskraft wahrgenommen haben.Vergleichbare Rechenschaftsberichte fehlen in unserem Landwohl auch deshalb, weil Kompetenzen dieser Art lange nicht oderkaum gefragt waren. Wer Diskussion über das archivische Berufs-bild verfolgt, weiß, dass genau deshalb ein grundlegender Wandeleingesetzt hat. Das Buch kommt also für Führungskräfte aufallen Ebenen in deutschen Archiven genau richtig.

Wilfried Reininghaus, Düsseldorf

FRANZ MAIER, BIOGRAPHISCHES ORGANISATIONS-HANDBUCH DER NSDAP UND IHRER GLIEDERUNGENIM GEBIET DES HEUTIGEN LANDES RHEINLAND-PFALZ v. Hase & Koehler, Mainz/Zarrentin 2007. VIII, 587 S.,zahlr. Abb., geb. 29,- €. ISBN 978-3-7758-1407-X(Veröffentlichungen der Kommission des Landtagesfür die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 28)

Über sechs Jahrzehnte nach dem Untergang der nationalsozialis -tischen Gewaltherrschaft in Deutschland stößt die regional- und

lokalgeschichtliche Erforschung des Nationalsozialismus nachwie vor auf großes Interesse. Dies ist zum einen dem Umstandgeschuldet, dass die historische Forschung seit längerer Zeit er -kannt hat, dass die Betrachtung örtlicher und regionaler Gege-benheiten entscheidend zum Verständnis der NS-Zeit beitragenkann. Zum anderen interessieren sich seit vielen Jahren aber auchzahlreiche Bürgerinnen und Bürger für die Aufarbeitung dernationalsozialistischen Vergangenheit ihrer Wohnorte und Hei-matregionen.75 Jahre nach Hitlers „Machtergreifung“ hat Franz Maier im Auf -trag der Kommission des Landtages für die Geschichte des Lan -des Rheinland-Pfalz nun eine Publikation vorgelegt, die sich denregionalen Funktionsträgern der NSDAP im Gebiet des heutigenBundeslandes Rheinland-Pfalz widmet. Dieses gewissermaßen„aus der Retorte“ entstandene Land war nach dem Zweiten Welt -krieg von der französischen Besatzungsmacht aus Teilen derdeutschen Länder Bayern, Hessen und Preußen gebildet worden,was die räumliche Einteilung des Untersuchungsgebiets durchauserschwert. Da die politischen Organisationsstrukturen derNSDAP sowie deren Funktionäre im Mittelpunkt der Untersu-chung stehen, entschloss sich Maier dazu, die ehemaligen Partei-gaue der NSDAP zur Abgrenzung heranzuziehen. Für die betref-fenden Regionen rückten somit drei NSDAP-Gaue in den Blick-punkt: die Gaue Rheinpfalz und Koblenz-Trier sowie der 1933aus den Gauen Hessen und Hessen-Nassau Süd gebildete NSDAP-Gau Hessen-Nassau. Mit einbezogen wurden vom Autorzu dem auch jene Gebiete, die nach 1933 an die genannten Gaueangeschlossen worden waren. Dies betrifft das Saargebiet, dashinsichtlich der Parteiorganisation 1935 mit dem Gau Rheinpfalzzum NSDAP-Gau Saarpfalz verschmolzen war, sowie die Gebietedes Regierungsbezirks Metz (Lothringen) und des Großherzog-tums Luxemburg, die nach der Besetzung durch die deutscheWehrmacht 1940/41 organisatorisch in die angrenzenden NSDAP-Gaue Saarpfalz (ab 1940: Westmark) und Koblenz-Trier(ab 1941: Moselland) eingegliedert worden waren.Die Beschreibung des Aufbaus der NSDAP in den Parteigauendes Untersuchungsgebiets von den Anfängen der Partei 1920/21bis zum Zusammenbruch des NS-Staats steht am Beginn derAus führungen. Maier kann dabei einige bemerkenswerte regiona-le Unterschiede aufzeigen: Während sich etwa in der Pfalz trotzschwieriger Rahmenbedingungen unter französischer Besatzungbereits in den zwanziger Jahren eine gut funktionierende Organi-sation auf Gauebene herausgebildet hatte, krankte der Parteiauf-bau im benachbarten und ebenfalls französisch besetzten Rhein-hessen am Mangel an geeigneten Persönlichkeiten, an Streitigkei-ten mit der Gauleitung im unbesetzten Teil Hessens und an teil -weise heftigen Auseinandersetzungen unter den rheinhessischenParteigenossen. Dies zeigt, welche außerordentliche Bedeutungden Funktionsträgern der NSDAP für den Erfolg oder Misserfolgdes Parteiaufbaus auf regionaler Ebene – und damit zumeistauch für das lokale Abschneiden der NSDAP bei Wahlen in derWeimarer Republik – zukam. Nach einem Überblick über dieGliederungen und angeschlossenen Verbände der NSDAP imUntersuchungsgebiet ist daher folgerichtig den beruflichen undpolitischen Lebensläufen der NS-Funktionäre der über 400 Seitenumfassende Hauptteil des Handbuchs gewidmet. Sehr zweck -mä ßig ist dabei die den insgesamt 353 Kurzbiographien als Über -blick vorangestellte Liste der Funktionsträger in den genanntenNSDAP-Gauen, von den Gauleitern bis hinunter auf die Ebeneder Kreisleiter. Für den Gau Hessen-Nassau enthält die Liste

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allerdings nur Angaben zu den Leitern der Provinz Rheinhessenund des Bezirks Rhein-Lahneck sowie zu den entsprechendenKreisleitern. Da weder die NSDAP-Gauleitungen Hessen undHessen-Nassau Süd noch die Führung des 1933 aus diesen beidenGauen gebildeten NSDAP-Gaus Hessen-Nassau auf dem Gebietdes heutigen Landes Rheinland-Pfalz ansässig waren, verzichteteder Autor darauf, die entsprechenden Gauleiter und Gauamtslei-ter in die Liste und in den biographischen Teil mit aufzunehmen.Zweifellos hatten allerdings insbesondere seit der nationalsozialis -tischen Machtübernahme 1933 die in der Gauleitung Hessen-Nassau getroffenen Entscheidungen maßgeblichen Einfluss aufden organisatorischen Aufbau der NSDAP und auf die Besetzungpolitischer Schlüsselpositionen in diesen Regionen des Untersu-chungsgebiets.Die einzelnen Kurzbiographien schließlich sind alphabetisch ge -ordnet und nach einem einheitlichen Schema übersichtlich auf -gebaut. Sie enthalten neben den üblichen Eckdaten insbesondereAngaben zur Konfessionszugehörigkeit, zum beruflichen Werde-gang, zur Karriere innerhalb der NSDAP und – sofern bekannt –zum Nachkriegsschicksal der Protagonisten. Die Lebensläufebieten damit nicht nur Einblicke in Funktionen und PositionenEinzelner, sondern auch in soziale Strukturen innerhalb der NS-Führungsebene. Zu rund einem Viertel der beschriebenen Perso-nen sind außerdem Porträtfotos beigefügt. Die Biographien sindzwar je nach Quellenlage und/oder Bedeutung der einzelnen Par -teifunktionäre von unterschiedlicher Qualität und Aussagekraft.Sie vermitteln aber in ihrer Fülle und vor dem Hintergrund derdargestellten Organisationsstrukturen einen eindrucksvollen undumfassenden Einblick in die politische Führungsschicht der NS-Zeit in den untersuchten Regionen und machen so das Hand -buch zu einem wertvollen Nachschlagewerk für die NS-Forschungin Rheinland-Pfalz und darüber hinaus.

Frank Teske, Mainz

CORD PAGENSTECHER, BERNHARD BREMBERGER,GISELA WENZEL, ZWANGSARBEIT IN BERLIN Archivrecherchen, Nachweissuche und Entschädigung.Metropol Verlag, Berlin 2008. 320 S., brosch. 22,- €.ISBN 978-3-938690-74-1

Die Nachweisbeschaffung für ehemalige NS-Zwangsarbeiterunterschied sich in Berlin vor allem in zwei Punkten vom Vorge-hen der übrigen Bundesländer. Zum einen leistete es sich dasLand Berlin, für die Recherchen zusätzlich zum vorhandenenPersonal ein dreiköpfiges Historikerteam anzustellen. Zumanderen wurde in Berlin nicht das Landesarchiv, sondern dasLandesverwaltungsamt damit beauftragt, als Landeskoordinie-rungsstelle die Aufgaben wahrzunehmen, die sich für das Landaus dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Ver -antwortung und Zukunft“ ergaben. Diese merkwürdige Konstel-lation bedeutete faktisch die vorübergehende Schaffung einerneuen Dienststelle und vermied die Überfrachtung einer beste-henden Einrichtung mit einer zusätzlichen Aufgabe. Das Ergeb-nis, das besagtes Historikerteam nun mit seiner Publikation

resümiert, war und ist dementsprechend beachtlich. Von derersten bis zur letzten Seite spürt der Leser, wie die Autoren mitHerzblut bemüht waren, das Unrecht der Zwangsarbeit in Berlinaufzudecken und den Opfern zu einer – wenn auch nur symboli-schen – Leistung aus dem Stiftungsfonds zu verhelfen. Dass siedabei archivübergreifend jeder ermittelten Spur zu potenzielleinschlägigen Quellen nachgehen konnten, ermöglichte ihnenüber die Recherche nach Namen hinaus auch die schrittweiseRekonstruktion historischer Gegebenheiten, etwa bisher unbe-kannter Zwangsarbeiterlager oder Firmengeschichten. Ihr Buchist daher deutlich mehr als nur eine Dokumentation des Nach-weisbeschaffungsprojekts in Berlin.Der Sammelband von Einzelbeiträgen der drei Autoren ist in fünfBeiträge zur Entschädigungsgeschichte und zur Arbeit der Koor-dinierungsstelle, drei zur Beschreibung besonders relevanterArchive und Sammlungen und zehn auswertende Beiträge zueinzelnen Dokumenten und Überlieferungen bestimmter Prove-nienzstellen gegliedert.Einige Beiträge seien herausgehoben. Gisela Wenzel skizziert denin der Koordinierungsstelle angelegten Bestand schriftlicherDirektanfragen Betroffener und zeigt Möglichkeiten zu seinerwissenschaftlichen Auswertung auf. Cord Pagenstecher be -schreibt auf staunenerregenden 22 Seiten Geschichte, Strukturund Arbeitsweise des Internationalen Suchdienstes in Bad Arol-sen. Dabei ist dieser Beitrag wohl der einzige, von dem sich selbstsein Verfasser wünschen dürfte, dass er so bald als möglich durcheinen besseren überholt werde, durch einen, der vom ISD selbststammt. Pagenstechers anschließende aufschlussreiche Beschrei-bung des NS-Archivs des Ministeriums für Staatssicherheit derDDR war beim Erscheinen des Buchs bereits selbst historisch, dadie Abgabe der Akten durch das Bundesarchiv an die für die je -weiligen Provenienzstellen zuständigen Archive schon erfolgt war.Insofern sind leider auch zahlreiche, über alle Beiträge verstreuteArchivsignaturen in den Fußnoten nicht mehr stimmig. Ein Bei -trag von Bernhard Bremberger über die Außenstelle Ludwigsburgdes Bundesarchivs mit den Unterlagen der „Zentralen Stelle derLandesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischerVerbrechen“ vervollständigt die Trias der behandelten „Sonderar-chive“.Im besonders aufschlussreichen letzten Teil des Buchs behandelndie drei Autoren die Überlieferungen der Berliner Meldebehör-den, Standesämter und Gesundheitsämter, Rentenversicherungen,Krankenkassen und Banken, Betriebskarteien und Firmenaktensowie der den deutschen Dienststellen und Arbeitgebern von denAlliierten vorwiegend in den Jahren 1945 und 1946 in mehrerenAktionen abverlangten Ausländerlisten. Eine kurze Geschichteder Neuköllner Fahrzeugfirma Gaubschat, die an der Herstellungmobiler Gaskammerwagen beteiligt war, und ein mit einerEinleitung versehener Abdruck der Denkschrift des LegationsratsGotthold Starke „Ostarbeiter – Entscheidender Faktor des End-sieges“ vom 16. August 1943 bringen den Leser am Ende desBuchs noch einmal ganz nahe ans historische Geschehen. Nichtsonderlich gut schneiden die von der Berliner Koordinierungs-stelle kontaktierten Wirtschaftsunternehmen ab. Trefflich mit„Haben wir nicht!“ überschrieben, ist ihrem Bemühen um Ar -beits nachweise für ihre eigenen ehemaligen Zwangsarbeiter derletzte Beitrag gewidmet.Ein sehr gutes Literaturverzeichnis sowie der Abdruck der für dieArbeit der Koordinierungsstellen besonders wichtigen Abschnitteaus dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Ver -

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LITERATURBERICHTE

det im Wesentlichen drei Theorieansätze: die Theorie der Ge-schichtswissenschaft in der Tradition von Droysen (Historik), dieTheorie des kulturellen Gedächtnisses und die Adaption desArchivbegriffs durch Philosophie und Kulturwissenschaft.Letzterer begegnet Schenk (wie viele seiner Archivarskollegenauch) mit deutlichen Vorbehalten. Von „undurchsichtigen Kon-zepten“ (S. 19) ist die Rede, ebenso von „gravierende[n] Missver-ständnisse[n]“ (S. 20) der kulturwissenschaftlichen Richtung.Insgesamt bleibt die Auseinandersetzung oberflächlich undunvollständig. Ausführlicher und sympathiegetragener widmetsich Schenk der Theorie des kulturellen Gedächtnisses und derHistorik. Beide scheinen für ihn in einem logisch-hierarchischenZusammenhang zu stehen. Man müsse, so fordert Schenk, „diekonkrete Geschichte erst einmal kennen, um sich mit ihr [...]auseinandersetzen zu können. Die Hüllen des kulturellen Ge-dächtnisses, insoweit dieses in der Sache unzureichend ist“,müssten „abgeworfen, die Punkte der Irritation, die in ihmenthalten sind, zum Anstoß für ein genaueres, von Illusionen undParteilichkeit möglichst freies Studium genommen werden“. (S.30) Mit seiner Auffassung, dass jeder Auseinandersetzung mitsubjektiven Geschichtsbildern zwangsläufig die Beschäftigungmit den objektiven Tatsachen vorauszugehen habe, wiederholtSchenk im Wesentlichen die geläufige Postmoderne-Kritik vonHistorikern wie Richard J. Evans (Fakten und Fiktionen) oderLucian Hölscher (Neue Annalistik). Neu bei ihm ist allerdings,dass die These vom logischen Vorrang historischer Objektivitätgenutzt wird, um den Wert und die Wichtigkeit von Archiven zubegründen. Archive erscheinen bei Schenk als der Ort, an demGeschichtskonstruktionen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüftwerden können. Die „Neutralität“ der Archive ermöglicht einsachliches „Korrektiv des kulturellen [...] Gedächtnisses“ (S. 48).Der Archivar halte sich nur an das, „was belegbar ist“ (S. 109). Mit seinem „Ethos des Details“ (ebd.) sei er Treuhänder des Ge -meinwesens, Anwalt einer „Kultur der historischen Evidenz“ (S. 51). Was das bedeutet, konkretisiert Schenk am Beispiel vonAuf gaben aus der archivischen Praxis. Besonders wichtig undaufschlussreich sind dabei die Ausführungen zur Überlieferungs-bildung. Die Bewertung sei die „langfristig folgenreichste Tätig-keit des Archivars“ (S. 81). Von ihr verlangt Schenk, dass sie trotz„größte[r] Eingriffe in die Materialität der Vergangenheit“ (ebd.)eine „unverfälschte Basis für die Erkenntnis unserer Gegenwart“sichere (S. 85). Dazu gebe es „Regeln und Tricks“ (S. 83), allenvoran der Abgleich zwischen den Überlieferungen unterschiedli-cher Provenienzstellen. Durch genaue Kenntnis der Entstehungs-zusammenhänge ließen sich Redundanzen vermeiden. Allerdingsreiche eine provenienzorientierte Analyse und eine daraus resul-tierende Kassation von Schriftgut bei den nur „beteiligten oderhinzugezogenen Stellen“ in den meisten Fällen „quantitativnicht“ aus (ebd.). Deshalb müsse auch eine „inhaltlichte Ein-schätzung des Quellenwerts“ hinzutreten (S. 84). An diesemPunkt offenbaren sich bei Schenk Aporien der Theorie. DieMahnung zur Objektivität, zum Verzicht auf „standortgebunde-ne Wertungen“ (S. 85) verträgt sich nicht mit inhaltlichen Wer-tungen. Objektivität ist somit bei Schenk nur eine ideale Ziel -setzung. Man könnte mit gleichem Recht sagen: eine Schimäre.Archive sind hineingerissen in den Strom der Geschichte. Indemsie Überreste auswählen und damit neue Kontexte herstellen,sind sie selbst Konstrukteure der Geschichte. Die kulturwissen-schaftliche Forschung hat dies längst erkannt und damit be -gonnen, die Archive als Geschichtsbildner genauer in den Blick

ant wortung und Zukunft“ und des einschlägigen Beschlusses desBerliner Abgeordnetenhauses runden das Werk ab.

Karsten Kühnel, Berlin

DIETMAR SCHENK, KLEINE THEORIE DES ARCHIVS Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008. 112 S., kart. 19,- €. ISBN 978-3-515-09143-5

Eine Theorie des Archivs ist ein wichtiges und dringendes Unter-fangen. Sie steckt den Rahmen ab für die praktische Arbeit undsorgt mit ihrer Reflexion über Funktion und Leistung der Archivefür gesellschaftliche Anerkennung und Legitimation. Um so be -dauernswerter ist, dass seit großen Arbeiten von Brenneke/Leesch und Papritz die theoretische Grundlagenarbeit innerhalbder Zunft erlahmt ist. Unter dem Druck des Alltagsgeschäfts be -schränken sich viele Archivarinnen und Archivare auf die Veröf-fentlichung kleinerer praxisbezogener Beiträge und scheuen dengroßen Wurf. Auch die fehlende oder eingeschränkte universitäreRepräsentanz der Archivwissenschaft fördert nicht gerade dieSelbstreflexion des Faches. In der gegenwärtigen Konjunktur vonGedächtnis und Erinnerung findet deshalb der Diskurs über dieArchive inzwischen oft außerhalb oder am Rande des Archivwe-sens statt. Dietmar Schenk, Leiter des Archivs der Hochschule derKünste in Berlin, hat dieses „Defizit“ jetzt zum Anlass genom-men für einen Theoriebeitrag aus dezidiert „archivarischer Sicht“(S. 9). Schenk kritisiert in seiner „Kleinen Theorie des Archivs“die zunehmende Loslösung der Archive von der Geschichtswis-senschaft und die im Gegenzug unternommenen Versuche, dasArchivwesen im Rückgriff auf informationstheoretische Ansätzezu professionalisieren. Archivare seien keine „,informationswis-senschaftlich‘ geschulte[n] Technokraten oder bloße Verwal-tungsfachleute“, keine „bloße[n] ,Informator[en]‘“ (S. 16).Besäßen sie nur technisch-formalen Sachverstand, so wären siefür „die Be treuung eines Archiv kaum besser befähigt [...] alszum Betrieb eines Ersatzteillagers [...] für Waschmaschinen oderRasenmäher“ (ebd.). Auch wenn dieser Vergleich eigenwillig unddie ein oder andere Formulierung gegen die Informationstheorieetwas schroff ausgefallen ist, so ist Schenk doch im GrundsatzRecht zu geben: Die Tatsache, dass Archive verwaltungsmäßigorganisiert sind, darf nicht dazu führen, dass sie auch ihrefachlichen Standards an Direktiven der Verwaltung ausrichtenund ihren Beruf als Logistik der „Produkte“ begreifen. Vielmehrverlangt die Verantwortung für die „Bedeutung der Archivalien,also die Ge schichte“ nach wie vor den „Historiker-Archivar“, deraufgrund seines „in der Geschichtskultur verankerte[n]Wissen[s] und eine[r] in ihr wurzelnde[n] Sensibilität“ dieLeistungen des Archivs „im Rahmen einer wissenschaftlichaufgeklärten Kultur des Umgangs mit Geschichte konkret darzu-stellen und einzuordnen“ vermag (ebd.). Dieses Bild des Archi-vars als eines „historisch geschulten Hüters“ (S. 17) der Überlie-ferung versucht Schenk im Kontext einer Theorie des kulturellenGedächtnisses und der Geschichte weiter zu entwickeln und zubegründen. Er hat sich da mit keine leichte Aufgabe gestellt. Dieaktuell diskutierten geschichtstheoretischen Ansätze sind vielfäl-tig, heterogen und nicht selten inkompatibel. Schenk unterschei-

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zu nehmen. Der Widerstreit zwischen dem Objektivitätsansprucheinerseits und der Notwendigkeit zu (Re-)Konstruktion histori-schen Wissens andererseits ist ein grundsätzlicher und deshalb inSchenks „Kleiner Theorie des Archivs“ auch nicht auf die Bewer-tung beschränkt. Er bestimmt ebenso die Ausführungen zurOrdnung der Bestände. Schenks Forderung nach „Bewahrung[...] einer vorgefundenen oder noch erkennbaren ,alten‘ Ord-nung“ (S. 76) ist unter Archivaren (weitgehend) Konsens. Trotz-dem begegnet das Provenienzprinzip in der Praxis selten inReinkultur. Manche vorgefundene Ordnung erschließt sich nichtund ist dem Benutzer nicht zuzumuten. Sie bedarf einer Anpas-sung, die vielfach weit mehr ist als eine bloße „Wiederherstel-lung“ (ebd.). Der vermeintlich kategoriale Unterschied zwischendem an Provenienzen orientierten Archiv und den musealenSammlungen, die das Material nach „einer von außen herange-tragenen Systematik“ anordnen (S. 77), verschwimmt in vielenFällen. Es ist kein Zufall, dass Schenk mit der Mehrheit seinerZunftkollegen das „Pathos“ des Sammelns und der wertendenAuswahl grundsätzlich ablehnt (S. 78) und doch nur wenigeSeiten später ein Plädoyer für die archivischen Sammlungen vor -trägt (S. 84). Was Schenk für den Einzelbestand zum Tabu er -klärt, nämlich ordnende und systematisierende Eingriffe in dieStruktur des Materials, erscheint für den Aufbau von Archiven alsnotwendige „Komplettierung“ der Bestände nicht nur zulässig,sondern geboten (S. 84). Geleitet von einem Ideal der Vollständig-keit und Angemessenheit archivischer Repräsentation be mühensich viele Archivare (vor allem in den kleineren Spartenarchiven)auch außerhalb der von ihnen betreuten Stellen und Registratu-ren um die Einwerbung archivwürdigen Materials. Indem sie soverfahren, prägen sie selbst das „inhaltliche Profil“ ihrer Einrich-tung (S. 98) und formieren – ob immer bewusst oder oft auchunbewusst – Überreste zur Tradition. Nicht ohne Stolz verweistSchenk selbst auf die Erfolge eigener Sammlungs tätigkeit imArchiv der Berliner Universität der Künste. Zwar ist die eigent -liche Keimzelle dieses Archivs die vorgefundene Registratur der,alten‘ Berliner Hochschule für Musik; die Erfolgsgeschichte derArchivgründung wäre aber wahrscheinlich so nicht denkbargewesen ohne die „Konsolidierung und Abrundung der Bestän-de“, die vor allem durch „Gewinn wertvoller neuer Dokumente“(S. 96) aus Künstlernachlässen erfolgte. Der Archivar ist alsodurchaus auch Sammler und als solcher dem Museologen, dermit glücklicher Hand das Profil seines Hauses gestaltet, nichtganz unähnlich. Dass Schenk dem Werkstattbericht aus der eige -nen Arbeit ein ganzes Kapitel seiner Archivtheorie widmet, ist fürden Gestus seiner Darstellung charakteristisch: Schenk ist oftmehr ein feuilletonistischer Erzähler als ein waschechter Theore-tiker. Das ist nicht unbedingt von Nachteil; an vielen Stellenmachen Beispiele aus der Praxis den Band lesbar und sorgen inder Argumentation zugunsten des historischen Archivs für dienotwendige Verve. Gelegentlich allerdings wirkt die Darstellungmanieriert; die Vielzahl an gelehrten Zitaten und Verweisen kannan manchen Stellen die unvollständige Durchdringung undVerarbeitung der Theoriegeschichte nicht verbergen. Schenk hatnoch keine Theorie des Archivs vorgelegt, wohl aber einen lesens -werten Essay mit interessanten Einsichten und Hinweisen aufungelöste Probleme, die eine Theorie des Archivs auf jeden Fallzu berücksichtigen hätte.

Andreas Pilger, Düsseldorf

CHRISTOPH SCHMIDT, NATIONALSOZIALISTISCHEKULTURPOLITIK IM GAU WESTFALEN-NORDRegionale Strukturen und lokale Milieus (1933-1945).Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2006. XIV, 511S., 12 s/w Abb., geb. 49,- €. ISBN 978-3-506-72983-5(Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 54)

Die Kulturpolitik der NSDAP ist ein wenig beachtetes Randthe-ma, weil die Ergebnisse unspektakulär erscheinen. Aber auchhier zeigt es sich, ob der Nationalsozialismus in der Lage war,etwas von seinen „Utopien“ umzusetzen, oder ob er doch nureine Ab art der bürgerlichen Gesellschaft darstellte, die nebenihren terroristischen Erscheinungsformen auch viele Elementeder traditionellen bürgerlichen Kultur bewahrte. Tatsächlich hates nach Christoph Schmidt eine „einheitliche nationalsozialisti-sche ‚Kulturtheorie‘ zu keiner Phase des Dritten Reiches gegeben,bestenfalls eine Schnittmenge von verschiedenen zu unterschied-lichen Zeiten unterschiedlich bedeutsamen einzelnen Ideologe-men“ (S. 43).Schmidt nimmt in seiner Dissertation die kommunale Kulturpo-litik im Gau Westfalen-Nord in den Fokus und konzentriert sichauf den Vergleich der Städte Gelsenkirchen, Münster und Det-mold. Gleichzeitig beschränkt er sich auf die am bürgerlichenBildungskanon orientierte Hochkultur: Theater, Musikleben,bildende Künste und Literatur, so weit sie sich in den Bibliothe-ken spiegelte. Er bietet eine detaillierte Untersuchung der Ent-wicklung in den drei Kommunen seit der Reichsgründung, mitdem mehr (Münster) oder weniger (Gelsenkirchen und Detmold)geglückten „Übergang zwischen privat-bürgerlichem Kulturenga-gement und der Etablierung einer professionellen Kulturverwal-tung“ (S. 171), die von den Kommunen finanziert wurde. Basisseiner Untersuchung ist die Auswertung der kommunalen Ver-waltungsakten, der Spielpläne der Theater, erhaltener Statistiken,verbunden mit der Darstellung personeller Veränderungen, Ko -ope rationen und Konkurrenzen, der Gewichtung von kommuna-len und privaten Trägern.Bemerkenswert für alle drei Städte ist das persönliche Engage-ment des Gauleiters Dr. Alfred Meyer. Verschiedene Gründespielen dabei zusammen: Ein wirkliches Interesse Meyers, derden Spagat zwischen bürgerlicher und NS-Elite verkörperte, aufder einen, und sein ungebremster Wunsch, reichsweit auf sichaufmerksam zu machen, auf der anderen Seite. Meyer hatte sichfrüh auf die Seite Alfred Rosenbergs gestellt und unterstütztedessen kulturpolitische Interessen. Rosenbergs Scheitern, kultur-politisch im Reich und machtpolitisch „im Osten“, bedeuteteauch das Abseits für seinen westfälischen Adlatus.Gemeinsam war den drei Kommunen die Erfahrung von Gewaltin der Phase der „Gleichschaltung“ 1933 und 1934, wobei dieseGewalt Abstufungen zeigte: Während die proletarischen Organi-sationen der „Gegenkultur“, etwa die Arbeitergesangvereine, auf -gelöst und ihr Eigentum beschlagnahmt wurden, waren radikaleVeränderungen bei den bürgerlichen Einrichtungen kaum nötigund verliefen eher reibungslos. Ähnlich störungsfrei verliefen ander lokalen Basis auch die beiden von der Parteileitung im Reichinitiierten Aktionen der Gegenaufklärung: Die „Aktion wider denundeutschen Geist“, die mit spektakulären Bücherverbrennun-gen – auch in Münster – begann und zur Reduktion des Lesean-gebotes in den Bibliotheken führte, sowie der Feldzug gegen „ent -artete Kunst“, der die Reduktion von Ausstellungen und Samm-lungen der Museen und Kunstvereine erzwang.

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LITERATURBERICHTE

Das öffentliche Kulturleben erfuhr ansonsten in allen drei Städ-ten seit 1933 einen Aufschwung, der aber wesentlich durch ihrewirtschaftliche Konsolidierung bedingt war. Das Maximum anBesucherinteresse in der NS-Zeit kam nicht über das Spitzener-gebnis in der Vorkriegszeit hinaus – es gab also bis zum Kriegbe-ginn keinen Zugewinn. Ab 1941 gab es einen neuen Aufschwung,wobei das Kulturangebot mehr und mehr in die Strategie derHeimatfront eingebaut wurde. Die Bevölkerung sollte trotz derVerluste im Krieg „bei Laune“ gehalten werden. Das Kulturange-bot wurde an diesem Ziel ausgerichtet, auf Bildungs- oder Indok -trinationsansprüche wurde verzichtet. Das galt selbst in den bei -den vom Bombenkrieg gezeichneten Städten Gelsenkirchen undMünster. Erst im September 1944 wurde jeglicher Kulturbetriebeingestellt.Gemeinsam ist den drei Städten der Konkurrenzkampf verschie-dener NS-Organisationen, die auf die Gestaltung der Kulturpoli-tik Einfluss zu nehmen versuchten. Dabei ging es weniger umeine „nationalsozialistische“ Ausrichtung als um einen Macht-kampf, der vor Ort die Rivalität der NS-Reichsleiter Rosenberg,Goebbels und Ley spiegelte. Die lokalen Kulturinteressiertenschlugen sich anfangs auf die Seite Rosenbergs, der als „Beauf-tragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigenund weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“einen Vorsprung besaß, sich trotz großer Ansprüche aber schonbald mit seinen Einrichtungen – Kampfringe für deutsche Kultur,Deutsche Bühne, NS-Kulturgemeinden – auf dem Rückzug be -fand. Dem gegenüber standen das von Goebbels geleitete Minis -terium für Volksaufklärung und Propaganda, das über die Be -rufs organisationen der Künstler (Reichskulturkammer mit denUnterabteilungen) großen Einfluss ausübte, und zuletzt die NS-Organisation Kraft durch Freude, die mit der Deutschen Arbeits-front im Hintergrund quantitativ weit überlegen war. Die Vorteiledieses „Feierabendwerks der Deutschen Arbeitsfront“ lagen inder Möglichkeit einer eher unpolitisch verstandenen Mitglied-schaft und im subventionierten Zugang zu Veranstaltungen desganz auf Unterhaltung ausgerichteten Kulturprogramms. „Kraftdurch Freude“ verzichtete dabei auf die Ansprüche der Hochkul-tur, knüpfte aber auch nicht an die frühere Arbeiterkultur an.Die Städte Gelsenkirchen, Münster und Detmold sind auch des -halb gut ausgewählt, weil sie strukturelle Unterschiede zeigen,die für das Gaugebiet kennzeichnend sind. Gelsenkirchen, bisHerbst 1932 noch Sitz der Gauleitung, bot ein stark proletarischgeprägtes Milieu, das sich zudem mit ethnischen Unterschiedenverzahnt hatte (Schmidt weist auf die großen Einwanderungs-gruppen von katholischen Polen und evangelischen Masurenhin). Diese Struktur brachte große finanzielle Belastungen mitsich, die auch in der NS-Zeit weiterwirkten. Noch 1936 wies dieStadt „im Vergleich zu Städten ähnlicher Größe die mit weitemAbstand geringsten Ausgaben für kulturelle Zwecke pro Einwoh-ner“ auf (S. 124). Ein weiteres strukturelles Problem waren dieinne ren Widersprüche zwischen den erst 1928 zwangsweisezusammengeführten Ortsteilen Gelsenkirchen, Buer und Horst,die auch durch Kulturangebote nicht zu überspielen waren.Im Gegensatz dazu war Münster, das Gelsenkirchen als Sitz derGauleitung ablöste, stark vom katholischen Milieu geprägt, daseine stabile kulturelle Basis aufwies und 1936 „mit Kulturausga-ben von 5,30 RM pro Einwohner das reichsweit zweithöchsteErgebnis im Vergleich mit Städten ähnlicher Größe“ (S. 265)erzielte. Über Theater und Musik hinaus boten das WestfälischeLandesmuseum, der Kunstverein und die Freie Künstlergemein-

schaft Schanze Orte der bildenden Kunst, während die katholi-schen Pfarrbüchereien ein großes Leseangebot bereit hielten, daszudem mit Autoren und Inhalten kaum eine Angriffsfläche fürdie NSDAP bot.Das viel kleinere Detmold mit seiner protestantischen bürgerli-chen Führungsschicht wies zwar eine kulturelle Tradition auf,diese war jedoch nach dem Ersten Weltkrieg in eine schwereKrise geraten. Die Hauptstadt Lippes spielte aber in der NS-Zeitdadurch eine Sonderrolle, dass hier sowohl auf dem Gebiet desMusik- wie des Sprechtheaters jährliche Festivals durchgeführtwurden, die reichsweit Interesse hervorriefen. Die seit 1935 durch -geführte Richard-Wagner-Woche (Detmold als „Vorort Bay -reuths“) und die seit 1936 begangenen Grabbe-Tage zeigen inkonzentrierter Form das Bemühen des Gauleiters, durch kulturel-le Akti vität auf sich aufmerksam zu machen. Gleichzeitig stilisier-ten sich lokale Kulturfunktionäre zu Hütern des Wagnerschenund Grabbeschen Erbes und zögerten nicht, die Genannten auchzu frühen Nationalsozialisten zu erklären. Die von der Industrie –Sponsoring avant la lettre! – und der Gauleitung finanziertenAusflüge künstlerischer Prominenz in die Provinz zogen auch diegesellschaftliche und politische Prominenz an; Schmidt zeigtaber, dass Detmold dabei nur als Fassade diente, während dieEnt wicklung eines eigenen Kulturprogramms der Kommune nurgehemmt wurde.Ein weiteres lippisches Projekt wurde dagegen nicht verwirklicht.Meyer plante zwischen Detmold und Hermannsdenkmal einegigantische Gauzentrale, eine Fassade für seinen Traum vonLippe als dem Mittelpunkt des Reiches mit ihm selbst als bedeu-tendem Satrapen seines „Führers“. Die Planungen wie ihr Schei-tern zeigen eine Parallele zu dem ebenfalls weit überdimensio-niert angelegten und ebenfalls gescheiterten „Thingtheater“ imGelsenkirchener Stadtteil Buer.Aus Schmidts Untersuchung wird deutlich, dass die NSDAP ihreselbst gesteckten Ziele auf dem Felde der Kultur nicht erreichthatte. Sie hatte außer Negation nichts zu bieten und griff statt-dessen auf „gesichertes“ Kulturgut des Bürgertums zurück.Außerdem war es ihr nicht gelungen, die Hochkultur der Bühne,der Musik oder der Bibliotheken für neue Bevölkerungsschichtenzu öffnen. Kultur blieb auch im Dritten Reich eine Sache der Eli -ten, weil allen Ansprüchen vermeintlicher Volksgemeinschaftzum Trotz die Bedürfnisse der Massen weder erkannt noch ernstge nommen wurden. Der Ausschluss unerwünschter Künstler, dieDiffamierung der Moderne als „entartet“, das Verbrennen vonBüchern „undeutschen Geistes“ – alles das hatte im großen Hausder bürgerlichen Kultur noch seinen Platz, ohne es grundlegendzu erschüttern. Auch in seiner Kulturpolitik zeigt sich, dass derNationalsozialismus keinen Bruch mit der Gesellschaft bedeute-te, sondern in ihrer Mitte angesiedelt war. Und so passt es auchin dieses Bild, dass etwa der 1934 nach Detmold berufene Theater intendant, der wenige Gelegenheiten ausließ, sich derNSDAP vor Ort anzubiedern, bis 1969 erfolgreich weiter arbeitete.Der Konsens, der Nationalsozialismus, Krieg und Nachkriegszeitbestimmte und sich auch in den künstlerischen Produktionenzei gte, ist, worauf Schmidt in seinem Schlusssatz hinweist, erst inder Zeit jener Bewegung radikal angegriffen worden, die in derJahreszahl „68“ symbolisiert wird.

Andreas Ruppert, Detmold

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ANTONINA STASZKÓW, ARCHIWALIA, ZBIORY BIBLIO-TECZNE I MUZEALNE GÓRNEGO SLASKA W LATACH1939-1945 Sumariusz tematyczny do zespolów w ArchiwumPanstwowym w Katowicach. Staatsarchiv Kattowitz iArchivberatungsstelle Oberschlesien. Katowice 2007.166 S., geb. ISBN 978-83-925863-0-2 (Archivum Sile-siae Superioris Vol. I)

Der vorliegende Band enthält eine Übersicht über die Bestände„Staatsarchiv Kattowitz“ und „Archivberatungsstelle Oberschlesi-en Kattowitz“ im polnischen Staatsarchiv Kattowitz, die wichtigeInformationen über die Kulturgutverluste Oberschlesiens imZwei ten Weltkrieg vermitteln. Dabei werden auch Gebiete derWojewodschaften Krakau und Kielce berührt, die in das DritteReich – gemeint sind damit die seit 1941 die Provinz Oberschlesi-en bildenden Regierungsbezirke Kattowitz und Oppeln – einge-gliedert worden sind. Grundlage der Publikation ist die Bearbei-tung beider Bestände durch Antonina Staszków und Michal An -to now, der eine Umarbeitung in den 1990er Jahren nach sach spe -zifischen Gesichtspunkten folgte. Zur Erleichterung der Be nut -zung auch durch deutsche Interessenten wurden ein Per so nen-und Ortsindex – Letzterer mit den deutschen Entsprechungen –und ein polnisch-deutsches Wörterbuch der Namen von Behör-den, Vereinigungen und Institutionen beigefügt. Besonders hin -zuweisen ist auf den informativen Nutzen der umfangreichenEinleitung, die Aufschluss über die Tätigkeit des deutschen Ar -chiv dienstes in Kattowitz in den Jahren 1939-1945 gibt und eineKompilation von zwei früher veröffentlichten Arbeiten AntoninaStaszkóws darstellt. Bereits im Oktober 1939 wurde im besetztenKattowitz die Errichtung eines zunächst zum Staatsarchiv Bres-lau gehörenden Filialarchivs durch Karl Bruchmann in Angriffgenommen, der am 1. März 1941 zum Direktor des nunmehr fürdie neu geschaffene Provinz Oberschlesien zuständigen Staatsar-chivs Kattowitz ernannt wurde und in dieser Eigenschaft direktder Preußischen Archivverwaltung in Berlin unterstand. Unterge-bracht war es im Gebäude des Archivs alter Akten der polnischenWojewodschaft Schlesien, das bei Kriegsausbruch im September1939 kaum noch über wertvolle Bestände verfügte, weil diese inden östlichen Teil Polens, u. a. nach Lemberg, evakuiert wordenwaren. Die Einleitung schildert detailliert die vielschichtigenBemühungen Bruchmanns, dieser Dokumente, wozu die Archiva-lien der Fürsten von Pless und Handschriften der Pilsudski-Bibliothek in Kattowitz gehörten, habhaft zu werden, wobei ernach Angaben Antonina Staszkóws auf die Unterstützung deut-scher Militär- und Zivilbehörden und der Gestapo zurückgriff.Bruchmanns Aktionen, die ihn wiederholt nach Lemberg führtenund auch mit Erich Randt, dem Leiter des deutschen Archivamtsim Generalgouvernement, in Verbindung treten ließen – hinzu-weisen ist gleichfalls auf seine Kontakte mit der vom Reichsin-nenministerium geschaffenen „Zentralstelle für verschlepptesSchriftgut“ –, brachten gewisse Erfolge, wobei nach dem deut-schen Einfall in die Sowjetunion das östliche Galizien in die Er -mittlungen einbezogen wurde. Besondere Aufmerksamkeit rich -tete Bruchmann auf die Erfassung und Rückführung des Archiv-guts Ostoberschlesiens, das 1939 in das Dritte Reich eingegliedertworden war, eine Arbeit, die wegen der territorialen Mischungdieses Gebiets zwischen ehemals preußischen und österreichi-schen Bezirken, wozu noch tschechische Distrikte kamen, ausge-sprochen kompliziert war. Im Herbst 1942 erfolgte eine genaue

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´Erfassung des Schriftguts aller katholischen Pfarreien in Ostober-schlesien, von denen einige Dokumente aus dem 16. Jahrhundertund aus noch früherer Zeit besaßen. Ähnliches galt für die ad -ligen Hof- und Familienarchive wie die der Fürsten von Hohen -lohe-Ingelfingen und Henckel von Donnersmarck. Auch über dieIndustrie- und Wirtschaftsarchive, vor allem des Berg- und Hüt -ten wesens, und die Stadtarchive erstreckte sich die KontrolleBruchmanns und seiner Kollegen, wobei polnische Akten derZwischenkriegszeit „als unnötig für die deutsche Verwaltung“ inder Regel vernichtet wurden. Unter Bruchmanns NachfolgerJoachim Lachmann begann die Verlagerung Kattowitzer Archiva-lien in den Westen, u. a. in den Salzstollen von Grasleben und –hierbei handelte es sich um geheime Unterlagen der RegierungenOppeln und Kattowitz und des Stabschefs der Zivilverwaltungder Wehrmacht – ins Staatsarchiv Marburg.Das nachfolgende Sachinventar des Bestandes „StaatsarchivKattowitz“ umfasst 637 Nummern, die neben dem Aktentitel dieLaufzeit, Angaben zum Umfang, Zustand und Schicksal der zu -gehörigen Archivalien sowie die aktuelle Archivsignatur enthal-ten. Hier zeigt sich, wie groß die Verluste durch die kriegsbeding-ten Verlagerungen erst auf polnischer und dann auf deutscherSeite gewesen sind. Dieses Inventar weist Betreffe über Akten derKreis-, Polizei-, Arbeits-, Bergbau-, Kataster- und Finanzbehör-den, von Städten, Gemeinden, Gerichten, Banken, Guts- undFamilieninstituten, politischen Parteien und deutschen undpolnischen Vereinigungen, Zivilstands- und Taufregistern, katho-lischen und evangelischen Pfarreien, der Schulverwaltung sowietschechische Archivalien, Bibliotheken und museale Sammlungennach. Von besonderem Interesse sind Hinweise über die Verlage-rung deutscher Akten nach Kattowitz und polnischer, 1939 in denOsten Polens evakuierter Archivbestände wie auch über die Eva -kuierung Kattowitzer Archivbestände in die westlichen KreiseOberschlesiens, nach Niederschlesien und ins Innere des Deut-schen Reiches. Das ca. 90 Nummern erfassende Inventar der Archivberatungs-stelle Oberschlesien Kattowitz enthält vornehmlich Organisa -tionsakten der staatlichen Archivbetreuung, Unterlagen von 33den Superintendenturen in Beuthen, Gleiwitz und Kattowitzunterstehenden evangelischen Kirchengemeinden sowie Schrift-wechsel hinsichtlich der Erfassung und Sicherung nichtstaatli-cher Archivalien. Der Band stellt ein wichtiges Informations- und Hilfsmittel füralle dar, die sich für die Archivüberlieferung im StaatsarchivKattowitz und die unter der deutschen Okkupation im ZweitenWeltkrieg entstandenen Veränderungen, Schäden und Verlusteinteressieren.

Stefan Hartmann, Berlin

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Bevor ich das eigentliche Thema, die Praxis der Filmerschließungam Beispiel der Abteilung Rheinland des Landesarchivs NRW(LAV NRW) erörtere, möchte ich einen kurzen Überblick inZahlen über das archivierte Filmmaterial geben: Die AbteilungRheinland verwahrt – die Sicherungs- und Nutzungskopiennicht eingerechnet – – 850 Filme auf 16- und 35-mm-Filmrollen, 300 Filme auf

Videoformaten (VHS und BetaCam SP) sowie bislang 3 Filmeauf DVD. Hinzu kommen 1780 Filmrollen, die bislang nurvorläufig gesichtet werden konnten, sowie 120 Filmrollen mitSchnitt- und Nebenmaterial.

– Die Laufzeit des gesamten Bestandes umfasst die Jahre 1914 bis2000, der Schwerpunkt liegt dabei auf den 1950er bis 1980erJahren.

– Als Bestandsbilder bzw. Auftraggeber der Filme sind haupt -sächlich die Landeszentrale für politische Bildung, die Ministe-rien des Landes sowie die Parteien zu nennen.

Wenn es um das Thema der Archivierung und Erschließung vonFilmmaterial geht, ist zunächst festzustellen, dass dies nicht nurin staatlichen oder kommunalen Archiven, sondern in ganzunterschiedlichen Institutionen „archiviert“ wird – zu nennensind hier Filmarchive, Rundfunkarchive, Bibliotheken, Medien-zentren usw. Dies hat sicherlich auch Auswirkungen auf die je -weilige Erschließung. In ihrer Dissertation zum Thema Bewah-rung und Erschließung audiovisueller Quellen2 stellt SusannePollert fest, dass auch in der Filmverzeichnung zwischen demarchivischen „Ordnen und Verzeichnen“, dem bibliothekarischen„Katalogisieren“ und dem dokumentarischen Ansatz des „forma-len Erfassens und inhaltlichen Erschließens“ unterschieden wird.Diese Unterscheidung zwischen archivischer, bibliothekarischerund dokumentarischer Erschließung möchte ich jedoch relativie-ren, denn in der Praxis werden diese Formen der Erschließungoftmals interdisziplinär angewandt. Und archivische Filmver-zeichnung erfolgt auch in der Abteilung Rheinland des LAVNRW durchaus nicht nach klassisch-archivischen, etwa Papritz’-schen Grundlagen, sondern nach anderen, dem Material entspre-chenden Grundsätzen, die im Folgenden kurz vorgestellt werdensollen. Dabei gilt: Filmverzeichnung ist nicht gleich Aktenver-zeichnung.Trotz der Bemühungen um internationale wie nationale Regelwer-ke3 ist festzustellen, dass sich im archivischen Bereich keine ver -bindliche Normen und Standards zur Erschließung von audiovi-

suellen Quellen etabliert haben. Auch deshalb kann mein Beitragnur ein Bericht aus der Praxis, also ein Tätigkeitsbericht aus derAbteilung Rheinland des LAV NRW sein, der aber im besten Falleübertragbar oder modifiziert anwendbar ist.Die Erschließung im Bereich des Films muss dabei zwei Einfluss -größen berücksichtigen: die Struktur des vorhandenen Materialsund die Bedürfnisse der Kunden.Ad 1: Das in der Abteilung Rheinland gesicherte Material umfassteine breite Fülle an Filmtypen: Animationsfilme, Werbefilme,Fernsehserien, Informations- und Lehrfilme, auch Spielfilme. Dasin Sachen Erschließung bedeutendste archivierte Material ist aberjenes mit dokumentarischem Charakter.Ad 2: Die Kunden kommen vorwiegend aus dem Presse- undMedienbereich, suchen konkrete Inhalte und sind auf schnelleBearbeitung angewiesen.In welcher Form diese beiden Faktoren Einfluss auf die Erschlie -ßung haben, wird nachfolgend noch deutlich.Bei der Erschließung sind zunächst natürlich formale Angabenzum archivischen Material nötig. Diese Daten sind die Ausgangs-basis der Erschließung, einer Ablieferungsliste gleich, die unab-hängig von Zeit- und Personalknappheit immer festgehalten wer -den und ggf. auch ohne Sichtung des Materials erstellt werdenkönnen:Archivische Signatur, Titel des Films, Länge (in Meter oder Minu -ten), Herstellungsjahr, Filmformat. Diese Daten sind in aller Regelauf den Filmdosen angegeben.Dass diese Angaben archivisch nicht hinreichend sind, verstehtsich von selbst und so sind hier die weiteren von uns erfasstenErschließungsangaben zu nennen. Es handelt sich dabei um eineVielzahl von möglichen Daten, die in mehrere inhaltliche Katego-rien zusammengefasst werden können: – Titel, Untertitel, Originaltitel– Szenogramm– Technische Angaben (Trägermaterial, Entstehungsstufe, Farbe,

Ton, Format, Länge, Zustand, dazu gehört: Verschmutzung,Streifen im Bild, Perforation, Farbstiche, Tonqualität)

– Rechtliche Angaben (Hersteller, Auftraggeber, Inhaber derVerwertungsrechte, Abgabe-Rechtsform)

– Angaben zur künstlerische Gestaltung (Buch, Regie, Schnitt,Ton, Musik, Sprecher, …)

– Weitere Überlieferung, Literatur, Quellen– Sonstiges (Prädikate, Filmtyp)

DIE PRAXIS DERFILMERSCHLIEßUNG AMBEISPIEL DES LANDESARCHIVSNORDRHEIN-WESTFALENABTEILUNG RHEINLAND1

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Abb. 1: VERA-Verzeich-nungsmaske Filmbeschrei-bung

wird unter Angabe der sekundengenauen Laufzeit oder des Zähl -werkstandes beschrieben. Also beispielsweise: „3’35-3’51: Manntransportiert Kohlen in einem Handkarren über die Königsalleein Düsseldorf“.Diese ungeheuer zeitaufwändige Form der Erschließung –Sequenz abspielen, Film anhalten, Szenogramm formulieren, evt.zurückspulen usw., und das für jede Szene – lohnt sich in demAugenblick, in dem eine Anfrage an das Archiv herangetragenwird. Denn in aller Regel suchen die Nutzer nach konkretenSzenen, da sie als Autor oder Regisseur eine genaue Vorstellungdavon haben, welches Schnittmaterial sie in ihren Film einfügenwollen. So wird dann typischerweise eine solche Anfrage an unsherangetragen: „Wir bräuchten – dringend natürlich – eine Szeneaus der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der ein Mann Kohlentransportiert“. Hier ist ein ausführliches Szenogramm vonunschätzbarem Wert.Sicherlich ist diese tiefe Form der Erschließung nicht bei jedemFilmtyp erforderlich – ein Spielfilm oder Werbefilm etwa mussnicht unbedingt szenengenau erschlossen werden. Und da einErschließen in dieser Intensität in Zeiten des „flachen Verzeich-nens“ auch im LAV NRW nicht mehr uneingeschränkt geleistet

Ähnlich dem Verfahren in der Abteilung Rheinland des LAVNRW wird übrigens auch in der eingangs zitierten Arbeit vonSusanne Pollert ein gestuftes Schema der Erschließung im Rah-men eines „interdisziplinären Ansatzes“ vorgeschlagen. IhreKategorien sind:1. Erfassung minimaler archivinterner Material- und formal-

filmographischer Daten für einen Bestandsnachweis derAufzeichnungsträger und eine Identifizierung anhand vonOriginaltiteln

2. Erfassung aller formal-filmographischen Angaben für Formal-recherchen

3. inhaltliche Erschließung für Recherchen nach Gruppen vonMoving Images, einzelnen Moving Images, deren Teilen undAusschnitten

4. Erfassung von Sekundärinformationen und komplementärenInformationsquellen zur Kennzeichnung des thematischenUmfeldes und der Entstehungsbedingungen von MovingImages

Bei Punkt 3, inhaltliche Erschließung, trennt sich dann die flachevon der tiefen Erschließung; hier ist je nach Ausführlichkeit derinhaltlichen Erschließung der qualitative Unterschied in derFilmverzeichnung zu sehen.Genau darum geht es auch beim Erschließungselement Szeno-gramm. Dies bildet zwar nur einen Punkt auf der Liste der Ver -zeichnungsangaben, ist aber doch der zeitintensivste und zentralePunkt für die szenengenaue Recherche. Im Bühnenbereich wirdder Begriff Szenogramm für die Erstellung von Szenenbeschrei-bungen genutzt, um die herum dann ggf. die Ausarbeitung desWerks oder des Librettos erfolgt.In der Filmverzeichnung dagegen entsteht das Szenogramm quasideduktiv: Nachträglich werden die Szenogramme zu dem über-nommenen Filmmaterial erstellt. D. h. jede einzelne Bildsequenz

1 Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Vortrag, gehalten auf dem 42. Rhei-nischen Archivtag am 5./6. Juni 2008 in Rees.

2 Susanne Pollert, Film- und Fernseharchive. Bewahrung und Erschließung au-diovisueller Quellen in der Bundesrepublik Deutschland, Potsdam 1996 (= Ver-öffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs 10).

3 Auf internationaler Ebene sind zu nennen: ISBD (NBM) – International Stan-dard Bibliographic Description for Non-Book Materials der IFLA(www.ifla.org/VII/s13/pubs/ISBDNBM_sept28_04.pdf) sowie die FIAF Cata-loguing Rules (www.fiafnet.org/uk/publications/fep_cataloguingRules.cfm). Imnationalen, jedoch bibliothekarischen Bereich wurde 1994 mit dem RAK-AV(Regelwerk zur Alphabetischen Katalogisierung – Audiovisuelle Medien),später erweitert zum RAK-NBM, dem Regelwerk zur Alphabetischen Katalo-gisierung von Nichtbuchmaterialien (http://files.d nb.de/pdf/rak_nbm_gw_und_erg.pdf), eine Standardisierung zur Erschließung auch von audiovi-suellem Material erarbeitet.

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4 Pollert, Film- und Fernseharchive, hier S. 346.

ist ein gewisses Maß an Erschließungstiefe unerlässlich.Anzu streben ist also – wie im gesamten archivischen Bereich jaauch – ein gesundes Gleichgewicht zwischen hinreichend recher-chierbarer Erschließungstiefe und vertretbarem Arbeitsaufwand.Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass in der Filmer schlie -ßung – anders als beim klassischen Archivgut – die zeitaufwändi-ge Sichtung des kompletten Materials nicht verzichtbar ist, selbstwenn man wie im Beispiel „nur“ Szenenblöcke grob beschreibt.1996 noch zog Susanne Pollert das Fazit, dass „der Spezifik be -wegt-bildlicher Aufzeichnungen auch in der Gegenwart nur seltenhinreichende Aufmerksamkeit zuteil wird.“ Ein Indiz dafür sei„die Tatsache, dass bewegt-bildliche Aufzeichnungen in klassi-schen Archiven höchstens am Rande in konzeptionelle undarchivtheoretische Überlegungen zur Erschließungsmethodikeinbezogen werden.“4

Diese Aussage gilt wohl für die Abteilung Rheinland des LAVNRW so nicht. Gleichwohl ist es sinnvoll, die eigenen Verfahrenimmer wieder zu überprüfen, zu diskutieren und nach Standardsim archivischen Bereich der Filmerschließung zu suchen. Dazugehört auch, den Blick über den Tellerrand der Archiv- und Lan -desgrenzen zu werfen. Und auch weil es sich um ein sehr speziel-le Form des Archivguts handelt, zu dem kaum Literatur undHandreichungen vorhanden sind, wäre ein Austausch der damitbefassten Archive und deren Mitarbeiter umso wünschenswerter.Und wenn es oben heißt, dass „bewegt-bildliche Aufzeichnungenin klassischen Archiven höchstens am Rande“ thematisiertwerden, so ist es umso begrüßenswerter, dass jenes Thema „amRande“ in neuerer Zeit immer öfter aufgegriffen wird und auchin diesem Heft im Mittelpunkt steht.

Verena Kinle, Düsseldorf

werden kann, sind die Personal- und Zeitressourcen auf die Er -stellung von Szenogrammen insbesondere bei Dokumentarfil-men zu richten.Eine Möglichkeit bei archivisch weniger bedeutsamem Materialbesteht nun darin, Szenenbeschreibungen zusammenzufassen,dabei aber die recherche-relevanten Schlagworte möglichst auf -zugreifen. In dem genannten Beispiel könnte dies dann heißen:„3’35-7’58: Nachkriegsszenen aus Düsseldorf (u. a. Mann trans-portiert Kohlen, Menschen stehen Schlange vor Geschäft, Szenenauf dem Schwarzmarkt)“.Eine weitere Erschließungsebene, mit der wir die zunehmendflacheren, bzw. nicht mehr leistbaren Szenogramme kompensie-ren wollen, ist die Klassifikation der Filme, hier zugeschnitten aufdie Bestände der Abteilung Rheinland.Auch ein Film, für den kein oder noch kein detailliertes Szeno-gramm angefertigt wurde, kann nach kurzer Durchsicht einemKlassifikationspunkt zugeordnet werden. Damit ist er für die Re -cherche durch das Archiv oder auch durch Nutzer im Lesesaalthematisch klassifiziert, um dann für die weitere Sichtung durchMitarbeiter oder Nutzer hinzugezogen werden zu können.Dass dies zwar ein nützliches Hilfsmittel ist, das aber Szenogram-me nicht adäquat ersetzten kann, zeigt das Beispiel der oben an -geführten Anfrage: Unter dem Klassifikationspunkt „Nachkriegs-zeit, Gründungsjahre“ können eine Vielzahl von Filmen einklas-sifiziert sein. Ob darin eine Szene mit einem Kohlen transportie-renden Mann enthalten ist, kann dem anfragenden Kunden nichtbeantwortet werden. Archivarinnen und Archivare der AbteilungRheinland oder der Nutzer selbst sind dann aufgefordert, diesesmöglicherweise umfangreiche, zig Stunden dauernde Filmma te -rial zu sichten. Wollen wir aber vermeiden, dass unser Materialwegen dieser Hindernisse einem „Filmfriedhof“ gleich im Maga-zin lagert, und wollen wir ein attraktiver Partner für Kunden unddas schnelle Informations-, Medien- und Filmbusiness bleiben,

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Abb. 2: VERA-Verzeichnungs-maske Film – Formalangaben.Fast alle Daten sind hier über einDrop-Down-Menü auszuwählen

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Abb. 3 und 4. Klassifikation der Filmdatenbank

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Im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen ist im September 2008 einProjekt zu seiner Weiterentwicklung abgeschlossen worden.Anlass war die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit zwischendem Präsidenten, den drei zentralen und vier dezentralen Abtei-lungen im fünften Jahr nach Errichtung des Landesarchivs zum 1. Januar 2004 kritisch zu würdigen sowie die organisatorischenKonsequenzen aus der räumlichen Zusammenlegung von insge-samt vier Abteilungen am Standort Duisburg im Jahr 2010 zuprüfen. In ein umgebautes Speichergebäude am DuisburgerInnenhafen sollen die bisher in Düsseldorf und Brühl angesiedel-ten Abteilungen (Zentrale Dienste, Grundsatzfragen/Öffentlich-keitsarbeit, Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und Personenstandsar-chiv Brühl) ziehen. Zur Erinnerung1: 1999/2000 wurden die staatlichen Archive desLandes Nordrhein-Westfalen durch Mummert + Partner einerAufgabenkritik unterzogen. Die Gutachter stellten fest, dass esden Staatsarchiven sowohl an Personal zur Aufgabenbewältigungfehlt als auch an strategischen Konzepten, um die im Archivgesetzbenannten Aufgaben effizient lösen zu können. Mummert +Partner schlugen – in Übereinstimmung mit der Abschaffung vonHierarchieebenen in anderen Landesbehörden – eine zweistufigeOrganisationsform vor, in der insgesamt sieben Abteilungengleichrangig dem Präsidenten unterstanden. Die ehemals selb -ständigen nachgeordneten Staats- und Personenstandsarchive inDüsseldorf, Münster, Detmold und Brühl bildeten dezentraleAbteilungen. Drei, 2004 neu eingerichtete zentrale Abteilungenübernahmen aufgrund der Empfehlungen der Gutachter zentraleAufgaben im den Bereichen zentrale Dienste, archivische Grund-satzfragen/Öffentlichkeitsarbeit sowie als Technisches Zentrummit der zentralen Restaurierungswerkstatt und dem IT-Zentrum. In dieser Organisationsstruktur musste das Landesarchiv Nord-rhein-Westfalen Formen der Zusammenarbeit entwickeln, die dievom Gesetzgeber so vorgesehenen Fachaufgaben bewältigt undzugleich einheitliche Grundsätze berücksichtigt. Eine nüchterneBilanz der Arbeit des Landesarchivs am Ende des letzten Jahreszeigte, dass seit 2004 vieles auf einen guten Weg gebracht wordenist: der Aufbau von drei neuen Abteilungen, darunter der Umbauder ehemaligen Speichergebäude in Münster-Coerde zum Techni-schen Zentrum, Personal- und Ausbildungskonzepte, die Kosten-und Leistungsrechnung mit einem einheitlichen Berichtswesen,die Reduzierung der Erschließungsrückstände, die Einführungvon Archivierungsmodellen zur Reduzierung der Übernahme-mengen sowie die Neugestaltung der Öffentlichkeitsarbeiteinschließlich des neuen Designs dieser Zeitschrift. Nichtstörungsfrei verlief dagegen die Zusammenarbeit der Führungs-kräfte in der vorgegebenen zweistufigen Organisationsform.

Präsident und Zentralabteilungen mussten in Grundsatzfragen,zur Entwicklung von Strategien und zur Durchsetzung vonStandards eng kooperieren. Dadurch sahen sich die Leiter derdezentralen Abteilungen, die ehemals selbstständige nachgeord-nete Behörden waren, zurückgesetzt, zumal sie innerhalb derOrganisation den zentralen Abteilungen gleichrangig waren. Inder 2004 gegebenen Organisationsform ließen sich die so ent-standenen Konflikte nicht mehr lösen; die seinerzeit auch vomVerfasser dieser Zeilen geäußerte Einschätzung hinsichtlich desFunktionierens eines zweistufigen Modells erwies sich als zuoptimistisch.2 Als Präsident schlug er daher der Dienst- undFachaufsicht in der Staatskanzlei im Dezember 2007 eine Eva-luierung der Organisationsform vor. Die Staatskanzlei beauftragte im Januar 2008 einen externenGutachter. Seine Vorschläge lagen im April 2008 vor. DerenKernaussage lautete, die vorgefundenen Managementstrukturenseien „nicht zukunftsfähig“ und daher umzubauen. Die Analysedes Gutachters ermittelte, dass im vorhandenen Arbeitsmodelldie „notwendigen Durchgriffsrechte der zentralen Abteilungenauf die dezentralen Einheiten“ fehlen. Er stellte fest: „Fachlichorientierte Einheitlichkeit ist damit nicht zu erreichen“. DerGutachter konstatierte: „Reibungen zwischen zentralen unddezentralen Abteilungen und Funktionen“ werden „in allenOrganisationsformen“ für „normal und notwendig“ erachtet. Ervermisste aber im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen eine kons -truktive Verarbeitung. Alternativ schlug er eine Straffung desManagement-Ansatzes mit „direkten Weisungsrechten derZentralabteilungen“ und einer „Neujustierung der ‚Gewaltentei-lung‘“ vor. Er empfahl die Etablierung einer Geschäftsleitung,bestehend aus drei Personen: dem Präsidenten, einem Verwal-tungschef als operativer Spitze und einem der dezentralen Abtei-lungsleiter als „Vertreter des Vor-Ort-Managements“. „DieserDreierpol beschreibt das Spektrum möglicher Zielkonflikte desLAV“. Der Gutachter empfahl, der Geschäftsleitung „die alleinigeEntscheidungsgewalt für die gesamte Organisation“ zu übertra-gen. Der Präsident vertritt nach außen das Landesarchiv und istzugleich „Fachspitze“ in Verbindung mit dem FachbereichGrundsätze. Nach innen übernimmt der Verwaltungschef opera-tive Funktionen. Die dezentrale Abteilungsleitung innerhalb derGeschäftsleitung wechselt jährlich und stimmt sich mit denübrigen dezentralen Abteilungsleitungen ab; sie vertritt bei derEntscheidungsfindung die dezentrale Perspektive. Die Geschäfts-leitung, die mindestens einmal im Monat tagt, und sämtlicheAbteilungsleiter kommen in einer zweimonatlich stattfindendenInformationsrunde zusammen, die keine Entscheidungsbefugnishat.

DIE WEITERENTWICKLUNG DES LANDESARCHIVSNORDRHEIN-WESTFALEN

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Die Staatskanzlei übernahm diese sowie andere Empfehlungendes Gutachters zur Organisationsstruktur. Die vorgeschlagenenVeränderungen wurden in einer außerhalb der „Linie“ stehendenProjektstruktur zwischen Juni und September 2008 im Detail indrei Arbeitskreisen umgesetzt und einem Lenkungskreis zurinternen Beschlussfassung vorgelegt. Der Lenkungskreis bestandaus zwei Abteilungsleitungen der Staatskanzlei als Vertretern derDienst- und Fachaufsicht und dem Präsidenten des Landesarchivals Vorsitzendem. Begleitet wurde der Veränderungsprozess vonexternen Coaches sowie einem aus der Wirtschaft stammendenMentor, der die Einhaltung der Meilensteine überwachte. DieBeschlüsse des Lenkungskreises wurden durch den Chef derStaatskanzlei in Kraft gesetzt. Neben der Etablierung der Geschäftsleitung mit den obenbeschriebenen Aufgabenbereichen traten mit Wirkung vom 1. Dezember 2008 folgende organisatorische Änderungen ein: 1. Das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und das Personenstandsar-

chiv Rheinland in Brühl, die 2010 am neuen Standort Duisburgihren Sitz haben werden, werden ab sofort, also schon vor ihrerräumlichen Vereinigung, in einer „Abteilung Rheinland“zusammengeschlossen. Analog erhalten die beiden übrigendezentralen Abteilungen im Landesarchiv, das StaatsarchivMünster sowie das Staats- und Personenstandsarchiv Detmold,die Bezeichnungen „Abteilung Westfalen“ (Münster) bzw.Abteilung „Ostwestfalen-Lippe“ (Detmold). Die Namensge-bung wurde intern heftig diskutiert. Keine der vorgeschlagenenNamen konnte die Zuständigkeiten nach den organisatori-schen Veränderungen vollständig abdecken, zumal der Sonder-status der Personenstandsarchive mit der entsprechendenGesetzesreform zum 1. Januar 2009 entfallen ist, als Personen-standsunterlagen „normales“ Archivgut wurden. Im Lenkungs-kreis war letztlich der Wunsch der Staatskanzlei, im Namen dieLandesteile hervorzuheben, ausschlaggebend.

2. Abgeleitet aus dem Weisungsrecht der zentralen Abteilungenwurden die ortsbezogenen Verwaltungen, die IT-Administrato-ren sowie die örtlichen Restauratoren der Zentrale zugeordnet.

Das IT-Zentrum wurde der Abteilung Zentrale Dienste hin-sichtlich der Infrastruktur, die fachstrategischen IT-Fragen demFachbereich Grundsätze zugeordnet. Das bisherige Dezernat 31mit der Zentralen Restaurierungswerkstatt sowie den AufgabenDigitalisierung, Sicherungs- und Schutzverfilmung wird demFachbereich Grundsätze zugeordnet. Zu dieser Organisations-einheit, die direkt dem Präsidenten zugeordnet ist, gehörenauch die zwei Dezernate der bisherigen Abteilung 2 „Grund-satzfragen und Öffentlichkeitsarbeit“. Die Leitung des Fachbe-reichs Grundsätze hat einen Sitz, aber keine Stimme in derGeschäftsleitung.

3. Innerhalb der dezentralen Abteilungen sind die Dezernatekünftig größer als seit 2004 zugeschnitten. Grund für dieNeuordnung war die Tatsache, dass einzelne Dezernate soklein ausfielen, dass sie z. T. mit weniger als zwei Stellen ausge-stattet waren. Durchgängig sind „ortsbezogene Verwaltung undarchivfachliche Dienste“ als Dezernat 1 aufgestellt. Dezernat 2bilden die Bestände vor 1816 (in Abteilung Ostwestfalen-Lippebis 1947) sowie das nichtstaatliche und nichtschriftliche Ar-chivgut. Im jeweils dritten Dezernat werden die Verwaltungs-,Justiz- und Finanzbehörden und ihre Bestände betreut. DieAbteilung Rheinland umfasst weiter die Dezernate mit denZuständigkeiten für Oberste und Obere Landesbehörden sowiedas Personenstandsarchiv Rheinland, die Abteilung Ostwestfa-len-Lippe das Personenstandsarchiv Westfalen-Lippe.

Wilfried Reininghaus, Düsseldorf

1 Peter Klefisch, Organisationsuntersuchung des staatlichen Archivwesens inNordrhein-Westfalen und Planungen zu seiner Neustrukturierung, in: Archi-ve im gesellschaftlichen Reformprozess. Referate des 74. Deutschen Archivtags2003 in Chemnitz, Siegburg 2004, S. 335-344; Wilfried Reininghaus, Das Lan-desarchiv Nordrhein-Westfalen. Entstehung, interne Organisation, Aufgabenund aktuelle Ziele, in: Der Archivar 57 (2004), S. 295-300.

2 Archive im gesellschaftlichen Reformprozess (wie Anm. 1), S. 351.

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84 MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES LANDESARCHIVS NRW

ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 01 Februar 2009

NEUE PERSPEKTIVEN FÜR DIEGENEALOGIE,GESCHICHTSWISSENSCHAFT,ARCHIVE UND STANDESÄMTER

„Das PersonenstandsReformgesetz ist sexy“, lautet der Titel des 5.Detmolder Sommergesprächs. „Sexy“ heißt hier „verlockend“,„interessant“, „ansprechend“ und „inspirierend“. Sicherlich ist esungewöhnlich, bei einer archivfachlichen und familien-histori-schen Tagung ausschließlich ein Gesetz zum Thema zu machen.Aber in diesem Fall kann bedenkenlos die Attraktivität desGesetzes festgestellt werden. Denn die Novellierung des Perso-nenstandsgesetzes (PStG) wurde seit Jahrzehnten von der Genea-logie, der Familienforschung, der historischen Wissenschaft undvon Archiven geradezu herbeigesehnt. Ab dem 1. Januar 2009,wenn das Personenstandsreformgesetz (PStRG) in seinem ganzenUmfang gilt, fallen bislang unüberwindbare Forschungsgrenzen,und auf die Archive und Standesämter warten neue Aufgaben.„Verlockend“ war daher die Tagung: Rund 160 Personen aus denArchiven, den Standesämtern und ihren Aufsichtsbehörden, ausder genealogischen und historischen Forschung, Laien undFachleute aus der gesamten Bundesrepublik und dem benachbar-ten Ausland nahmen daran teil. Der Präsident des LandesarchivsNRW, Wilfried Reininghaus, bezeichnete in seiner Begrüßung das„Echo“ als „überwältigend“. Die in der Bundesrepublik singuläreSituation Nordrhein-Westfalens mit zwei Personenstandsarchivenund seinen spezifischen Erfahrungen und Kompetenzen imPersonenstandsarchivwesen erklärt, so Reininghaus, warum dasLandesarchiv NRW diese Tagung veranstaltete. Das 5. DetmolderSommergespräch war bislang die größte Veranstaltung zumnovellierten Personenstandsgesetz in der Bundesrepublik, die sichnicht ausschließlich an ein spezifisches Fachpublikum wandteund die Archivkundinnen und -kunden bewusst einschloss. Die Detmolder Sommergespräche richten sich seit ihrem Beste-hen im Jahr 2004 an verschiedene Gruppen, um die unterschied-

DAS PERSONENSTANDS -REFORMGESETZ IST SEXY

lichen Perspektiven von Behörden, Archivbenutzern und Archivenzueinander zu führen. Das überaus große Interesse an der dies-jährigen Tagung – was die Kapazitäten des Archivs übrigens vollausreizte – ist zum einen auf die Aktualität des Themas und dendirekten Bezug zum jeweils eigenen Aufgabenbereich zurück zuführen. Nach der Vorstellung des Programms orientiert sich der ausführ-liche Tagungsbericht an folgenden systematischen Aspekten: 1. das Gesetz und landesrechtliche Regelungen zur Archivierung,2. Übernahme von Personenstandsregistern in ein Archiv, 3. Erschließung und Bereitstellung der Personenstandsregister im

Archiv, 4. Benutzung und Service, 5. Forschung: Quellenwert und neue Möglichkeiten. Im Internet sind eine ausführlichere Fassung des Tagungsberichtsund Kurzfassungen der Vorträge und Präsentationen der Referen-tinnen und Referenten nachzulesen: www.archive.nrw.de/Landes-archivNRW/Detmold/Service/Genealogie/index.html.Das Programm gliederte sich den verschiedenen Perspektivenentsprechend in drei Sektionen: 1. das Standesamt, 2. das Archiv und 3. die Forschung. In der ersten Sektion referierten Detlef Dohmen, Referent imInnenministerium, zuständig für Personenstandswesen, undAndreas Brune. Brune ist Standesbeamter in Lemgo und zugleichFachreferent des Fachverbandes der Standesbeamtinnen undStandesbeamten Westfalen-Lippe e.V. Beide erläuterten dieGenese des PStRG, wesentliche gesetzliche Änderungen und dieInhalte der Personenstandsverordnung NRW. Während Dohmenaus der Perspektive des Ministeriums übergeordnete Aspektedarlegte, „tauchte“ Brune in den Alltag des Standesbeamten einund schilderte die sich durch das neue Gesetz veränderndenAufgaben. Beide zeigten bereits die Schnittmengen zu Archivenund Forschenden auf. Anschließend, in der zweiten Sektion, kamen die Archive zuWort: Bettina Joergens referierte darüber, wie die nordrhein-

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zwischen kommunalen und staatlichen Archiven, zwischenStandesämtern und Archiven sowie zwischen Forschenden undArchiven beflügelte.Die Detmolder Sommergespräche waren wie sonst auch einTreffpunkt für Kolleginnen und Kollegen, gute Bekannte undgenealogischen Gedankenaustausch sowie eine Gelegenheit,Neues im Detmolder Archiv kennen zu lernen. Deshalb wurdennach der ausgedehnten Mittagspause vier Führungen angeboten.Karin Eickmeier und Gabriele Hamann (Landesarchiv NRW,Dezernat Personenstandsarchiv Westfalen-Lippe) arbeiteten einenneuen Rundgang durch das Personenstandsarchiv aus, bei dembesonders standesamtliche Personenstandsregister zu sehenwaren. Darüber hinaus bot Wolfgang Bender (Landesarchiv NRWAbteilung OWL) eine Führung zu frühneuzeitlichen Quellen ausLippe für die Familienforschung an. Außerdem präsentiertenMatthias Schultes und Gerhard Heuer vom Landesarchiv NRWdem interessierten Publikum die Foto- und die Restaurierungs-werkstatt. Das Interesse an den nun ab 2009 leichter zugänglichen Perso-nenstandsregistern ist groß und vielseitig. Mannigfaltig sindsomit auch der Quellenwert und die Verknüpfungsmöglichkeitenmit anderen Archivalien. Die Aufgabe der Archive wird sein,neben den klassischen Erschließungsdaten auch quellenkundli-che Informationen über die Personenstandsregister unterschiedennach Registertyp und Überlieferungsschicht bereit zu stellen.Dabei sind Kirchenbücher in Kirchenarchiven wegen der Ersatz-qualität mit in den Blick zu nehmen (Reininghaus). Wie dieDiskussionen und Referate der Tagung deutlich machten, ist esgeboten, bei der Konzeption von Erschließungssystematiken undQuellenkunden mit den Benutzerinnen und Benutzern desArchivs, d. h. der Forschung weiterhin das Gespräch zu suchen.Insofern war das 5. Detmolder Sommergespräch ein gelungenerAuftakt für aufgefrischte Dialoge und neuartige Kooperationenfür eine neue „Epoche“ im Personenstands(archiv)wesen.

Bettina Joergens, Detmold

westfälischen Personenstandsarchive die Gesetzesnovelle umset-zen werden. Die Personenstandsarchive in Detmold und Brühlerwarten neue Herausforderungen, die alle archivischen Bereichebetreffen: Behördenkontakt, Übernahme, Magazinierung, Er-schließung und Bereitstellung sowie Beratung und Öffentlich-keitsarbeit. Bernd Kappelhoff, Präsident des NiedersächsischenLandesarchivs und zugleich Sprecher der Arbeitsgruppe „Archiv-recht“ in der Archivreferentenkonferenz, nahm dagegen eineüberregionale Perspektive ein und legte dar, wie das PStRG in denverschiedenen Bundesländern umgesetzt werden wird – soferndies im August des Jahres schon bekannt war. Damit erlaubte erEinblicke in die vielseitigen archivfachlichen Diskussionen zumPStRG in der föderal verfassten Bundesrepublik. Im dritten Teil der Tagung wurden die Erwartungen der Archiv-kundinnen und -kunden formuliert und Forschungsperspektivenangesichts der neuen Zugänglichkeit zu Personenstandsdatenentworfen. Volker Wilmsen, Geschäftsführer der WestfälischenGesellschaft für Genealogie und Familienkunde e.V., nahm dieBedürfnisse der Familienforscher und Genealogen, häufig Laien,in den Blick. Angelika Schaser, Universität Hamburg, setzte dieaktuelle Gesetzesnovelle in einen verwaltungshistorischen Kon-text und prüfte den Quellenwert der nun zu öffnenden Registerfür verschiedene historische Fragestellungen. Immer wieder wurden in den Sektionen die gesetzlichen Ände-rungen angesprochen, jedoch immer aus einer anderen Perspekti-ve. Dies ist auch den Moderatorinnen und dem Moderatorgeschuldet, die die kommunalen Archive (Marcus Stumpf, LWL-Archivamt für Westfalen), die Forschung (Julia Paulus, LWL-Institut für Regionalgeschichte in Münster und UniversitätMünster) und das staatliche Archivwesen (Bettina Joergens,Landesarchiv NRW, Dezernat Personenstandsarchiv Westfalen-Lippe in Detmold) vertraten. In den Diskussionen wurdeninsbesondere viele Fragen und Argumente aufgeworfen, die dieSchnittstellen zwischen den beteiligten Partnern, also die Benut-zung und die Übernahme sowie die Abstimmung zwischen denArchiven, betrafen. Reininghaus verwies in seinem Schlusswortdarauf, dass das 5. Detmolder Sommergespräch den durch dasneue Personenstandsgesetz noch notwendiger gewordenen Dialog

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78. DEUTSCHER ARCHIVTAG 16. BIS 19. SEPTEMBER 2008 IN ERFURT

„Erstmals in der über hundert jährigen Geschichte des Deut-schen Archivtags ist unser Kongress ganz dem Erhalt des Archiv-guts gewidmet, erstmals steht diese Pflichtaufgabe der Archivezentral im Vordergrund des Programms unserer jährlichen Fach -tagung.“ Mit diesen Worten leitete der Vorsitzende des Verbandsdeutscher Archivarinnen und Archivare, Robert Kretzschmar, dieEröffnungsveranstaltung zum 78. Deutschen Archivtag ein, zudem er weit über 800 Teilnehmer, darunter auch wieder vieleausländische Kolleginnen und Kollegen aus insgesamt 14 Län-dern, im CongressCenter der Messe Erfurt begrüßen konnte.Diese außerordentlich große Beteiligung brachte das starkeInteresse an einem Thema zum Ausdruck, das spartenübergrei-fend alle, die in Archiven tätig sind, in ihrer täglichen Arbeitbetrifft. Die Themenwahl trug nach Kretzschmars Worten einemarchivischen Bewusstseinswandel Rechnung, der eine verstärkteSensibilisierung für konservatorische Belange bewirkt und denStellenwert, der Strategien und Praktiken der Bestandserhaltungim archivischen Fachdiskurs beigemessen wird, erheblich gestei-gert habe: „War die Bestandserhaltung lange Zeit ein eherrandständiges Arbeitsfeld, das nur einige wenige unserer Zunftmit technischem Talent angesprochen hat, so ist sie seit denachtziger Jahren zunehmend in den Vordergrund gerückt und alszentrale Kernaufgabe mit Steuerungsfunktion erkannt worden.“Von Anfang an war geplant, den aktuellen Herausforderungenentsprechend nicht nur den Erhalt des konventionellen Archiv-guts in den Blick zu nehmen, sondern auch die Problematik derLangzeitsicherung digitaler Unterlagen einzubeziehen. Die Leit -fragen, die der Vorsitzende in seiner Begrüßungsanspracheformulierte, zielten daher auf ein ganzheitliches Bild von Be-standserhaltung im Archiv, sowohl was die Vielfalt der für dieZukunft zu bewahrenden archivischen Datenträger und der ver -fügbaren Verfahren anbelangt als auch die Koordinierung undAbstimmung der Maßnahmen in Bestandserhaltungskonzeptensowie deren Bündelung in Kooperationsprojekten: Welche neuenErkenntnisse und Entwicklungen lassen sich feststellen? Gibt esbereits integrative Konzepte, die sich in der Praxis bewähren? Wiewird die Aufgabe der Bestandserhaltung analoger und digitalerRessourcen von anderen Gedächtniseinrichtungen, vor allem denBibliotheken, wahrgenommen? Welche Erfahrungen haben die

FÜR DIE ZUKUNFT SICHERN!BESTANDSERHALTUNG ANALOGER UND DIGITALER UNTERLAGEN

Tagungsbericht von Maria Rita Sagstetter

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA

Archive bei Notfallereignissen wie der Flut von 2002 und demBrand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek 2004 gewonnen?Welche Strategien und Konzepte kommen bei Bemühungen umdie dauerhafte Sicherung audiovisueller und elektronischerDatenträger zum Einsatz? Welche Funktion und Bedeutungkommt dem Medium „Mikrofilm“ im Rahmen der Schutzkon-version zu, welche dem Digitalisat?Die Resonanz auf den Call for Papers hatte sich als erfreulichgroß und inhaltsreich erwiesen. So konnte in den einzelnenVeranstaltungen ein abwechslungsreiches Vortragsprogrammgeboten werden, von dem die Archivtagsteilnehmer Empfehlun-gen und Hilfestellungen für die archivische Praxis sowie rich-tungsweisende Lösungsansätze für künftige Strategien mit nachHause nehmen konnten. Der Appell, für die dauerhafte Sicherungder analogen und digitalen Überlieferung Sorge zu tragen, solltesich freilich nicht nur an die Teilnehmer richten, sondern auchdie Träger der Archive und die Öffentlichkeit auf das Anliegenund die damit verbundenen Probleme, vor allem den Finanzie-rungsbedarf, aufmerksam machen. Dass dieser Ruf nicht un-gehört verhallte, zeigt das Beispiel der Thüringer AllgemeinenZeitung, die am 16. September auf der Titelseite mit der Über-schrift „Archive wollen Millionen“ auf den Archivkongress inErfurt hinwies. Und es darf als Zeichen der Wertschätzung fürBedeutung und Aufgabe der Archive als Gedächtnisinstitutionenverstanden werden, dass sowohl der Ministerpräsident desFreistaates Thüringen Dieter Althaus als auch der Oberbürger-meister der Landeshauptstadt Erfurt Andreas Bausewein an derEröffnungsveranstaltung am Dienstagabend teilnahmen undGrußworte sprachen. Fred J. W. van Kan, Gelders Archief inArnheim, überbrachte die Grüße des Internationalen Archivratsund der ausländischen Archivtagsteilnehmer.

ABLAUF UND BESONDEREPROGRAMMPUNKTE

In seinem Eröffnungsvortrag „Die Idee der Klassik und dieBewahrung ihres kulturellen Erbes“ stimmte Hellmut Seemann,Präsident der Klassik Stiftung in Weimar, die Archivtagsteilneh-mer auf das Rahmenthema ein, indem er den Beginn einermedialen Revolution skizzierte, die Archive, Bibliotheken undMuseen in gleicher Weise betrifft. Die Forderung der ubiquitärenZugänglichmachung von Informationen führe dazu, dass dieanaloge Bestandserhaltung künftig nur noch eine Facette imAufgabenkatalog der Kulturinstitutionen darstellen werde.

VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

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Seemann veranschaulichte seine Ausführungen durch eine provo -kante Hypothese: Wenn die Herzogin Anna Amalia Bibliotheknicht 2004 gebrannt hätte, sondern erst im Jahr 2054, dann wäreman sicherlich nicht bereit, in die Restaurierung und Wieder -beschaffung von geschädigten bzw. verbrannten Büchern, die bisdahin ja längst digitalisiert sein würden, so viel Geld zu investie-ren, wie dies aktuell geschieht. Die Öffentlichkeit würde in derMehrheit den Verlust der Originale zwar bedauern, aber letztlichfür verschmerzbar hinnehmen und auf die Digitalisate als Ersatz-medium verweisen. Das engere Fachprogramm begann am Mittwoch morgen mit dergemeinsamen Arbeitssitzung, in der Hartmut Weber, Präsidentdes Bundesarchivs, einen grundlegenden Vortrag zur „Bestands -erhaltung in einer digitalen Welt“ hielt und für die Erhaltung desanalogen Archivguts oberste Priorität forderte; die Voraussetzun-gen für die Erfüllung dieses Auftrags seien aktuell so gut wienoch nie. Die dauerhafte Sicherung des beschädigten oder gefähr-deten originalen Archivguts drohe jedoch durch Digitalisierungs-projekte in den Hintergrund gedrängt zu werden. Die sog. „Lang-zeitarchivierung“ der Digitalisate, besonders der genuin digitalenUnterlagen, erfordere zusätzliche Ressourcen, deren Bereitstellungjedoch nicht auf Kosten der Erhaltung der Orginale oder in Kon -kurrenz zu derselben erfolgen darf. Wie es in Deutschland umdie Aus- und Fortbildung der Archivarinnen und Archivare aufdem Arbeitsfeld der Bestanderhaltung im internationalen Ver-gleich steht, beleuchtete sodann Karsten Uhde von der Archiv-schule Marburg. Die sich anschließenden vier Sektionen befassten sich mit folgen-den Themen: „Präventive und operative Bestandserhaltung: NeueEntwicklungen und Ergebnisse“, „Erhaltung von AV-Material“,„Langzeiterhaltung digitaler Unterlagen“ und „Notfallbewälti-gung“. In den Sitzungen der Fachgruppen am Donnerstag wur-den einzelne Themenbereiche weiter vertieft. Besondere Beach-tung fand der Vortrag von Mario Glauert, BrandenburgischesLandeshauptarchiv, der unter dem Titel „Die zweite Bewertung“Überlegungen über Priorisierungen in Bestandserhaltungskon-zepten sowie über mögliche Kriterien für die Auswahl der Bestän-de und der durchzuführenden Maßnahmen anstellte und damitden Archivtagsteilnehmern nützliche Anregungen für die Ent-

scheidungsfindung im praktischen Alltag mit auf den Weg gab.Sebastian Barteleit, Bundesarchiv, präsentierte ergänzend dazumit der vertikalen und der horizontalen Bestandserhaltung zweiModelle für die Planung von Maßnahmen und mahnte zur Nach -haltigkeit in der Wahl der Verfahren wie im Einsatz der Ressour-cen. Einen programmatischen Beitrag zum Thema „Mikrofilmoder Digitalisat“ lieferte Martin Luchterhandt, LandesarchivBerlin, der angesichts der mittlerweile für die Schutzkonversionverfügbaren Möglichkeiten für technische Aufgeschlossenheitund Hybridlösungen, die für die archivische Praxis verschiedeneOptionen, nämlich die analoge Bewahrung und die digitaleNutzung, offen halten, warb. Ganz klar formulierte er den Stand-punkt von Fototechnischem Ausschuss und Bundesamt fürBevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, dass es zu der Lang-zeitsicherung auf Film aktuell keine Alternative gibt, eine Siche-rungsdigitalisierung also nicht in Frage kommt.Mit „Strategien einer integrativen Bestandserhaltung für die Zu -kunft“ befasste sich die abschließende Podiumsdiskussion, ander Archivare und Bibliothekare mitwirkten. Einen Schwerpunktihres Meinungsaustausches bildete das Problem des gesteigertenHandlungsbedarfs in Zeiten knapper Kassen, was mehr Manage-ment, integrative Konzepte, Kooperation der Kultureinrichtungenund die professionelle Vermittlung des Ressourcenbedarfs gegen -über den Unterhaltsträgern erfordert. Die vorab als Leitthemaformulierte Frage „Benutzen oder erhalten?“ wurde in die Devise„Erhalten, um zu benutzen“ umgewandelt. Ein wesentliches Er -gebnis des Archivtags, dass Digitalisierung nicht die Probleme derBestandserhaltung lösen kann, wurde erneut einhellig bestätigt;dennoch blieb ihre Doppelfunktion – als Schutzkonversion zumErhalt der Originale beizutragen und als ubiquitär ein setzbaresMedium die Zugänglichkeit zu erleichtern – unbestritten. Insgesamt betrachtet konnten in der Programmgestaltung desErfurter Archivtags erste Schritte zur Umsetzung der Ziele, dieder Vorsitzende auf der Mitgliederversammlung 2007 in Mann-heim angekündigt hatte, vollzogen werden. Indem das Rahmen-motto über die Sektionssitzungen hinaus auch von den Fach-gruppen und dem Arbeitskreis Archivpädagogik und HistorischeBildungsarbeit aufgegriffen wurde, konnte der Kongress nochkonsequenter und stringenter auf die als Thema gewählte zentra-

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Der Tagungsort: CongressCenterder Messe Erfurt AG

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MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA

le Fragestellung ausgerichtet werden, ohne dabei die Vielfalt derAnforderungen und Interessen, in der sich alle Mitglieder derverschiedenen Archivsparten wiederfinden können, aufzugeben.Dem Vorhaben der Vorstandschaft, den Archivtag zu einemUmschlagplatz für aktuelle Informationen auszubauen, trägt die2006 neu eingeführte besondere Informationsveranstaltung zuaktuellen Themen Rechnung. 2008 informierte der ArbeitskreisBerufsbild über neue Entwicklungen in der Archivarsausbildung.Im Zentrum standen dabei neben Veränderungen im allgemeinenBerufsbild des Archivars die an die Reformen im Bologna-Prozessangepassten neuen Curricula der Bachelor- und Masterstudi-engänge in Marburg und Potsdam. Auch die Absicht des VdA, sich verstärkt in der Fortbildung zuengagieren und damit dem in der Mitgliederbefragung 2007artikulierten Bedarf zu entsprechen, konnte durch eine Neuerungrealisiert werden: So wurden in Erfurt erstmals sechs Veranstal-tungen mit Fortbildungscharakter angeboten, die einzelneSchwer punktbereiche praxisorientiert vertiefen sollten. Behandeltwurden Notfallvorsorge und -bewältigung, Schutz vor Staub undSchimmel, Speichern auf Mikrofilm als Zukunftslösung, Fotogra-fie im Archiv, Strategien und praktische Lösungsansätze für denErhalt digitaler Unterlagen sowie die praktische Anwendung vonAus tauschformaten bei der Retrokonversion von Findmitteln.Wegen der begrenzten Teilnehmerzahl waren die Workshops, indenen man ein Zertifikat erwerben konnte, rasch ausgebucht.

BEGLEITPROGRAMM Das historische Stadtbild der thüringischen Landeshauptstadt,die 2008 mit Jubiläumsveranstaltungen an den Erfurter Fürsten-kongress von 1808 erinnerte, lieferte eine reizvolle Kulisse für denArchivtag und das Begleitprogramm. Am Mittwochabend fandwieder der Begegnungs- und Gesprächsabend für Archivtagsteil-nehmer, Messeaussteller und Gäste statt, wobei das prächtigeAmbiente im historischen Kaisersaal sowie das vielseitige und

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köstliche Buffetangebot für großes Lob sorgten. Sehr gut besuchtwar der lokalhistorische Vortrag, der sich am Donnerstagmittagan die Fachgruppensitzungen anschloss. Dr. Rudolf Benl, Leiterdes Stadtarchivs Erfurt, sprach über „Erhalt und Verlust derhistorischen Bausubstanz“ in Erfurt und stellte über den denk-malpflegerischen Aspekt den Bezug zum Archivtagsthema her.Für Dienstag und Donnerstag hatte der Ortsausschuss unter derLeitung von Dr. Rudolf Benl zahlreiche Führungen vorbereitet,die Erfurter Sehenswürdigkeiten und Gedächtniseinrichtungenzum Gegenstand hatten; in das Rahmenprogramm einbezogenwurde auch das nahe gelegene Weimar mit Führungen durch dasHistorische Bibliotheksgebäude der Herzogin Anna AmaliaBibliothek sowie durch das Goethe- und Schiller-Archiv.

VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

Das Team des Tagungsbüros

Mikrofilm oder Digitalisat? Martin Luchterhandt, Berlin, bei seinem Vortrag über„Schutzmedien im Wandel“

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Am Freitag fand in Weimar ein Archivbaukolloquium zumThema „Moderne Archive in historischen Räumen“ statt, das dieKlassik-Stiftung Weimar und das Thüringische Hauptstaatsar-chiv Weimar vorbereitet und organisiert hatten. Außerdemwurden zwei Studienfahrten angeboten, von denen die eine zurSchlossruine Schwarzburg und zum Thüringischen StaatsarchivRudolstadt führte, die andere hatte die Kulturstadt Weimar zumZiel, wo die Werkstatt für die Restaurierung brandgeschädigtenSchriftguts der Klassik-Stiftung Weimar besichtigt und an einerStadtführung teilgenommen werden konnte.

ARCHIVMESSE ARCHIVISTICA Die Fachmesse ARCHIVISTICA hat dieses Mal mit 61 Anmeldun-gen so viele Aussteller wie noch nie angezogen. Die räumlichegünstige Situierung der öffentlich zugänglichen Messe – kompri-miert auf ein Karree und in Nachbarschaft zu Hauptsaal und

Dr. Maria Rita Sagstetter Staatsarchiv AmbergArchivstraße 392224 AmbergTel. +49 9621 307-277; Fax +49 9621 [email protected]

Geselliger Abend in prachtvollem historischen Ambiente: der Kaisersaal in Erfurt

Abschließende Podiumsdiskussion; von links: Wilfried Reininghaus, Anette Gerlach, Rolf Griebel, Bernhard Preuss, Peter Sandner, Marcus Stumpf

Cafeteria – trugen neben der Attraktivität des Angebots dazu bei,dass neben den Vorträgen auch die Gelegenheit zum Dialogzwischen Anbietern und Archivtagsteilnehmern ausgiebig genutztwurde. Die erstmals 2007 in Mannheim durchgeführten Präsen-tationen zu Produkten, Dienstleistungen und technischen Neu-entwicklungen wurden in Erfurt wegen der großen Nachfrageseitens der Aussteller auf fünf Foren (mit insgesamt 22 Einzelprä-sentationen) ausgeweitet.

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Die Fachgruppensitzung der staatlichen Archivarinnen undArchivare war mit dem Titel „Konzepte und Strategien für dieBestandserhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut“ überschrie-ben. Auf dem Programm der Veranstaltung, die unter der Leitungder Fachgruppenvorsitzenden Dr. Maria Rita Sagstetter, Staatsar-chiv Amberg, stattfand, standen vier Vorträge. Zwei davon knüpf-ten an die Vorträge von Dr. Mario Glauert und Gerhard FürmetzM. A., die sich in der Sektionssitzung 1 mit dem Problem derPriorisierung in der Bestandserhaltung bzw. neuen technischenEntwicklungen und Perspektiven in der Mikroverfilmung ausein-ander gesetzt hatten, an und ergänzten sie mit eigener Ziel- undSchwerpunktsetzung. Ein weiterer Vortrag befasste sich mit derRekonstruktion der zerrissenen Stasi-Unterlagen und beleuchtetedamit eine besondere Variante der Überlieferungssicherung, dienicht durch die „regulären“ Schadensfaktoren wie Feuer, Wasser,Feuchtigkeit, sondern eine bewusst und absichtlich unternom -mene Vernichtungsaktion notwendig geworden war. Das vierteReferat schließlich hatte das LandesrestaurierungsprogrammBaden-Württemberg zum Gegenstand und gab den Archivarin-nen und Archivaren Gelegenheit, sich am Beispiel der Univer-sitätsbibliothek Heidelberg über spezielle Anliegen und Strate -gien der Bestandserhaltung in wissenschaftlichen Bibliotheken zuinformieren. Unter dem Titel „Vertikale und horizontale Bestandserhaltung –Einige Überlegungen zum nachhaltigen Umgang mit knappenRessourcen“ stellte einleitend Dr. Sebastian Barteleit M. A.,Bundesarchiv Berlin, zwei Modelle für die Konzipierung vonBestandserhaltungsmaßnahmen sowie deren Vor- und Nachteileeinander gegenüber. Seine Ausführungen gingen vom Pyramiden-modell aus, mit dem tags zuvor Dr. Glauert die Rangfolge derBestandserhaltungsaufgaben (und in der Umkehrung den damitverbundenen Kostenaufwand) demonstriert hatte. Bei der hori-zontalen Bestandserhaltung orientieren sich alle Planungen undMaßnahmen konsequent an der Abfolge der in diesem Stufenmo-dell vorgesehenen Schritte. Fachgerechte Lagerung und Ver-packung sollen als grundlegende Aufgaben Priorität haben undmöglichst flächendeckend umgesetzt werden; weiter reichendeMaßnahmen können im Anschluss folgen. Bei dieser Vorgehens-weise lässt sich erreichen, dass alle Bestände vom Ressourcenein-satz profitieren können. Daneben kann sich in bestimmten Fällenaber auch die vertikale Bestandserhaltung als sinnvoll erweisen,bei der pro Bestand ein oder mehrere Verfahren in Kombinationzur Anwendung gelangen (z B. nur Entsäuern oder Verpackungund Schutzkonversion oder Verpackung, Schutzverfilmung undEntsäuern). Zur Veranschaulichung erläuterte Barteleit denWork flow bei aktuellen Unternehmungen des Bundesarchivs, dienach dem Bestandsmodell ablaufen. Als Entscheidungskriterien

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für die Auswahl der Bestände und der durchzuführenden Maß-nahmen werden dabei die Bedeutung des jeweiligen Bestands fürdas Archiv, die Nutzungsfrequenz sowie bereits eingetretene bzw.zu erwartende Schäden herangezogen. Welches Modell auch zumEinsatz kommt, das Stufen- oder das Bestandsmodell, in jedemFall gilt es, so der abschließende Appell von Barteleit, bei derFrage nach Erfolg versprechenden Bestandserhaltungsstrategienim Sinne der Nachhaltigkeit zukunftsorientierte Entscheidungenzu fällen und auf Dauer angelegte Verfahren zu wählen.Dr. Martin Luchterhandt, Landesarchiv Berlin, Vorsitzender desFototechnischen Ausschusses der ARK („Sicherung und Nut - zung durch bildgebende Verfahren – Fototechnik“), sprach an -schließend über „Schutzmedien im technischen Wandel – Mög-lichkeiten und Konsequenzen für die archivische Praxis“. DasProblem, dass sich auf die Frage nach dem richtigen Schutzmedi-um keine eindeutige Antwort geben lässt, sieht Luchterhandt imeinseitigen Blickwinkel begründet. Aus der Nutzungsperspektivehat der Film mit dem Image „zu schwerfällig, zu grau, zu be-schränkt“ schlechte Karten, während das Digitalisat mit univer-seller Verfügbarkeit, Farbe und trockener Aufnahmetechnikpunktet. Im Hinblick auf die Beständigkeit freilich schneidet dieDigitalisierung schlecht ab – als zu wandelhaft, unkalkulierbarund kostenintensiv. Luchterhandt plädiert deshalb für Hybrid -lösungen, um sich für die archivische Praxis verschiedene Optio-nen offen halten zu können. Zwei Verfahren, die analoge Bewah-rung und digitale Nutzung verbinden, bieten sich an: das Ausbe-lichten von Images auf Film und das Einscannen von Filmen. Ineinem Pilotprojekt werden derzeit überdies Lösungen für einehochpräzise Ausbelichtung von Farbimages auf Farbmikrofilmenerprobt, die der Nachfrage von Nutzerseite nach farbigen Schutz-medien entgegenkommen könnten. Generell müssen Schutzmedi-en laut Luchterhandt zwei wesentliche Anforderungen erfüllen:die Nachhaltigkeit der gewählten Lösung und die Akzeptanz desMediums. In der Debatte um die Frage „Film oder Digitalisat?“spielt die Sicherungsverfilmung eine gesonderte Rolle. Hier hältder Fototechnische Ausschuss gemeinsam mit dem Bundesamtfür Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) am Prinzipder Sicherung auf Film fest, da es zur optischen Qualität und zurStabilität des Mikrofilms nach wie vor keine Alternative gibt.Dennoch, so Luchterhandt, fördert und unterstützt der Fachaus-schuss auch die digitale Nutzung von Verfilmungen und dieAusbelichtung von Digitalisaten.In einem Koreferat lieferten Joachim Häußler und Andreas PetterM. A., beide BStU Berlin, einen Werkstattbericht über „DasPilotverfahren zur virtuellen Rekonstruktion zerrissener Stasi-Unterlagen“. Die Erschließung des Schriftguts des ehemaligenMinisteriums für Staatssicherheit gestaltet sich aufgrund der

BERICHTE ZU DEN SITZUNGEN DER FACHGRUPPENFACHGRUPPE 1: STAATLICHE ARCHIVE

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Fragmentierung und Unübersichtlichkeit der Überlieferung alsäußerst schwierig. Dies resultiert aus dem Willkürakt von Mitar-beitern der Stasi, die Ende 1989 unter dem Eindruck der Friedli-chen Revolution versucht hatten, Unterlagen der verschiedenenDiensteinheiten und auch aus den „MfS-Archiven“ zu vernichtenoder zumindest in einem Zustand der Verunordnung zu hinter-lassen, um einen raschen Zugang zu verhindern. Seit 1995 arbei-tet die BStU-Projektgruppe Manuelle Rekonstruktion in Zirndorfzentral an der Wiederherstellung der geschredderten oder perHand zerrissenen Schriftstücke und Akten. Die Rekonstruktionzielt darauf ab, die „vorvernichteten“ Stasi-Unterlagen so weitaufzubereiten, dass sie fachgerecht bewertet und erschlossenwerden können. Solange es nicht gelingt, die zerrissenen Unterla-gen als Teilbestand in den Erschließungsprozess einzubeziehen,kann die Bearbeitung des zufällig intakt gebliebenen Stasi-Schrift guts nur provisorischen Charakter haben. Neben dermanuellen Rekonstruktion wird seit 2007 im Rahmen einesForschungsauftrags, der an das Berliner Fraunhofer-Institut fürProduktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) vergebenwurde, ein Pilotverfahren zur virtuellen Rekonstruktion erprobt,mit dessen Hilfe die Zusammenfügung der Schnipsel automati-siert und beschleunigt und ebenso das Ergebnis nachhaltiggesichert werden soll. Nach einer manuellen Vorsortierungwerden von den Schnipseln hochwertige Digitalisate erstellt, dieeindeutig referenzierbar sind und auf ihre Provenienz (Charge,Sack, Diensteinheit des MfS) verweisen. Die zum Einsatz kom-mende Software soll die Puzzleteile anschließend anhand forma-ler Übereinstimmungsmerkmale (Farbe, Risskantenprofil, Schrift)virtuell zu Seiten zusammenfügen, wobei mit der Lieferung derersten Images für 2009 zu rechnen ist. Für die weitere Bearbei-tung sollen die durch das virtuelle Puzzling entstandenen Seiten-Images dann revisionssicher und verlustfrei sowie in einem lang -zeitsicherungsfähigen Format, kombiniert mit den Metadaten, andie BStU übergeben werden. Die Formierung der Schriftstücke zuVerzeichnungseinheiten ist anhand von Ausdrucken vorgesehen,wovon Kopien als Nutzungsexemplare vorgehalten werden.Nachdem das übrige, intakte Material in Papierform vorliegt,entsteht so für den Benutzer beim Aktenstudium kein Medien-bruch. Ob für die nachhaltige Sicherung der Seiten-Images (alsProdukte der virtuellen Rekonstruktion können diese als „borndigital records“ gelten) der digitale Weg beschritten oder dieAusbelichtung auf Mikrofilm gewählt werden soll, ist noch nichtentschieden. Im letzten Vortrag stellte Dr. Stefanie Berberich, Universitäts -bibliothek Heidelberg, unter dem Titel „Bibliotheken als Partnerim Landesrestaurierungsprogramm Baden-Württemberg“ dieRahmenbedingungen für die Bestandserhaltungsaktivitäten derUniversitätsbibliothek Heidelberg vor und erläuterte deren Stra -tegien, die auf die Besonderheit ihrer Bestände wie die speziellenAnforderungen seitens ihrer Kunden Bezug nehmen. Das Landes-

restaurierungsprogramm Baden-Württemberg wurde 1986 durchdie Landesregierung verabschiedet. Es beinhaltet die Bereitstel-lung der institutionellen Infrastruktur und der finanziellenRessourcen zur Erhaltung des gefährdeten Kulturerbes in den inLandesträgerschaft befindlichen Archiven und Bibliotheken. Indiesem Rahmenmanagement kooperieren das LandesarchivBaden-Württemberg, die beiden wissenschaftlichen Landesbi-bliotheken sowie die Universitätsbibliotheken und -archive anden neun Universitätsstandorten. Kernstück ist das Institut fürErhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut in Ludwigsburg, daseine Doppelfunktion als Service- und Kompetenzzentrale erfülltund auch die im Landeshaushalt eingestellten Mittel bewirtschaf-tet. Eine erfolgreiche Bestandserhaltungsstrategie hängt fürwissenschaftliche Bibliotheken nach Berberich von der profun-den Kenntnis des Kundenprofils, der objektiven Bewertung derRessourcen sowie der Formulierung von einfachen, konsistentenund langfristigen Zielen ab. Verschiedene Studien haben gezeigt,dass im Zentrum der Kundenwünsche die Forderung nach derdigitalen Verfügbarkeit von Quellen und nach Verkürzung desZeitaufwands für Informationsrecherche und -beschaffung steht.Kennzeichnend ist außerdem die hybride Einstellung der Kun-den, d. h. diese nutzen gedruckte und digitale Quellen für dieInformations- und Literaturrecherche. Die besonderen Anforde-rungen, die wissenschaftliche Kunden an ihren zentralen Infor-mationsversorger stellen, haben zur Folge, dass der Altbestandnicht nur im Original zu erhalten, sondern auch in einer demKundenprofil entsprechenden Informations-Infrastruktur anzu-bieten ist. Je nachdem, um welchen Medientyp es sich handelt,Handschriften, Inkunabeln und Sammlungen mit Unikatcharak-ter oder Zeitschriften und Bücher mit Unikatcharakter bzw. mitMehrfachbesitz, wird in der UB Heidelberg das Bewahren dermateriellen Substanz des Originals bzw. zumindest der Informa -tion als oberstes Ziel verfolgt. Als Sekundär- und Schutzmedienwerden von den Kunden Digitalisate bevorzugt, die in der Regeldurch Inhouse-Digitalisierung hergestellt und in den Nachweis-systemen berücksichtigt werden. Mikroverfilmung wird imOutsourcing-Verfahren an spezialisierte Firmen vergeben.Abschließend dankte die Fachgruppenvorsitzende der Referentinund den vier Referenten für ihre Vorträge und nutzte noch dieGelegenheit, auf die nächste Frühjahrstagung hinzuweisen. Diesewird auf Einladung des Sächsischen Staatsarchivs am 22./23.April 2009 in Dresden stattfinden und sich mit einem Fachkollo-quium verbinden, das dort aus Anlass des 175. Jahrestags derformellen Gründung des Hauptstaatsarchivs durchgeführtwerden wird. Es wird sich inhaltlich mit der Geschichte derArchivarbeit (Rahmenbedingungen, Methoden und Perspektiven)beschäftigen.Die Vorträge der Fachgruppensitzung in Erfurt sind auf derInternetseite des VdA nachzulesen.

Maria Rita Sagstetter, Amberg

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Mit aktuellen Informationen aus der Bundeskonferenz derKommunalarchive beim Deutschen Städtetag (BKK) eröffneteOtto Bräunche (Karlsruhe) den zweiten Teil der Veranstaltung derFachgruppe 2 (Kommunale Archive) in Erfurt.1 In der BKKhaben sich insbesondere zwei Personalia verändert: MarcusStumpf (Münster) übernimmt nunmehr an Stelle von NorbertReimann (Münster) die Leitung des Unterausschusses „Aus- undFortbildung“. Peter Weber (Brauweiler) hat die Leitung des Unte rausschusses „Bestandserhaltung“ übernommen.Überdies berichtete Otto Bräunche von einer ad hoc Arbeits -gruppe zum Thema „Digitalisierung durch Dritte“, die sichaufgrund der Anfragen durch Mormonen gegründet hat. Ausge-arbeitet werden unter der Federführung von Roland Müller(Stuttgart) Eckpunkte für Verträge bei der Digitalisierung durchDritte. Verschickt werden sollen die Handreichungen über denDeutschen Städtetag, eine Veröffentlichung soll auf der Homepa-ge der BKK stattfinden. Der Unterausschuss „Aus- und Fortbildung“ von Marcus Stumpf(Münster) hat im Berichtszeitraum zwei Mal getagt. Die projek-tierten und zum Teil schon durchgeführten Seminare, beispiels-weise im November 2008, beschäftigen sich mit der Fragestellung„Kommunalarchive und Internet“, wobei die Themen „Archivgutim Internet“, rechtliche Zusammenhänge und „Möglichkeitender Digitalisierung“ zur Sprache kommen. Für die längerfristigePlanung kündigte Marcus Stumpf an, Synergien nutzen zu wollenund durch Zusammenarbeit und Informationsaustausch Transpa-renz bei der insgesamt steigenden Zahl an Fortbildungsangebo-ten herstellen zu wollen. Der Unterausschuss „Bestandserhaltung“ wird nunmehr vonPeter Weber (Brauweiler) geleitet. Der Ausschuss hatte – nachlängerer Pause – auf dem Deutschen Archivtag in Erfurt seinekonstituierende Sitzung. Ziel der künftigen Arbeit sei es, so PeterWeber, das Problembewusstsein auch bei Archivträgern undkommunalen Spitzenverbänden zum Thema Bestandserhaltungzu schärfen. Ein Positionspapier mit Arbeitshilfen und Empfeh-lungen soll daher erstellt werden.Robert Zink (Bamberg) berichtete aus dem BKK-Unterausschuss„IT“. Dieser hat sich während des Berichtszeitraums ein Mal ge -

troffen. Robert Zink wies auf die Handreichungen der Bun-deskonferenz auf der Website der BKK, auf den Entwurf einesBundesmeldegesetzes, die Initiative „i2010“ der EU, die Anlauf-stelle für Retrokonversion in Marburg und das Portal „Michaelplus“ hin. Auf besonderes Interesse stießen seine Ausführungenzur Änderung des Personenstandgesetzes zum 1. Januar 2009. Dasich die Verordnung des Bundesinnenministeriums zur Aus-führung des neuen Personenstandsgesetzes zurzeit in Umsetzungbefindet, wird diese Problematik die Archive in naher Zukunftstark beschäftigen. Aus dem Unterausschuss „Historische Bildungsarbeit“ berichteteRoland Müller (Stuttgart). Er wies auf das erarbeitete Positions-papier des Ausschusses hin. Neue Aufgabe des Unterausschussesist die Erarbeitung von Handreichungen zur Historischen Bil-dungsarbeit. Hierbei soll insbesondere der Strauß der Möglich-keiten, der sich bei der Historischen Bildungsarbeit bietet, aufge-zeigt werden. Die Handreichungen sollen eine Operationalisie-rung des Positionspapiers darstellen und eine Gliederung nachProdukten historischer Bildungsarbeit bieten. Irmgard Christa Becker (Saarbrücken) fasste die Ergebnisse ausdem Unterausschuss „Überlieferungsbildung“ zusammen. Hierist insbesondere die 27 Seiten umfassende, auf der BKK-Sitzungin Erfurt verabschiedete Arbeitshilfe zum Thema „Dokumenta-tionsprofile“ zu nennen, die nunmehr auch auf die Homepageder BKK eingestellt wird. Künftig wolle der Unterausschuss, soIrmgard-Christa Becker, weiter an den Dokumentationsprofilenbis hin zu Dokumentationszielen arbeiten und sich exemplarischeinigen Bereichen, beispielsweise dem Bauwesen, zuwenden.Überdies wolle man Beispielempfehlungen zum Thema „Perso-nenstandswesen“ erarbeiten und Bewertungsempfehlungen fürdie Sammelakten an die Hand geben. Abschließend wies Michael Diefenbacher (Nürnberg) auf diestabile und sogar noch leicht wachsende Mitgliederzahl der Fach -gruppe 2 hin. Mit aktuell 686 Mitgliedern (Stand 31.12.2007) istsie weiterhin die stärkste Fachgruppe im VdA.

Sabine Brenner-Wilczek, Fürth

Viele Teilnehmer, gute Vorträge und eine lebhafte Aussprache –so präsentierte sich die Fachgruppe der Archivarinnen undArchivaren an kirchlichen Archiven auf ihrer Fachgruppensitzungim Erfurter CongressCenter. 71 Teilnehmende drängten sich imRaum, um anhand von zwei Praxisberichten zu erfahren, wie sichder Übergang zur Archivierung elektronischer Unterlagen inkirchlichen Verwaltungen darstellt. Insofern nahm auch dieFachgruppe 3 das Gesamtthema des Archivtags „Bestandssiche-rung analoger und digitaler Unterlagen“ auf und trug damit zueiner Vertiefung der fachlichen Auseinandersetzung mit dieserkünftig auf alle Archive zukommenden Aufgabe bei.Ein gangs gab der Archivar des gastgebenden Bistums Erfurt, Dr.Michael Matscha, einen kurzen Überblick über die jüngereVerwaltungsgeschichte der thüringischen Kirchen. Dabei sind dieUnterlagen im Bistumsarchiv weitaus älter als das junge Bistum,das 1994 aus paderbornischen, würzburgischen und anderen

Gebieten neu gebildet wurde. Die Unterlagen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, die nach dem 1. Weltkrieg ausden selbständigen Landeskirchen der thüringischen Fürstentü-mer entstand, befinden sich in Eisenach. Die früher preußischenGebiete Thüringens (Erfurt, Mühlhausen, Nordhausen u. a.)gehören hingegen zur Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen,deren Archiv seinen Sitz in Magdeburg hat. Beide Kirchen fusio-nieren 2009 zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.In seinem Vortrag über die „Elektronische Aktenführung undArchivierung in der badischen Landeskirche“ beschrieb derLeiter des Karlsruher Kirchenarchivs, Dr. Udo Wennemuth, diePraxisprobleme der Einführung eines Dokumentenmanagement-systems im Evangelischen Oberkirchenrat, der leitenden Behördeder Landeskirche.2 Das Archiv, mit dem auch die Registraturverbunden ist, war von Beginn an in den Einführungsprozesseingebunden. So war es möglich, frühzeitig auf Schwierigkeiten

FACHGRUPPE 2: KOMMUNALE ARCHIVE

FACHGRUPPE 3: KIRCHLICHE ARCHIVE

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hinzuweisen, die vor allem aus einer mangelnden Anpassung dergewerblichen Anbieter an den im Pflichtenheft definiertenNutzerbedarf resultieren. Da die erprobten Programme vielfachnicht halten, was sie versprechen, musste die geplante Pilotphaseinzwischen verlängert werden. Für die dauerhafte Sicherung istneben der Aufbewahrung der elektronischen Unterlagen auch dieAusgabe auf Mikrofilm vorgesehen.Im Erzbischöflichen Ordinariat in München wurde bereits einDokumentenmanagementsystem auf der Grundlage des DO-MEA-Standards eingeführt, wie Volker Laube (Archiv des Erz-bistums München und Freising) in seinem Beitrag zur „Langzeit-archivierung digitaler Unterlagen im Erzbistum München undFreising“ ausführte. Die einzelnen Verwaltungseinheiten stellennach und nach auf die elektronische Aktenführung um. DasArchiv legt seinen Schwerpunkt auf die Organisation der Archi-vierung der anfallenden elektronischen Unterlagen. Insbesondereging der Referent auf die Entwicklung von Bewertungskriterienein. Vor allem die speziellen, datenbank-basierten Fachanwen-

dungen (Bauverwaltung, Personalverwaltung etc.) benötigenbesondere Lösungen. Das Ziel des Archivs ist die Erstellungregelmäßiger Datenbankauszüge, die unter Berücksichtigungforschungsrelevanter Fragestellungen nach archivischen Gesichts-punkten erstellt und dann als „normale“ elektronische Doku-mente archiviert werden sollen. Dabei sind vor allem noch dieStandards, Normen und Formate zu klären. Hauptthema der anschließenden „aktuellen Stunde“ war derneueste Stand des im Aufbau befindlichen gemeinsamen Portalszu Kirchenbüchern in kirchlichen Archiven (www.kirchenbuch-portal.de). Am Abend trafen sich die Fachgruppenmitglieder mitGästen aus dem VdA-Vorstand zum traditionellen Empfang imSaal des Caritas Kinder- und Jugendheims St. Vinzenz. Dort be-stand auf Einladung der Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsenund des Bistums Erfurt und im Beisein des Erfurter BischofsWanke in angenehmer Atmosphäre ausgiebig Gelegenheit zumfachlichen und persönlichen Austausch.

Michael Häusler, Berlin

Die beiden Fachgruppen der Adels- und Wirtschaftsarchivaretagten auch in diesem Jahr wieder gemeinsam unter der Leitungvon Dr. Martin Dallmeier (Regensburg) und Dr. Ulrich S. Soénius(Köln). Die drei Vorträge waren bewusst als Ergänzung zumRahmenprogramm des Archivtages gedacht. Die sehr gut besuch-te Sitzung entwickelte sich im Laufe der Debatten zu einemintensiven Diskussionsforum, an dem sich Archivare aller Spartenbeteiligten. Diese offene Diskussion über die Fachgruppen hin -weg war sehr fruchtbar und der Dank der Sitzungsleitung dafürgilt allen Teilnehmern. Dr. Ulrike Gutzmann (Wolfsburg) sprach über „Sicher für dieEwigkeit? Bestandserhaltung von elektronischen Dokumenten“.Zunehmend laufen Kommunikation, Geschäfts- und Verwal-tungsprozesse elektronisch ab. Daraus ergibt sich eine wachsendeAnzahl von Dokumenten, die für die Dauer der gesetzlichen oderinternen Aufbewahrungspflicht durch Menschen lesbar und fürdiese zugänglich gehalten werden muss. Darüber hinaus sindAuthentizität und Integrität dieser Unterlagen zu gewährleisten.Es ist darum höchste Zeit, dass die Archivare die Bestandserhal-tung elektronischer Unterlagen ebenso als ihre Aufgabe ansehenwie diejenige der analogen Überlieferung. Empfehlenswert ist,dass das Archiv künftig im Vorfeld die Prozesse und Funktionender anbietungspflichtigen Registraturbildner sowie die anfallen-den Unterlagen prüft und festlegt, welche elektronischen Datenauf jeden Fall, welche möglicherweise und welche dauerhaftaufbewahrt werden sollen. Bei der Einführung von elektroni-schen Systemen sollte das Archiv beteiligt werden, um seineAnforderungen an Standards, Formate und Metadaten zu formu-lieren. Sinnvoll erscheint zudem, die enge Beteiligung des Archivsan einer elektronischen Altregistratur, die die Verantwortung fürdie elektronischen Daten für die Dauer der Aufbewahrungs-pflicht übernimmt. Es senkt Kosten und erleichtert die Übergabeder archivwürdigen elektronischen Dokumente, wenn bereits beider Entwicklung der Systeme Importschnittstellen angelegt

werden, aus denen die elektronischen Dokumente mit ihremjeweiligen Metadatensatz entweder direkt ins Archiv oder zu -nächst in die elektronische Altregistratur und von dort dann insArchiv übergehen. Die Formate sollten möglichst langlebig,zukunftssicher und migrierbar sein. Generell wird es sich be-währen, wenn eine integrierte IT-Lösung für den Umgang mitelektronischen Dokumenten gefunden wird, die den Lebenszy-klus der Unterlagen berücksichtigt. Der Übergang der Verantwor-tung für die Daten von der operativen Stelle zum Archiv kannüber Berechtigungen geregelt werden, so dass die Daten währendder gesamten Dauer ihres Lebenszyklus möglicherweise durchdasselbe Rechenzentrum betreut werden. Die Arbeit der Archiva-re verlagert sich damit beim Umgang mit digitalen Dokumentenstärker in den vorarchivischen Bereich. Das OAIS-Modell (OpenArchival Information System) bietet die Basis für entsprechendearchivstrategische Konzepte.In diesen Kontext passte auch der Beitrag von Angela Ullmann(Berlin): „Kopieren ist nicht Erhalten! Webarchivierung zu Endegedacht“. Die Archivierung von Webangeboten ist eine neueAufgabe für die Archive. Dominierten bis vor einigen Jahren dieDiskussionen über die grundsätzliche Zuständigkeit der Archiveund die generelle Archivwürdigkeit von Webangeboten, so hatsich der Fokus mittlerweile auf das Problem der Langzeiterhal-tung von Netzressourcen verschoben. Eine Langzeiterhaltung vonWebseiten ist schwierig, weil nicht nur viele Dateien in unter-schiedlichen Formaten, sondern auch die Beziehungen und Ver -linkungen der Dateien untereinander bewahrt werden müssen.

FACHGRUPPEN 4 UND 5: HERRSCHAFTS- UND FAMILIENARCHIVE, WIRTSCHAFTSARCHIVE

1 Zu dem ersten Teil mit den fachlichen Beiträgen zum Rahmenthema des Archivtags wird ein eingehender Bericht im Tagungsband des Archivtags ver-öffentlicht.

2 In erweiterter Form unter dem Titel „Elektronische Aktenführung – Dokumen-tenmanagementsysteme – Elektronische Archivierung“ veröffentlicht in: Ausevangelischen Archiven, Nr. 48 (2008), S. 50-76.

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Die Fachgruppe 6 trat am Donnerstag, den 18. September 2008,auf dem 78. Deutschen Archivtag in Erfurt zu ihrer Arbeitssit-zung zusammen. Tagungsort war der Thüringische Landtag.Insgesamt hatten sich ca. 40 interessierte Kolleginnen und Kolle-gen versammelt, die von den Gastgebern, der Landtagspräsiden-tin Frau Prof. Dr. Dagmar Schipanski und dem Leiter des Parla-mentsarchivs Dr. Harald Mittelsdorf begrüßt wurden. Der Vorsit-zende der Fachgruppe, Dr. Günter Buchstab, verwies auf dieFachgruppensitzung im Jahr 1999, die im Rahmen des DeutschenArchivtages in Weimar ebenfalls im Thüringischen Landtagabgehalten worden war, damals allerdings noch in den altenGebäuden. Positiv vermerkte er, dass der Thüringische Landtagsein Archiv weiterhin in eigener Zuständigkeit verwalte. Dennnur so sei gewährleistet, dass nicht nur das Archivgut kompetentbetreut, sondern auch die Geschichte des Landtags aufgearbeitetwerde.Dr. Buchstab erläuterte das Motto des Archivtages „Für dieZukunft sichern! Bestandserhaltung analoger und digitalerUnterlagen“ und verwies auf seine große Relevanz für die Archiveder Fachgruppe 6, die mit der Sicherung der Webseiten vonParteien und Parlamenten schon seit vielen Jahren die Vorreiterbei der Archivierung dieser neuen Quellengattung sind. An -schließend dankte er Frau Brigitte Nelles, die ihr Amt als stellver-tretende Vorsitzende der Fachgruppe niedergelegt hatte, für ihreTätigkeit und ihr großes Engagement und bedauerte ihr Aus-scheiden aus dem Vorstand. Die nach den Fachvorträgen ange-setzte Neuwahl führte zu keinem Ergebnis, da sich kein Reprä-

sentant eines Parlamentsarchivs zur Kandidatur bereit erklärte.Es wurde daher beschlossen, dass die Funktion bis zu denregulären Neuwahlen im nächsten Jahr vakant bleibt. 2009werden dann auch der Vorsitzende aus Altersgründen sowie dieSchriftführerin ihre Funktionen aufgeben. Die drei Fachvorträge und die sich anschließende Diskussion the matisierten die Einführung von Dokumentenmanagement sys -temen aus unterschiedlichen Perspektiven. Zunächst präsentierteAndreas Philipp, Leiter der Firma PDV-System GmbH, dasProdukt VISkompakt, ein Dokumenten- und Vorgangsverwal-tungssystem, das im Thüringer Landtag eingesetzt werden soll. Anschließend schilderte Eckhardt Steinbrück ausführlich ausSicht der Landtagsverwaltung das Konzept und die Pilotierungs-phase des Projekts. Unter Verzicht auf die Altdaten wird einNeubeginn mit VIS zu Beginn der neuen Legislaturperiode nachder Landtagswahl 2009 angestrebt. Bis dahin sind bestimmteArbeitsabläufe an VIS anzupassen und Schnittstellen für dieFraktionen und die Landesregierung bereitzustellen. Ungelöst istnach wie vor die Problematik der Authentizität und Signatur derdigitalen Dokumente, weswegen im Geschäftsgang vorerst diePapierversion das Leitdokument bleibt.In seinem Beitrag „Furchtloser Archivar – papierloses Archiv“berichtete Dr. Peter Sandner vom Hessischen HauptstaatsarchivWiesbaden vom Aufbau eines digitalen Archivs der hessischenStaatsarchive. Er bekräftigte alle Argumente für eine Einführung,wies besonders auf die Aufgabe der „Disziplinierung der Mitar-

Diese Herausforderung ist sowohl international als auch nationalnoch lange nicht gelöst. Frau Ullmann stellte die Ansätze desDeutschen Bundestages zur Bewahrung von Webangeboten vor.Die Archivierung erfolgt dort in Kooperation zwischen denOnline-Diensten und dem Parlamentsarchiv mittels eines Sys -tems, das hierfür eigens und intern entwickelt wurde. Mit diesemSystem wird der gesamte Workflow der Archivierung abgebildet;auch werden verschiedene Voraussetzungen der Langzeiterhal-tung erfüllt wie Anlegen einer Sicherungskopie, Erstellung einerStatistik über Dateien und Dateiformate, Konvertierung von htmlnach xhtml. Bislang nicht technisch implementiert sind jedochweitere wichtige Maßnahmen wie die Migration anderer Dateity-pen außer html. Auch ein Datenmodell für die Verwaltungunterschiedlicher Repräsentanzen eines Snapshots befindet sichnoch in der Entwicklung. Das Webarchiv ist online unterhttp://webarchiv.bundestag.de verfügbar. Ein umfangreichesKonzept zur „Archivierung von Netzressourcen des DeutschenBundestages“ ist ebenfalls online unter http://www.bundestag.de/wissen/archiv/oeffent/arch_netz_klein2.pdf abrufbar.Nach den beiden Vorträgen zur elektronischen Archivierungberichtete Mag. Manuela Fellner-Feldhaus (Essen) über dasBestandserhaltungsprogramm im Historischen Archiv Kruppunter dem Titel: „,Die Bilder sind nicht teuer und ich werdeQuantitäten davon machen lassen!‘ – Bestandserhaltungsmaß-nahmen an Fotobeständen“. Das 1905 gegründete Archiv verfügtüber eine einzigartige und sehr umfangreiche Sammlung an

historischen Fotografien in vielfältiger Form. Im Rahmen einesumfassenden Bestandserhaltungsprojekts war es möglich –gefördert durch ein wachsendes Problembewusstsein für dieFragilität und Materialität sowie eine steigende Nachfrage undBenutzung von Fotografien –, auch die Bedingungen für eineLangzeitarchivierung von Fotografien deutlich zu verbessern.Konzentrierte man sich zunächst auf die restauratorische Versor-gung von herausragenden Einzelstücken, wurde in einer zweitenPhase ein Maßnahmenpaket zur konservatorischen Versorgungumfangreicher Fotografiebestände entwickelt und umgesetzt. DieDigitalisierung von zentralen Beständen hat zudem die Recher-chemöglichkeiten erheblich verbessert, so dass ein Teil derinhaltlichen Bearbeitung künftig ohne Zugriff auf das Originalerfolgen kann. Nach einer kurzen Vorstellung des Inhalts und denBesonderheiten der Fotobestände des Archivs wurden die in denbeiden vergangenen Jahren durchgeführten Bestandserhaltungs-maßnahmen vorgestellt.Aus der Mitte des Forums heraus wurden auch Vorschläge für dienächste Fachgruppensitzung eingereicht, die sich mit Standardsbei der Archivierung von elektronischen Daten beschäftigen soll(Thesauri, Aktenpläne als Klassifizierungshilfen). Die beidenFachgruppen wollen auch in Zukunft ihre Sitzungen bewusstoffen gestalten, da aus dem Diskurs über Grenzen hinweg für alleArchivare Vorteile gezogen werden.

Ulrich S. Soénius, Köln

FACHGRUPPE 6: ARCHIVARE AN ARCHIVEN DER PARLAMENTE, DER POLITISCHEN PARTEIEN,STIFTUNGEN UND VERBÄNDE

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beiter, ihre Emails einzubinden“, hin und erwähnte den erhebli-chen Aufwand mit den Metadaten. Besonders dringlich erweisesich die Schaffung eines digitalen Archivs bei bestimmten Fach-verfahren, die schon lange nur noch elektronisch arbeiteten undoriginäre elektronische Dokumente erzeugten, wie z. B. dieGrundbuchämter. Nach einer dreimonatigen Phase zur Ermitt-lung der fachlichen Anforderungen und des Mittelbedarfs sei diedamit beauftragte Arbeitsgruppe zu dem Ergebnis gekommen,- ein zentrales Digitales Archiv für alle hessischen Archivsprengel

einzurichten, mit organisatorischer Anbindung an die Gesamt-struktur, aber räumlich-organisatorischer Trennung zwischenelektronischer Altregistratur und Digitalem Archiv;

- sich dabei an das OAIS-Modell anzulehnen;- eine eigene Software anzuschaffen, um die DMS-Prozesse im

Archiv abbilden zu können;- ein integriertes Softwaretool für sämtliche Vorgänge der elektro-

nischen Archivierung anzuschaffen, das es jedoch auf demMarkt noch nicht gebe.

Als Fazit seines Berichts wies er darauf hin, dass die Einrichtungeines digitalen Archivs einen erheblichen zusätzlichen Aufwandbedeute, wenigstens so lange, wie es Hybrid-Überlieferung gebe.In der sich anschließenden Diskussion wurden Fragen nach derFestlegung von Standardformaten, nach unterschiedlichen DMS-Systemen, nach dem Problem der Nutzer und der Erzeugung derMetadaten, nach den Speicherorten sowie der Möglichkeit einerErweiterung des digitalen Archivs für andere Archive und damitverbunden der Hoheit über ihre Daten erörtert.An das Mittagessen, das auf Einladung und in Anwesenheit derLandtagspräsidentin Frau Prof. Schipanski sowie der Direktorinbeim Thüringer Landtag, Frau Dr. Birgit Eberbach-Born, erfolgte,schlossen sich ein Referat des Leiters des Parlamentsarchivs Dr.Harald Mittelsdorf zur Geschichte des Landtags und zur Struk-tur und Arbeit des Referats „Archiv, Bibliothek und Parlaments-dokumentation“ sowie ein sehr informativer Rundgang durch dieGebäude an.

Renate Höpfinger, München

FACHGRUPPEN 7 UND 8: MEDIENARCHIVE, ARCHIVE DER HOCHSCHULEN SOWIE WISSENSCHAFTLICHEN INSTITUTIONEN

Retrodigitalisierung – Königsweg für die Sicherung von Kultur-gut oder Scharlatanerie? Unter dieses Motto stellte der Sitzungs-leiter Heiner Schmitt die gemeinsame Veranstaltung der Fach-gruppen 7 und 8 auf dem Deutschen Archivtag. Inzwischenhaben die weltweit erfolgreichen IT-Unternehmen Microsoft undGoogle die Sicherung von Kulturgut als genuine Tätigkeitsfelderentdeckt – so Microsoft für Bildbestände größten Ausmaßes mitder eigenen Agentur Corbis und Google mit dem ehrgeizigenDigitalisierungsprojekt für Bibliotheksgut; dies lässt ahnen,welche Bedeutung vor allem im wirtschaftlichen Sinne dieseGlobalplayer dem Kulturgut beimessen, was gerne als Demokra-tisierung der Bestände apostrophiert wird. Möglicherweise istdies aber eher Produkt einer gut getarnten und propagandistischüberhöhten kommerziellen Wertermittlung.Andererseits sind inzwischen die Digitalisierungsprojekte fürBibliotheksgut und Archivbestände in vielen Einrichtungenangelaufen und werden mit Macht vorangetrieben, was zeigt,dass Retrodigitalisierung durchaus als eine Möglichkeit zurErhaltung und Zugänglichmachung von Kulturgut angesehenwird. Häufig werden dabei die Probleme bei der Bewertung undSelektion ebenso wie bei der keineswegs eindeutig definiertenSystem- und Formatstandardisierung und bei der physischenSicherheit der Speichermedien verniedlicht oder tot geschwiegen.Digitalisierung um jeden Preis und ohne Rücksicht auf Verlustescheint vielen Verantwortlichen als richtiger Weg für die Zukunft.Wolfgang Dobras, der Direktor des Mainzer Stadtarchivs, setztdagegen einen Kontrapunkt, der vor allem hinsichtlich hoherqualitativer Ansprüche und seiner auf einen sehr langen Zeit-raum ausgelegten physischen Sicherheit der Trägermaterialienüberzeugt: Für seine stark gefährdeten Bestände – der Referentpräsentierte hier vor allem Mainzer Festungspläne – wird nacheiner Zwischendigitalisierung auf die Retrokonversion auf hoch-wertigsten Farbmikrofilm gesetzt.3 Die Ergebnisse sind brillant

und wegen der langen Haltbarkeit des speziellen Filmmaterialsohne Zweifel ein geeigneter Weg einer hochwertigen Sicherung. Allerdings entstehen auch erhebliche Kosten, so dass diesesVerfahren nur für sehr ausgewählte besondere Bestände überle-genswert sein dürfte. Ein wichtiger Vorteil der Zwischendigitali-sierung besteht darin, dass hier netzverbreitungsfähige Doku-mente entstehen, die dem Stadtarchiv eine breit angelegte Infor-mation und Verbreitung ermöglichen.Ulrike Bischof vom Goethe- und Schiller-Archiv stellte dasProjekt ihrer Einrichtung vor, das die Digitalisierung besondersintensiv genutzter Bestände zum Ziel hat, auch hier um dieoriginale Überlieferung dem allgemeinen Benutzerzugang zuentziehen und damit zu schonen.Interessant ist vor allem der Gesichtspunkt der im Goethe- undSchiller-Archiv praktizierten „Digitalisierung on demand“, wasbedeutet, dass die Benutzungsfrequenz von Dokumenten und dieBenutzerwünsche eine Digitalisierung auslösen. Damit entstehtsukzessiv, vor allem von häufig genutzten Beständen, ein digita-ler Bestand, der via Internet einem breiten Nutzerkreis zur Verfü-gung steht. Auch hier wächst also eine Sekundärüberlieferung,die die wertvollen Originale nicht ersetzt aber so entlastet, dassderen Sicherung in der originären Form noch für lange Zeitgewährleistet ist.

3 Siehe hierzu den Beitrag von Wolfgang Dobras und Manfred Simonis „Pilotprojekt zur Digitalisierung und Langzeitsicherung großformatiger Plä-ne im Stadtarchiv Mainz“. In: Der Archivar 59 (2006) S. 278 ff.

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Robert Fischer ist der Digitalisierungsfachmann des Südwest -rund funks und dort verantwortlich mit der Sicherung der Pro-grammüberlieferung Hörfunk wie Fernsehen befasst. Für Fischersind die Probleme der Audiodigitalisierung durch das allgemeinim Rundfunk eingeführte und quasi standardisierte Wave-Format gelöst; beim so genannten Broadcast Wave Format (BWF)handelt es sich um eine Erweiterung des WAV-Audiodatei-Formates, das hinsichtlich der Belange des Rundfunks von derEuropäischen Rundfunkunion (EBU) 1997 spezifiziert und 2001in Bezug auf die Speicherung von Metadaten erweitert wurde.Damit können nach einer Überspielung die altersbedingt zumTeil stark mitgenommenen Bänder und Platten kassiert werden.Durch eine Spiegelung der Bestände auf zwei Rechnern anunterschiedlichen Standorten wird darüber hinaus ein hohesMaß an Sicherheit im Katastrophenfall erreicht.Für die Fernsehprogrammüberlieferung differenziert Fischerallerdings sehr stark: Nach seiner Auffassung ist zum gegenwär-tigen Zeitpunkt schon wegen der existierenden Standard- undFormatunsicherheit – hier ist so gut wie nichts bisher einheitlichgeregelt – lediglich eine Digitalisierung der dokumentarischenBestände zu empfehlen, so für aktuelle Sendungen und Magazine.Bei einem Qualitätsvergleich zwischen dem Ausgangsmaterial, inder Regel Aufzeichnungen auf Magnetbändern (MAZ), und demDigitalisat sind mit Blick etwa auf HD-Verwendungen im Übri-gen keine Verbesserungen zu erwarten. Anders ist dies bei hoch-wertigen Produktionen, also überall dort, wo 16-mm-Nega tiv filmoder 35-mm-Film das Ausgangsmaterial darstellen. Hier müssenunbedingt die Filmoriginale noch für lange Zeit gesichert wer-den; das gilt für Reportagen ebenso wie für fiktionale Program-

me, Musiksendungen und ähnliches. Beim SWR sind für denFilmbestand mit einem Kühllager bereits optimale Lagerungsver-hältnisse geschaffen worden. Diese Beiträge sind vor dem Einsatzim Programm dann auf die für die Ausstrahlung oder Bearbei-tung benötigten Speicher in digitaler Form zu transferieren. In der Diskussion werden Einzelheiten einer langfristigen Mikro-filmsicherung ebenso behandelt wie Fragen der Selektion undBewertung von Schriftgut und AV Materialien im Rundfunk.Ebenso wird die Problematik der Kassation von Ausgangsmate-rialien noch einmal angesprochen und die Frage der Benutzbar-keit von AV-Quellen durch wissenschaftliche Einrichtungenthematisiert.Fazit: Die Vorträge und Diskussionsbeiträge der gemeinsamenSitzung beider Fachgruppen machten die Vorteile einer breitangelegten Digitalisierung von Archivgut ebenso deutlich wie dieNotwendigkeit, differenziert zu verfahren. Noch jedenfalls istDigitalisierung keineswegs das Nonplusultra einer qualitativhochwertigen und vor allem Langfristigkeit gewährleistendenSicherung von wertvollen Beständen. Dies relativiert sich imAudiobereich und bei dokumentarischer Fernsehüberlieferung.Ein ganz anderes Feld ist die weitere Vorhaltung und Verfügbar-machung der schon als digitale Dokumente „produzierten“Überlieferung, seien dies Texte, Bilder oder AV-Material. Damitsollten sich die Fachgruppen in einer weiteren Sitzung auseinan-dersetzen, sehen sich doch hier alle mit ähnlichen Problemenkonfrontiert.

Heiner Schmitt, Ingelheim

ZWEI NEUE ARBEITSKREISEDer Vorstand des VdA hat in seiner Sitzung vom 25. November 2008 zwei neue Arbeitskreise eingerichtet.

Arbeitskreis Überlieferungen der neuen sozialen Bewegungen Hierüber wurde bereits in Heft 3/2008 des Archivar, S. 331 berichtet.

Arbeitskreis Aktenkunde des 20. und 21. JahrhundertsDieser Arbeitskreis wird die Aktenkunde bis in die Gegenwart für analoges und digitales Schriftgut fortschreiben. Er will zudem dieBedeutung der Aktenkunde als Historische Hilfswissenschaft für die Archivwissenschaft, die Schriftgutverwaltung und die For-schung herausarbeiten. Zur Erreichung dieser Ziele wurden nachfolgende Aufgaben formuliert: – Überprüfung des methodischen Instrumentariums der Aktenkunde auf seine Verwendbarkeit für die Analyse von Schriftstücken

des 20. und 21. Jahrhunderts – Suche nach Kriterien für eine neue Periodisierung der Aktenkunde – Schaffung einer sparten- und zeitübergreifenden Terminologie für den gesamten deutschsprachigen Raum – Suche nach den Ursachen für die Veränderungen der Schriftstücke – Formulierung von Mindeststandards für die einzelnen Schriftgutarten aus aktenkundlicher SichtDie Ergebnisse sollen in einem „Leitfaden für Archivare, Records Manager und Archivbenutzer“ veröffentlicht werden.

Wer Interesse an der Mitarbeit hat, kann bei der Geschäftsstelle des VdA nähere Informationen erhalten.

Robert Kretzschmar, Vorsitzender des VdA

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ARBEITSKREIS BERUFSBILD

Seit rund einem Jahrzehnt erlebt das Berufsbild des Archivarseinen weitreichenden inhaltlichen wie strukturellen Wandel. Umdie dynamischen Veränderungen zu begleiten, den Vorstand zuberaten und damit zu entlasten, hat dieser 2006 einen Arbeits-kreis „Berufsbild“ konstituiert, der von allen relevanten Gruppie-rungen innerhalb des deutschen Archivwesens (ARK, BKK, alleFachgruppen, alle Ausbildungseinrichtungen) getragen wird.Zweimal jährlich tagt der zurzeit aus 20 Personen bestehende AKin Fulda. Für spezielle, vertieft zu bearbeitende Problemfelderwerden Unterarbeitskreise gebildet: AK Tarif, AK FAMI.Beim 78. Deutschen Archivtag in Erfurt konnte der AK Berufs-bild in der unter dem Motto „Neue Entwicklungen in der Archi-varsausbildung“ stehenden „Informationsveranstaltung“ seineArbeitsfelder präsentieren.

Ausbildung Prof. Dr. Susanne Freund, FH Potsdam, erläuterte zunächst dieRahmenvorgaben des sogenannten Bologna-Prozesses zur Har-monisierung der Europäischen Hochschulausbildung und stellteim Anschluss den in der Akkreditierung befindlichen 7-semes -trigen Bachelor-Studiengang „Archival Studies“ der Fachhoch-schule Potsdam vor. In Planung befindet sich ein konsekutiver(d.h. sich unmittelbar an den BA anschließender) Master of ArtsInformation Sciences sowie ein als berufsbegleitendes Fern -studium konzipierter Weiterbildungs-Master of Arts ArchivalSciences. Analog arbeitet auch die Archivschule Marburg aneinem BA- und Master-Curriculum, das Dr. Frank M. Bischoffpräsentierte. Die verwaltungsinterne Ausbildung wird dabei zwarinhaltlich und vom zeitlichen Ablauf etwas verändert und stärkermodularisiert, bleibt aber mit dem Abschluss der Laufbahnprü-fung im Grundsatz bestehen, wobei aber der BA- bzw. MA-Abschluss noch zusätzlich verliehen wird. Darüber hinaus wirdein berufsbegleitender externer Weiterbildungs-Master „RecordsManagement“ entwickelt.

TarifDr. Hans-Holger Paul, Archiv der sozialen Demokratie, Bonn,klärte über den aktuellen Stand der Tarifverhandlungen auf unddie möglichen Alternativen, um die bisherige BAT-belastete Situ -ation für Archivare zu entschärfen: entweder zur Anwendung all ge -meiner, auf unbestimmten Rechtsbegriffen basierende Tätigkeits-merkmale zurückzukehren (und die speziellen archivarsbezogenenzu streichen) oder spezielle fachbezogene Tätigkeitsmerk male dannfür alle Entgeltgruppen in den Tarifvertrag aufzunehmen. Fürdiesen zweiten Fall hat der AK Tarif ein aufwändiges Papier erar-beitet, das Harry Scholz, ebenfalls Archiv der sozialen Demokratie,Bonn, vorstellte und das kurz vor der Fertigstellung steht.

Fachangestellte für Medien- und Informations-dienste (Fachrichtung Archiv) Über Erfahrungen mit der Weiterbildung eines FAMI aus ihremeigenen Haus mit glänzendem Abschluss, berichtete Dr. AngelaKeller-Kühne vom Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung. Erstrebt nun im Fernstudium an der FH Potsdam den Abschlusszum Diplomarchivar (FH) an und kann damit die vorhandenenLaufbahnen für einen Aufstieg nutzen. Die vom VdA und von denbibliothekarischen Fachverbänden abgelehnte Weiterbildung zumFachwirt/Fachwirtin für Informationsdienste (IHK) wird nun inHessen angeboten. Es wird kritisch zu prüfen sein, ob diesesAngebot Zulauf erhält.

Berufsbild Hauptarbeitsfeld des Arbeitskreises war bisher die Diskussionund Formulierung eines archivarischen Berufbildes. Dr. ThomasBecker, Archiv der Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn, präsen-tierte das von einer Arbeitsgruppe auf 5 Thesen verdichtete Zwi -schenergebnis unter dem Titel „Auf dem Weg zu einem Berufs-bild“. Unter der im AK einmütigen Prämisse, dass es weiterhinein einheitliches Berufsbild gebe, das gemeinsame und vermittel-bare Kompetenzen voraussetzt, wurden die Thesen hier erstmalszur Diskussion gestellt.

Stefan Benning, Bietigheim-Bissingen

BERICHTE DER ARBEITSKREISE IN DERMITGLIEDERVERSAMMLUNG

ARBEITSKREIS ARCHIVPÄDAGOGIK UND HISTORISCHE BILDUNGSARBEIT

Der Arbeitskreis hat sich auch 2008 wieder mit einer eigenenSektion am Archivtag beteiligt. Zunächst haben wir überlegt unddiskutiert, welche Bedeutung das diesjährige Thema für dieHistorische Bildungsarbeit hat, sind dann aber schnell zu demeigentlich offensichtlichen Ergebnis gekommen, dass unsereArbeit ohne gepflegte und erhaltene Bestände gar nicht möglichwäre. Also ist die Bestandserhaltung auch für uns Anliegen undAufgabe. Die sehr gut besuchte Veranstaltung gestern Nachmittag

stand unter dem Titel: „Pflegefall Vergangenheit. Bestandserhal-tung als Thema der Historischen Bildungsarbeit“.Die jährlich stattfindende Archivpädagogenkonferenz, zu derauch die Mitgliederversammlung gehört, tagte im Berichtszeit-raum zum 22. Mal. Mitglieder und Interessierte trafen sich am 16.und 17. Mai 2008 im Stadtarchiv Neuss. Zahlreiche positive Rück -meldungen gab es auf diese 2-tägige Veranstaltung mit demSchwerpunktthema: „Archiv und Grundschule“ vor allem, weil

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für viele Kolleginnen und Kollegen der Kontakt mit dieser Ziel-gruppe noch sehr neu und ungewohnt ist. Die 23. Archivpädago-genkonferenz wird vom Landesarchiv Baden-Württemberg,Staats archiv Ludwigsburg vom 11. bis 13. Juni 2009 ausgerichtetwerden.Im Berichtszeitraum fanden einige weitere Konferenzen, Tagungenund regionale Archivtage statt, bei denen Themen der Histori-schen Bildungsarbeit eine Rolle spielten und bei denen Mitglie-der des Arbeitskreises vertreten waren. Ich nenne nur den Westfä-lischen Archivtag in Iserlohn und die 9. Konferenz für Archiv -pädagogik in Karlsruhe. Vor uns liegt der Historikertag in Dres-den mit einer Sektion zur Archivpädagogik.1

Archivpädagogische Angebote werden zunehmend nachgefragt.Im Gegensatz dazu gibt es kaum Bewegung auf dem archiv päda -gogischen Stellenmarkt. Insbesondere aus den staatlichen Archivenmit Archivpädagogen (z.B. NRW, Hessen, Baden-Württemberg)gibt es immer wieder Nachrichten über eine sehr rege Nach frageseitens der Schulen nach Führungen und anderen Veranstaltungenfür Schülerinnen und Schüler, auf die jedoch nur teilweise einge-gangen werden konnte, da die Stundenzahl der dort tätigen Kolle-ginnen und Kollegen bei weitem nicht ausreicht. Eine Aufstockunggerade in dem Bereich wäre dringend erforderlich. Ähnlich sieht esin den kommunalen Archiven aus, wo die Nachfrage von Schul-klassen nach Besichtigungs- und Arbeitsterminen in „ihrem“Stadtarchiv vor Ort nach wie vor groß ist. Seit einigen Monaten sind neue Entwicklungen an den Univer-sitäten zu beobachten, die teilweise sehr eng mit den Mitgliederndes Arbeitskreises verbunden sind. Die Universitäten interessierensich mehr und mehr für die Historische Bildungsarbeit mit demSchwerpunkt Archivpädagogik. So gibt es Überlegungen, an denPädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg, diesen As pekt in die Regelstudienordnung aufzunehmen. In Siegenorganisierten Universität, Lehrerausbildung und Archiv einen soge nannten Kontaktstudientag mit anregenden Vorträgen undWork shops, bei dem es um archivpädagogische Angebote imaußerschulischen Lernort Archiv ging. In Bochum werden regel -mäßig Übungen zur Archivpädagogik angeboten, in Münster,Würzburg und anderen Städten im Bundesgebiet haben sich dieUniversitäten via Geschichtswettbewerb des Bundespräsidentendeutlich im Bereich der Archivpädagogik positioniert. Stichwort Geschichtswettbewerb: Der Startschuss fiel am 1. Sep -tem ber 2008, das Thema lautet: „Helden. Verehrt – verkannt –vergessen“. Die Archive unterstützen mit vielfältigen An gebotenTutoren und jugendliche Spurensucher bei ihrer Recherche. Infor -mationsveranstaltungen für Lehrer, Schülerwork shops, themati-sche Tipps und Anregungen sind nur einige der Angebote, die mit

AUSWAHL DES MOTTOS FÜR DEN TAG DER ARCHIVE 2010Der nächste Tag der Archive am findet 6. und 7. März 2010 statt. Gerne entsprechen wir dem Wunsch vieler Mitglieder, das Mottofrühzeitig festzulegen. Der Vorstand hat aus den zahlreichen Vorschlägen, die auf unsere Bitte hin bei der Evaluation des TAG DERARCHIVE 2008 eingegangen sind, vier Themen ausgewählt, über die mittels des Formulars, das dieser Ausgabe des „Archivar“beigefügt ist, abgestimmt werden soll.

Als Motto stehen zur Auswahl:

– Dem Verborgenen auf der Spur– Kinder, Schule, Bildung– Wiederaufbau – Feste und Bräuche

Wir bitten alle Mitglieder, die sich an der Auswahl beteiligenmöchten, um Übermittlung des ausgefüllten Formulars mit derPost oder per FAX bis zum 27. März.

Robert Kretzschmar, Vorsitzender des VdA

Unterstützung des Arbeitskreises und darüber hinaus den Schu-len gemacht werden.Hinzuweisen ist ferner auf zwei Angebote der NRW-Landesregie-rung. Mit den Programmen „Schule und Kultur“ sowie „Archivund Jugend“, letzteres ein Landeswettbewerb, bei dem es um dieVerteilung von 100.000 Euro an Archive geht, die Projekte fürJugendliche anbieten, wird auch das Interesse des Landes anarchivpädagogischen Angeboten deutlich. Vielleicht gibt es ähn -liche Angebote in anderen Bundesländern – dann würde ich umeine kurze Rückmeldung bitten.Für die vielfältigen Angebote, Aktivitäten, Projekte usw. gibt eseine Internet-Plattform, auf der diese bekannt gemacht werdenkönnen. Der Arbeitskreis bietet mit seinen Internetseiten unterder Adresse: www.archivpaedagogen.de jedem die Möglichkeit,Programme zur Historischen Bildungsarbeit – kleine und großeProjekte – vorzustellen. Betreut werden die Internetseiten imStadtarchiv Hilden von Dr. Wolfgang Antweiler.Auf diesen Seiten kann auch der Newsletter des Arbeitskreisesgelesen und abonniert werden. Ähnlich wie auf den Internetsei-ten werden in dem Mitteilungsblatt unterschiedliche Angebotezur Historischen Bildungsarbeit einem interessierten Publikummitgeteilt. Im Berichtszeitraum sind drei Ausgaben erschienen.Aktuell gibt es 246 Abonnenten des Newsletters.Auch auf dem diesjährigen Archivtag bietet der Arbeitskreiswieder einen Informationstisch mit verschiedenen Materialienund Anregungen zur Historischen Bildungsarbeit an. WeitereBeispiele aus diesem Aufgabenbereich können dort gerne ausge-legt werden. Mitglieder des Arbeitskreises stehen am Info-Tischfür Fragen und Gespräche zur Verfügung. Der Arbeitskreis plant zum nächsten Archivtag eine Material-sammlung mit Ideen, Tipps und Anregungen zu möglichst vielenAktivitäten der Historischen Bildungsarbeit zu erstellen. Dabeiliegt der Schwerpunkt nicht auf dem WAS? (= Was gibt es fürVeranstaltungsarten), sondern auf dem WIE? (= WIE führe icheine Veranstaltung oder sogar einzelne Elemente einer Veranstal-tung durch?). Es geht also um die detaillierte Beschreibungeinzelner Module innerhalb von Angeboten und Aktivitäten derHistorischen Bildungsarbeit. Entstehen wird eine – wir hoffensehr umfangreiche – Ideen-Sammlung, die für möglichst vieleGelegenheiten im Aufgabenbereich der Historischen Bildungsar-beit Anregungen bereit hält. Jeder kann seine Ideen beitragen, ist zur Beteiligung eingeladen.Ein Formblatt für die wichtigsten formalen Angaben, die zu jederBeschreibung gehören sollten, wird es in Kürze auf den Seiten derArchivpädagogen im Internet geben.

Roswitha Link, Münster

VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA

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ARBEITSKREIS ARCHIVISCHE BEWERTUNG 2

Der Arbeitskreis „Archivische Bewertung“ hat im Berichtsjahr2007/2008 nur einmal getagt, und zwar im April dieses Jahres inder Zentrale des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen in Düssel-dorf. Die turnusmäßig für den Herbst 2007 vorgesehene Sitzungmusste wegen des Bahnstreiks kurzfristig abgesagt werden.Schwerpunktthema der Sitzung in Düsseldorf war die Frage nachder Möglichkeit einer Orientierung der Bewertung an empirischfeststellbaren Daten zur Nutzung von Archivgut. Diese Fragewurde mit Blick auf die Zielgruppen der Archive und die Nut-zungsfrequenz für ausgewählte Bestände und Provenienzenuntersucht und diskutiert. Ausgehend von einer Erhebung imLandesarchiv Baden-Württemberg, nach der sich die Archivbe-nutzer zu etwa 40 % aus Heimatforschern, zu etwa 30 % ausWissenschaftlern und zu etwa 30 % aus Familienforschern bzw.Privatbenutzern zusammensetzen, haben die Mitglieder desArbeitskreises die unterschiedlichen Anforderungsprofile derNutzergruppen an die Archive erörtert. Im Ergebnis kam derArbeitskreis darin überein, dass die Anforderungen der Haupt-nutzergruppen in der Praxis gar nicht allzu weit auseinanderliegen. Das Interesse an inhaltlich aussagekräftigen Unterlagen zuThemen der Geschichte, oft zeitlich und räumlich eng begrenzt,eint die unterschiedlichen Nutzergruppen. Dieses Interesse istjedoch in aller Regel zu unspezifisch, als dass sich daraus wirk-lich begründete Kriterien der Auswahl und damit handhabbareGrundsätze der Bewertung ableiten ließen. Es ist deshalb ganzbesonders wichtig – so die Einschätzung des Arbeitskreises –,dass die Archive ihre Bewertungsentscheidungen transparentmachen und sich im Verbund mit anderen Archiven abstimmen.Die Bewertung im Verbund sichert eine breite Vielfalt der Über-lieferung, die den Anforderungen unterschiedlicher Zielgruppengerecht werden kann. Dass eine solche breite Überlieferungsbil-dung trotzdem sensibel sein sollte für spezielle Fragestellungeneinzelner Nutzergruppen, zeigt das Beispiel der Unterlagen zurRestitution von Kunstgütern. Auch auf die Gefahr hin, Redun-danzen zu erzeugen, werden bei diesen Unterlagen die etabliertenKriterien formaler Bewertung vielfach behutsam angewandt, umhistorisch relevante Informationen für eine ganz bestimmteGruppe von Nutzern in möglichst großer Dichte zu sichern. Einsolches Eingehen auf partikulare, auch zeitbedingte Interessender Nutzung ist mit Blick auf die immer anhaltende Aufarbei-tung der NS-Vergangenheit geboten, sie ist aber gleichzeitig alsgenerelle Handlungsmaxime ungeeignet, da sie zu einer gewissenWillkürlichkeit und zum Verlust der Autonomie in der archivi-schen Bewertung führen würde.An die Ergebnisse zur Diskussion über die Zielgruppen schlosssich in Düsseldorf nahtlos das zweite Thema der Sitzung an,nämlich die Frage nach dem Aussagewert der Nutzungsfrequenzfür die Bewertung. In einem interessanten Bericht aus demMinisterialarchiv im Hauptstaatsarchiv Stuttgart schlüsselteAlbrecht Ernst (anhand von Erhebungen aus den Jahren 2003und 2006) die Nutzungsfrequenz der Unterlagen nach den unter -schiedlichen Ressorts auf. Danach erfolgte die stärkste Nutzungmit je 20 % bei den Unterlagen des Staatsministeriums und desInnenministeriums; es folgen mit 15 % der Bereich Kultus undWissenschaft, dann Justiz mit 8 % und schließlich in deutlichemAbstand die Bereiche Wirtschaft und Finanzen mit ca. 5 % sowie

Landwirtschaft und Unterlagen des Sozialministeriums mit ca. 2 %. Obwohl die Ergebnisse einigermaßen eindeutig sind und(in der generellen Gewichtung der Themen) von anderen Mitglie-dern des Arbeitskreises bestätigt wurden, zog Ernst ein insgesamteher skeptisches Fazit zu den Möglichkeit einer Ausrichtung derBewertung an der tatsächlichen Nutzung. Die fehlende oder ver -haltene Nutzung einzelner Beständegruppen dürfe keine Kassa-tionspräferenz bei bestimmten Provenienzstellen begründen.Allenfalls könne umgekehrt eine besonders starke Nutzung demArchivar Hinweise geben auf bislang bei der Bewertung eventuellvernachlässigte Unterlagengruppen. Die tatsächliche Nutzung istin starkem Maße abhängig von Konjunkturen der Forschung;zum Teil hat sie auch mit dem Erschließungsstand von Bestän-den und mit der Konkurrenz der Archive zu anderen, auf denersten Blick leichter zugänglichen Informationsquellen zu tun.Die Nutzung liefere deshalb nur ein punktuelles, zeitgebundenesBild und dürfe nicht gleichgesetzt werden mit den Möglichkeiteneiner Nutzung archivischer Unterlagen. Dieser Einschätzungschlossen sich die Mitglieder des Arbeitskreises größtenteils an.Es sei notwendig – so das einhellige Votum –, gerade die wenigbenutzten Bestände intensiv zu bewerben und durch eine fun-dierte Erschließung mit ausführlichen Kontextinformationen aufihr Potential für die Forschung bzw. für die geschichtsinteressierteÖffentlichkeit aufmerksam zu machen. Der Arbeitskreis Bewertung wird seine Arbeit auch in diesemund im nächsten Jahr weiter fortsetzen, hoffentlich diesmal wie -der im üblichen Turnus von zwei Sitzungen pro Jahr. Er kanndabei seine Aufgaben personell verstärkt angehen, denn dreiKolleginnen und Kollegen aus der Stasi-Unterlagen-Behörde, demLandesarchiv NRW und dem Staatsarchiv Marburg sind demArbeitskreis neu beigetreten; eine Kollegin hat aufgrund einerVerschiebung ihrer archivischen Schwerpunktaufgaben denArbeitskreis im letzten Jahr verlassen. Wir freuen uns natürlichüber die Neuzugänge; gleichzeitig allerdings sorgen wir uns einwenig über ein möglicherweise doch recht starkes Übergewichtstaatlicher Archive innerhalb des Arbeitskreises. Es wäre zuwünschen, wenn zukünftig im Sinne des spartenübergreifendenAustauschs auch neue Kolleginnen und Kollegen aus anderenSparten, vor allem aus den Kommunalarchiven den Weg in denArbeitskreis finden würden. Vielleicht fühlt sich ja die eine oderder andere von Ihnen angesprochen, zumal gerade das Thema derdiesjährigen Herbstsitzung am 13. November ausgesprochennicht-staatlich angelegt ist. Es wird nämlich um die Bedeutungund die inhaltlichen Kriterien zum Aufbau von Sammlungengehen. In diesem Zusammenhang sollen unter anderem neuerstellte Dokumentationsprofile für die Kommunalarchive imBereich „Politik“ und für die Hochschularchive vorgestellt wer-den. Wer Interesse an einer Mitarbeit hat, ist herzlich eingeladen.

Andreas Pilger, Düsseldorf

1 Vgl. dazu jetzt die Berichte in: Archivar 61 (2008) S. 463 sowie in H-Soz-u-Kult,http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2320.

2 In der Mitgliederversammlung hat Katharina Tiemann, Münster, den Berichtvorgetragen.

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PERSONALNACHRICHTEN

STAATLICHE ARCHIVE

BUNDESARCHIV

EingestelltNicole Neuland als Regierungsinspektorin z. A. (1.10.2008) -Tilo Ruhnke als Regierungsinspektor (1.8.2008) - JohannesStenz als Regierungsinspektor z. A. (1.10.2008).

ErnanntJosefine Bzdok zur Archivinspektoranwärterin (1.10.2008) -Archivoberinspektorin Griseldis Ehrhardt zur Archivamtfrau(25.7.2008) - Archivinspektoranwärterin Andrea Frank zurArchiv inspektorin z. A. (1.10.2008) - Maria Huss zur Archiv -inspektor anwärterin (1.10.2008) - ArchivinspektoranwärterinNina Janz zur Archivinspektorin z.A. (1.10.2008) - Archivinspek -tor anwärterin Mechthild Krüger zur Archivinspektorin z. A.(1.10.2008) - Archivrat Dr. Andreas Kunz zum Archivoberrat(1.10.2008) - Claire Maunoury zur Archivinspektoranwärterin(1.10.2008) - Archivinspektorin Susanne Meinicke zur Archiv -oberinspektorin (18.9.2008) - Archivinspektor Burkhart Reißzum Archivober inspektor (25.7.2008) - Regierungsrätin Dr. GritScheube zur Oberregierungsrätin (22.9.2008) - Catrin Schult -heiß zur Archiv inspektoranwärterin (1.10.2008) - Archivober -inspektorin Vera Zahnhausen zur Archivamtfrau (3.11.2008).

In den Ruhestand getretenLeitender Wissenschaftlicher Direktor Dr. Hans-JoachimHarder (30.11.2008) - Archivoberrat Prof. Dr. Tilman Koops(30.11.2008) - Archivamtsrat Werner Loos (31.10.2008) -Archivoberrat Prof. Dr. Wolfgang Michalka (31.8.2008) -Wissenschaftlicher Oberrat Dr. Gerd Ueberschär (31.8.2008).

GEHEIMES STAATSARCHIV PREUßISCHER KULTURBESITZ

EingestelltGuido Behnke als Archivangestellter (1.10.2008) - Dr. MathisLeibetseder als Wissenschaftlicher Angestellter (30.10.2008).

BADEN-WÜRTTEMBERG

EingestelltDavid Boomers beim Landesarchiv Baden-Württemberg,Abteilung Staatsarchiv Freiburg, als Auszubildender zumFachangestellten für Medien- und Informationsdienste,Fachrichtung Archiv (1.9.2008) - Kathrin Strittmatter beim

Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung HauptstaatsarchivStuttgart, als Auszubildende zur Fach angestellten für Medien-und Informationsdienste, Fach richtung Archiv (1.9.2008).

ErnanntOberarchivrat Dr. Kurt Andermann beim Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Fachprogramme und Bildungsarbeit,zum Archivdirektor (13.10.2008).

AusgeschiedenArchivreferendarin Cordelia Heß vom Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Hauptstaatsarchiv Stuttgart, wurde aufAntrag aus dem Vorbereitungsdienst entlassen (30.9.2008) -Archivinspektoranwärtin Bianca Nell vom Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Hauptstaatsarchiv Stuttgart, wurde aufAntrag aus dem Vorbereitungsdienst entlassen (30.9.2008).

BAYERN

EingestelltDr. Laura Scherr M.A. beim Bayerischen Hauptstaatsarchiv alsWissenschaftliche Beschäftigte (11.12.2008) - Till Strobel beimBayerischen Hauptstaatsarchiv als Wissenschaftlicher Beschäf -tigter (11.12.2008).

ErnanntJulian Holzapfel M.A. beim Bayerischen Hauptstaatsarchivzum Archivrat z. A. (11.12.2008) - Dr. Thomas Paringer M.A.beim Staatsarchiv München zum Archivrat z. A. (11.12.2008) -Michael Unger M.A. bei der Generaldirektion der StaatlichenArchive Bayerns zum Archivrat z. A. (11.12.2008) - MichaelPuchta M.A. beim Bayerischen Hauptstaatsarchiv zum Archiv -rat z. A. (11.12.2008) - Nicola Humphreys M.A. beim Staats -archiv Bamberg zur Archivrätin z. A. (11.12.2008).

VersetztArchivdirektor Dr. Michael Stephan von der Generaldirektionder Staatlichen Archive Bayerns zur Landeshauptstadt Münchenunter gleichzeitiger Bestellung zum Leiter des Stadtarchivs(1.12.2008) - Archivsekretärin Elisabeth Engelmann vomBayerischen Haupt staatsarchiv an die Bayerische Staatskanzlei(1.12.2008) - Archivrat Dr. Daniel Burger M.A. vom StaatsarchivMünchen an das Staats archiv Nürnberg (1.2.2009).

In den Ruhestand getretenArchivoberrätin Dr. Lilo Voit beim BayerischenHauptstaatsarchiv (31.10.2008).

PERSONALNACHRICHTEN

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VerstorbenRegierungsobersekretär a. D. Elmar Scherer vom StaatsarchivNürnberg ist im Alter von 93 Jahren verstorben (17.9.2008).

BRANDENBURG

EingestelltIngrid Kohl beim Brandenburgischen Landeshauptarchiv Pots -dam als Dipl.-Restauratorin (FH) (1.10.2008).

AusgeschiedenDipl.-Archivarin (FH) Anke Kandler beim BrandenburgischenLandes hauptarchiv Potsdam (15.2.2009).

SonstigesDipl. Bibliothekarin (FH) Gabriele Klemke beim Branden -burgischen Landeshauptarchiv Potsdam ist in die Freistellungs -phase der Altersteilzeit eingetreten (30.11.2008).

BREMEN

In den Ruhestand getretenArchivangestellte Melitta Thomas beim Staatsarchiv Bremen(31.10.2008).

HESSEN

ErnanntLeitender Archivdirektor Dr. Frank M. Bischoff bei der Archiv -schule Marburg zum Beamten auf Lebenszeit (23.10.2008).

Archivschule MarburgDer 46. Fachhochschulkurs wurde am 1.10.2008 mit folgendenTeilnehmerinnen und Teilnehmer eröffnet:Miriam Arold (Bund), Sabrina Bader (Bund), Lutz Blumen -thal (Sachsen-Anhalt), Katarina Buttig (Baden-Württemberg),Toni Frank (Sachsen), Benjamin Geier (Niedersachsen),Dennis Grages (Baden-Württemberg), Lisa Hauser (Baden-Württemberg), Christiane Helmert (Sachsen), Romy Hilde -brandt ( Sachsen), Annegret Jungnickel (Sachsen-Anhalt),Thorsten Kaesler (Baden-Württemberg), Sönke Kosicki(Bund), Stephanie Kurrle (Baden-Württemberg), Kathrin Linz(Hessen), Peter Maresch M.A. (Hessen), Hartmut Obkircher(Bund), Annette Riek (Baden-Württemberg), Mario SchäferM.A. (Hessen), Anna Schöpper (Niedersachsen), IsabellWeisbrod (Rheinland-Pfalz), Tanja Wolf (Rheinland-Pfalz),Sven Woelke (Sachsen), Meike Zepf (Baden-Württemberg).

NIEDERSACHSEN

ErnanntArchivassessor Dr. Detlef Busse beim NiedersächsischenLandes archiv, Hauptstaatsarchiv Hannover, zum Archivrat(1.11.2008).

In den Ruhestand getretenArchivoberamtsrat Wilfried Feindt beim NiedersächsischenLandesarchiv, Staatsarchiv Bückeburg (30.11.2008).

NORDRHEIN-WESTFALEN

EingestelltIris Bachmann beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen,Staatsarchiv Münster, als Auszubildende zur Fachangestellten fürMedien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv (1.8.2008)- Juliane Schewe beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen,Staatsarchiv Münster, als Auszubildende zur Fachangestellten fürMedien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv (1.8.2008)- Claudia Stebner beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen,Staatsarchiv Münster, als Auszubildende zur Fachangestellten fürMedien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv(1.8.2008).

VersetztStaatsarchivinspektorin Barbara Groß vom Landesarchiv Nord -rhein-Westfalen, Personenstandsarchiv Brühl, zum Bundesarchiv(1.12.2008).

In den Ruhestand getretenWissenschaftlicher Archivbeschäftigter Dr. Anselm Faust beimLandesarchiv Nordrhein-Westfalen, Hauptstaatsarchiv Düssel -dorf (31.7.2008) - Leitende Staatsarchivdirektorin Prof. Dr. JuttaPrieur-Pohl beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Staats-und Personenstandsarchiv Detmold (30.11.2008).

SACHSEN

ErnanntArchivoberrätin Dr. Andrea Wettmann beim SächsischenStaats archiv, Abteilung Zentrale Aufgaben, Grundsatz, zurArchiv direktorin (20.10.2008) - Archivamtfrau Petra Sprengerbeim Sächsischen Staatsarchiv, Abteilung Zentrale Aufgaben,Grundsatz, zur Archivamtsrätin (14.9.2008).

VersetztArchivrat Dr. Andreas Erb vom Sächsischen Staatsarchiv,Abteilung Staatsarchiv Chemnitz, zum LandeshauptarchivSachsen-Anhalt, Abteilung Dessau (1.10.2008).

SonstigesSachbearbeiterin Antje Brekle vom Sächsischen Staatsarchiv,Abteilung Staatsarchiv Leipzig, trägt den FamiliennamenReißmann (7.11.2008).

SACHSEN-ANHALT

EingestelltDr. Christoph Volkmar beim Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, Standort Wernigerode, alsArchivrat z. A. (1.6.2008).

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PERSONALNACHRICHTEN

ErnanntArchivoberrat Dr. Detlev Heiden beim LandeshauptarchivSachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, zum Archivdirektor(3.12.2008) - Archivrat Dr. Jörg Brückner beim Landeshaupt -archiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, StandortWernigerode, zum Archivoberrat (18.12.2008).

VersetztArchivoberrätin Angela Erbacher vom LandeshauptarchivSachsen-Anhalt, Abteilung Dessau, zum Diözesanarchiv Rotten -burg (1.2.2008).

AusgeschiedenArchivreferendarin Katrin Bürgel beim LandeshauptarchivSachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, nach bestandener Lauf -bahnprüfung (30.4.2008).

SCHLESWIG-HOLSTEIN

AusgeschiedenArchivinspektoranwärterin Manuela Rhein M.A. beim Landes -archiv Schleswig-Holstein nach bestandener Lauf bahn prüfung(30.9.2008) - Archivinspektoranwärterin Angelika Tarokic M.A.beim Landesarchiv Schleswig-Holstein nach bestandenerLaufbahnprüfung (30.9.2008).

THÜRINGEN

ErnanntArchivoberinspektorin Michaela Gremot beim ThüringischenHauptstaatsarchiv Weimar zur Archivamtfrau (1.10.2008).

AusgeschiedenWissenschaftlicher Archivar Dr. Hans-Jörg Ruge beim Thürin -gischen Staatsarchiv Gotha (30.9.2008).

KOMMUNALE ARCHIVE

LWL - Archivamt für Westfalen, MünsterLandesarchivamtsrätin Katharina Tiemann wurde zur Landes -archivrätin ernannt (1.10.2008) - Landesoberarchivrat Dr. Wolf -gang Bockhorst wurde zum Landesarchivdirektor ernannt(1.4.2008).

Stadt- und Stiftsarchiv AschaffenburgArchivinspektorin Barbara Hippeli wurde zur Archivober -inspek torin ernannt (1.12.2008).

Stadtarchiv WuppertalDr. Eberhard Illner wurde als Leiter des Historischen ZentrumsWuppertal, mit Stadtarchiv und Fuhlrott-Museum, bestellt(1.10.2008).

KIRCHLICHE ARCHIVE

Diözesenarchiv RottenburgDipl. -Archivarin Monika Schindler trägt den FamiliennamenNeulist (26.7.2008).

Landeskirchenarchiv der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, DresdenKirchenarchivrätin Dr. Carlies Maria Raddatz trägt denFamilien namen Raddatz-Breidbach.

ARCHIVE DER PARLAMENTE, POLTISCHEN PARTEIEN, STIFTUNGEN UND VERBÄNDE

Parlamentsarchiv des Deutschen BundestagesFlorian Bless wurde zum Archivinspektor z. A. ernannt(1.7.2008) - Archivoberinspektor Thomas Müller wurde zumArchiv amtmann ernannt (1.10.2008).

Archiv für Christlich-Demokratische PolitikMarkus Lingen wurde als Sachbearbeiter eingestellt (1.10.2008).

ARCHIVE DER HOCHSCHULEN SOWIE WISSENSCHAFTLICHERINSTITUTIONEN

Archiv des Deutschen Museums MünchenDipl. Archivarin (FH) Katharina Scholz wurde für den BereichBildstelle/Bildarchiv eingestellt (1.10.2008) - StellvertretendeLeiterin Dr. Eva A. Mayring ist im Alter von 51 Jahren verstor-ben (24.8.2008).

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GEBURTSTAGE85 JahreStadtarchivarin i. R. Elisabeth Johann, Altenstadt (19.4.2009) -Georg Böhmelt, Hamburg (11.6.2009).

80 JahreKirchenarchivamtsrat a. D. Helmut Otto, Hamburg (26.4.2009) -Leitender Stadtarchivdirektor a. D. Prof. Dr. Hugo Stehkämper,Bergisch Gladbach (5.4.2009) - Stadtarchivdirektor a. D. Prof. Dr.Erich Meuthen, Köln (31.5.2009) - Universitätsprofessor em.Dr. Kurt Koszyk, München (31.5.2009) - LeitenderStaatsarchivdirektor a. D. Prof. Dr. Hans-Martin Maurer,Stuttgart (22.6.2009).

75 JahreLeitender Archivdirektor a. D. Dr. Hatto Kallfelz, Würzburg(15.6.2009).

70 Jahre Archivoberamtsrat Rainer F. Raillard, Neuwied (3.4.2009) -Kirchenarchivrat a. D. Erhard Piersig, Herren Steinfeld(10.4.2009) - Leitender Archivdirektor a. D. Dr. Alfred

Tausend pfund, Unterhaching (20.4.2009) - Abteiarchivar P. Dr. Franzis kus Büll OSB, Münsterschwarzach (30.4.2009) -Archivdirektor a. D. Dr. Helmut Baier, Nürnberg (16.5.2009).

65 JahreArchivdirektor Dr. Jürgen Bohmbach, Stade (1.4.2009) - Prof.Dr. Manfred Pohl, Frankfurt a. M. (26.5.2009) - Hans-JoachimLienau, Hamburg (21.5.2009) - Archivleiter Wilfried Wedde,Hamburg (1.5.2009) - Archivleiter Prof. Dr. Michael Schneider,Bonn (22.6.2009).

60 JahreDipl.-Archivarin (FH) Marianne Wolf, Potsdam (18.5.2009) -Kreisarchivar Dr. Matthias Schartl, Flensburg (30.4.2009) -Präsident Dr. Bernd Kappelhoff, Hannover (22.4.2009) -Stellver tretender Institutsleiter Michael Caroli, Mannheim(26.4.2009) - Vizepräsidentin Prof. Dr. Angelika Menne-Haritz,Berlin (29.4.2009) - Guido Köhler, Düsseldorf (5.4.2009) -Archivdirektor Prof. Dr. Rainer Polley, Marburg (22.5.2009) -Wissenschaftlicher Dokumentar Walter Lonsdorf, Saarbrücken(7.6.2009) - Dr. Hans-Peter Jäger, Potsdam-Babelsberg(24.6.2009) - Leitender Archiv direktor Prof. Dr. Herbert Reyer,Hildesheim (18.6.2009).

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104 KURZINFORMATIONEN UND VERSCHIEDENES

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ADRESSÄNDERUNGEN

Das Kreisarchiv Konstanz hat die neue Telefonnummer:07531-800-1901, Fax 07531-800-1902.

Das Stadtarchiv Lindau hat die neue Anschrift: Maximilianstr. 52, 88131 Lindau (Bodensee).

Das Deutsche Rundfunkarchiv hat die neue Anschrift:Bertramstr. 8, 60320 Frankfurt, Tel. 069-15687-0, Fax 069-15687-100, E-Mail: [email protected].

Die Germania Sacra, das renommierte Langzeitprojekt zur Er for -schung der Kirche des Alten Reiches, bleibt trotz der Schlie ßungihres bisherigen Trägers, des Max-Planck-Instituts für Ge schichtein Göttingen, erhalten. Die Union der deutschen Akademien derWissenschaften übernahm am 1. Januar 2008 die Trägerschaft fürdas Forschungsprojekt. Mit dem Übergang an die Akademie derWissenschaften zu Göttingen haben sich so wohl Änderungen inder strukturellen als auch langfristig in der inhaltlichen Ausrich-tung ergeben. Eine vierköpfige Redaktion betreut die Autorinnenund Autoren und unterstützt sie bei der Erstellung der Bände.Alle Bearbeiterinnen und Bearbeiter können ihre bereits begon-nenen Bände zu Ende führen (ca. 50 Ein zelprojekte). Ab 2008werden die Bände als Dritte Folge veröffentlicht. Der neueSchwer punkt liegt auf den Publikationen zu den Diözesen undDomstiften, die bis zum Jahr 2032 abgeschlossen sein sollen. Die inhaltliche Neukonzeption ist auf der Homepage des Projekts(www.germania-sacra.de) einsehbar. Die Kleriker-Datenbankbleibt ein wichtiger Bestandteil des Projekts; sie wird weiter ge -pflegt und ist ebenfalls über die Homepage zugänglich.

Für die Bearbeitung der Domstifts- und Diözesen-Bände ist dieGermania Sacra weiterhin auf die unentbehrliche Unterstützungdurch Archivarinnen und Archivare angewiesen, die den Autorendes Projektes bei ihren Quellenrecherchen beratend zur Seitestehen. Außerdem hoffen wir, weitere Autoren aus dem Kreis derArchivmitarbeiter zu gewinnen, da gerade sie die besten Kennerdes Quellenmaterials sind, zu dem sie gleichzeitig einen ungehin-derten Zugriff haben. Seit dem Bestehen des Projektes 1917 stellenArchivarinnen und Archivare einen erheblichen Anteil derBearbeiter von geistlichen Institutionen des Alten Reiches dar. DieGermania Sacra möchte diese fruchtbare Zusammenarbeitweiterführen und bedankt sich für geleistete und zukünftigeUnterstützung.

Die Redaktion der Germania Sacra (Kontakt: [email protected]; www.germania-sacra.de)

LANGZEITPROJEKT GERMANIA SACRA BLEIBT ERHALTEN

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VORSCHAU

Herausgeber: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf, VdA -Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., Wörthstr. 3, 36037 Fulda

Redaktion: Andreas Pilger in Verbindung mit Robert Kretzschmar, Wilfried Reininghaus, Ulrich Soénius, Martina Wiech und Klaus Wisotzky

Mitarbeiter: Meinolf Woste, Petra Daub

ISSN 0003-9500

Kontakt: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf, Tel. 0211/159238-800 (Redaktion), -202 (Andreas Pilger), -802 (Meinolf Woste), -803 (Petra Daub), Fax 0211 /159238-888, E-Mail: [email protected]

Druck und Vertrieb: Franz Schmitt, Kaiserstraße 99-101, 53721 Siegburg, Tel. 02241/62925, Fax 02241/53891, E-Mail: [email protected], Bankverbindung: Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500

Gestaltung: ENGEL UND NORDEN, Wuppertal, Mitarbeit: Ruth Michels, www.engelundnorden.de

Bestellungen undAnzeigenverwaltung: Verlag Franz Schmitt (Preisliste 21, gültig ab 1. Januar 2008)

Zuständig für Anzeigen: Sabine Schmitt im Verlag Franz Schmitt

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Der „Archivar“ erscheint viermal jährlich. Der Bezugspreis beträgt für das Einzelheft einschl. Porto und Versand 8,-EUR im Inland, 9,-EUR im Ausland, für das Jahresabonnement im Inland einschl. Porto und Versand 32,-EUR, im Ausland 36,-EUR.

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IMPRESSUM

Im nächsten Heft lesen Sie unter anderem:

Arbeitshilfe zur Erstellung eines Dokumentationsprofils für Kommunalarchive. Einführung indas Konzept zur Überlieferungsbildung der BKK und Textabdruckvon Irmgard Christa Becker

Das Dokumentationsprofil für Archive wissenschaftlicher Hochschulenvon Max Plassmann

Was bleibt vom politischen Tagesgeschäft? Zur Überlieferungsbildung und Bewertung vonSchriftgut der politischen Parteien im Archiv im Archiv für Christlich-Demokratische Politik derKonrad-Adenauer-Stiftungvon Angela Keller-Kühne

Archivierung von Nachlassakten prominenter Persönlichkeiten in der Abteilung Rheinland desLandesarchivs Nordrhein-Westfalenvon Rainer Stahlschmidt