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1 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1 60. Jahrgang · Februar 2007 · Heft 1 INHALT In eigener Sache ......................................................................... 3 „Archive und Öffentlichkeit“. Der 76. Deutsche Archivtag in Essen. Tagungsbericht von Clemens Rehm ........................................................................................... 4 Berichte zu den Arbeitssitzungen der Fachgruppen auf dem 76. Deutschen Archivtag ........................................ 11 Fachgruppe 1: Archivarinnen und Archivare an staatlichen Archiven (M. R. Sagstetter) .................... 11 Fachgruppe 2: Archivarinnen und Archivare an Stadtarchiven und Archiven sonstiger Körper- schaften (H. Gehringer) ................................................ 12 Fachgruppe 3: Archivarinnen und Archivare an kirchlichen Archiven (M. Häusler) ............................ 14 Fachgruppe 4 und 5: Archivarinnen und Archi- vare an Herrschafts-, Familien- und Hausarchi- ven und an Archiven der Wirtschaft (J. Weise) ....... 15 Fachgruppe 6: Archivarinnen und Archivare an Archiven der Parlamente, der politischen Par- teien, Stiftungen und Verbände (M. Faßbender) ... 16 Fachgruppen 7 und 8: Archivarinnen und Archi- vare an Medienarchiven sowie an Hochschular- chiven und Archiven wissenschaftlicher Institu- tionen (D. Speck/H. Schmitt) ...................................... 18 Berichte zu den Sitzungen der Arbeitskreise auf dem 76. Deutschen Archivtag ......................................................... 18 Arbeitskreis „Archivpädagogik und historische Bildungsarbeit“ (R. Link) ............................................. 18 Arbeitskreis „Ausbildung Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste (FAMI)“ (H. Scholz) ............................................................................... 20 Das DOMEA ® -Konzept – eine Zwischenbilanz aus archivischer Sicht. Von Andrea Hänger und Andrea Wettmann ................................................................................. 24 Die gefühlte Misere in greifbaren Zahlen: Schriftgut- verwaltung in der Freien und Hansestadt Hamburg. Ausgangssituation – Standards – Perspektiven. Von Julia Brüdegam, Hendrik Eder und Irmgard Mum- menthey .................................................................................... 29 Welche Fotografien sind erhaltenswert? Ein Diskussi- onsbeitrag zur Bewertung von Fotografennachlässen. Von Nora Mathys .................................................................... 34 Archivtheorie und -praxis Archive und Bestände: Das „Deutsche Handwerksar- chiv (DHA)“ im Rheinisch-Westfälischen Wirtschafts- archiv zu Köln (RWWA) (P. Belli): 40. – Festschrift zum 65. Geburtstag von Hermann Rumschöttel überreicht (B. Uhl): 44. Archivtechnik: Papierentsäuerung nichtstaatlicher Archive im Rheinland – Erfahrungsberichte aus dem Historischen Archiv des Erzbistums Köln, dem Stadt- archiv der Landeshauptstadt Düsseldorf und dem Stadtarchiv Erftstadt (N. Kühn/U. Helbach/B. Mauer/U. Müller): 44. – Zwei neue Außenstellen des Staatsarchivs Münster „so wie es Akten mögen“ (G. Kießling/B. Dördelmann): 46. EDV und Neue Medien: 10 Jahre Arbeitskreis „Archivie- rung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ – Bilanz und Ausblick (T. Kluttig): 51. – Älteste digitale Archiv- quelle der Bundesrepublik gesichert: Daten der Volks- zählung von 1961 für das Land Baden-Württemberg übernommen und aufbereitet (K. Naumann): 53. – Wegweiser durch die breitgefächerte Archivland- schaft Thüringens: www.archive-in-thueringen.de (B. Fischer): 55. Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung: Sympo- sion „Zur Geschichte und Historiographie von Archi- ven“ (M. Aumüller/M. Wimmer): 56. – 3. Detmolder Sommergespräch im Staats- und Personenstandsar- chiv Detmold: Familienbande, Lebensläufe und All- tagsgeschichte: Biographie und Genealogie (B. Joer- gens/M. Kamp): 57. – Dokumente und Deutungen zur Anti-Atomkraft-Bewegung der 1970er Jahre. Eine Sek- tion des VdA-Arbeitskreises „Archivische Bewer- tung“ auf dem 46. Deutschen Historikertag (A. Pilger): 58. – Findet Genealogie im Archiv statt? oder: Kom- men Familienforscher ins Archiv? – Ein Literaturbe- richt (B. Joergens): 59. Aus- und Fortbildung, berufsständische Angelegenheiten: Eine gute Adresse: Die Bibliographie zum Archivwe- sen der Archivschule Marburg (M. Oehme): 62. Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen: Tagungsbericht der evangelischen Kirchenarchive 2006 (J. Engelking /M. Honold): 62. – 40. Rheinischer Archivtag in Düs- seldorf-Benrath (F. Gläser): 65. Norddeutscher Archivtag und Landesarchivtag Mecklenburg-Vor- pommern (U. Reinhardt): 68. „Das kulturelle Gedächtnis – Gefährdung und Auftrag“. Bayerischer Archiv- und Bibliothekstag 2006 in Würzburg (M. R. Sagstetter): 69. – Digitale Bilder und Filme im Archiv – Marketing und Vermarktung. Der 66. Südwestdeut- sche Archivtag in Karlsruhe-Durlach (K. Enzel/C. Volkmar): 71. Auslandsberichterstattung Internationales: CASE – Tagung in München (E. A. Mayring): 73. – Internationales Archivsymposion in

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Zeitschrift für Archivwesen

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1Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1

60. Jahrgang · Februar 2007 · Heft 1INHALT

In eigener Sache... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3„Archive und Öffentlichkeit“. Der 76. DeutscheArchivtag in Essen. Tagungsbericht von ClemensRehm .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4Berichte zu den Arbeitssitzungen der Fachgruppenauf dem 76. Deutschen Archivtag... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Fachgruppe 1: Archivarinnen und Archivare anstaatlichen Archiven (M. R. Sagstetter).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Fachgruppe 2: Archivarinnen und Archivare anStadtarchiven und Archiven sonstiger Körper-schaften (H. Gehringer).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Fachgruppe 3: Archivarinnen und Archivare ankirchlichen Archiven (M. Häusler).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Fachgruppe 4 und 5: Archivarinnen und Archi-vare an Herrschafts-, Familien- und Hausarchi-ven und an Archiven der Wirtschaft (J. Weise).. . . . . . 15Fachgruppe 6: Archivarinnen und Archivare anArchiven der Parlamente, der politischen Par-teien, Stiftungen und Verbände (M. Faßbender).. . 16Fachgruppen 7 und 8: Archivarinnen und Archi-vare an Medienarchiven sowie an Hochschular-chiven und Archiven wissenschaftlicher Institu-tionen (D. Speck/H. Schmitt).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Berichte zu den Sitzungen der Arbeitskreise auf dem76. Deutschen Archivtag... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Arbeitskreis „Archivpädagogik und historischeBildungsarbeit“ (R. Link)... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18Arbeitskreis „Ausbildung Fachangestellte fürMedien- und Informationsdienste (FAMI)“ (H.Scholz) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

Das DOMEA®-Konzept – eine Zwischenbilanz ausarchivischer Sicht. Von Andrea Hänger und AndreaWettmann ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24Die gefühlte Misere in greifbaren Zahlen: Schriftgut-verwaltung in der Freien und Hansestadt Hamburg.Ausgangssituation – Standards – Perspektiven. VonJulia Brüdegam, Hendrik Eder und Irmgard Mum-menthey ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29Welche Fotografien sind erhaltenswert? Ein Diskussi-onsbeitrag zur Bewertung von Fotografennachlässen.Von Nora Mathys ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

Archivtheorie und -praxisArchive und Bestände: Das „Deutsche Handwerksar-chiv (DHA)“ im Rheinisch-Westfälischen Wirtschafts-archiv zu Köln (RWWA) (P. Belli): 40. – Festschrift zum65. Geburtstag von Hermann Rumschöttel überreicht(B. Uhl): 44.

Archivtechnik: Papierentsäuerung nichtstaatlicherArchive im Rheinland – Erfahrungsberichte aus demHistorischen Archiv des Erzbistums Köln, dem Stadt-

archiv der Landeshauptstadt Düsseldorf und demStadtarchiv Erftstadt (N. Kühn/U. Helbach/B.Mauer/U. Müller): 44. – Zwei neue Außenstellen desStaatsarchivs Münster „so wie es Akten mögen“ (G.Kießling/B. Dördelmann): 46.

EDV und Neue Medien: 10 Jahre Arbeitskreis „Archivie-rung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ – Bilanzund Ausblick (T. Kluttig): 51. – Älteste digitale Archiv-quelle der Bundesrepublik gesichert: Daten der Volks-zählung von 1961 für das Land Baden-Württembergübernommen und aufbereitet (K. Naumann): 53. –Wegweiser durch die breitgefächerte Archivland-schaft Thüringens: www.archive-in-thueringen.de (B.Fischer): 55.

Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung: Sympo-sion „Zur Geschichte und Historiographie von Archi-ven“ (M. Aumüller/M. Wimmer): 56. – 3. DetmolderSommergespräch im Staats- und Personenstandsar-chiv Detmold: Familienbande, Lebensläufe und All-tagsgeschichte: Biographie und Genealogie (B. Joer-gens/M. Kamp): 57. – Dokumente und Deutungen zurAnti-Atomkraft-Bewegung der 1970er Jahre. Eine Sek-tion des VdA-Arbeitskreises „Archivische Bewer-tung“ auf dem 46. Deutschen Historikertag (A. Pilger):58. – Findet Genealogie im Archiv statt? oder: Kom-men Familienforscher ins Archiv? – Ein Literaturbe-richt (B. Joergens): 59.

Aus- und Fortbildung, berufsständische Angelegenheiten:Eine gute Adresse: Die Bibliographie zum Archivwe-sen der Archivschule Marburg (M. Oehme): 62.

Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen: Tagungsberichtder evangelischen Kirchenarchive 2006 (J. Engelking/M. Honold): 62. – 40. Rheinischer Archivtag in Düs-seldorf-Benrath (F. Gläser): 65. – NorddeutscherArchivtag und Landesarchivtag Mecklenburg-Vor-pommern (U. Reinhardt): 68. – „Das kulturelleGedächtnis – Gefährdung und Auftrag“. BayerischerArchiv- und Bibliothekstag 2006 in Würzburg (M. R.Sagstetter): 69. – Digitale Bilder und Filme im Archiv –Marketing und Vermarktung. Der 66. Südwestdeut-sche Archivtag in Karlsruhe-Durlach (K. Enzel/C.Volkmar): 71.

AuslandsberichterstattungInternationales: CASE – Tagung in München (E. A.Mayring): 73. – Internationales Archivsymposion in

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Trier (F. Gläser): 74. – 14. Deutsch-NiederländischesArchivsymposium 2006 in Zwolle (A. Diener-Staeck-ling/T. Brakmann): 76.Niederlande: Ein neues Depotgebäude für das Stadtar-chiv Dordrecht (C. Jeurgens/M. Kordes): 78.Slowakei: Stand des Informationssystems und dieArchivarsausbildung in den Archiven der Slowakei(Z. Kollárová): 80.

LiteraturberichtArchivnachrichten Niedersachsen – Mitteilungen aus nieder-sächsischen Archiven. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaftniedersächsischer Kommunalarchivare e.V. und dem Nieder-sächsischem Landesarchiv (K. Tiemann ): 81. – Ein badischesIntermezzo? Die Markgrafschaft Baden-Baden im 18. Jahr-hundert. Festgabe für Herwig John. Hrsg. von R. Brüningund C. Rehm (C. Schmider): 83. – Bayerisches Hauptstaatsar-chiv. Reichskammergericht. Bd. 10: Nr. 3884-4491 (BuchstabeG). Bearb. von M. Hörner (R.-P. Fuchs): 84. – Die Bestände desLandeshauptarchivs Schwerin. Band 3: NichtstaatlichesArchivgut und Sammlungen (A. Graßmann): 84. – DieBestände des Wirtschaftsarchivs Baden-Württemberg.Unternehmen, Industrie- und Handelskammern, Hand-werkskammern, Verbände, Vereine, Nachlässe. Bearb. vonM. Burkhardt, U. Fitterer, J. Hanitsch, A. Hermann, G. Koll-mer-von Oheimb-Loup, S. Krischel und E. Schmitt (K.-P.Ellerbrock): 92. – P. Burgard, L. Linsmayer, Der Saarstaat. Bil-der einer vergangenen Welt (I. C. Becker): 85. – Das DomstiftBrandenburg und seine Archivbestände. Bearb. von W.Schößler (U. Czubatynski): 85. – Der 13. Januar. Die Saar imBrennpunkt der Geschichte. Hrsg. von L. Linsmayer (I. C.Becker): 85. – Führer durch das Archiv zur Geschichte derMax-Planck-Gesellschaft. Anlässlich des 25jährigen Jubilä-ums 1978-2003 unter Beteiligung aller Mitarbeiter neu bear-beitet von E. Henning (J. Kloosterhuis): 86. – FundamentaHistoriae. Geschichte im Spiegel der Numismatik und ihrerNachbarwissenschaften. Festschrift für Niklot Klüßendorfzum 60. Geburtstag am 10. Februar 2004. Hrsg. von R. Cunzin Verbindung mit R. Polley und A. Röpcke ( M. Gussone): 86.– K. Herbers, R. Plötz, Die Straß zu Sankt Jacob. Der ältestedeutsche Pilgerführer nach Compostela (D. Wynands): 87. –Kiesinger: „Wir leben in einer veränderten Welt.“ Die Proto-kolle des CDU-Bundesvorstands 1965-1969. Bearb. von G.Buchstab unter Mitarbeit von D. Lindsay (M. Faßbender): 88.– H. Kleifeld, Bestandserhaltung und Massenverfahren.

Praktische Durchführung von Massenentsäuerungsverfah-ren (M. Glauert): 88. – Landesarchiv Baden-Württemberg.Text: R. Meier (G. Hetzer): 89. – Nachlass Ernst Severin (1854-1920) und Nachfahren, Hüsten. Hrsg. im Auftrag der StadtArnsberg von M. Gosmann. Bearb. von B. Köhler und P.Scheiwe (H. Niebuhr): 89. – Populare Schriftzeugnisse inBrandenburg. Beschreibendes Verzeichnis von Selbstzeug-nissen und verwandten Quellen (17.-19. Jahrhundert), bearb.von V. Siedt und I. Edelberg (H. Kaak): 89. – Sekretariat desBundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (1970-1991).Findbuch zum Bestand 101 des Evangelischen Zentralsar-chivs in Berlin. Bearb. von R. Pabst (C. M. Raddatz): 90. –„...sind Sie für den geschlossenen Arbeitseinsatz vorgese-hen...“ „Judendeportationen“ von Bremerinnen und Bre-mern während der Zeit der nationalsozialistischen Gewalt-herrschaft. Hrsg. vom Staatsarchiv Bremen. Bearb. von G.Rohdenburg (D. Rein): 91. – Stamm-Buch der Jenaischen Bur-schenschaft. Die Mitglieder in der Urburschenschaft 1815-1819. Bearb. von P. Kaupp (G. Wiemers): 91. – R. Stremmel,100 Jahre Historisches Archiv Krupp. Entwicklungen, Aufga-ben, Bestände. Hrsg. von der Alfried Krupp von Bohlen undHalbach Stiftung (K.-P. Ellerbrock): 92. – G. Stüber, C. Lauer,Vom Gestern ins Morgen. 75 Jahre Zentralarchiv der Evange-lischen Kirche der Pfalz (1930-2005) (J. Murken): 93. – Vorläu-figes Findbuch zur Abteilung X: „Internationale Verbindun-gen“ des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Bearb.von M. Pollack und D. Bombitzki (H. Schreyer): 93.

PersonalnachrichtenZusammengestellt von Meinolf Woste ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

NachrufePaul A. Alsberg † (A. Wagner): 96. – Hellmuth Gen-sicke † (K. Eiler): 97. – Martin Reißmann† (D. Jacho-mowski): 98.

Kurzinformationen, VerschiedenesAdressen, Ruf- und Faxnummern: 99. – Archiv derPhilipps-Universiät Marburg (K. Schall): 99.

Mitteilungen des VdA – Verbandes DeutscherArchivarinnen und Archivare e. V.Aktuelle Informationen aus dem Vorstand (R. Kretz-schmar): 99. – Neujahrsbrief des Vorsitzenden(R. Kretzschmar): 99

DER ARCHIVAR. Mitteilungsblatt für das deutsche ArchivwesenHerausgegeben vom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf und vom VdA – Verband deutscher Archivarinnen undArchivare e.V., Sitz: Frankfurt a.M., Geschäftsstelle: Wörthstr. 3, 36037 Fulda. Redaktion: Martina Wiech in Verbindung mit Barbara Hoen, Robert Kretz-schmar, Wilfried Reininghaus, Ulrich Soénius und Klaus Wisotzky. Mitarbeiter: Meinolf Woste, Petra Daub. Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf, Tel. 02 11 / 15 92 38-800 (Redaktion), -202 (Martina Wiech), -802 (Meinolf Woste), -803 (Petra Daub), Fax 02 11 / 15 92 38-888, E-Mail: [email protected]. Druck und Vertrieb: Franz Schmitt, Kaiserstraße 99–101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41 / 6 29 25, Fax 0 22 41 / 5 38 91, E-Mail: [email protected], Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500. Die Verlagsrechte liegen beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. AmtlicheBekanntmachungen sowie Manuskripte, Mitteilungen und Besprechungsexemplare bitten wir an die Redaktion zu senden. Zum Abdruck angenommeneArbeiten gehen in das unbeschränkte Verfügungsrecht des Herausgebers über. Dies schließt auch die Veröffentlichung im Internet ein. Die Beiträge gebendie Meinungen ihrer Verfasser, nicht die der Redaktion wieder. Bestellungen und Anzeigenverwaltung (Preisliste 20, gültig ab 1. Januar 2006) beim Verlag F.Schmitt, Kaiserstraße 99–101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41 / 6 29 25, Fax 0 22 41 / 5 38 91, E-Mail: [email protected]. Zuständig für den Anzeigenteil:Sabine Prediger im Verlag F. Schmitt. „Der Archivar“ erscheint viermal jährlich. Die Beihefte werden in zwangloser Reihenfolge herausgegeben. DerBezugspreis beträgt für das Einzelheft einschl. Porto und Versand 8,– EUR im Inland, 9,– EUR im Ausland, für das Jahresabonnement im Inland einschl.Porto und Versand 32,– EUR, im Ausland 36,– EUR. ISSN 0003-9500

Hinweise für VdA-Mitglieder: Geänderte Anschriften und Bankdaten sind ausschließlich an folgende Adresse zu melden: VdA-Geschäftsstelle, Wörthstraße 3,36037 Fulda, Tel. +49 661 / 29 109 72, Fax +49 661 / 29 109 74; e-mail: [email protected]. Internet: www.vda.archiv.net – Bankverbin-dungen: Konto für Mitgliedsbeiträge des VdA: Sparkasse Regensburg (BLZ 750 500 00), Konto-Nr. 16675; Konto für Spenden an den VdA: Sparkasse Regens-burg (BLZ 750 500 00), Konto-Nr. 17475.

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1 3

In eigener Sache…

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Kolleginnen und Kollegen,

2007 wird für die Fachzeitschrift „Der Archivar“ ein Jahr der Veränderung. Erste Neuerungenkonnten Sie bei genauer Betrachtung schon auf dem Titel der letzten Ausgabe erkennen. Dorterscheinen nun das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen (LAV NRW) und der VdA – Verband deut-scher Archivarinnen und Archivare e.V. als gemeinsame Herausgeber. Der im Vertrag über diegemeinsame Herausgeberschaft vorgesehene Beirat der Zeitschrift traf sich im Dezember 2006zu seiner ersten Sitzung. Ihm gehören drei Mitglieder des LAV NRW (Barbara Hoen, WilfriedReininghaus und Martina Wiech) sowie drei Mitglieder des VdA (Robert Kretzschmar, UlrichSoénius und Klaus Wisotzky) an.

Das vor Ihnen liegende Heft 1 des Jahrgangs 2007 weist von außen betrachtet keine Veränderun-gen auf, doch hat sich „hinter den Kulissen“ einiges getan: Seit dem 1. Januar 2007 hat der VdAdie Zusammenstellung der Personalnachrichten und des Veranstaltungskalenders übernommen.Bitte richten Sie Personalnachrichten und Veranstaltungshinweise daher ab sofort direkt an dieGeschäftsstelle des VdA ([email protected]). Die Personalnachrichten erscheinen wie gewohntin der gedruckten Ausgabe der Zeitschrift, der Veranstaltungskalender wird ab Heft 1/2007 –in laufend aktualisierter Form – Bestandteil der elektronischen Ausgabe, die Sie weiterhin unterwww.archive.nrw.de/archivar finden.

Weitere Veränderungen stehen an: Die Zeitschrift wird ab 2008 in inhaltlich wie äußerlich über-arbeiteter Form erscheinen. Beispielsweise soll dann ein Editorial in die Hefte einführen. Nacheinem übergreifenden Teil, der bewährte Inhalte wie längere Aufsätze, Berichte aus Archivtheorieund -praxis, den Literaturbericht und die Personalnachrichten umfasst, wird die Zeitschriftzukünftig eigene Abschnitte des LAV NRW und des VdA enthalten. Der Beirat wird Sie in denHeften und im Internet über den aktuellen Stand der Dinge auf dem Laufenden halten.

Die Neugestaltung in 2007 bietet auch die Möglichkeit, der Zeitschrift einen neuen Namen zugeben. Der Beirat hat sich Anfang Januar 2007 an die Mitglieder des VdA und die Leser(innen)der bekannten archivischen Internetforen gewandt und um die Zusendung von Namensvorschlä-gen bis zum 31. Januar gebeten. Wir haben Ihre Ideen mit großem Interesse gesammelt und werdendas Ergebnis in Kürze im Internet und im nächsten Heft vorstellen.

Barbara Hoen Robert Kretzschmar Wilfried Reininghaus

Ulrich Soénius Martina Wiech Klaus Wisotzky

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4 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1

Mit dem Rahmenthema „Archive und Öffentlichkeit“ standein Arbeitsfeld im Fokus des 76. Deutschen Archivtags, dessenBedeutung für die künftige Arbeit in Archiven von vielen Kol-leginnen und Kollegen als wesentlich und vor allem als stetigwachsend angesehen wird. Bei dieser Analyse geraten nichtnur die Arbeitszeitanteile in den Blick, sondern auch die Art,Form und Qualität der anzubietenden Produkte. Die Diskus-sionen in Essen über Weichenstellungen, Um- oder Neuorien-tierungen, die – dem Thema angemessenen – teilweise unge-wohnten Präsentationen von Lesungen bis zu szenischen Dar-stellungen und die vorgestellten Projekte zeigten die Kreativi-tät, den Mut und eine gewisse Aufbruchsstimmung, die trotzder stets zu beklagenden „leeren Kassen“ herrschte.

Mit dem Begriff „Öffentlichkeit“ war bewusst ein weitesFeld umrissen worden. Zum einen sollten Wandlungen imklassischen Bereich der Öffentlichkeitsarbeit beleuchtet wer-den. Im Vergleich und in täglich spürbarer Konkurrenz mitanderen Kulturinstitutionen wie Museen, Bibliotheken oderGedenkstätten spüren viele Archive noch Nachholbedarf,wenn die Präsentation der eigenen Aufgaben und Leistungengefordert wird. Die Durchsetzung von eigenen Interessen ist,so die einhellige Meinung, untrennbar mit erfolgreichen Kon-zepten der Eigenwerbung und des Marketings verbunden.Neben einer undifferenzierten „Öffentlichkeit“ ist selbstver-ständlich der Archivträger selber eine wesentliche Zielgruppedieser Aktivitäten. Gerade von den Archivträgern wird dasArchiv aber oft als randständige Verwaltungsinstitution veror-tet und dementsprechend ausgestattet. Zum anderen stellensich aktueller denn je Fragen nach der Dialog- und Kommuni-kationsfähigkeit der Archive bei archivfachlichen Themen wieBewertung, Erschließung oder Langzeitarchivierung elektroni-scher Unterlagen. Auf diesen Feldern könnte und sollte in deröffentlichen Diskussion künftig eine nachhaltige Verankerungder Archive in ihrer Funktion als kompetente Gedächtnisinsti-tution der Gesellschaft erreicht werden.

Bei diesem Spagat zwischen hohen Ansprüchen und Zieleneinerseits und vielerorts fehlenden finanziellen und personel-len Voraussetzungen andererseits sollte durch das Programmeine Selbstvergewisserung und Zukunftsorientierung ermög-licht werden. Rund 600 Teilnehmer beteiligten sich in Essen anden Diskussionen, die in den Räumen der Messe Gruga statt-fanden. Auch wenn manche Räume wegen der Entfernung einwenig „erlaufen“ werden mussten, tat das den inhaltlichenAuseinandersetzungen und den engagierten Gesprächen kei-nen Abbruch. Die bewährte gute Vorbereitung durch dieGeschäftsstelle des Verbands deutscher Archivarinnen undArchivare garantierte einen reibungslosen Tagungsverlauf.

Ablauf

Die auf dem 75. Deutschen Archivtag in Stuttgart neu einge-führte Struktur der Veranstaltung wurde im Wesentlichen bei-behalten1. Die Dokumentation des Archivtags wird teilweise

im Tagungsband erfolgen, der die Vorträge der gemeinsamenArbeitssitzung (Prof. Raulff, Dr. Scheytt) sowie die Beiträgeund die Diskussionen der Sektionen enthält, und teilweise indiesem Heft des Archivar geschehen. Über die Veranstaltungender Fachgruppen und der Arbeitskreise wird im Anschluss andiesen Beitrag in Zusammenfassungen berichtet. MancheFachgruppen und Arbeitskreise haben die in ihren Sitzungengehaltenen Beiträge auf ihrer Seite in der Internetpräsentationdes VdA (www.vda.archiv.net) eingestellt.

Großen Zuspruch fand wie schon in Stuttgart 2005 dieUmstellung der Eröffnungsveranstaltung auf den Dienstag-abend, durch den die traditionell gut besuchten Angebote derArbeitskreise enger mit den übrigen Tagungsveranstaltungenverknüpft waren. Zudem bestand schon am Dienstag die Mög-lichkeit, die Archivmesse „Archivistica“ zu besuchen. AmMittwoch konnte direkt mit der Gemeinsamen Arbeitssitzungbegonnen werden, der die Sektionen und am Donnerstag dieFachgruppen und die Mitgliederversammlung (deren Ergeb-nisse finden sich im Archivar 4/2006, S. 410-412) folgten. In dasProgramm neu eingefügt und gut angenommen wurde diegesonderte Veranstaltung zum aktuellen Thema „Open access.Freier Zugang zu Kulturgut in Archiv, Bibliothek undMuseum“ (Zusammenfassung s. u. S. 9). Der VdA wird auchkünftig auf dem Deutschen Archivtag in ähnlicher WeiseRaum für Veranstaltungen zu aktuellen Aspekten der Fachdis-kussion freihalten. Den Abschluss des Archivtags bildete eineinternational besetzte Podiumsdiskussion „Das Archiv in derÖffentlichkeit. Die Öffentlichkeit im Archiv – Erfahrungen undPerspektiven“, die ebenfalls im Tagungsband dokumentiertwird, und der ausgezeichnete stadtgeschichtliche Vortrag desKollegen Wisotzky mit dem Titel „Essen – das Bild einerStadt. Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung“, durchden auf unterhaltsame und anregende Weise die meist vorur-teilsbeladene Sicht auf diese Stadt aufgebrochen wurde. Miteinem Orgelkonzert im Essener Dom am Abend und der Stu-dienfahrt am nächsten Tag auf den Spuren der Industriekulturzur Zeche Zollverein, dem Gasometer in Oberhausen, der Sied-lung Eisenheim und Stationen in Duisburg verabschiedetensich die Teilnehmer vom Ruhrgebiet.

Ungewöhnliche, diskussionsfähige Ideen, überraschendeEinblicke und anregende Sichtweisen von außen auf das Archivbleiben als vorherrschende Eindrücke dieses Archivtags, dervielfältig positive Resonanz fand. So bestätigte sich die Erwar-tung, die schon im Vorfeld nach der Themenwahl als auch beimCall for Papers durch zahlreiche zustimmende Rückmeldungenentstanden war. Auffallend war bei den Erfahrungsberichtenund Diskussionen während des Archivtags zu diesem Rahmen-thema der höchst unterschiedliche Kenntnis- und Erwartungs-horizont der Teilnehmer; so konnte es vorkommen, dass vor-gestellte Lösungen im Extremfall für einen Teil der Teilnehmerunrealistische Utopie und für einen anderen Teil längst langjäh-rig geübte Praxis darstellten. Ein deutliches Zeichen, dass aktu-ell und auch weiterhin Diskussions- und Austauschbedarf zudiesem archivischen Arbeitsfeld besteht. Bis zur geforderten„Kampagnefähigkeit“ der Archive (Scheytt) bleibt auf jedenFall noch ein weiter Weg zu beschreiten, der „steinig undschwer“ sein wird – wie der Mannheimer Xavier Naidoo ein-mal Mut machend gesungen hat.

1 Das Programm des 76. Deutschen Archivtags mit dem genauen Ablaufund sämtliche Einzelveranstaltungen sowie das Begleitprogramm (Aus-stellungen, Führungen etc.) lassen sich auf der Internetseite des VdA(www.vda.archiv.net) einsehen (Programmheft als pdf und Kurzfassung).

„Archive und Öffentlichkeit“Der 76. Deutsche Archivtag 2006 in EssenTagungsbericht von Clemens Rehm

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1 5

In diesem Sinne dürfen sich nicht nur die Teilnehmer inEssen über die Einladung des Kollegen Dr. Ulrich Nieß zum77. Deutschen Archivtag vom 25.-28. September 2007 nachMannheim mit dem Rahmenthema „Lebendige Erinnerungs-kultur für die Zukunft“ freuen.

Eröffnung

Am Abend des 26. September 2006 begrüßte der Vorsitzendedes Verbands Deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA),Dr. Robert Kretzschmar, die Archivtagsteilnehmer im Saal„Europa“ des Messezentrums Gruga in Essen.

Er erinnerte daran, dass Essen schon 1960 mit dem Thema„Wandel eines historischen Raumes zu einem Industrierevier“Gastgeber eines deutschen Archivtags gewesen sei. Inzwi-schen sei der nächste Wandel schon fast abgeschlossen, dieZeche Zollverein inzwischen Weltkulturerbe und Essen zurKulturhauptstadt Europas 2010 ausgerufen worden. Der Vor-sitzende beglückwünschte den Essener Oberbürgermeister Dr.Wolfgang Reiniger zu diesem großen Erfolg und dankte ihmgleichzeitig mit Blick auf den bevorstehenden Archivbau fürdie gelungenen Planungen zur Unterbringung des Hauses derEssener Geschichte. Als Vertreter des Landes Nordrhein-West-falen konnte Robert Kretzschmar den Staatssekretär für Kul-tur, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, begrüßen. Mit derErrichtung des „Technischen Zentrums“ des LandesarchivsNRW habe das Land ein auch für den Verband deutscherArchivarinnen und Archivare ermutigendes Zeichen gesetztund den Leitgedanken „Wer Archive fördert, fördert Erinne-rung“ sichtbar umgesetzt. Den Generaldirektor des Österrei-chischen Staatsarchivs in Wien, Prof. Dr. Lorenz Mikoletzky,zugleich Präsident des Internationalen Archivrats (ICA), hießKretzschmar willkommen stellvertretend für die anwesendenKolleginnen und Kollegen aus 19 Nationen, durch deren Teil-

nahme die Bedeutung des internationalen Fachaustauschsunterstrichen werde.

„Archivarische Öffentlichkeitsarbeit“ lautete schon 1969das Rahmenthema des Archivtags in Kiel, allerdings mit deut-lich engerem Blickwinkel als beim Thema „Archive undÖffentlichkeit“ 2006. Seinerzeit, erinnerte Kretzschmar, muss-te die Beschäftigung mit diesem Arbeitsfeld im Kollegenkreisnoch begründet und gerechtfertigt werden. Heute sind Archi-ve nutzbare Einrichtungen, die sich um Sponsoren und Förde-rer kümmern. Diese Entwicklung hat sich seit den 1990er Jah-ren abgezeichnet, als die Archive versuchten, neue Formen derPräsentation zu finden.

Die Archivgeschichte ist auch eine Geschichte des „Sich-Öff-nens“ resümierte Kretzschmar einen kurzen Rückblick von derEdition eines Quellenbands über Inventare und Lesesäle, dieneue Qualität der Nutzung durch die Regelungen in denArchivgesetzen bis zur Online-Präsentation von Quellen undBestandsverzeichnissen im Internet. Heute steht Archivmarke-ting noch in den Kinderschuhen, aber es werden erste Schrit-te gestartet und „Open access“ ist auch in Archivarskreisen eindiskutiertes Thema. Mit dem für Essen gewählten Rahmenthe-ma „Archive und Öffentlichkeit“ würden wichtige Arbeitsfel-der in den Blick genommen, die letztlich das Wesen desArchivs berührten.

Kretzschmar gab noch einen Überblick über den geplantenVerlauf der Tagung und verwies auf die Fachmesse „Archivi-stica“. Abschließend dankte er denjenigen, die sich bei der Vor-bereitung des Archivtags engagiert hätten, insbesondere denKollegen des Stadtarchivs Essen, den Referentinnen und Refe-renten, den Ausstellern der „Archivistica“ und wünschte allenTeilnehmern einen erfolgreichen und gelungenen Archivtag.

Der Essener Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Reiniger hießalle Archivtagsteilnehmer willkommen und stellte in seinemGrußwort den Wandel Essens vom Industriestandort zur Kul-turhauptstadt ins Zentrum, der sich in der Umnutzung undUmgestaltung der Kruppstadt ebenso deutlich niederschlagewie in der Nutzung der Zeche Zollverein, in der die letzte

Beim Eröffnungsvortragfaszinierte Prof. Dr. Raulff(Literaturarchiv Marbach)das Publikum

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Schicht 1986 gefahren worden sei. Auch wenn Essen keineResidenz gewesen sei, habe sich die Stadt doch ein kulturellesProfil erarbeitet, erinnerte Reiniger an international bekannteInstitutionen wie die Villa Hügel oder das Museum Folkwang.Sehr treffend hätte das Motto für die Kulturhauptstadtbewer-bung „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ gelautet.Reiniger wünschte einem guten Tagungsverlauf und lud dieTeilnehmer nach der Eröffnungsveranstaltung zum Empfangder Stadt Essen ein.

Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff hobbei seinen Worten den Zusammenhang der Aktivitäten desLandes zur Kulturhauptstadt 2010 mit dem Archivwesen her-vor.

Die Aufgabe der Archive, Kulturtraditionen weiterzugeben,gewänne angesichts gegenläufiger Entwicklungen in Familieund Schule zunehmend an Bedeutung. Dabei regte er an,Kunst und Kulturinstitute mehr mit den Archiven in Kontaktzu bringen. Um in diesem Bereich erfolgreich arbeiten zu kön-nen, bedürfe es der Erhaltung der Substanz, der Originale. DasLand NRW sei daher stolz, mit dem technischen Zentrum inMünster-Coerde eine reiche Kulturlandschaft und eine derwichtigsten Archivlandschaften Deutschlands unterstützen zukönnen. Grosse-Brockhoff lobte das Archivtagsthema. DieArchive bräuchten sich nicht zu verstecken und sollten viel-mehr die in den letzten 25 Jahren erfolgreiche Entwicklung vonÖffentlichkeits- und Bildungsarbeit fortsetzen: Die Gesell-schaft der Zukunft brauche das Gedächtnis der Archive – unddie Erinnerung daran, dass es in ihren Einrichtungen einimmenses Gedächtnis vorhalte.

Prof. Dr. Lorenz Mikoletzky, Generaldirektor des Österrei-chischen Staatsarchivs in Wien, übermittelte die Grüße desICA. Er beglückwünschte Essen zur Wahl als KulturhauptstadtEuropas und erinnerte mit einem Blick über die Grenzen andas wichtige Engagement deutscher Archivarinnen und Archi-vare im internationalen Austausch. Er dankte für die bisheri-ge Unterstützung und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dassdieser Einsatz für die „Schatzhäuser der Geschichte“ sich wei-ter verstärken würde.

Eröffnungsvortrag

Sprachlich kraftvoll lockte Prof. Dr. Ulrich Raulff, seit 2004Leiter des Literaturarchivs Marbach am Neckar, in seinemEröffnungsvortrag2 die Archivtagsteilnehmer mit der Frage,warum die Archive in den letzten Jahren viel stärker im öffent-lichen Fokus gestanden hätten, Archive gleichsam „sexy“geworden seien.

Er nannte zum einen die „Renaissance der Lust am Gehei-men und Okkulten“, darunter die durch die Wiedervereini-gung möglichen Enthüllungen aus bisher unzugänglichenArchiven. Archivare hätten gelernt, mit allem zu rechnen. Zumanderen habe die Medienrevolution, vor allem der PC (der„personal“-c), ermöglicht, Archivierung als Kulturtechnik fürjeden zu etablieren. Gleichzeitig seien dadurch auch die Auf-gaben des Bewertens gewachsen, denn Speicherkapazitätennur auszubauen, ohne an Erhaltung und Erschließung zu den-ken, schaffe nur Datenruinen. Das Netz sei für Kulturinstitu-tionen dabei, neben der Medienpräsenz, wichtigste Kontakt-plattform zur Öffentlichkeit zu werden.

Wie darauf zu regieren sei, versuchte Raulff mit drei Ele-menten zu skizzieren: Wenn Archivierungsvorgänge von jederund jedem im Alltag am PC erledigt werden könnten, wärehier auch eine Stelle, die Interessierten „abzuholen“. Archiveliefern mit fachlichen Hinweisen Orientierung zum Wissens-management. Zweitens seien Publikumsinteresse und Medie-necho höchst wichtige und wirksame Legitimationsbeschafferfür Kulturinstitutionen geworden. Das müsse bei jeder Arbeitim Archiv mitbedacht werden. Drittens richte sich die kulti-vierte Schaulust auf unverwechselbare, einmalige Archivalien– sie gehörten ausgestellt.

Aus dem Blick auf noch unerschlossene Bestände undderen Präsentation, also der Mitentdeckung von Geschichtedurch Besucher, entwickelte Raulff die Frage nach der archivi-

2 Der Eröffnungsvortrag wird im Tagungsband abgedruckt.

Der erste Austauschunter Kolleginnen undKollegen beim Empfangder Stadt Essen

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schen Bewertung im Kontext mit der Öffentlichkeit. Als„Agent einer Nachwelt“ sollten wir – so Raulff – darüber nach-denken, mit dem Publikum über Archivierungskriterien zukommunizieren. Der Öffentlichkeit müsse vermittelt werden,dass Archivare als Gestalter der Überlieferung „Futorologen“wider Willen seien.

Mit einem Ausblick, die im „Jahr der Geisteswissenschaf-ten“ 2007 zu erwartenden Publizität zu nutzen, und der Hoff-nung auf erfolgreiche Initiativen in diesem Jahr schloss Raulffden anregenden und mit viel Beifall bedachten, für das Rah-menthema impulsgebenden Vortrag.

Gemeinsame Arbeitssitzung

Unter dem Titel „Herausforderungen an die Archive in ihremUmfeld“ leitete Dr. Heiner Schmitt (Mainz) die gemeinsameArbeitssitzung3, deren Beiträge nicht hätten gegensätzlichersein können.

Der Beigeordnete für Kultur der Stadt Essen, Dr. OliverScheytt, analysierte von außen die „Erwartungen der Politikan die Archive“. Sein Anliegen war, den Archiven ein systema-tisches Angebot vorzustellen, ihre Ziele besser in der Politikverorten zu können. Erwartungen hat die Politik an die Archi-ve nicht, sie müssen geweckt werden. Dabei fragt sich, welchepolitisch wahrgenommenen Themen sich für das Archiv nut-zen lassen – „Kultur“, „Bildung“ oder „Medienpolitik“?Scheytt deklinierte diese Aspekte nach Archivstärken und-schwächen durch, um zu zeigen, wo Archive mit ihren The-men und Fragen anknüpfen könnten. Ziel sei es, aus solchenAnalysen eine „Kampagnefähigkeit“ der Archive zu entwik-keln. Auch wenn mit einer Vielzahl von politischen Akteurenzu verhandeln sei, Politik sich als komplexe Ursachen-Wir-kungskette darstelle und Ergebnisse nicht immer planbar seien.

Als strategische Ziele für den Archivbereich stellte Scheyttvier Beispiele vor.1. Archive könnten mit einem offensiven Umgang mit

Geschichte die kritische Aufarbeitung der Vergangenheitfördern; das „Eingespannt sein zwischen gestern und mor-gen“ bedeute auch, deutlich zu machen, dass Bewusstseineine historische Dimension hat.

2. Archive könnten in einer globalisierten Welt durch die Ver-breitung historischen Wissens Orientierung bieten.

3. Archive könnten die Relativität von Fakten deutlichmachen. Wissen, Tradition und Faktenanalyse ermöglichtenAuseinandersetzung und Reflektion der Vergangenheit,woraus Identifikation gestiftet werden könnte.

4. Wesentlich sei die Aktivierung von Bürgerinnen und Bür-gern. Wer im Bewusstsein der Einwohner sei, gelange auchin das Bewusstsein der Politiker. Daher sei es für Archivewichtig, historisches Bewusstsein zu wecken.Nicht übersehen werden darf, dass solch ein Prozess Zeit,

Beharrlichkeit und große Kommunikationsbereitschaft benö-tigt – gerade auch mit denen, die dem Archiv augenblicklichnicht viel abgewinnen können.

Der Beitrag von Bert Looper (Historisch Centrum Over-ijssel, Zwolle) „Die Historischen Zentren in den Niederlanden:Aufgaben und Perspektiven“ begann mit einem Paukenschlag:Der Schriftsteller Dr. Atte Jongstra deklamierte aus seinen inliterarische Form gegossenen Erfahrungen mit Archivgut als„Gastarchivar“ in Zwolle. Aus der Genesis las Jongstra, dassder Mensch von Gott beauftragt ist, seine Schöpfung, seineSammlung zu verwalten. „Wie müssen wir diese Aufgabe ver-stehen. Es ist klar, dass Gott nicht an die Funktion des Lageri-sten gedacht hat. Einen solchen Beruf können sich die Men-schen auch selber ausdenken.“ Liegt es da nicht nahe, dass derMensch als Archivar geschaffen wurde? Looper – „Die Welt istein Archiv, und das Archiv ist die Welt“ – wollte anhand desEinstiegs das Konzept der Historischen Zentren in den Nieder-landen spürbar machen, in den Menschen Schöpferkraft, Fan-tasie und Kreativität zu wecken. Er fragte nach der schöpferi-schen Kraft von Archiven und warum es so schwer fällt, diese3 Die Vorträge werden im Tagungsband abgedruckt.

Eine mehrfache Grenzüber-schreitung: SchriftstellerDr. Atte Jongstra (Mitte) undDr. Bert Looper (HistorischCentrum Overijssel, Zwolle)bei der GemeinsamenArbeitssitzung mit Sitzungs-leiter Heiner Schmitt

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Kräfte freizusetzen. Die Historischen Zentren verstehen sichals Orte, an denen in Dimensionen von Poesie, Emotion undErlebnis den Archivalien und der Geschichte begegnet wird.Dieser mehrdimensionale Zugang ist vielen nicht geheuer,aber, so fragte Looper, wird das Erzählen von Geschichten imArchiv nicht allein durch Tränen von Benutzern gerechtfertigt?Das Archiv verwandelt sich in den Historischen Zentren zum„poetischen Archiv“. Es geht darum, die gesellschaftlich rele-vanten Kräfte zum Vorschein zu bringen, die Unterlagen zurevitalisieren, den Archiven einen lebendigen und lebensvol-len Platz in der Gesellschaft zu erobern. Diese poetische Prä-sentation, der Wandel des Archivars zum „Kommunikator“und Geschichtenerzähler, sei nicht weit vom klassischen Archi-var entfernt, denn auch der würde beispielsweise beim Bewer-tungs- und Erschließungsvorgang Geschichten beschreibenoder auch dem Vergessen anheim geben.

Als Beleg für einen mehrdimensionalen Zugang erlebtendie Zuhörer einen weiteren Auszug aus Jongstras Buch. Erzitierte eine komplizierte, aus ihrem Kontext gerissen letztlichunverständliche, historische Grenzbeschreibung, die allein alsTextdokument poetisch wirkte und den Autor zur Satz verlei-tete „Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet, aber seithersehe ich das flache Land als eine Summe von Grenzen, Trenn-linien und Übergängen“. Aus der selbst gestellten Frage, wieweit das Archiv bei solchen Wegen gehen dürfte, antworteteLooper mit einem klaren Bekenntnis zur klassischen Archivar-beit im „backoffice“. Das poetische Archiv sei vorrangig eineMission des „frontoffice“.

Beide Vorträge wurden allseits mit großem Interesse undviel Beifall aufgenommen, förderten sie doch jeder auf seineWeise die Kreativität der Zuhörer. Diese von den Referentengebotenen Anregungen flossen auch in anderen Veranstaltun-gen des Archivtags ein und werden nach Meinung vielerZuhörer über den Archivtag hinaus wirken.

Sektionssitzungen

Für die Sektionssitzungen waren mit einem Call for Papersunterschiedliche Aspekte des Rahmenthemas „Archive undÖffentlichkeit“ akzentuiert worden. Schon die Rückmeldun-gen hatten gezeigt, dass mancher Gesichtspunkt in Kollegen-kreisen intensivere Reaktionen hervorgerufen hatte, wie z. B.bei Streitfrage nach der Priorität von öffentlichen „Events“ undden sogenannten „Kernaufgaben“ (Sektion IV „TraditionelleÖffentlichkeitsarbeit und modernes Marketing“), während dieFormulierung der Erwartungen an und von Verwaltungen(Sektion I „Archive und ihre Träger“), Fragen zu Überliefe-rungsbildung und Zugänglichkeit (Sektion II „Bewertung undErschließung für die Gesellschaft?“) und – überraschenderwei-se – auch die Rolle der elektronischen Möglichkeiten (SektionIII „Netz als ‚Öffentlichkeit’“) als nicht minder wichtige Aspek-te anfänglich weniger Resonanz fanden.

Um den aktuellen Stand zu den einzelnen, in den Sektionenangesprochenen Fragestellungen zu dokumentieren, werdenzu den Vorträgen die Berichte über Sektionssitzungen, dieauch die Diskussionen zu den Vorträgen enthalten, in denTagungsband aufgenommen.

Begegnungsabend

Der Begegnungsabend im stimmungsvollen Ambiente derDampfbierbrauerei in Essen-Borbeck mit regionaltypischenkulinarischen Genüssen wurde wie stets in lockerer Atmo-sphäre zum lebhaften kollegialen Austausch genutzt.

Treffen der Ausländischen Archivtagsteilnehmer

Die offene Gesprächsrunde unter der Leitung von Dr. MartinDallmeier mit ca. 20 Teilnehmern aus West-, Mittel- und Ost-europa diente dem Erfahrungsaustausch. Auch zukünftig solldas Gespräch mit den ausländischen Archivtagsteilnehmern,das für alle ausländischen Teilnehmer offen ist und zugleichdie bisherige Arbeitsgemeinschaft der mittelosteuropäischenArchivarsverbände fortsetzt, als informelle Veranstaltung derwechselseitigen Information über Entwicklungen in den ein-zelnen Ländern dienen.

Archivmesse „Archivistica“

Wie in den vergangenen Jahren fand die größte Archivfach-messe Europas regen Zuspruch. 44 Ausstellungsstände konn-

Weithin sichtbar: Der Archivtag in Bewegung

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ten im Vorfeld für die öffentlich zugängliche Messe vergebenwerden, wobei aus Platzgründen leider nicht alle Bewerberberücksichtigt, sondern zum Teil auf die nächste „Archivisti-ca“ im kommenden Jahr vertröstet werden mussten. Es warbeeindruckend festzustellen, dass viele Besucher aus dem In-und Ausland ausschließlich als Messebesucher angereistwaren, um das vielfältige Angebot zu nutzen (Ausstellerlistemit Verlinkung unter www.archivistica.de). Für die Zukunft istvorgesehen, weitere Präsentationsmöglichkeiten für die Anbie-ter zu eröffnen, um den Interessen von Archivtagsbesuchernund Ausstellern Rechnung zu tragen.

Open access: Freier Zugang zu Kulturgut in Archiv,Bibliothek und Museum

Unter der Leitung von Franz-Josef Gasterich (Frankfurt)erörterten in einer Informationsveranstaltung am DonnerstagDr. Harald Müller (Max Planck Institut, Heidelberg, Biblio-thek), Thilo Martini (Rheinisches Archiv- und Museumsamt,Pulheim), Dr. Klaus Graf (Universitätsarchiv, Aachen) undProf. Dr. Dietrich Götze (ehemaliger Verleger) aktuelleAspekte zu „Open access: Freier Zugang zu Kulturgut inArchiv, Bibliothek und Museum.“

Aus Sicht der Bibliotheken verwies Müller auf die extre-men Preissteigerungen, denen in den letzten Jahren vor allemZeitschriften unterworfen gewesen seien (1986-2000: imSchnitt 226 %), während die Rendite von Verlagen in Einzel-fällen erheblich gewesen seien. Die Folge sei, dass inzwischen90 % der Bibliotheksetats für Zeitschriften benötigt würden.Die Auswirkung sei, dass viele Abonnements gekündigt wor-den seien bzw. würden und als Alternative auf die Einzelbe-stellung von Artikeln bei entsprechenden Artikel-Servicedien-sten ausgewichen werde.

Da Wissenschaft und Bibliotheken steuerfinanziert seien,habe die Gesellschaft auch ein Anrecht auf offenen Zugang zuwissenschaftlichen Ergebnissen. Die Konsequenz sei die For-derung nach Open access.

Müller verwies auf die Berliner Erklärung von 2003, in derdie Forderung nach freier Zugänglichkeit der wissenschaftli-chen Zeitschriftenliteratur im Internet um die Zugänglichkeitdes kulturellen Erbes in Archiven, Bibliotheken und Museenverwahrten Kulturguts erweitert wurde. Zu den Erstunter-zeichnern gehörten u. a. die Max-Planck-Gesellschaft, dieHochschulrektorenkonferenz, der Wissenschaftsrat, die Deut-sche Forschungsgemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft,die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibnize. V., die Helmholtz-Gemeinschaft sowie der Deutsche Biblio-theksverband. In der Göttinger Erklärung vom 5. Juli 2004wird (www.urheberrechtsbuendnis.de) darauf hingewiesen,dass Open access nicht „vergütungsfrei“ bedeuten muss, son-dern im Urheberrecht ausgewogene Bedingungen gesetzlichso zu regeln seien, dass die Nutzung von geschützten Werkenangemessen vergütet, aber gleichzeitig deren Zugänglichkeitfür Zwecke der Bildung und Wissenschaft nicht behindertwird.

Für die Museen konnte Thilo Martini keine besonderenInitiativen feststellen. Da in vielen Museen die Grundlagen fürOpen access noch nicht geschaffen seien, also umfassendeKataloge fehlen würden, wäre der Gedanke an Zugänglich-machung von Kulturgut – wie in der Berliner Erklärung auch

für die Museen gefordert – noch nicht weit vorgedrungen.Allerdings seien die Umsetzung der kompletten Inventarisie-rung und die Erstellung von Bestandskatalogen allein auf-grund der Mengen schwierig.

Dr. Klaus Graf (Aachen) plädierte für einen umfassendenOpen access im Archivbereich, der sich nicht nur auf die Lite-ratur zum Archivwesen, sondern auch auf archivische Find-mittel und das Archivgut selber beziehen müsste. Währenddieses für die Literatur bereits teilweise umgesetzt sei (z. B.Der Archivar) und es bei Findmitteln ebenfalls Konsens sei,dass diese gebührenfrei im Netz zugänglich zu machen seien,würden bei Archivgut-Reproduktionen von Archiven Bild-rechte beansprucht. Graf vertrat die Ansicht, dass nach demAblauf des Urheberrechts (70 Jahre nach Tod des Urhebers)Archivgut „Public Domain“ sei. Er lehnt die Ökonomisierungvon Kulturgut vehement ab und regte an, Archivgut im Openaccess bereit zu stellen und dies als Teil der Öffentlichkeitsar-beit zu begreifen. Kulturgut in Archiven und Bibliotheken undMuseen sei „Allmende“, die allen Bürgerinnen und Bürgernfrei zustände.

Von Seiten der Verleger bestritt Götze, dass Open accessWissenschaft und Forschung kostengünstiger mache. Da dieweltweite Publikationstätigkeit exponentiell steige, bedeuteauch im Netz die Langzeitzugänglichkeit (Qualität und Dau-erhaftigkeit) erhebliche Arbeit und entsprechende Kosten.Hier würden z. T. von den Autoren schon Beiträge von 2.500-4.000 € abverlangt.

Die zweite Problematik im Netz sei die Versorgungsthema-tik: Wie sind die Sachen zu finden, die gesucht werden? Auchhier stelle sich die Frage nach der Qualität, die bei Verlagspro-dukten zu einer Bündelung von Beiträgen in einer Zeitschriftund damit letztlich zu einer Kosten- und Preissenkung geführthabe. Open access sei daher die Antwort auf eine falscheFrage.

In der Diskussion wurden unterschiedliche Lösungen ausverschiedenen Wissenschaftsbereichen und Organisationenbeschrieben. Zum einen kann die Information gestuft angebo-ten werden, so dass zum einen eine Differenzierung nach frei-em Grundangebot und gebührenpflichtigen Details möglichwird, zum anderen können Wissenschaftsorganisationen (z. B.Universitäten) nach einem Erwerb Inhalte über Intranet allenAngehörigen oder Teilgruppen frei zur Verfügung stellen.

Als archivisches Detailproblem der Alltagspraxis wurdeintensiv die Frage nach der Gebührenerhebung bei kommer-zieller Nutzung von Archivgut diskutiert. Vielfach wurdeabgelehnt, diese Nutzer ebenfalls von Gebühren freizustellen,da dies bedeuten würde, mit Steuergeldern kommerzielleInteressen zu fördern.

Podiumsdiskussion: Das Archiv in der Öffentlichkeit.Die Öffentlichkeit im Archiv – Erfahrungen und Pers-pektiven4

Der Vorsitzende des VdA, Dr. Robert Kretzschmar (Stutt-gart), moderierte die Abschlusssitzung – ein Resümee desArchivtags mit Ausblicken – mit Beiträgen von Dr. GerdSchneider (Hamburg), Prof. Dr. Alfons Kenkmann (Leip-

4 Eine ausführliche Zusammenfassung der Podiumsdiskussion findetsich im Tagungsband.

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zig), Prof. Dr. Wilfried Reininghaus (Düsselorf), AndreasKellerhals (Bern/CH), Dr. Ernst-Otto Bräunche (Karlsru-he) und Dr. Bert Looper (Zwolle/NL).

Unternehmensberater Schneider erkannte in den auch inEssen präsentierten Anstrengungen der Archive im Bereichder Öffentlichkeitsarbeit gute Ansätze und ermutigte, die Ziel-gruppen taktisch auszuwählen: Die Archivträger und die all-gemeine Öffentlichkeit (14-tägige „Kolumne aus demArchiv“) seien zentral.

Kenkmann, als Vertreter einer Universität, verwies auf dieden Archiven durch den Bologna-Prozess vermehrt zuwach-senden Aufgaben: Neben kleineren technischen Problemen –wie die den Studenten (zu) hoch erscheinenden Kopierkosten– sollten die Archive die Öffentlichkeit suchen und vor allemdem Nachwuchs Know-how vermitteln, um ihn zum For-schen zu ermutigen.

Reininghaus vom nordrhein-westfälischen Landesarchivbetonte bei der Öffentlichkeitsarbeit die Zielgruppen. DieArchive hätten den Spielraum der Archivgesetze mit Ausstel-lungen, Events, der Archivpädagogik und der Hinwendungzu den Hochschulen genutzt. Für die Öffentlichkeitsarbeitseien durch Nutzer-Umfragen weitere Erkenntnisse zu gewin-nen. Grundsätzlich sollten die Archive ihre Alleinstellungs-merkmale – die Originale – stärker herausstellen.

Kellerhals beschrieb die in den letzten Jahren vollzogeneKehrtwende im Öffentlichkeitsbereich des Schweizer Bundes-archivs Bern. Man habe trotz großer Anstrengungen z. B. mithistorischen Ausstellungen eine ablesbare Wirkung beimArchivträger – z. B. beim Etat – nicht erreichen können. So seinun ins Zentrum die Herausstellung der „Kernaufgaben“gerückt. Die Öffentlichkeitsarbeit würde instrumentalisiert,um auf fachliche Themen wie Rechtssicherung, Rechtmäßig-keit des Handelns oder Wissen um Organisation von Unter-lagen aufmerksam zu machen. Diese Aufgaben in den gesell-schaftlichen Gesamtkontext zu stellen, den Beitrag der Archi-ve zur Sicherung der Menschenrechte herauszuarbeiten undzu verdeutlichen, dass eine Investition in das Archiv eine Inve-stition in das Gewissen der Gesellschaft sei, bewirke eine Stär-

kung des archivischen Selbstbewusstseins.Bräunche vom Stadtarchiv Karlsruhe verwies auf die Funk-

tion der Archive als Motor der Erinnerungskultur, die damitauch zur demokratischen Traditionsbildung beitrügen. Dazuwäre gerade bei Kommunen der Beitrag der Archive zumStadtmarketing durch das Einbringen der Stadtgeschichte inden Tourismusbereich nicht zu unterschätzen. Die Medien-präsenz könnte und sollte dabei nicht punktuell geschehen,sondern durch Vereinbarungen mit Presseorganen kontinuier-lich erfolgen.

Die neue Entwicklung der Archive zu „Historischen Zen-tren“ beschrieb Looper vom „Historisch Centrum Overijssel“.In Zwolle sei das ehemalige Reichsarchiv im Zuge der Auflö-sung der Reichsarchivdienstes zu einer regionalen Kulturein-richtung umgewandelt worden. Bei diesem Übergang zueinem neuen Stil wäre man nicht mehr auf die Endproduktedes Archivs, sondern auf die Rolle, die Archive in der Gesell-schaft spielen können, fixiert. Statt bisher 5 % der Bevölkerungwürden nun 20 % erreicht. Allerdings bestände die Gefahr,dass die Funktion des Archivs nicht mehr öffentlich wahrge-nommen würde.

In der Diskussion wurden drei Themenkreise angespro-chen:

„Event“: Sollten sich die Archive der „Boulevardisierung“der Presse verweigern oder doch Events anbieten? Weiterfüh-rend war der Hinweis von Schneider, dass diese Frage nichtaus der Innensicht der Archive – also „Findbuch oder Event“– sondern von der Publikumssicht her diskutiert werden soll-te – also „Event mit Dieter Bohlen oder Event im Archiv“.Damit ergäben sich andere Perspektiven.

„Authentische Dokumente“: Die Herausstellung der Funk-tion der Archive als Bewahrer der Originale kann oft dazuführen, dass mit Archivmaterial Skandale aufgedeckt werdenund die Archive zu „Boten der schlechten Nachricht“ werden.Hier muss vorher die Grundidee dieser Funktion mit positivbesetzten Beispielen aktiv herausgestellt werden: Die Förde-rung von Werten wie Traditionsbildung (z. B. 1998 zur Revo-lution 1848/49), Identität (z. B. lokale bzw. regionale Geschich-

Stand des LandesarchivsNRW auf der Fachmesse„Archivistica“

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Fachgruppe 1:Archivarinnen und Archivare an staatlichen Archiven

Die Sitzung der Fachgruppe 1 befasste sich in Anlehnungan das Rahmenthema des Archivtags mit „Traditionellenund neuen Konzepten archivischer Öffentlichkeitsarbeit“.Die Fachgruppenvorsitzende Dr. Maria Rita Sagstetter,Staatsarchiv Amberg, begrüßte die an staatlichen Archiventätigen Kolleginnen und Kollegen und führte kurz in dasThema ein. Auf der Tagesordnung standen vier Vorträge;drei davon zeigten altbewährte und innovative Methodender Öffentlichkeitsarbeit am Beispiel des Bundesarchivs,der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssi-cherheitsdienstes der ehemaligen DDR sowie des Landes-archivs Nordrhein-Westfalen auf, das vierte Referat setztesich archivübergreifend mit Ausstellungen als einem zen-tralen Medium historisch-politischer Bildungsarbeit aus-einander.

Anke Löbnitz von der Stabsstelle des Bundesarchivs inBerlin stellte das neu entwickelte Konzept für die Presse-und Öffentlichkeitsarbeit ihres Hauses vor. Dieses basiertauf einer inhaltlichen Definition der Intentionen und zuvermittelnden Botschaften sowie einer differenzierten Ziel-gruppenaufstellung mit Schwerpunktsetzung auf die all-gemeine Öffentlichkeit, Benutzerinnen und Benutzer, dieabgebenden Stellen und – als „Mittlerzielgruppe“ – diePresse. Bei der Pressearbeit gilt das Prinzip der dezentra-len Verantwortung: Pressemitteilungen werden von denReferaten bzw. Projektgruppen im Entwurf erstellt, von derStabsstelle redigiert und zur Genehmigung der Behörden-leitung vorgelegt. Für Pressekontakte und -auswahl stehteine eigene Datenbank zur Verfügung. Als weitere Instru-mente der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesarchivs wurdenDruckerzeugnisse wie Pressemappen, Flyer, Tätigkeitsbe-richte, Infobroschüren, die Zeitschrift Mitteilungen aus demBundesarchiv sowie die Präsenz im World Wide Web ange-sprochen. Als Anwendungsprogramm für den Internetauf-tritt des Bundesarchivs ist ein Content-Management-System im Einsatz, das flexible Gestaltungsmöglichkeitenbietet, die gemeinschaftliche, Arbeitsplatz unabhängige

Bearbeitung von Inhalten an den unterschiedlichen Dienst-stellen sowie die Implementierung weiterer Webangebotewie Intranet, www.daofind.de und www.instada.euermöglicht.

Unter dem Titel „Archiv und aktives Gedächtnis“ refe-rierte Birgit Salamon über die Öffentlichkeitsarbeit undhistorisch-politische Bildungsarbeit der Bundesbeauftrag-ten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes derehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU).Aufgrund ihrer besonderen Entstehungsgeschichte undwegen der von ihr verwahrten Überlieferung wurden dieAktivitäten der Stasi-Unterlagen-Behörde von Anfang anmit großem öffentlichen Interesse verfolgt, zuletzt u. a. imZusammenhang mit dem Verwaltungsgerichtsverfahrenüber die Herausgabe der Akten von Bundeskanzler Hel-mut Kohl. Neben der Zugänglichmachung der Stasi-Unter-lagen für Betroffene, Forschung und Medien, zur Strafver-folgung und zur Überprüfung des öffentlichen Dienstesweist das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) der BStU zumZwecke der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit auchden expliziten Auftrag zu, die Öffentlichkeit über Struktur,Methoden und Wirkungsweise des Staatssicherheitsdiens-tes zu unterrichten. Als archivpädagogische Veranstaltun-gen werden z. B. Seminare zur Lehrerfortbildung, Projekt-tage für Schulklassen und Zeitzeugengespräche angebo-ten. Von der BStU herausgegebene Quellenhefte für dieSchule geben anhand von authentischen AktenbeispielenEinblick in das Schicksal von DDR-Jugendlichen im Stasi-Visier. Als Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit nannteSalamon vor allem wissenschaftliche Veranstaltungen,Ausstellungen, Archivführungen, Tage der offenen Tür,Publikationen, Infobroschüren und Flyer, Präsentationenin digitalen Medien (wie im Internetauftritt unterwww.bstu.de z. B. die Bestandsübersichten aller BStU-Archive sowie die Veranstaltungshinweise) und intensiveKontakte zur Presse. Zur Evaluierung des Informations-und Veranstaltungsangebots der BStU, aber auch zur Ana-lyse der Interessen der angesprochenen Zielgruppenwurde ein Besucherfragebogen entworfen, dessen Auswer-

te) und Gerechtigkeit (z. B. im Fall der Entschädigung derZwangsarbeiter) durch die Archive muss kommuniziert wer-den.

„Archiv und Universität“: Breiten Raum nahm die Erörte-rung der Rolle der Archive im Rahmen der Hochschulausbil-dung ein, für die im Programm des Archivtags wenig Raumgeboten war. In den Lehrplänen der neuen Studiengänge derUniversitäten, an denen deutschlandweit die HistorischenHilfswissenschaften als eigenständiges Fach fast vollständigverschwinden, wird von den Studierenden eine verstärktePraxisorientierung z. B. durch Projektarbeit in Archiven ver-langt. Dies werde aber von den Hochschulen selbst nichtangeboten bzw. nicht im nötigen Maß von den Dozentenbetreut. Wie die Archive auf die massiven Forderungen nachPaläografiekursen, Praktikumsplätzen und Betreuung reagie-

ren (können), wird sich zeigen. Auf jeden Fall besteht hierumfassender Diskussions- und Klärungsbedarf; wobei offen-kundig ist, dass den Archiven entsprechende Sach- und Per-sonalmittel an die Hand gegeben werden müssen, wennsystematisch ganze Aufgabenbereiche aus den Universitätenauf die Archive verlagert werden sollen.

Das Podiumsgespräch mit einer lebhaften Beteiligung desPublikums hat sich wie in Stuttgart 2005 als Abschluss desArchivtags bewährt. Neben der Vertiefung von Einzelaspek-ten des Rahmenthemas wurden auch weiterführende Frage-stellungen aufgeworfen, denen Archivarinnen und Archivarekünftig nachgehen werden.

Stuttgart Clemens Rehm

Berichte zu den Arbeitssitzungen der Fachgruppen auf dem 76. Deutschen Archivtag

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tung zur Optimierung der Öffentlichkeitsarbeit beitragensoll.

Harald Arends, BStU Berlin, berichtete in seinem Vor-trag „Ausstellungen und Archive“ über die Ergebnisseeiner Umfrage, die er im Rahmen der Erstellung seiner2003 an der Fachhochschule Potsdam eingereichtenDiplomarbeit durchgeführt hatte. 51 Archive im Bundes-gebiet wurden über ihre Erfahrungen mit Öffentlichkeits-arbeit im Allgemeinen und mit Ausstellungen im Speziel-len befragt. Dabei wurde ihnen ein Fragebogen mit insge-samt 20 Fragen vorgelegt, in denen Angaben über die Aus-leihe von Archivgut für Ausstellungen, die Ausleihbedin-gungen, das Verhältnis von eigenen zu Fremdausstellun-gen, die Ausstellungsplanung und -durchführung, dieKooperation mit anderen Einrichtungen usw. erbeten wur-den. Im Ergebnis hielt Arends fest, dass fast alle ArchiveAusstellungen durchführen – zumindest einmal jährlich, jenach personellen und finanziellen Kapazitäten in einemkleineren oder größeren Rahmen und mit unterschiedli-chem Niveau. Die Ausstellungsaktivitäten seien auchwesentlich vom Engagement der jeweiligen Archivleitungbzw. der zuständigen Archivarinnen und Archivare abhän-gig. Eine wichtige Rolle spielten daneben die Erwartungs-haltung der örtlichen Kulturpolitik und die daraus resul-tierende Bereitstellung von Mitteln. Ein Archiv, das seineAusstellungsaktivität verringerte und dadurch in deröffentlichen Wahrnehmung weniger präsent war, machtedie Erfahrung, dass daraufhin die Mittel gekürzt wurden.Die Qualität von Ausstellungen hänge nicht primär vonder Höhe der Kosten für deren Realisierung ab; dennochmüsse bei der Finanzierung über neue Wege (Einwerbungvon Drittmitteln, Gründung von Fördervereinen) nachge-dacht werden. Über klar definierte Zuständigkeiten fürprofessionelle Öffentlichkeitsarbeit verfügen meist nur diegroßen Archive. Die Diplomarbeit kann bei Interesse vonArends angefordert werden (http://www.archivkultur.de).

Dr. Martina Wiech vom Landesarchiv Nordrhein-West-falen nahm in ihrem Vortrag „Behörden als Zielgruppearchivischer Öffentlichkeitsarbeit“ ins Visier. Ausgehendvom Beispiel ihres Hauses erläuterte sie die Intentioneneiner speziell auf anbietungspflichtige staatliche Stellenausgerichteten Öffentlichkeitsarbeit: Das Landesarchivmöchte diese über seine Aufgaben und Bestände informie-ren und sich als kompetenter Partner für die Beratung inder Schriftgutverwaltung und für die Aktenaussonderungpräsentieren. Die Effizienz der Behördenbetreuung sollüber den (weiterhin unerlässlichen) persönlichen Kontakthinaus gesteigert werden. Für Behörden geeignete Medien,die in der Öffentlichkeitsarbeit des Landesarchivs zum Ein-satz kommen, sind vor allem Veranstaltungen (Behörden-informationstage, Archivführungen), Infomaterial (Flyer,Broschüren), Artikel in Behördenzeitschriften und Ausstel-lungen. Des Weiteren ging Wiech auf die Online-Angebo-te des Landesarchivs im Landesverwaltungsnetz näher ein.Diese werden zur besseren Unterscheidung vom rein inter-nen Intranet des Landesarchivs und vom Internetauftrittinnerhalb des Archivportals (www.archive.nrw.de) als‚Extranet’ bezeichnet. Das Extranet (http://lav.nrw.de)befindet sich aktuell noch im Aufbau; es soll zukünftig daszentrale Medium der Öffentlichkeitsarbeit des Landesar-chivs für Behörden bilden, auf das vom Intranet der ein-zelnen Verwaltungszweige aus per Links zugegriffen wer-den kann. Inhaltlich sind neben den üblichen Informatio-

nen zu Aufgaben, Organisation und Abteilungen desArchivs aktuelle Nachrichten für Behörden sowie Bera-tungs- und Serviceinformationen zur behördlichen Schrift-gutverwaltung, zum Umgang mit Altakten, zur Anbie-tung, Aussonderung und Abgabe von Unterlagen, zurAktenvernichtung, zum Aktenversand, zu Archivführun-gen und Informations- und Fortbildungsveranstaltungengeplant. Zudem sollen Archivierungsmodelle sowiearchivrelevante Gesetze und Verordnungen abgefragt wer-den können.

In der anschließenden Diskussion wurde durch mehre-re Wortmeldungen deutlich, dass ähnliche Ansätze eineran Behörden adressierten Öffentlichkeitsarbeit bereits auchin anderen Archivverwaltungen mit Erfolg und großerResonanz gepflegt werden. Im Landesarchiv Baden-Würt-temberg z. B. haben die Behördentage eine mittlerweilezehn Jahre alte Tradition. Dr. Jürgen Treffeisen, Landes-archiv Baden-Württemberg – Generallandesarchiv Karlsru-he, empfahl dabei nachdrücklich, zu solchen Veranstaltun-gen nicht nur Registraturmitarbeiter einzuladen, sondernsich darum zu bemühen, auch die Amtsspitze ins Haus zubekommen. Dr. Hermann Bannasch, Stuttgart, stellte dieVerwendung des Begriffs ,Öffentlichkeitsarbeit’ im Bezugauf Behörden in Frage. Letztlich könne es sich nur umAktionen zur Verbesserung der Kommunikation und desInformationsflusses zwischen Behörden und Archiven alsTeil der allgemeinen Behördenbetreuung handeln. Dafüraufgebrachter Personal- und Zeitaufwand könne folglichauch nur unter diesem Gesichtspunkt verbucht werden.Der Ausdruck „Öffentlichkeitsarbeit“ dagegen ziele in sei-nem ursprünglichen Sinne auf die allgemeine Öffentlich-keit, private Forscher und die Medien.

Sagstetter dankte den drei Referentinnen und dem Refe-renten für ihre interessanten und kompetenten Vorträgeund die Einhaltung der Redezeiten. In der abschließendenaktuellen Viertelstunde berichtete die Fachgruppenvorsit-zende über die Planungen für die 6. Frühjahrstagung derFachgruppe 1, die am Freitag, dem 23. März 2007, im Baye-rischen Hauptstaatsarchiv in München stattfinden wird.Die hierfür vorgesehenen Vorträge werden sich mit demThema „Einsatz von externen und temporären Hilfskräf-ten im Archiv – Möglichkeiten und Grenzen“ auseinander-setzen. Zugleich bat die Vorsitzende die Kolleginnen undKollegen um Themenvorschläge und Anregungen fürkünftige Frühjahrstagungen sowie die Fachgruppensit-zungen der nächsten Deutschen Archivtage.

Amberg Maria Rita Sagstetter

Fachgruppe 2:Archivarinnen und Archivare an Stadtarchiven undArchiven sonstiger Körperschaften

Der Vorsitzende der Fachgruppe 2 und Erste stellvertreten-de Vorsitzende des VdA Dr. Michael Diefenbacher(Nürnberg) begrüßte im Saal Berlin des Congress Centerszahlreiche Kolleginnen und Kollegen aus kommunalenArchiven zur Fachgruppensitzung. Dr. Ernst-Otto Bräun-che (Karlsruhe) berichtete von der 35. Tagung der Bundes-konferenz Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag(BKK). Dabei ging es u. a. um die Diskussion des Produkt-bereichsplans in Hessen, bei dem trotz einschlägiger Ver-gleichsmöglichkeiten mit anderen Ländern der Bereich

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Archiv im Produktplan nicht eigens ausgewiesen, sondernunter den Museen subsumiert sei. Einen weiteren Diskus-sionspunkt bildeten die Auswirkungen der Gebietsreformin den neuen Bundesländern auf die Kommunalarchive.Bräunche bereitet derzeit als Vorsitzender der BKK dieWiedereinrichtung eines Unterausschusses Archivtechnikvor. Einen wichtigen Punkt der BKK-Sitzung stellte dasVorhaben des Internationalen Suchdienstes in Arolsen dar,die über die in der unmittelbaren Nachkriegszeit hinausgesammelten Unterlagen, die in späterer Zeit als Ergän-zungsdokumentation verfilmt wurden, der historischenForschung in digitaler Form zur Verfügung zu stellen.Diese Verfilmungsaktionen in zahlreichen Archiven dien-ten der Erfüllung der humanitären Aufgabenstellung desSuchdienstes, nicht aber einer möglichen Auswertungdurch die historische Forschung. Bräunche bezog sichdabei insbesondere auf ein Schreiben des Suchdienstes aneinige Kommunalarchive, in dem es um die Einverständ-niserklärung des jeweiligen Archivs für ein solches Vorge-hen ging. Als Vertreter der Archivreferentenkonferenz desBundes und der Länder (ARK), gleichzeitig auch als Mit-glied der BKK, konnte Diefenbacher zu diesem Thema Dr.Udo Schäfer (Hamburg) begrüßen. Nach seiner Auffas-sung ist die in den Jahrzehnten nach 1945 angelegte Ergän-zungsdokumentation des Suchdienstes nicht Bestandteilder völkerrechtlichen, von elf Signatarstaaten unterzeich-neten Vereinbarung, die den humanitären Auftrag derSuche nach während des Zweiten Weltkrieges vermisstenund verschleppten Personen definierte. Für die Öffnungdes Zugangs zu den in Arolsen „aufbewahrten Archivenund Dokumenten [...] unter Berücksichtigung der entspre-chenden Bestimmungen über den Personendatenschutz“1

für die historische Forschung auch in Bezug auf die inkopialer Form vorliegende Ergänzungsdokumentationengibt es keine Rechtsgrundlage. Ferner gelten für die Benut-zung dieser oft mit Schutzfristen versehenen Unterlagendie archivgesetzlichen Bestimmungen. Zudem ist der inden Archiven vorhandene historische Kontext der Gesamt-überlieferung in Arolsen nicht gegeben. In gemeinsamerAbstimmung von BKK und ARK soll daher an die histori-sche Forschung herangetreten und die Reaktion auf dieseKontaktaufnahme beobachtet werden.

Dr. Norbert Reimann (Münster), Vorsitzender desBKK-Unterausschusses Aus- und Fortbildung, berichtete,dass gemäß der Zielrichtung, die archivarische Aus- undFortbildung unter kommunalen Gesichtspunkten zubegleiten, die beiden letzten Sitzungen vor allem unter denVorzeichen der Ausbildung zum Fachangestellten fürMedien- und Informationsdienste und der Organisationeiner Fortbildungsveranstaltung standen. Da von derGewerkschaft ver.di und den Industrie- und Handelskam-mern die Weiterbildung der Fachangestellten zu einemFachwirt forciert werde, dabei aber ausschließlich Aspek-te der Ökonomie, des Managements und der Personalfüh-rung berücksichtigt würden, beendete der VdA seine Mit-arbeit wegen fehlender Berücksichtigung fachlicher Belan-ge. Eine graduale Weiterbildung mit achtsemestrigemFernstudium ist an der Fachhochschule Potsdam mit demAbschluss des FH-Diploms möglich. Reimann wies auf die

Fortbildungsveranstaltung der BKK im Jahr 2005 in Pots-dam zum Thema „Sammeln im Archiv” hin und dankte Dr.Uwe Schaper (Potsdam, heute Berlin) für die gewährteUnterstützung des Brandenburgischen Landeshauptar-chivs Potsdam. In diesem Jahr wird die vom Unteraus-schuss initiierte Fortbildungsveranstaltung unter dem Titel„Kommunale Archive und ihre Benutzer im digitalen Zeit-alter” vom 7. bis 9. November in Fulda stattfinden. Schließ-lich wurde auf das stattfindende 14. Deutsch-Niederländi-sche Archivsymposion vom 16. bis 17. November 2006 imHistorischen Zentrum Overijssel (Zwolle) hingewiesen.Das Thema dieser Veranstaltung lautet: „Digitales Archiv-gut und Dienstleistungen im Netz – Papierlos in dieZukunft?”.

Dr. Robert Zink (Bamberg), Vorsitzender des BKK-Unterausschusses EDV, berichtete, dass der Unterausschussmit der Sammlung von ersten Ergebnissen zum Einsatz vonDokumentenmanagementsystemen begonnen habe, umdaraus die besonderen archivischen Anforderungen ablei-ten zu können. Ferner beschäftigen sich die Mitgliedergegenwärtig mit der Archivierung von Websites, der Frageihrer Archivwürdigkeit sowie den technischen und archivi-schen Anforderungen ihrer Erschließung. In Zusammenar-beit mit dem Unterausschuss Überlieferungsbildung wurdedie Frage der Archivwürdigkeit grundsätzlich bejaht, daWebsites neue Informationsmechanismen im Verwaltungs-handeln darstellen. Hingewiesen wurde auf die ProjekteNESTOR (http://www.langzeitarchivierung.de) als Platt-form zur Zusammenarbeit von Archiven, Bibliotheken undMuseen zum Thema der langfristigen Erhaltung digitalerInformationen sowie auf das Portal EUBAM (Portal zueuropäischen Angelegenheiten für Bibliotheken, Archive,Museen und Denkmalpflege, http://www.eubam.de).Schwerpunktthemen bei EUBAM sind das wissenschaftli-che Arbeiten im Netz (e-science), ein Internetportal für wis-senschaftliche Information, die Langzeitverfügbarkeit digi-taler Daten sowie die internationale Zusammenarbeit. Dieaus fachlicher Sicht notwendige Zusammenfassung derLänderarchivportale zu einem nationalen „Archivportal D”wird sich wohl noch bis zum Jahr 2008 verzögern. Ein För-derantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft istbereits gestellt. Allerdings existieren dabei noch eine Reihevon Problemen, insbesondere sind für den vom Bundesar-chiv verwandten Beschreibungsstandard EAD (EncodedArchival Description) als Austauschformat für die Integra-tion heterogener Datenstrukturen erst entsprechende Über-leitungen zu programmieren. Auf die Website der BKK(http://www.bundeskonferenz-kommunalarchive.de) mitEmpfehlungen zu unterschiedlichen Aspekten archivischerArbeit wurde hingewiesen.

Dr. Roland Müller (Stuttgart), der die Leitung des BKK-Unterausschusses Historische Bildungsarbeit von Diefen-bacher übernommen hatte, verwies auf das Grundsatzpa-pier der BKK zu diesem Thema. Im Unterausschuss wer-den derzeit neben einer Neubestimmung der Agenda vorallem Begriffsabklärungen in diesem Bereich thematisiert.

Dr. Irmgard Christa Becker (Saarbrücken) stellte alsVorsitzende des BKK-Unterausschusses Überlieferungsbil-dung die Fertigstellung des Musterdokumentationsprofilsfür Herbst 2007 in Aussicht. Vorab können bereits die Kate-gorisierungen der lokalen Lebenswelt im Ganzen und derRubrik Politik als pdf-Dateien versandt werden. Von derKommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsverein-

1 Pressemitteilung zu den Ergebnissen der Sitzung des InternationalenAusschusses für den Internationalen Suchdienst am 16. Mai 2006 inLuxemburg.

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fachung (KGSt) erschien im Juli dieses Jahres der Bericht4/2006 „Aufbewahrungsfristen für Kommunalverwaltun-gen”. Insbesondere ist dabei hervorzuheben, dass die häu-fig in der Verwaltung missverstandene, „dauernde” Aufbe-wahrung nicht die Aufgabe von Zentral- oder Sachbearbei-terregistraturen, sondern Sache der Archive ist, denen spä-testens nach 30 Jahren die Unterlagen anzubieten sind. Fallsein fachlich kompetent besetztes Archiv besteht, bedarf esim Rahmen der vom Archiv durchgeführten Aktenausson-derung der mit „d” gekennzeichneten Frist für die Verwal-tung grundsätzlich nicht mehr. Umgekehrt steht „d” für diedauernde Aufbewahrung auch weiterhin im Verzeichnis fürdie Kommunalverwaltungen, in denen kein Archiv die Auf-gabe der kommunalen Überlieferungsbildung wahrnimmt.

Die Leitung des zweiten Teils, der unter dem Titel „Waserwarte ich von einem Archiv? – Kommunalarchive undBenutzung” stand, übernahm Stefan Benning (Bietig-heim-Bissingen), Zweiter stellvertretender Vorsitzenderdes VdA. Das Thema des Archivtages „Archive undÖffentlichkeit”, dessen Spannungsbogen von der intensi-ven Ausrichtung der Schweizer Archive auf eine verwal-tungsinterne Öffentlichkeit bis hin zu der in den Nieder-landen praktizierten Öffnung für den Benutzer reicht,wurde durch die Sicht von vier Nutzern quasi aus der Per-spektive der Öffentlichkeit beleuchtet. Dr. Ute Küppers-Braun, wissenschaftliche Mitarbeitern am HistorischenInstitut der Universität Duisburg-Essen, Abt. Geschichteder Frühen Neuzeit, sah eine sich verschlechterndeArbeitssituation in zahlreichen deutschen Archiven. AlsGründe nannte sie Defizite in der Beratung wegen des Ein-satzes von fachfremdem Personal, veraltete und teils nochin handschriftlicher Form vorliegende Findmittel, das Ver-bot der Nutzung von Digitalkameras im Lesesaal, zu hoheKopiergebühren, vielfach unzureichende Ergonomie derArbeitsplätze und wenig benutzerfreundliche Öffnungs-zeiten vieler Archive. In ähnlicher Weise äußerte sich Wer-ner Krüggeler (Paderborn) aus der Sicht des Genealogen,ergänzte dies aber noch durch den Wunsch nach ausführ-lichen, evtl. durch Quellenbeispiele auch didaktisch aufbe-reiteten Einführungen und Beschreibungen der Archivbe-stände. Der Diplomkulturwissenschaftler Kurt-Uwe Bald-zuhn (Niemberg) berichtete über seine Erfahrungen hin-sichtlich der Benutzung von Kommunalarchiven in Sach-sen-Anhalt. Als Quintessenz entwickelte er eine Kategori-sierung der 49 kommunalen Archive hinsichtlich ihresRechtsstatus in der Stadt sowie der personellen und tech-nischen Ausstattung. Auch er kritisierte unzureichendetechnische Benutzungs- und Kopiermöglichkeiten sowiedie durchgehend restriktive Auslegung der datenschutz-rechtlichen und archivgesetzlichen Bestimmungen. In denAusführungen aus studentischer Sicht forderte KarstenPlewnia (Essen) neben einer Senkung der Kopierkostenund dem Abbau bürokratischer Hürden eine Verbesserungund Standardisierung der Internet-Auftritte sowie eineintensivere Zusammenarbeit zwischen Universität undArchiven durch Einführungskurse in die Bestände undevtl. auch in eine beständespezifische Archivbenutzung. Inder engagierten Aussprache wurden die einzelnen archiv-spezifischen Kritikpunkte diskutiert. Deutlich wurdedabei, dass gerade im Verhältnis Archive und Hochschu-len im Zeitalter der Studiengebühren, der Reduzierunghilfswissenschaftlicher und landesgeschichtlicher Ausbil-dung durch Personaleinsparungen und der Erhöhung der

Zahl der Pflichtpraktika in den Studienordnungen derBachelor- und Master-Studiengänge erhöhter Gesprächs-bedarf besteht. Abschließend referierte Dr. Peter Worm(Münster) zum Thema „Unausgesprochene Wünsche –Benutzerinteressen im Spiegel der Daten aus Lesesaal undGeschäftstagebuch” anhand einer Sekundäranalyse deraus diesen beiden Bereichen des Staatsarchivs Münstergewonnenen Daten. Worm konnte an vier Beispielen imRahmen des Referats über seine Marburger Abschlussar-beit2 belegen, dass die konsequente Auswertung Benut-zungsschwerpunkte thematischer und beständebezogenerArt erkennen lässt und sich daraus Planungsinstrumentefür den Personaleinsatz, für konservatorisch-technischeMaßnahmen wie Verfilmungs- bzw. Digitalisierungspro-jekten bis hin zu Erschließungsarbeiten gewinnen lassen.Mit dem Hinweis, dass künftig die Fachgruppensitzungenin ähnlicher Weise ablaufen sollen, schloss der Vorsitzen-de die Sitzung verbunden mit dem Dank an alle Teilneh-mer für ihre Beiträge vom Podium und aus dem Plenum.

München Horst Gehringer

Fachgruppe 3:Archivarinnen und Archivare an kirchlichen Archiven

Etwa 40 Teilnehmende hatten den Weg zu der Fachgrup-pensitzung der Archivarinnen und Archivare an kirchli-chen Archiven gefunden, deren äußerer Rahmen spürbardarunter litt, dass kein eigener Sitzungsraum zur Verfü-gung stand, sondern nur ein durch eine spanische Wanddürftig abgetrennter Teil eines Flurs. Die Gekommenen lie-ßen sich dadurch nicht abschrecken und wurden durchzwei gute Referate belohnt, die bei ähnlicher Titelformu-lierung sehr unterschiedlich ausgelegt waren.

Prof. Dr. Reimund Haas (Historisches Archiv des Erz-bistums Köln) beschrieb in seinem Beitrag über „Entwick-lung, Wandel und Zukunft der Kirchenarchive im Ruhrge-biet“ vor allem die Entwicklung der Pfarreien im Bereichdes heutigen Bistums Essen vom Mittelalter bis zur Gegen-wart. Der aus der Region stammende Referent, der dasProgramm der Deutschen Archivtage schon oft durch seinesouverän formulierten Beiträge bereichert hat, hielt letzt-malig während seiner aktiven Dienstzeit einen Vortrag vorder Fachgruppe. Er skizzierte die allmähliche Expansionkatholischer Gemeinden am Schnittpunkt der DiözesenKöln, Münster und Paderborn in vorindustrieller Zeit, diemassive Zunahme an katholischen Gläubigen undGemeinden zwischen Kulturkampf und NS-Zeit sowie dieKonsolidierung und Neugründungen nach dem 2. Welt-krieg, um sich dann der laufenden Strukturreform zuzu-wenden. Durch die Praxis der Zusammenlegung von Pfar-reien angesichts schrumpfender Mitgliederzahlen wird diestrukturelle Entwicklung der letzten 130 Jahre wieder rück-gängig gemacht und die Zahl der Kirchengemeinden aufden Stand vor dem Kulturkampf zurückgeführt. Die sozia-len und geistlichen Probleme der Pfarreiauflösungen sinddabei so dominant, dass die praktischen Fragen des ziel-gerichteten Umgangs mit den Pfarrarchiven oft nur wenigBeachtung finden. Durch eine Handreichung für dieZusammenführung von Kirchengemeindearchiven sollen

2 Worm, Peter: Das Staatsarchiv Münster und seine Benützer (1995-2004).Münster 2005. http://www.archive.nrw.de/dok/Transferarbeiten/Worm/Transferarbeit%20Peter%20Worm.pdf#search=%22Worm%20Transferarbeiten%20M%C3%BCnster%22 <05.10.2006>

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die wichtigsten Fragen beantwortet und nicht zu beheben-de Schäden verhindert werden.

Dr. Stefan Flesch (Archiv der Evangelischen Kirche imRheinland) ließ sich von der populären Ruhrgebietskulturinspirieren und überschrieb seinen Vortrag: „Tief imWesten: Kirchliche Archivarbeit zwischen Strukturwandelund geänderten Erwartungshaltungen“. Die rheinischeKirche, zu der nur die westliche Hälfte des Ruhrgebietszählt, ist nicht in vergleichbarer Weise von der Notwendig-keit zur Gemeindezusammenlegung betroffen. Der inhalt-liche Schwerpunkt des Referats lag auf dem inneren Struk-turwandel der Gemeinden und den Folgen für die Betreu-ung der Gemeindearchive. Das Landeskirchliche Archiv inDüsseldorf hat in den vergangenen Jahrzehnten ein fastflächendeckendes System der kirchlichen Archivpflegeaufgebaut, bei dem ehrenamtliche Archivpfleger dieGemeindearchive erschließen und betreuen. Problemebereiten inzwischen aber die gesamtgesellschaftlich festzu-stellenden Veränderungen in der Bereitschaft zu ehrenamt-lichem Engagement. Der Kreis der Archivpfleger, die zulangfristiger ehrenamtlicher Tätigkeit bereit sind,schrumpft nicht zuletzt durch Überalterung. Wer sichheute freiwillig engagiert, will sich in der Regel nicht lang-fristig binden und die ehrenamtliche Tätigkeit sinnvoll indas gegenüber früher veränderte Freizeitverhalten einpas-sen. Vor diesem Hintergrund gelang dem rheinischen Kir-chenarchiv eine Umstellung der dezentralen Archivpflege:Die neuen Archivpfleger kommen nun vermehrt aus denGemeinden selbst und ziehen ihre Motivation häufiger ausihrer lokalen Gemeindetätigkeit. Sie werden nicht mehrdurch zentrale Veranstaltungen, sondern regional geschultund betreut. Der damit verbundene Mehraufwand für diehauptamtlichen Archivmitarbeitenden zahlt sich durcheine spürbare Stabilisierung der Archivpflege an der Basisaus. Weil sich dennoch nicht mehr überall eine Archivbe-treuung in der Gemeinde sicherstellen lässt, wurden Kri-terien für eine Zentralisierung von Pfarrarchiven im Lan-deskirchlichen Archiv entwickelt.

Nach der angeregten Aussprache über diese Referateblieb noch etwas Zeit, um aktuelle Fragen zu besprechenund die Themenstellung der nächsten Fachgruppensit-zung beim Archivtag in Mannheim zu diskutieren. AmAbend kamen die Kolleginnen und Kollegen aus den Kir-chenarchiven zusammen mit dem Vorstand des VdA undweiteren Einzelgästen zum traditionellen Empfang derFachgruppe 3 zusammen, der diesmal auf Einladung desBistums Essen und der Evangelischen Kirche im Rheinlandim Anschluss an das Orgelkonzert im Dom in der benach-barten Aula des Generalvikariats stattfand.

Berlin Michael Häusler

Fachgruppen 4 und 5:Archivarinnen und Archivare an Herrschafts-, Familien-und Hausarchiven und an Archiven der Wirtschaft

Gemeinsame Sitzung „Privatarchive und Öffentlichkeit“Nach der Begrüßung der Teilnehmer und Referenten hobDr. Ulrich Soénius in seinen einleitenden Worten hervor,dass es sich für die Adels- und Familienarchive wie auchdie Wirtschaftsarchive angeboten hätte, das Thema„Öffentlichkeit“ gemeinsam zu diskutieren. Neben einigen

Unterschieden bestünden viele Gemeinsamkeiten hinsicht-lich der Risiken, aber auch der Chancen einer Öffnungnach außen.

Einer Diskussion des Themas zu Grunde gelegt wurdenzunächst drei Situations- und Erfahrungsberichte ausbetroffenen Archiven mit deutlich unterschiedlicher Aus-richtung, aus einem Konzernarchiv, einem Adelsarchivund einem Bankarchiv. Dr. Ulrike Gutzmann, seit 2000Mitarbeiterin des Unternehmensarchivs der VolkswagenAG, Wolfsburg, machte deutlich, das in ihrem Unterneh-men das Archiv ein nicht unwesentlicher Faktor im Unter-nehmensbereich Öffentlichkeit und Kommunikation dar-stellt. Es sei für die Historische Kommunikation zuständigund besitze Sprecherfunktion in historischen Fragen allerArt. Dies beträfe sowohl die Publikationen des Hausessowie die Auseinandersetzung mit der Zwangsarbeiterfra-ge. Gleichermaßen sei es aber auch Unternehmensarchivmit Dienstleistungen sowohl für externe als auch interneNutzer. Die Betreuung der übrigen Standorte des Konzernsgehöre ebenfalls dazu, Standortgeschichte sei ein wichtigerTeil der Arbeit.

Da es erst seit 2000 ein Archiv bei VW gäbe, das inzwi-schen 3.000 lfd. m Akten besitze, müsse gegenwärtig nochsehr viel Arbeit in die Erschließung investiert werden. Mitneun Mitarbeitern bewältige man das Arbeitspensum,immerhin weise die Statistik für das vergangene Jahr 2.400Anfragen aus dem Unternehmen, von Journalisten, Wis-senschaftlern, Studenten und Schülern aus. Nicht unerheb-lich wären auch technische Anfragen von Besitzern histo-rischer Fahrzeuge. In der Regel abgelehnt würden Anfra-gen, die eine unerwünschte Öffentlichkeit herstellen könn-ten, wie etwa von rechten politischen Gruppen z. B. zumThema „Hitler und VW“. Die Benutzungsordnung sei andas Regelwerk des Bundesarchivs angelehnt, wobei durch-aus gesperrte Akten vorhanden wären. Die Nutzer bekä-men keinen Zugang zum Recherchesystem und erhieltenkeinen Ausdruck von Findmitteln. Zur Vermeidung vonParallelarchiven bestehe ein generelles Kopierverbot vonAkten, Digitalfotos würden ebenfalls nicht erlaubt. EineRecherche via Internet sei in Vorbereitung. Gutzmannbetonte zum Abschluss ihres Berichtes, dass die Philoso-phie des Hauses darauf abziele, jeden Benutzer des Archivsals Kunde zu sehen, der wenn möglich zufrieden zu stel-len sei.

Dr. Martin Dallmeier, der viele Jahre das Privatarchivdes Fürsten von Thurn und Taxis leitete und seit 2003 dasZentralarchiv von Fürst Thurn und Taxis an der Universi-tät in Regensburg betreut, stellte in seiner Betrachtung überdie Öffentlichkeitsarbeit mehrere Thesen auf, die seinerMeinung nach von entscheidender Bedeutung seien unddiskutiert werden müssten. Nach Meinung von Dallmeierhaben Privatarchive – also neben den Adelsarchiven auchdie Unternehmensarchive – generell gleiche Wurzeln undgleiche Probleme. Es sei eben nicht selbstverständlich,Dritte, also die Öffentlichkeit, in den Archiven recherchie-ren zu lassen. Viele Vorgänge wären noch geheim, Aktennoch versiegelt und die Furcht, unangenehme Tatsachenkönnten öffentlich und somit justiziabel werden, sei stetsvorhanden. In vielen Adels- und Herrschaftsarchiven wäre– objektiv betrachtet – insbesondere die Zeit vor 1848 bzw.1918 von öffentlichem Interesse, weil viele Akten evidentfür die Territorialgeschichte und daher quasi öffentlicheAkten wären. Erschwerend für den dort tätigen Archivar,

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der nur selten eine Fachausbildung mitbringe, wirke sichoft eine fehlende Benutzerordnung aus, mit deren Hilfeklare Regeln für die Archivbenutzer aufgestellt sind. Er seihäufig auf sich allein gestellt, wenn er entscheiden müsse,ob bestimmte Unterlagen freigegeben werden dürfen oderwenn er Maßnahmen zur Verhinderung von Diebstählenergreifen müsse. Ein weiteres Problem sieht Dallmeierdarin, dass es oft schwer falle, den Eigentümer davon zuüberzeugen, dass er in ein Archiv investieren soll, das zu95 Prozent für Dritte arbeitet, aber nur zu fünf Prozent fürihn selbst. Die Kunst des Privatarchivars bestehe darin, dasArchiv als Teil der Imagepflege für das Haus oder dieFamilie zu vermitteln. Gelinge dies, so Dallmeier, dannsichere er sozusagen seine eigene Stelle und die Zukunftdes Archivs. Dallmeier resümierte zum Thema Öffentlich-keitsarbeit vor dem Hintergrund seiner profunden Kennt-nis der Situation in den wenigen Adelsarchiven inDeutschland, dass vor allem der Umgang mit den eherschwierigen historischen Themenfeldern sehr problema-tisch sei. Am Beispiel der Zwangsarbeiterforschung seidies deutlich zu Tage getreten.

Michael Jurk, Unternehmensarchivar der DresdnerBank, Frankfurt, berichtete zum Thema Öffentlichkeit,dass diese grundsätzlich in Bankarchiven zunächst zuWiderständen führe. Banken seien dem Bankgeheimnisverpflichtet, was automatisch dazu führe, dass Dritte keinRecht auf Öffentlichkeit hätten. Jurk räumte ein, dass sichdie Banken und auch die Dresdner Bank sehr rasch aufdiese Position zurück zögen. Erst durch die verstärkteöffentliche Diskussion Ende der 1990er Jahre über die Rolleder Dresdner Bank im Dritten Reich sei das Archiv gegrün-det worden. Es ist u. a. zuständig für die inzwischen vonunabhängigen Wissenschaftlern bearbeiteten historischenAkten, die Auskunft über die Verstrickung der Bank in denNS-Staat geben sollten. Als besonders schwierig stellte JurkAnfragen von außen dar, bei denen das Bankgeheimniseine Benutzung eigentlich verneine. Zusammen mit derRechtsabteilung der Bank würden solche Fälle geklärt undes würde damit auch deutlich, wie stark die Position derJuristen in vielen Fällen sei. Um aber weiterhin die histori-sche Forschung in der Dresdner Bank und mit Akten desUnternehmens sicherstellen zu können, habe man die„Eugen-Gutmann-Gesellschaft" gegründet, in dessen Gre-mien sowohl hochrangige Vertreter der Dresdner Bank alsauch Unternehmer und Wissenschaftler vertreten wären.Diese Gesellschaft habe z. B. die Studie zur NS-Geschichteder Bank herausgegeben. Das Archiv selbst bemühe sichum jede Anfrage, zumal die Archivbenutzung durch Drit-te als Teil des „History Marketing“ für das Bankunterneh-men gesehen werde. Anfragen würden im Gegensatz zufrüher auch nicht mehr pauschal mit dem Verweis auf dasBankgeheimnis negativ beschieden, sondern individuellbeantwortet, wobei insbesondere die Ablehnungen derexternen Anfragen differenziert und qualitativ begründetwürden. Auf Nachfrage aus dem Auditorium bestätigteJurk, dass es keine gesetzliche Fixierung des Bankgeheim-nisses gibt. Das Bankgeheimnis sei zwar im Kundenver-hältnis zwischen Bank und z. B. Kreditnehmer eine Selbst-verständlichkeit, unterliege aber durchaus einer individu-ellen Auslegung. Obgleich das Bankgeheimnis theoretischauf Dauer angelegt sei, entstünde aber durch entsprechen-de Auslegung und mit Hilfe der Rechtsabteilung oft aucheine Möglichkeit der wissenschaftlichen Nutzung.

Die abschließende Diskussion des Themas „Öffentlich-keit in Archiven" führte vor allem zu dem Ergebnis, dasses je nach Archivtyp mehr oder weniger schwierig ist, zueinem „Code of Ethics", also einer Regelung des Zugangszu den Informationen zu kommen. Privates Archivgut, mitderen Inhalten sich durchaus Schaden – z. B. in der Regen-bogenpresse – anrichten lässt, wird in der Regel von denEigentümern geschützt und soll nur dann Dritten zurKenntnis gebracht werden, wenn mit den Inhalten derbeschriebene „Schaden" nicht angerichtet wird. Hier aberbeginnt eine Problemzone, die letztlich Existenz bedro-hend für den Archivar werden kann. Oft obliegt es ihmallein, die Entscheidung darüber zu treffen, ob und wie-weit Dritte Zugang zum Archiv erhalten. So lange keineSkandale zu verzeichnen sind, kann der Archivar seinenEntscheidungsspielraum ausnutzen, im umgekehrten Fallsetzt er nicht nur seine berufliche Existenz aufs Spiel, son-dern kann im schlimmsten Falle sogar die Schließung desArchivs herbeiführen. An eine Beteiligung am „Tag derArchive“ war nach Meinung von Dallmeier und Jurk über-haupt nicht zu denken. Für die Verantwortlichen seinerBank, so Jurk, sei es eine Horrorvorstellung, dutzendeInteressierte an einem Wochenende in die Bank hinein undsie in den Archivbeständen „blättern" zu lassen. Auch Dall-meier und Gutzmann führten organisatorische Gründedafür an, dass man bislang die Archive für das Publikumnoch nicht geöffnet habe. Soénius verwies hingegen aufähnlich gelagerte Fälle in Köln, wo es aber dennoch gelun-gen sei, durch einen gemeinsamen Auftritt der Archive aneinem zentralen Ort auch Bank- und Versicherungsarchivein den „Tag der Archive“ einzubeziehen. Diese KölnerLösung, die u. a. auch die Verbundenheit der örtlichenArchive untereinander stärke, würde auch inzwischen inanderen Regionen Schule machen.

Soénius bedankte sich für das rege Interesse und dieaktive Beteiligung der Anwesenden und schloss die Sit-zung mit guten Wünschen für die weitere Archivarbeit.

Köln Jürgen Weise

Fachgruppe 6:Archivarinnen und Archivare an Archiven der Parlamen-te, der politischen Parteien, Stiftungen und VerbändeTraditionsgemäß traf sich die Fachgruppe zu einer erstenSitzung am Dienstag. Sie folgte einer Einladung des Land-tages von Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf und wurdebegrüßt von der Landtagspräsidentin Regina van Dint-her, die die gute und unverzichtbare Arbeit des Landtags-archivs hervorhob. Sie habe erst als Landtagspräsidentindessen Arbeit schätzen gelernt und versprach, alles zu tun,damit das Archiv seinen Aufgaben nachkommen könne. Indiesem Zusammenhang wies sie auf den 60. Geburtstagdes Landes Nordrhein-Westfalen und die Rolle von Bil-dung für unsere Gesellschaft hin. Der Fachgruppenvorsit-zende Dr. Günter Buchstab dankte der Präsidentin für dieEinladung und würdigte in ihrem Beisein ausführlich dieLeistungen und Verdienste des Ehrenvorsitzenden derFachgruppe Gerhard Eyckers: mit dem von ihm betriebe-nen Aufbau des Landtagsarchivs und von PARLIS seiEyckers, der in diesem Jahr 85 Jahre alt geworden ist, der„Nestor der modernen Parlamentsarchivistik und -doku-mentation“.

Nachdem die Fachgruppe des Todes von Regine Mehl-Lippert und von Dieter Neske gedacht hatte, stellte Dr.

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Wolfgang Gaertner die Arbeit des Referates Informati-onsdienste vor, zu dem der ursprüngliche Bereich Archiv,Bibliothek und Dokumentation in den 90er Jahren zusam-mengefasst worden war. Mit 40 Mitarbeitern stellt er denzweitgrößten Bereich in der Landtagsverwaltung dar.Seine Aufgabe ist die Versorgung der Abgeordneten undihrer Mitarbeiter mit Informationen. Er gliedert sich in dieSachbereiche Bibliothek und Literaturversorgung, dieDatenbank MILAN, die Parlamentsdokumentation, denParlamentsspiegel, das Archiv und die Pressedokumenta-tion. Gaertner zeigte sich zuversichtlich, dass der „Parla-mentsspiegel“, dessen Bestand bis Ende 2006 durchBeschluss der Direktoren gesichert ist, auch danach weiter-geführt werde.

Die Leiterin des Archivs, Renate Uhlig-Raddatz, stell-te dann die Geschichte und die Aufgaben des Archivs vor.Es gliedert sich in die Bereiche Parlamentsarchiv, Verwal-tungsarchiv und Politikerarchiv. Besonderen Akzent legtesie auf die Vorstellung des elektronischen Bildarchivs, aufdass zur Zeit nur im Intranet des Landtages zugegriffenwerden kann; geplant sei, es auch im Internet zur Verfü-gung zu stellen. Dieses Bildarchiv soll mit der Abgeordne-tendatenbank verlinkt werden. Als weiteren Schwerpunktder Archivarbeit stellte sie die Umstellung auf ein Doku-mentenmanagementsystem und die damit verbundenenProbleme dar. Die Arbeit des Landtagsarchivs war in die-sem Jahr bestimmt von der 60-Jahr-Feier des Landes, ander sich das Archiv u. a. mit einer zusammen mit dem Lan-desarchiv erarbeiteten Ausstellung beteiligt.

Die Diskussion drehte sich um die Probleme der archi-vischen Abbildung von Gesetzesarbeit, die nur noch inelektronischer Form dokumentiert wird. Man war sicheinig, dass im Sinn einer Langfristsicherung nur das kon-ventionelle Archiv „justitiabel“ sein wird, und dass daselektronische Archiv eher ein Arbeitsarchiv bleiben werde.Weiter wurde in der Diskussion die Frage angesprochen,wer darüber entscheidet, was ins Intranet und ins Internetkommt: Uhlig-Raddatz wies hier auf die Archivordnungsowie die Geschäftsordnung des Landtages hin; selbstver-ständlich blieben nichtöffentlichen Ausschusssitzungengesperrt, alles andere könne aber über Datenbanken im In-tranet und Internet zugänglich gemacht werden.

Ebenfalls diskutiert wurde das Problem der Verwal-tungsakten, die trotz Archivgesetz nicht an die Landtags-archive abgeliefert würden.

Uhlig-Raddatz und die Mitarbeiter des Archivs stelltenabschließend in einem Rundgang das Archiv vor und gin-gen auf Einzelfragen ein.

Die zweite Sitzung der Fachgruppe widmete sich demThema des Archivtages und stellte die Frage nach „Archi-ve und Öffentlichkeit“ am Beispiel eines Stiftungs- undeines Landtagsarchivs vor. Dr. Ilse Fischer vom Archivder Sozialen Demokratie (Friedrich-Ebert-Stiftung) ging inihrem Referat vom hohen Stellenwert aus, den das Archivin der Partei seit Anbeginn gehabt habe: Als es 1882gegründet wurde, sollte es die „Rüstkammer“ für dieArbeiterbewegung sein. Bei der Neugründung 1969 seidies natürlich mit einem weitergehenden Anspruchgeschehen, seitdem sei die wichtigste Zielgruppe der „klas-sische Archivbenutzer“, also v. a. Wissenschaftler. Diezweite Zielgruppe seien die Partei und die Gewerkschaf-ten, als drittes würde die allgemeine Öffentlichkeit ange-sprochen. Im Unterschied zu „klassischen“ Archiven mit

festen Zuständigkeiten seien die Stiftungsarchive aller-dings vor die Notwendigkeit der Akquisition gestellt. AlsMaßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit stellte sie Archivfüh-rungen, Ausstellungen und die Präsentation von Archiv-materialien auf Fachkonferenzen vor. Darüber hinaus stell-te sie die in regelmäßigen Abständen gedruckte Bestände-übersicht als „Werbemittel“ vor allem für Parlamentarierund potentielle Aktenabgeber dar. Als weitere Beispiele fürdas Dienstleistungsangebot wurden die Download-Ange-bote in den audiovisuellen Datenbanken, ein „Newsletter“und die Rubrik „Aktuelles“ mit Kalender auf der Home-page des Archivs genannt: Hier finden sich Basisinforma-tionen zu historischen Ereignissen. Im Rahmen der politi-schen Bildungsarbeit der Ebert-Stiftung ist das Archiv beiSeminaren und in den Programmen für die Stipendiateneingebunden.

Die Diskussion brachte konkrete Anregungen zur Spra-che, wie z. B. regelmäßige Kolumnen („Wir vom Archiv“)in Feuilletons, Veranstaltungen mit Zeitzeugen, Koopera-tionen z. B. mit Verbänden und Vereinen. Fazit war, dassjede Öffentlichkeitsarbeit auf den Ergebnissen der Kern-aufgaben beruhe.

Dr. Monika Storm vom Landtagsarchiv Rheinland-Pfalz betonte zu Eingang ihres Referates, dass Öffentlich-keitsarbeit immer wichtiger werde und berichtete, dass diediesbezügliche Arbeit ihres Archivs leichter geworden sei,seitdem es zum Informationsdienst des Landtages gehöre.Sie stellte unter den Maßnahmen ihrer erfolgreichenÖffentlichkeitsarbeit u. a. die eigene Homepage desArchivs, das „Datenhandbuch des Landtages“, ein Semi-nar für Zeitungsvolontäre, die Betreuung von Praktikantenund die „Lesezeiten“ vor: Hier lesen prominente Autorenvor einem ausgewählten Publikum in den Räumen derLandtagsbibliothek. Zusammen mit Kooperationspartnernbeteiligt sich das Archiv an landesweiten Vorträgen zurLandesgeschichte, an einem Symposium zur Parlaments-geschichte und an einem Zeitzeugenprojekt zu den Anfän-gen des Landtages in Koblenz. Storm plädierte für die Ver-linkung der Archive mit der Homepage der Archivschulein Marburg, dem Archivportal des jeweiligen Landes, aberauch mit NESTOR. Zusammenfassend hob auch sie hervor,dass die beste Öffentlichkeitsarbeit die gute Erledigung derKernaufgaben sei, betonte die Wichtigkeit eines internenund externen Networking und nicht zuletzt eines Corpo-rate Design.

In der anschließenden Diskussion wurde auf die Mög-lichkeit hingewiesen, durch regionale Archivverbünde dieÖffentlichkeitsarbeit wirksamer zu machen. Eine weitereAnregung war der Hinweis, bei Bildabdrucken aus Bestän-den des Archivs neben dem Namen auch immer die www-Adresse zu nennen – vorausgesetzt, es handele sich hier-bei um einen „sprechenden“ Namen.

Mit dem Hinweis, dass die Fachgruppe 6 mit ihren Mit-teilungen ebenfalls Öffentlichkeitsarbeit bis nach Washing-ton betreibe und einem Dank an die Referentinnenbeschloss der Vorsitzende die Sitzung.

Gummersbach Monika Faßbender

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Fachgruppen 7 und 8:Archivarinnen und Archivare an Medienarchiven sowiean Hochschularchiven und Archiven wissenschaftlicherInstitutionen

Gemeinsame Sitzung„Das Archiv eine Insel der Seligen?“ und „Warum brau-chen wir Controlling und Benchmarking?“ waren die pro-vozierenden und verstörenden Fragen, mit denen sich dieFachgruppen 7 und 8 auf dem deutschen Archivtag 2006zu beschäftigen hatten. Und dies, obwohl inzwischen auchin den öffentlichen Verwaltungen betriebswirtschaftlicheVerfahren zur Leistungs- und Kostenerfassung Einzuggehalten haben und eine Diskussion um Kernaufgabenund eine Konzentration der Kräfte auf die für die Gesell-schaft wichtigen und wesentlichen Funktionen zuneh-mend geführt wird.

Dass dabei die Archive besonders gefordert sind, lassensich doch die (hohen) Kosten der Verwaltung und Pflegevon Kulturgut, wenn überhaupt, nur schwer unter Nutzen-gesichtspunkten rechtfertigen, ist eine schmerzliche Erfah-rung. Dies mussten in der jüngeren Vergangenheit nichtwenige archivische Einrichtungen, gebeutelt und geplagtvon Unternehmensberatungsfirmen, machen.

Selbst bei Drittmittelprojekten ist inzwischen einebetriebswirtschaftliche Kosten-/Nutzenrechnung obligato-risch, was über Kennzahlenstrukturen funktioniert, wieDietmar Schenk darstellte. Die Funktion von Kennzahlenin den Globalhaushalten war Thema eines Kurzstatementsvon Matthias Lienert, während Klaus Nippert überMethodik von und die praktischen Erfahrungen mit Zeit-management und Controlling im Universitätsarchiv Karls-ruhe berichtete.

Das Hauptreferat teilten sich Claudia Hillenbrand,Leiterin des Geschäftsfeldes Übergreifende Funktionenvon „Archiv – Bibliothek – Dokumentation“ (ABD), unddie Chefcontrollerin des ZDF, Susanne Spruck-Spangen-berg. Beide Referentinnen machten überzeugend deut-lich, mit welchen Anforderungen Geschäftsbereiche einesgroßen Medienunternehmens heute konfrontiert sind undwie diese erfüllt werden können. Im Prinzip findet im ZDFeine betriebswirtschaftliche Kalkulation der zu erbringen-den Dienstleistungen im Kontakt mit den Kunden stattund alle Leistungen der Archive unterliegen via Erfolgs-controlling einer ständigen Überprüfung. Damit aberhaben sich die Archive immerzu zu bewähren, könnenaber ihrerseits auch mit kreativen Prozessen, sprich verbes-serten Produkten und progressiven Dienstleistungsange-boten, ihre Situation wesentlich mit beeinflussen. DenAblauf, in den die Kunden (sprich Nutzer) ebenso wie dieProzesse, Potenziale und die Finanzen eingebunden sind,regelt die so genannte Balance Score Card, ein Instrumentzur zeitnahen Steuerung der Geschäftsprozesse.

Der Vortrag der Referentinnen löste eine lebhafte undintensive Diskussion aus, in der vielfältige Probleme überfür die Archive geeignete betriebswirtschaftliche Steue-rungs- und Controllinginstrumente angesprochen wur-den. Vor allem aber beschäftigte die Kolleginnen und Kol-legen die Frage nach der Praktikabilität und der Umset-zung des Controlling und der Anwendung der vorgestell-ten Verfahren und Instrumente.

Am Rande der Fachgruppenveranstaltung fand eineEhrung für den früheren Vorsitzenden der Fachgruppe 8Professor Dr. Gerald Wiemers aus Leipzig statt, der kürz-lich emeritiert wurde.

Freiburg/Mainz Dieter Speck/Heiner Schmitt

Berichte zu den Sitzungen der Arbeitskreise auf dem 76. Deutschen Archivtag

Arbeitskreis „Archivpädagogik und HistorischeBildungsarbeit“Mit einer szenischen Annäherung begann der EssenerArchivtag für die Teilnehmer der von Dr. Wolfgang Ant-weiler (Hilden) geleiteten Veranstaltung des Arbeitskrei-ses höchst ungewöhnlich. Unter dem Motto „Bei uns imArchiv“ spielten Dr. Erika Münster-Schröer (StadtarchivRatingen) und Dr. Clemens Rehm (Landesarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart) unterschiedliche Alltagssituatio-nen zwischen Archivmitarbeiter und Archivnutzer zurErheiterung des Publikums durch: Einmal als klassischer„Gatekeeper“, der zwar freundlich, aber fachlich begrün-det dem Fragenden den Zugang zum Archivgut erschwert,einmal als „Servant“ der dienstbeflissen sehr wohl Unter-schiede zwischen Schüler und Professor macht, undschließlich als Kenner der Materie, der Nutzungsvorhabenin seinem Sinn und für seine Interessen steuert. Ergänzt mittypischen Anfragen – „Schicken Sie mit bitte alles, was beiIhnen zu ...“ –, in denen die übliche Unkenntnis von Anfra-genden über Charakter und Möglichkeiten eines Archivszum Ausdruck kamen, machte dieser treffend vorgehalte-ne Spiegel bei allem Schmunzeln auch betroffen.

Als Beleg, wie schwierig der Kontakt mit der „Nicht-Archivwelt“ ist, wurde die Berichterstattung zum EssenerArchivtag in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“(WAZ) – der führenden Zeitung im Ruhrgebiet – ange-führt: „Wer studiert dort noch im kleinen Lesesaal, wodoch scheinbar alles per Mausklick im Internet zu erfahrenist?“ Der Blick in die Archivräume: „Fahles Kunstlicht,deckenhohe Magazinregale, die sich ächzend in Bewegungsetzen, wenn man an schweren Steuerrädern kurbelt, abge-standener Papiergeruch, meditative Stille, einsame Kartei-karten-Behaglichkeit ... Das Zeitalter des ,Digitalen Work-flow’, des eiligen ,Googelns‘ und Wikipedia-Wissens mussdraußen bleiben.“ Und zum Berufsbild das Fazit: „DasSammeln, Ordnen und Bewahren von Dokumenten ist einlichtscheues Gewerbe.“ (alle Zitate WAZ, 23.9.).

Daher – so die Quintessenz der Vortragenden – sei derAufklärungsbedarf also hoch, und er fange selbstverständ-lich schon weit vor der Archivtür an. Wenn die meistenMenschen nicht wüssten, was ein Archiv überhaupt sei,komme der Kommunikation zwischen Archivbenutzernund Archivmitarbeitern – einer der permanenten undintensivsten Schnittstelle zur Öffentlichkeit – eine ent-

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scheidende Bedeutung zu. Das eigene, alltägliche, soselbstverständliche Handeln sei zu reflektieren; die Archi-varinnen und Archivare müssten lernen, ihre „Handlungs-spielräume“ im Umgang mit ihren „Kunden“ auszuloten.

Im zweiten Vortrag der Arbeitskreissitzung unternahmDr. Jens Murken (Landeskirchliches Archiv, Bielefeld)eine theoretische Annäherung an die beiden Tätigkeitsfel-der Historische Bildungsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit1 .Er konstatierte die immer noch unzureichende innerzünf-tige Akzeptanz sowie die selten fachkundige Handhabungvon Archivmarketing. Entsprechende Defizite in derBerufsausbildung würden letztlich zur fortgesetzten Pro-pagierung vermeintlicher archivischer Kernaufgaben bei-tragen, die das klassische Berufsbild des Archivars unre-flektiert eng führen, weil lediglich aufgabenorientiert aus-füllen. Archivmarketing im Kontext von Archivmanage-ment erfordere hingegen einen regelrechten Paradigmen-wechsel im beruflichen Selbstverständnis hin zur Kunden-orientierung. Insofern sei Historische Bildungsarbeit imArchivwesen Öffentlichkeitsarbeit mit pädagogischen,didaktischen und historisch-kritischen Mitteln, undÖffentlichkeitsarbeit Historische Bildungsarbeit mit jour-nalistischen und Marketing-Instrumenten. Die Aufeinan-derbezogenheit dieser wie überhaupt sämtlicher archiva-rischen Aufgabenfelder müsse dabei stets adressatenorien-tiert, zielgruppendifferenziert und insbesondere wechsel-seitig erfolgen. Eine derartige „Historische Kommunikati-on“ könne sich dafür, nicht zuletzt zur Verbesserung des„Images“ des einzelnen Archivs wie des Archivwesens ins-gesamt, der bekannten Instrumentarien des Marketingund der Public Relation bedienen, zumal das authentischeKulturgut der Archive ein prinzipiell attraktives Alleinstel-lungsmerkmal im Rahmen der Historischen Bildungsar-beit darstelle. Als Dienstleister der internen wie der exter-nen Öffentlichkeit, denen es um „Kunden“ und nicht um„Publikum“ gehe, liege es in den Händen der Archive undder Archivarszunft selbst, die Papierarchive in Menschen-archive zu transformieren, die, so Murken, als substanziel-le „demokratische Lernorte in historischen und gegenwär-tigen Bezügen“ wirken, ohne in eine unnötige Konkurrenzzu den primär auf Unterhaltung abzielenden „Kulture-vents“ treten zu müssen.

Mit dem abschließenden Referat „Adressatenorientiert– Themenspezifisch. Historische Bildungsarbeit in der Pra-xis“ lenkte Roswitha Link (Stadtarchiv Münster) den Blickauf Alltagsthemen archivischer Bildungsarbeit. Einleitendstellte sie fest, dass inzwischen sehr viele Archive auf ihrenHomepages auch auf die Historische Bildungsarbeit,Öffentlichkeitsarbeit oder archivpädagogischen Aktivitä-ten hinweisen, somit dieser Aufgabenbereich zu einemfesten Bestandteil der Archivarbeit geworden ist. Im Posi-tionspapier der Bundeskonferenz der Kommunalarchiva-re beim Deutschen Städtetag von 2005 wird die HistorischeBildungsarbeit als „integraler Bestandteil der Aufgaben“eines Kommunalarchivs bezeichnet. Die Referentin wiesdarauf hin, dass alle Überlegungen zur Historischen Bil-dungsarbeit ein gemeinsames Ziel haben, nämlich imSinne des Geschichtsdidaktikers Karl-Ernst Jeismann einenBeitrag zur „Bildung und Förderung von Geschichtsbe-wusstsein“ zu leisten. Archive gehören zu den zentralenTrägern und Vermittlern von Geschichtskultur.

Archive leisten mit ihren spezifischen Beständen einenbesonderen Beitrag in diesem Zusammenhang, den Linkmit den Begriffen „Vielfalt“ und „Kontext“ charakterisier-te. Vielfalt im Sinne von „multiperspektivischer Betrach-tungsweise“ abgeschlossener Entscheidungsprozesse seian kaum einem anderen Ort so umfassend möglich wie inArchiven. Ähnlich verhalte es sich mit dem Kontext. Das„Gewordensein“ einer Entscheidung lasse sich anhand derArchivbestände besonders gut nachvollziehen. In derarchivdidaktischen Umsetzung dieser Besonderheiten lie-gen Chancen und Stärken für die Historische Bildungsar-beit, durch die so ein wesentlicher Beitrag zur historischenUrteilsbildung geleistet werden kann.

Mit der Durchsetzung und Etablierung der zentralenKategorie des Geschichtsbewusstseins in der geschichtsdi-daktischen Forschung sowie mit der Entwicklung derKategorie der Geschichtskultur änderten sich – so Link –auch die Angebote der Archive in Richtung adressatenbe-zogener Veranstaltungen. Zwar haben Archive schon seitvielen Jahren Angebote für die Öffentlichkeit gemacht,diese seien jedoch überwiegend auf bestimmte Themen,z. B. zur Landesgeschichte, zu einem Jahresdatum, zu einerwichtigen Persönlichkeit bezogen, weniger auf einenbesonderen, genau zu benennenden Personenkreis ausge-richtet. Heute finde man immer mehr spezifische Angebo-te der Archive, die auf besondere Benutzergruppen ausge-richtet seien, für die gleichzeitig adressatenadäquate Inhal-te, Methoden und Medien überlegt werden müssten.

Im Folgenden konkretisierte sie für drei Gruppen adres-satenspezifische Angebote. Als größte und wohl auchwichtigste Zielgruppe archivdidaktischer Angebote nann-te sie Schülerinnen und Schüler. Einen besonderen Akzentlegte sie dabei auf die Bedeutung von Archivarbeit imGrundschulbereich. Durch angemessenen Methoden- undMedienwechsel, mit handlungsorientierten Angebotenund mit der Möglichkeit, sich zwischendurch zu bewegen,seien auch Grundschulkinder etwa ab der 3. Klasse fürstadtgeschichtliche Entdeckungen im Archiv zu begei-stern. Sie wies ferner auf die Teilnehmenden amGeschichtswettbewerb des Bundespräsidenten hin, dergerade neu ausgeschrieben worden war (Herbst 2006).

Historisch interessierte „Laien“ waren die nächstenAdressaten, die Link in den Focus nahm. Für den außer-schulischen, nicht-organisierten Bildungsbereich werden imStadtarchiv Münster so genannte SuFiA-Kurse (Suchen-Fin-den-Arbeiten) angeboten, mit denen Personen angespro-chen werden sollen, die ohne besondere Vorkenntnisse mitHilfe von Archivmaterial recherchieren möchten. Gleichzei-tig können diese Kurse auch für Vereinsmitglieder auf ihrebesonderen Interessen hin ausgerichtet werden. Personen-gruppen, die sich bisher wenig oder gar nicht mit derGeschichte beschäftigt haben, können mit diesen speziellenAngeboten angesprochen werden, um an der Förderungund Entwicklung von Geschichtsbewusstsein mitzuwirken.

Als dritte Zielgruppe der Historischen Bildungsarbeitlenkte die Referentin den Blick auf Migranten, deren Inte-gration in die Stadtgesellschaft eine wichtige Aufgabe dar-stellt, an der Archive mitwirken können. Durch bessereKenntnis der Vergangenheit einer Stadt wachsen das Ver-ständnis und oft auch die Verantwortung für das gegen-wärtige Leben in der Stadt. Es bieten sich beispielsweisedie Vermittlung von Aspekten der regionalen Migrations-geschichte oder mit Bezug zum unmittelbaren Wohnum-1 Dieser Beitrag wird im Archivar Heft 2 abgedruckt.

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feld die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung einesspeziellen Stadtviertels an. Die Identifikation mit der Stadt,in der man lebt, wächst, wenn man ihre Wurzeln und ihrGewordensein kennt, unterstrich Link.

Das letzte Beispiel zeigt die Schnittmenge von themen-und adressatenorientierten Angeboten in Archiven. The-menabende sind Vorträge zu stadtgeschichtlichen Themen,bei denen einige der Archivalien, die zur Erforschung desThemas erforderlich sind, im Vortragsraum ausliegen unddirekt angeschaut werden können. Mit diesem Angebotwerde das Stadtarchiv als Ort für historische Forschungund Aufbewahrungsort für historische Quellen bekanntgemacht, gleichzeitig aber auch auf die Möglichkeiten deseigenen Forschens hingewiesen. Das Thema soll als nied-rigschwelliges Angebot präsentiert werden und richte sichdamit an Zuhörer, die bisher noch wenig oder keinen Kon-takt mit wissenschaftlichen Texten hatten. So liege den The-menabenden sowohl eine Adressatenorientierung als aucheine thematische Ausrichtung zugrunde.

Zusammenfassend stellte Link fest, dass zur Histori-schen Bildungsarbeit die Vermittlung historischer Faktenund die Motivierung bzw. Befähigung zum eigenständigenArbeiten mit Archivalien gehöre. Diese Vermittlungsaufga-be könne erfolgreich nur stark differenziert, d.h. adressa-tenorientiert durchgeführt werden.

Insgesamt fand die Veranstaltung des Arbeitskreises„Archivpädagogik und Historische Bildungsarbeit“ einlebhaftes Echo. Das zeigte sich nicht nur an dem großen,interessierten Zuhörerkreis sowie den spannenden undteilweise kontroversen Diskussionen in der Sitzung selber,sondern auch in Gesprächen und Diskussionen währenddes Archivtags, in denen wiederholt auf die Sitzungsbei-träge Bezug genommen wurde.

Münster Roswitha Link

Arbeitskreis „Ausbildung Fachangestellte für Medienund Informationsdienste (FAMI)“

Das vom „AK Ausbildung FAMI“ organisierte und gutbesuchte „Forum Ausbildung Fachangestellte für Medienund Informationsdienste (FAMI)“ zum Thema „Berufs-schulen im Dualen Ausbildungssystem“ eröffnete Sit-zungsleiterin Dr. Angela Keller-Kühne: Bei einem exem-plarischen Querschnitt durch die bundesdeutsche Berufs-schullandschaft sollten die regionalen Unterschiede, aberauch mögliche Gemeinsamkeiten des dualen Ausbildungs-partners Berufsschule aufzeigt werden.2

Maria Sieverding, Bildungsgangleiterin der FAMIs,und Dr. Michael Sierck, Fachlehrer der SpeziellenBetriebslehre (SBL) für die Fachrichtung Archiv, stelltendas „Kölner Modell“ am Joseph-DuMont-Berufskolleg(JDMK), Köln vor. Laut Sieverding gab es 2006 in ganzNRW insgesamt 429 FAMI-Auszubildende, davon in Köln151: 10 in der Fachrichtung Archiv, 97 in der FachrichtungBibliothek und 44 im Informations- und Dokumentations-bereich. Das zentrale Problem sei, dass der FAMI-Ausbil-dungsgang der bei weitem kleinste am JDMK sei. Insge-samt hat die Berufsschule in ihren verschiedenen Ausbil-dungsgängen gegenwärtig mehr als 3.000 Auszubildende.

Sieverding wies darauf hin, dass aufgrund der geringenBelegung des FAMI-Bildungsgangs die Fachklassen nichtausgelastet seien. Da Sierck die Fachrichtungen Archiv undIuD unterrichte und der fachrichtungsspezifische Unterrichtbeider Bereiche zeitlich aufeinander abgestimmt werdenmüsse, führe dies zu sehr unterschiedlichen Klassengrößenund -zusammensetzungen. Zudem besäßen die Schülerin-nen und Schüler unterschiedliche Vorbildungen (u. a. Fach-schulreife, Abitur) und die Alterstruktur der einzelnenSchulklassen schwanke oftmals erheblich (z. B. von 16 bis 39Jahre). Der Anteil der Auszubildenden aus den neuen Bun-desländern wachse im Regierungsbezirk Köln deutlich an.Das Alter zu Beginn der Ausbildung betrage bei diesenJugendlichen nicht selten 16 Jahre (!), was dazu führe, dasssich diese Jugendlichen sehr früh selbst organisieren müss-ten und eine direkte Unterstützung seitens des Elternhau-ses oftmals nicht oder nur begrenzt erfolgen könne.

Neben diesen äußeren Rahmenbedingungen seien dieVielfalt von organisatorischen Arbeiten für das Lehrperso-nal, die häufig wahrzunehmenden öffentlichen Kontakte(zu Ausbilderinnen und Ausbildern, Ausbildungsbetrie-ben und zu Institutionen und Verbänden) weitere belasten-de Faktoren für den Unterricht. Hinzu käme die mit gro-ßem Verwaltungsaufwand geplante Erfassung der Lehrer-arbeitszeit, der Unterricht einzelner Lehrerinnen und Leh-rer in mehreren Ausbildungsgängen und die berechtigteForderung, den Unterrichtsausfall, bedingt durch die viel-fältigen Verpflichtungen der Lehrer, möglichst gering zuhalten. Schließlich bedeuteten die zwei Schulstandorte desJDMK in Köln erhöhten Koordinierungsaufwand.

Insgesamt stehen 240 Unterrichtsstunden für alle 5Fachrichtungen bis zur Zwischenprüfung zur Verfügung.In den ca. 18 Monaten bis zur Zwischenprüfung sind eineReihe von Exkursionen zu Institutionen und Einrichtungensämtlicher Fachrichtungen vorgesehen (u. a. Archive,öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken, IuD-Ein-richtungen). Dies bedeutet neben der lehrerspezifischenGremienarbeit, der Teilnahme der Lehrer an Fortbildungenund Veranstaltungen i.d.R. Unterrichtsausfall im zweitenund dritten Ausbildungsjahr.

Für die Fachrichtung Archiv selbst werden ca. 40 Unter-richtsstunden bis zur Zwischenprüfung zur Verfügungangeboten. Zentrales Anliegen sei es, die Vermittlung vongrundlegenden archivspezifischen Inhalten zu gewährlei-sten. Hierzu zählen Sinn und Zweck eines Archivs, dieorganisatorischen Strukturen der Archive (Archivtypen,VdA u. ä.) und allgemeingültige Rechtsgrundlagen. ImBereich der Beschaffung stehen die möglichen Beschaf-fungsarten eines Archivs im Mittelpunkt, die praktischeDurchführung und Organisation der Beschaffung, Regel-werke, Erschließungsmethoden und Ordnungsprinzipiender archivarischen Erfassung.

Sierck problematisierte die unterschiedlichen Erwar-tungshaltungen, denen Berufschullehrerinnen und -lehrergerecht werden müssten. So konzentriere sich die Erwar-tungshaltung der Schulleitung auf eine möglichst großeRechtssicherheit in Form einer exakten Abarbeitung der imRahmenlehrplan festgelegten Lerninhalte. Wünschenswertsei ferner eine gute Betreuung der Schülerinnen und Schü-ler, wobei bei der Unterrichtsvermittlung und dem Einsatzvon audiovisuellen Medien und – angesichts der aktuellenUrheberrechtsdiskussion – auf eine rechtlich unangreifba-re Mediennutzung zu achten sei.

2 Die einzelnen Beiträge, die im Folgenden nur verkürzt wiedergegebenwerden, können auf der Homepage des VdA(http://www.vda.archiv.net/) unter Arbeitskreise, AK AusbildungFachangestellte, in Gänze aufgerufen werden.

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Die Erwartungshaltung der Ausbilderinnen und Ausbil-der ist gespalten. Einerseits habe man das verstärkte Anlie-gen, dass die Fachrichtung Archiv im fachübergreifendenUnterricht inhaltlich nicht zu kurz kommen dürfe. Ande-rerseits kollidiere dies mit dem Wunsch, die Schüler soll-ten nicht zuviel lernen müssen. Hier wirke sich eine spä-ter mögliche Konkurrenzsituation in Archiven aus, diedurch die Fachkenntnis der FAMIs hervorgerufen werdenkönne.

Die Erwartungshaltung der Schülerinnen und Schülersei oftmals geprägt von einer Verengung ihrer Interessenauf die eigene Fachrichtung. Gewünscht würden eine mög-lichst optimale Prüfungsvorbereitung für die Zwischen-und Abschlussprüfungen sowie umfassende Kenntnissefür den künftigen Beruf. Interessanter Unterricht würde inForm von Gruppenarbeiten und selbständigem Erarbeitendes Lernstoffs realisiert. Durch Einsatz von handlungsori-entiertem Lernen kann die Erweiterung der Sozialkompe-tenz erreicht werden. Zur besseren Verständlichkeit mussallerdings eine didaktische Reduzierung im Unterrichthingenommen werden, die eine intensive Vermittlung wis-senschaftlicher Inhalte erschwert.

Sierck bilanzierte, dass die Lehrerinnen und Lehrer amJDBK sehr divergierenden Erwartungshaltungen gegen-über stünden. Konkrete Erschließungsübungen an Origi-nalbeständen sind nicht möglich, da keine originärenBestände am Berufskolleg vorhanden sind. Die Vermitt-lung von Geschichtswissen ist schwierig, da bereits diearchivischen Kerninhalte sehr viel Unterrichtszeit inAnspruch nähmen und vor diesem Hintergrund die Fragenicht zu beantworten wäre, welche Aspekte von Geschich-te vorrangig vermittelt werden sollten (politischeGeschichte, Landes- bzw. Regionalgeschichte, Kirchenge-schichte oder Verwaltungsgeschichte). Positiv ist zu ver-merken, dass die Durchführung kleinerer Projekte, wie bei-spielsweise die Erstellung eines digitalen Ausstellungska-taloges oder Formen der „Oral History“ im Rahmen desUnterrichts, von den Schülerinnen und Schüler positiv auf-genommen würden.

Sibylle Fröhlich stellte die berufsschulische Ausbil-dung in Baden-Württemberg an der Hermann-Gundert-Schule in Calw vor. Das Leitbild der Schule sei es, den Aus-zubildenden bei der Bewältigung fachlicher Probleme zuhelfen und ihnen das erfolgreiche Absolvieren des Bil-dungsganges zu ermöglichen. Man lege Wert auf einmenschliches Miteinander, das von gegenseitigem Respektund Vertrauen geprägt sei. Kernaufgabe sei die Förderungder fachlichen und sozialen Kompetenz.

Der Ausbildungsgang „Fachangestellte für Medien undInformationsdienste“ in Calw ist in Landesfachklassen fürBaden-Württemberg, Saarland, südliches Rheinland-Pfalzund zum Teil auch für Bayern und Hessen organisiert. DerAusbildungsgang entstand aus der Ausbildung der Biblio-theksassistentinnen und -assistenten. Die Neuanmeldun-gen sind mit der Einführung der FAMI-Ausbildung 1998deutlich angestiegen. Aktuell sind in drei Jahrgängen 308FAMIs, davon 27 in der Fachrichtung Archiv (1. Ausbil-dungsjahr: 9; 2. Ausbildungsjahr: 11; 3. Ausbildungsjahr: 7).

Die Fachkunde der fünf Fachrichtungen unterrichtendrei Diplom-Bibliothekarinnen, eine wissenschaftlicheArchivarin und eine Diplomdokumentarin. Der Unterrichtfindet in Blockform im Umfang von drei bis vier Wochenstatt. Pro Ausbildungsjahrgang werden zur Zeit vier Klas-

sen beschult, wobei insgesamt sechs Klassen parallel unter-richtet werden. Die Auszubildenden der FachrichtungArchiv werden vorrangig von Kommunal- und Kreisarchi-ven sowie dem Militärarchiv in Freiburg i.Br. entsandt. DieAusbildungsdauer beläuft sich, je nach Vorbildung, auf3, 2 1/2 oder 2 Jahre. In einem Zusatzunterricht am Nach-mittag wird die Erlangung der Fachhochschulreife auf frei-williger Basis angeboten.

Der Berufsschulunterricht unterscheidet sich deutlichvom Kölner Modell, da er noch nicht nach Lernfeldern aus-gerichtet ist. In Baden-Württemberg gibt es allgemeineFächer mit einer abschließenden Schulprüfung (z. B.Deutsch, Rechnungswesen etc.). Geplant sei, die Lernfeld-orientierung in Kürze einzuführen. Im Fachkundeunter-richt, der nicht nach Fachrichtungen ausdifferenziert ist,werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den fünfFachrichtungen während der gesamten Dauer der schuli-schen Ausbildung vermittelt. Der Fachkundeunterrichtumfasst neun Unterrichtstunden Theorie, zwei fachgebun-dene Unterrichtstunden in Datenverarbeitung und wirdergänzt durch Zusatzunterricht in der Fachrichtung Archivin Form von Paläografie sowie Landes- und Verwaltungs-geschichte mit dem Schwerpunkt Baden-Württemberg.Auch für die medizinische Dokumentation wird Zusatzun-terricht zur medizinischen Terminologie sowie zur Statistik(z. B. Bettenbelegung in Krankenhäusern) angeboten.

Die Zwischenprüfungen finden entgegen der herkömm-lichen Praxis immer im Herbst (Oktober/November) statt,da die Abschlussprüfung für die auf 2 Jahre verkürzte Aus-bildungsdauer ansonsten nicht zu koordinieren ist. Diemündliche Abschlussprüfung ist generell eine „OnlinePrüfung“ (Recherchen), bei der aufgrund möglicher tech-nischer Probleme i.d.R. eine „Ersatzprüfung“ am nächstenTage vorgesehen ist. Prüfungstermine sind im Sommerund im Winter. Die mündliche Prüfung ist nicht unabhän-gig, sondern kommt zu den schriftlichen Prüfungen hinzuund zählt 20 % der Gesamtnote.

Im FAMI-Berufsschulunterricht in Sachsen und zum‚sächsischen Modell’ gab im Katrin Hein (Leipzig) einendetaillierten Überblick. Mit der „Verordnung über dieBerufsausbildung zum/zur Fachangestellten für Medienund Informationsdienste“ aus dem Jahre 1998 ist auch inSachsen eine neue Ausbildungsrichtung innerhalb desArchivwesens etabliert worden. Von Anfang an hat dieBerufsbezeichnung „Fachangestellter für Medien undInformationsdienste“ irrige Erwartungen geweckt. VieleSchulabsolventen hätten von dem FAMI-Berufsbild Vor-stellungen wie „das Testen von Computerspielen“ oder die„Dauerbeschäftigung mit dem Rechner und dem WorldWide Web“. So habe zu Beginn der Ausbildung die Fragenach der „Spezies des Archivars“ häufig schlagende Cha-rakterisierungen ergeben: „Er hat eine ungesunde, blasseGesichtsfarbe; trägt eine Brille mit dicken Gläsern; ist meistgrau gekleidet; unscheinbar und langweilig; hat wenigKontakt zu seiner Umwelt.“ Seit Februar 2002 ist Hein alsLehrkraft für Archivwesen am „Beruflichen Schulzentrum8“ in Leipzig tätig und hat sich die Aufgabe gestellt, „dasBild des Archivars und des Archivs bei den Azubis geradezu rücken.“

Die Organisation der theoretischen Ausbildung derFAMIs erfolgt in Blöcken, die jeweils zwei bis vier Wochenumfassen. Anfänglich ist die Ausbildung im Bereich Archivfür die gesamte Schulklasse bis zum Ende des zweiten

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Ausbildungsjahres erfolgt. Erst seit 2005 erteilte daszuständige Regierungspräsidium Leipzig auf Antrag derAuszubildenden der Fachrichtung Archiv des zweitenAusbildungsjahres eine dauerhafte Genehmigung zurfachrichtungsspezifischen Ausdifferenzierung direkt nachder Zwischenprüfung. Bis zur Zwischenprüfung sind vierUnterrichtsstunden pro Woche im Bereich Archivwesenvorgesehen. Nach der Zwischenprüfung erhöht sich derfachspezifische Archivunterricht auf 12 Unterrichtsstun-den. Die Auszubildenden haben sehr unterschiedliche Vor-bildungen (Realschule, Gymnasium), wobei auch verstärktUmschüler, die einen mitunter beträchtlichen Altersunter-schied aufweisen, von der FAMI-Ausbildung Gebrauchmachen. Die ausbildenden Archive führten häufig Einstel-lungstests für die Interessentinnen und Interessentendurch, in denen das Allgemeinwissen, Geschichtswissen,Ausdruckfähigkeit und Rechtschreibung abgefragt wer-den.

Der archivtheoretische Unterricht am „BeruflichenSchulzentrum“ ist untergliedert in die Gebiete Beschaf-fung, Übernahme und Erhaltung von Medien und Infor-mationen; Erschließung von Medien und Informationen;Recherche, Bereitstellung und Vermittlung von Medienund Informationen. Zu den fachkundlichen Unterrichtst-hemen zählen ein kurzer Abriss der Archivgeschichte vonder Antike bis zur Gegenwart sowie die Archivterminolo-gie mit Begrifflichkeiten wie Archivgut, ArchivischesSammlungsgut, Registraturgut, Sprengel, Provenienz undPertinenz.

Den direkten Bezug zur Archivpraxis wird durch eineExkursion in das Sächsische Staatsarchiv, StaatsarchivLeipzig, hergestellt. Zu diesem Zeitpunkt beginnen aucherste Leseübungen an Texten des 18. und 19. Jahrhunderts.Weitere Themen sind unterschiedliche Archivtypen,Zuständigkeiten der Archive, archivrelevante Rechtsvor-gänge, deutsche Geschichte und Landesgeschichte. In wei-teren Unterrichtseinheiten werden das sächsische Archiv-gesetz sowie das Bundesarchivgesetz und sonstige Rege-lungen, wie z. B. für Kirchenarchive thematisiert. Zu deneinzelnen Arbeitsgebieten eines Archivs zählt im fachrich-tungsspezifischen Unterricht die vorarchivische Betreu-ung, Erfassen und Bewerten, Übernahme, Erschließen,Bestandserhaltung inklusive technischer Bearbeitung,Benutzung und Öffentlichkeitsarbeit. Eine weitere Exkur-sion führt in das Archiv der Birthler-Behörde, AußenstelleLeipzig.

Hein berichtete ausführlich über die sächsische Praxisbei den Zwischenprüfungen, die im März des zweiten Aus-bildungsjahres schriftlich und fachübergreifend in dreiBereichen stattfinden: 1. Beschaffung und formale Erfas-sung, 2. Informations- und Kommunikationssysteme und3. Wirtschafts- und Sozialkunde. Die Prüfungsorganisati-on für Zwischen-, Abschluss- und Umschulungsprüfungenerfolgt gemäß „Prüfungsordnung des Regierungspräsidi-ums Leipzig“ vom 7. 5. 2004 durch das Regierungspräsidi-um Leipzig.

Die Ausbildungszeit der FAMIs nach der Zwischenprü-fung dient der Vertiefung der bisher erworbenen fachtheo-retischen Kenntnisse und ihrer exemplarischen Anwen-dung in der Praxis. Hierbei müssen die Auszubildendenjeweils mehrere Referate zu den Themen Archivarbeit,Landes- und Verwaltungsgeschichte vorbereiten, durch diesie sich auf das mündliche Prüfungsgespräch bei der

Abschlussprüfung und spätere Bewerbungsgespräche vor-bereiten. Im zweiten und dritten Ausbildungsjahr sindweitere Exkursionen z. B. beim Stadtarchiv Leipzig oderunter einer anderen Fragestellung wiederum beim Sächsi-schen Staatsarchiv in Leipzig vorgesehen. Die „PraktischenArchivkunde“ (2004) wird bei der Unterrichtsvorbereitungund -durchführung maßgeblich verwendet. Die Verwal-tungsgeschichte Sachsens wird durch den Lehrbrief vonKarlheinz Blaschke vermittelt. Zur Landesgeschichte wirdmit Reiner Gross’ „Geschichte Sachsens“ gearbeitet.

Analog der Zwischenprüfung werden die Abschluss-prüfungen von einem verwaltenden und mehreren durch-führenden Prüfungsausschüssen organisiert. Die Prü-fungsausschüsse bestehen aus Beauftragten der Arbeitge-ber, der Arbeitnehmer und den Lehrern der Berufsschule.Die Berufung für drei Jahre erfolgt durch das Regierungs-präsidium Leipzig.

In ihrem Ausblick bewertete Hein die aktuelle berufli-che Situation für die ausgebildeten FAMIs in der Fachrich-tung Archiv sowie deren Einschätzung der Ausbildungs-qualität. Problematisch sei die angespannte Stellenmarkt-situation für FAMIs und ihre schlechte Bezahlung. Persön-lich seien die FAMIs enttäuscht, trotz des hohen Niveausihrer Ausbildung meist lediglich im einfachen Magazin-dienst eingesetzt zu werden. Der Wunsch nach archivari-schen Weiterbildungsmöglichkeiten (Studium, Fernstudi-um etc.) würde oft artikuliert. Mit der Qualität des Unter-richts seien die FAMIs weitestgehend zufrieden. Bemän-gelt wird verständlicherweise das Fehlen des Unterrichtsin den Fachrichtungen Information und Dokumentation,Bildagentur und medizinische Dokumentation. Kritisiertwird auch die fehlende Effektivität des russischen Sprach-unterrichts, da dabei die unterschiedliche Vorbildung derAuszubildenden berücksichtigt werden müsse. Negativempfunden wird ferner die mangelhafte technische Aus-stattung des Fachangestelltenbereichs in der Berufsschule.

Abschließend skizzierte Hein die Lehrersituation sowieden Kontakt zwischen Berufsschule und Ausbildern, derdurchaus noch intensiviert werden könne. Wenngleichman in den Fachrichtungen Archiv und Bibliothek nachanfänglichen Startschwierigkeiten mittlerweile auf einemguten Weg sei, müsse die bisher fehlende Ausbildung inden weiteren Fachrichtungen kritisch angemerkt werden.Bis heute sei es nicht gelungen, dem RegionalschulamtLeipzig die Zustimmung zur Anstellung entsprechenderLehrkräfte aus den Bereichen Bildagentur, Information undDokumentation sowie medizinischer Dokumentationabzuringen.

Im letzten Beispiel wurde von Michael Ciuberski vomKreis- und Verwaltungsarchiv Oberhavel die Sicht einesehemaligen FAMI-Auszubildenden auf die schulische Aus-bildung zum Fachangestellten für Medien und Informati-onsdienste in Berlin/Brandenburg vorgetragen. Auch inBerlin/Brandenburg erfolgt die Ausbildung im dualenSystem, so dass Berufsschule und Ausbildungsbetrieb miteinem gemeinsamen Bildungsauftrag in der Verantwor-tung stehen. Die interne wie externe Kommunikation zwi-schen Auszubildenden, Ausbildungsstellen und Lehrernfindet über eine Mailingliste statt, dem „FaMI-Portal“, das2001 initiiert wurde und seitdem über die Homepage derBerliner Berufsschule (www.osznbueroverw.de) erreichbarist. Dieses Austauschforum informiert über aktuelle Stel-lenausschreibungen, über Stundenplanänderungen für

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1 23

Berufsschülerinnen und Berufsschüler sowie allgemeinüber die FAMI-Ausbildung in Berlin/Brandenburg. Der-zeit enthält das „FAMI-Portal“ ca. 1.630 Beiträge.

Seit 1998 findet die schulische Ausbildung für die Berli-ner FAMIS am Oberstufenzentrum (OSZ) Bürowirtschaftund Verwaltung in Berlin/Lichterfelde Süd statt. Im Jahre2000 sind auch die brandenburgischen FAMIs hinzuge-kommen, die bis dahin ihre schulische Ausbildung an derthüringischen Bibliotheksschule Sondershausen absolvier-ten. Das Übergewicht bei den FAMI-Auszubildenden stelltdie Fachrichtung Bibliothek mit 80 %, die restlichen 20 %teilen sich die anderen vier Fachrichtungen. Die FAMIs amOSZ werden regelmäßig im Blockunterricht in vier Schul-blöcken pro Ausbildungsjahr von je drei Wochen Dauerunterrichtet. Seit zwei Jahren gibt es zusätzlich einige Klas-sen im Teilzeitunterricht im Zwei-Tage-Berufsschulrhyth-mus.

Für den berufsbezogenen Unterricht am OSZ stehendrei Fachräume mit EDV-Ausstattung zur Verfügung, diemit Computern, Flachbildschirmen, Laserdruckern undBeamern ausgestattet seien. In der Regel beschult das OSZdie FAMI-Berufsschüler in drei Parallelklassen mit jeweilsetwa 30 Schülerinnen und Schüler. Pro Jahrgang sind etwa80-90 Berufsschüler vor Ort. Etwa 60 % eines Jahrgangssind Abiturienten. Der berufsspezifische Unterricht imFach „Medien und Informationsdienste“ wird seit 2004 inder Fachrichtung Archiv durch einen gelernten Archivarbeim Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft,Dirk Ullmann, sichergestellt. Dadurch kann nun auchPaläographie, systematische Aktenkunde, römische Zahl-zeichen, Schriftgutverwaltung und Verwaltungsgeschich-te unterrichtet werden.

Der Berufsschulunterricht umfasst die Fächer „Medienund Informationsdienste“ (12 WStd. im Blockunterricht),Service und Beratung (6 WStd.), Wirtschaftslehre (6 WStd.),Sozialkunde (4 WStd.), im ersten und zweiten LehrjahrEnglisch (6 WStd.) und im dritten Lehrjahr Deutsch(6 WStd.). Insgesamt erstreckt sich die schulische Ausbil-dung über 13 Lernfelder. Jedes Lernfeld schließt mit einerKlausur ab, ergänzt durch Tests sowie dem Nachweis dermündlichen Leistungsfähigkeit. Der Praxisbezug wirddurch Exkursionen hergestellt, u. a. zum Bundesarchiv inBerlin, zum Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesell-schaft in Dahlem, zum Jüdischen Museum in Berlin, zurBundeszentrale für Stasi-Unterlagen in Berlin sowie zuverschiedenen Bibliotheken in Berlin/Brandenburg undzur Leipziger Buchmesse.

Bis zur Zwischenprüfung werden in den ersten beidenAusbildungsjahren im Fach Medien und Informations-dienste alle fünf Fachrichtungen berücksichtigt, wobei einegewisse „Bibliothekslastigkeit“ nicht von der Hand zu wei-sen ist.

Eine besondere Stärke des Berufsschulunterrichts liegtin der Projektarbeit, die als Gruppenarbeit in Form vonKleingruppen in der Größe von drei bis vier Personen statt-findet. In der Regel wird jedes Projekt nach anderthalbWochen mit einer Abschlusspräsentation beendet. Mit demProjekt „Machen Sie ihren Beruf auf dem 75. DeutschenArchivtag bekannt“ ist die Schule auf der Fachmesse Archi-vistica mit einem eigenem Stand und selbst erstellten Wer-bungsmaterialien aufgetreten. Dieses Projekt ist ein vollerErfolg gewesen, an dem es für dieses Jahr anzuknüpfengalt. Die positive Resonanz und der Zuspruch zu diesemProjekt ist im Archivar, Heft 1/2006 und im BUB, Heft2/2006 sowie auf der Webseite des OSZ nachlesen(www.oszbueroverw.de/FaMi_75/index.htm).

Ciuberski ging auf das diesjährige Projekt „Schulungund Führung“ explizit ein und stellte ein Marketing-Pro-jekt für das dritte Ausbildungsjahr vor. FAMIs sollen imRahmen dieses Projektes Marketingstrategien und -instru-mente bereits während der Ausbildung in der Öffentlich-keitsarbeit anwenden. Vor dem Hintergrund dieser FAMI-Aktivitäten sei zu konstatieren, dass der FAMI nicht nurein typischer Archiv- bzw. Bibliotheksassistent des mittle-ren Dienstes sei, sondern durchaus auch Tätigkeiten einesMediengestalters und Veranstaltungskaufmanns wahrneh-men könne.

Zur Bandbreite von Tätigkeiten und Einsatzmöglichkei-ten der FAMIs wies Dr. Hans-Holger Paul darauf hin, dasssich am 13. September 2006 im VdA Arbeitskreis „Berufs-bild“ der Unterarbeitskreis „Tarif und Berufsbild“ konsti-tuiert habe, in dem u. a. auch die Frage der Eingruppierungder FAMIs thematisiert und mögliche Tätigkeitsmerkmaleder FAMIs, die sich in der Praxis ergäben, auf ihre tarifli-che Vergütung hin bzw. ihre Eckeingruppierung in der Ent-geltgruppe 5 des neuen TV öD überprüft würden.

Abschließend resümierte die Sitzungsleiterin Keller-Kühne den Verlauf der Veranstaltung und hob hervor, dasses auch künftig wichtig sei, über die von Bundesland zuBundesland sehr unterschiedlichen Verfahrensweisen inder beruflichen FAMI-Schulausbildung zu informieren.Der Verlauf dieser Veranstaltung habe gezeigt, dass man inder dualen FAMI-Ausbildung seit 1998 ein gutes Stückweitergekommen sei und sich die Ausbildung als solcheauf der Grundlage der guten Zusammenarbeit zwischenBerufsschulen und Ausbilderinnen/Ausbildern zuneh-mend professionalisiert habe.

Bonn Harry Scholz

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1. Entstehung

Als die Arbeit am DOMEA®-Konzept vor nunmehr zehnJahren begann, war nicht unbedingt zu erwarten, dass essich zu einem Quasi-Standard für Dokumentenmanage-mentsysteme in ganz Deutschland entwickeln würde. Zieldes 1996 von der Koordinierungs- und Beratungsstelle derBundesregierung für Informationstechnik in der Bundes-verwaltung (KBSt) gestarteten Projekts DOMEA® war eszunächst „nur“, nach dem „Einer-für-alle-Prinzip“ für alleBundesbehörden ein IT-System bereit zu stellen, das denDokumentenaustausch und die Vorgangsbearbeitung auchüber große Distanzen ermöglichte.1 Hintergrund war dasim April 1994 in Kraft getretene Berlin-Bonn-Gesetz, in des-sen Folge Parlament und Teile der Regierung nach Berlinumzogen, andere in der ehemaligen Bundeshauptstadtverblieben bzw. dorthin verlegt wurden.

Das Akronym „DOMEA“ stand damals wie heute für„Dokumentenmanagement und elektronische Archivie-rung im IT-gestützten Geschäftsgang“2 und bezeichnetezunächst ein so genanntes Organisationskonzept, dasdetaillierte Standards für den Geschäftsgang in einer elek-tronischen Umgebung definierte, sowie einen darauf basie-renden Anforderungskatalog, der 440 funktionale Anfor-derungen an ein Dokumentenmanagementsystem festleg-te. Unter Beteiligung des Bundesarchivs wurde das Orga-nisationskonzept nach der Pilotierung eines Softwarepro-dukts um ein Konzept zur Aussonderung und Archivie-rung elektronischer Akten ergänzt.

Die organisatorischen und technologischen Veränderun-gen, die sich seit 1996 eingestellt hatten, machten jedocheine Überarbeitung dieses Quasi-Standards erforderlich.Zunächst galt es, das DOMEA®-Konzept an die neue„Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien(GGO)“ und an die neue „Registraturrichtlinie für dasBearbeiten und Verwalten von Schriftgut in Bundesmini-sterien“ anzupassen, die 2000 und 2001 im Rahmen derInitiative der Bundesregierung „Moderner Staat, ModerneVerwaltung“ erlassen worden waren. Beide regeln auf derGrundlage der herkömmlichen papierbasierten Schriftgut-verwaltung auch den Umgang mit elektronischen Unterla-gen und halten gleichzeitig den „weiteren Entwicklungs-prozess in der IT-gestützten Vorgangsbearbeitung offen“3.Anpassungsbedarf entstand außerdem dadurch, dass dieEinführung der IT-gestützten Vorgangsbearbeitung durch

die E-Government-Initiative „BundOnline 2005“ an Fahrtgewann. Bereits 2003 hatten sich Bund, Länder undGemeinden auf die gemeinsame Strategie „Deutschlandonline“ verständigt, in der sie übereinstimmend eine inte-grierte E-Government-Infrastruktur in Deutschland anstre-ben. Da die Serviceleistungen für Bürger und Wirtschaftnur dann verbessert werden können, wenn die Kooperati-on in und zwischen den Behörden verbessert wird, stelltdie IT-gestützte Vorgangsbearbeitung eine wesentlicheKomponente im Rahmen dieser E-Government-Initiativendar. Es lag also nicht nur aus diesem Grund nahe, auch ineiner Neuauflage des DOMEA®-Konzepts die Anforderun-gen der Länder und Kommunen stärker zu berücksichti-gen.

2. Aufbau, Ziele und Inhalt

Der erste Entwurf von DOMEA® 2.0 wurde von der KBSt2003 auf ihrer Website veröffentlicht und konnte dort vonder Fachwelt diskutiert und kommentiert werden. Im Sep-tember 2004 erschien dann die Endfassung; mittlerweile istbereits die Version 2.1 verfügbar.4 Das neue DOMEA®-Kon-zept besteht insgesamt aus drei Teilen5: dem Organisations-konzept mit seinen Anhängen und Erweiterungsmodulen,dem Anforderungskatalog und einem Zertifizierungsver-fahren.

Das DOMEA®-Konzept6

Wesentliches Ziel des DOMEA®-Konzepts ist es, die elek-tronische Vorgangsbearbeitung und damit die elektroni-sche Akte einzuführen, um ein Bindeglied zwischen inter-netfähigen Dienstleistungen und den erforderlichen behör-deninternen Prozessen herzustellen. Ausgehend von derPrämisse, dass es sich bei der Einführung eines Vorgangs-bearbeitungssystems in erster Linie um eine organisatori-

1 Vgl. hierzu Andreas Engel, Andrea Kern: Die elektronische Akte alsZiel der IT-gestützten Vorgangsbearbeitung. Erfahrungen aus dem Pro-jekt DOMEA (Dokumentenmanagement und elektronische Archivie-rung im IT-gestützten Geschäftsgang), in: Archivierung elektronischerUnterlagen (Werkhefte der staatlichen Archivverwaltung Baden Würt-temberg, Serie A, H. 13), hrsg. v. Udo Schäfer und Nicole Bickhoff,Stuttgart 1999, S. 67-78.

2 Nicht zu verwechseln mit dem Softwareprodukt Domea, einem einge-tragenen Warenzeichen der Firma Open Text.

3 Richtlinie für das Bearbeiten und Verwalten von Schriftgut (Akten undDokumenten) in Bundesministerien (RegR), hrsg. vom Bundesministe-rium des Innern, Berlin 2001, S. 4.

4 DOMEA®-Konzept. Organisationskonzept 2.1 Dokumentenmanage-ment und elektronische Archivierung im IT-gestützten Geschäftsgang(Schriftenreihe der KBSt Bd. 61), Berlin 2005.

5 Kostenloser Download über www.kbst.bund.de.6 Ebd., S. 17.

Das DOMEA®-Konzept – eine Zwischenbilanz aus archivischer SichtVon Andrea Hänger und Andrea Wettmann

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1 25

sche und nicht um eine technische Aufgabe handelt, stehtdas Organisationskonzept im Zentrum des DOMEA®-Kon-zepts. Mit den „Grundprinzipien des Verwaltungshan-delns“ definiert es in einem ersten Schritt ausführlich denrechtlichen und organisatorischen Rahmen für die Einfüh-rung eines elektronischen Dokumentenmanagementsy-stems. Im zweiten Schritt behandelt es ausführlich denelektronischen Geschäftsgang, setzt sich mit den Proble-men auseinander, die sich aus der Parallelität der papier-basierten und der elektronischen Aktenführung ergeben,und gibt Empfehlungen für organisatorische und techni-sche Lösungen dieser Probleme.

Die Konzentration auf den Geschäftsgang und dieUnterscheidung zwischen unstrukturierten Prozessen, diehauptsächlich in Behörden mit strategischen Aufgabenauftreten, und strukturierten Prozessen, die vor allem inBehörden mit gesetzausführenden Aufgaben vorkommen,markiert den wesentlichen Unterschied zum Organisati-onskonzept der neunziger Jahre. Der Standardgeschäfts-gang wird im DOMEA®-Organisationskonzept vom Ein-gang über die Bearbeitung und den Ausgang bis zur Abla-ge und Archivierung beschrieben. Für alle diese Schritte imGeschäftsgang werden der Ist-Zustand dargestellt, diedabei auftretenden Probleme analysiert und anschließendorganisatorische Lösungsansätze und technische Umset-zungsmöglichkeiten dargestellt.

Obwohl Gegenstand eines eigenen Erweiterungsmo-duls, behandelt auch das Organisationskonzept die Aus-sonderung und Archivierung elektronischer Akten. Esunterscheidet den Begriff „Archiv“ im Sinne der Archivge-setze von der technischen Verwendung des Begriffs undbezeichnet den Aussonderungsprozess als einen integralenBestandteil des Lebenszyklus’ einer elektronischen Akte.Das Aussonderungsverfahren wird unter Nutzung stan-dardisierter Datensätze (XML) dargestellt und die entspre-chenden Varianten und Möglichkeiten werden hierzu auf-gezeigt.

Das Organisationskonzept beschränkt sich jedoch nichtauf die Beschreibung des Geschäftsgangs, sondern ent-wickelt auch verschiedene und gegenüber der Version 1.2aktualisierte Einführungsstrategien. Zusätzlich zu demüblichen Schritt-für-Schritt-Szenario werden in DOMEA®

2.0 mit der organisationsbezogenen und der prozessbezo-genen Einführung auch zwei weitere Alternativen angebo-ten und ihre Vor- und Nachteile abgewogen. Ein verständ-liches Glossar und ein Anhang mit den wesentlichen Aus-sagen des ersten DOMEA®-Konzepts schließen das Orga-nisationskonzept ab.

Die inzwischen elf Erweiterungsmodule ergänzen undvertiefen das Organisationskonzept. Sie befassen sichsowohl mit organisatorischen Fragestellungen als auch mittechnischen Problemen, deren Beschreibung den Rahmendes Organisationskonzepts sprengen würde. Auf der Web-seite der KBSt stehen derzeit folgende Module zum kosten-losen Download bereit (Stand November 2006):– Virtuelle Poststelle und Vorgangsbearbeitungssysteme– Fachverfahrensintegration– Scan-Prozesse– Inner- und Interbehördliche Kommunikation– Aussonderung und Archivierung elektronischer Akten– Technische Aspekte der Archivierung elektronischer

Akten7

– Formularmanagement und IT-gestützte Vorgangsbear-beitung

– Contentmanagement- und Vorgangsbearbeitungssyste-me

– Zahlungsverkehrsplattform und Vorgangsbearbeitungs-systeme

– Datenschutz in IT-gestützten Vorgangsbearbeitungssys-temen

– Projektleitfaden zur Einführung der IT-gestützten Vor-gangsbearbeitung

3. Das Aussonderungskonzept

Aus archivischer Sicht ist ohne Zweifel das Aussonde-rungskonzept das wichtigste der genannten Erweiterungs-module.8 Es basiert auf den Grundsätzen der Empfehlun-gen von 1998, wurde 2004 von einer Gruppe von Archiva-ren unter Federführung des Bundesarchivs in Zusammen-arbeit mit der KBSt jedoch grundlegend überarbeitet.9 Esempfiehlt einen Aussonderungsprozess, der die Langzeit-speicherung und Archivierung vollständiger, authenti-scher Akten sicherstellt und das Bewertungs- und Über-nahmeverfahren unterstützt und rationalisiert.10 Um diessicher zu stellen, darf die Aussonderung nicht erst am Endedes Lebenszyklus einer elektronischen Akte in den Blickgenommen werden, sondern ist als integraler Bestandteildieses Lebenszyklus zu betrachten. Die Aussonderungsan-forderungen sind also von der Anlage einer Akte bis zurAbgabe an das zuständige Archiv zu berücksichtigen. DieMetadaten spielen dabei eine entscheidende Rolle.11

Lebenszyklus der elektronischen Akte12

7 Der Begriff „Archivierung“ wird hier im Sinne von „Langzeitspeiche-rung“ verwendet, nicht im Sinne der Archivgesetze.

8 DOMEA®-Konzept – Organisationskonzept 2.0 – ErweitungsmodulAussonderung und Archivierung elektronischer Akten (Schriftenreiheder KBSt Bd. 66), Berlin 2004.

9 An der Überarbeitung beteiligte Archivare waren Andrea Hänger(Bundesarchiv), Margit Ksoll-Marcon (Generaldirektion der Bayeri-schen Archive), Anette Meiburg (Bundesarchiv), Christoph Popp(Stadtarchiv Mannheim), Angela Ullmann (Parlamentsarchiv desDeutschen Bundestages), Michael Wettengel (Stadtarchiv Ulm),Andrea Wettmann (Sächsisches Staatsministerium des Innern, ReferatArchivwesen).

10 Vgl. hierzu ausführlicher das DOMEA®-Organisationskonzept (wieAnm. 4), S. 78.

11 Vgl. hierzu auch Andrea Hänger, Electronic Records ManagementMetadata. The Domea-Concept in Germany, in: Frank Bischoff, HansHofmann, Seamus Ross (Hrsg.), Metadata in Preservation. SelectedPapers from an ERPANET Seminar at the Archives School Marburg,3-5 September 2003 (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 40),Marburg 2004, S. 169-183.

12 DOMEA®-Aussonderungskonzept (wie Anm. 7), S. 18.

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Das DOMEA®-Konzept geht standardmäßig von einerdreistufigen Gliederung des Schriftgutes in Dokumente,Vorgänge und Akten aus. Die Dokumente sind die Trägerder Primärinformation. In elektronischen Vorgängen wer-den die Dokumente zusammengefasst, die während einesBearbeitungsprozesses oder einer Transaktion entstehen.Vorgänge sind also – aus der Prozesssicht betrachtet – dasErgebnis einzelner Bearbeitungsschritte. Die elektroni-schen Vorgänge enthalten folglich alle bearbeitungsrele-vanten Kontextinformationen. Die Dokumente und Vor-gänge sind wiederum Bestandteile einer Akte. Jede Aktehat ihren eigenen individuellen Titel und steht in Bezie-hung zu einer Position im Aktenplan. Da elektronischeAkten die Eigenschaft besitzen, nie abgeschlossen zu wer-den, werden elektronische Vorgänge, die für die laufendeArbeit nicht mehr benötigt werden, ausgewählt, zu Akten-schnitten zusammengefasst und dem zuständigen Archivzur Bewertung angeboten. Ein ordnungsgemäßer undautomatischer Aussonderungsprozess setzt voraus, dassdie Metadaten auf jeder Ebene dieser Objekthierarchie undin jeder Phase des Lebenszyklus gesetzt werden. Die wich-tigsten Metadaten sind die Aufbewahrungsfrist, die Trans-ferfrist und die Aussonderungsart. Sie müssen bereits zumZeitpunkt der Anlage eines Dokuments, eines Vorgangsoder einer Akte vergeben werden.

Die Aufbewahrungsfrist bezeichnet die Phase, in der dieAkte von der aktenführenden Stelle in der „lebenden“Registratur und anschließend in der Altregistratur aufbe-wahrt werden muss. Die Dauer der Aufbewahrungsfristenwird in der Regel durch Gesetze oder Verwaltungsvor-schriften definiert. Da Aufbewahrungsfristen relativ langsein können, muss die aktenführende Stelle sicherstellen,dass die Konversion in ein archivfähiges Datenformatstattfindet, sobald ein Vorgang durch eine zdA-Verfügunggeschlossen wird. Die Transferfrist beschreibt die Zeit,während der ein Vorgang in der laufenden Registratur, alsodem Datenspeicher des Vorgangsbearbeitungssystemsbleibt. Die vorgegebene Transferfrist steuert automatischdie Konversion in ein archivfähiges Format und dieErneuerung elektronischer Signaturen. Darüber hinauswird in dieser Phase sichergestellt, dass die geschlossenenVorgänge auf revisionssichere Speichermedien übertragenwerden. Die Aussonderungsart wird vom zuständigenArchiv festgelegt und basiert auf einer archivischen Bewer-tungsentscheidung. Vor der Aussonderung entscheidet daszuständige Archiv über die Archivwürdigkeit der elektro-nischen Akten und legt das Ergebnis in einem Bewertungs-katalog fest. Um den Bewertungskatalog erstellen undregelmäßig aktualisieren zu können, benötigt das zustän-dige Archiv begrenzten Zugang zum Vorgangsbearbei-tungssystem der aktenführenden Stelle. Auf der Aktenebe-ne werden die Unterlagen entweder als „archivwürdig“,„zu vernichten“ oder – wenn die Bewertungsentscheidungnicht im Voraus getroffen werden kann – „zu bewerten“gekennzeichnet. Diese Information wird nach unten aufalle Vorgänge und Dokumente vererbt, die innerhalb die-ser Akte entstanden sind.

Auf der Basis dieser Metadaten kann der Aussonde-rungsprozess weitgehend automatisch erfolgen. DasDOMEA®-Aussonderungskonzept empfiehlt ein zweistu-figes Aussonderungsverfahren. Nachdem das Archiv einenBewertungskatalog übergeben hat, selektiert die aktenfüh-rende Stelle diejenigen Vorgänge, deren Aufbewahrungs-

frist abgelaufen ist. Nur die archivwürdigen Vorgänge unddie zu bewertenden Vorgänge werden dem Archiv überge-ben. Ein vierstufiges Aussonderungsverfahren, in dem diearchivische Bewertung durch die Übermittlung von Anbie-tungsverzeichnissen unterstützt wird, und ein insbesonde-re in Kommunen praktiziertes einheitliches elektronischesZwischenarchivverfahren werden im Aussonderungskon-zept ebenfalls dargestellt.

Die für die Steuerung dieser Prozesse erforderlichenMetadaten werden im DOMEA®-Aussonderungskonzeptin einem Katalog definiert, der auf XDOMEA, einem vomKoopA ADV13 entwickelten XML-Schema zum Austauschvon Dokumenten, Vorgängen und Akten basiert. Er istebenfalls kompatibel mit XJustiz, einem XML-Austausch-format für Fallakten der Gerichte und Staatsanwaltschaf-ten.14 Der Metadatenkatalog des im Januar 2005 veröffent-lichten DOMEA®-Aussonderungskonzepts weicht vonXDOMEA jedoch insofern ab, als er neben den Metadatenfür den Austausch von Akten, Vorgängen und Dokumen-ten auch solche zur Anbietung und Abgabe der Akten bzw.Vorgänge und zum Transfer des Aktenplans definiert. Dadie genannten Anforderungen Teil des Anforderungskata-logs und damit des Zertifizierungsverfahrens sind, erfül-len DOMEA®-zertifizierte Vorgangsbearbeitungssystemeheute zumindest die wichtigsten archivischen Anforderun-gen.

4. Das Zertifizierungsverfahren

Die Tatsache, dass sich das DOMEA®-Konzept zu einemQuasi-Standard für Vorgangsbearbeitungssysteme inDeutschland entwickelt hat, ist ganz wesentlich auf dasZertifizierungsverfahren auf der Grundlage des Anforde-rungskatalogs zurückzuführen. Für Behörden und Softwa-rehersteller übersetzt der Anforderungskatalog die imOrganisationskonzept und seinen Erweiterungsmodulendefinierten Anforderungen in technische Spezifikationen.Darüber hinaus berücksichtigt das DOMEA®-KonzeptAnforderungen, die in anderen nationalen und internatio-nalen Quellen definiert werden, wie z. B. in SAGA (Stan-dards und Architekturen in E-Government Anwendun-gen), der die empfohlenen technischen Voraussetzungenfür die Entwicklung, Kommunikation und Interaktion derIT-Systeme der Bundesbehörden beschreibt, im E-Govern-ment-Handbuch des Bundesamtes für die Sicherheit in derInformationstechnik, das als Nachschlagewerk und zentra-ler Informationsmarkt für das Thema E-Government inDeutschland dient, ebenso wie MoReq, die Model Requi-

13 Der Kooperationsausschuss ADV (KoopA ADV), dem der Bund, dieLänder und die kommunalen Spitzenverbände angehören, ist ein Gre-mium, in dem gemeinsame Grundsätze des Einsatzes der Informations-und Kommunikationstechniken (IT) und wichtige IT-Vorhaben in deröffentlichen Verwaltung einvernehmlich abgestimmt werden.

14 Vgl. hierzu Andrea Hänger, Barbara Hoen, Margit Ksoll-Marcon,Andrea Wettmann, Aussonderung elektronischer Akten in Justiz undVerwaltung – ein Überblick über aktuelle Konzepte und Projekte, in:Digitale Archivierung. Wirtschaftlichkeit und pragmatische Lösungen.Beiträge zur 9. Jahrestagung des Arbeitskreises „Archivierung vonUnterlagen aus digitalen Systemen“ im Stadtarchiv Mannheim –Institut für Stadtgeschichte, hrsg. von Christoph Popp und HaraldStockert (Sonderveröffentlichung des Stadtarchivs Mannheim Nr. 31),Mannheim 2005, S. 97-116.

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1 27

rements for the Management of Electronic Records desDLM-Forums der Europäischen Union.

Softwarehersteller können die DOMEA®-Konformitätihrer Produkte im Rahmen des Zertifizierungsverfahrensunter Beweis stellen. Dieses auf dem Anforderungskatalogbasierende Zertifizierungsverfahren wird von unabhängi-gen Zertifizierungsstellen durchgeführt, die von der KBStautorisiert werden. Die Anforderungen sind in acht Haupt-gruppen unterteilt, von denen die Aussonderung undArchivierung elektronischer Akten eine darstellt. Um dasDOMEA®-Zertifikat zu erhalten, muss ein Vorgangsbear-beitungssystem mindestens 65 % der Anforderungen jederHauptgruppe erfüllen. Aus archivischer Sicht ist es vonzentraler Bedeutung, dass die Aussonderung und Archi-vierung elektronischer Unterlagen mit mindestens 110 von1000 Punkten gewertet wird. Dies stellt sicher, dass Vor-gangsbearbeitungssysteme die wesentlichen Anforderun-gen dieses Prozesses erfüllen. Das Zertifizierungsverfahrenersetzt nicht das Ausschreibungsverfahren, erlaubt denBehörden aber, die verschiedenen Vorgangsbearbeitungs-systeme miteinander zu vergleichen und den Anforde-rungskatalog um ihre eigenen Bedürfnisse zu ergänzen.

5. Erfahrungen in der Praxis

Erste Erfahrungen mit der Umsetzung des DOMEA®-Kon-zepts zeigen, dass die wichtigsten Aussonderungsfunktio-nalitäten in zertifizierten Vorgangsbearbeitungssystemenzumindest ansatzweise berücksichtigt sind, die Aussonde-rung und Archivierung bereits bei der Einführung solcherSysteme mitbedacht und die zuständigen Archive dadurchauch eher an der Einführung beteiligt werden. Sie machenjedoch auch deutlich, dass im Einzelfall noch zahlreicheRegelungen zwischen Archiven und Behörden zu treffensind, für die das Konzept entweder mehrere verschiedeneMöglichkeiten anbietet, oder die noch gar nicht konkretbeschrieben wurden. In verschiedenen Projekten zur Ein-führung elektronischer Vorgangsbearbeitungssysteme,u. a. in Bayern15, Sachsen16 und im Bund, werden die kon-zeptionellen Vorgaben derzeit auf ihre Praxistauglichkeitüberprüft und ggf. fortgeschrieben. Eine neue Version desAussonderungskonzepts, die diese Erfahrungen aufneh-men wird, ist daher schon für 2007 geplant.

Generell lässt sich feststellen, dass die explizit organisa-torische Ausrichtung des DOMEA®-Konzepts notwendigund richtig ist. Bei der Einführung der elektronischen Aktesind zunächst die bestehenden organisatorischen Problemezu beheben, bevor überhaupt technische Lösungen zumEinsatz kommen können. Denn die größte Umstellungliegt häufig nicht im Einsatz neuer Systeme, sondern in dernotwendigen (Wieder-)Einführung einer geschäftsord-

nungskonformen Bearbeitung und einer regelgerechtenSchriftgutverwaltung, deren Grundsätze in Vergessenheitgeraten sind.17 Eine Fragebogenaktion des Bundesarchivsim Sommer diesen Jahres zum Stand der Einführung elek-tronischer Vorgangsbearbeitung in der Bundesverwaltungzeigte, dass das DOMEA®-Organisationskonzept inzwi-schen zwar einen recht hohen Bekanntheitsgrad erreichthat und von den Behörden auch überwiegend als hilfreichbewertet wurde. Bei konkreten Fragen zur Aussonderungherrschte aber mehrheitlich Unkenntnis über die mögli-chen Verfahren.18

Das elektronische Aussonderungsverfahren ist bei denBehörden jedoch nicht nur zu wenig bekannt. Die akten-führenden Stellen legen für die Aussonderung aus elektro-nischen Vorgangsbearbeitungssystemen auch andere Maß-stäbe an als für die papierbasierten Verfahren. Ein Beispielist die mögliche Online-Einsichtnahme der Archive in dieelektronische Altregistratur. Diese Einsichtnahme ist not-wendig, um Bewertungskataloge fortschreiben zu können,und sie ist Vorbedingung für ein rationelles Aussonde-rungsverfahren. Viele Behörden haben hier jedoch Vorbe-halte, die sich nicht nur auf mögliche generelle Risikeneines externen Zugriffs auf die Vorgangsbearbeitungssyste-me beziehen. Sie stellen allgemein das Recht der Archivein Frage, in den Aktenbestand vor Ablauf der Aufbewah-rungsfristen Einblick zu nehmen. Dabei wird übersehen,dass dieses Recht in den meisten Archivgesetzen durch dieAufgabe der Beratung bei der Schriftgutverwaltung unddie Bewertungskompetenz der Archive verankert ist.

Ein offenes Problem war bisher, wie sichergestellt wer-den kann, dass elektronische Vorgänge mangels physischerBegrenzung zeitnah geschlossen werden und nicht für eineunbegrenzte Zeit im System verbleiben. Um den aktivenAktenbestand übersichtlich zu halten und die Aussonde-rung zu ermöglichen, sind Mechanismen wünschenswert,die den Bearbeiter in regelmäßigen Abständen auffordern,lange nicht bearbeitete Vorgänge zu schließen. Solche War-tungsautomatismen sollen zukünftig in die Systeme inte-griert werden.

Als bisher wenig praktikabel hat sich die Idee erwiesen,so genannte „Aktenschnitte“ auszusondern. Dieses Kon-strukt erscheint aus heutiger Sicht verzichtbar, da es aus-reicht, den auszusondernden Vorgängen die Metadatender zugehörigen Akte beizufügen. Im Archiv kann damiteine Zuordnung zu bereits abgegebenen Vorgängen dergleichen Akte erfolgen, ohne dass zusätzlich ein „Akten-schnitt“ verwaltet werden müsste. Außerdem ist festzustel-len, dass trotz der DOMEA®-Zertifizierung eine Umset-zung des zweistufigen Verfahrens bei einigen Systemennicht möglich ist, weil auf Aktenplanebene kein Feld exi-stiert, in das der Aussonderungsstatus eingetragen werdenkann.

Der wichtigste Nachtrag zum DOMEA®-Konzept, dersich zurzeit in der Erprobungsphase befindet, ist diegenaue Definition einer Aussonderungsschnittstelle. ImAussonderungskonzept ist bisher nur eine Aufzählungvon Metadaten enthalten, ohne dass für diese Daten eineSpezifikation vorgegeben ist. Damit Informationen ohneVerlust oder Fehlinterpretationen zwischen zwei Systemen

15 Vgl. Margit Ksoll-Marcon: ELDORA – Zur Einführung des Produkts„Fabasoft eGov-Suit + Bayern“ in Bayern, in: Planungen, Projekte, Per-spektiven. Zum Stand der Archivierung elektronischer Unterlagen.10. Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digi-talen Systemen“ 14. und 15. März 2006 in Düsseldorf (Veröffentlichun-gen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen 10), hrsg. v. Barbara Hoen,S. 23-27.

16 Vgl. Andrea Wettmann: Standards in der Praxis: Erfahrungen bei derEinführung eines Vorgangsbearbeitungssystems in Sachsen, in: ebd.,S. 39-48.

17 Vgl. hierzu Rainer Ullrich: Schriftgutverwaltung und elektronischeAkten: Ein unterschätzter Erfolgsfaktor, in: ebd., S. 29-37.

18 Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Fragebogenaktion findetsich unter www.bundesarchiv.de/service.

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übertragen und – z. B. in einer Behörde und in einemArchiv – automatisch weiterverarbeitet werden können,bedarf es jedoch einer Schnittstellenspezifikation, dieRegeln für den Austausch von Informationen (digitalenDaten) und für die Funktionen der Systeme beschreibt.

Wichtige Bestandteile für die Definition der Aussonde-rungsschnittstelle „XARCHIV“ sind bereits vorhanden.Wie bereits dargestellt wurde parallel zum Aussonde-rungskonzept vom KoopA ADV eine Datenaustausch-struktur für Akten, Vorgänge und Dokumente erarbeitet,die für den Austausch zwischen Behörden gedacht ist.Inzwischen haben die notwendigen Abstimmungen mitden für XDOMEA verantwortlichen Gremien stattgefun-den, und die XDOMEA-Beschreibung von Akten, Vorgän-gen und Dokumenten wurde so angeglichen, dass sie auchzur Aussonderung genutzt werden kann. XDOMEA wurdeaußerdem um ein Element „Geschäftsgang“ erweitert, mitdem zukünftig auch Laufwegsinformationen, Mitzeich-nungen und Verfügungen, d. h. die Protokollinformationenausgetauscht werden können. Doch für die Archivierungist XDOMEA nicht ausreichend, da über die Archivie-rungsschnittstelle nicht nur beschreibende Informationenüber den Inhalt ausgetauscht werden sollen, sondern dergesamte Prozess der Aussonderung gesteuert werdenmuss. Dazu gehören auch umfassende technische Informa-tionen über die ausgesonderten Daten. Mit XARCHIV kön-nen die nachfolgend aufgeführten Teilprozesse oder Funk-tionen modelliert werden. Die Zusendung– eines Aktenplanes (Behörde Archiv),– eines Bewertungskataloges (Archiv Behörde),– eines Anbieteverzeichnisses (Behörde Archiv),– eines Bewertungsverzeichnisses (Archiv Behörde),– einer Aussonderungsdatei (Behörde Archiv) sowie– einer Rückmeldung über die Archivierung der ausge-

sonderten Akten (Archiv Behörde).XARCHIV besteht aus fünf Unterelementen:– Administrative Daten– Aktenplan– Technische Daten– XDOMEA Daten– Platzhalter Datenstrukturen

Diese Struktur ermöglicht eine größtmögliche Flexibili-tät. So können nicht nur elektronische Akten aus Vorgangs-bearbeitungssystemen der Verwaltung ausgesondertwerden. Ersetzt man z. B. das Unterelement „XDOMEADaten“ durch Daten aus dem elektronischen Rechtsver-kehr, die in der Struktur XJustiz beschrieben werden, istauch die Aussonderung dieser Daten gewährleistet, ohnedass für XJustiz gesonderte Schnittstellen definiert werdenmüssten. Das Element „Administrative Daten“ beinhaltetorganisatorische Informationen, die bei jedem Datentrans-fer benötigt werden (z. B. den Namen der anbietenden Stel-le, die laufende Nummer der Abgabe etc.). Das Element„Aktenplan“ besteht aus den Unterelementen „Allgemei-ne Informationen“ (z. B. Bezeichnung, Geltungsbereichund Geltungsdauer des Aktenplans) und den Daten desAktenplanes selbst (z. B. Aktenplankennzeichen undAktenplanbetreffe). Es kann zur vereinfachten Erstellungund Übermittlung von Bewertungskatalogen genutzt wer-den, setzt aber XML-Exportschnittstellen für Aktenpläne inden Vorgangsbearbeitungssystemen voraus.

Von besonderer Bedeutung sind die technischen Daten.Das entsprechende Element in XARCHIV beinhaltet die

technische Beschreibung von Daten bzw. Objekten in einerAussonderungsdatei sowie die technische Beschreibungvon Dateiformaten. Die Struktur des Elements „TechnischeDaten“ entspricht dem internationalen MetadatenstandardPREMIS (Preservation Metadata Implementation Stan-dard), der zur Beschreibung der technischen Daten einesArchivobjekts entwickelt wurde.19 PREMIS unterscheidetzwischen Objekten, Ereignissen und „Agenten“. Ein Ereig-nis kann zum Beispiel eine Migration in ein langzeitstabi-les Format sein. Sie wird von einem bestimmten Programmausgeführt, das als „Agent“ beschrieben wird. Beim Objektselbst ist nur eine Referenz auf das entsprechende Ereig-nis, das wiederum auf den „Agenten“ verweist. So bleibtdie Bearbeitung und Veränderung des Objektes über dieZeit nachvollziehbar. Die Angaben können mehrfach refe-renziert werden, damit bei umfangreichen Aussonde-rungsdateien Daten nicht redundant angegeben werdenmüssen. Das Element „Technische Daten“ ist nicht nur fürden Datenaustausch vorgesehen, sondern auch für dieLangzeitspeicherung im Archiv. Dort können die Metada-ten bei jeder Veränderung des Objekts ergänzt werden, sodass jederzeit ein vollständiger Überblick über die Bearbei-tungsgeschichte eines Objektes vorliegt.

Erste Tests im Rahmen des Pilotprojektes DigitalesArchiv am Bundesarchiv haben gezeigt, dass für einenweitgehend automatisierten Prozess der Anbietung undÜbernahme elektronischer Akten noch weitere Festlegun-gen zwischen Behörden und Archiven getroffen werdenmüssen. Dazu gehört zum Beispiel die Festlegung einesoder mehrerer Profile für eine Behörde, in dem hinterlegtwird, wer berechtigt ist, Anbieteverzeichnisse und Ausson-derungsdateien zu übersenden, welches Schema hierfürgenutzt wird und welcher Übertragungsweg (mittels FileTransfer Protocol oder Datenträger) gewählt werden soll.

6. Zwischenbilanz und Ausblick

Die Entwicklung, die das DOMEA®-Konzept im Verlaufeder letzten zehn Jahre genommen hat, ist aus archivischerSicht zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte. WesentlicheVoraussetzungen für die Entstehung archivfähiger und dieErhaltung archivwürdiger elektronischer Akten sindgeschaffen. Die Hersteller von Vorgangsbearbeitungssyste-men, die eine Zertifizierung anstreben, sind bemüht, ent-sprechende Funktionalitäten zur Verfügung zu stellen,weil mit dem neuen Zertifizierungsverfahren zumindestGrundfunktionalitäten der Aussonderung berücksichtigtsein müssen. Das Thema Aussonderung nimmt imDOMEA®-Organisationskonzept 2.1 einen breiten Raumein und wird im Erweiterungsmodul vertieft. Es ist damitfest im „Lebenszyklus“ elektronischer Akten verankert.Behörden, die Vorgangsbearbeitungssysteme einführen,beteiligen die Archive dadurch in der Regel frühzeitigerund umfangreicher an ihren Projekten, als dies vor derÜberarbeitung des DOMEA®-Konzepts der Fall war.

19 Vgl. hierzu Karsten Huth, Elektronische Archivierung im Bundesarchiv– Die Suche nach einem geeigneten Metadatenschema, in: Planungen,Projekte, Perspektiven (wie Anm. 15), S. 93-104.

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Auf dem bisher Erreichten dürfen sich Archivarinnenund Archivare jedoch keineswegs ausruhen. Sie sind auchweiterhin aufgefordert, ihre Erfahrungen untereinanderauszutauschen, (archivische) Prozesse zu evaluieren undzu standardisieren und ihre Anforderungen gemeinsamgegenüber Systemherstellern und Zertifizierungsstellen zuartikulieren. Die Fortschreibung des Aussonderungskon-zepts hat wie gezeigt bereits begonnen und wird auch inden folgenden Jahren notwendig bleiben. Zu wenig kon-solidiert sind Prozesse und Strukturen der elektronischenAktenführung und Vorgangsbearbeitung, als dass inabsehbarer Zeit mit einem stabilen Standard zu rechnenwäre.

Nicht aus den Augen gelassen werden sollte dabei dieeuropäische Entwicklung. Im Januar 2007 beginnt die Fort-schreibung der bereits erwähnten Model Requirements forthe Management of Electronic Records; MoReq II sollbereits Anfang 2008 vorliegen. Geplant ist vor allem aucheine europaweit einheitliche MoReq-Zertifizierung vonVorgangsbearbeitungssystemen. Es ist nicht unwahr-scheinlich, dass MoReq mittelfristig an die Stelle vonDOMEA® treten wird. Um nicht hinter das mit DOMEA®

Erreichte zurückzufallen, ist daher eine starke Beteiligungdeutscher Archivare und Archivarinnen bei der Gestaltungvon MoReq II erforderlich.

Die gefühlte Misere in greifbaren Zahlen: Schriftgutverwaltung in der Freien undHansestadt Hamburg. Ausgangssituation – Standards – PerspektivenVon Julia Brüdegam, Hendrik Eder und Irmgard Mummenthey

Der vorliegende Beitrag beschreibt die Vorbereitung,Durchführung und Nachbereitung einer umfassendenBehördenumfrage in der Freien und Hansestadt Hamburg.Die Autorinnen und der Autor haben den Wunsch, dassdie praxisnahe Darstellung Kolleginnen und Kollegen inähnlicher Situation Anregungen bieten kann.

Vorgeschichte

Im Februar 2003 und Juli 2004 fanden im StaatsarchivHamburg Strategiegespräche statt, in welchen die Füh-rungskräfte des gehobenen und höheren Dienstes die kon-kreten Leistungsangebote des Staatsarchivs in einer sichverändernden Verwaltung diskutierten. Grundlage warendie Ergebnisse einer Zieldiskussion, bei der alle Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter des Staatsarchivs von November2001 bis Januar 2002 die Möglichkeit hatten, sich die Fragenach Prioritäten, moderneren Methoden und effizienterenVerfahren zu stellen und entsprechende Beiträge zu leisten:Das Staatsarchiv will in Zukunft in den Bereichen Schrift-gutverwaltung und Aussonderung seine Leistungengegenüber der Verwaltung besonders hervorheben undsich verstärkt als kompetenter Ansprechpartner anbieten.

Dies ist notwendig, weil– auch in Hamburg der Stellenwert einer geordneten

Schriftgutverwaltung in der Ausbildung zum Verwal-tungsangestellten bzw. -beamten nicht nachdrücklichvermittelt wird,

– häufige Umstrukturierungen der Verwaltung zu Auflö-sungen oder Zusammenlegung von Registraturen füh-ren,

– in bestimmten Bereichen eine zunehmende Dezentralisie-rung zu beobachten ist, die dem Einzelnen zwar besserenZugriff auf seine Akten ermöglicht, in seiner Gesamtheitdas Durcheinander im Aktenwesen aber erhöht,

– es dadurch häufig zu Schriftgutanbietungen kommt, dieunter Zeitdruck bewertet werden müssen,

– unbewertete Schriftgutablieferungen ins Magazin ge-langen und hier wertvolle Raumkapazität beanspruchen,

– die Zuwachsprognosen, die der Planung des Staatsar-chivs zugrunde gelegen haben, sich als zu optimistischherausstellen. Sie sind von zu geringen Quantitäten aus-gegangen, und die Berechnungsgrundlagen für denZuwachs von Archivgut beruhen bisher auf Vergangen-heitswerten, die linear in die Zukunft projiziert wordensind, sich aber nicht mehr halten lassen.Der Umfang der von den öffentlichen Stellen der Freien

und Hansestadt Hamburg produzierten Unterlagen inPapierform ist für das Staatsarchiv eine wichtige Planungs-grundlage. In den Strategiebesprechungen entschloss mansich also, diesen zunächst zu ermitteln. Das Problem: Per-sonal stand für diese umfangreiche Aufgabe eigentlichnicht zur Verfügung.

Die Lösung: Das Staatsarchiv beteiligt sich seit jeher ander praktischen Ausbildung des mittleren und gehobenenallgemeinen Verwaltungsdienstes. Die Nachwuchskräftezeichnen sich erfahrungsgemäß durch ein hohes Engage-ment aus und bringen aus der Verwaltungsschule bzw. derFachhochschule für Öffentliche Verwaltung (jetzt: Hoch-schule für Angewandte Wissenschaften, DepartmentPublic Management) gutes Rüstzeug mit. Für den gehobe-nen Dienst sind dies vor allem die Kenntnisse in derBetriebswirtschaftslehre und Informationstechnologie. Ausdem Vorhaben – Ermittlung des Umfanges – wurde dasAusbildungsprojekt „Schriftgutverwaltung in der Freienund Hansestadt Hamburg. Ausgangssituation, Standardsund Perspektiven“. Vom 1. Oktober 2004 bis zum 30. Sep-tember 2005 absolvierten Nachwuchskräfte des gehobenenDienstes nacheinander ihre Praxissemester im Staatsarchivund trieben das Projekt voran.1

1 Dank gilt den damaligen Nachwuchskräften im gehobenen allgemeinenVerwaltungsdienst, die ihr 3. bzw. 6. Semester im Staatsarchiv absolvier-ten: Torsten Lagerpusch, Cindy Schwarz, Alexey Storojew und DirkWildermann. Drei Beschäftigte des gehobenen Dienstes haben dasProjekt als Ausbildende begleitet: Danny Borchert (jetzt StadtarchivLüneburg), Hendrik Eder und Irmgard Mummenthey. Die Federfüh-rung hat jetzt das Referat Grundsatzangelegenheiten des Archivwesensund des Kulturgutschutzes (Leitung: Mummenthey), zu dem seit dem1. Oktober 2005 auch Julia Brüdegam gehört. Dieses Referat gab es zuBeginn des Projektes in dieser Form und Ausstattung noch nicht. DasReferat Bestandserhaltung (Leitung: Eder) ist unterstützend beteiligt.

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Aufbau der hamburgischen Verwaltung

An dieser Stelle ist zunächst eine Skizze des hamburgi-schen Verwaltungsaufbaus erforderlich, um eine bessereEinordnung der folgenden Informationen zu ermöglichen:Die Freie und Hansestadt Hamburg ist ein Stadtstaat, staat-liche und gemeindliche Tätigkeiten werden nicht getrennt.Es gibt zum einen das Senatskollegium und die beidenSenatsämter Senatskanzlei und Personalamt als unmittel-bare Assistenzeinheiten, neun Fachbehörden (vergleichbarmit den Ministerien in den Flächenländern) sowie siebenBezirksämter. Dort werden vor allem bürgernahe Aufga-ben wahrgenommen. Ferner gibt es Einrichtungen, die ausder Kernverwaltung ausgegliedert werden und sich erfah-rungsgemäß früher oder später auf den Weg zur juristi-schen Person des öffentlichen Rechts befinden: netto-ver-anschlagte Einrichtungen und Landesbetriebe mit eigenemWirtschaftsplan nach § 15 bzw. § 26 Landeshaushaltsord-nung (LHO). In diesem Beitrag werden alle vorgenanntenEinheiten unter dem Sammelbegriff „Behörden“ zusam-mengefasst.

In den Senatsämtern und Fachbehörden folgt die inne-re Organisation in der Regel dem Muster Amt – Abteilung– Referat – Sachgebiet. In den Bezirken herrscht die Eintei-lung in Dezernate – Ämter – Abteilungen vor. In den LHO-Einrichtungen gibt es unterschiedlichste Bezeichnungen.

Ist im folgenden Text von „Verwaltungsleitungen“ dieRede, so sind in der Regel die mittlere Führungsebene, soz. B. die Leitungen der für die allgemeine Verwaltungzuständigen Abteilungen bzw. in den Bezirken der Ämtergemeint. Werden „Amtsleitungen“ erwähnt, so sind dieLeitungen der Ämter in den Senatsämtern und Fachbehör-den, der Dezernate in den Bezirken sowie die Geschäfts-führungen der Landesbetriebe gemeint. Die nächst höhereStufe in der Hierarchie erreicht schon die politische Ebene:die Staatsräte als politische Beamte, die Senatsmitgliederals Präsides der Fachbehörden und die Bezirksamtsleiter,die von der Bezirksversammlung durch Wahl vorgeschla-gen und vom Senat bestellt werden.

Vorbereitungen

Im Oktober 2004 begann eine Regierungsinspektor-Anwär-terin mit der Arbeit an einem Leitfaden zum Projektvorha-ben. Sie skizzierte darin zunächst die oben beschriebeneProblematik, entwarf einen Fragebogen und stellte denZeitplan auf, der für die folgenden Anwärter verbindlichwar. Mit Hilfe des Fragebogens sollte die Ausgangssitua-tion in den Behörden ermittelt werden.

Weil das Staatsarchiv weder ein vollständiges nochgenaues Bild sämtlicher ablieferungspflichtiger Stellen undderen Registraturen hatte, mussten die Nachwuchskräftezunächst aus den verschiedensten Quellen die abliefe-rungspflichtigen Stellen sowie die Verwaltungsleitungenermitteln. Sie haben in der Regel die Zuständigkeit fürSchriftgutverwaltung und führen die Aufsicht über dieRegistraturen. Das Projekt konnte also nur gelingen, wenndiesen Führungskräften von Anfang an die Sinnhaftigkeit

deutlich gemacht und eine gemeinsame Basis für die Vor-gehensweise gefunden wurde.

Das Team entschied Ende 2004, zunächst nur den Kern-bereich der Verwaltung zu berücksichtigen und z. B. Hoch-schulen, Schulen und Krankenhäuser auszuklammern. Siesollten zu einem späteren Zeitpunkt, im Herbst 2006, ein-bezogen werden. Die Gefahr war anderenfalls zu hoch, diezu erwartende Datenmenge nicht mehr bewältigen undauf das Ergebnis nicht angemessen reagieren zu können.2

Im Februar 2005 stellte das Team die Einzelheiten – Fra-gebogen, Zeitplan und Vorgehensweise - den Kolleginnenund Kollegen im Staatsarchiv vor. Anregungen der Kolle-ginnen und Kollegen, soweit sie dem Projektansatz ent-sprachen, wurden berücksichtigt und in den Fragebogeneingearbeitet. Der gerade „amtierende“ Regierungsinspek-tor-Anwärter bereitete diese Informationsveranstaltungmit vor und präsentierte zudem die Standards in derSchriftgutverwaltung, u. a. die DIN ISO 15489.

An dieser Stelle soll nicht verschwiegen werden, dass esim Staatsarchiv Bedenken gegen die Inhalte und dieDimension der Umfrage gab: So wurde trotz der skizzier-ten und nachstehend noch beschriebenen Herangehens-weise weiterhin befürchtet, dass die Behörden den Frage-bogen als ein Kontrollinstrument oder Kritik missverste-hen könnten. Zudem bestand angesichts der hohen Aufga-benverdichtung die Angst, Erwartungen an die Leistun-gen des Staatsarchivs zu wecken, denen man am Endenicht gewachsen wäre. Die Beteiligten konnten nur daraufhinweisen, dass das Projekt langfristig zur effizienterenGestaltung von Prozessen in den Behörden beitragen soll,was sich dann wiederum positiv auf das Staatsarchiv aus-wirken kann.

Erste Informationsveranstaltung im April 2005

Um also eine korrekte und gewissenhafte Beantwortungdes Fragebogens zu erreichen, lud das Staatsarchiv Ham-burg die Verwaltungsleitungen im April 2005 zu einer vor-bereitenden Informationsveranstaltung ein. Wieder lag eingroßer Teil der Vorbereitung in den Händen einer Nach-wuchskraft. Die Einladung ging gezielt auf die Schriftgut-verwaltung als Grundlage für transparentes und nachvoll-ziehbares Verwaltungshandeln ein. Jeglicher Hinweis auf„chaotische Ablieferungen“ und mögliche Gefahren für dieÜberlieferungsbildung wurde vermieden, stattdessenwurde darauf hingewiesen, dass sich eine geordneteSchriftgutverwaltung auf sämtliche Geschäftsprozessequalitätssteigernd auswirkt und eine effiziente Verwen-dung der Ressourcen unterstützt. Die Einladung beruftsich dabei auf das Hamburgische Archivgesetz3 und bietetUnterstützung bei der Optimierung der Schriftgutverwal-tung in den Behörden an.

2 Die Gerichte fanden bereits bei der ersten Behördenumfrage Berücksich-tigung. Die Justizbehörde hat die Stellungnahmen der Gerichte ohnevorherige Absprache mit dem Staatsarchiv koordiniert und die Ergeb-nisse zusammengefasst, so dass sich die Situation in den Gerichten nicht– wie beabsichtigt – genau analysieren lässt. Bei der Auswertung fan-den sie deshalb zunächst in der Rubrik „Fachbehörden“ Berücksichti-gung. Ansprechpartner in den Gerichten sind jeweils die Geschäftslei-tungen. Das Staatsarchiv wird hierzu im Laufe des Jahres 2006 noch mitder Justizbehörde das Gespräch suchen.

3 § 1 Abs. 4: „Das Staatsarchiv berät (...) bei der Verwaltung und Siche-rung ihrer Unterlagen im Hinblick auf die Archivierung (...).“

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Entgegen mancher Befürchtungen war die Veranstal-tung gut besucht. Der Leiter des Staatsarchivs, Dr. UdoSchäfer, hob in seiner Begrüßung die Schriftgutverwal-tung als Führungsaufgabe hervor und machte die Anwe-senden mit dem Gedanken vertraut, dass das Staatsarchivden gesamten Lebenszyklus von Unterlagen begleitenmuss, um das dokumentarische Erbe sichern zu können.

Die Anwesenden diskutierten den Fragebogen sehr kon-struktiv. Das Team des Staatsarchivs sprach mit ihnenzudem das Verfahren und die Termine ab. Die Verwal-tungsleitungen übernahmen die Verteilung der Fragebö-gen auf die das Schriftgut verwaltenden Stellen in ihrenBehörden und koordinierten die Rückläufe.

Im Vorfeld hatte sich ein Regierungsinspektor-Anwär-ter detailliert mit dem Qualitätsmanagement auseinandergesetzt. Er übernahm nun die Rolle des Experten undinformierte – was vor allem die Vertreter der LHO-Einrich-tungen aufhorchen ließ – über Zertifizierungsverfahrenund die Möglichkeiten, die sich im Zusammenhang mitder noch nicht einzeln zertifizierungsfähigen DIN ISO15489 bieten.

Behörden und Staatsarchiv waren sich einig, dass dasZiel einer modernen und effizienten Schriftgutverwaltungnur erreicht werden kann, wenn der Stellenwert dieserAufgabe gehoben wird. Deshalb eröffnete das Team desStaatsarchivs am Ende der Informationsveranstaltung fol-gende Zielvorstellungen:– Mitarbeitende in den Registraturen sind als Fachleute

für Schriftgutverwaltung anerkannt und werden in ihrerTätigkeit gestärkt.

– Führungskräfte werden auch daran gemessen, welchenStellenwert die Schriftgutverwaltung in ihrer Organisa-tion einnimmt.Diese Aussagen wird das Staatsarchiv auch künftig bei

der Planung und Gestaltung der Folgemaßnahmen, diesich aus der Behördenumfrage ergeben, vor Augen behal-ten.

Fragebogen4

Der Fragebogen diente zunächst dem Zweck, im Hinblickauf das Magazinmanagement zu erfassen, was in dennächsten Jahren an archivreifen Unterlagen zu erwarten ist.Ende 2004 beschloss das Staatsarchiv auf Grund der ein-gangs geschilderten Wechselwirkungen, den Stand derSchriftgutverwaltung in seiner ganzen Breite zu erfassen.Der Fragebogen gliederte sich am Ende in 31 Einzelfragen,die sich auf neun verschiedene Bereiche verteilen:1. Art der Registratur: Zentralregistratur, dezentrale Regi-

stratur, Sachbearbeiterregistratur2. Art und den Inhalt der Unterlagen: Informationsträger,

Umfang der Schriftgutmenge3. Aktenordnung, Aktenplan, Aktenverzeichnis4. Aufbewahrungsfristen5. Zustand der Räumlichkeiten, Behältnisse und Unterla-

gen

6. Trennung von Registratur und Altregistratur7. Anbietungs- und Ablieferungsverfahren gegenüber

dem Staatsarchiv8. Elektronische Dokumentenverwaltung9. Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv.

Anfang Mai 2005 verschickten die Nachwuchskräfte 74Fragebögen samt Anlagen. Adressaten waren die Verwal-tungsleitungen. Der Fragebogen konnte entweder elektro-nisch ausgefüllt und zurückgeschickt oder per Hand aus-gefüllt werden (es gibt in der Tat noch Bereiche, in denennicht am PC gearbeitet wird). Die Anlagen bestanden ausdem Hamburgischen Archivgesetz, der Ablieferungsord-nung und einem Erläuterungsblatt für den Fragebogen.Die im Anschreiben vorgegebene Frist für die Beantwor-tung endete Ende Juni 2005. Die ersten Rückläufe gingenAnfang Juni beim Staatsarchiv ein, die letzten beantworte-ten Fragebögen erreichten erst Ende Dezember 2005 ihrZiel.

Auf Grund des abgesprochenen Verfahrens wurden dieFragebögen, wenn es mehrere Schriftgut verwaltende Stel-len gab, in den Behörden vervielfältigt. Anfang Juli 2005lagen deshalb schon 140 Fragebögen vor. Im September2005 waren es dann 243 Fragebögen und im Dezember2005 konnte die Umfrage mit 250 Fragebögen abgeschlos-sen werden.

Auswertung

Den Rücklauf von 250 Fragebögen mit jeweils max. 31 Ant-worten, die sich nicht nur auf simple Ja/ Nein- Antwortenbeschränkten, sondern auch komplexere Antworten bein-halteten, koordinierten die Anwärter mit Hilfe einer Excel-Tabelle. Die Übertragung der Angaben von den Fragebö-gen in die Tabelle war eine mühsame Fleißarbeit. Die auto-matisierten Funktionen der Tabellenkalkulation erleichter-ten die Auswertung der Ergebnisse. Zudem ließen sichsehr leicht anschauliche Diagramme für die Powerpoint-Präsentationen, die für die nächsten Informationsveran-staltungen benötigt wurden, erstellen. Die Excel-Tabelle istim Staatsarchiv von jedem Arbeitsplatz aus einsehbar, sodass die Kolleginnen und Kollegen bei der Vorbereitungauf Behördenbesuche darauf zurückgreifen können. Mel-deten die Behörden bei der Frage nach dem Zustand ihresSchriftgutes einen Wasserschaden oder Schimmelbefall,informierten die Anwärter sofort die Leiterin der Restau-rierungswerkstatt, die sich der Sache annahm.

Die Ergebnisse der Behördenumfrage belegen die bisher„gefühlte Misere“ mit Kennzahlen und lassen Problemfel-der genau erkennen: So gibt es vor allem in den Bezirks-ämtern und in den LHO-Einrichtungen einen deutlichenTrend zur dezentralen Registratur bzw. Sachbearbeiterre-gistratur. Die Frage, ob es eine Aktenordnung gibt, wurdevor allem in den Senatsämtern, Fachbehörden und auchin Bezirksämtern relativ häufig positiv beantwortet. Beiden LHO-Einrichtungen antworteten rund 50 % mit„nein“. Große Sorgen bereitet die Tatsache, dass weite Teileder Bezirke und LHO-Einrichtungen die Fragen nachAktenplan und Aktenverzeichnis jeweils negativ beant-worten. Es verwundert also nicht, wenn die Aktenführungin den hamburgischen Bezirksjugendämtern fast zeitgleich

4 Der Fragebogen, Materialien zu den einzelnen Informationsveranstal-tungen und die Auswertung können angefordert werden [email protected].

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zu unserem Projekt im Zusammenhang mit dem Auffindenverwahrloster Kinder presserelevant wurde.5

Bei der Frage nach den Aufbewahrungsfristen schnittenerneut die Bezirksämter sehr schlecht ab. Dies ist hochpro-blematisch, da dort – eben auf Grund der bürgernahenAufgaben – massenhaft personenbezogene Einzelfallaktenanfallen, die gesetzlichen Löschungspflichten unterliegen.Die übrigen Einrichtungen bestätigten zwar zum größtenTeil die Existenz von Aufbewahrungsfristen, nannten aberkaum die Dauer bzw. die Quellen hierfür. Hier besteht derVerdacht, dass die Kenntnis über die Aufbewahrungsfri-sten zwar vorhanden ist, sie aber auf Grund mündlicherÜberlieferung weitergegeben („Das haben wir schonimmer so gemacht.“) und nicht hinterfragt werden.

Das Hamburgische Archivgesetz und die Archivabliefe-rungsordnung erfreuen sich mit rund 62 % eines zufriedenstellenden Bekanntheitsgrades, der aber im deutlichenWiderspruch zum „Aussonderungsverhalten“ steht: Inden Bezirken und LHO-Einrichtungen wird zum überwie-genden Teil nicht regelmäßig ausgesondert. In den Senats-ämtern und Fachbehörden bestätigten immerhin 62 % derantwortenden Bereiche die regelmäßige Aussonderung.Bei diesen Zahlen ist zu bedenken, dass die Frage, ob bis-her eine Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv stattfand,von 53 % mit „nein“, von 15 % mit „keine Angabe“ und nurvon 32 % mit „ja“ beantwortet wurde.

Die Behörden meldeten rund 48.500 m Sachakten undrund 45.500 m Einzelfallakten, die sich noch in den Regi-straturen bzw. Altregistraturen befinden. Dagegen stehenrund 700 m Sachakten und 320 m Einzelfallakten, die ange-boten werden sollen. Dieses Missverhältnis erklärt sichdurch die Unsicherheiten, was Aufbewahrungsfristen undAussonderung angeht. In der hamburgischen Verwaltungbegegnet man zudem oft der Auffassung, dass in denBehörden zu entscheiden sei, was für das Staatsarchiv„wichtig“ sein könnte. In der Tat hat das Staatsarchiv in derVergangenheit schon einzelne Vermerke bekommen, dieaus Sachakten herausgenommen wurden – mit einer Kurz-mitteilung auf einem gelben Klebezettel.

Zweite und dritte Informationsveranstaltung

Die Teilnehmenden der ersten Informationsveranstaltungäußerten im April 2005 den ausdrücklichen Wunsch, dieErgebnisse selbst auch in aller Ausführlichkeit zu sehen. Inder Tat waren sie es, die die „ganze Arbeit“ mit dem Fra-gebogen hatten und noch haben werden, sollte man sichauf Konsequenzen verständigen.

Am 15. Dezember 2005 präsentierte das Team des Staats-archivs ihnen also die rund 50 aus der Excel-Tabelle gene-rierten Folien, in denen die Ergebnisse Frage für Frage undjeweils für Senatsämter/Fachbehörden, Bezirksämter undLHO-Einrichtungen getrennt aufbereitet sind.

Die Quintessenz der Ergebnisse wurden dem für dasStaatsarchiv zuständigen Staatsrat Dr. Detlef Gottschalckvorgestellt. Der Staatsrat lud daraufhin die Amtsleitungenzum 19. Januar 2006 ins Staatsarchiv ein – mit dem deutli-

chen Hinweis, dass Schriftgutverwaltung eine Manage-mentaufgabe sei. Dies unterstrich er noch einmal in seinerBegrüßung. Der Schwerpunkt in dieser Veranstaltung lagdemzufolge auf den Beiträgen von Dr. Andrea Hänger6,Bundesarchiv, und Dr. Christoph Popp7, StadtarchivMannheim. Sie bestärkten viele Anwesende darin, Schrift-gutverwaltung als Teil eines Qualitätsmanagements zusehen und sich mit den dafür geltenden Standards ausein-anderzusetzen. Die Teilnehmenden der zweiten und drit-ten Informationsveranstaltung erhielten jeweils eine CD-ROM mit der Auswertung der Behördenumfrage, Informa-tionen zu Standards wie DOMEA und DIN ISO 15489sowie die Powerpoint-Präsentationen der Vortragenden.

Nachbereitung

Haben die Informationsveranstaltungen eigentlich auchihre jeweilige Zielgruppe erreicht? Auch die zweite und diedritte Informationsveranstaltung wurden ausgewertet. Fürdie zweite Veranstaltung im Dezember 2005 ergab sich fol-gendes Bild: Verschickt wurden insgesamt 96 Einladungen,von denen 75 an die Verwaltungsleitungen gingen. 21 Ein-ladungen gingen an Gäste, u. a. an das Personalamt, wel-ches die Ausbildung des Verwaltungsdienstes koordiniert,den Rechnungshof8 sowie interessierte Kolleginnen undKollegen aus anderen Archiven. Insgesamt nahmen 65 Per-sonen teil, wobei auf eine Einladung ggf. mehrere Perso-nen aus einer Stelle kamen. Die Zielgruppe war mit ledig-lich 10 Verwaltungsleitungen eine Minderheit. Berücksich-tigt man die Ergebnisse, ist auch der Umstand bemerkens-wert, dass nur vier der Anwesenden aus der Bezirksver-waltung kamen.

Für die dritte Veranstaltung im Januar 2006 ergaben sichfolgende Zahlen: 139 Amtsleitungen und Gäste wurdeneingeladen. Erschienen sind darauf 58 Personen, darunter10 Amtsleitungen. Die Bezirksämter waren dieses Mal mit10 Personen vertreten. Vergleicht man die Teilnehmendendieser Veranstaltung mit denen der ersten Informations-veranstaltung im April, so stellt sich heraus, dass 25 Per-sonen bei beiden Veranstaltungen anwesend waren. Gutalso, dass bei der Programmgestaltung auf Abwechslunggeachtet wurde. Beim Abgleich der Teilnahmelisten ausallen drei Veranstaltungen stellte sich am Ende heraus,dass 116 unterschiedliche Personen erreicht werden konn-ten.

5 Vgl. u. a. Hamburger Abendblatt vom 5.11.2005: „Bianca (4) und Brian(2) – sie schliefen im Müll“; Hamburger Abendblatt vom 11.11.2005:„Kontroverse über die Sozialen Dienste“.

6 Vortrag: Dokumentenmanagement und elektronische Archivierung imIT-gestützen Geschäftsgang: das DOMEA®-Konzept.

7 Vortrag: Dienstleistung für die Verwaltung – Dokumentenmanagementdurch das Stadtarchiv Mannheim

8 Dieser berücksichtigt bei seinen Prüfungen auch den Zustand derSchriftgutverwaltung. Vgl. Jahresbericht des Rechnungshofes der Frei-en und Hansestadt Hamburg 2006, Rn. 310, http://fhh.hamburg.de/stadt/Aktuell/weitere-einrichtungen/rechnungshof/jahresberichte/jahresbericht-2006/jahresbericht-2006-pdf,property=source.pdf (Abruf:20. April 2006), in dem einer Hochschule „mangelhafte Aktenführung“bescheinigt wird.

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Perspektiven

Es war bislang üblich, Mitarbeitende, die an anderer Stel-le nicht mehr leistungsfähig waren, in Registraturen einzu-setzen, ohne sie auf ihren neuen Verantwortungsbereichvorzubereiten. Aus der Ausbildung des Verwaltungsdien-stes verschwand Schriftgutverwaltung sang- und klangloszugunsten „wichtigerer“ Themen. Eine der antwortendenStellen wies in der Behördenumfrage dann auch daraufhin, dass ihr das qualifizierte Personal fehle, einen Akten-plan einzuführen.

Dreh- und Angelpunkt einer Qualitätsverbesserungsind die Menschen, die die Prozesse gestalten. Insofernstanden sie im Mittelpunkt der ersten konkreten Maßnah-men in der Folge der Behördenumfrage. Vorgesehen warenfür das Jahr 2006 drei Seminare im Zentrum Aus- und Fort-bildung, einer Einrichtung des Personalamtes. Es gibt fürRegistraturkräfte einen Einführungskurs (drei halbe Tage)und einen Workshop (ein Tag), in dem gemeinsam Strate-gien erarbeitet werden, mit denen der Stellenwert vonRegistraturarbeit in der Organisation verdeutlicht werdenkann. Das Angebot für Führungskräfte (ein Tag) setzt sichvor allem mit Standards und Strategien auseinander undbetont die Managementaufgabe.

Darüber hinaus hat das Referat Grundsatzangelegenhei-ten die Federführung in einer Arbeitsgruppe, in der Aus-bildungsleitungen, das Personalamt, die Verwaltungsschu-le sowie das Department Public Management vertretensind, um gemeinsam Lehrmaterialien für den mittlerenund gehobenen allgemeinen Verwaltungsdienst zu erarbei-ten. Das Department hat inzwischen in einer groß angeleg-ten Abnehmerbefragung auch die Schriftgutverwaltungberücksichtigt. Im Rahmen dieser Abnehmerbefragungbenennen die Behörden ihre Erwartungen an die theoreti-sche und praktische Ausbildung der Nachwuchskräfte. DieErgebnisse lagen bis zum Abschluss dieses Beitrags (Mai2006) noch nicht vor.

Die Ausbildungsleitungen und Lehrkräfte sind wichti-ge Multiplikatoren, da sie Schriftgutverwaltung im praxis-begleitenden Unterricht vermitteln sollen. Die Intensitätund die genauen Inhalte werden zumindest für den geho-benen Dienst von den Ergebnissen der o. g. Abnehmerbe-fragung abhängen. Im Herbst 2006 wird deshalb eine Mul-tiplikatorenschulung angeboten.

Inzwischen bitten vermehrt Registraturkräfte das Refe-rat Grundsatzangelegenheiten um Argumentationshilfen.Auch mit den Verwaltungsleitungen aller Bezirksämter istdas Referat anlässlich eines gemeinsamen Treffens insGespräch gekommen. Insgesamt kann festgestellt werden,dass Schriftgutverwaltung in der hamburgischen Verwal-tung wieder zum Thema wurde und die Behörden „lang-sam aber sicher“ deren Bedeutung erkennen. Es ist geplant,die Umfrage bei den zunächst nicht beteiligten Bereichenim Winter 2006 zu beginnen. Dafür baute eine Nach-wuchskraft9 im Frühjahr 2006 eine Access-Datenbank mitden Anschriften und Ansprechpartnern auf.

Die Ergebnisse beider Umfragen werden zu berücksich-tigen sein, wenn es um die Prioritätensetzung bei der Erar-beitung von Archivierungsmodellen geht10. Das ReferatGrundsatzangelegenheiten wird der Amts- und Behörden-leitung für Anfang 2008 einen umfassenden Bericht an denSenat vorschlagen, um diesen über den Sachstand und diemöglichen Handlungsprioritäten zu informieren. Schrift-gutverwaltung ist Führungsaufgabe!

9 An dieser Stelle sei Dorina von Karstedt gedankt, die als Auszubil-dende zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste ineinem privaten Unternehmen ein dreimonatiges Praktikum im Staats-archiv absolviert hat.

10 Wir werden uns voraussichtlich an der Vorgehensweise in Nordrhein-Westfalen orientieren. Vgl. hierzu Martina Wiech, Steuerung der Über-lieferungsbildung mit Archivierungsmodellen. Ein archivfachlichesKonzept des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, in: Der Archivar 58(2005), S. 94-100.

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Mit dem Erwachen des wissenschaftlichen Interesses ander Fotografie in den letzten Jahren, aber auch der ver-stärkten Nachfrage nach Illustrationen erfährt die Erhal-tung und Erschließung visueller Quellen in den Institutio-nen, die Fotos aufbewahren, allmählich eine zunehmendeGewichtung. Museen, Bibliotheken und Archive, die denGroßteil der erhaltenen Fotografien aufbewahren, stehendamit seit einiger Zeit vor einer großen Herausforderung.Es gilt, die Fotografie in ihren unterschiedlichen Verwen-dungsweisen und Entstehungskontexten zu erhalten undder Wissenschaft und dem interessierten Publikumzugänglich zu machen. Mit der massenhaften Produktionvon Fotografien im 20. Jahrhundert ist die Erhaltung undErschließung der Fotografie in ihrer gesamten Bandbreitezu einer schier endlosen und kostspieligen Aufgabe gewor-den, der in Zukunft nur über eine Bewertung im Sinne derErhaltungswürdigkeit beizukommen ist.

Die Frage, welche Fotografien archivwürdig und somiterhaltenswert sind und welche nicht, ist nicht einfach zubeantworten, da die Fotografie dem modernen Zugriffgemäß nicht nur als ästhetisches Produkt erfasst werdendarf, sondern ebenso als Medium der Kommunikation unddes Wissenstransfers gelten soll. Die Bewertung von Foto-grafien ist ein komplexes Unternehmen und abhängig vonden Zielsetzungen und den Möglichkeiten der aufbewah-renden Institutionen, die den Schwerpunkt oft entwederauf den dokumentarischen oder auf den künstlerisch-ästhetischen Aspekt legen. Wiegand fordert aufgrund des„mehrdimensionalen Informationsgehalt[s], künstleri-schen Anspruch[s] und medienhistorischen Denkmalcha-rakter[s]“1 der Fotografie für den Umgang mit Fotobestän-den Methoden übergreifende Perspektiven. Für eine pro-fessionelle Bestandsbildung sind daher Kenntnisse sowohlder Fotografiegeschichte in ihren inhaltlichen, gestalteri-schen und technischen Aspekten als auch der Fotokonser-vierung notwendig.

Anhand der konkreten Bestandsbildung beim Fotogra-fennachlass Hans Tschirren im Staatsarchiv des KantonsBern wird die bisherige Diskussion über den archivari-schen Umgang mit Fotografie aufgegriffen und für denUmgang mit Fotografennachlässen nutzbar gemacht undweitergeführt.2 Dabei stehen die Fragen nach Bewertungs-kriterien und nach der Umsetzung derselben im Zentrumder Betrachtungen.3

Die Sensibilisierung für die Bedeutung der Fotografieund ihre wachsende Anerkennung als Kulturgut führte inder Schweiz unter anderem dazu, dass immer mehr Foto-bestände entdeckt wurden, sodass die Staatsarchive derzeitbuchstäblich mit Nachlässen überschwemmt werden. DieArchive geraten dadurch in eine Notlage, da sie aus finan-ziellen, personellen und räumlichen Engpässen kaummehr größere Nachlässe bewältigen können.4 Die kostspie-lige Erhaltung der Fotografien verschärft die Problematikihrer Archivierung zusätzlich. Staatsarchive haben aber alsArchive der Kantone die Aufgabe, das staatliche Handelndes jeweiligen Kantons nachvollziehbar zu machen.5 Erstdanach kümmern sich die Archive um Dokumente einerbreiteren politischen und kulturellen Entwicklung in denKantonen, indem sie Archivgut von Privatpersonen, Fami-lien, Firmen, Vereinen usw. aufnehmen. Dazu gehören imStaatsarchiv des Kantons Bern auch Bildquellen – Grafiken,Drucke, Fotos, Filme usw. –, denen das Archiv einen gro-ßen Stellenwert einräumt. Für die Fotografie bedeutet diesim Fall des Staatsarchivs Bern, dass die Aufnahme vonFotobeständen restriktiver gehandhabt wird und dassSammlungen auf wichtige Bestandteile reduziert werden,wenn die Rechtslage eine Teilkassation erlaubt.6

Die Reduktion von Akten auf zentrale Elemente ist dastägliche Geschäft der Archivare und wird im Allgemeinennicht als Verlust betrachtet, sondern im Gegenteil alsGewinn, denn mit der Konzentration auf die informativ-sten Bestandteile und deren Erschließung wird die Samm-lung „veredelt“7, indem sie überschaubarer und greifbarwird. Diese „Eliminierung von Redundanz [und] Verdich-tung zu überschaubaren, strukturierten Komplexen“8 istauch im digitalen Zeitalter für die Forschung von Vorteil.Das Gleiche gilt für die visuellen Quellen: Es ist nicht apriori sinnvoll, alles aufzubewahren, und schon gar nichtmachbar.9 Damit die Reduktion aber kein Verlustgeschäftwird, sind Transparenz und Professionalität der Bestands-bildung entscheidend.

1 Peter Wiegand, Das „archivische Foto“. Überlegungen zu seinerBewertung, in: Rundbrief Fotografie 11/1 (2004), S. 19-24, hier S. 19.

2 Mein herzlicher Dank für die Zusammenarbeit und anregende Gesprä-che geht in erster Linie an Barbara Spalinger, Fotokonservatorin desStaatsarchivs des Kantons Bern. Mit ihr zusammen habe ich den Foton-achlass von Hans Tschirrens bearbeitet. Sie ist mir zudem hinsichtlichder konservatorischen Aspekte beim Verfassen dieses Textes beratendzur Seite gestanden. Klaus Oschema (Universität Bern) danke ich fürdie anregenden kritischen Kommentare. Nicht zuletzt gebührt PeterMartig, Leiter des Staatsarchivs des Kantons Bern, mein herzlicherDank für seine Unterstützung.

3 Eine Anfrage zur Bewertung von Fotografennachlässen vom 20. Mai2005 an die Fachgruppe 7 der Medienarchivare und -dokumentare derVdA stieß auf ein breites Echo, zeigte aber auch, dass noch kaum Erfah-rungen in diesem Bereich gemacht wurden. Mein herzlicher Dank gehtinsbesondere an Elke Strang vom Landesarchiv Schleswig-Holstein,die mir freundlicherweise das Verfahren in ihrem Archiv schilderte undauf einschlägige Artikel hinwies.

4 Andere Staatsarchive sind auf Grund der personellen und finanziellenEngpässe bereits zu der Politik übergegangen, keine „weitere[n] gros-se[n] Fotoarchive – d. h. solche im Umfang von mehreren ZehntausendEinheiten – zu übernehmen“. Josef Zwicker, Erlaubnis zum Vernich-ten. Die Kehrseite des Archivierens, in: Arbido 7/8 (2004), S. 18-21, hierS. 20.

5 Staatsarchiv des Kantons Bern, Jahresbericht 2003, Bern, 2003, S. 2.6 Voraussetzung für jegliche Kassation ist das Abklären der Urheber- und

Nutzungsrechte. Zu Rechtsfragen siehe Karl Heinz Pütz, (Urheber-)Rechtliche Probleme in öffentlich-rechtlichen Sammlungen und Archi-ven, in: Rundbrief Fotografie 9/4 (2002), S. 37-40.

7 Staatsarchiv des Kantons Bern, Jahresbericht 2003, Bern, 2003, S. 11.8 Robert Kretzschmar, Spuren zukünftiger Vergangenheit. Archivische

Überlieferungsbildung im Jahr 2000 und die Möglichkeiten einer Betei-ligung der Forschung, in: Der Archivar, 53 (2000), S. 215-222 (www.archi-ve.nrw.de/archivar/2000-03/Aa01.htm, Stand 11.1.2006).

9 Der Kommentar von Kahlenberg und Schmitt zur Archivierungspo-litik im Bereich des Filmes von 1981 ist heute noch für die Fotografie zubeherzigen: „Grundsätzlich entgegenzutreten ist denen, die aus einemanachronistisch anmutenden Kulturverständnis oder auch vor moder-nistisch dokumentationstheoretischem Hintergrund für eine Totalarchi-vierung eintreten. Sie bieten letztlich nur Ersatzargumente für einewenig qualifizierte Unentschiedenheit gegenüber dem Zwang der Defi-nition positiver Bewertungskriterien und überdecken damit eine funda-mentale Unsicherheit.“ Friedrich P. Kahlenberg und Heiner Schmitt,Zur archivischen Bewertung von Film- und Fernsehproduktionen. EinDiskussionsbeitrag, in: Der Archivar, 34 (1981), S. 233-242, hier S. 242.

Welche Fotografien sind erhaltenswert?Ein Diskussionsbeitrag zur Bewertung von FotografennachlässenVon Nora Mathys

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Bewerten von Fotografennachlässen

Als visuelles Medium befindet sich die Fotografie in ihrerprofessionellen Spielart oft in der Nähe der Kunst. Nebenden Kunstfotografien werden heute vielfach auch Werkebekannter Reportagefotografen und Fotografen des19. Jahrhunderts in den „Olymp der Kunst“ aufgenom-men. Die integrale Erhaltungswürdigkeit dieser herausra-genden Bestände steht hier nicht zur Diskussion. Doch wasist mit den Fotografen des Alltags, die Hochzeiten fotogra-fierten, Firmendokumentationen sowie lokale Reportagenerstellten? In den vergangenen zehn Jahren ist im Umgangmit fotografischen Beständen zumindest in der Schweizdie Tendenz zu beobachten, dass viele der „wiederentdeck-ten“ Fotografen schnell als überdurchschnittlich beurteiltwerden10 oder aber gar kein Interesse für sie vorhanden ist.Gerade aus kulturgeschichtlicher Sicht sind aber dieseunspektakulären Nachlässe oft von großem Interesse, dasie die vielfältigen Verwendungsweisen der Fotografie alsMassenmedium dokumentieren. Hier ist mit der Frage ein-zusetzen, ob der Wert dieser Bestände durch eine Teilkas-sation nicht gesteigert und die Kosten der Erhaltunggesenkt werden können. Im Folgenden werden möglicheKriterien für die Bewertung innerhalb eines Fotografen-nachlasses formuliert und aufgezeigt, wie ein solchesBewertungsverfahren aussehen kann.

Bewertungskriterien für Fotoüberlieferungen sind nurvereinzelt und auf unterschiedlichen Hintergründen for-muliert worden.11 Hervorzuheben ist Peter Wiegands Vor-schlag zur Bewertung von „im Rahmen eines ursprüng-lichen Registraturzusammenhangs überlieferten Fotos“12,den er um Kriterien für Fotos mit „hohe[m] indivi-duelle[m] Informationswert“13 erweitert, die sich aus gat-tungsspezifischen Aspekten ergeben. Für letztere beziehter sich auf den Vorschlag des „Kollektiv[s] sozialistischerArchivverwaltungen“ von 198114 und auf die Bewertungs-kriterien für Film- und Fernsehdokumente, die von Kah-

lenberg und Schmitt15 entworfen wurden. Das Bewertenvon Fotografennachlässen unterliegt teilweise anderen Kri-terien als jenen für Fotoüberlieferungen, die in keinemRegistraturzusammenhang stehen. In den Nachlässen sindim Gegensatz zu den registraturinternen Fotobeständennicht nur einzelne gesellschaftliche, kulturelle, politischeoder staatliche Ereignisse, Entwicklungen und Themendokumentiert, sondern zugleich die Arbeitsweise des Foto-grafen. Für Fotonachlässe erhalten die inhaltlichen und ins-besondere die medienspezifischen Aspekte größeresGewicht als bei registraturinternen Fotobeständen. Unterder verstärkten Berücksichtigung fotografiespezifischerAspekte können aus den von Wiegand sowie von Kahlen-berg und Schmitt formulierten Kriterien nachstehendezusammengestellt und ergänzt werden. Das Bewerten desGesamtbestandes sowie einzelner Bestandteile kann dabeiimmer nur auf Grund des Gesamtergebnisses der in denKategorien zusammengefassten Einzelkriterien vorgenom-men werden.16

1) Institutionelle Kriterien: Rechtsgrundlage (Schenkungs-und Kaufverträge, Verträge der Bestandsbildner),Sammlungsauftrag und finanzielle Möglichkeiten

2) Kontextkriterien: Bestandsgröße, Textdokumentation,Überlieferungsgeschichte, Rezeption

3) Herkunftskriterien: Ort, Zeit und Autorschaft (Fotografund Auftraggeber)

4) Inhaltsbezogene Kriterien: a) Dominanzereignisse(Naturereignisse, gesellschaftliche Ereignisse, staatli-ches Geschehen und Akte), b) politische und sozialeIndikationen längerfristiger Entwicklungen und Ten-denzen (Naturschutz, Emanzipation der Frauen usw.),c) soziale Realität im Alltag

5) Gestaltungsbezogene bzw. ästhetische Kriterien: a)Optische Besonderheiten (Perspektiven, Lichtführungusw.), b) Bildserien, c) besondere Bildmotive

6) Medientypische Gesichtspunkte: Bildgattungen undProduktionszusammenhänge (freie, künstlerischeArbeiten, Aufträge, privater Gebrauch), Technik (Appa-rat und Entwicklungsverfahren), Materialien (Papier,Film), ErhaltungszustandDie im Zusammenhang mit staatlichem Handeln üb-

licherweise angestrebte „Vollständigkeit der Überliefe-rung“17 bedeutet, dass sämtliche Aspekte eines Bestandesrepräsentiert sein müssen, um so das staatliche Handelnnachvollziehbar zu machen. Diese Vollständigkeitsforde-rung sollte ebenso für Fotografennachlässe gelten. Das

10 Stahel hat die Überhöhung der Reportagefotografen kritisch kommen-tiert. Urs Stahel: Fotografie in der Schweiz, in: Urs Stahel/Martin Hel-ler (Hgg.), Wichtige Bilder. Fotografie in der Schweiz, Zürich, 1990, S.147-240, hier S. 148 f.

11 Henguely formuliert fünf Evaluationskriterien, die sie aber leider nichtweiter ausführt und die so sehr allgemein bleiben, aber erste Richtungs-hinweise für eine Bewertung geben: Als Kriterien gelten 1) Einzigartig-keit, Seltenheit, Beispielhaftigkeit des Bestandes, 2) dessen ästhetischer,3) dokumentarischer/thematischer, 4) gesamtheitlicher, herkunftsbezo-gener und 5) historischer und/oder symbolischer Wert. Henguely gehtbei ihren Empfehlungen davon aus, dass der gesamte Bestand übernom-men und erhalten wird: eine Bestandsbildung durch Bewertung disku-tiert sie nicht. Sylvie Henguely: Sammlungen und Institutionen in derSchweiz, in: Memoriav (Hg.), Die Erhaltung von Fotografien. Empfeh-lungen, Bern, 2002, S. 4-5.

12 Peter Wiegand, Das „archivische Foto“. Überlegungen zu seinerBewertung, in: Rundbrief Fotografie 11/1 (2004), S. 19-24, hier S. 19.

13 Ebenda, S. 21. Hier interessieren die gattungsspezifischen Kriterien, daFotografennachlässe zumeist registraturfremde Bestände sind.

14 Eine Zusammenfassung der Handreichung von 1981 bietet Günter Mül-ler, Zur Bewertung von Kino-, Foto- und Phonodokumenten, in: Archiv-mitteilungen 5 (1983), S. 155-158. Es sind dies „Kriterien der Herkunft“,die Zeit und Ort der Entstehung, sowie Autorschaft umfassen. UnterAutorschaft sind dabei sowohl der Fotograf als auch die Auftraggeberzu fassen. Als zweite Kriterienkategorie sind „äußere Besonderheiten“zu beachten. Dazu gehören die physische Beschaffenheit des Informa-tionsträgers (Technik), die Überlieferungsform und der Umfang derKontextinformationen. Die „Kriterien des Inhalts“ sind bei der Beurtei-lung der „politischen, historischen, wissenschaftlichen oder künstleri-schen Bedeutung“ zu berücksichtigen. Schließlich sind noch „praktischeFaktoren“ zu bedenken; und zwar Erhaltungszustand und Rechtslage,

sowie die Rezeption des Bildes. In der Handreichung sind die Kriterienfolgender Reihenfolge nach hierarchisiert: Kriterien des Inhalts, Krite-rien der Herkunft, Kriterien der äußeren Besonderheiten und zuletzt diepraktischen Faktoren. Wiegand hat diese Reihenfolge für seine Argu-mentation aufgelöst.

15 Folgende Kriterien haben Kahlenberg und Schmitt aufgestellt: A)Bewertungskriterien: 1) fremdbestimmte Voraussetzungen, dazu zählenrechtliche Verträge, 2) institutionsbezogene Kriterien, 3) historischeQuelle, Sozial-, Technik-, Kommunikationsgeschichte; B) inhaltsbezoge-ne Kriterien: 1) Dominanzereignisse, 2) politische und soziale Indikatio-nen längerfristiger Entwicklungen und Tendenzen, 3) soziale Realität imAlltag; C) gestaltungsbezogene bzw. ästhetische Kriterien: 1) optischeBesonderheiten, 2) dramaturgische Gestaltung von Bildsequenzen, 3)besondere Bildmotive; D) medientypische Gesichtspunkte: Programm-arbeit der einzelnen Redaktionsbereiche, Sendeformen und -gattungen.Friedrich P. Kahlenberg und Heiner Schmitt, Zur archivischenBewertung von Film- und Fernsehproduktionen. Ein Diskussionsbei-trag, in: Der Archivar 34 (1981), S. 233-242, hier S. 236-239.

16 Dazu siehe ebenda, S. 240.17 Josef Zwicker, Erlaubnis zum Vernichten. Die Kehrseite des Archivie-

rens, in: Arbido 7/8 (2004), S. 18-21, hier S. 19.

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heißt, dass die genannten Kriterien 3 bis 6 in allen Facettenund über die ganze Zeit, in der sie vorhanden sind, vertre-ten sein müssen. Die Selektion erfolgt dementsprechendweder über eine zeitliche noch thematische Kassation gan-zer Teilbestände, sondern über das „Ausdünnen“ desBestandes. Das bedeutet, dass Serien18 verkleinert und dasseinzelne Serien oder Einzelbilder kassiert werden. DasReduzieren der Fotomaterialien innerhalb eines Themasund der Verzicht auf eine thematische Reduktion führenunweigerlich zur Einzelbildbetrachtung, die zwar zeitauf-wendig, aber aus den genannten Gründen in dem hier vor-geschlagenen Verfahren unumgänglich ist.19 FotografischeBestände haben oft seriellen Charakter (thematischund/oder chronologisch) – zum Beispiel als Hochzeitsfo-tos oder Porträts. Zugleich ist aber jede Aufnahme einerSerie eine singuläre Quelle, da sie einen spezifischenMoment in einem genau festgelegten Ausschnitt, in einerbestimmten Art und Weise festhält. Die Bewertung vonvisuellem Material muss daher neben dem inhaltlichenWert des Materials zugleich das darstellerische Momentberücksichtigen, denn die Bildkomposition ist ein wichti-ger Bestandteil des Bildinhaltes.20 Nur mittels der Einzel-bildbetrachtung kann gewährleistet werden, dass das foto-grafische Schaffen eines Fotografen als Ganzes nachvoll-ziehbar bleibt und damit auch der weitere Kontext desBestandes.

Beispiel einer Bestandsbildung – der Berner Foto-grafennachlass von Hans Tschirren (1911-1991)

Das Berner Fotogeschäft, in dem der Nachlass von HansTschirren etwa ein Jahrzehnt unter relativ guten Bedingun-gen lagerte, beabsichtigte, den Lagerraum zu räumen undden Fotobestand zu entsorgen, da der Erbe kein Interessean der Hinterlassenschaft hatte. Das Material musste daherbinnen kurzer Zeit abgeholt werden, um die Zerstörungdesselben zu verhindern.

Bewerten des Gesamtbestandes – Erste Sichtung, Ordnung undZustandsbeschreibungEine erste Einschätzung des Materials geschah bei der kur-zen Sichtung im Fotogeschäft. Sie ergab, dass der Großteilder Fotografien im Kanton Bern entstanden ist, einen Zeit-raum von ca. 45 Jahren (1940-1985) abdeckt und sich phy-sisch in einem guten Zustand befindet, so dass ein grund-sätzliches Interesse bestand, den Bestand im StaatsarchivBern aufzunehmen. Der Nachlass erwies sich zugleich abernicht als hinreichend wertvoll, um eine gesamthafte Auf-nahme zu rechtfertigen. Deshalb war für die Annahmeent-

scheidung wichtig, dass das Staatsarchiv durch den Ver-zicht des Erben auf die Erbschaft sämtliche Rechte über-nehmen konnte und damit die Möglichkeit zu einerReduktion des Materials erhielt. Insgesamt lag der abgelie-ferte Umfang bei ungefähr 20 Laufmetern. Es fanden sichim Nachlass keine Auftragsbücher oder andere greifbareUnterlagen zum Fotografen oder zu einzelnen Auftragge-bern.21 Eine vorgängige Einschätzung der Bedeutung desgesamten fotografischen Schaffens von Hans Tschirrenwar auf dieser Basis nicht möglich.

Um eine Bewertung des Fotonachlasses vornehmen zukönnen, wurde als erstes ein grober Überblick über dasMaterial hinsichtlich konservatorischer, technischer sowieinhaltlicher Aspekte erarbeitet. Es galt, sämtliche Angabenüber den abgedeckten Zeitraum, das vertretene Themen-spektrum, die ästhetische Qualität und die Technik derFotografien sowie über die Mengen der unterschiedlichenMaterialien zusammenzutragen. Die grobe thematischeOrdnung, die für die Positive und Negative getrennt22 vor-genommen wurde, ermöglichte einen raschen Überblick.Der Nachlass umfasste 45 A4-Aktenschachteln mit schät-zungsweise 20.000 Papierabzügen. Dazu kamen ca. 50Fotopapierschachteln unterschiedlicher Größe, die unge-fähr 50.000 Negative enthielten, sowie zwei A4-Akten-schachteln mit Belegexemplaren.23

Die Abzüge hatte Hans Tschirren thematisch geordnet;Fotografien zu einem Unterthema waren in einer Perga-mintasche zusammengefasst und mit dem entsprechendenthematischen Schlagwort beschriftet. Die Unterthemenwaren in Kartonschachteln einem Oberthema zugeordnet.Bei den Abzügen handelt es sich um eine Mischung voneinigen Barytabzügen, die Tschirren unter anderem fürgeplante Ausstellungen hergestellt hatte, einzelnen Probe-streifen und einer Mehrzahl von Arbeitskopien unter-schiedlicher Qualität. Die Negative befanden sich ebenfallsin Pergamintaschen, von Tschirren relativ konsequent mitAngaben zu Ort, Datum und Ereignis bzw. Person oderFirma beschriftet. Die Pergamintaschen lagen thematischgeordnet in beschrifteten Fotopapierschachteln.

Die Zuordnung der Abzüge zu den Negativen erwiessich als schwierig, da die Schlagworte der Abzüge nichtmit den Beschriftungen der Negative korrespondierten.Aus der unterschiedlich sorgfältigen Beschriftung derNegative und Positive wird deutlich, dass Tschirren wiedie meisten Fotografen seiner Zeit das Negativarchiv als„Originalarchiv“ betrachtete und die Abzüge als Arbeits-und Präsentationsmaterial verwendete. Die Negative sinddeshalb als der zentralere Bestandteil des Nachlasses zubetrachten. Der Negativbestand lieferte durch die präzise-ren Angaben zu den Aufnahmen mehr Kontextinformatio-nen zur Entstehung und Verwendung als der Bestand der

18 Serien umfassen Fotografien, die aus einer Auftragsarbeit oder voneinem Aufnahmeanlass (z. B. eine Hochzeit, eine Demonstration) stam-men und in einem engen Zusammenhang miteinander stehen.

19 Für fotografische wie für audiovisuelle Bestände gilt: “Aufgrund ihrerSpezifika ist zur Bewertung audiovisueller Unterlagen in der Regel dieEinzeldurchsicht erforderlich; diese kann bei stark schematisierten Mas-senüberlieferungen der Rundfunk- und Fernsehanstalten [...] beschränktwerden.” Positionen des Arbeitskreises archivische Bewertung im VdAzur archivischen Überlieferung, Punkt VI.3 Bewertung audiovisuellerUnterlagen (www.vda.archiv.net/pdf/ak_bew_positionen2004.pdf,Stand 5.1.2006).

20 Kurt Deggeller, Einleitung, in: Memoriav (Hg.), Die Erhaltung vonFotografien. Empfehlungen, Bern, 2002, S. 2.

21 Minimale biografische Angaben zu Hans Tschirren gibt das Standard-werk Schweizerische Stiftung für die Photographie (Hg.), Photographiein der Schweiz von 1840 bis heute (Schweizer Photographie, Bd. 7),Zürich, 1992, S. 356. Die Angaben sind irrtümlicherweise unter demNamen seines Sohnes Martin Tschirren aufgeführt.

22 Eine Trennung von Positiven und Negativen bot sich an, da Tschirrenselbst die Negative bzw. Diapositive und Positive getrennt aufbewahrthatte und diese aus konservatorischen Gründen ohnehin unterschied-lich verpackt werden sollten.

23 Im abgelieferten Konvolut befand sich zudem ein kleiner Bestand anPositiven und Negativen (ca. 400 Fotos) von seinem Sohn Martin Tschir-ren, der ebenfalls Fotograf ist. Die Aufnahmen Martin Tschirrens bildennun getrennt von den Arbeiten des Vaters einen eigenen Bestand. DieVerbindung der beiden Nachlässe ist über den Ablieferungsberichtnachvollziehbar.

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Abzüge. Die Erhaltung der Negative ist jedoch aus konser-vatorischer Sicht aufwendiger und kostspieliger als jeneder Abzüge. Deshalb wurde die Selektion und Kassationtrotz der größeren Bedeutung der Negative vor allem imNegativbestand durchgeführt. Bei den wenigen Glasnega-tiven stand die Einstufung von Beginn an fest: Da es sichdabei um ältere, qualitativ gute Architekturaufnahmenhandelte, wurden sie insgesamt als erhaltenswürdig einge-stuft.

Tschirren hat für seine Aufnahmen unterschiedlichesMaterial verwendet: Schon in den 30er Jahren ist er vonden Glasplatten auf die handlicheren Cellulosenitratfilmeübergegangen, die er ungefähr bis 1955 verwendete,danach stellte er auf Celluloseacetatfilme um. Es scheintaber eine längere Übergangsphase gegeben zu haben, inder er beide Filmmaterialien parallel verwendete. Nur fürArchitekturaufnahmen benutzte er noch bis in die 50erJahre Glasplatten im Format 13x18 cm. Privat wie profes-sionell fotografierte er mehrheitlich im Format 6x6 cm –frühe Aufnahmen sind im Format 6x9 cm zu finden. Klein-bildaufnahmen tauchen vereinzelt ab den 70er Jahren auf.Seit den 50er Jahren benutzte Tschirren sporadisch Farbfil-me, wobei er nahezu ausschließlich mit Diafilmen arbeite-te. Ab den 60ern gebrauchte er oft Schwarzweiß- und Farb-filme parallel für Aufträge und Reportagen, wobei er dieSchwarzweißaufnahmen stets bevorzugt verwendete.Anhand des Nachlasses lässt sich die Übernahme vonunterschiedlichen Materialien im Alltag eines Fotografenexemplarisch gut nachvollziehen. Hinsichtlich der ästheti-schen und medientypischen Kriterien kann festgehaltenwerden, dass die ästhetische Qualität gut ist und dass derNachlass ein breites Spektrum der Praxis eines „Alltagsfo-tografen“ verdeutlicht.

Eine grobe thematische Ordnung des Negativmaterialskonnte anhand der Beschriftung der Fotoschachteln vorge-nommen werden. Sie ergab elf inhaltliche Schwerpunkte:1) Rotes Kreuz, 2) Garten, Pflanzen, Blumen und Land-schaft, 3) Aufträge aus der Landwirtschaft, Industrie,Gewerbe, Verwaltung, 4) alte und neue Reportagen, 5) Por-träts, Personen- und Gruppenaufnahmen, 6) Architektur, 7)Ortsbilder und Stadtbilder von Bern, 8) Ausstellungen,Feste und Feiern, 9) Sach- und Werbeaufnahmen, 10) Aus-land und 11) private Fotos. Der Zeitraum, in dem Tschir-ren fotografiert hatte, erstreckte sich nach der Sichtungetwas weiter: die ersten Glasnegative stammen aus denspäten 20er Jahren und die letzten Aufnahmen aus denspäten 80er Jahren. Diese lange Schaffensperiode erhöhtden Wert des Nachlasses, weil sich eine Dokumentationaus einer Hand über eine solch lange Zeitspanne besondersfür Untersuchungen des historischen Wandels eignet. Zumweiteren Kontext des Nachlasses gab es zwar kaum Infor-mationen, aber die nahezu vollständige Beschriftung derNegative hob diesen Mangel wieder auf.

Die thematische Ordnung machte deutlich, dass vieleThemen gut in das Profil des Staatsarchivs Bern passten,andere hingegen überhaupt nicht. Aus der Perspektive desSammelauftrags heraus ergab sich eine stärkere Gewich-tung der Aufnahmen im Auftrag des Roten Kreuzes, Stadt-und Ortsbilder, Architekturaufnahmen, Reportagen, Fir-mendokumentationen und Auftragsarbeiten sowie der Bil-der zu Ausstellungen und Feiern, die im Zusammenhangmit dem kulturellen Leben im Kanton Bern stehen. Beson-dere Aufmerksamkeit erhielten daneben diejenigen Auf-

nahmen – sei es als Reportage oder im Auftrag einer Pri-vatperson –, die den Alltag und kulturgeschichtlicheAspekte visualisieren, wie zum Beispiel das Altern,Begräbnisse oder Freizeitgestaltungen. Das bedeutetumgekehrt, dass Personen-, Blumen-, Natur-, Werbe- undSachaufnahmen sowie privaten Fotos ein geringerer Stel-lenwert zugeschrieben wurde. Tschirrens Fotografien ausdem Ausland und aus anderen Kantonen wurden ebensozurückgestellt. Vorgängige Überlegungen zu einer Weiter-vermittlung der Auslandsreportagen an eine andere Insti-tution wurden zugunsten der Gesamtheit des Nachlasseswieder fallen gelassen.

Bewerten innerhalb des BestandesAuf der Grundlage der Bewertung des gesamten Nachlas-ses und dessen daraus folgender Zweiteilung erfolgte dieKassation mit unterschiedlicher Intensität: in den als zweit-rangig eingestuften Themenbereichen wurde ungleichstärker selektioniert als in den anderen. Die Bewertung derTeilbestände erfolgte als erstes bei den als erhaltungswür-dig eingestuften und konservatorisch heikleren Aufnah-men: den Reportagen und Auftragsarbeiten vor 1955. DasMaterial gab bis zu einem gewissen Punkt den anzuwen-denden „Härtegrad“ der Selektion vor: Cellulosenitrat-und Farbnegative sind ungleich schwieriger zu konservie-ren als Celluloseacetatnegative, weshalb sie innerhalb dernächsten 30 Jahre umkopiert werden sollten. Ihre Erhal-tung ist damit sehr viel kostspieliger, daher fiel die Selek-tion etwas strenger aus. Das heißt, es wurden mehr Cellu-losenitrat- als Celluloseacetatnegative kassiert. Aus konser-vatorischen Gründen erhielten innerhalb einer Serie stetsdie unbeschädigten Negative den Vorrang, außer wenn einbeschädigtes Negativ einen besonders hohen ästhetischenoder inhaltlichen Wert hat. In einer Serie von 1939 zurMobilmachung in Bern befanden sich mehrere starkbeschädigte Cellulosenitratnegative, die Abschiedsszenenvon Soldaten zeigen. Diese Negative sind in einer hohenQualität digitalisiert worden, da sie hinsichtlich der Bild-sprache und -qualität gute Dokumente zu diesem für Bernwichtigen Ereignis sind. Bei den Reportagen, die Tschirrensowohl in Schwarzweiß als auch in Farbe fotografierthatte, wurde das Gewicht auf Schwarzweißnegative gelegt,da diese besser haltbar sind als Farbnegative.24 Farbnega-tive blieben vor allem zur Dokumentation der Handha-bung unterschiedlicher Materialien erhalten. Damit dieArbeitsweise von Tschirren nachvollziehbar bleibt, wurdenin allen Themenbereichen einzelne Serien gesamthaft über-nommen.

Die Bewertung innerhalb der einzelnen Themen ent-sprach jenem für den gesamten Bestand: als erstes wurdeein Überblick über das ausgewählte Oberthema erarbeitetund die ihm zugehörenden Serien chronologisch geordnet.Je kleiner die Einheit ist, desto besser ist der Überblick überdie Zeitspanne und die Qualität der Bilder innerhalb einesThemas. Dieses systematische Vorgehen erleichtert dieEntscheidung zur Selektion und Kassation enorm undermöglicht deren Kontrolle. Sobald dieser Überblickbestand, wurde mit der Auslegung und Betrachtung der

24 Farbaufnahmen, die Rotstiche aufweisen, sind nur mit sehr großem Auf-wand restaurierbar. Siehe hierzu Marjen Schmidt, Fotografien inMuseen, Archiven und Sammlungen. Konservieren, Archivieren, Prä-sentieren, München, 1994, S. 80.

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ältesten Serie begonnen. Das chronologische Vorgehenermöglichte es, thematische, technische und ästhetischeEntwicklungen nachzuvollziehen. Mit Hilfe des Verbren-nungstestes wurde bei jeder Serie, die nicht als ‚safety’beschriftete Schwarzweißnegative enthielt, die Art des ver-wendeten Negativmaterials25 identifiziert, damit der Här-tegrad der Selektion bestimmt und das adäquate Ver-packungsmaterial gewählt werden konnte.

Bei der Bewertung einer Serie galt an sich das gleichePrinzip der Vollständigkeit, das auf den gesamten Bestandangewendet wurde. Vollständigkeit einer Serie – gleichvielob Reportage, Firmenporträt oder Hochzeit – bedeutet,dass thematisch und fototechnisch alle Aspekte und diegesamte Bandbreite der ästhetischen Umsetzung des The-mas erhalten bleiben. Negative, die Tschirren ausgewählthatte, um sie zu vergrößern, waren entweder mit den Grö-ßenangaben der Vergrößerung gekennzeichnet oder mitder weiteren Verwendung – zum Beispiel für eine Ausstel-lung oder als Plakat – und wurden auf jeden Fall aufbe-wahrt. In größeren Serien befand sich oft eine Pergaminta-sche, die mit „Kopien“ angeschrieben war und Dublettenenthielt. Von diesen Negativdubletten blieb stets dasjenigeerhalten, das im besseren Zustand war. Bei einzelnen derreduzierten Serien wird der ursprüngliche Umfang derSerie anhand der Nummerierung ersichtlich, die Tschirrenvorgenommen hat.

Das Vorgehen in Bezug auf die thematische und ästhe-tische Vollständigkeit wird im Folgenden an zwei Beispie-len exemplarisch erläutert. Hierbei ist anzumerken, dass eskein regelhaftes Vorgehen geben kann, das für alle Seriengleichermaßen gilt, sondern jede Serie aufs Neue beurteiltwerden muss. Als erstes Beispiel für die thematische Voll-ständigkeit dient die Reportage über einen Kurs für Lawi-nenhunde im Jahr 1951. Die Abbildung oben zeigt einen

Teil der erhaltenen Negative der Reportage. Von ursprüng-lich 96 Negativen, die der Fotograf aus acht Filmen ausge-wählt und nummeriert hat, blieben nach der Selektion 43erhalten, dabei wurde darauf geachtet, dass die zentralenPersonen (Pionier und Kursleiter) in den erhaltenen Nega-tiven vertreten blieben, so dass der Informationsverlustmöglichst gering ist. Kassiert wurden vor allem Variatio-nen der Porträts von Hunden und Hundebesitzern, sowieBilder von Ausgrabungs-, Übungs- und Fütterungsszenen.

Das zweite Beispiel ist eine 24 Fotografien umfassendeSerie zum Blutspendedienst, die Tschirren im Auftrag desRoten Kreuzes aufgenommen hat, und zeigt eine Kranken-schwester mit einer Blutkonserve, die sie für eine nichtsichtbare Bluttransfusion an einem Ständer aufhängt. DieFotografien unterscheiden sich lediglich durch leicht ver-schobene Blickwinkel und die minimal veränderte Hal-tung der Krankenschwester. Die Belichtung ist stets diesel-be. Von den 24 Negativen sind deren fünf aufbewahrt wor-den, damit die Arbeitsweise des Fotografen dokumentiertist und dessen Auswahl bei der Vergrößerung mit denanderen verglichen werden kann. Die Zusammenstellungder ausgewählten Fotos spiegelt die unterschiedlichen Per-spektiven, die Tschirren für diesen Auftrag gewählt hat:Ein Bild ist von links unten aufgenommen, ein anderesstärker frontal, ein drittes gibt einen höher gewähltenStandpunkt der Kamera wieder, zwei weitere zeigen dieVerschiebungen des rechten Arms der Krankenschwesterund den unterschiedlichen Schattenwurf auf ihrem Kopf.Bei der Betrachtung der erhaltenen Negative wird deutlich,dass auch die hier dokumentierten Differenzen minimalsind. Als Serie zeigen sie aber immer noch TschirrensArbeitsweise.

Bei den Personenaufnahmen, wie Familien-, Kinder-,Konfirmations- oder Hochzeitsfotos, blieb mindestens eineSerie zu jedem Jahrzehnt erhalten. Diese wurden durch

Hans Tschirren, Bern:„Lawinenhunde Kurs kl.Scheidegg, Dez. 1951“, Scansab Negativ, 6x6 cm (StAB,FN Tschirren N 20/57)

25 Ebenda, S. 102.

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einzelne reduzierte Serien ergänzt, damit die verschiede-nen Aufnahmetechniken und -perspektiven Tschirrens inder Personenfotografie gut dokumentiert sind. Die Fotoseiner Familie aus unterschiedlichen Fotosessionen bliebenin all ihren Serien erhalten, weil sie über eine längere Zeit-spanne eine Familie dokumentieren. Nach dem gleichenPrinzip, wie es bei den Personenaufnahmen Anwendungfand, erfolgte auch die Bewertung der Werbe- und Sachauf-nahmen sowie der Blumen- und Naturaufnahmen. DieseThemenbereiche wurden stark reduziert, da sie einen starkseriellen Charakter aufweisen. Ungefähr 20 Prozent blie-ben erhalten. Tschirrens Auslandsaufnahmen sind grund-sätzlich nach den gleichen Kriterien bewertet worden, wiesie auf die Reportagen angewandt wurden, mit dem einzi-gen Unterschied, dass die Selektion in diesem Bestand stär-ker ausfiel. Die unbeschrifteten Aufnahmen wurdenzuletzt bearbeitet, da die Kenntnis des bereits bewertetenMaterials mögliche Zusammenhänge zwischen den kon-textlosen Aufnahmen und den gut dokumentierten Serienerlaubte.

Die Abzüge blieben mehrheitlich erhalten, da ihreAnzahl um einiges kleiner war und sie einen geringerenkonservatorischen Aufwand erfordern. Von gleichartigenAbzügen, das heißt Abzügen, die den gleichen Bildaus-schnitt, den gleichen Kontrast und die gleiche Helligkeitaufweisen, sind zwei Dubletten aufbewahrt und die restli-chen kassiert worden. Zudem beinhalten die Abzüge eineweitere Interpretationsebene des Fotografen und gebenHinweise zur Auswahl des Fotografen. Die Erhaltung derPositive relativiert außerdem die Kassation der Negativebis zu einem gewissen Maß. Das weit gehende Erhalten derAbzüge darf nicht dahingehend missverstanden werden,dass diesen höherer Wert beigemessen wurde als Negati-ven, sondern liegt in der spezifischen Zusammensetzungdes Nachlasses begründet.26 Bei den Belegen war vonvornherein klar, dass nur Dubletten entsorgt werden undder Bestand an sich erhalten bleiben sollte, da die Belegeviele Informationen über die Verwendungskontexte undHinweise für die weitere Erforschung von Tschirrens Tätig-keitsfeld bieten. Viele der Belegsexemplare von der „Pro-pagandazentrale der Schweizerischen Milchwirtschaft“zeigen das Zusammenfließen von Tschirrens fotografi-schen und grafischen Arbeiten.

Zu Beginn der Bewertungsarbeit für den FotonachlassTschirren wurde die Auswahl stets mit der Fotokonserva-torin des Staatsarchivs diskutiert, um die Kriterien derBewertung anhand der einzelnen Beispiele festzulegen, sodass mit der Zeit nur noch Spezialfälle oder bei Beginneines neuen größeren Themenblocks eine erweiterte Dis-kussion der Bewertung stattfand. Dieser stete Austauschhat sich als hilfreich und wichtig für die Bewertung erwie-sen, da das Zusammenfließen von konservatorischen undarchivarischen Aspekten eine wichtige Voraussetzung war,um die Selektion sowohl nach inhaltlich historischen alsauch nach konservatorischen Kriterien vornehmen zu kön-nen.

Hans Tschirren – eine biografische Skizze eines Berner Foto-grafenHans Tschirren (geb. 21.7.1911 in Aarberg Kt. Bern, gest.22.2.1991 in Bern) machte eine Berufslehre als Flachmalerund bildete sich an der Kunstgewerbeschule Basel zumGrafiker aus. Bereits in dieser Zeit begann er sich als Auto-didakt fotografisch zu betätigen, so stehen die ersten erhal-tenen Fotografien noch im Zeichen der privaten Nutzungdes Mediums, wie etwa sein erstes Farbdia, das er 1931 inseinem Garten aufnahm.

1939 eröffnete Tschirren ein eigenes Geschäft für Grafik,Film und Fotografie in Bern. Er arbeitete als Bildjournalistfür verschiedene Schweizer Zeitschriften wie unter ande-ren für das Du, die Schweizer Illustrierte, Hauswirtschafts-sonderhefte, Grün – das Gartenmagazin, SchweizerischeRadiozeitung sowie Berner Tageszeitungen. Ein weitererwichtiger Erwerbszweig waren Werbefotografien undDokumentationsauftragsarbeiten für verschiedene Firmenund kantonale sowie eidgenössische Verwaltungen, aberauch Arbeiten für Privatpersonen und Vereine. Tschirrenfotografierte über die Jahre hinweg ein sehr breites The-menspektrum: Naturaufnahmen sind in seinem Schaffenebenso dicht vertreten wie Industrie- oder Architekturauf-nahmen. Porträts von Familien und Künstlern reihen sichan Hochzeitsaufnahmen und Reportagen zur Mobilma-chung von 1939 oder zur Großbaustelle Oberaar. Außer-dem sind immer wieder Fotografien zum Alltag in derStadt und auf dem Land zu finden. So alltägliche Dingewie Kochen und Kinderbetreuung fanden ebenso Beach-tung wie Sport- und politische Ereignisse, Universitäten,Militär und Mode. Einzelne Themen, wie z. B. Schrebergar-ten, Blumen, Landschaft, die ihm persönlich nahe lagen,ziehen sich durch seine ganze Schaffenszeit. Private Fotossind teilweise kaum von professionellen zu unterscheiden,da sich bei Tschirren die beiden Gebiete stets aufs Neuevermischt haben. Neue Techniken verwendete Tschirrenzuerst im privaten Bereich, bevor er sie für Auftragsarbei-ten nutzte. Hervorzuheben sind die Reisereportage überSpanien in den 30er Jahren, die Aufnahmen für das RoteKreuz (50er Jahre), die Reportagen zum Alter (70er Jahre)und zu den Blindenheimen 1948-1950. Die letzten Aufnah-men stammen aus dem Jahr 1990, was heißt, dass HansTschirren gut 50 Jahre lang fotografisch tätig war.

Seine Fotografien weisen eine gute Bildqualität auf, diestets im Dienste der Dokumentation stand. Insofern istHans Tschirren ein wichtiger Dokumentalist des berni-schen landwirtschaftlichen, gewerblichen, industriellenund vor allem kulturellen Lebens, und als solcher ist seinfotografischer Nachlass im Staatsarchiv Bern aufgenom-men und erschlossen worden. Die Qualität des Nachlassesim dokumentarischen wie im ästhetischen Sinn trat erstmit der detaillierten Sichtung im Laufe des Bewertens undSelektionierens ans Licht.

26 Die Abzüge sind in säurefreie Schachteln verpackt und die einzelnenAbzüge mit einem Blatt fotokonservatorischem Papier voneinandergetrennt worden. Die thematische Ordnung der Abzüge, die Tschirrenvorgenommen hat, blieb erhalten und ist durch eingefügte, beschrifte-te Kartons erkenntlich.

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FazitDas dargestellte Beispiel der Bewertung von Hans Tschir-rens Fotonachlass hat einen Weg der Bewertung aufge-zeigt, auf dem ein großer und vielfältiger Bestand um dieHälfte der konservatorisch problematischen Negativereduziert werden konnte.27 Die Bewertung der Negativeführte dazu, dass ca. die Hälfte derselben kassiert wurde.Das heißt, von ursprünglich ca. 50.000 wurden ca. 7.000Cellulosenitrat- und ca. 15.000 Celluloseacetat-, Farbnega-tive beziehungsweise Farbdias archiviert. Die angewende-ten Bewertungskriterien und das gewählte Verfahrenhaben dazu geführt, dass trotz der massiven Reduktion dieArbeitsweise Tschirrens und das ganze Themenspektrumerhalten blieben.

Die Frage, welche Fotografien archivwürdig und damiterhaltenswürdig sind, kann nicht direkt beantwortet wer-den, sondern es kann lediglich ein Verfahren zur Redukti-on von Fotobeständen beschrieben werden, das die Quali-tät und Vielfalt des Bestandes berücksichtigt. Dazu sindklare Kriterien für die Bewertung aufzustellen. Das Bei-spiel hat einen gangbaren Weg gezeigt. Die Diskussionüber die Vorgehensweisen bei der Bewertung von Fotogra-fennachlässen bedarf aber der Weiterführung, denn wirstehen hier erst am Anfang. Sicher ist, dass es dazu eineMethoden und Fächer übergreifende Diskussion, wie sieWiegand gefordert hat, benötigt.

27 Um den Nachlass zu bewerten, konservatorisch korrekt umzupackenund ihn minimal zu erschließen, wurden insgesamt ungefähr 960Arbeitsstunden investiert. Die Materialkosten zur Umlagerung beliefensich auf 6.000 CHF.

1 Das DHI war 1929 als Stiftung bürgerlichen Rechts in Berlin gegründetworden und hatte lt. Satzung vor allem die Aufgabe ... „die sich aus derfortschreitenden Entwicklung ergebenden technischen, kaufmänni-schen, volkswirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Probleme desHandwerks zu bearbeiten und für die Praxis nutzbar zu machen.“ DasDHI wurde in München 1948 in der Rechtsform des eingetragenen Ver-eins neu belebt.

2 Hanns-Eberhard Schleyer, Erwartungen des Handwerks an die Wis-senschaft in: Handwerk und Wissenschaft: Partner auf dem Weg insnächste Jahrtausend; Symposion am 23. Okt. 1996; hrsg. v. d. Handwerk-skammer Münster u. d. Westf. Wilhelms-Universität, Münster: Wax-mann, 1997, S. 37 ff. [42].

Archivtheorie und -praxis

Archive und Bestände

Vgl. auch den Beitrag „Zwei neue Außenstellen …“ unten unterder Rubrik „Archivtechnik“.Das „Deutsche Handwerksarchiv (DHA)“ im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA)

„Handwerksforschung“ – Ursache und Wirkung für Defizite„Die wissenschaftliche Landschaft bietet im Bereich derHandwerksforschung ein eher trostloses Bild. Lediglichdas von der Handwerksorganisation, Bund und Länderngemeinsam getragene Deutsche Handwerksinstitut [DHI]mit seinen sieben in Deutschland verteilten Forschungsin-stituten1 hat sich zum Ziel gesetzt [...], ,Fragen des Hand-werks wissenschaftlich zu untersuchen, insbesondere aufwirtschaftlichem, technischem, soziologischem, rechtli-chem, pädagogischem, kulturellem und gesellschaftlichemGebiet.’ Dies ist ein sehr hoher Anspruch, wenn man weiß,daß in all diesen Instituten dafür knapp 60 Mitarbeiter zurVerfügung stehen.“2 Diese Analyse traf im Jahr 1996Hanns-Eberhard Schleyer, seit 1990 Generalsekretär desZentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH).

Man erwarte künftig ... „von der Wissenschaft, daß siedem Handwerk die Aufmerksamkeit zuteil werden [...]lasse [...], die dessen wirtschaftlicher, gesellschaftlicherund sozioökonomischer Bedeutung gerecht [...] werde; vor

allem auch eine wachsende Bereitschaft zur Kooperationund Kommunikation mit dem Handwerk während derForschungs- und Entwicklungsprozesse, weil nur so diePraxisprobleme in die Arbeit der Wissenschaftler einflie-ßen und schließlich im Ergebnis des wissenschaftlichenDenk- und Handlungsprozesses ihren Niederschlag findenkönnen.“3

Weiter erwartete Schleyer, ... „daß die wissenschaftlicheForschung und Lehre in bezug auf das Handwerk im Laufeder Zeit eine Institutionalisierung [...] erfahre [...] durch dasEntstehen spezieller Handwerkslehrstühle und Hand-werksinstitute an Universitäten und Fachhochschulen.“4

Derartiges hat sich bis dato nicht „ereignet“, so dass derBefund von 1996, dass das Deutsche Handwerksinstitutund seine Institute ... „nach wie vor allein auf weiter Flurdas Handwerk wissenschaftlich durchdringen [...]“,5 nachwie vor Gültigkeit hat. Schleyers Erwartungshaltunggegenüber der Forschung scheint Nahrung aus den Meta-daten zur deutschen Wirtschaft zu beziehen. 1995 hatte derHandwerkssektor mit rd. 6,7 Mio. Beschäftigten mehr als12 % des gesamtwirtschaftlichen Produktionswertes ge-schaffen.6 Ein Blick in andere Wirtschaftszweige mit etwagleich großer Wertschöpfung zeigt indessen, dass dort For-schung und Anwendung durch die „Zwischenschaltung“sog. Fachinformationszentren (FIZ) eng verzahnt sind.Schleyer scheint mit seinen Forderungen den klassischenAufgabenkanon eines FIZ zu umreißen, was auch dieFrage aufwirft, warum ein „FIZ Handwerk“ nicht existiert,und zwar um so mehr, wenn man sich die Phalanx derDHI-Institute näher besieht: Heinz-Piest-Institut für Hand-

3 Ebd., S. 48 f.4 Ebd., S. 48.5 Ebd., S. 47.6 Heribert Meffert: Handwerk — ein Thema für die wirtschaftswissen-

schaftliche Forschung? (ebd., S. 17 ff. [19]).

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werkstechnik an der Universität Hannover (HPI), For-schungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk an derUniversität zu Köln (FBH), Seminar für Handwerkswesenan der Universität Göttingen (sfh), Institut für Technik derBetriebsführung Karlsruhe (itb), Institut für Kunststoffver-arbeitung in Industrie und Handwerk an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, Abt.Handwerk (ikv) sowie Ludwig-Fröhler-Institut für Hand-werkswissenschaften München (LFI) mit den AbteilungenHandwerkswirtschaft und Handwerksrecht.7 Diese Institu-te sollen „anwendungsbezogene und zielorientierte wis-senschaftliche Forschung“ treiben und sich ... „dem Trendder Zeit zu mehr aktuellen und praktisch verwertbarenForschungsergebnissen nicht verschließen.“8 Nicht unter-suchungswürdig scheinen demnach die in der DHI-Sat-zung ebenfalls zu findenden „Fragen des Handwerks aufkulturellem und gesellschaftlichem Gebiet“. Die Satzungenthält seit 1929/1948 auch die Zielvorgabe zur Unterhal-tung eines zentralen Handwerksarchivs. Vor mehr als 40Jahren bemühte sich der Westdeutsche Handwerkskam-mertag Düsseldorf (WHKT) um deren Verwirklichung undlegte im Juni 1965 ein ausführliches Konzept für eine sol-che Einrichtung, die bei näherer Prüfung allerdings nichtnur die Dimension eines „FIZ Handwerk“ erreicht, son-dern in Einzelaspekten weit überschritten haben würde,vor, doch wurde es vom DHI-Vorstand verworfen.9 Seitherhatte das Thema keine „Konjunktur“.

Konzeption des „DHA“„Der Zentralverband des Deutschen Handwerks wird imSommer 1999 seinen Sitz von Bonn nach Berlin verlegen,in diesem Zusammenhang wurde die Neuordnung desArchivbestandes beschlossen. Mittlerweile ist der Aktenbe-stand von ca. 3,5 km [...] von den 120 Mitarbeitern des Hau-ses erheblich reduziert worden. Die nächste Aufgabebesteht jetzt in der Neuordnung der Aktenbestände undder Erarbeitung eines Aktenplanes für das gesamte Haus.Hierzu benötigen wir die fachkundige Hilfe eines Archi-vars [...].“ So stand es in einem Schreiben des ZDH, das amSchwarzen Brett des Fachbereichs Archiv, Bibliothek,Dokumentation der FH Potsdam aushing. Die Bewerbungdes Autors führte zur Einstellung (August 1998). Es ergabsich, dass die gestellten Aufgaben nicht allein für den ZDH,sondern auch für den Deutschen Handwerkskammertag(DHKT) und die Bundesvereinigung der Fachverbändedes Deutschen Handwerks (BFH), die seit langem einegemeinsame Geschäftsstelle unterhalten, zu erledigenwaren. Zunächst galt es, den Umzug der drei Organisatio-nen nach Berlin „aktenseitig“ vorzubereiten und hierfürdie vorhandenen Schriftgutmengen der lebenden und derAltregistratur einer drastischen Reduzierung zu unterzie-hen. „Anfänge“ zur Reduzierung des Altaktenbestandswaren, wie sich aus der Stellenausschreibung ergibt, schongemacht, doch erbrachte die Analyse des noch Vorhande-nen, dass etliche Schriftgutkategorien ohne Abstimmung

zwischen den Abteilungen der Gemeinsamen Geschäfts-stelle in Gänze der „Vorvernichtung“ zum Opfer gefallenwaren. Einige der Lücken konnten mit Akten aus dem etwa120 lfm. umfassenden „Altbestand Generalsekretär“, derwegen separater Lagerung von der „Vorvernichtung“ nichtbetroffen war, wieder geschlossen werden.

Die lebende Registratur umfasste etwa 1.500 lfm. inBriefordnern. Die Altregistratur belief sich auf noch etwa900 lfm. (dto.). Das mit Kompaktanlagen ausgestatteteMagazin im künftigen Berliner Verwaltungsgebäudewürde eine Kapazität von etwa 950 lfm. aufweisen, waralso rechnerisch bereits so gut wie voll. Aus dem laufen-den Betrieb drängten noch in Bonn weitere rd. 200 lfm. indie Altregistratur. Demgemäß war schnellstmöglich eineReduzierung der Akten der lebenden und der Altregistra-tur vorzunehmen. Hierzu mussten aber zunächst Informa-tionen über die komplexe Handwerksorganisation undihre Arbeitsweisen gewonnen werden. Gelegenheit hierzubot allein der laufende Geschäftsbetrieb, und in zahlrei-chen Gesprächen mit den Referentinnen und Referentenkonnte dieses Bild zumindest grob konturiert werden. BisAnfang Juli 1999 wurde der inzwischen auf rd. 1,3 kmangewachsene Bestand der Altregistratur um rd. 650 lfm.– ca. 7.800 Briefordner – reduziert. Aus diesem „Rumpfbe-stand“ ließ sich recht deutlich ersehen, auf welchen Gebie-ten die Bundesorganisationen des Handwerks tätig sind.Es zeigte sich auch, dass der laufende Betrieb auf einmalzur Altregistratur gegebene Akten nur selten zurückgriff,so dass diese nunmehr im Hinblick auf ihre Archivwürdig-keit bewertet werden konnten. Obschon die drei Organisa-tionen satzungsgemäß eigenständig sind und durchausunterscheidbare Aufgaben wahrnehmen, was die Bildungdreier gesonderter Einheitsbestände nahezulegen schien,ergaben sich durch die seit 1967 bestehende Identität in derLeitungsebene (gemeinsamer Präsident, dto. Generalsekre-tär), durch organisationsübergreifende Arbeitsweisen unddie vorhandenen Querschnittsabteilungen Vermischun-gen, die nur mit unvertretbar großem Aufwand zu ent-flechten gewesen wären und tausende von Verweisenerforderlich gemacht hätten, so dass ein zusammengefass-ter Bestand „Gemeinsame Geschäftsstelle von ZDH,DHKT und BFH“ gebildet wurde. Da aber in der Altregi-stratur verschiedentlich auch Fremdprovenienzen zumVorschein kamen, ergab sich mehr und mehr das Problemder Strukturierung der Altregistratur und der Aufstellungder Bestände. Mehr aus praktischen Gründen wurden„vorsichtshalber“ sämtliche Gliederungsebenen der weitverzweigten Handwerksorganisation in die „vorausschau-ende Tektonik“ einbezogen und das zunächst nur virtuel-le Archiv mit dem anspruchsvollen Arbeitstitel „DeutschesHandwerksarchiv (DHA)“ bezeichnet. Die vorgeseheneBeschäftigungszeit erwies sich jedoch als zu knapp bemes-sen, so dass der Vertrag 1999 um ein Jahr verlängert und2000 entfristet wurde.

Der Gliederung des Gesamtbestandes des „DHA“wurde das in der Handwerksorganisation durchgängiganzutreffende geografische Prinzip zugrunde gelegt,womit zugleich die hierarchischen Ebenen abgebildet wer-den. So fanden in der Bestandsgruppe 1 (Rep. 100 ff.) dielokal bzw. auf Kreisebene agierenden Einheiten und Glie-derungen (Handwerksbetriebe, Zünfte, Innungen, Kreis-handwerkerschaften etc.) Berücksichtigung, während dieHandwerkskammern, Landes- bzw. Bezirkshandwerks-

7 Nähere Angaben zum DHI finden sich auf der Website des ZDH(www.zdh.de). Das Seminar für Handwerkswesen an der UniversitätGöttingen (sfh) beschäftigt sich überwiegend mit volkswirtschaftlichenFragestellungen und betreibt auch die Belegexemplarbibliothek fürDHI-Schriften (s. ebd.).

8 Wie Anm. 2, S. 42.9 DHA, Rep. 358 (DHI), Nr. (74), Denkschrift v. 14.06.1965 u. ebd., Nr. (45)

Sitzung DHI-Vorstand, 14.07.1965.

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kammern (ehem. DDR), die Handwerkskammertage inden ehem. Besatzungszonen (und danach), Landesin-nungsverbände, Landeshandwerksvertretungen, die sog.Buch- und Steuerberatungsstellen usw. in der Bestands-gruppe 2 (Rep. 200 ff.; Bezirks-, Provinz-, Gau- und Län-derebene) zu finden sind. In die Bestandsgruppe 3 (Rep.300 ff.) wurden die Überlieferungen der auf Reichs- bzw.Bundesebene agierenden „Einheiten“ eingefügt. Hier seiauf die Bestände Rep. 305 Reichsverband des DeutschenHandwerks (Splitter), Rep. 308 Reichsstand des DeutschenHandwerks (Splitter), Rep. 310 Reichsgruppe Handwerkmit den angeschlossenen Reichsinnungsverbänden (Split-ter), Rep. 365 Gemeinsame Geschäftsstelle von ZDH,DHKT und BFH und auf die frühere Überlieferung dieserVerbände (bis 1966) bzw. der Vorgängerorganisationenhingewiesen: Rep. 355 Zentralarbeitsgemeinschaft desHandwerks im Vereinigten Wirtschaftsgebiet (ZAG), Rep.355A ZDH, Rep. 325 Vereinigung der Handwerkskammernin der Bundesrepublik Deutschland (später DHKT) undRep. 335 Vereinigung der Zentralfachverbände des Deut-schen Handwerks (später BFH). Weiter sind von Bedeu-tung: Rep. 320 Deutscher Handwerks- und Gewerbekam-mertag (DHGKT; aufgelöst im März 1943 und als Abtei-lung Handwerk in die Reichswirtschaftskammer einge-fügt) und Rep. 358 Deutsches Handwerksinstitut - DHI (ab1945/48). Die Bestandsgruppe 4 (Rep. 400 ff.) wurde frei-gehalten für Handwerksverbände mit internationaler Aus-richtung, während Nachlässe in der Bestandsgruppe 5untergebracht wurden. Sammlungen finden sich in derBestandsgruppe 6 (Rep. 600 ff.), wobei das Sammlungsgutrecht breit gefächert ist (Fotos, Karten, Plakate, Lehr-,Gesellen- und Meisterbriefe, Auszeichnungen, Geschäfts-berichte [v. a. Rep. 650 Zentralfachverbände/Bundesin-nungsverbände und Rep. 660 Handwerkskammern], Mate-rialsammlungen Rep. 678/1 ff. (Handwerksgeschichte,-recht, -politik, berufliche Bildung, Handwerk in Europaetc.). Die Bestandsgruppen 7, 8 und 9 umfassen animierteBild- und Tonträger, Fremdarchivalien und Realia (Stem-pel, Ehrenzeichen, Jubiläumsgaben, Meisterstücke etc.).Die Bestandsgruppe 12 wurde freigehalten für die sog.Dritte Gruppe (handwerksnahe Versicherungen und wei-tere wirtschaftliche Einrichtungen, die dem ZDH lt. Sat-zung beitreten können).

Der sukzessive Auf- und Ausbau des „Deutschen Hand-werksarchivs“ wirkte sich nicht nur auf die Erledigung derArbeit in der Gemeinsamen Geschäftsstelle positiv aus. Imtäglichen „Inhouse-Geschäft“ wurde vor allem auf dieintensiv verzeichnete eigene Überlieferung zugegriffen. Eszeigte sich weiter, dass die Geschäftsberichte der Hand-werkskammern (Rep. 660) insbesondere der Jahre 1933 bis1938/39 vielfach gut geeignet sind, diesen weitgehendüberlieferungslosen Zeitraum zumindest im Hinblick aufseine wesentlichen Arbeitsinhalte zu „beleuchten“. DieBerichte konnten teilweise auch für die Erledigung vonAnfragen der Träger der gesetzlichen Rentenversicherungherangezogen werden, weil hierin nicht selten die sog.Erziehungsbeihilfen (Lehrlingsvergütungen) abgedrucktsind. Wegen der organisationsweit relevanten Entschei-dungen der Verwaltungsbehörden und Gerichte zu Gewer-beuntersagungen, Geldbußen wegen „Schwarzarbeit“ undaus ähnlichen Gründen waren die durch Vorvernichtungteils fehlenden und im Zusammenwirken mit den Hand-werkskammern wieder beschafften hauseigenen Rund-

schreibendienste in größerem Umfang Gegenstand vonAushebungen.

Interessante Erkenntnisse erbrachte der vom Autor imFrühjahr 2002 initiierte „Arbeitskreis Schriftgutverwal-tung“, in dem etwa 20 der 55 Handwerkskammern vertre-ten waren. Ging es anfänglich vor allem um die Erarbei-tung eines Katalogs von Aufbewahrungsfristen fürbestimmte Schriftgutkategorien, so stand bald auch derBereich dauernde Aufbewahrung und Archivwürdigkeitauf der Tagesordnung. Dabei zeigte sich, dass im BereichArchivierung höchst unterschiedliche Ansätze bzw. Rege-lungen bestehen. Während für die Archivierung der Über-lieferung der baden-württembergischen Kammern (Aus-nahme Ulm)10 das Baden-Württembergische Wirtschaftsar-chiv zuständig ist, haben sich die bayerischen Kammernbereits 1992 auf eine Archivierung im jeweils zuständigenStaatsarchiv verständigt. Die Kammer Leipzig gibt ihreAltakten an das Sächsische Wirtschaftsarchiv ab, währenddie Kammer Oldenburg auf eine Archivierung in einerGemeinschaftseinrichtung der Handwerksorganisationsetzte und den Worten schon im Frühjahr 2002 durch eineerste Ablieferung die Tat folgen ließ.11 Anhand der Aufbe-reitung dieser Akzession setzte sich im Arbeitskreis dieIdee zum Ausbau des Archivs von ZDH, DHKT und BFHzum „Deutschen Handwerksarchiv“ durch. Dabei ergabdie Abwägung Staatsarchiv oder „DHA“ ein Mehrheitsvo-tum zur „Archivierung in eigener Regie“ (die Archivgeset-ze der Länder lassen eine solche fast durchgängig zu). Ver-einzelt wurden nun auch Überlieferungen von Hand-werksbetrieben übernommen und verzeichnet, und auchein Klassifikationsmodell hierzu konnte erarbeitet undeingesetzt werden. Die Akquisition von Nachlässen ehe-maliger leitender Angestellter der Organisation erschiengleichfalls geboten, um so die Phase des Übergangs vonder reichs- auf die bundesstaatliche Ordnung im Bereichder Handwerksorganisationen auf einer breiteren Quellen-basis „nachzeichnen“ zu können. Hier sind es die später-hin auf Betreiben des Archivars akquirierten NachlässeKurt Lessmann und Hermann Siedbürger, denen Relevanzzukommt.12 Nach Erlass einer Benutzungsordnung für das„DHA“ Anfang 2002 und dessen Aufnahme in das Ver-zeichnis „Archive in der Bundesrepublik Deutschland,Österreich und der Schweiz“ stellten sich die ersten exter-nen Nutzerinnen und Nutzer ein. Ihnen konnte Materialfür Arbeiten über Betriebsgrößenklassen und -strukturenvon Fleischereibetrieben in den Jahren 1920 bis 1933, zurhandwerklichen Fertigung von Schuhen im Zeitraum 1900bis 1990, zu den Grundzügen des zünftigen Handwerks,zur Berufsbildung in den Jahren 1933 bis 1945 und zu wei-teren Themen zur Verfügung gestellt werden. Gegenstandvon externen Anfragen bildeten häufig die sog. Handwerk-szeichen (ab 1934 als Zeichen der Reichsinnungsverbändeeingeführt). Vereinzelt war „Zuarbeit“ für Jubiläumsschrif-

10 Die Kammer Ulm gibt ihre Altakten an das örtliche Stadtarchiv ab.11 Im Zuge der „Abwicklung“ des DHA am Standort Berlin wurde die

Überlieferung der Handwerkskammer Oldenburg im Mai 2005 an dasNiedersächsische Staatsarchiv ebd. abgegeben.

12 Beide Nachlässe dokumentieren die „letzten Tage“ der alten Organisa-tionen (z. B. Sitzverlegung der Reichsgruppe Handwerk im April 1945;Rep. 500 NL Siedbürger) und den Wiederaufbau der Handwerksorga-nisation ab 1945 (Rep. 500 NL Lessmann). Die Genannten waren ehe-dem bei der Reichsgruppe Handwerk tätig und wurden späterhin vomZDH weiter bzw. neuerlich beschäftigt. Lessmann war von 1950 bis 1967Leiter der Abt. Recht der Gemeinsamen Geschäftsstelle, SiedbürgerReferent für Statistik in der Abt. Wirtschaftspolitik.

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ten zu leisten. Diese Unterstützung sprach sich in der weit-läufigen Handwerksorganisation rasch herum und„bescherte“ dem Archivar Anfragen und Rechercheaufträ-ge in mitunter kaum noch zu bewältigendem Ausmaß.Große Relevanz hatten dabei vor allem Anfragen zur Ent-wicklung des Handwerksrechts bis in die Gegenwart,wobei mitunter gar nach der Genese einzelner Vorschrif-ten der Handwerksordnung gefragt wurde.13 All dies lässterkennen, dass das „Deutsche Handwerksarchiv“ in sinn-voller Weise eine „Dienstleistungslücke“ im Gefüge derHandwerksorganisation geschlossen hatte.

In dem Maße, wie sich das Berliner Archiv zur zentra-len Anlaufstelle für Fragestellungen mit historischen bishin zu aktuellen Bezügen auswuchs, wurde auch die haus-eigene Spezialbibliothek, deren Betreuung ebenfalls demAutor oblag, systematisch zur führenden Fachbibliothekim Lande ausgebaut. Dies erkennend, waren einzelneHandwerkskammern zur Abgabe wertvoller Bücherbe-stände bereit, zumal auch die Perspektive eines späterhinzu ermöglichenden online-Zugriffs auf den OPAC der„Deutschen Handwerksbibliothek“ (Arbeitstitel) bestand.Der Anfang zur Retrokatalogisierung ihres etwa 20.000Medien umfassenden Bestandes unter Verwendung derSoftware „allegro-C“ war Inhalt einer Lehrveranstaltungdes Fachbereichs ABD der FH Potsdam im WS 2000/2001f. Dabei ging es vor allem darum, geeignete Formaler-schließungsparameter für die umfangreichen Bestände an„grauer Literatur“ zu entwickeln, um so die „Regeln fürdie alphabetische Katalogisierung an wissenschaftlichenBibliotheken (RAK-WB)“ situationsgerecht fortzuschrei-ben. Auch an einen „Input“ für die verschiedenen Norm-dateien der Deutschen Bibliothek (DDB) war gedacht,zeigte sich doch, dass viele Handwerkskörperschaften und-vereinigungen in der „Gemeinsamen Körperschaftsdatei“fehlen. In der „Schlagwortnormdatei“ ist der Sektor Hand-werk ebenfalls nur rudimentär vertreten. Bei der inhaltli-chen Erschließung betrat man gemeinsam Neuland, dennes wurde den verschiedenen Erfassungsmasken jeweils ein„Inhaltsfeld“ (Kannfeld) hinzugefügt, das ein Abstractoder sonstige erläuternde Angaben aufnehmen konnte.14

Abwicklung und Übernahme des „DHA“Die angespannte Finanzlage des ZDH, Ende Januar 2004ausgelöst durch die Insolvenz der handwerk.de/ AG,Betreiberin des Internetportals „handwerk.de“, hat wohlletzten Endes auch zu der Entscheidung geführt, das„DHA“ per 31.07.2005 aufzugeben. Die Unternehmensplei-te, die sich schon 2002 abzuzeichnen begann,15 traf im Prin-zip die gesamte Handwerksorganisation, denn Gesell-schafter der handwerk.de/ AG waren neben ZDH, DHKTund BFH auch Handwerkskammern und Zentralfachver-bände. In Berlin muss daher ein strikter Sparkurs „gefah-ren“ werden, zumal sich die von der handwerk.de/ AG

nachgelassenen Schulden auf 5 Mio. Euro beliefen; dasDebakel ließ gar die Zahlungsunfähigkeit des ZDH ingreifbare Nähe rücken.16

Es wurde mit der Geschäftsführung Verständigung dar-über erzielt, dass das „Deutsche Handwerksarchiv“ mög-lichst in Gänze erhalten bleiben und in dieser Form an einanderes Archiv abgegeben werden sollte. Im Zuge derÜbernahme einiger Splitterbestände durch die StiftungRheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv (RWWA) mach-te dessen Direktor, Dr. Ulrich S. Soénius, dann das Ange-bot, das „Deutsche Handwerksarchiv“ weitestgehend zuübernehmen. Dabei vermochte insbesondere der Docu-ment Delivery Service des RWWA zu überzeugen, wonachein zeitnaher Zugriff auf das einzelne Archivale ermöglichtund ein bestimmtes darin enthaltenes Schriftstück aufAnforderung entweder per Fax oder als E-Mail-Anlageübermittelt wird.17

Im Zuge der Vorbereitung der Abgaben an das RWWAwaren zahlreiche Restarbeiten in Berlin zu leisten. „Unter-lassungssünden“ aus der Vergangenheit waren zu bereini-gen, und die durch Kompletträumung des Magazins (2002)bzw. nachfolgende Neuaufstellung unterbrochenen Arbei-ten zur Abgrenzung der Bestände abzuschließen. Schließ-lich war die gesamte Altregistratur (ca. 600 lfm.) binnenkurzer Frist abschließend auf ihre Archivwürdigkeit hin zuprüfen. Es wurde beiderseits Wert darauf gelegt, dass dieArchivalien in einem Zustand abgegeben bzw. übernom-men werden, der einen sofortigen Zugriff auf das einzelneStück gewährleistet. Hierzu entstanden jeweils gesonder-te Abgabelisten für die „Zielbestände“ gem. „DHA“-Tek-tonik, deren Verzeichnungsangaben in eine künftige Find-datei des RWWA ohne weiteres zu übernehmen sein sol-len. Unter erheblichen Anstrengungen ist es gelungen, dienotwendigen Arbeiten im März 2006 abzuschließen unddie Abgabe zu vollziehen.18

Unter Beibehaltung der „DHA“-Strukturen bildet das„DHA“ nun eine Abteilung (Abt. 350) im RWWA-Gesamt-bestand. Für die Sicherung der Quellen der Handwerksor-ganisationen ist es ein Glücksfall zu nennen, dass dasRWWA, dem an dieser Stelle noch einmal für die konstruk-tive und zielorientierte Zusammenarbeit gedankt sei, als„Notarzt“ für das „DHA“ eingesprungen ist. Darum ist esnur konsequent, dass es die wohl bundesweit einmaligeSpezialbibliothek Handwerk gleichfalls übernommen hat,die derzeit im Online-Katalog (Alephino) des RWWA kata-logisiert wird.

Berlin Peter Belli

13 Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung - HwO) vom17.09.1953 (BGBl. I S. 1567).

14 Das Projekt stand unter der Leitung von Prof. Dr. Dagmar Jank, Pro-rektorin der FH Potsdam. Die technische Unterstützung, vor allem diewiederholt vorzunehmende Anpassung der komplizierten „DOS“-Soft-ware „allegro-C“ an die örtlichen Bedürfnisse, übernahm Sven Men-sing, seinerzeit Student der Fachrichtung Dipl.-Bibliothekar (FH). DerAutor steuerte die fachlichen Hintergrundinformationen bei.

15 S. z. B. Der Spiegel 2/2002: „Finanzielle Grenzerfahrung“.

16 S. statt vieler: Ebd., 19/2004, S. 102: „Der Zentralverband braucht fünfMillionen Euro“.

17 Für die Entscheidung, dem RWWA die historisch wertvolle Überliefe-rung aus dem Handwerksbereich zu überlassen, war auch ausschlagge-bend, dass dieses bereits die Überlieferung des Deutschen Industrie-und Handelskammertages (DIHK) verwahrt. Hier sind die Strukturenähnlich wie im Handwerksbereich (Kammersystem etc.).

18 Hierfür sei Birgit Wälzer, Berlin-Spandau, herzlich gedankt. Sie isteines der seltenen „Naturtalente“, und sie hat in ihren drei „DHA“-Jah-ren weit mehr als die Kenntnisse einer Angestellten des mittlerenArchivdienstes erworben.

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Festschrift zum 65. Geburtstag von Hermann Rumschöt-tel überreicht

Ein besonders „gewichtiges“ Geschenk überreichte derBayerische Staatsminister für Wissenschaft, Forschung undKunst Dr. Thomas Goppel namens aller Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter dem Generaldirektor der StaatlichenArchive Bayerns Prof. Dr. Hermann Rumschöttel beieiner Festveranstaltung am 21. September 2006: den ihmals Festschrift zum 65. Geburtstag gewidmeten Band 88 derArchivalischen Zeitschrift.

Die Einladung zur Mitarbeit daran hatte ein außeror-dentliches Echo: 62 Autoren aus dem In- und Auslandhaben sich mit Beiträgen an der von Dr. Gerhard Hetzerund Dr. Bodo Uhl herausgegebenen Festgabe beteiligt, diebei einem Umfang von nahezu 1200 Seiten in zwei Teilbän-de aufgeteilt werden musste. Die bunte Palette von Aufsät-zen lässt andeutungsweise sowohl die Schwerpunkte derarchivischen Arbeit und der Forschungen des Geehrten, alsauch die zahlreichen Netzwerke erkennen, in die HermannRumschöttel eingebunden ist und an denen er selbst mitgeflochten hat.

Zu den Autoren zählen neben zahlreichen Archivarenaus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Slowe-nien, Tschechien und Ungarn auch Vertreter benachbarterBehörden und Institutionen, von Forschungseinrichtungenund -organisationen sowie Professoren mehrerer Universi-täten. Die Beiträge stellen ein buntes Florilegium dar unddecken alle Bereiche der Archivwissenschaft, von derArchivtheorie über die Archivgeschichte und Bestände-kunde bis zum Archivrecht, ebenso ab wie die damit inenger Beziehung stehende Quellenkunde. Vertreten sindbiografische Skizzen über Archivare, aber auch über ande-re Persönlichkeiten aus den unterschiedlichsten Bereichen.Die zahlreichen geschichtswissenschaftlichen Aufsätze gel-ten sowohl der mittelalterlichen als auch der neueren undder Zeitgeschichte, der bayerischen und österreichischenLandesgeschichte, der Verwaltungs-, Militär-, Pharmazie-und Kunstgeschichte. Ein Verzeichnis der Veröffentlichun-gen von Hermann Rumschöttel aus den Jahren 1970 bis2006 rundet die Festgabe ab. Das Inhaltsverzeichnis kannim Internetauftritt der Staatlichen Archive Bayerns unterwww.gda.bayern.de/publik/AZ/html/az88.php eingese-hen werden.

Der Lesesaal des Bayerischen Hauptstaatsarchivs ver-mochte die außerordentlich große Zahl von Gästen kaumzu fassen, die der Einladung zur Präsentation und nach-träglichen Geburtstagsfeier gefolgt waren. Neben Staats-minister Dr. Goppel konnte der stellvertretende General-direktor Dr. Bodo Uhl zahlreiche hochrangige Persönlich-keiten aus Politik, Konsularischem Korps, Kirchen, Mini-sterien, Verwaltung, Justiz, Wissenschaft, Kultureinrich-tungen und natürlich aus dem Archivwesen, darunter aucheine große Zahl von teilweise weit angereisten Autoren,willkommen heißen.

Staatsminister Dr. Goppel dankte Professor Rumschöt-tel ausdrücklich für seine Bereitschaft, seinen Ruhestandum ein Jahr hinauszuschieben, und würdigte die Leistun-gen des Jubilars für das bayerische Archivwesen, dessenhoher Stellenwert in Wissenschaft, Verwaltung und Öffent-lichkeit aufs engste mit dem Namen Hermann Rumschöt-tel verbunden sei, und weit darüber hinaus. Nachdem ereinige andere markante Ereignisse der Amtszeit des Gene-raldirektors angesprochen hatte, hob er besonders die gro-

ßen Erfolge der für Rumschöttel geradezu programmati-schen Vernetzungsarbeit hervor: die Vernetzung der Staat-lichen Archive Bayerns mit zahlreichen Partnern in derVerwaltungsreform, mit den nichtstaatlichen Archiven, mitanderen Gedächtnisinstitutionen und mit der Forschung.

Nachdem Staatsminister Dr. Goppel Professor Rum-schöttel die Festschrift zusammen mit den beiden Heraus-gebern überreicht hatte, stellte sie Dr. Gerhard Hetzer,Schriftleiter der Archivalischen Zeitschrift, auch inhaltlichvor.

Ganz kurzfristig und völlig überraschend war einzusätzlicher Programmpunkt in den Festakt aufzunehmen:Der aus Prag angereiste Generaldirektor der tschechischenArchivverwaltung Dr. Vácslav Babicka, der sich auch alsAutor an der Festschrift beteiligt hat, überreichte Prof. Dr.Rumschöttel und dessen Vorgänger Prof. Dr. WalterJaroschka die vom tschechischen Minister des Innern ver-liehene Ehrenmedaille für Verdienste um das tschechischeArchivwesen.

Bevor die Gäste Gelegenheit bekamen, persönlich ihreGlückwünsche auszusprechen und zum anschließendenEmpfang zu eilen, bedankte sich der Geehrte mit sehr per-sönlichen Worten und unterstrich dabei besonders dieFunktion der Archive und aller anderen Träger desrechtlichen, kulturellen und sozialen Gedächtnisses vonStaat und Gesellschaft als „unverzichtbarer Teil unseresRechts-, Kultur- und Sozialstaats“, eines Gedächtnisses,das wie beim einzelnen Menschen unmittelbare Auswir-kungen auf die Gegenwart und auf die Zukunftsgestaltunghabe, also alles andere als tot sei.

München Bodo Uhl

Archivtechnik

Vgl. auch den Beitrag „Ein neues Depotgebäude …“ unten unterder Rubrik „Auslandsberichterstattung“.

Papierentsäuerung nichtstaatlicher Archive im Rhein-land – Erfahrungsberichte aus dem Historischen Archivdes Erzbistums Köln, dem Stadtarchiv der Landeshaupt-stadt Düsseldorf und dem Stadtarchiv Erftstadt

Papierentsäuerung in der ehemaligen Abtei Brauweiler (NorbertKühn)Im Rahmen eines übergreifenden Bestandserhaltungspro-gramms haben sich der Landschaftsverband Rheinlandund sein zuständiges Rheinisches Archiv- und Museums-amt besonders der Papierentsäuerung angenommen. Nachintensiver Beschäftigung mit der Problematik des Zerfallsvon Papieren, die zwischen ca. 1830 und 1980 entstandensind, ist der Landschaftsverband Rheinland eine Public-Private-Partnership mit der Neschen AG eingegangen. DieNeschen AG bietet mit dem „Bückeburger Verfahren“ einim Staatsarchiv Bückeburg entwickeltes und von derNeschen AG übernommenes und weiterentwickeltes Ver-fahren zur Entsäuerung und gleichzeitigen Papierverfesti-gung von Archivgut an.

Als Ergebnis dieser Partnerschaft wurde am 20. Juli 2004in Anwesenheit des damals zuständigen Ministers desLandes NRW, Dr. Michael Vesper, und des späteren Mini-sterpräsidenten des Landes NRW, Dr. Jürgen Rüttgers,das Rheinische Zentrum für Massenentsäuerung von

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Archiv- und Bibliotheksgut – Neschen AG ArchivcenterWest in Brauweiler eröffnet. Von Beginn an war der Betriebsowohl fachlich als auch wirtschaftlich ein Erfolg.Zunächst ließen vornehmlich größere staatliche Archivewie das Landesarchiv NRW, das LandeshauptarchivKoblenz, das Thüringische Landeshauptarchiv Weimarund das Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburgausgewählte Archivalien im Zentrum in Brauweiler ent-säuern. Das Bundesarchiv ist auf diese Anlage nicht ange-wiesen, da es bereits seit 2002 eine eigene Partnerschaft mitder Neschen AG unterhält und seine Bestände in einemeigens dafür errichteten Zentrum in Dahlwitz-Hoppegar-ten bei Berlin entsäuern lässt.

Ganz im Sinne nichtstaatlicher Kulturgutsicherung neh-men zunehmend auch nichtstaatliche Archive das Zentrumin Brauweiler für Konservierungsarbeiten in Anspruch. Inden Jahren 2005 und 2006 ließen nicht nur große und mitt-lere Stadtarchive, sondern auch kirchliche und privateArchive in erheblichem Umfang Archivalien durch Ent-säuerung und ergänzende Maßnahmen konservieren.

Aus diesem Kundenkreis stammen die folgendenErfahrungsberichte. Sie sind zweifelsohne für die nicht-staatlichen Archive in NRW generell von Interesse, weil dieim Jahr 2005 konzipierte Initiative des Landes NRW zurBestandserhaltung in nordrhein-westfälischen Archivenseit 2006 für die Entsäuerung von kommunalem und ande-rem nichtstaatlichem Archivgut erhebliche Fördermittelbereitstellt, um wertvolles schriftliches Kulturgut auch imnichtstaatlichen, vor allem kommunalen Archivbereichnachhaltig und dauerhaft zu sichern.

Entsäuerung von Akten des Historischen Archivs des Erzbis-tums Köln (Ulrich Helbach)Im Bereich des Archivalienschutzes hat sich für das Histo-rische Archiv des Erzbistums Köln der Schwerpunkt derMaßnahmen von der aufwändigen Restaurierung von Ein-zelstücken weg hin zur vorbeugenden Behandlung ganzer(Teil-)Bestände verschoben. Um die zur Verfügung stehen-den Mittel möglichst effektiv einsetzen zu können, ist alsAuswahlkriterium für Bestände zur potenziellen Behand-lung die Nutzungsintensität festgesetzt worden. Dazuwurden die Aushebungen für sechs Stichjahre (1991, 1992,2001-2004) nach Beständen ausgezählt. Neben der Siche-rungsverfilmung kommt seit der Verfügbarkeit maschinel-ler Verfahren der Papierentsäuerung wachsende Bedeu-tung zu. Auch das Historische Archiv des Erzbistums Kölnist 2005 testweise in die Papierentsäuerung von Akten, indiesem Fall nach dem vom Landschaftsverband Rheinlandgeförderten Verfahren der Einzelblattbehandlung durchdie Neschen AG („Bückeburger Verfahren“), eingestiegen.Wegen der in der Summe nicht unerheblichen Kosten, diedieses Verfahren verursacht, mussten auch hier Prioritätengesetzt werden. Hierzu sind die Akten(teil)bestände nacheinem Raster beurteilt worden, das folgende vier Kriterienumfasst:1. Anteil der stark säuregeschädigten Papiere,2. Bedeutung des Akteninhalts,3. Nutzungshäufigkeit, zumal zu wissenschaftlichen

Zwecken,4. bisher nicht verfilmt, daher nur im Original zu benut-

zen.Konkret geht es zunächst um nicht fadengeheftete

Akten der erzbischöflichen Verwaltung in der Kriegs- und

Nachkriegszeit (ca. 1942-1949) mit weitestgehend sauremPapier, die aus einem größeren Bestand herausgesondertund später dem Bestand wieder beigeordnet werden.Neben dem Entsäuern selbst fallen erhebliche Kosten fürnotwendige mechanische Vor- und Nacharbeiten an, zumBeispiel für das manuelle Schließen von Rissen. Um in die-sem Bereich Kosten einsparen zu können, unter anderemdadurch, dass das Archiv selbst die Standards festlegt, wer-den im Archiv notwendige Begleitarbeiten der Entsäue-rung durch Honorar- oder Praktikumskräfte mittels einerinternen Handreichung wahrgenommen. Diese Arbeitenumfassen im Wesentlichen das Schließen von Rissen imPapier, die Entnahme des restlichen Metalls sowie sämtli-cher Blätter, die nicht maschinell behandelt werden kön-nen, weil sie sonst zerstört würden, beispielsweise aufge-klebte Telegramme, extrem dünne Papiere, Nasskopienoder Fotos. Diese Stücke werden durch das Archiv imAnschluss an die Entsäuerung der Akte wieder beigefügt,wobei sie zwischen alkalischen Barrierepapieren, bzw. beiFotos zwischen Normalpapieren, „eingebettet“ werden.Lediglich das Paginieren der einzelnen Aktenbände über-nimmt das Personal der Firma Neschen auf maschinellemWege, da diese Arbeiten auch durch Honorarkräfte nichtkostengünstiger zu erledigen sind. Auf diesem Weg wur-den bisher in der Dependance der Firma Neschen in Brau-weiler 232 Aktenbände bzw. ca. 12 Regalmeter Akten ent-säuert. Das Ergebnis wird als gut beurteilt; Veränderungenim Schriftbild, an Stempeln etc. sind nur selten zu beobach-ten; soweit geprüft, ist die Lesbarkeit in keinem Fall tan-giert. Die Abstimmung zwischen den Vorbereitungsarbei-ten und dem reinen Entsäuern wurden im Laufe der Zeitverfeinert, die Absprachen konkretisiert, so dass Neschennur das zwingend Notwendige besorgt. Da die Akten nachder Behandlung stärker auftragen als zuvor, war ein Teilder Akten in andere Mappen umzupacken. Die behandel-ten Akten sind in Zukunft auf vermehrte mechanische Ver-änderungen, z. B. Abrieb, hin zu beobachten, um so Lang-zeit-Erfahrungen mit entsäuerten Papieren zu dokumentie-ren. Die Entsäuerungsarbeiten sollen fortgesetzt werden,wobei der Weg bis zum Abschluss der Behandlung wenig-stens des überwiegenden Teils der stark säurehaltigenUnterlagen aus Kostengründen noch weit ist.

Entsäuerung von Archivgut des Stadtarchivs der Landeshaupt-stadt Düsseldorf (Benedikt Mauer)Das Stadtarchiv Düsseldorf befindet sich in der heute nichtmehr alltäglichen Lage, neben klassischen Restaurierungs-maßnahmen auch die Papierentsäuerung in größeremUmfang in Angriff nehmen zu können. Mit der Inbetrieb-nahme des Entsäuerungszentrums in Brauweiler eröffnetesich die Möglichkeit, dieses Vorhaben im eigenen Bundes-land umzusetzen.

Eine erste projektierte Auftragsvergabe erwies sich alsnicht umsetzbar, weil die Vorbereitungsarbeiten (Lösungder Fadenheftung und manuelle Restaurierung) so kosten-intensiv gewesen wären, dass im Endeffekt deutlich weni-ger Archivgut als vorgesehen hätte entsäuert werden kön-nen.

In einem zweiten Schritt wurde im Jahr 2005 ein Bestandausgewählt (Wiedergutmachungsakten), der auch hin-sichtlich seines intrinsischen Wertes für das Stadtarchivvon großer Bedeutung ist und zudem in nicht gebundenerForm vorliegt. Das Schadensbild ist (noch) nicht drama-

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tisch, die schlechte Papierqualität der in den Jahren 1945-55 entstandenen Akten zwang aber zu zeitnahem Handeln.Die einzelnen Akten sind alphabetisch nach Antragstellergeordnet und umfassen teils einige wenige, teils aber auchbis zu 200 Blatt, was zu einem erhöhten Dokumentations-aufwand seitens des Dienstleisters führt.

Vor der Entsäuerung wurden die Akten im Archiv ver-filmt. Um sich ein genaues Bild von der Arbeitsqualitätmachen zu können, entschloss sich das Stadtarchiv, diegesamte Angebotspalette in Anspruch zu nehmen, d. h.,der Auftrag umfasste nicht nur die eigentliche Entsäue-rung und die damit einhergehenden Rahmentätigkeitendes in 19 Archivkartons befindlichen Materials, sondernauch die manuelle Entsäuerung und die Restaurierungstark geschädigten Archivguts. Durch die unumgänglicheUmverpackung fiel der Volumenzuwachs höher aus alserwartet; dies stellte allerdings kein größeres Problem dar,weil in dem entsprechenden Magazin noch Regalkapazitä-ten frei sind.

Im darauf folgenden Jahr entschloss sich das Stadtarchivaus Kostengründen dazu, die Restaurierungsarbeiten nichtmehr durch das Archivcenter West durchführen zu lassen.Nun wurden die während der Verfilmung erkannten Rissedurch hauseigene Kräfte geschlossen, noch vorhandeneMetallteile entfernt etc. Die manuelle Entsäuerung hatteschon beim ersten Auftrag nur eine untergeordnete Rollegespielt. Das Auftragsvolumen umfasste im Jahr 200631 Archivkartons.

Die Aufträge wurden professionell ausgeführt, bei Fra-gen und Unklarheiten halfen telefonische und schriftlicheRückfragen; die Kostenvoranschläge wurden eingehalten.

Die Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen zurBestandserhaltung lässt uns hoffen, den in Bearbeitungbefindlichen Bestand in den Jahren 2007 bzw. 2008abschließend entsäuern zu können.

Entsäuerung von Archivalien des Stadtarchivs Erftstadt (UdoMüller)Das Stadtarchiv Erftstadt, seit 1.7.2001 fachlich besetzt,wird in einem „Einmannbetrieb“ geführt. Bei einer Bestän-derevision wurden in umfangreichem Maße (ca. 8 Regal-meter mit je 6 Archivkartons) Archivalien mit Schimmel-befall festgestellt. Für die Sanierung des geschädigtenArchivmaterials und der möglicherweise kontaminiertenMagazine wurden Kosten von ca. 19.900, - € veranschlagt.Die Dringlichkeit der Sanierungsmaßnahme wurde gegen-über der Kämmerei damit begründet, dass weitere Verzö-gerungen den Sanierungsbedarf und damit auch dieKosten erhöhen würden. Außerdem sei eine Gesundheits-gefährdung des Archivpersonals gegeben. Die beantragtenMittel wurden für das Haushaltsjahr 2005 in voller Höheund auf verschiedene Positionen verteilt genehmigt. Dasbereitgestellte Geld wurde anschließend aber nur für dieSchimmelpilzsanierung (Gammastrahlenbehandlung undanschließendes Auskehren der Schimmelpilzsporen ausden Akten) und die Papierentsäuerung bei der NeschenAG in Brauweiler verwendet.

Neben den schon genannten geschädigten Akten wur-den außerdem weitere ca. 8 Regalmeter nach folgendenGesichtspunkten für die Maßnahme ausgewählt: Laufzeitzwischen 1930 bis 1955, darunter vorrangig Akten mitBezügen zu den Themen Zwangsarbeit, Judentum und NS-Zeit. Dazu kamen Akten, die vor Jahren (zwischen 1970

und 1989) in Mappen mit Kordelbindung umgebettet wor-den waren bzw. Akten mit Fadenheftung, die eine starkemechanische Schädigung aufwiesen.

Während der Abwicklung des ersten Auftrages wurdefestgestellt, dass alle in bestimmte Mappen umgebetteteArchivalien (ca. 90 %) noch vollständig zu entmetallisierenwaren. Außerdem entsprachen diese Mappen nicht demheutigen Standard (weder ISO 9706 noch DIN 6738), sodass die Neschen AG beauftragt wurde, nach der Entsäue-rung diese Akten auch in geeignete Archivmappen zu ver-packen.

Nach einer gründlichen Kontrolle der entsäuertenArchivalien im Stadtarchiv ließen sich keine Beeinträchti-gungen feststellen. Alle Arbeiten wurden sehr sorgfältigund zuverlässig durchgeführt. Der letztlich hohe Kosten-aufwand ist vor allem durch die Entmetallisierung und dasUmbetten der Akten in geeignete Archivmappen entstan-den – Maßnahmen, die irgendwann sowieso angefallenwären und dann möglicherweise durch den Archivar selbsthätten umgesetzt werden müssen.

Zwei neue Außenstellen des Staatsarchivs Münster „sowie es Akten mögen“1

1. Raumnot und SpeicherraumIm Norden Münsters ist innerhalb weniger Jahre aus einemalten Kasernengelände die so genannte Speicherstadt Nordentstanden, die ein regionales Kulturmagazin als neuen„Standort der Kreativen und Innovativen“ bezeichnet.2

Diese Kennzeichnung lässt vermutlich kaum jemanden aufdie Idee kommen, dass damit ein Standort von Archivenoder Archivaren gemeint sein könnte, und doch sindimmerhin drei archivische Einrichtungen „Mitbewohner“der Speicherstadt. Neben dem Stadtarchiv Münster habenauch zwei Abteilungen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen hier ihr Zuhause gefunden: das Technische Zen-trum und Teile des Staatsarchivs Münster.3 Dabei kommtdem Staatsarchiv Münster eine Vorreiterrolle zu: es konn-te im Sommer 2000 das erste umgenutzte Gebäude desdenkmalgeschützten Ensembles in der Speicherstadt bezie-hen. Der Bauherr und Eigentümer des gesamten Geländes,die Westfälisch-Lippische Vermögensverwaltungsgesell-schaft mbH (WLV), hatte unter Berücksichtigung der Wün-sche des Staatsarchivs Münster in etwas mehr als einemJahr den Umbau eines Kornspeichers der Wehrmacht ausden 1930er Jahren in ein modernes Archivmagazin reali-siert. Das an den baulichen Vorgaben und der geplantenNutzung orientierte Konzept des Architekten MartinSchlüter vom Münsterschen Architekturbüro Schoeps +Schlüter und dessen ideenreiche Verwirklichung in diesemersten Gebäude haben der gesamten Speicherstadt ihransehnliches Gesicht gegeben.

Schon in den 1980er Jahren waren Überlegungen zurErweiterung des Staatsarchivs in Münsters Innenstadtangestellt worden, die durch den zunehmenden Mangel anBürofläche, besonders aber das absehbare Ende der Maga-

1 Münsterland. Magazin für Freizeit, Kultur und Wirtschaft. Heft 4, 2003,S. 64-78.

2 wie Anm. 1.3 Hannes Lambacher, Das Stadtarchiv Münster in seinem neuen Dienst-

gebäude in der „Speicherstadt“, in: Archivalische Zeitschrift 86 (2004),S. 357-391.

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zinreserven immer dringlicher wurden. Ein wegen desgünstigen Standorts bevorzugter An- und Umbau desvorhandenen Gebäudes durch den Ankauf von Grund-stücken in unmittelbarer Nachbarschaft, die damals nochverfügbar gewesen wären, scheiterte nicht zuletzt an denhohen innerstädtischen Grundstückspreisen. Wegen aku-ter Raumnot wurde schließlich der ehemalige Befehlsbun-ker der Bezirksregierung Münster im 30 Kilometer entfern-ten Nottuln als Ausweichmagazin genutzt, der aber wegenseiner geringen Kapazität, gravierender magazintechni-scher Mängel und nicht zuletzt durch die beträchtliche Ent-fernung zum Haupthaus nur eine unbefriedigende Lösungdarstellte. Zusätzlichen Druck erhielt die Suche nachMagazinraum Ende der 90er Jahre durch das Drängen dernordrhein-westfälischen Justizverwaltung, abgabereifeGrundakten und Grundbücher auszusondern.

Eine Lösung des Problems – vorerst im Hinblick aufMagazinraum – fand sich schließlich fünf Kilometer vomHaupthaus entfernt im Münsterschen Stadtteil Coerde. Inden Jahren 1936-1939 war dort auf einer Grundfläche von11,5 ha das Heeresverpflegungsamt für die Versorgung derTruppen in Norddeutschland entstanden, bestehend ausneun fünfstöckigen Kornspeichern, davon sieben Lager-häuser und zwei Silospeicher, der Heeresbäckerei sowieeiner Reihe von Nebengebäuden. Die Anlage überstandden Krieg nahezu unbeschadet und wurde von 1945 an fast40 Jahre lang von den Briten als Proviantamt und Stütz-punkt genutzt. Als die britischen Truppen 1994 das inzwi-schen als „Winterbourne-Kaserne“ bekannte Gelände ver-ließen, gelangte es über die Bundesvermögensverwaltung1998 schließlich in das Eigentum der Westfälisch-Lippi-schen Vermögensverwaltungsgesellschaft, einer Tochterge-sellschaft des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe.Deren Überlegungen zur Vermarktung des Geländes hat-ten bereits im Sommer 1997 zu ersten Ortsterminen mitdem Staatsarchiv Münster und Vertretern seines zuständi-gen Ministeriums geführt. Es war schnell übereinstimmen-de Meinung, dass die Getreidelagerhäuser eine Reihe derAnforderungen erfüllten, die an ein Archivmagazin zu stel-len sind: massive Bauweise mit großer Tragfähigkeit undguten Klimabedingungen, Lastenaufzug, überdachteLaderampen. Der im Vergleich zu anderen Objekten beson-ders geeignete Baubestand in Verbindung mit der relativkurzen Entfernung zum Haupthaus und einem günstigenMietpreisangebot führten im September 1999 zumAbschluss eines auf 30 Jahre befristeten Mietvertrages zwi-schen dem Land Nordrhein-Westfalen und der WLV fürden ehemaligen Speicher Nr. 5, jetzt: „An den Speichern13“.

Allerdings war das angestrebte Ziel, Lagerfläche für dieKonzentration aller Grundbücher und Grundakten ausdem Sprengel des Staatsarchivs Münster bis zum Zeit-punkt der Umstellung auf das Lose-Blatt-System zu schaf-fen, damit nicht erreicht. Die bereits im Haupthaus lagern-den Bestände sowie die durch Mengenabfragen bei derJustizverwaltung ermittelten Werte hatten einen Bedarfvon mindestens 1,3 Häusern ergeben. Vonseiten des Inve-stors WLV bestand durchaus Interesse, auch ein zweitesGebäude ganz oder teilweise für Archivzwecke umzurü-sten und an das Land Nordrhein-Westfalen zu vermieten.Aus Kostengründen blieb es jedoch zunächst bei derAnmietung eines Hauses, immerhin konnte aber eine Opti-on auf das Nachbargebäude gehalten werden.

2. Speicher Nr. 5In der Speicherstadt hat jedes der sieben Lagerhäuser fünfGeschosse mit einer Grundfläche von 59,25 m Länge x12,60 m Breite, einen in Länge und Breite jeweils vier Metergrößeren Keller und zwei Dachgeschosse. Die Fundamen-te bestehen aus einer Betonwanne, darüber folgt 25 cmstarkes Mauerwerk, das im Sockelgeschoß mit Ziegelmau-erwerk, über die weiteren Geschosse mit Putz verkleidetist. Die von Betonpfeilern getragenen Geschossdecken sinddurchgängig in Stahlbeton gegossen, und auch das hoheDach besteht aus Beton.

Zum ursprünglichen Baubestand des Speichers Nr. 5gehörten ein Treppenhaus, zwei Lastenaufzüge und an bei-den Längsseiten des Gebäudes überdachte Verladerampenmit zahlreichen Holzschiebetüren in Stahlrahmen. Die ver-gitterten Fenster bestanden aus Einfachverglasung im obe-ren Teil und zur Lüftung des Lagers verstellbaren Holzla-mellen im unteren Teil. Eine weitere Belüftungsanlage gabes nicht, Heizungen waren nur im Erdgeschoß vorhanden.4

Die Sanierung des Gebäudes erfolgte in Abstimmungmit der Denkmalschutzbehörde, die besonderen Wert aufden Erhalt des äußeren Erscheinungsbildes legte. Das fandunter anderem Berücksichtigung bei der Erneuerung dermarkanten Fenster und Gauben und im Erhalt der großenSchiebetüren an den Laderampen, wenn auch die Öffnun-gen – bis auf eine im Aktenzugangsbereich – von innenzugemauert wurden. Vorrangiges Ziel der Baumaßnahmenim Inneren war die Schaffung möglichst großer Regalflä-che in sicheren und gut klimatisierten Räumen. Danebenmussten die für die Übernahme, Verzeichnung und tech-nische Aufbereitung der Archivalien erforderlichen Funk-tionsräume so geschaffen werden, dass sie einen reibungs-losen Arbeitsablauf ermöglichten. Aus Sicherheitsgründenwar außerdem der Einbau einer das Gebäude quer teilen-den Brandmauer sowie eines zweiten Treppenhauses ander Nordseite des Gebäudes mit Zugang zu allen Geschos-sen erforderlich.

Die angemietete Gesamtnutzfläche von 3080 m2 verteiltsich auf das Erdgeschoss und die Geschosse 1 bis 4. Auf dieAnmietung des Kellers und der Dachgeschosse war ver-zichtet worden, weil beim Keller Bedenken bestanden, dassdie als Schutz vor Grundwasser gegossene dichte Beton-wanne im Falle von eindringendem Oberflächenwasserzum Sammelbecken ohne Abflussmöglichkeit würde. Inden Dachgeschossen war die für Regale nutzbare Flächewegen der Dachschrägen zu gering, außerdem ließen diegroßen Dachflächen Temperaturschwankungen befürch-ten. Die Baumaßnahmen für Keller und Dach beschränk-ten sich deshalb im Wesentlichen darauf, sie trocken, sau-ber und dicht gegen Wasser und Wind zu halten.

Während in den vier Obergeschossen ausschließlichMagazinraum entstehen sollte, wurde der Zugangs- undBearbeitungsbereich im nördlichen Drittel des Erdgeschos-ses installiert. Hier befindet sich auch einer der vormalszwei vorhandenen Lastenaufzüge. Während der in derGebäudemitte liegende Aufzug samt Aufzugschacht ent-fernt wurde, ist dieser in Rampennähe laufende Aufzugmit einem Tragvermögen von 1200 Kilo und der Größe fürEuropaletten aktiviert worden. Dem Aufzug unmittelbargegenüber liegt die einzige nicht vermauerte Schiebetür

4 Weitere Details zum Baubestand s. Lambacher (Anm. 2).

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zur überdachten Laderampe, die eine auch für moderneLKW passende Ladehöhe hat. Größere Archivalienzugän-ge können somit auf Paletten vom LKW direkt in denZugangsbereich und mit dem Aufzug auch in die Maga-zinräume der oberen Geschosse gefahren werden. An derZugangsschleuse liegt auch das Büro des Magazinvorste-hers mit Sichtmöglichkeit auf Rampe und Aufzug sowieein 85 m2 großer Arbeitsraum mit drei EDV-Arbeitsplätzenzur Erfassung der Archivalien, einem großen Packtisch fürdie Kartonierung und Etikettierung sowie einer „ReinenWerkbank“ zur Archivaliensäuberung. Daneben sind nochein (Personal-) Eingangsbereich mit Toilettenräumen, einServer-Raum und eine kleine Teeküche vorhanden.

Für die Planung der Magazine erwies es sich als Vorteil,dass die WLV kurz zuvor das Westfälische Archivamt inMünster gebaut hatte und somit bereits über einschlägigeErfahrungen hinsichtlich der archivfachlichen Anforderun-gen an ein Magazin verfügte. Das dort umgesetzte Kon-zept der natürlichen Klimatisierung über Lüftung und ggf.Heizung wurde weitgehend übernommen, zumal dieNord-Süd-Ausrichtung des Gebäudes, die Baukonstrukti-on und die Raummaße dafür besonders geeignet schienen.5

Die relativ großen Flächen (657 m2 pro Geschoß, im Erdge-schoß durch den Zugangs- und Arbeitsbereich um ein Drit-tel reduziert) weisen einen langen, aber schmalen Grund-riss mit nur 12,60 m Breite auf. Zehn gegenüberliegendeFensterpaare auf den Längsseiten garantieren daher eineausreichende Lüftung. Jedes zweite Fenster ist mit einemMotor ausgestattet und kann softwaregesteuert geöffnetoder geschlossen werden, wenn Veränderungen der vor-eingestellten Klimarichtwerte (18° C Raumtemperatur,50 % r. F.) es erforderlich machen. Zum Schutz vor Licht-

einstrahlung sind die Fenster nur in der unteren Hälfte ver-glast und dort zusätzlich mit Aluminiumlamellen verse-hen. Gegen das Eindringen von Ungeziefer erhielten die zuöffnenden Fenster Fliegengitter. Als Heizkörper wurden inden Magazinen Röhrenheizungen installiert, die ebenfallsan die Regelungstechnik angeschlossen sind. Die Klima-messung erfolgt im Inneren über drei diagonal verlegteFühler an der Decke jedes Brandabschnitts sowie vierAußenfühler. Alle Klimadaten sind auf einem PC im Bürodes Magazinverwalters ablesbar.

Die Planung der Regalanlage musste die die Geschossetragenden Betonpfeiler sowie die neu eingezogene Brand-mauer berücksichtigen, außerdem sollten die Regale füreine optimale Lüftung quer zu den Fenstern stehen. Da dieTragfähigkeit des Gebäudes – 1,2 Tonnen pro Quadratme-ter – Rollregale in allen Geschossen zulässt, wurde einebeidseitig handbetriebene Rollregalanlage der Fa. Arbitecmit einer Gesamtkapazität von fast 15 Regalkilometern ein-gebaut. Innerhalb feststehender Regaleinheiten zwischenden Pfeilern bzw. an den Mauern fahren i. d. Regel dreiRegalwagen, bestehend aus 7 Gefachen mit einer Breitevon je 1,20 m, einer Höhe von 2,11 m und einer Blechtiefevon 2x40 cm. Im Erdgeschoss, das über eine 50 cm größe-re Raumhöhe verfügt, beträgt die Regalhöhe 2,75 m. DieSchienen für die Rollregale wurden auf dem vorhandenenEstrich verdübelt und die gesamte Fläche danach mitneuem Estrich belegt, sodass die Oberkanten von Estrichund Schienen absatzfrei verlaufen. Der Estrich erhielt einenstaubbindenden Industrieanstrich. Für die Wände undDecken war lediglich die Ausbesserung von Schäden undein Dispersionsanstrich geplant, aus klimatechnischenGründen wurde aber ein Verputz an den Decken erforder-lich. Da konventioneller Kalkzementputz an den Beton-decken nicht hielt, musste Spritzputz aufgebracht werden,dessen raue Oberfläche nicht ansehnlich, klimatechnischaber besonders wirksam ist.

5 Rickmer Kießling, Der Neubau des Westfälischen Archivamtes. In:Archivpflege in Westfalen und Lippe 50 (1999), S. 9-24. – S. auch Maria RitaSagstetter, Klimatisierungskonzepte in jüngeren Archivgebäuden inDeutschland, in: Archivalische Zeitschrift 86 (2004), S. 323-355.

Klimatisierung

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1 49

Als Sicherungsmaßnahme gegen Feuer sind in allenMagazinen Rauchmelder mit Schaltung zur Brandmelde-anlage und direkter Verbindung zur Feuerwehr installiert.Zur Vermeidung wasserführender Rohre in den Magazi-nen genehmigte die Feuerwehr eine Nass-Trocken-Leitungfür Löschwasser, deren – normalerweise trockenen – Steig-leitungen im Brandfall durch (manuelle) Ventilöffnung in60 Sekunden geflutet werden können. Die Räume sindzudem mit wassergefüllten Handfeuerlöschern ausgestat-tet. Alle Magazintüren sind wie die Gebäudeaußentürenmit Panikschlössern ausgestattet. Als Sicherung gegen Ein-bruch dient eine durch Bewegungsmelder gesteuerteAlarmanlage.

Der Nutzungsbeginn war im Mietvertrag auf den 1. Juli2000 terminiert worden und konnte tatsächlich eingehaltenwerden. Die ersten Übernahmen von Grundbüchern undGrundakten aus den Gerichten, die unmittelbar nach derFertigstellung des Außenmagazins erfolgten, bestätigtendie Richtigkeit der Planungen. Problematisch war und istnach wie vor die personelle Ausstattung des Außenmaga-zins. Für die Übernahme und Bearbeitung der Neuzugän-ge von ca. 400.000 Grundakten und Grundbüchern sowieden Umzug von ca. 100.000 Akten des Altbestandes ausdem Haupthaus nach Coerde war ein Bedarf von minde-stens vier Stellen errechnet worden. Seit 2000 ist aberdurchgehend nur eine Vollzeitkraft im Außenmagazinbeschäftigt, wenngleich mit Unterstützung von befristetenAushilfen oder kurzzeitigen Abordnungen aus demHaupthaus. Trotz dieses unbefriedigenden Zustands konn-ten seit Fertigstellung des Gebäudes ca. 18.000 Grundbü-cher und 280.000 Grundakten erfasst und magaziniertwerden.

3. Speicher Nr. 4Nachdem das Land Nordrhein-Westfalen mit einer Außen-stelle des Staatsarchivs Münster für das Gelände der Spei-cherstadt bereits eine Vorreiterrolle gespielt hat, übernahmes sie noch einmal mit der Einrichtung des TechnischenZentrums in direkter Nachbarschaft. Die mit dem Landes-archiv Nordrhein-Westfalen im Jahre 2004 neu entstande-ne Abteilung hat die Aufgabe einer für alle staatlichenArchive zuständigen zentralen Restaurierungswerkstattsowie der IT-Zentrale.6 In dieser Zusammenstellung ist dieOrganisationseinheit des Landesarchivs bundesweit bishereinmalig. Gleichzeitig konnten mit dem Umbau eines wei-teren Gebäudes dringende Platzprobleme des Staatsar-chivs Münster gelöst werden. Mitarbeiter und Beständedes Dezernats 4, zuständig für Justiz- und Finanzbehör-den, haben hier fachgerechte Räume gefunden.

Am 16.12.2003 wurde der Mietvertrag zwischen derWLV und dem Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durchdas Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur undSport, geschlossen. Das für 15 Jahre gemietete Gebäudesollte eine über die Miete zu finanzierende Grundausstat-tung für die Anforderungen des Technischen Zentrumssowie für Archivflächen erhalten. Während vom Techni-schen Zentrum vier Geschosse belegt werden, stehen demArchiv zwei Vollgeschosse als Magazin und eine weitere

Etage als Büro- und Magazinfläche zur Verfügung.7 Nut-zerspezifische Ausstattungen wurden, bis auf die mobilenBestandteile der Innenausstattung, durch die WLV bzw.das Büro Schoeps + Schlüter geplant und abgewickelt. Her-vorzuheben sind die fast wöchentlichen Planungsbespre-chungen, an denen neben den Fachplanern immer Vertre-ter des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, in Abständenauch des Ministeriums, teilnahmen.8 Die Zusammenset-zung der Besprechungsrunden war in jeder Hinsicht sinn-voll, da Bauherr, Architekten, Mitarbeiter des Landesar-chivs und Finanzgeber ihre jeweiligen Vorstellungen ein-bringen konnten. So sollte z. B. der behindertengerechteZugang einerseits die Außenansicht des Gebäudes inner-halb des Gesamtkonzepts nicht stören, andererseits wederdie Anlieferung über die Laderampe einschränken nochdas Tageslicht für die Räume im Untergeschoss reduzieren.

Das bereits in der ersten Außenstelle umgesetzte Klima-konzept wurde auch in den jetzigen Magazinen realisiert.Allerdings sind statt der Röhrenheizungen die auch in denBüros verwendeten Konvektoren eingebaut worden.

Aufgrund der hohen Traglast konnten ebenfalls über-wiegend Rollregale eingebaut werden. Dies führt zu einerGesamtkapazität von rund acht Regalkilometern.

Beim Brandschutz erübrigte sich der Einbau einer Steig-leitung innerhalb des Gebäudes. Das gesamte Gelände derSpeicherstadt verfügt mittlerweile über Hydranten, die imBrandfall genutzt werden können. Darüber hinaus stehenin den Magazinen Feuerlöscher für die erste Brandbe-kämpfung zur Verfügung. Eine Aufschaltung des Alarmsauf die Feuerwehr gewährleistet auch hier ein schnellesEingreifen im Notfall.

Wegen der gemeinsamen Nutzung des Gebäudes „Anden Speichern 11“ durch Technisches Zentrum und Staats-archiv Münster musste den vielfältigen Ansprüchen beimEinbruchschutz besondere Rechnung getragen werden.Restauratoren und Archivare sollten auch außerhalb derüblichen Dienstzeiten arbeiten können, gleichzeitig warendie technische Ausstattung und das Archivgut besonderszu sichern. Durch intensive Beratung wird das Ergebnisauch diesen diffizilen Ansprüchen gerecht.

Nachdem zum 1. Dezember 2005 die Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter des Dezernats 4 des Staatsarchivs Münsterdie Außenstelle bezogen haben,9 folgten von März bis Mai2006 auch die Bestände mit ca. 45.000 Kartons aus derJustiz- und Finanzverwaltung, einschließlich der bisherunverzeichneten Zugänge.

Verzeichnete Bestände sowie unverzeichnete Zugängesind an 20 Arbeitstagen vom Haupthaus am Bohlweg indie 5 Kilometer entfernte Speicherstadt gebracht worden.Bis auf vier Arbeitskräfte, die aus der JustizvollzugsanstaltBielefeld, Außenstelle Warendorf eingesetzt wurden, konn-te dieser Umzug ohne fremdes Personal durchgeführt wer-den. Selbst der gemietete Lkw mit einem zulässigenGesamtgewicht von zwölf Tonnen wurde von Mitarbeitern

6 Wilfried Reininghaus, Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Entste-hung, interne Organisation, Aufgaben und aktuelle Ziele, in: Der Archi-var, Jg. 57 (2004), S. 295-300.

7 Für das Staatsarchiv Münster war in dieser Bauphase zunächst nur daszweite Obergeschoss als Büro- und Magazinfläche vorgesehen; dieAnmietung der 3. und 4. Etage und der Ausbau zur Magazinfläche soll-ten später erfolgen. Aufgrund der guten finanziellen Rahmenbedingun-gen konnten auch die dritte und vierte Etage noch während der Pla-nungsphase angemietet werden.

8 Besonderer Dank gilt Heiko Behnen vom Büro Schoeps + Schlüter fürsein großes Engagement.

9 Eröffnung des Technischen Zentrums des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen in Münster-Coerde, in: Der Archivar Jg. 58 (2005), S. 180-182.

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gefahren. Es hat sich gezeigt, dass das Bestücken von Palet-ten, die dann nur noch in den Lkw gezogen werden muss-ten, und vor allem das Einräumen der Kartons in die vor-bestimmten Regale durch archiveigenes Personal eine hoheGewähr dafür bietet, dass späteres Umräumen oder sogarSuchen entfällt. Dass im Rahmen des Umzugs die Chancegenutzt wurde, die bisherigen sprechenden Bestandsbe-zeichnungen im Staatsarchiv Münster durch Bestandssi-gnaturen zu ersetzen, sei nur am Rande vermerkt.

In den Büros wurde aus hygienischen Gründen auf Tep-pichboden zugunsten eines Linoleumbelags verzichtet.Handwaschbecken, an denen die „Seifenspender“ bewusstmit einem Sterilium gefüllt sind, und Tischwagen für jedenArchivar, damit das zu verzeichnende Archivgut zumDienstschluss ohne großen Aufwand wieder in die klima-tisierten Magazine gefahren werden kann, sind nur Klei-nigkeiten, die aber das tägliche Arbeiten angenehm erleich-tern. Darüber hinaus stehen den Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern des Staatsarchivs Münster auf der Büroetage einBesprechungsraum und eine kleine Teeküche zur Verfü-gung. Konferenzräume des Technischen Zentrums und eingroßer Sozialraum im ersten Obergeschoss können eben-falls genutzt werden.

4. SchlussbetrachtungBei aller Zufriedenheit mit den äußeren Bedingungen in derSpeicherstadt darf nicht übersehen werden, dass mit derdezentralen Unterbringung von Mitarbeitern und Bestän-den auch Probleme entstehen. Zum einen wird auf Dauerdie Einbindung der betroffenen Mitarbeiter in das Gesamt-kollegium erschwert. Um die Anbindung der Dezernats-mitglieder an das Haupthaus sicher zu stellen, steht ihnendeshalb im Haupthaus ein Dienstzimmer zur Verfügung,das rollierend an festen Wochentagen genutzt wird. Zusätz-lich sind die Kollegen weiterhin in den wöchentlich wech-selnden Lesesaaldienst integriert. Ein weiteres Problem

betrifft die Bereitstellung der Bestände, denn auf die Schaf-fung von Benutzungsmöglichkeiten in den Außenstellenwar bei den Umbauplanungen bewusst verzichtet worden.Als Konsequenz ist ein regelmäßiger Aktentransport erfor-derlich. Die vorbestellten Akten werden einmal wöchent-lich zum Haupthaus gebracht und dort auf die anfordern-den Stellen wie Lesesaal oder Versand verteilt. Dies hat zurFolge, dass insbesondere Lesesaalbenutzer ihren Besuchvorplanen müssen. Allerdings wurde bisher auch für Eilfäl-le immer eine Lösung gefunden.

Dem erhöhten Aufwand im Tagesgeschäft stehen mitden beiden neuen Außenstellen jedoch eine Reihe grund-sätzlicher Verbesserungen gegenüber: angemietete unzu-längliche Büroräume konnten aufgegeben werden, durchdie geschaffenen Magazinkapazität können jetzt alleBestände, auch aus dem Ausweichmagazin Nottuln, fach-gerecht untergebracht werden. Mit der Konzentration allerGrundakten in Coerde wurde außerdem das Altbaumaga-zin im Haupthaus für eine dringend erforderliche Sanie-rung frei, nach der auch dieser unter Denkmalschutz ste-hende fünfgeschossige Speicherbau (!) aus dem Jahre 188911

die heutigen Anforderungen an ein Archivmagazin erfüllt.Münster Gabriele Kießling/Beate Dördelmann

Speicher Nr. 4 und Nr. 5nach dem Umbau10

10 Foto: Kristian Peters, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen TechnischesZentrum.

11 Der damalige Neubau des Staatsarchivs Münster war der erste nachdem Magazinsystem konzipierte Archivzweckbau in Preußen.

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EDV und Neue Medien

Vgl. auch den Beitrag „Digitale Bilder und Filme im Archiv...“unten unter der Rubrik „Fachverbände, Ausschüsse Tagungen“.

10 Jahre Arbeitskreis „Archivierung von Unterlagen ausdigitalen Systemen“ – Bilanz und Ausblick

„Anders als in Deutschland beschäftigen sich Archivare inNordamerika und Skandinavien bereits seit den 70er Jah-ren mit der Archivierung elektronischer Unterlagen. Ander Wende zum 21. Jahrhundert zeichnet sich nun aberauch in Deutschland ein Wandel ab“ – mit diesen Sätzenleitete Udo Schäfer vor fast zehn Jahren eine kurze Vor-stellung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagenaus digitalen Systemen“ (AK) ein, der 1997 von Archiva-ren aus dem Bundesarchiv und den staatlichen Archivver-waltungen Baden-Württembergs und Nordrhein-Westfa-lens gegründet worden war, die den notwendigen Hand-lungsbedarf auf diesem Arbeitsfeld erkannt hatten.1 Seit-dem hat der AK in jedem Frühjahr eine zweitägige Tagungdurchgeführt, deren Beiträge in der Regel in einemTagungsband, in einzelnen Fällen online im World WideWeb veröffentlicht wurden. Im Archivar wurde wiederholtüber den inhaltlichen Ertrag dieser Tagungen berichtet.2

Trotz dieser Aktivitäten ist der AK weiten Teilen derarchivischen Öffentlichkeit nicht bekannt und sein Ziel,„die Ergebnisse der praktischen Arbeit einem größerenPublikum zugänglich zu machen“3, wird noch nicht inoptimaler Weise erreicht. Die vorliegende Darstellung solldazu beitragen, Organisation, Arbeitsweise und Ergebnis-se des AK bekannter zu machen und ihn als ein Forum vor-zustellen, das Archivaren, die sich mit der Einführung vonIT-Verfahren in der Verwaltung oder mit der Übernahmevon Unterlagen aus solchen Verfahren beschäftigen, zumnotwendigen fachlichen Austausch dienen kann.4

OrganisationDer AK ist ein informeller Zusammenschluss, ein Netz-werk von Archivarinnen und Archivaren verschiedenerArchivsparten, von denen die Mehrheit in staatlichen undkommunalen Archiven arbeitet. Er ist nicht bei einer Ein-richtung institutionell angebunden und hat keine fixiertenGeschäftsgrundsätze im Sinne einer Satzung oderGeschäftsordnung. Es gibt keine offizielle Mitgliedschaftund keinen Vorsitzenden, sondern lediglich eine sogenannte „Geschäftsführung“, die aus denjenigen Archiva-rinnen und Archivaren besteht, die bereits eine Tagungdurchgeführt haben und sich weiter in diesem Arbeitsge-biet engagieren. Die personelle Zusammensetzung derGeschäftsführung unterliegt daher leichten Schwankun-

gen; in den letzten Jahren lag die Zahl der aktiven Mitglie-der bei fünf bis sieben Personen. Ihre Aufgaben liegen vorallem in der Entscheidung über den nächsten Tagungsaus-richter und -ort, der Unterstützung des Ausrichters bei derAusgestaltung der Tagung und der Entscheidung über denAK betreffende arbeitsorganisatorische und strategischeFragen. Bei Interesse an einer Mitarbeit im AK stehen dieMitglieder der Geschäftsführung gerne für Auskünfte zurVerfügung.5 Daneben gibt es einen Kreis von weiterensechs bis acht Personen, die sich in der Praxis mit Aspek-ten der Archivierung elektronischer Unterlagen befassen,sich regelmäßiger durch eigene Beiträge aktiv an denTagungen beteiligen und so zusammen mit den Angehöri-gen der Geschäftsführung zum Arbeitskreis zu zählensind.

ArbeitsweiseDa der AK selbst über keine finanziellen oder personellenRessourcen verfügt, ist er darauf angewiesen, dass seineMitglieder sich in ihrer Freizeit oder im Rahmen ihrerdienstlichen Tätigkeit für seine Ziele engagieren und denArbeitgeber oder Dienstherrn für eine weitergehendeUnterstützung gewinnen. Dies betrifft vor allem die Durch-führung der jährlichen Tagung und die Publikation desTagungsbandes, die ohne diese personelle und finanzielleUnterstützung nicht möglich wäre – für die auch an dieserStelle namens des AK herzlich gedankt sei. Für die Durch-führung der Tagungen gelten dabei folgende Leitlinien:– Die Tagungen dienen dem konkreten Informations- und

Erfahrungsaustausch und richten sich daher an Prakti-ker aller Archivsparten, die in ihren jeweiligen Institu-tionen mit der Archivierung von Unterlagen aus elektro-nischen Systemen befasst sind.

– Dieser Teilnehmerkreis kann durch den Ausrichtererweitert werden um Angehörige der Verwaltung oderder an den Ausrichter anbietungspflichtigen Stellensowie Teilnehmer aus anderen Berufsfeldern, aus deneninteressante Anregungen kommen können, z. B. Infor-matiker oder Bibliothekare.

– Grundsätzlich gilt das Prinzip der „aktiven Teilnahme“:Der AK wird keine Kollegen abweisen, die sich in dieThematik einarbeiten wollen, doch wird eine baldigeBeteiligung durch eigene Beiträge erwartet.6

– Die Zahl der Teilnehmer liegt in der Regel zwischen 35bis 50 Personen, um intensive Diskussion und intensi-ven Austausch zu ermöglichen. Reise- und Übernach-tungskosten können auch für Referenten nicht erstattetwerden.

– Über das Rahmenthema entscheidet der Ausrichter inAbstimmung mit der Geschäftsführung. Auf dieserGrundlage erfolgt im Herbst eines Jahres ein Call forPapers. Aus den eingehenden und ggf. ergänzend erbe-tenen Vorschlägen stellt der Ausrichter um den Jahres-wechsel das konkrete Tagungsprogramm zusammenund lädt Anfang des Jahres zu der im März oder Aprilstattfindenden Tagung ein.

1 Udo Schäfer: Der Arbeitskreis Archivierung von Unterlagen aus digi-talen Systemen, in: Archivnachrichten (1998), H. 17, S. 6.

2 Siehe z. B. die Berichte von Ulrich Nieß und Michael Wettengel: Archi-vierung von Unterlagen aus digitalen Systemen. Dritte Tagung desArbeitskreises im Bundesarchiv in Koblenz, in: Der Archivar 52 (1999),S. 340 f.; Karl-Ernst Lupprian: Virtuelle Welten im Magazin, in: DerArchivar 54 (2001), S. 324 f. und jüngst Harald Stockert: Tagung desArbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“am 14./15. März 2006 in Düsseldorf, in: Der Archivar 59 (2006), S. 368-370.

3 So Schäfer bereits 1998, s. Anm. 1.4 Der Arbeitskreis befasst sich nicht mit der Digitalisierung von (konven-

tionellem) Archivgut oder der Archivierung von so entstandenen Digi-talisaten. Ergänzend sei auf den die bisherigen Tagungen des AK bilan-zierenden Beitrag von Barbara Hoen auf der 10. Tagung des AK imMärz 2006 hingewiesen; der Tagungsband ist im Dezember 2006 erschie-nen, s. Anm. 19.

5 Beispielhaft seien die Ausrichter der beiden letzten Tagungen sowie derim Frühjahr 2007 stattfindenden nächsten Tagung genannt: ChristophPopp (Stadtarchiv Mannheim), Barbara Hoen (Landesarchiv Nord-rhein-Westfalen) sowie Katharina Ernst (Stadtarchiv Stuttgart).

6 Die Tagungen dienen also nicht im engeren Sinne Fortbildungszwecken.Verwiesen sei hierzu auf die Kurse zur elektronischen Archivierung imFortbildungsangebot der Archivschule Marburg, deren aktuell dreiDozenten im Arbeitskreis aktive Archivarinnen und Archivare sind.

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– Die Tagungen sollen verschiedenen Präsentationsfor-men Raum bieten. Vorträge von 30 Minuten Dauer sindebenso möglich wie kurze Werkstattberichte. Panelskönnen mehrere strukturierte Vorträge zum gleichenThema vereinen. Ziel ist die intensive Beschäftigung mitund die Diskussion über konkrete Themen.

– Über die Tagung wird regelmäßig im Archivar Berichterstattet, in der Regel durch den Ausrichter der jeweilsnächsten Tagung.

ErgebnisseDer AK hat sich seit Beginn seiner Tätigkeit zum einen alsNetzwerk verstanden, in dem Wissen, „das sich die einenerarbeitet haben, schnell an die anderen weitergegebenwerden“ kann.7 Er erfüllt diese Funktion seit nun zehn Jah-ren und ist für die mit der Archivierung elektronischerUnterlagen befassten Archivarinnen und Archivare einäußerst wichtiges Austauschgremium geworden, aus demauch zahlreiche sachdienliche bilaterale Kontakte entstan-den sind. Als Beispiel sei die intensive und erfolgreicheZusammenarbeit von Vertretern verschiedener Archiv-sparten bei der Überarbeitung des für die IT-gestützte Vor-gangsbearbeitung zentralen DOMEA-Konzeptes im Jahr2004 genannt.8

Zum anderen war es stets Ziel des AK, die Ergebnisseder praktischen Arbeit einem breiteren Fachpublikum zurVerfügung zu stellen. Er hat dieses Ziel durch die regelmä-ßige Veröffentlichung der Tagungsergebnisse in einemTagungsband oder einer online-Publikation erreichen kön-nen.9 Allerdings sind die Tagungsbände aufgrund derwechselnden Herausgeberschaft für den Außenstehendenkaum als eine Reihe zu erkennen – zur besseren Übersichtmöge daher folgende Aufstellung über die bisherigenTagungen mit Angabe der jeweiligen Veröffentlichung die-nen (Nummer der Tagung, Zeit und Ort, Rahmenthema):1. 1997 (Münster): Archivierung von Unterlagen aus digi-

talen Systemen10

2. 1998 (Ludwigsburg): Archivierung von Unterlagen ausdigitalen Systemen11

3. 1999 (Koblenz): Digitale Herausforderungen für Archi-ve12

4. 2000 (Mannheim): Auf der Suche nach archivischenLösungsstrategien im digitalen Zeitalter13

5. 2001 (München): Virtuelle Welten im Magazin. Ausson-derung, Aufbewahrung, Sicherung und Nutzung14

6. 2002 (Dresden): Elektronisches Archivgut – Metadaten,Fachverfahren, Publikationen15

7. 2003 (Berlin): Elektronische Unterlagen und archivari-sches Berufsbild – alles im Fluss?16

8. 2004 (Hamburg): Digitales Verwalten - Digitales Archi-vieren17

9. 2005 (Mannheim): Digitale Archivierung. Wirtschaft-lichkeit und pragmatische Lösungen18

10. 2006 (Düsseldorf): Planungen, Projekte, Perspektiven.Zum Stand der Archivierung elektronischer Unterla-gen19

11. 2007 (Stuttgart): Erfahrungen mit der Übernahme digi-taler Daten – Bewertung, Übernahme, Aufbereitung,Speicherung, Datenmanagement (in Vorbereitung)

AusblickDer AK kann angesichts der vorgestellten Ergebnisse aufeine erfolgreiche zehnjährige Tätigkeit zurückblicken: Mankann zu Recht sagen, dass er eine wesentliche Funktion beider Erhöhung der Kompetenz der deutschen Archive aufdem Gebiet der elektronischen Archivierung hatte und hat.Er will seine Tätigkeit unter Beibehaltung der bisherigenArbeitsweise fortsetzen, plant aber einige Verbesserungen.So ist der Aufbau einer Website vorgesehen, um größereTransparenz über Organisation und Ergebnisse herzustel-len.

Trotzdem fällt eine Bilanz der letzten zehn Jahre nichtnur positiv aus. Udo Schäfer sah 1998 wie eingangs zitiert,in der Einrichtung des AK den Ausdruck eines Wandels.Und tatsächlich fehlt seit Jahren in keiner Grundsatzredeführender Vertreter der archivischen Zunft der Hinweis aufdie wichtigen Herausforderungen, vor die uns die Archi-vierung elektronischer Unterlagen stelle, und auf die

7 So Schäfer 1998, s. Anm. 1.8 Das Erweiterungsmodul zum Organisationskonzept 2.0 Aussonderung

und Archivierung elektronischer Akten entstand unter Mitarbeit vonAndrea Hänger (Bundesarchiv), Margit Ksoll-Marcon (Generaldirek-tion der staatlichen Archive Bayerns), Anette Meiburg (Bundesarchiv),Christoph Popp (Stadtarchiv Mannheim), Angela Ullmann (Parla-mentsarchiv des Deutschen Bundestages), Michael Wettengel (Stadt-archiv Ulm) und Andrea Wettmann (zum Zeitpunkt der ErarbeitungSächsisches Staatsministerium des Innern, Referat Archivwesen). Miteiner Ausnahme gehören alle Genannten dem Arbeitskreis an. ZumKonzept siehe www.domea.de.

9 Eine inhaltliche Vorstellung der Arbeitsergebnisse ist im Rahmen die-ses Beitrags leider nicht möglich.

10 Frank M. Bischoff (Hg.): Archivierung von Unterlagen aus digitalenSystemen. Beiträge zur Tagung im Staatsarchiv Münster, 3.- 4. März 1997(Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen E 4), Münster 1997 (vergriffen).

11 Udo Schäfer/Nicole Bickhoff (Hgg.): Archivierung elektronischerUnterlagen (Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Würt-temberg, Serie A Landesarchivdirektion, Heft 13), Stuttgart 1999.

12 Michael Wettengel (Hg.): Digitale Herausforderungen für Archive. 3.Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalenSystemen“ am 22. und 23. März 1999 im Bundesarchiv Koblenz (Mate-rialien aus dem Bundesarchiv, Heft 7), Koblenz 1999.

13 Ulrich Nieß (Hg.): Auf der Suche nach archivischen Lösungsstrategienim digitalen Zeitalter. Beiträge zur 4. Jahrestagung des Arbeitskreises„Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“, Mannheim2001.

14 Karl-Ernst Lupprian (Hg.): Virtuelle Welten im Magazin. Aussonde-rung, Aufbewahrung, Sicherung und Nutzung. Vorträge der 5. Tagungdes Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalen Syste-men“ in München, 5./6. 3. 2001, München 2003.

15 Elektronisches Archivgut – Metadaten, Fachverfahren, Publikationen.6. Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digita-len Systemen am 5./6. März 2002 in Dresden, Tagungsbericht und Bei-träge unter www.sachsen.de/de/bf/verwaltung/ archivverwaltung/v2/themenportal/3585.htm.

16 Elektronische Unterlagen und archivarisches Berufsbild – alles im Fluss?7. Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digita-len Systemen am 17./18. März 2003 in Berlin, Tagungsbericht und Bei-träge unter www.ekd.de/archive/deutsch/AdU_Programm.htm.

17 Rainer Hering/Udo Schäfer (Hgg.): Digitales Verwalten – DigitalesArchivieren. 8. Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterla-gen aus digitalen Systemen“ am 27./28.4.2004 in Hamburg (Veröffent-lichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg,Bd. 19), Hamburg 2004.

18 Christoph Popp/Harald Stockert (Hgg.): Digitale Archivierung. Wirt-schaftlichkeit und pragmatische Lösungen. Beiträge zur 9. Jahrestagungdes Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalen Syste-men“ im Stadtarchiv Mannheim (8. - 9. 3. 2005) (Sonderveröffentlichun-gen des Stadtarchivs Mannheim Nr. 31), Mannheim 2005.

19 Barbara Hoen (Hg.): Planungen, Projekte, Perspektiven. Zum Stand derArchivierung elektronischer Unterlagen. 10. Tagung des Arbeitskreises„Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ 14. und 15.März 2006 in Düsseldorf (Veröffentlichungen des Landesarchivs Nord-rhein-Westfalen 10), Düsseldorf 2006.

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Bedeutung, die man diesem Aufgabengebiet beimesse.Doch wie sieht es in der Praxis aus: Wofür werden Perso-nal und andere Ressourcen eingesetzt? In wie vielen Archi-ven wird auch nur die Kapazität eines einzigen Vollzeit-äquivalents für die Archivierung elektronischer Unter-lagen (von der Beratung anbietungspflichtiger Stellen überdie Erfassung, Bewertung, Übernahme, Sicherung undErschließung) aufgewandt, wie viele in dieser Kernaufga-be kompetente Archivare gibt es? Wie viele staatlicheArchivverwaltungen (als vergleichsweise große archivi-sche Einrichtungen) verfügen auch zehn Jahre nach demerhofften Wandel noch nicht über eine solide und tragfähi-ge Strategie zur Archivierung elektronischer Unterlagen?In wie vielen anbietungspflichtigen Stellen sind zum Teilseit Jahrzehnten IT-Verfahren im Einsatz, in denen archiv-würdige elektronische Unterlagen entstehen und wo wur-den diese Unterlagen in das zuständige Archiv übernom-men?

Beantwortet man diese Fragen wahrheitsgemäß, wirddas Ausmaß der vorhandenen Defizite deutlich. Es gibtfunktionierende Lösungen für die Archivierung elektroni-scher Unterlagen, das „digitale Desaster“ kann vermiedenwerden. Der AK kann diese Lösungen vorstellen, er kannaber nicht die angesprochenen Defizite beheben: Es ist dieAufgabe der Archive, die archivwürdige elektronischeÜberlieferung in ihrem Zuständigkeitsbereich aktiv zusichern. Hier steht jeder Leiter, jede Leiterin eines Archivsin der Pflicht, die Prioritäten zu setzen.

Dresden Thekla Kluttig

Älteste digitale Archivquelle der Bundesrepublik gesi-chert: Daten der Volkszählung von 1961 für das LandBaden-Württemberg übernommen und aufbereitet

Schon im Jahr 2002 begann das Landesarchiv Baden-Würt-temberg, im Pilotbetrieb digitale Unterlagen zu archivie-ren, und seit diesem Jahr arbeitet das am Staatsarchiv Lud-wigsburg angesiedelte Projekt „Digitales Archiv“ an derKonzeption für eine Dauerlösung. Unter Bedingungen, diedem Regelbetrieb möglichst nahe kommen, werden die inder elektronischen Archivierung diskutierten Verfahren,Techniken und Standards auf ihre Praxistauglichkeitgeprüft. Das Projektteam besteht aus einem Informatikerund zwei Archivaren. Inzwischen sind alle bisher über-nommenen digitalen Archivalien auf einem Massenspei-chersystem abgelegt und mit einheitlichen Metadaten ver-zeichnet.

Im Zuge dieser Aufbereitung wurden die Daten derVolkszählung des Jahres 1961, die bisher als de facto unbe-nutzbare Datei auf einer CD-ROM lagerten, in eine doku-mentierte und auch für Laien nutzbare Version umgewan-delt. Die Volkszählung könnte sich zu einer begehrtenQuelle der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Landes,aber auch zu einem reichen orts- und regionalgeschichtli-chen Fundus entwickeln. Sie gehört außerdem zu denältesten in digitaler Form überlieferten Zeugnissen deut-scher Geschichte.

Inhalte und Umsetzung der Volkszählung 1961Die „Volks- und Berufszählung 1961“ war die erste großeBestandsaufnahme der Gesellschaft der Bundesrepublik indem konsolidierten Zustand, den sie im Verlauf der 1950erJahre erreicht hatte. Die seit 1954 von den Statistischen

Ämtern des Bundes und der Länder vorbereitete Zählungwar zur Sicherung eines regelmäßigen Zehn-Jahres-Turnusfür das Jahr 1960 geplant, konnte aber letztlich erst am6. Juni 1961 vollzogen werden.

Volkszählungen geben Auskunft zu demographischen,wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen. Sie zeigendie Beschäftigungsstruktur, die Altersverteilung und dieFamilienverhältnisse in der größtmöglichen Genauigkeit.Für die Volkszählung 1961 sind diese Daten auf der Ebenejeder Gemeinde abrufbar, in größeren Städten auch für ein-zelne Bezirke. Die Zahlen der Berufsstatistik, die 438 Beru-fe unterscheidet, liegen für jeden Regierungsbezirk und dieGroßstädte des Landes vor. Das Fragenprogramm derZählung von 1961 hatte neben den klassischen Inhalten vorallem die damals politisch aktuellen Aspekte zum Thema.Die Lage der Kriegsopfer, Heimatvertriebenen und DDR-Flüchtlinge, die beginnende Einwanderung von Gastarbei-tern, der Ausbildungsbedarf zur Bewältigung der bil-dungspolitischen Krise, die Bedürfnisse der wachsendenGruppe der motorisierten Berufspendler, die Steuerungdes Strukturwandels in der Landwirtschaft waren Fragen,denen die Statistischen Ämter besonders intensiv nachgin-gen.

In technischer Hinsicht stand die Volkszählung auf derSchwelle zwischen der Lochkartenmaschine und derdamals so genannten „Elektronentechnik“. Die von denBürgern ausgefüllten Fragebögen wurden überprüft undanschließend codiert und in Lochkarten übertragen. Die soentstandenen Individualkarten wurden für definierteGruppen und nach bestimmten Kriterien maschinell aus-gezählt und plausibilisiert, das Ergebnis auf Summenkar-ten festgehalten. Die Individualkarten lassen sich nichtmehr ermitteln und wurden wahrscheinlich vernichtet –übrigens mit Genehmigung der Stuttgarter Archivdirekti-on, die sich hierüber mit anderen Bundesländern verstän-digt hatte. Die Summenkarten wurden hingegen erstmalsin der deutschen Statistikgeschichte digitalisiert und aufMagnetbändern in elektronischen Rechenanlagen, die zumTeil eigens von der Firma IBM gemietet worden waren,weiterverarbeitet. Jedes Land konnte über den Rahmen desbundeseinheitlichen Programms hinaus eigene Schwer-punkte bei der Erstellung der Summenkarten setzen.

Vom Datenstrom zur digitalen QuelleDie vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg(StaLA) im Jahr 2005 abgegebenen Daten enthielten dieGesamtmasse der damals für das Bundesland erstelltenSummenkarten als Zahlenreihen in Tabellenform. Das Lan-desarchiv bekam die Daten als Textdatei zusammen miteiner Summenkartenübersicht des Statistischen Bundes-amts. Unterlagen des StaLA über die Durchführung derVolkszählung fanden sich im Staatsarchiv Ludwigsburg,über die Daten selbst ließen sich jedoch keine weiterenInformationen ermitteln.

Mitarbeiter des StaLA hatten die Daten vor der Überga-be aus einem Großrechner-Zeichensatz in das ASCII-For-mat übertragen. Mit 1 592 821 Datensätzen kam die Dateiauf eine Größe von 99 MB. Die Datensätze sind im Festbrei-tenformat organisiert, das heißt ein Standarddatensatz hat– wie auch die Summenkarten, aus denen er hervorgeht –immer die gleiche Länge, die Aufteilung der Zeichen inSpalten ist aber ohne weitere Angaben nicht ersichtlich.Erst über die vom Statistischen Bundesamt herausgegebe-

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ne gedruckte Dokumentation der Volkszählung konntendie 106 verschiedenen Summenkartentabellen voneinan-der getrennt und lesbar gemacht werden. Einige Tabellenblieben undokumentiert und sind damit zur Zeit nicht les-bar. Sie wurden wahrscheinlich im Statistischen Landes-amt für landesinterne Sonderauswertungen erstellt.

Die Erschließung glich einer Flusskartierung von derMündung bis zur Quelle: Die breite amorphe Masse derAusgangsdatei teilte sich in die schmaleren Datenflüsseder Summentabellen, die wiederum in immer kleinereBäche und Rinnsale zerfielen. Über die Spalten und dieCodelisten gelangte man mit etwas Mühe zu den unge-trübten, klar definierten Quellen, deren Authentizität sichnachweisen ließ. Durch den stichprobenhaften Vergleichmit den nach der Volkszählung publizierten Tabellenwer-ken ließ sich sicher feststellen, dass es sich bei den in derDatei übernommenen Zahlen wirklich um die Grundlageder vom StaLA veröffentlichten Angaben handelte.

LesbarmachungDie Summenkarten bestanden überwiegend aus Zählfel-dern, die Summen enthielten, und zu einem kleineren Teilaus Sortierfeldern, die in codierter Form über den Inhaltder Summen Aufschluss gaben. Die Kenntnis der Codie-rungen ist für die Benutzbarkeit von Statistiken unerläss-lich. In der Mehrzahl ließen sie sich aus der Dokumentati-on des Statistischen Bundesamts von 1961 ermitteln. Ein-

zelne Codes konnten erschlossen werden. Für die Decodie-rung der Gemeinden, Großstädte, Kreise und Regierungs-bezirke in Baden-Württemberg wurde eine aus der Abtei-lung Landesbeschreibung des Landesarchivs stammendedigitale Codeliste benutzt, die den Stand vor der Gebiets-reform beinhaltete. Für die Großstädte Freiburg im Breis-gau, Heidelberg, Karlsruhe, Mannheim und Stuttgart wardas Stadtgebiet mit Kennziffern gegliedert. Diese Ziffernwaren nicht genau zu ermitteln, sie sind aber teilweise inPapierakten des Staatsarchivs dokumentiert.

In den Feldern „Geschlecht“ und „Vertriebene usw.“wurden in einigen Tabellen neben den bekannten Codesweitere undokumentierte Codes eingesetzt, die sich ver-mutlich auf nicht näher bestimmbare Summierungenbeziehen. Nicht nur Zahlen, sondern auch andere druck-bare Zeichen wurden für diese Codes benutzt.

Da es sich bei der Volkszählung um das älteste unsbekannte Beispiel digitaler Daten in deutschen Archivenhandelte, wurde im Rahmen der Erschließung eine ent-schlüsselte Repräsentation (Erscheinungsform) der Datenerstellt. Der hiermit verbundene Aufwand ist für denRegelbetrieb nicht notwendig, da interessierte Nutzer dieDaten auch anhand der Codetabellen selbst entschlüsselnkönnen. Das Ergebnis illustriert jedoch sehr gut die Aus-wertungsmöglichkeiten, die der Forschung anhand elek-tronischer Statistiken gegeben sind. Die Entschlüsselungder codierten Sortiermerkmale erfolgte auf manuellemWege mithilfe einer handelsüblichen Tabellenkalkulation.

Die gesamte Aufbereitung vollzog sich unter einem ver-tretbaren personellen und technischen Aufwand. Derbenutzte Rechner entsprach den derzeit für den Bürobe-trieb erhältlichen Modellen, der Zeitaufwand belief sichauf 40 Arbeitsstunden, von denen allein zwölf auf dasKonto der entschlüsselten Repräsentation gingen.

NutzungsmöglichkeitenMithilfe der Volkszählung 1961 lassen sich ganze Bevölke-rungsschichten, aber auch bestimmte Berufsgruppen nachihrer Ausbildung, ihrer Altersverteilung oder ihrem Wohn-verhalten untersuchen. Da die Summenkarten teilweise bisauf die – vor der Gebietsreform sehr kleinteilige – Gemein-deebene untergliedert sind, können Ortsforscher mit gerin-gem Rechercheaufwand Informationen über ihr Dorf oderihren Gemeindebezirk ermitteln. Auch bestimmte sozialeGruppen wie Bewohner von Altenheimen oder DDR-Flüchtlinge lassen sich herausfiltern und nach bestimmtenFragestellungen analysieren.

Insgesamt zeigt die Aufbereitung der Volkszählung desJahres 1961 die großen Möglichkeiten, die den Archivendurch die Übernahme digitaler Unterlagen erwachsen. Eshandelt sich um Chancen, die nicht ungenutzt bleiben dür-fen.

Literatur

Statistisches Bundesamt Wiesbaden: Volks- und Berufszäh-lung vom 6. Juni 1961. Heft 1: Die methodischen Grundla-gen der Volks- und Berufszählung von 1961. Stuttgart 1967.

Hermann Schubnell : Die Volks- und Berufszählung1961. In: Allgemeines Statistisches Archiv 46 (1962), S. 21–41,141–168.

Ludwigsburg Kai Naumann

Druckvorlage für eine Zeitungsanzeige. Das Großer-eignis Volkszählung wurde in Printmedien, im Rund-funk und im Fernsehen beworben. Quelle: Landesar-chiv StAL EL 258 II Bü 214

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Wegweiser durch die breitgefächerte ArchivlandschaftThüringens: www.archive-in-thueringen.de

Im April 2006 wurde anlässlich einer Weiterbildungsveran-staltung für Thüringer Archivarinnen und Archivare inEisenach das Archivportal Thüringen der Öffentlichkeitpräsentiert.

Zur VorgeschichteDas Projekt Archivportal Thüringen wurde als Internet-Dienstleistungsangebot der Thüringischen Archive vonder Archivberatungsstelle am Thüringischen Hauptstaats-archiv Weimar in Zusammenarbeit mit deren Beirat unddem Staatsarchiv Rudolstadt initiiert. Es versteht sich alsVerbundsystem von bisher 145 öffentlich zugänglichenArchiven des Freistaates in staatlicher und nichtstaatlicherTrägerschaft. Die Entwicklung des Portals wäre ohne diefinanzielle Unterstützung der Sparkassen-KulturstiftungHessen-Thüringen nicht möglich gewesen.

Das Archivportal bietet eine einfache, übersichtlicheInformationsstruktur. Auf der Startseite findet sich einekurze Erklärung zum Anliegen des Portals, von dort auskönnen sich interessierte Nutzer detailliert über das Pro-jekt sowie über Archive als Bildungs- und Forschungsstät-ten im Allgemeinen informieren. Darüber hinaus ist derZugriff auf Erläuterungen zu den Benutzungsmodalitätensowie auf Navigationshilfen möglich. Die einzelnenArchivsparten staatliche, Kreis-, Stadt- und Gemeindear-chive, Kirchenarchive, Wirtschaftsarchive, das Parlaments-archiv, Medienarchive und Archive wissenschaftlicher undkultureller Einrichtungen (linke Navigationsleiste) werdenjeweils auf einer eigenen Seite vorgestellt, diese Seitengeben wesentliche Hinweise auf Verwaltungsstrukturenund die zu erwartende Überlieferung. Eine Übersicht allerArchive einer Sparte kann dort angezeigt werden. Diebeteiligten Archive präsentieren sich mit allgemeinenInformationen zum jeweiligen Haus wie Anschrift undTelekontakte, Öffnungszeiten, Geschichte und Zuständig-keit des Archivs und Benutzungshinweisen. Über ein Orts-register lassen sich gezielt alle Archive eines Ortes auffin-den. Den Kern des Informationssystems bildet eine Daten-bank mit Tektonik- und Bestandsübersichten sowieBestandsbeschreibungen aller Archive, in der dem Inter-net-Nutzer eine Recherche in den Beständen eines einzel-nen Archivs oder eine übergreifende Stichwortsuche inArchiven eines Ortes, einer Sparte oder über alle Archivehinweg möglich ist. Derzeit sind Informationen zu über 90km Archivgut in 10.330 Archivbeständen abrufbar, dabeisind die ältesten Dokumente über 1000 Jahre alt.

Von der Planung zur UmsetzungAuf der Grundlage des 1999 erschienenen gedrucktenArchivführers für Thüringen und der in der Zwischenzeitkontinuierlich gesammelten Veränderungen und Ergän-zungen einzelner Thüringer Archive wurde bei der Archiv-beratungsstelle eine Basisdatenbank gepflegt. In den Jah-ren 2002 und 2003 wurde bei Kolleginnen und Kollegen inNordrhein-Westfalen fachlicher Rat eingeholt, hatten diesedoch bereits 1998 das Portal Archive in NRW auf Grund-lage der Beständeübersichten der staatlichen und Wirt-schaftsarchive sowie des Handbuches der Kommunalar-chive realisiert. Im Februar 2005 konnte ein Pflichtenheftfür Programmierung und Design einer Web-Datenbanksowie die Datenübernahme aus der Basisdatenbank (MSAccess) erstellt werden. Dabei standen eine übersichtlicheBedienoberfläche, einfaches Navigieren im Datenbestandund die datentechnisch schnelle Ladbarkeit der Datensowie die Möglichkeit einer dezentralen Datenpflege imVordergrund. Aufgrund des Fördermittelbescheides derSparkassen-Kulturstiftung konnten alle programmtechni-schen Arbeiten an eine Internetfirma vergeben werden, dieProgrammierung war bis Ende des Sommers 2005 nahezuabgeschlossen. Das Portal befolgt die W3C-Richtlinien hin-sichtlich der Vorgaben zur Barrierefreiheit. Es basiert aufInternettechnologien und ist damit zur Benutzung weitest-gehend systemunabhängig. Standard-Browser ist der MSInternet Explorer, weitere unterstützte Browser sind Fire-fox (MS Windows) sowie Safari (MacOS). Als Datenbank-system wurde MySQL eingesetzt.

Parallel zu den Programmierarbeiten nahm das Einpfle-gen der aktualisierten Daten der einzelnen Archive undder notwendigen Ergänzungen einen Zeitraum von zwölfMonaten in Anspruch. Aufwendig zu bearbeiten wareninsbesondere die Informationen zu den einzelnen Bestän-den wie Geschichte des Registraturbildners, Bestandsge-schichte, Inhaltsangaben zum Bestand, Laufzeiten,Umfang und Findmittel. Dafür wurde bei der Archivbera-tungsstelle eine zeitlich befristete Stelle geschaffen. EndeJanuar 2006 wurde das Archivportal Thüringen für denTest zur Funktionsfähigkeit der Datenbank und des Pfle-gemoduls ins Netz gestellt. Alle beteiligten Archive wur-den gebeten, die Einträge ihrer Einrichtung zu kontrollie-ren und auch künftig regelmäßig zu aktualisieren. DieDatenpflege wird seither über ein Rechtesystem durchjedes beteiligte Archiv selbst realisiert. Die Beteiligung amVerbund ist für die Archive kostenlos. Die Kosten der Inter-netpräsenz tragen die Thüringischen Staatsarchive. Dieorganisatorische Verantwortung für die laufende Adminis-tration liegt weiterhin in den Händen der Archivberatungs-stelle.

AusblickDie Informationsstruktur des Portals ist offen gehalten, umauf einen künftigen erhöhten Informationsbedarf reagierenzu können. Das Angebot der Thüringischen Archive imInternet wird langfristig nicht bei den Beständeübersichtenstehen bleiben, sondern auch Erschließungsinformationenin Form von Online-Findmitteln präsentieren. Es ist jeder-zeit möglich, weitere Archive in das Portal aufzunehmen.

Das neue Dienstleistungsangebot bringt Internetnutzern– Mitarbeitern von Behörden und Einrichtungen, For-schern sowie Schülern und Studierenden – einen erheb-lichen Informationsgewinn, können sie doch unabhängig

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von Zeit und Ort archivische Informationen recherchierenund Archivbesuche gezielt vorbereiten. Die am Verbundteilnehmenden Archive gewinnen ebenso, der Bekannt-heitsgrad ihrer Bestände und Sammlungen steigt, wodurchsie wiederum verstärkt ins Blickfeld lokaler und regiona-ler Forschungsinteressen rücken.

Weimar Bettina Fischer

Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung

Symposion „Zur Geschichte und Historiographie vonArchiven“

Das DFG-Graduiertenkolleg „Archiv · Macht · Wissen –Organisieren, Kontrollieren, Zerstören von Wissensbestän-den von der Antike bis zur Gegenwart“ an der Abteilungfür Geschichte der Universität Bielefeld veranstaltete am28. und 29. April 2006 ein Symposion, bei dem Geschichts-und Archivwissenschaftler Möglichkeiten und Perspekti-ven der Geschichte und Historiographie von Archivie-rungspraktiken diskutierten. Das Symposion organisiertesich um Fragen, wie und mit welchen Perspektiven dieHistorisierung von Archiven im Zeitalter der Digitalisie-rung möglich ist und welche adäquaten Archivmodelledafür entwickelt werden können. Wie unterschiedlich mit-unter Perspektiven und Fragestellungen der Beiträgewaren, wurde deutlich, als Professor Eckhart G. Franz(Darmstadt) in seinem Abendvortrag, einer Archivge-schichte „Von der Tontafelzeit bis zum Computer“, klar-stellte, dass er skeptisch sei angesichts dessen, „was sichdieser Tage mit dem ungeschützten Begriff ‚Archiv’schmücken“ möchte.

Julia Herzberg (Bielefeld), stellte in ihrer Einleitung dieForschungsschwerpunkte des Graduiertenkollegs und dieunterschiedlichen methodischen Ansätze vor, die von„material culture“ über historische Semantik bis zur Insti-tutionen- und Verwaltungsgeschichte reichen. Das Pro-gramm des Kollegs sieht Forschungen nicht nur im Bereichinstitutioneller Sammlungen von Akten vor, sondernmöchte auch Bibliotheken, Museen, semi- oder kontra-institutionelle Wissensbestände mit in die Analyse einbe-ziehen. Mario Wimmer (Bielefeld) verwies auf die para-doxe Konstellation, dass im Prozess der HistoriographieArchive zugleich vorgängig wie vorläufig seien, eine Beob-achtung, die auch auf die Quellenkonzeptionen der Histo-riographie Auswirkungen habe. Er plädierte für eine kon-zeptuelle Verzeitlichung des archivischen Raumes, eineUmstellung von Archiv auf Archivierung. Diese Umstel-lung erlaube es, lokale Konstellationen, ungerichtete Stra-tegien und archivische wie archivarische Praktiken analy-tisch konsequenter zu beschreiben und dabei auch auf dieMaterialität und Medialität von Archivierungsprozesseneinzugehen.

Andreas Litschel (Bielefeld) stellte sein Dissertations-projekt vor, in dem er die alltagspraktische und semanti-sche Organisation sozialer Zugehörigkeit im spätmittelal-terlichen Lüneburg untersucht. Besonders interessierenihn dabei die wechselseitige Bedingtheit von Schreib- undSpeicherpraktiken im Zusammenhang mit den sich ent-wickelnden Formen zweckrationalen Obrigkeitshandelns.

Das Projekt von Kristin Kalisch (Bielefeld) zum Ver-hältnis von Archiven und Herrschaftsstrukturen in derKommunalpolitik am Beispiel Göttingens (1871–1918)

möchte mittels eines mikrohistorischen Ansatzes unterEinbeziehung kulturgeschichtlicher Fragestellungen dieHerrschaftsstrukturen und „modes of governance“ heraus-arbeiten. Das Projekt stellt die Frage danach, wie Verwal-tung funktionierte und welche Rolle das Archiv dabeigespielt hat. Ziel sei es zu beschreiben, wie sich in den Ver-waltungspraktiken Macht zeigt, um so bürokratische Herr-schaft zu analysieren.

Der Althistoriker Professor Uwe Walter (Bielefeld)sprach über „Die Ordnung der Zeit und die Macht, sie zuwissen: Kalender, Fasten und Annalen im antiken Rom“.In seinem breit angelegten Vortrag konnte Walter zeigen,dass auch an unerwarteten Orten Archivierungsprozessestattfinden können. Sein Vortrag über jenen Kalender„avant la lettre“ brachte anregende Einsichten, vor allemfür die Diskussion.

Es zeigte sich, dass die „Annales“ eine Geschichte vonNormierung und Kreativität bergen. Geprägt wurde dieliterarische Gattung der Annalen, die für die mittelalterli-che Geschichtsschreibung eine herausragende Bedeutungerlangten, durch den Dichter Quintus Ennius (239–169 v.Chr.). Er schrieb als erster die Geschichte Roms in lateini-schen Versen nieder. Als Nicht-Römer und Nicht-Mitgliedder Oberschicht hatte Ennius jedoch kein Rederecht überdie römische Vergangenheit. Daher rückte er seine Ausfüh-rungen durch Titel und Form nahe an die kalendarischenAufzeichnungen des Pontifex Maximus, um seinem WerkAutorität zu verschaffen. Die enorme Wirkung der Anna-les, scheint dazu geführt zu haben, dass seither eineGesamtgeschichte der Stadt bestimmte Bestandteile, die ihrVorbild in der Kalendertafel hatten, enthalten musste, umAutorität zu erlangen.

Der Wirtschaftshistoriker Jens Schmücker (Bielefeld)versucht mit seinem Dissertationsprojekt, „SelektierteInformation. Die Organisation von Wissen bei der Entwick-lung unternehmerischer Strategien am Beispiel der IG Far-ben und der Standard Oil“ zu zeigen, ob die Zweite Wirt-schaftliche Revolution (Douglass C. North) eine Transfor-mation der „Archive des Wissens“ verursachte. Schmückerfragt, welche „Mechanismen des Umgangs mit Wissen“ die„unternehmerischen Strategien determinierten“, wie alsounterschiedliche organisatorische Strategien und Netzwer-ke andere unternehmerische Pfade festlegten. Dabei ver-gleicht er die Mechanismen des Zugangs, der Selektionund Interpretation von Information im Unternehmen unddessen Archiv.

Die Forschungsstudentin des Graduiertenkollegs LindaBraun stellte ihr Projekt „‚Wir führen keinen Krieg.’ Diedeutsche regierungsamtliche Darstellung des Kosovo-Kon-fliktes und der NATO-Intervention“ vor. Sie untersuchtdabei, wie Wissen um den Kosovo-Konflikt von Seiten derdeutschen Bundesregierung produziert wurde. Eine zen-trale Frage des Projekts lautet: „Wie wurde internes Wis-sen der Bundesregierung verwendet, um extern eine ande-re Darstellung zu erreichen?“ Untersucht werden derSprachgebrauch, die rhetorischen Strategien und die Ver-mittlung unterschiedlicher Inhalte.

Die Medienhistorikerin Mercedes Bunz (Berlin) sprachüber die Debatte um die Patentierung von Adrenalin um1900, welche von der Frage getrieben wurde, ob dessen Iso-lierung eine Entdeckung oder Erfindung sei. Mit der Paten-tierung von Adrenalin werde nachträglich dessenGeschichte neu konstituiert. Aus dem international betrie-

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benen Forschungsprojekt zum Nebennierenextrakt wurdeein ökonomisches Produkt namens Adrenalin. Für diesenTransfer aus dem „offenen“ Archiv der Wissenschaft in dieÖkonomie unterlag das Produkt damit einer neuen eindeu-tigen Zuordnung: die Zuschreibung der Leistung auf eineAdresse.

Torsten Musial (Berlin) referierte in seinem Vortrag„Archive im Dritten Reich – willige Diener der Diktaturoder unpolitische Hüter der Akten?“ zwei Aspekte aus sei-nem nach wie vor wichtigen Buch1. Er fasste die darin vor-gelegten Ergebnisse zusammen und versuchte, sie in man-cher Hinsicht neu zu gewichten. Er stellte fest, dass einGroßteil der deutschen Archivare nationalkonservativ warund die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler begrüßte.Musial betonte allerdings umgekehrt, dass die Archive„ein relativ unpolitischer Raum blieb(en)“, was mehrfachangezweifelt wurde. In der Diskussion wurden alternativeModelle und Darstellungsstrategien vorgeschlagen.

Der Bielefelder Mediävist Professor Neithard Bulstskizzierte anhand einiger Fälle aus seiner Forschungspra-xis gezielte Zerstörungen von Archiven und Archivalien.Dabei unterschied er zwei grundlegende Typen von Zer-störungen. Einerseits die Zerstörung von Archiven seitensder Untertanen, wie etwa in der englischen Peasants’Revolt von 1381, andererseits erläuterte er Zerstörungenseitens der Obrigkeit, wie er unter anderem am BeispielKarls VI. verdeutlichte.

Das Symposion zeigte, dass sowohl Geschichts- als auchArchivwissenschaften von den unterschiedlichen Perspek-tiven profitieren können, obwohl und gerade weil gänzlichdisparate Archivmodelle und Erwartungen aufeinandertreffen. Eine Fortsetzung dieses Austauschs in andererForm wäre zu wünschen.

Bielefeld Michael Aumüller/Mario Wimmer*

1 Musial, Torsten, Staatsarchive im Dritten Reich. Zur Geschichte desstaatlichen Archivwesens in Deutschland 1933–1945 zugl. Diss. a. d.Humboldt Universität, Berlin 1994, Potsdam 1996.

* Beide: Graduiertenkolleg, Abteilung für Geschichte, Universität Biele-feld, PF 100131, 33501 Bielefeld.

3. Detmolder Sommergespräch im Staats- und Personen-standsarchiv Detmold: Familienbande, Lebensläufe undAlltagsgeschichte: Biographie und Genealogie1

Biographien sind der Renner! Das wurde auch beim3. Detmolder Sommergespräch am 16. August 2006 deut-lich, als sich 100 Gäste aus ganz Nordrhein-Westfalen – ausdem Rheinland genauso wie aus Lippe und dem nördli-chen Westfalen –, aus Niedersachsen, Hamburg und Bran-denburg im Staats- und Personenstandsarchiv Detmoldeinfanden. Die nunmehr jährlich stattfindenden Tagungenwerden auf Initiative des Personenstandsarchivs für West-falen-Lippe organisiert und durchgeführt.2

Die diesjährige Veranstaltung stand ganz im Zeichender Verwandtschaft von Biographie, Alltagsgeschichten

und Genealogie. Obwohl Biographen wie auch Genealo-gen sich mit der Geschichte von Menschen beschäftigen,gibt es doch große Unterschiede in der jeweiligen Vorge-hensweise. Während der Genealoge vor allem nach biolo-gischen Verwandtschaftsbeziehungen sucht, etwa umeinen Familienstammbaum zu komplettieren, befasst sichder Biograph mit der Lebensgeschichte einer einzelnenPerson oder einer sozialen Gruppe. Doch wo liegt dieSchnittmenge? Häufig reicht es Familienforschern nichtaus, nur über nackte Daten und Zahlen zu forschen. Viel-mehr möchten sie Erkenntnisse über Lebensläufe, Lebens-weisen, Lebensbedingungen und Mentalitäten der Vorfah-ren erlangen und persönliche Schicksale ergründen. Auchfür die Geschichtswissenschaft ist dieses Thema von gro-ßem Interesse, schließlich können aus persönlichenGeschichten auch historische Erkenntnisse gewonnen wer-den. Die sich aus diesem Themenkomplex ableitendenErkenntnisse, Fragestellungen und Probleme konntendank der Zusammenkunft von Experten und Gesprächs-partnern aus jedem Fachgebiet ausführlich diskutiert undvorgestellt werden. So gelang es Dr. Bettina Joergens,Dezernatsleiterin des Personenstandsarchivs und Organi-satorin des Sommergesprächs, eine innovative Gruppe ausWissenschaftlern, Genealogen, Vertretern von Behördenund Archivaren an einen Tisch zu bringen. Die Vortrags-und Diskussionsthemen beschäftigten sich vor allem mitden Fragen, warum sich die Geschichtswissenschaft mitpersönlichen Briefen, Tagebüchern und Nachlässenbefasst, welche Erkenntnisse aus Interviews mit älterenMenschen und Zeitzeugen gewonnen werden können, wiedamit umzugehen sein sollte und welche Archivalien fürNachforschungen herangezogen werden können.

Dr. Bettina Joergens ergründete in ihrem Eingangsvor-trag „Familienbande, Lebensläufe und Alltagsgeschichte“die Ursachen für die Begeisterung an Biographien und dereigenen Familiengeschichte. Sie zog Verbindungslinienzwischen Ahnentafeln, biographischen Romanen, derFamilienforschung und der Alltagsgeschichte und schlugdabei einen Bogen von Goethe bis zu den Erzählungen derGroßeltern. Aber: „Vorsicht Quelle!“, wie der Titel des leb-haften Vortrags der Archivleiterin Dr. Jutta Prieur-Pohl

Alexander von Plato

1 Vollständiges Programm s. unter www.archive.nrw.de -> StaatsarchivDetmold -> Informationen und Service.

2 In diesem Jahr ist außerdem der Tagungsband mit Beiträgen aus denSommergesprächen 2004 und 2005 und der Fachtagung staatlicherArchive im VdA im Frühjahr 2005 erschienen: Joergens, Bettina/Rei-nicke, Christian (Hg.), Archive, Familienforschung und Geschichtswis-senschaft. Annäherungen und Aufgaben, Norderstedt 2006.

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lautete. Denn man sollte Briefen, Zeitzeugen und Tagebü-chern nicht trauen, sondern sie im Zusammenhang mitanderen Quellen kritisch lesen, wie sie z. B. am Briefwech-sel zwischen Wilhelm von Humboldt und Charlotte Diedeanekdotenreich darlegte. Das sah Dr. Alexander vonPlato ganz genauso. Dr. von Plato ist der Experte für OralHistory in Deutschland. Es war daher ein Glücksfall, dasser für die Tagung gewonnen werden konnte. Der Histori-ker, der zahlreiche Projekte zur Erfahrungsgeschichte leite-te, referierte über Probleme und Chancen einer Ge-schichtsschreibung auf der Basis von Zeitzeugeninterviews.

Wie unterschiedlich die Aussagen von älteren Dorfbe-wohnerinnen und in Kirchenbüchern sein können, zeigteIngrid Schäfer vom Frauengeschichtsladen Lippe e.V. inihrem Vortrag „Die Oma als Quelle“. Beispielsweise woll-ten die Interviewpartnerinnen eines Projektes nichts vonvorehelichem Geschlechtsverkehr und unehelich gebore-nen Kindern im Dorf wissen. Die Kirchenbücher sprachenhier aber eine ganz andere Sprache… Viele der inter-viewten Frauen hatten übrigens zu Beginn des Projektsgeäußert, sie könnten kaum etwas zur Geschichte ihresOrtes beitragen. Am Ende des Projektes waren sie – dieExpertinnen! – ganz anderer Meinung. Sie brachten nichtnur wichtige Geschichten hervor, sondern zahlreicheDokumente aus dem Dorf über das ländliche Leben vonFrauen im 20. Jahrhundert.

Bei der Erforschung von Mentalitäten, Erfahrungen undSubjektivität interessieren nicht nur „mündliche Quellen“.Laien wie Wissenschaftler sind dankbar für jedes Egodo-kument, also für Briefe, Tagebücher und persönlicheUnterlagen. Oliver Doetzer, Historiker und Leiter derKultureinrichtungen der Stadt Prenzlau, stellte in seinemVortrag „Aus Menschen werden Briefe“ einen Briefkorpuseiner jüdischen Familie aus den Jahren 1933 bis 1947 vor.3

Doetzer war dank der außergewöhnlich geschlossenenund umfangreichen Korrespondenz in der Lage, die Erfah-rungen einer bürgerlichen jüdischen Familie zwischennationalsozialistischer Verfolgung, Emigration und demBeginn einer neuen Existenz im Ausland aufzuzeigen.Während die Briefe aus der frühen Phase noch sehrumfangreich sind und der Inhalt sich vornehmlich um all-tägliche Dinge und innerfamiliäre Probleme und Beziehun-gen dreht, so ändert sich dies vollkommen in der späterenPhase der NS-Herrschaft. Mit dem Tod der für den Kon-takt zentralen Familienmitglieder zerfällt auch der Kontaktder überlebenden Angehörigen untereinander – aus Men-schen wurden Briefe.

Einen ganz andere Perspektive nahm der stellvertreten-de Direktor des Amtsgerichts Bielefeld ein: Jürgen Grote-vent schilderte, wie menschliches Zusammenleben imAmtsgericht gespiegelt, verhandelt und in Akten doku-mentiert wird. Eine Auswahl dieser Akten kommt danachins Archiv und steht prinzipiell der Forschung zur Verfü-gung.

Die Tagung zeigte: Genealogie und Biographie sind wie-der aktuell. Mit den Sommergesprächen konnten wiedereinmal neue Interessentinnen und Interessenten für dasForschen im Archiv gewonnen werden, nicht zuletzt auchdurch die themenspezifischen Archivführungen.

Detmold/Bielefeld Bettina Joergens/Martin Kamp

Dokumente und Deutungen zur Anti-Atomkraft-Bewe-gung der 1970er Jahre. Eine Sektion des VdA-Arbeits-kreises „Archivische Bewertung“ auf dem 46. DeutschenHistorikertag

Die Frage, ob und inwieweit die historische Forschung amProzess der archivischen Bewertung beteiligt werden kann,ist im VdA-Arbeitskreis „Archivische Bewertung“ (undauch andernorts) wiederholt und kontrovers diskutiertworden. In das Positionspapier des Arbeitskreises vom

Teilnehmerinnen und Teil-nehmer am Büchertisch.Links: Dr. Wolfgang Bendervom Staats- und Personen-standsarchiv Detmold

3 Doetzer, Oliver, Aus Menschen werden Briefe. Die Korrespondenzeiner jüdischen Familie zwischen Verfolgung und Emigration 1933-1947,Köln/Weimar/Wien 2002.

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Herbst 2004 (I.10) wurde als Kompromissformel die Emp-fehlung aufgenommen, dass bei Bewertungsverfahren„eine mögliche Beteiligung von Vertretern der Forschungbzw. von Nutzerkreisen“ zu prüfen sei.1 Auf dem Deut-schen Historikertag in Konstanz (19.- 22. September 2006)hat nun der Arbeitskreis selbst eine eigene Sektion veran-staltet, die am Beispiel der Anti-Atomkraft-Bewegung der1970er Jahre Möglichkeiten des Zusammenwirkens vonHistorikern und Archivaren bei der Überlieferungsbildungneu auszuloten versuchte.

In einem einleitenden Vortrag gab zunächst RobertKretzschmar (Landesarchiv Baden-Württemberg) einenÜberblick über den Stand der gegenwärtigen Bewertungs-diskussion. Aufgabe der Bewertung sei es, in einer Vielzahlvon Themenfeldern wesentliche gesellschaftliche Prozesseabzubilden. Verschiedene Stellen müssten dabei archiv-übergreifend kooperieren und ihre Bewertungsentschei-dungen aufeinander abstimmen. Im Ergebnis entstehe soein ‚komprimierter Pluralismus', eine verdichtete Überlie-ferung, die gleichwohl die Vielzahl von Perspektiven aufein und denselben Gegenstand bewahre. Im Anschluss andie Überblicksdarstellung von Kretzschmar leitete KaiHünemörder (Universität Göttingen) zum inhaltlichenThema der Sektion über, indem er Interessenschwerpunk-te und Perspektiven der Umwelt-Zeitgeschichte vorstellte.Hünemörder skizzierte zunächst – auch als Folie für diefolgenden Vorträge – wichtige Etappen aus der Geschich-te des Anti-Atomkraft-Protestes zwischen Wyhl (1975) undTschernobyl (1986). Anschließend stellte er unterschiedli-che Ansätze der Forschung vor. Dabei betonte er dieBedeutung multiperspektivischer Betrachtungsweisen, diein Abgrenzung zu frühen, noch aus der Bewegung selbsthervorgegangenen sozialwissenschaftlichen Studien dasGegenüber der Bewegung nicht mehr als geschlossene Ein-heit, sondern als differenziertes Akteursgefüge betrachte-ten. Im zweiten Teil der Sektion griffen Albrecht Ernst undWolfgang Mährle (Landesarchiv Baden-Württemberg)das Thema der multiperspektivischen Betrachtungsweiseauf, indem sie eine Übersicht über die Vielfalt der staatli-chen Stellen gaben, die beim Bau und Betrieb von Kern-kraftwerken beteiligt sind. Sie betonten die Notwendigkeiteiner starken Reduzierung der Aktenmengen durch einenAbgleich der Überlieferungen, auch wenn zur Zeit die mei-sten Unterlagen noch in den Behörden und nicht in denArchiven lagern. Im anschließenden Vortrag von EdgarLersch (Archiv des Südwestrundfunks) wurden Aspekteder Überlieferungsbildung im Bereich der audiovisuellenQuellen angesprochen. Die Bewertungsproblematik stelltsich hier nicht in der gleichen Schärfe wie in den staatli-chen Archiven, da zumindest das gesendete Material inden Medienarchiven meist vollständig aufbewahrt wird.Anhand einschlägiger Ausschnitte aus Dokumentationenzum Anti-Atomkraft-Protest in Wyhl illustrierte Lerschverschiedene Formen medialer Inszenierung und verwiesgleichzeitig auf die Probleme der Interpretation audiovisu-eller Quellen, da die Unterlagen zum Entstehungszusam-menhang der Dokumentationen in den Archiven meistfehlten. Christoph Becker-Schaum ging in seinem Vor-trag ausführlich auf die Besonderheiten des von ihm gelei-teten Archivs Grünes Gedächtnis (Berlin) ein, das sichneben seiner Funktion als Parteiarchiv der Grünen auch als

ein Archiv für die (überregional agierenden) Neuen Sozia-len Bewegungen verstehe. Becker-Schaum wies auf denUmstand hin, dass den Unterlagen, die im Archiv GrünesGedächtnis verwahrt werden, häufig keine einheitlicheAktenführung zugrunde liegt und es deshalb eine beson-dere Aufgabe der Erschließung sein müsse, die Netzwerk-strukturen der Protestbewegung transparent zu machen. Ineinem Vortrag über die Genese des Archivs zur Geschich-te der Kernenergie in der Schweiz schilderte schließlichPatrick Kupper (ETH Zürich) die Situation bei der Über-lieferungsbildung aus Unterlagen privatwirtschaftlicherUnternehmen. Er betonte den hohen Stellenwert von Wirt-schaftsarchiven angesichts der Tatsache, dass Unterneh-men im Vergleich zu öffentlichen Einrichtungen relativ freimit ihren Unterlagen umgehen könnten und diese deshalbbei Fusionen oder Konkursen nur unzureichend vor derVernichtung geschützt seien.

Die Sektion zur archivischen Überlieferungsbildungwurde von etwa dreißig Teilnehmern besucht. Das Interes-se der Teilnehmer richtete sich, wie die Rückfragen und Dis-kussionsbeiträge erkennen ließen, auf ein breites Spektrumarchivischer Themen. Neben Fragen zur Überlieferungsbil-dung, wurden auch thematische Einzelaspekte aus derGeschichte der Anti-Atomkraftbewegung, Fragen zu denMöglichkeiten einer archivübergreifenden Vernetzung derErschließungsergebnisse und zur dauerhaften Sicherungvon elektronischen Unterlagen diskutiert. Auch wenn sichdie Sektionsverantwortlichen eine etwas größere Ressonanzund eine stärkere Fokussierung der Diskussion auf die spe-zifischen Probleme der archivischen Bewertung gewünschthätten, fällt die Gesamtbilanz der Veranstaltung positiv aus.Die Präsenz der Archive auf dem Historikertag stellt einenwichtigen Beitrag dar, um die ins Stocken geratene Diskus-sion zwischen Wissenschaft und Archiven neu zu beleben.Wie der Sektionsbericht von Mathias Mutz auf den Inter-netseiten von H-Soz-u-Kult zeigt,2 wird diese Einschätzungauch von Seiten der Historiker geteilt. Die Vorträge der Sek-tion sollen (möglicherweise zusammen mit weiteren Beiträ-gen zum gleichen Thema) in Form eines Sammelbandesveröffentlicht werden.

Düsseldorf Andreas Pilger

Findet Genealogie im Archiv statt? oder: Kommen Fami-lienforscher ins Archiv? – Ein Literaturbericht

Archivarinnen und Archivare würden auf die im Titelgestellten Fragen spontan antworten: ja, zuhauf. DennFamilienforscher sind in kirchlichen, kommunalen sowiestaatlichen Archiven meist die größte Benutzergruppe.Besonders die nordrhein-westfälischen Personenstandsar-chive in Detmold und Brühl sind prominente Anlaufstel-len für die boomende Genealogie.

Zu einem guten Kundenservice im Archiv gehört dieBeratung der Laien des historischen Forschens. Geradeweil den meisten Ahnenforschern die wissenschaftlicheund auch historische Ausbildung fehlt, sind sie auf Hilfe-stellung durch Fachleute und Einführungsliteratur ange-wiesen. Der Buchmarkt bietet inzwischen eine kaum nochüberschaubare Menge an Ratgebern für Anfänger und fürProfis der Familienforschung, und dies trotz wachsenderNutzung des Internet. Dabei werden auch Spezialinteres-

1 Vgl. www.vda.archiv.net/pdf/ak_bew_positionen2004.pdf. 2 Vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1181.

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sen der Genealogie bedient. Eine kleine Auswahl dieserBücher wurde für diese Sammelbesprechung kritisch gele-sen. Diese soll hier insbesondere aus archivfachlicher Sichtvorgestellt werden.1

Zahlreiche Handreichungen werden nicht von wissen-schaftlichen Historikern oder Archivaren, jedoch von mehroder weniger versierten Laien etwa in genealogischen Ver-einen verfasst.2 Zunehmend bringen auch Fachleute inleicht verständlicher Weise Familienforschern das histori-sche Arbeiten nahe,3 darunter auch der Inhaber des einzi-gen Lehrstuhls für Familiengeschichtsforschung in denUSA Roger P. Minert. Beispielsweise publizierten über-wiegend Archivare und Historiker den Tagungsband des56. Deutschen Genealogentags in Leonberg im Jahr 2004,allen voran Volker Trugenberger als Herausgeber. AuchMeike Kruses „Handbuch“ und Quellenkunde ist aus derErfahrung mit familienhistorischen Anfragen an dasArchiv entstanden.

Alle Publikationen richten sich in erster Linie an Laien.Während Zimmermann, Helm und das Heft Ahnenfor-schung (o. J.) v. a. absolute Anfänger in z. T. humorvollemStil, mit Cartoons und Anekdoten ansprechen, fordernKruse und Trugenberger ihre Leser mit wissenschaftlichenBeiträgen, mit quellenkundlichen Informationen zuArchivbeständen jenseits der Kirchenbücher sowie mithistorischen Kontexten und Interpretationen heraus.Minert setzt voraus, dass seine Leser das für sie relevanteKirchenbuch bereits ausfindig machten, und geht nachkurzer Einleitung in medias res. Die Macher der ZeitschriftComputergenealogie sowie der Handbücher „Americana inGerman Archives“ und „Ancestors in German Archives“haben dagegen einen Spezial-Leserkreis im Blick. Die Zeit-schrift wendet sich an diejenigen, die ihre digitalen Metho-den der Ahnenforschung „verfeinern“ möchten. Die bei-den englischsprachigen Nachschlagewerke sind für dasUS-amerikanische Publikum geschrieben, das seine Vor-fahren in Deutschland sucht und einen Leitfaden für dasdeutsche Archivwesen benötigt.

Die meisten dieser Handbücher sind anschaulich gestal-tet; die Informationen wurden mit Graphiken und Abbil-dungen systematisch aufgelockert und didaktisch aufge-baut. Sie enthalten Adressenlisten, Nachschlagetabellen,weiterführende Literatur und z. T. CD-Roms, so dass sie alsständige Begleiter bei der Familienforschung zu Rate gezo-gen werden können.

Inhaltlich zielen alle diese Publikationen darauf ab, denLesern bei der Erstellung des eigenen Stammbaumes undbei der Erforschung der Geschichte der eigenen Familie zuhelfen.

Die Autorinnen und Autoren konzentrieren sich aufpraktische Tipps, z. B. wie man Personenstandsdaten derFamilie sammelt und erfragt, welche Vereine undAnsprechpartner weiterhelfen, wenn der „tote Punkt“erreicht ist, und wie historische Forschung im Ansatzfunktioniert: „Zitieren Sie immer die Quellen“, lautet z. B.ein wichtiger Ratschlag.4 Im Vordergrund stehen dabeigrundlegende Arbeitstechniken wie Lesen und Verstehengenealogischer Zeichen sowie systematisches Forschen imInternet. In keiner Publikation fehlt ein mehr oder wenigerkorrekter Hinweis auf den Datenschutz.5

Schließlich werden Ratschläge gegeben, mit welchenProgrammen und in welchen Familientafeln die Namenund Daten der Vorfahren am besten „einzufangen“ sind.Der Zeitschrift Ahnenforschung liegen sogar leere Formblät-ter bei. Daten (digital) Sammeln, Ordnen, KirchenbücherLesen und sich Vernetzen sind offenbar die wesentlichenTätigkeiten von Ahnenforschern, gehen sie nach dem Ratder Autoren vor.6 Nur wenige Hinweise zielen darauf ab,jenseits von Namen und Zahlen das Leben der Ahnen zuerforschen.7 Übrigens, Daten werden demzufolge nicht inerster Linie im Archiv verwahrt und gefunden.

Dagegen werden bei Mauch und Wright III. bundes-deutsche Archive mit Adressen, Ansprechpartnern undAngaben zu den Beständen vorgestellt – leider unzurei-chend und unvollständig. Beispielsweise – pro domo –wird bei Mauch das Personenstandsarchiv Brühl erwähntund kurz beschrieben, nicht dagegen das Personenstands-archiv in Detmold, allerdings das Detmolder Staatsarchiv.Das in Utah entstandene Nachschlagewerk von Wright III.verzeichnet unter den Orten Brühl und Detmold lediglichdie dort ansässigen kommunalen Archive, obwohl man inUtah gemeinhin gut über das Personenstandswesen inDeutschland informiert ist – enttäuschend.

Im richtigen Archiv (dennoch) angekommen, helfenquellenkundliche Ratgeber weiter, etwa Minerts Anleitungzum Lesen von Kirchenbüchern in deutscher, lateinischeroder französischer Sprache. Dass nicht nur Kirchenbücherfür genealogische Fragestellungen interessant sind, zeigenMeike Kruse und Volker Trugenberger. Vorbildlich stelltKruse die für die Familien- und Hausforschung relevantenBestände im Archiv der Hansestadt Lübeck geordnet nachQuellengruppen vor, etwa Quellen zum Personenstand,zum Einwohnerwesen oder zur Migration. Tabellen zu denBeständen, Abbildungen und auch eine Zeitleiste für dieJahre von 1200 bis 2000 veranschaulichen die Informatio-nen zu den unterschiedlichen Archivalien. WeiterführendeLiteratur und Inhaltsbeschreibungen der Quellentypen,etwa von Volkszählungslisten, helfen nicht nur Besucherndes Lübecker Archivs weiter, sondern sind auch nützlichals allgemeine Quellenkunde. Der handliche und vom

1 Helm, Matthew L. / Helm, April Leigh, Ahnenforschung online fürDummies. Bearbeitung und Übersetzung aus dem Amerikanischen vonBirgit Wendt, 2. Aufl. Weinheim 2004; Kruse, Meike, Wo finde ich was?Handbuch zur Familien-, Personen- und Hausforschung im Archiv derHansestadt Lübeck, Lübeck 2005; Mauch, Christof / Reuther, Thomas(Hg.), Americana in German Archives. A Guide to Primary Sources Con-cerning the History of the United States and Canada, Washington D.C.2001; Minert, Roger P., Alte Kirchenbücher richtig lesen. Hand- undÜbungsbuch für Familiengeschichtsforscher, Wuppertal 2004; Trugen-berger, Volker (Hg.), Genealogische Quellen jenseits der Kirchenbü-cher. 56. Deutscher Genealogentag in Leonberg 17.-20. September 2004,hg. i. A. des Vereins für Familien- und Wappenkunde in Württembergund Baden e.V., Stuttgart 2005; Wright III, Raymond S. / Rives, Nat-han S. / Kirkham, Mirjam J. / Bunting, Saskia Schier, Ancestors inGerman Archives. A Guide to Familiy History Sources, Utah 2004; Zim-mermann, Helmut, Abenteuer Familienforschung, Limburg a. d.Lahn 1986 und die beiden vom Verein für Computergenealogie e.V. inBremen herausgegebenen Zeitschriftenausgaben: Ahnenforschung. Aufden Spuren der Vorfahren. Ein Ratgeber für Anfänger und Fortgeschrittene,Ausgabe 1, o. Jahr und Computergenealogie. Magazin für Familienfor-schung, 20 (2005), H. 4.

2 So z. B. Zimmermann 1986 und die gen. Zeitschriften.3 S. z. B. Mauch 2001.

4 Helm/Helm 2004, S. 218.5 Z. B. in: Ahnenforschung (S. Anm. 1).6 S. v. a. das Heft Ahnenforschung; Helm/Helm 2004 und Zimmermann

1986.7 S. z. B. Reuter, Doris, Uropas Schaukelstuhl. Oder: Familienforschung

ist viel mehr als Daten sammeln, in: Ahnenforschung (s. Anm. 1), S. 22;Wessel, Hans-Peter, Jenseits der Kirchenbücher. Archive beherbergeneinen reichen Fundus an Quellen, die mehr bieten als Lebensdaten, in:Ahnenforschung (s. Anm. 1), S. 34-37.

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Archiv der Hansestadt Lübeck herausgegebene Band rich-tet sich sowohl an Laien als auch an ein wissenschaftlichesPublikum. Es dient als Handbuch über das LübeckerArchiv mit Öffnungszeiten und Benutzungsbedingungensowie als Überblick über personenbezogene Quellen imAllgemeinen.

Auch Trugenberger regt an, Archivalien „jenseits derKirchenbücher“ zu recherchieren und auszuwerten, undgeht dabei noch einen Schritt weiter. Die Autorinnen undAutoren des Tagungsbandes des 56. Deutschen Genealo-gentages 2004 in Leonberg zeigen in ihren quellenkundli-chen Beiträgen beispielhaft wissenschaftliche und famili-enhistorische Interpretationsmöglichkeiten. Leserinnenund Leser lernen z. B., was Kriminalakten über deviantePersonenkreise aussagen (Gertrud Fritz), welche biogra-phischen Informationen Personalakten und Nachlässe ent-halten können (Frank Raberg), wie militärgeschichtlicheQuellen genealogisch genutzt werden können (AlbrechtGühring), welche familien- und sozialgeschichtlichenErkenntnisse aus der Auswertung von Inventur- und Tei-lungsakten, Kirchenkonventsprotokollen (GüntherSchweizer), Reichskammergerichtsakten (Raimund J.Weber) und Urbare (Dagmar Kraus) erwachsen können.Beiträge zur genealogischen Nutzung des Internet (VolkerMilbrandt, Klaus-Peter Wessel) fehlen selbstverständ-lich nicht. Diese Publikation hebt sich positiv von den mei-sten anderen Handreichungen für Familienforscher ab, dadie hier aufgezeigten alltags-, sozial- und wirtschaftsge-schichtlichen Zusammenhänge anders als in den anderenvorgestellten Ratgebern, nicht lediglich „Nebenprodukte“der Genealogie sind. Sicherlich hat wesentlich dazu beige-tragen, dass die meisten Autoren des Tagungsbandes Fach-historiker oder/und -archivare sind. (Nicht zuletzt deshalbunterschied sich der Leonberger Genealogentag deutlichvon dem 57. Deutschen Genealogentag in Hannover imJahr 2005). Zugegeben, die meisten auch hier vorzustellen-den Bücher wenden sich an Anfänger der historischenFamilienforschung, die ganz pragmatische Tipps undBasisinformationen benötigen, etwa zur Erstellung einesStammbaumes. Diese Zielgruppe ist (zunächst) mit Urba-ren und Gerichtsakten überfordert.

Was weithin innerhalb der genealogischen Familienfor-schung fehlt, ist eine Reflexion über das Erkenntnisinter-esse. Kaum irgendwo wird der zugrunde gelegte (biologi-stische) Familienbegriff als solches hinterfragt. Vielmehrgibt es inzwischen sogar schon eine „Szene“ der geneti-schen Familienforschung,8 die die „Vernaturwissenschaft-lichung“ historischer Methoden und Vorgehensweisenbefördert. Nach Vorstellungen über Familie, diskursivenKonstruktionen von Familienbegriffen, nach diachron undsynchron zu unterscheidenden Familienformen, nach nichtbiologisch verwandten Mitbewohnern einer Haus- oderHofgemeinschaft und somit nach nicht genetisch, sondernkulturell erklärbaren Sozialisationspraktiken wird demzu-folge nicht gefragt. Darüber hinaus wäre interessant zu dis-kutieren, welche Auswirkungen der Boom der Genealogieauf gegenwärtige Idealvorstellungen von Familie hat undvice versa.

Dennoch: Die beispielhaft und in Auszügen vorgestell-te Ratgeberliteratur bedient ein legitimes zeitgenössischesspezifisches Laieninteresse an Geschichte, was Fachleutevielleicht gar nicht so gut vermögen. Archivare zeigen sichschließlich auch dankbar für Kunden, die in gewissemMaße vorinformiert sind und Ratschlägen wie diesen fol-gen: „Informationen verifizieren“ und „Glauben Sie nichtalles, was Sie lesen!“9

Aus Sicht von Archivaren wirkt es dennoch ernüch-ternd, wenn Archive in Handreichungen zur historischenForschung nur am Rande vorkommen. Beispielsweise ver-weisen Praxishandbücher wie „Ahnenforschung online fürDummies“ von Helm und Helm oder „Abenteuer derFamilienforschung“ von Helmut Zimmermann (obwohlZimmermann als Verwaltungsbeamter in einem Stadtar-chiv ausgebildet wurde [S. 4]) i. d. R. auf Pfarrämter, Kir-chengemeinden, Standesämter und die Stadtverwaltungund übersehen, dass Personenstandsbücher oder Einwoh-nermeldekarteien u. v. m. in kirchlichen, kommunalen undstaatlichen Archiven zu finden und einzusehen sind.10 Erstbei der Empfehlung, die eigenen Unterlagen systematischzu ordnen, wird in der Sonderausgabe der ZeitschriftAhnenforschung „Archiv“ assoziiert und ein Archivmagazinabgebildet.11 Hinzu kommt, dass das Internet für Familien-forscher schneller mehr und wesentlichere Informationenbereit zu halten scheint als Archive. Umso mehr sind dahereine strategische und zielgruppenorientierte Öffentlich-keitsarbeit der Archive, Handreichungen für die Archivbe-nutzung und die kundenorientierte, z. T. sachbezogeneBereitstellung von Findmitteln und Archivgut gefragt –online und offline.12

Detmold Bettina Joergens

8 S. z. B. Zierdt, Holger, Nicht ahnen, sondern wissen. Genetik undGenealogie arbeiten Hand in Hand – gemeinsam lösen sie historischeRätsel, in: Ahnenforschung (wie Anm. 1), S. 27-33. Vgl. z. B. Weigel,Sigrid (Hg.), Genealogie und Genetik. Schnittstellen zwischen Biologieund Kulturgeschichte, Berlin 2003.

9 Helm/Helm 2004, S. 84.10 Vgl. z. B. die Zeitschriften Ahnenforschung und Computergenealogie sowie

Zimmermann 1986, S. 6.11 Wessel, Hans-Peter, Wer, wo, wann, was? Eine klare Systematik bei der

Aufbewahrung familiengeschichtlicher Unterlagen und der Datenein-gabe in Genealogieprogramme erleichtern die Familienforschung undgarantieren die Zukunftsfähigkeit der Daten- und Dokumentensamm-lung, in: Ahnenforschung (s. Anm. 1), S. 17-21.

12 Vgl. Rügge, Nicolas, Archivkurse online. Nützliche Internetangeboteim Überblick, in: Archivnachrichten aus Niedersachsen (2005), Nr. 9, S. 140-142; s. a. Joergens, Bettina, Virtuelle Findmittel – das Ende sachthema-tischer Inventare? Eine Evaluation sachbezogener Online-Findsysteme,in: Unger, Stefanie (Hg.), Archivarbeit zwischen Theorie und Praxis.Ausgewählte Transferarbeiten des 35. und 36. Wissenschaftlichen Kur-ses an der Archivschule Marburg, Marburg 2004, S. 123-152.

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62 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1

Aus- und Fortbildung, berufsständischeAngelegenheiten

Vgl. auch den Beitrag „Stand des Informationssystems …“unten unter der Rubrik „Auslandsberichterstattung - Slowakei“.

Eine gute Adresse: Die Bibliographie zum Archivwesender Archivschule Marburg

Nachdem die Generaldirektion der Staatlichen ArchiveBayerns seit fast 20 Jahren die Gesamtredaktion der Biblio-graphie zum Archivwesen inne hatte, wurde die Erstellungder Bibliographie ab dem Berichtsjahr 1998 der Archiv-schule Marburg übertragen. Die Bibliographie war in denletzten Jahren in der Archivalischen Zeitschrift erschienenund sollte nun online im Internet erscheinen. Im Frühjahr2002 gingen die ersten Titel ans Netz. Im Herbst 2006 ent-hielt die Bibliographie bereits mehr als 11.000 Titel.

Den Schwerpunkt der verzeichneten Literatur bildendie deutschsprachigen Veröffentlichungen zum Archivwe-sen. In Auswahl wird jedoch auch Literatur aus vieleneuropäischen Ländern, den USA, Kanada und Australienangezeigt. Fachzeitschriften und Sammelwerke werdenausgewertet, und man findet neben Buchtiteln auch zahl-reiche Aufsatztitel bzw. Titel elektronischer Dokumenteoder grauer Literatur – alles ab dem Erscheinungsjahr1998.

Die Bibliographie zum Archivwesen verzeichnet Litera-tur zu allen Sachfragen des Archivwesens und Bestands-verzeichnisse. Man findet Titel zur Archivgeschichte eben-so wie zur Restaurierung, zur Öffentlichkeitsarbeit wie zurVerwaltung elektronischer Aufzeichnungen, zum Archiv-recht wie zur Bewertung und Erschließung. Enthalten sindTitel zu allen Arten von Archiven und zu allen Arten vonSchriftgut. Und wie gesagt: auch Findbücher sind zu fin-den!

Gesucht werden kann über Register, über ein Suchfor-mular oder in einer Systematik, die weitgehend von derfrüheren gedruckten Ausgabe der Bibliographie übernom-men wurde. So stehen dem Benutzer komfortable Recher-chemöglichkeiten als Einstieg in einen gut ausgebautenDatenpool zur Verfügung.

Die Redaktion der Bibliographie liegt bei der Archiv-schule Marburg. Kolleginnen und Kollegen aus dem In-und Ausland helfen jedoch beim Zusammentragen desTitelmaterials. Dank ihrer Hilfe kann heute eine solchumfangreiche Bibliographie präsentiert werden. Dank der

Online-Präsentationsform ist die Bibliographie sogar tages-aktuell.

Sollten Sie also auf Literatursuche sein, schauen Sie docheinfach mal herein. Es ist immer geöffnet unterwww.archivschule.de/content/118.html.

Marburg Monika Oehme

Fachverbände, Ausschüsse Tagungen

Vgl. auch die Beiträge „Symposion ‚Zur Geschichte und Histo-riographie von Archiven’“, „3. Detmolder Sommergespräch …“,„Dokumente und Deutungen zur Anti-Atomkraft-Bewe-gung…“ (oben unter der Rubrik „Benutzung Öffentlichkeitsar-beit und Forschung“), „CASE – Tagung in München“, „Inter-nationales Archivsymposion … “, „14. Deutsch-Niederländi-sches Archivsymposium …“ (unten unter der Rubrik „Aus-landsberichterstattung - Internationales“).

Tagungsbericht der evangelischen Kirchenarchive 2006

Die diesjährigen Süd- und Nordschienentagungen derevangelischen Kirchenarchive wurden im Mai 2006 inNeuendettelsau, Nürnberg und Goslar abgehalten. Erfreu-lich zahlreich war die Beteiligung von Archivarinnen undArchivaren aus diakonischen Einrichtungen

15. Tagung süddeutscher evangelischer KirchenarchivareIn vielen Verwaltungen steht man vor der Einführung vonDokumentenmanagementsystemen, um zukünftig denVerwaltungsablauf durch den Einsatz digitaler Unterlagenzu optimieren. Das Wort E-Government findet sich in denKonzepten vieler Verwaltungsreformen. Auch in den Ver-waltungen verschiedener evangelischer Landeskirchensind entsprechende Projekte in der Planungs- und Umset-zungsphase oder bereits eingerichtet. Die „Archivierungdigitaler Unterlagen“ wird zukünftig ein Schwerpunkt derarchivischen Kernarbeit sein. So standen Erfahrungsbe-richte im Umgang mit der Einführung von entsprechendenSystemen im Mittelpunkt der 15. Regionaltagung der süd-deutschen evangelischen Kirchenarchivare, welche am8. und 9. Mai 2006 in Neuendettelsau und Nürnberg statt-fand. Veranstalter waren das Archiv der Diakonie Neuen-dettelsau und das Landeskirchliche Archiv der Evange-lisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB).

In vier Arbeitssitzungen wurden Erfahrungsberichteaus verschiedenen Verwaltungen im Umgang mit digita-ler Aktenführung und der Einbindung der zuständigenArchive gegeben. Dabei beschränkte man sich nicht aufden kirchlichen Bereich, sondern es wurden auch Berichteaus dem kommunalen und dem staatlichen Bereich gege-ben, um Einblick in die dortigen Vorgänge zu gewinnen.Dr. Margit Ksoll-Marcon, Abteilungsleiterin im Bayeri-schen Hauptstaatsarchiv und dort zuständig für die Ein-führung des Dokumentenmanagementsystems, und Dr.Walter Bauernfeind, Abteilungsleiter im StadtarchivNürnberg, sowie Dr. Udo Wennemuth, Leiter des Lan-deskirchlichen Archivs der Evangelischen LandeskircheBaden, und Gerd Eisenhuth, Archivreferent im Landes-kirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bay-ern, berichteten über den Stand der Projekte

Die Begrüßung der Teilnehmerinnen und Teilnehmererfolgte durch Rektor Hermann Schoenauer, den Vorsit-zenden der Diakonie Neuendettelsau. In einem kurzenÜberblick gab er Informationen über die verschiedenen

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Arbeitsgebiete und aktuellen Entwicklungen in der Diako-nie Neuendettelsau, einem der größten Träger diakoni-scher Arbeit in Deutschland.

Mit einem Erfahrungsbericht aus dem Landeskirchen-amt München unter dem Titel „Symbiose zwischen alt undneu – Wege zu digitaler Archivierung“ durch Eisenhuthbegann die Tagung. Nach der Abhandlung über den recht-lichen Rahmen der Archivierung digitaler Unterlagen,basierend auf dem Archivgesetz der ELKB, der Allgemei-nen Dienstordnung im Landeskirchenamt und dem Han-delsgesetzbuch, gab Eisenhuth einen exemplarischen Ein-blick in die Überlegungen und den Stand der Entwicklungfür die ELKB, die sich im Anfangsstadium befinden undnoch einen theoretischen Charakter aufweisen.

In der Diskussion wurde vor allem darauf hingewiesen,dass eine stärkere Einbindung des Archivs in diesen Vor-gang nötig sei, damit die Begriffe „Archivierung“ und„Dokumentenmanagement“ entsprechend ihrer Bedeu-tung berücksichtigt werden, um eine über 15 Jahre hinaus-gehende Sicherung der digitalen Unterlagen zu erreichen.

Einen Schritt weiter ist die Evangelische Kirche inBaden. Dr. Wennemuth, Leiter des LandeskirchlichenArchivs in Karlsruhe, zeigte den dortigen Weg auf. Seit2005 läuft ein DMS in einem Testbetrieb, welches 2007 ver-bindlich eingeführt werden soll. Verschiedene Ziele sollenerreicht werden: Optimierung des Verwaltungsalltages(einheitliche Strukturen z. B. bei Formularen, Anträgen,Vorlagen etc.), Errichtung einer Plattform für Informations-austausch, Führung eines elektronischen Aktenplanes. DasProjekt „Vernetzung der Evangelischen Landeskirche inBaden“ stellt die Basis dar, an deren Ende eine optimierteKommunikation in den kirchlichen Verwaltungen (nichtaber mit den einzelnen Kirchengemeinden) und die digi-tale Aktenführung stehen wird. Dazu müssen und muss-ten entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden.Eine Aktenplandatenbank ist Grundlage für die Zuwei-sung des Aktenzeichens, in der E-Mail-Kommunikationwurden entsprechende Masken geschaffen, um Informa-tionen wie Aktenzeichen oder Vertraulichkeitskennzeichenaufnehmen zu können. Allgemeine Informationen stehenstrukturiert in einem Kommunikationsmedium den Mitar-beitenden zur Verfügung. Von entscheidender Bedeutung(höchste Priorität) ist die Mitarbeiterschulung. Ohne eineentsprechende Einführung wird das DMS nicht optimalund im schlechteren Fall nicht richtig genutzt. Wennemuthwies auf die gute Einbindung des Archivs als Fachbehör-de in alle Planungen von der Vorbereitungsphase ab hin.Durch die entsprechende Einbindung konnten die Voraus-setzungen für eine spätere Archivierung der digitalenDaten geschaffen werden.

Am zweiten Tag gab Dr. Ksoll-Marcon einen Einblick indas Projekt „E-Government“ der bayerischen Staatsver-waltung. Die Verwaltungsreform „v21ref“ sieht als Endzieldie Einführung des „papierlosen“ Büros vor. Dabei sollendie heterogenen Strukturen, die in den unterschiedlichenRessorts vorhanden sind, angeglichen werden. Von Seitender bayerischen Staatsregierung wird die bayerischeArchivverwaltung als zentral zuständige Behörde in dieVerwaltungsreform eingebunden. In Kooperation mit denverschiedenen Behörden sollen DMS und Vorgangsbear-beitungssysteme eingeführt werden. In verschiedenenArbeitsgruppen, bestehend aus Vertretern der IT-Abtei-lung, der Archivverwaltung und der Verwaltung wurden

die Voraussetzungen für die Einführung der DMS definiert(bayernweiter Standard, Begriffsbestimmungen, Ist-Analy-sen, Ablaufanalysen), aufgrund dessen auch die entspre-chenden Angebote der Software-Anbieter eingeholt wur-den. Den Zuschlag erhielt die Firma Fabasoft mit ihremProdukt „egov suite“ aus Linz/Österreich.

In den Fachverwaltungen werden weitere Aufgaben zurVorbereitung der Einführung getroffen (Standardisierungder Vorgangsbearbeitung, Überprüfung der Geschäftspro-zesse, Benutzungszugangsvoraussetzungen etc.). Die Um-setzung der Einführung erfolgt durch entsprechende Kom-petenzgruppen.

Bisher erhalten nicht die eingehenden, sondern nur dieausgehenden Dokumente ein Geschäftszeichen. Entspre-chend wird von einer eigenen Arbeitsgruppe das Einscan-nen und eine Nachbearbeitung übernommen. Eine digita-le Signatur wird nicht vergeben, da für diese zur Zeit nureine Gültigkeitsdauer von drei Jahren besteht. Entspre-chend müsste alle drei Jahre nachsigniert werden, was ent-sprechende Kosten verursacht. Die Vorgangsbildung liegtbei den Behörden, die Aufbewahrungsfristen sind automa-tisch geregelt, die Kassation und Übernahme ist zwischendem zuständigen Archiv und der Verwaltungsbehördegeregelt.

Den Mitarbeitenden stehen in den einzelnen Behördenentsprechende Organisationshandbücher zur Verfügung,um sich mit dem E-Government nach erfolgter Schulungweiter vertraut zu machen.

Die digitalen Daten werden möglichst in einem Stan-dard-Format abgespeichert. Mit dem Vermerk z. A. erfolgtdie Konvertierung in eine PDF/A-Datei, welche eine Wei-terbearbeitung der Akte ausschließt. Noch offen ist dieKonvertierung in den Archiven, zur Zeit wird für die Lang-zeitarchivierung die Lösung einer Verfilmung bevorzugt.

Im zweiten Vortrag berichtete Dr. Bauernfeind vomStadtarchiv Nürnberg über den Stand des E-Governmentsin den Verwaltungen der Stadt Nürnberg. Erste Ansätzegab es bereits in den 80er Jahren, als sich die Stadt Nürn-berg zusammen mit Erlangen, Fürth und Schwabach andem Städtewettbewerb „Media und Com“ sehr erfolgreichbeteiligte. Zur Zeit gibt es etwa 200 Einzelprojekte auf die-sem Gebiet. Ziel ist es, ein integriertes Angebot an internenund externen Dienstleistungen zu schaffen. Das Spektrumreicht vom An- und Abmeldewesen über Müllgebührenab-wicklung bis hin zu internem Bestellwesen. Anhand vonzwei Beispielen, der Führung digitaler Bauakten und demRatsinformationssystem, konkretisierte Bauernfeind dieVorgänge. Auch in diesen Fällen wird sichtbar, dass dieFunktion und Arbeitsabläufe digitaler Akten/Unterlagennur bei ordentlicher Schriftgutverwaltung funktionieren.Die notwendigen Vorarbeiten sind entsprechende Defini-tionen für die Registraturbildner, Anpassung an die realenGegebenheiten sowie Einhaltung von Rechtsbestimmun-gen, Zugangsrechten und -struktur. Das Stadtarchiv ist beider Einführung der entsprechenden DM-Systeme beteiligtund eingebunden. Trotz des Einsatzes digitaler Aktenfüh-rung lässt sich eine teilweise Mehrfachüberlieferung nichtvermeiden, was Bauernfeind am Beispiel des Ratsinforma-tionssystems aufzeigte.

Abgerundet wurde die Tagung durch eine gemeinsameAndacht und einen Spaziergang durch die Geschichte derDiakonie Neuendettelsau. Am zweiten Tag stand derBesuch des Landeskirchlichen Archivs in Nürnberg mit

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einem gemeinsamen Mittagessen und einer Führung durchdas Archiv auf dem Programm. Dr. Andrea Schwarz zeig-te dabei die beengten Verhältnisse und die baulichen Män-gel auf und wies auf die dringenden Maßnahmen hin, wel-che nötig sind, um eine den Ansprüchen genügendeArchivarbeit leisten zu können.

16. Norddeutsche Kirchenarchivtagung in Goslar am 29. und30. Mai 2006Zum 16. Treffen der norddeutschen Kirchenarchivare hattedas Landeskirchliche Archiv der Braunschweigischen Lan-deskirche auf den Hessenkopf in Goslar eingeladen. Ange-reist waren 53 Kolleginnen und Kollegen aus den landes-kirchlichen und zentralen evangelischen Archiven, denArchiven der Diakonie, benachbarten katholischen, staat-lichen und kommunalen Archiven der BraunschweigerRegion.

Thematische Schwerpunkte der Plenarveranstaltungenund vier Arbeitsgruppen waren Foto- und Urheberrechts-fragen im Archiv, der Umgang mit Massenakten sowie dieAufbewahrungs- und Kassationsregelungen für Schriftgutdiakonischer Einrichtungen und Pfarrämter. Darüber hin-aus wurden besondere Erschließungsprojekte vorgestellt.

Eingangs berichtete Dr. Patricia Engel über den seit2000 bestehenden Studiengang „Papierrestaurierung“(Bachelor/Master) an der Fachhochschule Hildesheim.Während der Praxisphasen können die Studenten Restau-rierungsprojekte als kostengünstige Auftragsarbeiten fürArchive, Bibliotheken und Museen durchführen.

Zwei Kurzreferate von Dr. Norbert Friedrich, Flied-ner-Kulturstiftung Düsseldorf, und Dr. Thomas Scharf-Wrede, Bistumsarchiv Hildesheim, beschäftigten sich mitHartz IV-Arbeitsgelegenheiten in Archiven. Momentanbietet sich ein regional stark differierendes Bild ihrer Ein-satzmöglichkeiten und der Qualifizierungsanforderungendurch die Agenturen für Arbeit. Die Bilanz fiel für dieArchive insgesamt überwiegend positiv aus, auch in derBewertung der Betroffenen selbst. Dauerarbeitsstellen fürdie jeweiligen Arbeitskräfte fanden sich hingegen erwar-tungsgemäß selten. In der Diskussion überwogen Forde-rungen nach Strategien zur Qualifizierung und persönli-chen Entwicklung der betroffenen Mitarbeiter sowie einerstrukturierten Arbeitsentwicklung für sie. Bedenken gab esgegen den Einsatz in Kernbereichen des Archivs.

In der Arbeitsgruppe 1 erstattete Dr. Bettina Wischhö-fer, Landeskirchliches Archiv Kassel, zwei Werkstattbe-richte über die Digitalisierung von Bauplänen und mittel-alterlichen Pergamenteinbandfragmenten. Es handelte sichnach der 2002 durchgeführten Digitalisierung des Bildar-chivs und den 2003 digitalisierten Fotos der Vasa sacra umdas dritte Projekt dieser Art. Mit der von Volontiers durch-geführten maßstabsgetreuen Digitalisierung von Bauplä-nen wurden zwei Ziele verfolgt: der Schutz der Beständeund eine bessere Benutzbarkeit. Die insgesamt 2.000 geroll-ten Baupläne, (Skizzen von 51 Projekten aus 20 Gemeindenab den 1950er Jahren) sind zuvor durch die ArchivschuleMarburg verzeichnet worden. Weiterhin werden Perga-menteinbandfragmente aus 35 Pfarrarchiven digitalisiert.

Danach stellte Ruth Pabst, Evangelisches ZentralarchivBerlin, das 2006 erschienene Findbuch „Sekretariat desBundes der Evangelischen Kirchen in der DDR“ vor. Nachder Spaltung der Evangelischen Kirche in Deutschlandschlossen sich 1969 die acht rechtlich selbständig verblie-

benen evangelischen Landeskirchen in der DDR zum Bundder Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) zusammen.Das 1987 vom BEK, der Evangelischen Kirche der Union(EKU) und der Evangelischen Kirche in Berlin-Branden-burg in Berlin-Mitte eingerichtete gemeinsame Archivwurde 1992 in die Zuständigkeit des Evangelischen Zen-tralarchivs Berlin übernommen. Unter den Archivalien die-ses Archivs befanden sich auch die Akten des OstberlinerLutherischen Kirchenamts Berlin und des Kirchenamts der1988 aufgelösten Vereinigten Evangelisch-LutherischenKirche in der DDR (VELKDDR). Diese Akten sind an dasLandeskirchliche Archiv Hannover, das die Archivaliender VELKD verwahrt, abgegeben worden. Hier soll einAnschlussband an das Findbuch entstehen.

Ulrich Stenzel, Landeskirchliches Archiv Kiel, bot inder Arbeitsgruppe 2 einen systematischen Überblick überdie Entwicklung des Urheberrechtes, mit Schwerpunkt aufdem Fotorecht und dem praktischen Umgang mit der Frei-gabe und Verwendung von Fotografien im Archivbetrieb.Seit 1995 wird nur noch zwischen Lichtbildern und Licht-bildwerken unterschieden. Die Schutzfrist für Lichtbilderbeträgt jetzt 50 Jahre nach Entstehung bzw. Erscheinen.Lichtbildwerke genießen einen höheren Rang als Lichtbil-der und sind für 70 Jahre nach Tod des Urhebers geschützt.Zur Einordnung muss im Zweifelsfall nach wie vor auf dieRechtsprechung zurückgegriffen werden. Der Urheber istaber in jedem Fall zu nennen. In der Regel besitzen Archi-ve eine Vielzahl von Fotografien, deren Herkunftsdatenfehlen. Ungeachtet dessen obliegt ihnen die Pflicht zurErmittlung dieser Daten, allerdings genügt im Konfliktfallvor Gericht der Nachweis, dass eine Recherche mit einemvertretbaren Aufwand geschehen ist.

Dr. Andreas Fahl, Historisches Museum Hannover,stellte die museale Nutzung und Verwertung von Fotogra-fien vor, die aus dem Nachlass des Fotografen WilhelmHauschild stammen. Hauschild arbeitete für alle hanno-verschen Tageszeitungen und hielt über Jahrzehnte dasgesellschaftliche, kulturelle, politische und wirtschaftlicheLeben in Hannover und Umgebung in fünf Millionen Fotosfest, die über eine Schenkung an die Stadt Hannover 2004in das Historische Museum gelangten. Das Museum hat alsVorgabe die Verpflichtung, die weitgehend unverzeichne-ten Fotografien gewinnbringend zu verwerten, und orien-tiert sich dabei an gängigen Bildhonoraren der Fotobran-che, versucht aber zugleich, der wissenschaftlichen For-schung durch entsprechende Preisgestaltung entgegenzu-kommen.

In der Arbeitsgruppe 3 behandelte Dr. Brage Bei derWieden, Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel,den archivarischen Umgang mit Massenakten, und damitein zentrales Problem der archivischen Überlieferungsbil-dung. Gegen das 1984 von Niedersachsen eingeführteStichprobenverfahren erhoben sich 1993 Bedenken wegenmangelnder Repräsentativität. Aber auch der Übergangzur Überlieferung besonderer Fälle führte letztlich zurErkenntnis, dass es keine sicheren Verfahren zur Bildungrepräsentativer Samples gebe. Dieses Problem könnejedoch durch die Möglichkeiten der elektronischen Daten-verarbeitung entschärft werden. Über das Dokumenten-management seien beispielsweise Abgleiche verschiedenerDatenbanken möglich; Ergänzungsdokumentationenkönnten angelegt werden. Die in der Diskussion erwoge-ne Bildung einer Kommission von Fachleuten, Historikern

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und Archivaren für die Bewertung und die Kassation vonAkten lehnte der Referent wegen der oft interessengebun-denen Argumentationen eines solchen Fachgremiumsebenso ab wie eine Bürgerbeteiligung.

Olaf Piontek, Stadtarchiv Braunschweig, stellte denBestand des Frauenarchivs im Stadtarchiv Braunschweigvor, für das nach Modellen in Dresden und HannoverMaterialien zur Frauen- und Stadtgeschichte gesammeltwurden. Getragen wurde dieses Projekt vom 1994 gegrün-deten Verband von Frauenorganisationen, seit 2002 vomZweckverein „Frauenarchiv“. Von einer Historikerin undeinem Archivar wurden Kriterien für die einzurichtendeSammlung, Recherchestrategien, Quellen und ihre Bewer-tung konzipiert; einbezogen wurden Methoden der OralHistory. Verträge mit Vorlassgebern wurden abgeschlos-sen. Eine Ausstellung schloss das Projekt öffentlichkeits-wirksam ab. Der erschlossene Bestand wurde dem vonAnfang an einbezogenen Stadtarchiv per Schenkung über-tragen; der Verein löste sich daraufhin auf. In der Diskus-sion wurde das Problem der Kassation behandelt, die hiernur nach Absprache mit den Vorbesitzern der Unterlagenvorgenommen werden konnte.

Kerstin Stockhecke, Hauptarchiv der Bodel-schwinghschen Anstalten Bethel, sowie Bärbel Thau, Ev.Johanneswerk Bielefeld, referierten in der Arbeitsgruppe 4über „Bewertung und Kassation in diakonischen Einrich-tungen – Sachakten, Patienten- und Klientenakten“. Siestellten die Archivsituation in der Diakonie vor, die durchein geringes Interesse der abgebenden Stellen geprägt sei.An den wenigen Standorten mit Archiveinrichtungenarbeiten hauptsächlich Quereinsteiger, besonders Histori-ker. Es werden nur Akten der federführenden Institutionender seit der Mitte des 19. Jahrhunderts organisierten Dia-konie aufbewahrt, älteres Aktenmaterial ist nur spärlichvorhanden. Generell findet die vielfältige diakonischeArbeit geringen Niederschlag in den Akten. Stockheckestellte die Partikularität der Patienten- bzw. Klientenaktenin Beratungseinrichtungen heraus, die sich durch eine Ver-dichtung besonderer Personendaten auszeichnen. Einemgestiegenen Bedürfnis nach Akteneinsicht Betroffener, bei-spielsweise im Bereich der kirchlichen Jugendfürsorge, seinachzukommen. Wurde bis 1960 eine Vollarchivierungdurchgeführt, liegt die normale Aufbewahrungsquote jetztallerdings nur noch bei 10 - 30 %. Auswahlkriterien sindbestimmte Buchstaben und Jahrgänge, spezifische Behand-lungsmethoden, Aktenstärke oder ein bereits bestehendeswissenschaftliches Interesse an der Akte. Wichtig ist dasVorhandensein ausreichender Informationen über denGesamtbestand. Generell muss die Anonymisierung derAkten schon vor der Abgabe in den Beratungsstellen erfol-gen. In der Diskussion wurde der Konflikt zwischen öffent-lichem Interesse und persönlichen Schutzbelangen derBetroffenen erörtert.

Jürgen Stenzel, Archiv der Evangelischen Kirche inBerlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) Ber-lin, stellte die alte und die neue Kassationsordnung seinerLandeskirche vor. Insgesamt beurteilte der Referent Kassa-tionsordnungen für die archivische Praxis eher kritisch, dabei der Übernahme des Schriftguts in das Archiv differen-zierte rechtliche Aufbewahrungsfristen ohnehin bereitsverstrichen seien, über archivische Bewertungskriterienjedoch nicht viel ausgesagt werde. Die Kassationsordnungvon 1980/1981 erfüllte noch nicht die Forderung, dass Kas-

sationsordnung und Registraturplan analog gestaltet seinsollten. Da die neue Kassationsordnung 100 anstatt 20 Posi-tionen enthält und somit viel differenzierter ist, stellt sichdie Frage, ob sie sich nun zu einengend auswirken wird.Wichtig sei die Ausarbeitung einer Kassationsordnungunter Federführung des Archivs in Absprache mit einemJuristen. Gegebenenfalls sollten Praktiker aus den verschie-denen Ebenen ermitteln, wie sinnvoll die Bestimmungensind. Problematisch ist die Aussonderung von Schriftgutdurch die Kirchengemeinden. Sie sollte in Absprache mitdem Archiv erfolgen, dessen Arbeitsaufwand sich dadurchjedoch beträchtlich erhöht.

Wolfenbüttel/ NeuendettelsauJürgen Engelking/ Matthias Honold

40. Rheinischer Archivtag in Düsseldorf-Benrath

Der Rheinische Archivtag, der vom 8. - 9. Juni 2006 bereitszum 40. Mal stattfand, stand diesmal unter dem Thema„Wirtschaft und Archive. Überlieferungsbildung durchKooperation“. Er wurde vom Landschaftsverband Rhein-land, Rheinisches Archiv- und Museumsamt (RAMA), inenger Zusammenarbeit mit der Stiftung Rheinisch-Westfä-lisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA) im Festsaal derOrangerie von Schloss Benrath in Düsseldorf ausgerichtet.Dr. Norbert Kühn, Leiter des Rheinischen Archiv- undMuseumsamtes, konnte als Vertreter der Veranstalter rund130 Teilnehmende aus kommunalen, staatlichen undUnternehmensarchiven des Rheinlands begrüßen.

Nach der Eröffnung der Tagung durch den Vorsitzendender Landschaftsversammlung Rheinland, Dr. JürgenWilhelm, und den Kulturdezernenten der Stadt Düssel-dorf, Hans-Georg Lohe, überbrachte der Staatssekretär fürKultur und Chef der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen,Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, die Grußworte derLandesregierung.

In ihrer thematischen Einführung betonten Dr. Kühnund Dr. Ulrich Soénius, Direktor der Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln, die Bedeutungvon Kooperationen zwischen Archiven und der Wirtschaft.

Zum Thema „Wirtschaft: Gegenstand und Forschungs-anliegen im lokalen und regionalen Spektrum“ skizzierteProf. Dr. Paul Thomes, Rheinisch-Westfälische TechnischeHochschule Aachen, ausgehend von der These, dass dieSteuerung wirtschaftlicher Prozesse auch einer systemati-schen und professionellen Überlieferungsbildung bedürfe,die Grundlagen einer fruchtbaren Kooperation zwischenArchiven und der Wirtschaft.

Nicht zuletzt dem Tagungsort war das Thema des Refe-rates von Prof. Dr. Clemens Graf von Looz-Corswa-rem, Stadtarchiv Düsseldorf, über „Die Düsseldorfer Wirt-schaft im 19. und 20. Jahrhundert“ geschuldet. Instruktivzeichnete Graf Looz die reziproken Entwicklungslinienvon wirtschaftlicher Konjunktur und strukturellem Wan-del in dieser rheinischen Metropole von der Mitte des 19.Jahrhunderts bis in die Gegenwart nach.

Nach der Mittagspause begann die 1. Arbeitssitzungunter den Schlagworten „Wirtschaft – Geschichte – Doku-mentation“, die von PD Dr. Ralf Stremmel, HistorischesArchiv Krupp, Essen, moderiert wurde, der die These zurDiskussion stellte, die Überlieferung zur Wirtschaftsge-schichte werde zu unsystematisch und zu vereinzelt gebil-

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det. Dr. Soénius stellte die Anforderungen an „Die Doku-mentation eines regionalen Wirtschaftsraumes aus derSicht der Wirtschaftsarchive“ dar. „Wirtschaft im Bereichder Finanzveraltung. Leitlinien eines Archivierungsmo-dells“ war das Thema des Referates von Dr. Martin Früh,Landesarchiv NRW Hauptstaatsarchiv Düsseldorf. Ange-sichts der großen Menge angebotenen Registraturguts hatdas Landesarchiv NRW ein mittlerweile verbindlichgewordenes Archivierungsmodell für die Unterlagen derLandes- und der regionalen Bundesfinanzverwaltung ent-wickelt. „Die Dokumentation eines regionalen Wirtschafts-raumes aus Sicht eines Kommunalarchivs“ erörterte Dr.Erika Münster-Schröer, Stadtarchiv Ratingen, in ihremReferat: In Ratingen sei das Nutzerinteresse an Unterlagenzur Wirtschaftsgeschichte zwar vorhanden, doch sei gene-rell zu bezweifeln, ob die sehr anspruchsvolle Arbeit derDokumentation eines lokalen Wirtschaftsraumes für einStadtarchiv überhaupt zu leisten sei. An die bis dahingehaltenen Referate der 1. Sektion der Tagung schloss sicheine lebhafte Diskussion an, die einmal mehr deutlichmachte, dass die Herausforderungen einer Überlieferungs-bildung zur Beantwortung wirtschaftshistorischer Frage-stellungen weit über die Zuständigkeiten eines einzelnenArchivs hinausgehen und daher der Kooperation derArchive untereinander, aber auch zwischen den Archivenund der Wirtschaft selbst bedürfen.

Der zweite Teil der 1. Sektion war zwei Beispielen fürden Aufbau und die firmeninterne Nutzung eines Unter-nehmensarchivs gewidmet: Stefanie Peters, Prokuristinund Mitglied der Eigentümerfamilie der Maschinenbaufir-ma Neumann & Esser, Übach-Palenberg, schilderte denAnlass und die Motivation zur Gründung eines Firmenar-chivs sowie den vielfältigen Nutzen, den ein traditionsrei-ches Familienunternehmen aus dieser Einrichtung ziehenkann. Ulrich Melk, Unternehmensarchiv BPW BergischeAchsen KG, widmete sich der Frage „Was gehört in einUnternehmensarchiv“ am Beispiel des von ihm betreuten

Archivs. Melk sprach sich für eine an der Nachfrage orien-tierte Überlieferungsbildung ohne feste Vorgaben aus. Erplädiert damit für eine eher intuitiv geleitete Arbeitsweise,da zum Zeitpunkt der Bestandsbildung die prospektiveNachfrage naturgemäß weitgehend spekulativ ist. Dr.Michael Farrenkopf, Bergbau-Archiv Bochum, wandtesich einem allgemeinen archivischen Problem in einer spe-zifischen Ausprägung zu: der „Identifizierung, Evaluie-rung, Verwahrung und Nutzbarmachung von Nachlässenaus der Wirtschaft“. In der Konkurrenz der Archive uminteressante Nachlässe seien klare Kriterien für dieErwerbspolitik notwendig, die der Referent kurz skizzier-te. In seiner Zusammenfassung der 1. Arbeitssitzungbetonte PD Dr. Stremmel, dass ein Vorhaben, Wirtschaft inihren räumlichen und zeitlichen Bezügen dokumentierenzu wollen, nur in mehreren aufeinander folgenden Schrit-ten zu bewältigen ist: Eine systematische Erfassung derVerhältnisse im Rheinland setze systematische Nachweisein den jeweiligen archivischen Zuständigkeiten voraus.

Im Anschluss an die Arbeitssitzung bestand die Mög-lichkeit, an Führungen durch das Europäische Garten-kunstmuseum oder das Corps de Logis in Schloss Benrathteilzunehmen. Der Abend klang mit einem Empfang undeinem anschließenden gemeinsamen Abendessen aus.

Die 2. Arbeitssitzung am folgenden Tag – moderiert vonDr. Peter Weber, Rheinisches Archiv- und Museumsamt –widmete sich unter dem Thema „Nachweis und Auswer-tung von Quellen zur Unternehmens- und Wirtschaftsge-schichte“ verstärkt der Nutzungsperspektive.

Dr. Beate Battenfeld, Solingen, forderte in ihrem Refe-rat „Überlieferungen zur Geschichte rheinischer Unterneh-men“ ein stärkeres Bemühen der Archive, relevante Unter-lagen in ihren Beständen zu identifizieren und zu doku-mentieren, um Benutzer darauf hinweisen zu können.Frauke Schmidt M. A., Stiftung Rheinisch-WestfälischesWirtschaftsarchiv zu Köln, berichtete über „Die Überliefe-rung von Genossenschaftsbanken: Quellen von zentraler

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Bedeutung für die lokale und regionale Wirtschaftsge-schichte“. Eines der Ziele eines entsprechenden Projektesim RWWA bestehe in der Erarbeitung einer handbucharti-gen Quellendokumentation, die die zahlreichen, aufeinan-derfolgenden Fusionen und ihre Folgen für die Überliefe-rung der Genossenschaftsbanken nachvollziehbar machensoll. Ein solches Kompendium ließe sich nicht nur für dieBanken- und Wirtschaftsgeschichte, sondern auch für dieOrtsgeschichte gewinnbringend nutzen. Ein Beispiel fürden konkreten Nutzen eines Unternehmensarchivs für sei-nen Träger stellte Mark Stagge M. A., Historisches ArchivKrupp, Essen, in seinem Referat „Historische Topographie:Die Dokumentation von Flächenumnutzungen“ vor.Durch die Bestände des Historischen Archivs Krupp konn-ten die firmeninternen Planungen zu einer erneuten Nut-zung von teilweise seit Jahrzehnten nicht mehr genutztenBetriebsflächen wesentlich effizienter gestaltet werden. DieSchlussdiskussion machte deutlich, dass die raumbezoge-ne Dokumentation von Archivalien, die sich zur Bearbei-tung wirtschaftsgeschichtlicher Fragestellungen eignen,und deren Zugänglichkeit ein Desiderat ist, das nur durcheine möglichst systematische Kooperation und Koordina-tion aller Beteiligten (Wirtschaft, Archive und Forschung)zu erfüllen ist.

In der aktuellen Stunde wurde zunächst die Bestandser-haltungsinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen durchDr. Hanns-Peter Neuheuser, Rheinisches Archiv- undMuseumsamt, vorgestellt. Möglich wurde diese Initiativedurch die Verdoppelung des Kulturhaushaltes zur Umset-zung nachhaltiger Maßnahmen. Eines der finanziell undorganisatorisch gewichtigsten Vorhaben in diesem Rah-men ist die Massenentsäuerung von Archivgut. Unter derFederführung der Staatskanzlei und in Trägerschaft desLandes – vertreten durch das Landesarchiv – und derLandschaftsverbände wird eine Logistikgruppe die opera-tive Steuerung übernehmen. Das Verfahren selbst wirddurch die Neschen AG zentral in Brauweiler durchgeführt

werden. Vor- und Nachbereitungsarbeiten sollen dezentralin Unterzentren stattfinden, die aus dem Projekt mit Sach-und Personalmitteln ausgestattet werden. Die Archiväm-ter der Landschaftsverbände werden die dezentralen Maß-nahmen koordinieren und nach bestimmten Kriterien wei-tere Zuschüsse zur Verfügung stellen können. Zur Steue-rung des Restaurierungsbedarfs wird parallel dazu ein lan-desweites Schadenskataster aufgebaut werden.

Kritische Nachfragen ergaben sich vor allem zur Kon-zentration auf die Massenentsäuerung und die Festlegungauf die Neschen AG als externen Dienstleister; auch sei derEigenanteil der Archive immer noch zu hoch. Zudem seieine „belastbare“ schriftliche Grundlage zur Vorlage beiden Archivträgern erforderlich. Prof. Dr. Wilfried Rei-ninghaus stellte klar, dass die Neschen AG in einem regu-lären Prüfverfahren als der einzige Anbieter ermitteltwurde, der die Anforderungen an das Verfahren erfüllenkonnte. Des Weiteren bekräftigte er die Forderung nacheiner schriftlichen Entscheidungsgrundlage, für die aller-dings die Staatskanzlei als Trägerin der Maßnahme zustän-dig sei; hier habe es durch die Beteiligung der Arbeitsver-waltung Verzögerungen gegeben. Er rief zugleich dazuauf, die positiven Aspekte in den Vordergrund zu stellen.Dr. Norbert Kühn, Rheinisches Archiv- und Museums-amt, schloss einen vehementen Appell in der gleichenRichtung an: Die zum Teil berechtigte Kritik sei angesichtsdieses bisher nie da gewesenen Angebots des Landeszurückzustellen, um das Gesamtprojekt nicht zu gefähr-den. Kritiker sollten sich konstruktiv in das Projekt einbrin-gen, um im Rahmen einer „Politik der kleinen Schritte“ dieZielsetzung des Vorhabens in den nächsten Jahren zuerreichen.

Anschließend berichtete Prof. Dr. Wilfried Reining-haus, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, über das vonder DFG mit einer Laufzeit von zehn Jahren geförderte Pro-jekt „Retrokonversion von Findmitteln“. Die Vorberei-tungsphase sei erfolgreich verlaufen, so dass die Umset-

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zung ab 2007 in die „Fläche gehen“ könne. Als koordinie-rende Geschäftsstelle wird ein DFG-Kompetenzzentrumeingerichtet werden, das die Archive mit dem Ziel der Ein-heitlichkeit der Austauschformate beratend unterstützenwird.

In engem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Vortragihres Vorredners stand die Vorstellung des erweiterten undneu gestalteten Portals „archive.nrw.de“ durch Dr. Marti-na Wiech, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen: Denn eineder wesentlichen Neuerungen des Portals, das durch dasLandesarchiv getragen und durch das Landesamt fürDatenverarbeitung und Statistik (LDS) programmiertwurde, besteht in der Möglichkeit, dort elektronische Find-mittel für die Online-Recherche einzustellen.

Die aktuelle Stunde schloss mit einem Bericht von Dr.Bettina Bouresh, Archiv des Landschaftsverbands Rhein-land, zu einer archivpädagogischen Initiative des Rheini-schen Archiv- und Museumsamtes und der Fachstelle fürRegional- und Heimatgeschichte im LVR in Kooperationmit den Universitäten Köln und Düsseldorf. Die im Rah-men des Bologna-Prozesses aufzubauenden Bachelor- undMaster-Studiengänge im Fach Geschichte erfordern studi-enbegleitende Praktika. Zur Koordinierung und inhaltli-chen Vorbereitung dieser Praktika ist für den Juli dieDurchführung eines dreitägigen Seminars mit dem Titel:„Einführung in die Archivkunde“ geplant. Im Anschlussan dieses Seminar erhalten die Teilnehmenden die Mög-lichkeit, jeweils vierwöchige Praktika in verschiedenenrheinischen Archiven zu absolvieren, um sich danach zueiner gemeinsamen Auswertung wieder zusammenzufin-den. Das Ziel der Veranstaltung ist die Erarbeitung einesPilot-Konzeptes, das übertragbar und ausbaufähig ist.

Dr. Kühn beendete die Tagung und kündigte den41. Rheinischen Archivtag 2007 in Brauweiler an.

Pulheim-Brauweiler Florian Gläser

Norddeutscher Archivtag und Landesarchivtag Mecklen-burg-Vorpommern

Auf Einladung des Stadtarchivs Lüneburg hat vom 20. bis21. Juni 2006 der 3. Norddeutsche Archivtag in Lüneburgstattgefunden, an dem rund 170 Archivarinnen und Archi-vare aus den nördlichen Bundesländern teilnahmen. ImVeranstaltungszentrum „Ritterakademie“ der Sparkasse,der ehemaligen Reithalle ebendieser Akademie, begrüßteOberbürgermeister Ulrich Mädge die Versammlung, derauch der Vorsitzende des VdA, Dr. Robert Kretzschmar,ein Grußwort widmete. Der Einführungsvortrag der Leite-rin des DFG-Projektes „Archiv, Macht, Wissen – Organisie-ren, Kontrollieren, Zerstören von Wissensbeständen vonder Antike bis zur Gegenwart“, Prof. Dr. Martina Kessel,Universität Bielefeld, stellte Anspruch und Ziele des Gra-duiertenkollegs vor und bot einen Blick von außen auf dieArbeit der Archive. Wichtigstes Ziel der Projektarbeitensoll die Darstellung der Konstruktion und Dekonstruktionvon Mentalitäten und Erkenntniswegen, ihren Vorausset-zungen, Bedingungen und Gefährdungen eben auch durchArchivieren bzw. Kassieren sein.

Die Sektion 1 nahm ein Thema des 2. NorddeutschenArchivtages auf, nämlich „Archive und Verwaltungsre-form“. Mit seinem Vortrag „Archivgesetzgebung und Pri-vatisierung hoheitlicher Aufgaben“ beleuchtete Dr. BerndKappelhoff vom Niedersächsischen Landesarchiv die

Probleme, die hinsichtlich der Geltung des Archivgesetzesbei privatisierten öffentlichen Einrichtungen entstehen.Eine Lösung sieht er in der Ausweitung der Anbietungs-pflicht auf wenigstens die Teile des Schriftgutes, die vorder Privatisierung entstanden sind. Die Anbietung neu ent-stehenden Schriftgutes würde freiwilliger Vereinbarungvorbehalten sein. Jutta Katernberg, Mitarbeiterin derLandesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfrei-heit NRW, legte dar, dass aus Gründen des Datenschutzesnach dem ArchivG NW eine Überführung kommunalerArchive in juristische Personen des Privatrechtes ausschei-det. Sehr bedenkliche Entwicklungen deuten sich bei denKommunalarchiven in Schleswig-Holstein sowie demArchivwesen in Mecklenburg-Vorpommern an, wie Dr.Broder Schwensen, Stadtarchiv Flensburg, und Dr. Mat-thias Manke vom Landesamt für Kultur und Denkmal-pflege, Landesarchiv Schwerin, ausführten. Letzter sah inder Beseitigung der Archive als eigenständige obere Lan-desbehörden ein verfassungsrechtliches Problem, was vonDr. Udo Schäfer, Staatsarchiv Hamburg, in der Diskussi-on bestätigt wurde. Von besonderem Interesse und even-tuell für die Argumentation andernorts hilfreich ist die inFlensburg unternommene Prüfung der Rechtsformen, indie kommunale Archive überführt werden sollen. Wieauch andere Referenten empfahl Dr. Broder Schwensen dieintensive Einwirkung auf die zuständigen Politiker alsMöglichkeit, doch noch archivfachliche Kriterien durchzu-setzen. Mit Bezug auf den Vergleich Gerd Schneiders vonArchivaren und Erdhörnchen (Der Archivar Jg. 57/2004,S. 37-44) weist Irmgard Mummenthey vom StaatsarchivHamburg darauf hin, dass in ihrem Archiv das Höhlenzeit-alter seit längerem vorbei sei und unter Beteiligung allerMitarbeiter ein Zielkatalog entwickelt wurde, der die Bil-ligung des Hamburger Rechnungshofes fand. Steuerungs-möglichkeiten wurden ebenso aufgezeigt wie die dazuerforderlichen Voraussetzungen. Der Tag klang mit einemTreffen in der Kronendiele, in einem der ältesten Brauhäu-ser Lüneburgs, aus.

Die Sektion 2 am Mittwoch war der „Langzeitarchivie-rung digitaler Unterlagen“ gewidmet. Seit bekannt ist, wel-che Verfallszeiten Hardware, Software und digitale Spei-chermedien wie CD, CD-Rom oder DVD haben, gibt es imArchivwesen Bestrebungen, eine davon unabhängigeLangzeitarchivierung zu entwickeln. Wolfgang J. Riedelvom Fraunhofer Institut Physikalische Messtechnik (IPM)in Freiburg stellte den von seinem Institut im Rahmen desvom damaligen Bundesministerium für Wirtschaft undArbeit (BMWA) geförderten ARCHE-Projekts entwickeltenFarbmikrofilmbelichter vor. Der ArchivLaser® ermöglicheerstmals eine hochgenaue und farbtreue Ausbelichtungvon digitalen und digitalisierten Bilddokumenten aufFarbmikrofilm. Parallel zu dieser Technologie sei ein Work-flow zur Optimierung der Arbeitsabläufe entwickelt wor-den. Im folgenden Referat widmete sich Dr. Brage Bei derWieden vom Staatsarchiv in Wolfenbüttel dem Problemder Beweiskrafterhaltung bei Langzeitarchivierung digita-ler Daten und ging auf das vom Bundesministerium fürWirtschaft und Technologie (BMWi) geförderte Projekt„ArchiSig“ ein, an dem das Informatikzentrum Nieder-sachsen (IZN) und die niedersächsische Archivverwaltungbeteiligt seien. Während die technische Umsetzung desLangzeitspeichers bereits 2005 realisiert wurde, sei dasArchiv im rechtlichen Sinn noch in der Entwicklung. Das

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Land Niedersachsen böte den norddeutschen Ländernebenso wie den niedersächsischen Kommunen an, an denerzielten Lösungen zu partizipieren. Dr. Bettina Schleier,Staatsarchiv Bremen, und Michael Sparing, Landesamtfür Kultur und Denkmalpflege, Landesarchiv Greifswald,befassten sich mit der Digitalisierung großer Bild- bzw.Kartenbestände sowie der Erschließung und Veröffentli-chung solcher Digitalisate. Das Greifswalder DFG-Projektlief von 2001 bis 2005. Die Schwedische Landesaufnahmeim Landesarchiv Greifswald ist seit 2006 unterwww.dhm.uni-greifswald.de verfügbar.

Die Sektion 3 widmete sich mit dem unter Archivarennotorischen Thema „Öffentlichkeitsarbeit und Kernaufga-ben“. Alexander Weidauer von der Universität Greifs-wald stellte das Modell UNIMATRIX vor, das eine offene,frei zugängliche und komplett dokumentierte Integrations-plattform für ein späteres bundesweites Angebot von deut-schen Archiven im Internet bilden könnte. Prof. ReimerWitt, Landesarchiv Schleswig-Holstein, berichtete vonden Erfahrungen, die das Landesarchiv mit der kosten-pflichtigen Beratung anderer Archivträger gemacht habeund zog das wenig erfreuliche Fazit, nach anfänglichenErfolgen seien Beratungsverträge an den Kosten geschei-tert und entzögen sich Archivträger ihrer Archivierungs-pflichten. Als Erfolg kann dagegen das Intranetangebot desStadtarchivs Braunschweig gelten, das Romy Meyer vor-stellte. Der Bekanntheitsgrad des Stadtarchivs innerhalbder Stadtverwaltung sei erhöht worden, weshalb seineAngebote jetzt öfter in Anspruch genommen würden.

Die „Aktuelle Stunde“ schloss den 3. NorddeutschenArchivtag ab. Dr. Udo Schäfer, Staatsarchiv Hamburg,legte den Sachstand beim Gesetz zur Reform des Personen-standsrechts dar, das die Anbietung von Personenstands-register, die in Zukunft elektronisch geführt werden sollen,an das zuständige öffentliche Archiv eröffnen soll. Mit demGesetz sei in der laufenden Legislaturperiode aber nichtmehr zu rechnen. Dr. Bettina Schmidt-Czaia, früherStadtarchiv Braunschweig, jetzt Stadtarchiv Köln, berich-tete von ihren Erfahrungen mit den Planungen für denNeubau des Stadtarchivs Braunschweig im Rahmen einesvon einem Investor betriebenen Projekts. Ihr Nachfolger inder Leitung des Stadtarchivs Braunschweig referierte denaktuellen Sachstand.

Mit seinem Erfahrungsbericht zum am 1. Januar 2005installierten Niedersächsischen Landesarchiv ergriff nocheinmal Dr. Bernd Kappelhoff das Wort. Der nahezu par-allele Aufbau der einzelnen Staatsarchive habe zum Abbauredundanter Strukturen geführt, erlaube aber durchaus dieErfüllung von Sonderaufgaben, wie z. B. der Massenre-staurierung in Bückeburg. Sein Fazit sei also positiv, zumalder direkte Draht zur Staatskanzlei erhalten gebliebensei. Die Referate des 3. Norddeutschen Archivtageswerden wie bei den Vorgängerveranstaltungen in einemSonderband der Zeitschrift Auskunft. Zeitschrift für Biblio-thek, Archiv und Information in Norddeutschland veröffent-licht.

Damit die Tagungsteilnehmer das sommerlich-heitereLüneburg nicht wieder verließen, ohne etwas von der Stadtgesehen zu haben, wurden verschiedene Führungen ange-boten und auch fleißig genutzt.

Vor dem Norddeutschen Archivtag fand am Montag-vormittag der 16. Landesarchivtag Mecklenburg-Vorpom-mern im Huldigungssaal des Lüneburger Rathauses statt.

Gerd Giese vom Stadtarchiv Wismar berichtete über dieBKK-Sitzung und Dr. Peter Wurm vom LandeskirchlichenArchiv Schwerin stellte die ebenda befindliche Fotosamm-lung Karl Schmaltz vor. Dieter Niesen, InnenministeriumMecklenburg-Vorpommern, erläuterte die Verwaltungs-modernisierung in Mecklenburg-Vorpommern, mit derenFolgen für das Archivwesen sich nachmittags, wieerwähnt, Dr. Matthias Manke auseinandersetzte. Das Ver-zeichnungsprojekt „Inventarisierung der Prozessakten desWismarer Tribunals“ stellte zum Abschluss der Sitzung Dr.Nils Jörn vor. Das angekündigte Referat von ChristianeMüller, Landesarchiv Greifswald, musste leider entfallen.

Lüneburg Uta Reinhardt

„Das kulturelle Gedächtnis – Gefährdung und Auftrag“

Bayerischer Archiv- und Bibliothekstag 2006 in WürzburgDer Bayerische Archivtag und der Bayerische Bibliotheks-verband e. V. veranstalteten im vergangenen Sommer erst-mals einen gemeinsamen Bayerischen Archiv- und Biblio-thekstag und entsprachen damit dem Wunsch nach eineminterdisziplinären Forum, wie er in beiden Fachbereichenwiederholt geäußert worden war. Am 21./22. Juli trafensich rund 180 Archivarinnen und Archivare sowie Biblio-thekarinnen und Bibliothekare in der Neubaukirche derAlten Universität in Würzburg, um sich unter dem Motto„Das kulturelle Gedächtnis – Gefährdung und Auftrag“mit aktuellen Problemen und Strategien der Überliefe-rungssicherung sowie den wachsenden Ansprüchen undForderungen, mit denen Archive und Bibliotheken sich alsDienstleistungseinrichtungen in gleicher Weise konfron-tiert sehen, auseinanderzusetzen. Das Bayerische Staatsmi-nisterium für Wissenschaft, Forschung und Kunst sowiedas Bayerische Staatsministerium für Landwirtschaft undForsten steuerten für die Ausrichtung der Tagung finan-zielle Unterstützung bei.

Nach der Intention der Veranstalter sollte der BayerischeArchiv- und Bibliothekstag dem Austausch von Informa-tionen und Erfahrungen dienen, trotz aller Unterschiedebestehende Gemeinsamkeiten bewusst machen, Möglich-keiten der Koordinierung und Kooperation ausloten undAnsatzpunkte für konkrete Zusammenarbeit liefern. DieTeilnehmer aus staatlichen, kommunalen, kirchlichen undprivaten Archiven und Bibliotheken nutzten die Begeg-nung zu persönlichen Gesprächen und zum Herstellen vonKontakten. Darüber hinaus bot die Tagung die gerade imHinblick auf die aktuelle Situation der öffentlichen Haus-halte willkommene Gelegenheit, generell auf Aufgabenund Aktivitäten der Gedächtniseinrichtungen Archiv undBibliothek hinzuweisen und ihre Bedeutung für Staat undGesellschaft zu unterstreichen.

Bereits am Freitag, dem 21. Juli, nachmittags luden dieWürzburger Archive und Bibliotheken (Stadtbücherei, Uni-versitätsbibliothek, Staatsarchiv, Archiv und Bibliothek desBistums, Stadtarchiv, Zentralbibliothek der Fachhochschu-le und Bibliothek der Hochschule für Musik) die Tagungs-teilnehmer zu Führungen ein. Einige unter ihnen hatteneigens aus diesem Anlass Ausstellungen vorbereitet; so prä-sentierten Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg aufSchautafeln einen Überblick über „Kirchliche Archive undBibliotheken in Bayern“, das Staatsarchiv Würzburg zeigte„Bemerkenswerte Bucheinbände des 15. bis frühen 17. Jahr-hunderts“. In der Stadtbücherei fand anschließend ein

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Podiumsgespräch mit dem Titel „Zukunft braucht Her-kunft“ statt. Unter der Leitung von Peter Weidisch M. A.,dem Kulturreferenten der Stadt Bad Kissingen, diskutiertenDieter Sternecker vom Kulturamt der Stadt Bad Brücke-nau und Claudia Scheler von der Stadtbibliothek und demStadtarchiv Bad Neustadt/Saale über Möglichkeiten undFormen des Zusammenwirkens von öffentlichen, vor allemkommunalen Bibliotheken und Archiven. Parallel dazubefasste sich eine Sitzung im neuen Gebäude von Archivund Bibliothek des Bistums Würzburg mit dem Thema„Kooperation zwischen kirchlichen Archiven und Biblio-theken“. PD Dr. Johannes Merz, Archiv- und Bibliotheks-leiter des Bistums, stellte unter dem Titel „Archiv undBibliothek unter einem Dach“ Vorteile und Probleme des inseinem Haus verwirklichten „Würzburger Modells“ vor.Die gemeinsame Unterbringung beider Einrichtungen ineinem Gebäude verbinde diese zu einem Kompetenzzen-trum für Diözesangeschichte, was den Bedürfnissen derForschung entgegenkomme, und eröffne zahlreiche Syner-gieeffekte (z. B. bei Sekretariat, Aufsichtspersonal, Repro-graphie, Buchbinde- und Restaurierungsarbeiten undEDV). Dennoch handle es sich um Objektarten und fachli-che Tätigkeitsbereiche unterschiedlicher Prägung, die es inder Praxis auch zu berücksichtigen gelte: Als Ansprechpart-ner für die Benutzerinnen und Benutzer müssen jeweilsFachleute für die Beratung und für Recherchestrategien zurVerfügung stehen. Dipl.-Bibl. Armin Stephan aus Neuen-dettelsau berichtete unter dem Schlagwort „Miteinander!?“über Erfahrungen mit der Zusammenarbeit von Archivenund Bibliotheken auf Verbandsebene, wie sie etwa in derArbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in derevangelischen Kirche (AABevK) bereits seit längerem mög-lich ist. Seine Ausführungen mündeten in der Aufforde-rung, den Schleier der Ahnungslosigkeit fallen zu lassenund Unterschiede offen zu benennen; erst dadurch sei eineeffektive Kooperation möglich. Die sich anschließende Dis-kussion wurde von Dr. Andrea Schwarz, Leiterin des Lan-deskirchlichen Archivs in Nürnberg, und Jochen Bepler,Direktor der Dombibliothek Hildesheim und Vorsitzenderder Arbeitsgemeinschaft Katholisch-Theologischer Biblio-theken (AKThB), moderiert.

Ebenfalls noch am Freitagnachmittag fand in der Neu-baukirche die Mitgliederversammlung des BayerischenBibliotheksverbands mit Neuwahl statt. Am Abend folgtedie offizielle Eröffnung der Tagung mit Begrüßungsanspra-chen von Professor Dr. Hermann Rumschöttel, General-direktor der Staatlichen Archive Bayerns, und Professor Dr.Walter Eykmann, MdL und Vorsitzender des BayerischenBibliotheksverbands. Den inhaltlich wie sprachlich glän-zenden Einführungsvortrag hielt Professor Dr. HermannLübbe aus Zürich zum Thema „Zivilisationsdynamik.Wieso Vergangenheitsvergegenwärtigung modernisie-rungsabhängig wichtiger wird“. Die unsere Zeit kenn-zeichnende Massenhaftigkeit des Phänomens der Vergan-genheitszuwendung sei an drei Faktoren erkennbar: anhohen Besucherzahlen in Museen und Sammlungen, amprozentualen Anteil der unter Denkmalschutz gestelltenGebäude an der vor 1950 errichteten Baumasse und an derwachsenden Zahl von Jubiläumsfeiern. Wie die Zivilisati-onsdynamik, das Tempo der kulturellen Evolution, dieHistorisierung des überlieferten zivilisatorischen Gutesbeschleunige, zeige sich z. B. am raschen Veralten von wis-senschaftlicher Literatur. Lübbe nannte in diesem Zusam-

menhang den von ihm geprägten Begriff „Gegenwarts-schrumpfung“: Je rascher sich unsere Lebensverhältnisseändern, desto stärker rücken die fremde Vergangenheitund die unbekannte Zukunft an die Jetztzeit heran. Esbedürfe der Arbeit aller professionellen Gedächtniseinrich-tungen, um die Vergangenheit gegenwärtig und verständ-lich zu machen.

Anschließend lud das Bayerische Staatsministerium fürLandwirtschaft und Forsten zu einem Empfang mit Wein-probe in den Historischen Hofkeller der Würzburger Resi-denz.

Beim eigentlichen Vortragsprogramm am Samstag, dem22. Juli, standen drei gemeinsame Kernaufgaben der Archi-ve und Bibliotheken im Mittelpunkt der Betrachtung:Bestandsbildung, Bestandserhaltung und Bestandsnut-zung, die in drei Sitzungen jeweils unter der Leitung einesArchivars und eines Bibliothekars behandelt wurden. In derersten Arbeitssitzung, die von Dr. Karl H. Südekum, Uni-versitätsbibliothek Würzburg, und Dr. Robert Zink, Stadt-archiv Bamberg, moderiert wurde, stellte Dr. Walter Bau-ernfeind vom Stadtarchiv Nürnberg einleitend Prinzipienund Modelle der Bestandsbildung bei traditionellemArchiv- und Sammlungsgut vor. Als Beispiele führte er dieTektonik und Bestandsgruppen (Provenienzbestände,Selekte, Sammlungen etc.) des Stadtarchivs und des Staats-archivs Nürnberg an. Dr. Andrea Hänger vom Bundesar-chiv Koblenz referierte über Entwicklungen und Problemeder Bestandsbildung bei digitalen und hybriden Akten, diesich im Zuge der Einführung von elektronischen Vorgangs-bearbeitungssystemen in der Verwaltung ergeben. Elektro-nisches Archivgut sei keine neue Bestandsart, sondern nureine neue Überlieferungsform und folglich in Bewertungund Bearbeitung wie traditionelles Archivgut zu behan-deln. An Beispielen demonstrierte Dr. Hänger, dass im Bun-desarchiv die Unterlagen einer Provenienzstelle ohne Rück-sicht auf die Überlieferungsform einem Provenienzbestandzugeordnet werden. Ist für bestimmte Überlieferungsfor-men jedoch eine gesonderte Lagerung und Bearbeitungerforderlich, werden diese als Nebenbestände geführt undmit einem entsprechenden Zusatz zur Bestandssignaturbezeichnet. Dr. Hildegard Schäffler berichtete über dasfür Bibliotheken und Archive in gleicher Weise interessan-te DFG-Projekt der Bayerischen Staatsbibliothek, das aufdie Erschließung bayerischer Zeitungen und Amtsblätterbis zum Ende des Zweiten Weltkriegs und die Entwicklungeines Digitalisierungs- bzw. Verfilmungskonzepts zielt.Durch eine Erhebung bei den staatlichen Bibliotheken, denUniversitätsbibliotheken und den Archiven in Bayernkonnten für die fragliche Zeit rund 3.500 Zeitungen, 1.500Beilagen und 600 Amtsblätter ermittelt werden. Unter demThema „Verdaten, vernetzen, vermitteln“ stellte Dr. Elisa-beth Tworek die Monacensia-Abteilung der Stadtbiblio-thek München, ihre Sammlungsschwerpunkte und Aktivi-täten vor und formulierte Visionen für „das Literaturarchivder Zukunft“. Das von Frau Tworek vorgeschlagene Lite-raturportal „Literaturarchiv Bayern“ befindet sich bereitsauf dem Weg der Realisierung.

Die zweite Arbeitssitzung des Vormittags befasste sichunter der Leitung von Klaus Kempf, Bayerische Staatsbi-bliothek, und Dr. Maria Rita Sagstetter, StaatsarchivAmberg, mit Fragen der Bestandserhaltung. Dr. RainerHofmann stellte zum Thema „Konzeption der Bestands-erhaltung“ das Beispiel des Bundesarchivs vor, das ein

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ganzes Paket von vielfältigen, aber aufeinander ab-gestimmten konservatorischen Maßnahmen vorsieht:von präventiven Vorkehrungen bei der Lagerung, Ver-packung und Notfallvorsorge über einfache konservatori-sche Behandlungsmethoden bis zur Papierentsäuerungund Mikroverfilmung. Zudem berichtete er über Planun-gen des Bundesarchivs, in Hoppegarten bei Berlin sukzes-sive ein Bestandserhaltungszentrum in einer Mischung aushauseigenen Werkstätten und privaten Dienstleistern ein-zurichten. Dr. Markus Brantl von der Bayerischen Staats-bibliothek demonstrierte den zweifachen Nutzen der Digi-talisierung von unikalen Handschriften: Sie erleichtert dieZugänglichmachung für die Forschung und trägt alsSchutzmedium zugleich zur Schonung und Erhaltung derOriginale bei. Wegen seines Mehrwerts für die Benutzunggibt die Bayerische Staatsbibliothek bei der Retrokonversi-on dem Digitalisat als primärer Sekundärform den Vorzugvor dem Mikrofilm. In einem Koreferat beleuchteten Dr.Karl-Ernst Lupprian von der Generaldirektion der Staat-lichen Archive Bayerns und Dr. Astrid Schoger von derBayerischen Staatsbibliothek die Probleme der Langzeitar-chivierung von digitalen Ressourcen sowie die bei Archi-ven und Bibliotheken unterschiedlichen Konzepte undVerfahrensmodelle zu deren Lösung. So etwa setzen diestaatlichen Archive in Bayern anders als die Bibliothekennach wie vor auf den Mikrofilm als haltbarstes Langzeit-medium. Die beiden Referenten stellten in diesem Zusam-menhang auch das Kompetenznetzwerk „Nestor“ vor. Andiesem Projekt, das sich mit der Problematik der Langzeit-archivierung und Langzeitverfügbarkeit digitaler Ressour-cen auseinandersetzte, haben Archive, Bibliotheken undMuseen mitgewirkt.

Die dritte Arbeitssitzung, geleitet von Dr. WilhelmFüßl, Archiv des Deutschen Museums, und Dr. SilviaPfister, Landesbibliothek Coburg, beschäftigte sich amNachmittag mit Fragen der Bestandsnutzung, wobei recht-liche Einschränkungen, fachliche Anforderungen sowietechnologische Möglichkeiten im Mittelpunkt standen.Hans-Joachim Hecker vom Stadtarchiv München stelltedie Frage „Gängeln uns Gesetze?“ und erläuterte Konse-quenzen rechtlicher Regelungen für die Zugänglichma-chung von Archiv- und Bibliotheksgut, wie sie etwa ausden Maßgaben der Archiv-, Datenschutz- und Urheber-rechtsgesetzgebung resultieren. Dr. Fabian Franke vonder Universitätsbibliothek Bamberg hob die Bedeutung derVermittlung von Informationskompetenz als gleichrangigebibliothekarische Kernaufgabe neben Erwerbung, Erschlie-ßung und Bereitstellung von Medien hervor. Er unterstrichdie Notwendigkeit, entsprechende Schlüsselqualifikatio-nen während des Studiums zu vermitteln, und führte prak-tische Beispiele für die Umsetzung an verschiedenen baye-rischen Hochschulen auf. Unter dem Titel „Archive imInternet“ referierte Dr. Heribert W. Wurster vom Archivdes Bistums Passau über Probleme und Möglichkeitenarchivischer Onlinepräsentationen und Serviceleistungen.Er kam dabei auch auf die Bevölkerungsdatenbank zusprechen, die im Passauer Bistumsarchiv seit 1997 auf derGrundlage der älteren Pfarrbücher erstellt wird und diemittlerweile rund 800.000 Datensätze enthält. Dr. StephanKellner von der Bayerischen Staatsbibliothek stellteabschließend „Die Bayerische Landesbibliothek Online(BLO) – ein kulturwissenschaftliches Informationsportalfür jedermann“ vor. Das Internetportal (www.bayerische-

landesbibliothek-online.de) fasst umfangreiche und vielfäl-tige digitale Ressourcen zur Geschichte Bayerns zusam-men. Das Angebot, das u. a. eine Orts- und Personendaten-bank, das Historische Lexikon Bayerns, die BayerischeBibliographie sowie eine landesgeschichtliche Zeitschrif-tenschau enthält, wird ständig erweitert.

Die Veranstalter zeigten sich mit dem Ergebnis derTagung zufrieden. Der allgemeine Informations- und Mei-nungsaustausch, den der Bayerische Archiv- und Biblio-thekstag ermöglichte, trug zum besseren wechselseitigenVerständnis wie zur Intensivierung der Kontakte bei. Vorallem besteht Hoffnung und Aussicht, dass er die künftigeZusammenarbeit von Archiven und Bibliotheken bei kon-kreten Fragestellungen und Projekten erfolgversprechendbefruchten wird.

Amberg Maria Rita Sagstetter

Digitale Bilder und Filme im Archiv – Marketing undVermarktung

Der 66. Südwestdeutsche Archivtag in Karlsruhe-DurlachHistorische Bild- und Filmbestände gehören zu denanschaulichsten und für Laien spektakulärsten Quellenaus Archiven. Um sie einer breiteren Öffentlichkeitzugänglich zu machen, ist jedoch manche Hürde rechtli-cher und technischer Art zu überwinden. Der 66. Südwest-deutsche Archivtag befasste sich am 23./24. Juni 2006 inKarlsruhe-Durlach mit den Chancen, die sich den Archivendurch die offensive Vermittlung vor allem ihrer bereitsdigitalisierten oder zur Digitalisierung vorgesehenen Bild-schätze eröffnen. Eingeleitet wurde die Tagung am Freitagdurch einen stadtgeschichtlichen Rundgang in Durlach,einen Vortrag von Dr. Anke Mührenberg zu den badi-schen Residenzen Durlach und Karlsruhe im 18. Jahrhun-dert sowie einen Empfang der gastgebenden Stadt. DerSamstag war nach den Grußworten durch den Tagungs-präsidenten Dr. Michael Wettengel, den VDA-Vorsitzen-den und Präsidenten des Landesarchivs Baden-Württem-berg Dr. Robert Kretzschmar, Ministerialdirigent HansGeorg Koch vom Ministerium für Wissenschaft, For-schung und Kunst, einem Vertreter der Stadt Karlsruheund Andreas Kellerhals vom Staatsarchiv Bern den Fach-vorträgen gewidmet.

Im ersten Teil des Vortragsprogramms standen archivi-sche Filmbestände im Mittelpunkt. Dr. Ulrich Nieß (Stadt-archiv Mannheim) berichtete über die Vermarktung derDVD „Mannheimer Filmschätze 1907-1957“, die die Höhe-punkte der historischen Filmbestände im MannheimerStadtarchiv präsentiert. Als zentrale Voraussetzung für denErfolg des Projektes hob Nieß die enge Kooperation mitdem „Verein der Freunde des Stadtarchivs“ hervor. DerFörderverein beteiligte sich nicht nur an den Kosten derDigitalisierung, sondern übernahm auch den Vertrieb.Nieß wies aber auch darauf hin, wie wichtig der gezielteAufbau von Schlüsselpartnerschaften etwa mit dem Regio-nalfernsehen, dem Stadtmarketing und einem professio-nellen Verlag für den Verkaufserfolg der DVD waren.Dabei riet er dringend dazu, Werbung und Vertrieb, aberauch die Digitalisierung Profis zu überlassen und dieKosten möglichst auszulagern. Die Rechte müssten freilichin der Hand des Archivs bleiben.

Ein weiteres Beispiel für eine erfolgreiche Vermarktungarchivischer Filmbestände präsentierte Dr. Ernst Otto

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Bräunche (Stadtarchiv Karlsruhe) anhand der Kino-Wochenschau „Karlsruher Monatsspiegel“. Die zwischen1957 und 1966 von Emil Meinzer produzierten Filme stel-len eine einzigartige Quelle zur Karlsruher Stadtgeschich-te dar. Für ihre Vermarktung schloss das Stadtarchiv einenVertrag mit dem privaten Karlsruher RegionalfernsehenR.TV. Im Gegenzug für Senderechte übernahm der Senderdie Digitalisierung und die Kosten der archivischenErschließung der Filme. Zeitnah zur Erstausstrahlung bie-tet das Archiv im Karlsruher Einzelhandel DVDs mitjeweils fünf Folgen des Monatsspiegels zum Kauf an. DerVertrieb erfolgte in der Pilotphase zunächst in Eigenregie,wurde jedoch jüngst einem Verlag übertragen. Verglichenmit den (freilich fiktiven) Einnahmesätzen der Gebühren-ordnung fallen die Erträge des Stadtarchivs geringer aus.Doch tritt es mit seinen Filmbeständen in verstärktemMaße ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und kann zudem– auch dies Teil des Vertrages – im Regionalfernsehen füreigene Veranstaltungen werben.

Mit dem Vortrag von Prof. Dr. Konrad Krimm (Landes-archiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsru-he) wandte sich die Tagung der digitalen Präsentationarchivischer Fotobestände im Internet zu. Aus gutemGrund werden diese innerhalb der klassischen Tektonikeiner Beständestruktur dargestellt, eröffnet doch erst derEntstehungskontext das volle Verständnis für die Quellen.Doch sind die Grenzen bei Fotobeständen fließender als beiAkten, und Benutzer suchen häufig gezielt nach Fotobe-ständen über die archivischen Sprengelgrenzen oder Behör-denzuständigkeiten hinweg. Ein direkter Zugang kann des-halb die Benutzung erheblich erleichtern. Das neue Inven-tar der Fotobestände macht 150 Bestände mit ca. 750.000Fotos aus dem gesamten Landesarchiv Baden-Württembergder Öffentlichkeit zugänglich. Unterschieden werden foto-grafische Nachlässe, Sammlungen sowie archivischeSammlungen. In das Inventar wurden alle Bestände aufge-nommen, die ganz oder zu einem großen Teil aus Fotosbestehen. Die Datenbank stellt die Foto(teil)bestände derStaatsarchive in einer eigenen Systematik vor, verknüpft sieaber zugleich mit den Online-Beständeübersichten undOnline-Findmitteln der einzelnen Häuser.

Unter dem Titel „Fotorecht im Archiv“ befasste sichHanns Peter Frentz (Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz,Berlin) mit Rechtsfragen bei Erwerb, Publikation und Wei-tergabe von Fotografien. Von aktueller Bedeutung ist dieAnpassung des deutschen Urheberrechts an europäischesRecht. Diese führt zur Nivellierung der rechtlichen Defini-tion des „Lichtbildwerkes“. Wurden unter diesem Begriffbislang nur Fotografien mit einer bestimmten künstleri-schen Gestaltungshöhe gefasst, so gilt nun jedes Bild alsLichtbildwerk, das auch nur ein Mindestmaß an Gestal-tungswillen erkennen lässt. Dabei sieht das Urheberrechts-gesetz einen Schutz der Eigentums- und Nutzungsrechtedes Urhebers bis 70 Jahre nach dessen Tod vor. Für diearchivische Praxis bedeutet dies, dass selbst jahrzehntelanggemeinfreie Fotobestände nun wieder unter den Schutzdes Urheberrechts fallen – mit gravierenden Auswirkun-gen nicht zuletzt für Weitergabe und Vermarktung. Frentzempfahl den Archiven deshalb, schon beim Erwerb vonFotosammlungen darauf zu achten, sich die Nutzungs-rechte in räumlich, zeitlich und inhaltlich möglichst unbe-schränkter Form übertragen zu lassen. Bei der Digitalisie-rung gerade älterer Fotobestände kann sich als problema-

tisch erweisen, dass nach gegenwärtiger Rechtslage eineÜbertragung der Nutzungsrechte immer nur für die zumZeitpunkt der Übertragung bekannten Nutzungsartenmöglich ist. Ist eine Digitalisierung geplant, so empfiehltes sich, die Urheber des Werkes ausfindig zu machen, umsich die zusätzlichen Rechte an der neuen Nutzungsformnachträglich übertragen zu lassen. In der Diskussionwurde deutlich, wie schwierig dies gerade im Falle ältererFotobestände umsetzbar ist. Als Lösung wurde angeregt,den Nutzer zu verpflichten, etwaigen Ansprüchen desUrhebers selbst zu begegnen.

Mit Peter Clerici (Ringier Dokumentation Bild, Zürich)führte der Vertreter einer kommerziellen Bildagentur in dieBedingungen des professionellen Bildermarktes ein.Geprägt wird das Geschäft vom Wettbewerbsdruck einesMarktes, der sich durch die Entwicklung zum reinen Onli-ne-Geschäft binnen weniger Jahre globalisiert hat. Durchdie gezielte Digitalisierung physischer Bildbestände, dieIntegration fremder Bildarchive und ein verbessertes Ser-viceangebot versuchen sich die Agenturen in diesem Marktzu behaupten. Die Nutzung des analogen Bildarchivswurde dabei bei Ringier vollständig eingestellt. Dennochbleibt die Agentur auf Zuschüsse des Mutterverlages ange-wiesen, weil sie über ihre externen Kunden nur einenKostendeckungsgrad von 50 % erreicht. Clericis Vortraglöste eine kontroverse Diskussion über die Folgen der Digi-talisierung für die moderne Informationsgesellschaft aus.Der Gewinn an Verfügbarkeit steht dabei einem Verlustvon Vielfalt offenbar unvermittelt gegenüber. Deutlichwurde auch, dass die Frage einer Langzeitarchivierungvon Digitalisaten für die Bildagenturen bislang nicht rele-vant ist.

Am Beispiel des Serviceangebots eines Landesmedien-zentrums verdeutlichte Dr. Susanne Pacher (Landesme-dienzentrum Baden-Württemberg) die gegenwärtigenMöglichkeiten digitaler Mediendistribution. Die Verbrei-tung von Medien mit landeskundlichem und landesge-schichtlichem Schwerpunkt für den Gebrauch in Schulenund öffentlichen Einrichtungen beruht auf drei Säulen:dem landeskundlichen Fotoarchiv, dem Online-Katalogund dem Server für die schulische Arbeit mit Medien(SESAM). Digitale und analoge Distribution bestehendabei weiterhin nebeneinander. Die Erfahrungen zeigenaber, dass die Möglichkeiten der Online-Recherche auch zueinem Anstieg der analogen Distribution führten.

Im letzten Vortrag fragte Dr. Christoph Strauß (Landes-archiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg) nachden Voraussetzungen für eine zeitgemäße Nutzung undVermarktung archivischer Fotobestände. Als Zielgruppenahm er die modernen Massenmedien in den Blick. Daskonkrete Fallbeispiel lieferte die in Freiburg verwahrteFotosammlung des Pressefotografen Willy Pragher mit ins-gesamt 300.000 Aufnahmen, der gerade im bildhungrigenInformationszeitalter ein beträchtliches Potential inne-wohnt. Das Staatsarchiv Freiburg bemühte sich deshalb,die Fotosammlung Pragher zu digitalisieren und zu ver-markten. Wenn sich Archive als Anbieter für die Medienetablieren wollen, müssen sie, so führte Strauß aus, denBekanntheitsgrad ihrer Bildbestände erhöhen und sich denschnellen Arbeitsrhythmen der modernen Medienindu-strie anpassen. Angesichts komplizierter Antragsverfahrenund einer knappen Personaldecke können dies jedoch diewenigsten Archive leisten. Als Lösungsansatz formulierte

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Strauß deshalb die Zusammenarbeit mit einer professio-nellen Bildagentur, um die Distribution auszulagern. In derDiskussion wurde als alternativer Weg zu einer schnellenAbwicklung von Fotobestellungen die Trennung von Lie-ferung und Abrechnung skizziert, wie sie im Bundesarchivbereits praktiziert wird. Demgegenüber wurde einschrän-kend auf die begrenzten Personalressourcen gerade kleine-rer Archive hingewiesen.

Der 66. Südwestdeutsche Archivtag hat deutlichgemacht, welche Chancen sich Archiven eröffnen, die ihrehistorischen Bild- und Filmbestände offensiv und nutzer-orientiert vermarkten. Sie bedienen das Interesse einerbreiten Öffentlichkeit an einem unmittelbaren Zugang zurGeschichte und können Mittel sein, um die öffentlicheBekanntheit und Akzeptanz der archivischen Arbeit zu för-dern. Dass die Digitalisierung und die Verfügbarkeit derDigitalisate über Internetauftritte eine wichtige Vorausset-zung für eine zeitgemäße Präsentation der archivischenBildbestände ist, kann als eines der Ergebnisse der Tagunggelten. Die praxisnahen Erfahrungsberichte machten aber

auch deutlich, dass die Herausforderungen heute wenigerauf dem Feld der technischen Umsetzung, als in der ziel-gruppenorientierten Werbung und Vermarktung liegen.Angesichts knapper Personalressourcen sind Schlüssel-partnerschaften mit professionellen Medienpartnern fastunumgänglich. Dabei sollten die Archive die Rechte anihren Bildern und Filmen jedoch nie endgültig aus derHand geben. Damit verbindet sich eine Herausforderungganz anderer Art, die den Archivtag beschäftigte: diegrundstürzenden Nivellierungen im Urheberrecht, die vorallem die archivischen Fotobestände betreffen. Die Diskus-sion über den praktischen Umgang mit diesem Problem-kreis ist in vollem Gange. Die eigenen Schätze nicht nur zubewahren, sondern auch zu präsentieren, bleibt eine stän-dige Herausforderung an die archivische Arbeit.

Weitere Informationen:www.landesarchiv-bw.de/fotoinventar;www.fotorecht.de; www.lmz-bw.de

Karlsruhe/StuttgartKathrin Enzel/Christoph Volkmar

Auslandsberichterstattung

Internationales

CASE – Tagung in München

Vor knapp zehn Jahren wurde CASE (Cooperation on theArchives of Science in Europe/Coopération pour les Archi-ves Scientifiques en Europe) als lose Vereinigung europäi-scher Wissenschaftsarchivare ins Leben gerufen. Anstoßdazu gab ein internationales Seminar des Centre Nationalde la Recherche Scientifique Paris im Feburar 1997. AmRand dieser Tagung verständigten sich Vertreter des Inter-national Council on Archives, Universities and ResearchSection aus Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italienund Schweden darauf, eine europäische Arbeitsgruppe zubilden, die sich mit den Aufgaben und Problemen zeitge-nössischer Wissenschaftsarchive auseinandersetzen sollte.Offiziell vorgestellt wurde die neu gegründete CASE-Gruppe während eines Symposiums des XX. InternationalCongress of History of Science im Juli 1997 in Lüttich. Zielvon CASE ist die Förderung von Archiven mit bedeuten-den Beständen zur Wissenschaftsgeschichte in Form vonFachtagungen, Informationsaustausch und gemeinsamenProjekten. Heute verfügt CASE über Kontakte zu Kollegin-nen und Kollegen auch außerhalb Europas.

Nach der positiven Resonanz der ersten internationalenKonferenz von CASE an der Universität Edinburgh 2003trafen sich Wissenschaftsarchivare aus zwölf Ländern inEuropa, Australien und den Vereinigten Staaten zur zwei-ten CASE-Tagung vom 20. bis 22. Mai 2005 in München.Gastgeber war das Archiv des Deutschen Museums. Orga-nisiert und finanziert wurde die Tagung gemeinsam vonCASE, der IUHPS (International Union of History and Phi-losophy of Science) und dem Archiv des Deutschen Muse-ums. Zwei zentrale Themen standen im Mittelpunkt:Sammlungsstrategien von Wissenschaftsarchiven undneuere Projekte zur Archivierung elektronischer Doku-mente und Bestände.

Im ersten Teil der Konferenz diskutierten die Referen-ten die Frage, inwieweit Strategien für eine Sammlungspo-litik mit dem Ziel entwickelt werden können, sich aufnationaler und internationaler Ebene abzustimmen. Gibt esüberhaupt Konzepte zur Sammlung und Erhaltung wis-senschaftlicher Bestände? Wie arbeiten Archive hierzusammen? Gerade angesichts nationaler und internatio-naler Unterschiede wurden verschiedene Modelle in derSchweiz, in Deutschland, Polen, Schweden, England,Frankreich, Spanien, den USA und in Taiwan erörtert. Vor-gestellt wurden u. a. ein Projekt des Archivs der ETHZürich, in dessen Verlauf das Archiv zur Geschichte derKernenergie in der Schweiz (ARK) aufgebaut wurde(Angela Gastl) sowie die Erwerbungspolitik des Archivszur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft Berlin imBereich der Nachlässe (Marion Kazemi). Unter dem Stich-wort „Verteiltes Sammeln“ entwickelte Michael Klein(Generalsekretär der Leibniz-Gemeinschaft, Bonn) Mög-lichkeiten der Zusammenarbeit von Wissenschaftsarchivenauf nationaler Ebene, um sich auf eine gemeinsame Samm-lungspolitik zu verständigen.

Besonderes Interesse fanden zwei Ansätze aus Frank-reich und Spanien. Sebastien Soubiran (Universität Straß-burg) beschrieb das Vorgehen zur Erhaltung physikhisto-rischer Bestände auf universitärer Ebene und stellte einvom französischen Kultusministerium gestütztes Projektzur Sicherung der Archivalien französischer Observatorienvor. Jordi Sequero (Universität Barcelona) legte Initiativenin Spanien dar, die den Aufbau zentraler Wissenschaftsar-chive zum Ziel haben; für Katalonien wurde bereits eineentsprechende Stelle eingerichtet. Abschließend stellteJoseph Anderson ein Projekt des American Institute ofPhysics, College Park, Maryland, vor, durch das die Arbeitund Forschungsergebnisse von Physikern in industriellen

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Laboratorien aufgezeichnet und die relevanten Bestände,wie z. B. Laborbücher, dokumentiert werden.

Der zweite Tagungsteil thematisierte Projekte des „elec-tronic environment“. Diskutiert wurden u. a. Projekte zurArchivierung elektronischer Daten und Dokumente desStanford Linear Accelarator Center (Jean Deken, Stanford)und die Planungen für den Aufbau eines gemeinsamendigitalen Archivs der schwedischen Universitäten (RenataArovelius, Uppsala, Eli Hjorth Reksten, Linköping)sowie der Umgang der Handschriftenabteilung der BritishLibrary, London, mit modernen Handschriften, die heutezum überwiegenden Teil nur mehr digital und elektronischvorliegen (Jeremy Leighton John).

Fortgesetzt wurde die Reihe internationaler Tagungenvon CASE vom 19. bis 21. April 2006 an der UniversitätStraßburg. Zentrale Themen waren hier die Erschließung,Erhaltung sowie Bewertung archivischer Quellen zur Wis-senschaftsgeschichte. Großes Interesse fand u. a. ein Pro-jekt, in dessen Verlauf wissenschaftsrelevante Dokumenteund Bestände der staatlichen Forschungseinrichtungen inBrasilien erfasst werden. Ebenfalls auf nationaler Ebeneangesiedelt ist das oral history-Projekt zur Erschließungvon Quellen zur Festkörperphysik (Schwedische Akade-mie der Wissenschaften Stockholm).

Anknüpfend an die Referate der vorangegangenenTagungen wurden Bedingungen und Möglichkeiten derdigitalen und elektronischen Erschließung und Nutzungvon Beständen und Archiven diskutiert. Bemerkenswertwar dabei die Bandbreite der dargestellten Projekte. AlsBeispiel eines virtuellen Archivs wurde das an der Univer-sität Nancy angesiedelte Projekt „Henri Poincaré Online“erläutert. Nachlass und Korrespondenz Poincarés sowiedie in der Französischen Akademie der WissenschaftenParis und der Schwedischen Akademie der WissenschaftenStockholm liegenden Manuskripte sind digital in Formeines einheitlichen Internet-Auftritts erschlossen. ImGegensatz dazu stellt das vorgestellte „Open CollectionsProgram“ der Harvard University eine jeweils themenbe-zogene Internet-Plattform dar. Ziel ist eine breite Verfüg-barkeit historischer Quellen der Harvard Library und ihresArchivs sowohl für Forschungs- als auch für Lehr- und Bil-dungszwecke. Neben der elektronischen Aufbereitung vontraditionellem schriftlichem Archivgut wurden Initiativenund Vorhaben zur Archivierung elektronischer Dokumen-te vorgestellt. Verbunden damit war die Frage, inwieweitdas vermehrt elektronisch überlieferte Schriftgut auchgeänderte Bewertungs- und Auswahlkriterien für einedauerhafte Archivierung bedingt. Eine Reihe von Kurzbe-richten wie über „web-archiving“ und „e-mail-archiving“bei CERN Genf schlossen hier an.

Sprecher und Koordinator von CASE ist Sir Peter Har-per, Direktor des National Cataloguing Unit for the Archi-ves of Contemporary Scientists (NCUACS) in Bath. Einewichtige Plattform von CASE ist die von NCUACSgepflegte Internet-Seite. Sie umfasst Links zu anderenArchiven und Forschungseinrichtungen im Bereich derWissenschaftsgeschichte sowie eine Liste der an CASE teil-nehmenden Archive. Darüber hinaus wird dort auch derregelmäßig erscheinende CASE-Newsletter veröffentlicht.Vorgestellt werden u. a. Tagungen, Projekte und Neuer-werbungen: www.bath.ac.uk/ncuacs/case.htm.

München Eva A. Mayring

Internationales Archivsymposion in Trier

Seit 1991 findet das Internationale Archivsymposion statt,das jährlich Archivarinnen und Archivaren aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und den Benelux-Ländern einForum zum grenzüberschreitenden fachlichen Austauschbietet.

Das Symposion vom 16. - 17. Mai 2006 folgte einer Ein-ladung der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz unddes Rheinischen Archiv- und Museumsamtes. Tagungsortwar der repräsentative Rokokosaal des KurfürstlichenPalais in Trier, das heute die Aufsichts- und Dienstlei-stungsdirektion (ADD) Rheinland-Pfalz beherbergt. Insge-samt 45 Archivarinnen und Archivare (10 Teilnehmendeaus Belgien, 12 aus den Niederlanden und 23 aus Deutsch-land) fanden so die Gelegenheit, sich über die ThemenBologna-Prozess, Katastrophenschutz sowie Kosten- undLeistungsrechnung – jeweils aus archivischer Perspektive– auszutauschen. Die Begrüßung der Teilnehmendenerfolgte für die Veranstalter durch den Direktor der Lan-desarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Prof. Dr. Heinz-Günther Borck, und für den Hausherrn durch die Vize-präsidentin der ADD, Dolores Schneider-Pauly.

Die 1. Arbeitssitzung „Bologna-Prozess und Archive“wurde als Podiumsdiskussion durchgeführt, die von Prof.Dr. Wilfried Reininghaus, Landesarchiv NRW, moderiertwurde. In seiner Einführung stellte der Moderator die Dis-kussion unter zwei Leitfragen: Wie gehen die Archive orga-nisatorisch mit den geforderten Praktika um? Und welcheberuflichen Optionen bieten sich den Absolventen derBachelor- bzw. Masterstudiengänge insbesondere im Hin-blick auf Möglichkeiten der Verzahnung der Studieninhal-te mit bestehenden archivarischen Ausbildungsstrukturen?

Die Diskutanten auf dem Podium – Prof. Dr. P. C. M.Hoppenbrouwers, Universiteit Amsterdam, Prof. Dr.Gustaaf Janssens, Archiv des Kgl. Palastes Brüssel, Prof.Dr. Alfred Minke, Staatsarchiv Eupen, und Dr. ThomasBecker, Universitätsarchiv Bonn – erläuterten zunächst, inwelcher Weise sich in den jeweiligen Ländern bzw. Landes-teilen die Archivarsausbildung auf die Reform der Studi-engänge eingestellt hat, und zwar sowohl im Hinblick aufden universitären Unterricht als auch auf die Zulassungs-bedingungen zur Archivarsausbildung und die Bewertunggeforderter Praktikumsnachweise. In der anschließendenDiskussion bestand große Einigkeit darüber, dass der prak-tischen Archiverfahrung nach wie vor eine große Bedeu-tung zukommt und der Einfluss der Archive auf die Aus-bildung gewahrt bleiben muss. Kritisch wurde festgehal-ten, dass das System der Credit-points zwar eine Erleich-terung bei der Anerkennung der Studienleistungen, auchund gerade bei einem transnationalen Hochschulwechselmit sich bringen könne, damit aber noch keinerlei inhaltli-che Standardisierung gegeben sei. Auch fehlten bisher aus-wertbare Erfahrungen bezüglich des Bedarfes und derAkzeptanz einer transnational absolvierten archivarischenAusbildung.

Die 2. Arbeitssitzung, moderiert von Dr. Herman Cop-pens, Departement Rijksarchief Vlaanderen, widmete sichdem Thema Katastrophenschutz. Manfred Kirk vom Bun-desamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe inBonn erläuterte die deutsche Struktur der Kompetenzver-teilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen im Zivil-und Katastrophenschutz. Dabei lenkte er den Blick vorallem auf die Problematik bei der Maßnahmenkoordinie-

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rung. Zur Verbesserung des Informationsmanagements –auch bei der Erfüllung internationaler Verpflichtungen inder EU und der NATO – wurde das „deutsche Notfallvor-sorge-Informationssystem“ (deNIS) aufgebaut. In demModul „deNIS I“ steht der Öffentlichkeit und dem Fach-publikum ein Informationsportal zur Verfügung; die Aus-baustufe „deNIS II“ richtet sich an einen geschlossenenBenutzerkreis, Entscheidungsträger und berechtigteBedarfsträger, z. B. in Lagezentren und Katastrophen-schutzbehörden. In dieses geschützte Informationsnetz-werk sind auch die Daten der vom Bundesarchiv zur Ver-fügung gestellten, Internet-gestützten Anwendung „Not-fallregister Archive“ (NORA) eingebunden.

Dr. Michel van der Eycken, Rijksarchief Hasselt,berichtete von der in Belgien gegen Ende der 1990er Jahreeinsetzenden Initiative, ein nationales Konzept zur Bewäl-tigung von Katastrophen zu entwickeln und auf den ver-schiedenen administrativen Ebenen zu koordinieren. Seit2005 seien für einzelne große Städte wie Gent und Brüggeumfassende Notfallplanungen ausgearbeitet worden, dochseien weitere Anstrengungen notwendig, um archivischeBelange im Rahmen der Notfallplanung stärker einzubrin-gen.

Frau Drs. M. A. van der Eerden-Vonk, Streekarchi-variaat Kromme-Rinngebied-Utrechtse Heuvelrug, refe-rierte über die Maßnahmen, die ergriffen worden waren,nachdem ihr Archiv völlig unvorbereitet einen erheblichenWasserschaden erlitten hatte: Eine ihren Kellermagazinenbenachbarte Baugrube war übergelaufen und hatte dasUntergeschoss des Archivs überflutet. So beklagenswertderartige Katastrophen sind, so hilfreich kann eine detail-lierte Auswertung der Katastrophenbewältigung, wie sievon der Referentin vorgestellt wurde, für andere Archivesein, wie ihre wertvollen Hinweise für eine gründlicheNotfallvorsorge zeigten.

Im Anschluss an die 2. Arbeitssitzung fand unter demTitel „1700 Jahre Kulturtradition an einem Ort“ eineinstruktive Führung durch das einzigartige Ensemble derbeiden auf einer spätantiken Anlage gründenden Sakral-bauten Dom und Liebfrauenkirche in Trier statt, die zumUNESCO-Weltkulturerbe deklariert wurden. Die Führungerfolgte durch einen der besten Kenner der Trierer Metro-politankirche, Domkapitular und Domkonservator Prof.Dr. Franz Ronig, der auf bemerkenswerte Weise die Bau-geschichte in ihrem liturgie- und philosophiegeschichtli-chen Kontext zu vermitteln verstand. Ein gemeinsamesAbendessen, eingenommen im stimmungsvollen Ambien-te des gegenüber der Liebfrauenkirche gelegenen histori-schen Palais Kesselstatt, rundete den ersten Sitzungstag ab.

Die 3. und letzte Arbeitssitzung, die am folgenden Tagvon Drs. Annelies Abelman, Regionaal Historisch Cen-trum Limburg in Maastricht, moderiert wurde, wartete mitdem trockenen, für die Archive aber gleichwohl bedeutsa-men Thema „Kosten- und Leistungsrechnung“ auf. DieModeratorin selbst gab zunächst einen kurzen Einblick inihre Erfahrungen als Prozessmanagerin archivischer Pro-jekte in Dordrecht und zog eine durchaus positive Bilanz,da die Auseinandersetzung mit diesem Problemkreis Leis-tungen und Prozesse transparenter gemacht und die fach-liche Kommunikation gefördert habe.

Dr. Michael Diefenbacher, Stadtarchiv Nürnberg,stellte anschließend detailliert das Neue RechnungswesenNürnberg (NRN) und seine Folgen für die kommunale

Dienstleistung „Archiv“ vor. Nachfragen und Diskussions-beiträge zu diesem Referat ergaben sich vor allem zu denThemenbereichen Wertansatz von Archivgut, Fallzahlenund ihre Verknüpfung mit der Arbeitszeiterfassung sowieAufwendungen für die Verwaltung und Bedienung derSteuerungsinstrumente.

Leistungsmanagement und Leistungshaushalt im belgi-schen Staatsarchivwesen wurden von Prof. Dr. KarelVelle, Generalarchivar des Königreichs Belgien, und Dr.Herman Coppens, Departement Rijksarchief Vlaanderen,gemeinsam vorgestellt. Der Schwerpunkt der Ausführun-gen lag auf der Skizzierung der notwendigen grundsätzli-chen Überlegungen bei der Planung eines Leistungssteue-rungssystems im Rahmen der Modernisierungsinitiativenbei der belgischen föderalen Behörde. Ziele seien die Effek-tivitätsverbesserung und die Standardisierung von Leis-tungen. Als Voraussetzungen müssten jedoch die Bestim-mung geeigneter Leistungsindikatoren und deren Monito-ring gelten. In der Diskussion betonten die Referenten dieBedeutung einer behutsamen und schrittweisen Einfüh-rung, begleitet von einem ständigen Monitoring der Steue-rungselemente.

Der Bericht von Mr. Th. Jacques van Rensch, Regio-naal Historisch Centrum Limburg, Maastricht / Gemeen-tearchief Thorn, über die niederländischen Erfahrungenmit der Kosten- und Leistungsrechnung stellte zunächstdie wesentlichen Änderungen im Übergang vom vormalskameralistischen System zum System einer Kosten- undLeistungsrechnung dar. Aus der Analyse der in diesemProzess erkannten Problembereiche leitete er die Voraus-setzungen für eine erfolgreiche Implementierung einerKLR ab. Dazu gehört die Einigung über klare Definitionenund Begriffe bei der Beschreibung von Produkten undLeistungen mit dem Ziel der Vergleichbarkeit. Der Referentempfahl, sich dabei auf die Rahmenbedingungen zubeschränken, da eine zu differenzierte Erfassung die Dar-stellung eines Gesamtbildes erschwere. Als positive Folgender neuen Steuerungsinstrumente sieht er neben einerhöheren Flexibilität und einem verbesserten Qualitätsma-nagement durch Standardisierung, Produktnormierungund Qualitätskontrolle auch die größere Transparenz beiden einzelnen Arbeitsvorgängen sowie die Sensibilisierungder Mitarbeiter, die zu einer Motivationssteigerung führenkönne.

Die sich anschließende sehr angeregte Diskussion dreh-te sich zunächst um den Stellenwert der Kundenorientie-rung bei der Leistungssteuerung und mögliche Konfliktemit Aufgaben aus dem gesetzlichen Auftragsrahmen.Dabei wurde deutlich, dass eine Profilierung der Kunden-gruppen (auch prospektiv) sowie ein Instrumentarium zurErmittlung des Kundenbedarfs und dessen Evaluation bis-her weitgehend Desiderate in der Leistungssteuerung dar-stellen.

Das Resümee des Symposions zog Prof. Dr. Borck: DerBologna-Prozess ist in seinen Auswirkungen – bezüglichder Chancen und Risiken – noch nicht absehbar. Deutlichwurde jedoch, dass Belgien bezüglich der Verzahnung derArchivarsausbildung mit den Elementen der Studienre-form weiter sei als Deutschland. Für Maßnahmen des Kata-strophenschutzes und der Notfallvorsorge in Archivenbesteht nach wie vor ein großer Bedarf, der in Deutschlandauf der Grundlage des Arbeitspapiers des Bundes und derLänder weitere Anstrengungen erfordert. Die Anforderun-

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gen der Kostenleistungsrechnung verlangen von denArchivaren einen konstruktiven Umgang mit dem Konfliktzwischen betriebswirtschaftlichem Denken und der Aufga-benbewältigung als nicht-profitorientierte Kultureinrich-tung. Mit dem Dank an die Mitveranstalter, die Teilnehmerund die Gastgeber schloss Prof. Dr. Borck die Tagung. DiePublikation der Vorträge ist vorgesehen.

Pulheim-Brauweiler Florian Gläser

14. Deutsch-Niederländisches Archivsymposium 2006 inZwolle

Am 16. und 17. November 2006 fand auf Einladung desHistorischen Zentrums Overijssel in Zwolle/Niederlandedas 14. Deutsch-Niederländische Archivsymposium imVortragssaal des Neubaus des Historischen Zentrums statt,das in zweijährigem Turnus von dem Gelders Archief inArnheim zusammen mit dem Stadtarchiv Bocholt und demLWL-Archivamt für Westfalen/Münster veranstaltet wird.Zu dem zentralen Thema „Digitales Archivgut und Dienst-leistungen im Netz – Papierlos in die Zukunft?“ sollte esauch bei dieser Tagung auf deutscher und niederländischerSeite zu einem regen Austausch über Projekte und Erfah-rungen mit dieser besonderen Thematik kommen.

Bert Looper, Direktor des Historischen ZentrumsOverijssel, hieß die anwesenden 60 Archivarinnen undArchivare aus den Niederlanden und Deutschland in demim Frühjahr 2006 fertig gestellten repräsentativen Neubaudes Historischen Zentrums willkommen. Danach führteProfessor Eric Ketelaar (Universität Amsterdam) in dasThema ein mit grundlegenden Überlegungen zu: „Archi-ves in the digital age: new uses for an old science“.

Er stellte heraus, dass Archive im Zuge der grundlegen-den sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen desdigitalen Zeitalters mit neuen Problemen konfrontiert wer-den. Dazu gehöre ein Wechsel zur Perspektive des Benut-zers, der wie überall im Internet auch im Archiv einfachInformationen abfragen wolle. Der Archivar sei nicht mehrvor allem Historiker, sondern Medienwissenschaftler. Inder Zukunft müssten die Archive die Erwartungen derBenutzer, betreffend digitaler Ausstattung und Informati-onszugang erfüllen. Darüber hinaus müssten im Zuge die-ser Entwicklungen auch archivtheoretische Grundlagenneu reflektiert werden (u. a. das Provenienzprinzip und dieDefinition des Originals).

Anschließend begann die erste Arbeitssitzung über„Gesetzliche Grundlagen in Deutschland und den Nieder-landen“. Klaus Oldenhage (Bundesarchiv Koblenz) zeig-te mit seinem Beitrag für die deutsche Seite, so wie auchRob Kramer, Hauptinspektor Archive (Den Haag), für dieNiederlande, dass die Gesetzeslage beim Problem der digi-talen Schriftgutverwaltung und -anbietung bei weitemnicht ausreicht. Beide schlossen mit einem Appell an dieeuropäische Zusammenarbeit bezüglich der Rechte amdigitalen Archivgut.

Ging es beim ersten Teil um den rechtlichen Rahmen desThemas, beschäftigte sich der zweite Teil der Sektion mitder praktischen Behandlung des digitalen Archivguts.Unter dem Oberthema „Übernahme und Archivierung vondigitalem Archivgut“ stellte zunächst Jantje Steenhuis(Stadtarchiv Rotterdam) das Projekt des städtischen E-Depots vor. In Zusammenarbeit mit der Archivschule derNiederlande (Amsterdam) und nach dem Vorbild des

Nationalarchivs in London wurden in Rotterdam zwei E-Depots geschaffen, von denen das eine für das städtischeSchriftgut als digitales Zwischenarchiv, das andere fürgescannte Archivalien vorgesehen ist. Ist die Aufbewah-rungsfrist eines städtischen Dokuments abgelaufen, soerhält das Stadtarchiv die Rechte an diesem Dokument.Damit soll gewährleistet werden, dass dem Archiv eindirekter Zugang zu den digitalen Unterlagen der Stadtuneingeschränkt offen steht und ein Datenverlust umgan-gen werden kann.

Mit dem Problem des Datenverlustes von Internetseitenund ihrer Archivierung beschäftigt sich ein Projekt derFriedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, das von Rudolf Schmitzvorgestellt wurde. Er zeigte eine detaillierte Möglichkeit,mit Hilfe von Screenshots Internetseiten in ihrem tempo-rären Zustand längerfristig zu archivieren und über einegut unterteilte Recherchefunktion zugänglich zu machen.Flächendeckend angewandt, könnte dies den in derGegenwart immer häufigeren Datenverlust im Internetreduzieren und schließlich beseitigen. In seinem Abend-vortrag unterstrich dann der Bürgermeister von ZwolleHenk Jan Meijer die enge Beziehung zwischen Deutsch-land und den Niederlanden am Beispiel der beiden StädteZwolle und Osnabrück. Er leitete über zu einem geselligenEmpfang und einem gemeinsamen Abendessen aller Teil-nehmer auf Einladung der Veranstalter in den Aus-stellungsräumen des Historischen Zentrums.

Die zweite Arbeitssitzung, die sich am 17. Novembermit digitalen internen Dienstleistungen, also auf die Ver-waltung bezogenen, und mit externen digitalen Dienstlei-stungen befasste, eröffnete Bert Looper mit dem Vortrag„Auf dem Weg zu einer allgemeinen virtuellen Dienstleis-tungsphilosophie“. Er unterschied drei Ebenen der virtu-ellen Dienstleistung. Die erste Ebene beziehe sich auf einenonline-Zugriff auf verschiedene Hilfsmittel (wie Wörterbü-cher, Archivführer, Quellenkommentare und Lexika). VieleArchive entwickeln eine neue Form der Interaktivität, diees Benutzern ermöglicht, in Diskussionsforen untereinan-der oder mit Archivaren online in Kontakt zu treten. Ver-einzelt werde den Benutzern sogar die Gelegenheit gege-ben, online Quellen zu erschließen. Der traditionelle Lese-saal verlagere sich also in eine online-Umgebung. Diezweite Ebene umfasste das Angebot von online-Findbü-chern und die Bereitstellung leistungsfähiger, aber benut-zerfreundlicher Recherchefunktionen, auch im Verbundmit anderen Bibliotheken und Archiven. Eine besondereHerausforderung sieht Looper darin, die recherchiertenErgebnisse in ihren jeweiligen Kontexten abzubilden.Bedienen die ersten beiden Ebenen die klassischen Ziel-gruppen, erschließe das Archiv mit der dritten Ebene eineweitere Klientel, die Looper als „Stöberer“ bezeichnete.Diese seien historisch Interessierte auf der Suche nach „fer-tiger“ Geschichte, die von den Archivaren zu erstellen undonline vorgehalten werden sollte.

Im Anschluss an diese allgemeine Einführung befasstensich zwei Vorträge mit internen Dienstleistungen. RolfHage (Stadtarchiv/’s-Hertogenbosch) schilderte in sei-nem Vortrag „Der Stadtarchivar als Dienstleister in derStadtverwaltung“ Erfahrungen bei der Einführung vonDokumentenmanagementsystemen in der Stadtverwal-tung von ’s-Hertogenbosch während der vergangenenzehn Jahre. Archivische Belange spielten trotz zahlreicherVorstöße zunächst weder bei der Einführung noch in der

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alltäglichen Anwendung während der ersten Jahre keineRolle. Die Integrität und die Authentizität der Dokumentewar ebenso wenig gewährleistet wie ihre Auffindbarkeit.Dies führte 2004 zu einer Veränderung in der Projektgestal-tung: Das papierlose Büro blieb das ausgesprochene Zielder Stadtverwaltung, allerdings wurde nun das Stadtar-chiv als kompetenter Ratgeber in die Planung und Ausfüh-rung eingebunden und die Möglichkeit einer dauerhaftenArchivierung digitaler Unterlagen im Blick behalten. DasStadtarchiv konnte sich als Partner des eigenen Trägers beider Einführung einer elektronischen Vorgangsbearbeitungbehaupten. Katharina Tiemann (LWL-Archivamt fürWestfalen/ Münster) stellte in ihrem Beitrag „Archive imIntranet – Serviceangebot für die Verwaltung“ die Vorzü-ge des Intranets als Chance für eine Optimierung derZusammenarbeit zwischen Archiv und dem eigenen Trä-ger heraus. Das Archiv sollte mit seinem Alleinstellungs-merkmal ein strategischer Partner und ein kompetenterDienstleister der eigenen Verwaltung sein. Unter denArchiven in Deutschland, die das Intranet bereits gewinn-bringend nutzen, würden zwei Modelle favorisiert: Einumfassender Auftritt, der das Archiv mit seinen Aufgabenausführlich beschreibt, und ein reduziertes Modell, daswenige ausgewählte Informationen für die Trägerverwal-tung biete. Frau Tiemann argumentierte zugunsten einerumfassenden Variante.

Der zweite Teil der Arbeitssitzung thematisierte dieexternen Dienstleistungen. Marcus Weidner (LWL-Insti-tut für Regionalgeschichte/ Münster) präsentierte in sei-nem Vortrag „Vom Zettelkasten zur Datenbank – die ‚Digi-tale Westfälische Urkunden-Datei‘ (DWUD)“ erstmalsöffentlich ein Kooperationsprojekt des Internet-Portals„Westfälische Geschichte“, des LWL-Archivamt für West-falen (Münster) und der Stiftung Westfalen-Initiative(Münster), das die Digitalisierung und Erschließung vonrund 100.000 Regesten westfälischer Urkunden zwischen800 und 1800 vorsieht. Diese Karteikarten wurden in über75-jähriger Tätigkeit unter anderem von den Archivarendes LWL-Archivamts für Westfalen und des StaatsarchivsMünster gesammelt oder erstellt. Es handele sich also umeinen einzigartigen Quellenfundus, der rund die Hälftealler in westfälischen Archiven vorhandenen Urkundenumfasse. Die „Digitale Westfälische Urkunden-Datei“ermögliche einen flächendeckenden und optimiertenZugriff auf diese Quellengruppe, insbesondere unter denBedingungen sich wandelnder Fragestellungen. In länger-fristiger Perspektive gäbe die Datenbank auch anderenArchiven Westfalens die Gelegenheit, sich mit ihrenUrkundenregesten zu beteiligen. Auch wäre die Urkun-den-Datei offen für eine Einspeisung bereits digital vorhan-dener Datenbestände oder auch von gedruckten Urkun-denbüchern.

Der Vortrag von Redmer H. Alma (Drents Archiv/Assen) „Cartago, das digitale Urkundenverzeichnis Gro-ningen und Drenthe“ schloss unmittelbar an die Überle-gungen Weidners an. 2001 begann man die kompletteUrkundenüberlieferung von Drenthe und Groningen vonBeginn bis um 1600, die etwa 15.000 Urkunden umfasst,online und damit einer breiten Öffentlichkeit verfügbar zumachen. Die Datenbank vereinigt damit Urkunden, dieüber viele Bestände zerstreut aufbewahrt werden. In einerersten Phase wurden sämtliche Urkunden und Siegelgescannt. In der zweiten Phase, die nunmehr vor dem

Abschluss steht, transkribierten und regestierten über-wiegend („digitale“) Freiwillige anhand der online ver-fügbaren Scans die Urkunden nach vorgegebenen Richt-linien. Die dritte Phase umfasst nun die abschließendeErschließung. Neben der Datenbank hält „Cartago“(www.cartago.nl) auch zahlreiche quellenkundliche Infor-mationen bereit.

Yvette P. Hoitink (Nationalarchiv/ Den Haag) stellte inihrem Vortrag „Die Konturen des virtuellen Lesesaals“ einVorhaben des Nationalarchivs vor, die physische Umge-bung des Lesesaals sukzessive auch virtuell verfügbar zumachen. Der „digitale“ Benutzer verlange nicht nur einenschnellen Zugriff auf möglichst viele Bestände, sondernauch Möglichkeiten, diese online einzusehen und herun-terzuladen. Thematische Führungen und Kurse, Hilfsmit-tel und Quellenkunden sowie das Angebot im Chat miteinem Archivar Unterstützung für die eigene Arbeit in denBeständen zu erhalten, sollen selbstverständlich Teil desvirtuellen Lesesaals sein. Zudem solle der „digitale“ Benut-zer die Gelegenheit erhalten, sich an der Erschließung vonArchivalien zu beteiligen, eigene Arbeitsergebnisse überdie Internetseite des Archivs zu publizieren und sich inDiskussionsforen mit anderen Benutzern auszutauschen.

A.G. de Vries (Nationalarchiv/ Den Haag) stellte inseinem Vortrag „Genlias und ihre Kunden“ die genealogi-sche Datenbank „Genlias“ vor, ein Kooperationsprojektdes Nationalarchivs und der niederländischen Provinzar-chive. „Genlias“ (www.genlias.nl) sei eine rasant wachsen-de und äußerst erfolgreiche Datenbank, die seit etwa zehnJahren die Einträge der niederländischen Standesämtervon ihrer Entstehung (um 1800) bis in die Jahre zwischen1900 und 1950 sukzessive online in einer benutzerfreund-lichen Umgebung recherchierbar mache. Angestrebt isteine umfassende Erfassung aller genealogisch relevantenInformationen (Zivilstandsregistern und Kirchenbücher);die Eingabe erfolge überwiegend durch Freiwillige. DieDatenbank umfasst derzeit neun Millionen Datensätze mitetwa 37 Millionen Personen. Täglich recherchieren etwa35.000 Benutzer in „Genlias“. Diese „Kunden“ sollen nundurch einen veränderten Internetauftritt stärker in denBlick genommen werden. Dabei solle ausgehend von denstandesamtlichen Daten das Entdecken und Erleben dereigenen Geschichte im Mittelpunkt stehen.

Maarten van Driel (Gelders Archief/Arnheim) unter-strich in seiner Zusammenfassung die Pflicht der Archive,angesichts der großen Herausforderungen, mit denen sieim digitalen Zeitalter konfrontiert sind, „pro-aktiv“ zu seinund sich gegenüber dem eigenen Träger und den Benut-zern zu positionieren. Für alle Bereiche der digitalenDienstleistungen gilt, dass wirkliche, tragfähige Lösungennur durch eine Konzentration der Ressourcen in strategi-schen Partnerschaften mit anderen Archiven, Verwaltungs-und Kultureinrichtungen zu erreichen seien. Insbesonderedie Urkundenprojekte in Münster und Groningen seienhier beispielhaft. Bevor das Archiv digitale Dienstleistun-gen bereitstelle, sei allerdings eine breite Analyse derBenutzerbedürfnisse erforderlich. Archive seien zudem inder Pflicht, konkrete Konzepte zu erarbeiten, wie die histo-rischen Interessen der Öffentlichkeit bedient werden könn-ten. Das Internet-Portal „Westfälische Geschichte“ sei dies-bezüglich ein Vorbild. Aber auch Kooperationen mit kom-merziellen Anbietern sollten überlegt werden.

Münster/MarburgAntje Diener-Staeckling/Thomas Brakmann

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Niederlande

Ein neues Depotgebäude für das Stadtarchiv Dordrecht

Dordrecht ist die älteste Stadt der Grafschaft Holland. Erst-mals um 1138 taucht der Ortsname „Thuredrith“ für eineHandelssiedlung an Oude Maas und Merwede auf. Mit derfrühen Verleihung von Stadtrechten im Jahre 1220 galtDordrecht traditionell als Prinzipalin der altholländischenStädtefamilie. Mit Dordrecht verbindet sich auch die Grün-dungsphase der Republik der Vereinigten Niederlande,weil 1572 dort im ehemaligen Augustinerkloster Vertretervon zwölf Städten und der holländische Adel zusammen-trafen, um unter der Führung des selbsternannten Statthal-ters Wilhelm von Oranien einen gemeinsamen Kampfgegen den spanischen König Philipp II. zu beschließen.Dordrecht gehört heute zur Provinz Zuid-Holland, hatungefähr 120.000 Einwohner und ist seit 1974 durch eineStädtepartnerschaft mit Recklinghausen (Nordrhein-West-falen) verbunden.

Dordrecht unterhält seit Ende des 19. Jahrhunderts eineigenes Kommunalarchiv, in welchem aber nicht nur zahl-reiche ältere und neuere Bestände zur Geschichte der Stadtverwahrt werden. Das Stadtarchiv beherbergt vielmehrweitere 700 Bestände und Quellensammlungen zu ver-schiedenen Organisationen, Personen, Vereinen, Bevölke-rungsgruppen1, Institutionen und Betrieben der Stadt,ebenso historische Unterlagen von zwölf umliegendenGemeinden. Zum Stadtarchiv Dordrecht gehört seit 1976 inder Straße namens Stek auch eine klimatisierte Depotein-richtung. Temperatur und Luftfeuchtigkeit wurden undwerden dort konstant auf archivtauglichen Werten gehal-ten. Zum Zeitpunkt seiner Inbetriebnahme war diesesMagazingebäude mit einer Speicherkapazität von etwasechs laufenden Regalkilometern ein durchaus modernesArchivdepot.

Die Entwicklung zu einer modernen, professionellenArchivverwaltung begann auch in den Niederlanden im19. Jahrhundert. Archive wurden als Träger vaterländi-scher Geschichte entdeckt, damit als Einrichtungen, mitdenen man möglichst sorgfältig umzugehen hatte. In demMaße, in welchem Kenntnisse über Verwahrung, Erhaltund Verfall organischer Materialien zunahmen, ändertensich auch die technischen Anforderungen, die an einenArchivstandort gestellt wurden. Die ersten einschlägigenVorschriften beziehen sich nur auf Brandschutz; jüngerenDatums sind hingegen Maßnahmen, die den natürlichenVerfall der wichtigsten Informationsträger, Papier und Per-gament, verlangsamen bzw. verhindern sollen. Das Fach-wissen über Verwaltung und Erhaltung von Archivaliennahm im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts auch in denNiederlanden stark zu; das führte, verstärkt seit den neun-ziger Jahren, zu umfangreichen Maßnahmen, Archivgut anallen Standorten nach neuesten Erkenntnissen zu konser-vieren. Überall im Land entstanden daher neue Depotge-bäude und Magazinanlagen.

Im Zuge dieser Entwicklung wurde auch die Unterbrin-gungsqualität in vorhandenen Depotgebäuden kritischunter die Lupe genommen. Dadurch galt das Depot desStadtarchivs Dordrecht bald als veraltet. Als Dorn im Auge

empfand man vor allem das ständige Eindringen vonTageslicht in die alten Magazinräume, denn ultravioletteStrahlung ist für Papier bekanntlich sehr schädlich. Durchgestiegene klimatische Anforderungen an Archivdepotsdrohte auch die Qualität der Umgebungsluft unter das fürnötig befundene Niveau zu sinken. Ein immer dringlicherwerdendes Problem bestand im Übrigen darin, dass dieSpeicherkapazität der Magazinräume in der Stek unauf-haltsam an ihre Grenzen stieß.

Das alles führte zum Bau eines Archivdepots im neuenGewerbegebiet „Dordtse Kil III”. Nicht nur die meistenBestände des Stadtarchivs, sondern auch die Sammlungender Dordrechter Museen und des Amtes für Denkmalpfle-ge und Archäologie sind dort untergebracht. Die hohentechnischen und fachlichen Erwartungen, die seitens derniederländischen Archivgesetzgebung an den Betrieböffentlicher Archive gerichtet werden, bilden die Grundla-ge für die Behandlung aller Bestände, die im neuen Stadt-depot verwahrt werden.

Das neue Dordrechter Depot ist derzeit wohl diemodernste und fortschrittlichste archivische Verwahrungs-stätte in den Niederlanden. In gewissem Sinne hat diesesneue Magazingebäude sogar experimentellen Charakter,denn hier entschloss man sich erstmals für die strikte Tren-nung der Verwahrungs- von der Informations- bzw. Kon-sultationsfunktion eines Archivs. Wer die DordrechterBestände einsehen will, braucht sich nämlich nicht zumDordtse Kil zu begeben, sondern sucht weiterhin gewohn-ten Lesesaal in der Stek auf (in Zukunft soll es allerdingseinen neuen Lesesaal im sog. „Hofkwartier“ geben). Essind übrigens nicht alle Bestände im neuen Archivdepotuntergebracht. Etwa zwei Kilometer Archivgut verbleibenin einem kleinen Magazin beim bisherigen Lesesaal. Dortbefinden sich die erfahrungsgemäß am stärksten frequen-tierten Bestände.

Wie vermeide ich stundenlange Wartezeiten, wenn ichUnterlagen einsehen will, die sich im Archivdepot befin-den, wird häufig gefragt. Die Antwort ist einfach: DasStadtarchiv begann vor einigen Jahren, ein ehrgeizigesDigitalisierungsprogramm zu realisieren. Im Gegensatz zuden meisten anderen niederländischen Archiven konzen-trierte man sich aber nicht vornehmlich darauf, in großemUmfang genealogische Quellen ins Internet zu stellen, son-dern alle Instrumente, die dem Zugriff auf Archivgut die-nen, elektronisch recherchierbar zu machen. So kann einBenutzer, der auf der Suche nach bestimmten Archivalienist, vorhandene Findmittel mit Hilfe der Webseitewww.dordrecht.nl/stadsarchief von zu Hause aus konsul-tieren und die Unterlagen, die er einsehen möchte, digitalbestellen. An dem Tag, an welchem man die Schriftstückestudieren möchte, liegen sie bereit. Zweimal täglich fährtnämlich ein Pendeldienst zum neuen Archivdepot, umArchivgut herbeizubringen und zu reponieren.

1 Zur aktuellen stadtarchivischen Dokumentation der Migrantenkultur inDordrecht vgl. Charles Jeurgens: Archive und das ethnische Gedächt-nis. Die Sammlung des Kulturerbes der türkischen Immigranten inDordrecht, in: Archivpflege in Westfalen-Lippe 62 (2005), S. 31-33.

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Technische Daten des neuen Dordrechter Archivdepots

Bauzeit: 2004-2005Inbetriebnahme: November 2005Baukosten inklusive Innenausstattung: 7,3 MillionenEuroAufmaß und Rauminhalt des gesamten Gebäudes:23.500 m3

Bodenfläche des Stadtarchivdepots: 1420 m2 (verteilt aufMagazinräume von max. 200 m2)Bodenfläche des Museumsdepots: 1200 m2

Bodenfläche des archäologischen Depots: 1041 m2

drei Quarantänestationen für kontaminierte Beständeund archäologische Objektedrei Klimazonen: 18º C, 50 % relative Luftfeuchtigkeit(für Pergament, Papier und Gemälde); 17º C, 30 % rela-tive Luftfeuchtigkeit (für metallhaltige Überlieferungs-träger); 4º C (für Filme und Fotonegative)

Was wird im neuen Archivdepot verwahrt? WelcheQuellengattungen erfordern welche Bedingungen? WelcheSpezialräumlichkeiten hat dieses neue Depot? Das Herzdes gesamten Komplexes bildet der Maschinenraum. Dortstehen drei riesige Belüftungsanlagen, welche die Qualitätder Luft, die von hieraus in die Depots hineingeblasenwird, auf den gewünschten Stand bringen. Das bedeutet,dass eine große Anzahl Filter der Luft die staub- und gas-förmigen Verunreinigungen entzieht. Dasselbe gilt fürorganische Schadstoffe wie Schimmelsporen. Die Umge-bungsluft wird auf die optimale Temperatur und Feuchtig-keit gebracht und über ein weit verzweigtes Röhrensystemgleichmäßig den Magazinräumen zugeführt. Von jedemTeil des Depots aus wird die Luft dann wieder in diesenMaschinenraum zurückgeleitet, wo sie wiederaufbereitetund erneut hineingelassen wird. Man ist dabei bestrebt, sowenig wie möglich Außenluft hinzuzufügen.

Da Archivgut meist nicht unter optimalen Bedingungenverwahrt wird, bevor es an eine offizielle Archivierungs-stätte gelangt, die alle modernen Anforderungen erfüllt,wird auch in Dordrecht ankommendes Material zuerst aufdas Vorhandensein von Schimmelpilzen, Verunreinigun-gen und Ungeziefer untersucht. Daher werden zunächstverschiedene Proben genommen, um den Erhaltungszu-stand des Materials zu ermitteln. Um zu vermeiden, dassSchimmel oder andere unerwünschte Kontaminationen insDepot eindringen, gelangt eingehendes Archivgutzunächst in ein Art Isolierstation. In dieser so genanntenQuarantäneabteilung herrscht Unterdruck, sodass sicheventuelle Schadstoffe nicht ohne weiteres im übrigenGebäude ausbreiten können. Erst wenn diese Akzessionengereinigt und vorschriftsmäßig verpackt sind, bekommensie einen regulären Standort im Depot zugewiesen. In die-sen Räumlichkeiten herrscht atmosphärischer Überdruck,sodass Verunreinigungen von außen nicht ohne weiteresdie Magazinräume infizieren können.

Der Großteil der Archivbestände besteht natürlich ausPapierdokumenten. Diese Überlieferung okkupiert zurZeit etwa 6.000 Meter Regalkapazität. Die idealen Aufbe-wahrungsbedingungen für Papier (und für Pergament)bestehen bekanntlich aus einer Temperatur von 18 GradCelsius und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 45-50 %.Die Luftqualität in den neuen Depoträumen ist mit reinerBergluft zu vergleichen. Die neuen Räumlichkeiten sind

damit in einer Weise konstruiert, durch welche die wich-tigsten Risikofaktoren hinsichtlich des Erhaltes von Schrift-gut auf ein Minimum reduziert sind.

Der neue Magazinbau ist auf Grundlage von Sicher-heitsvorschriften in verschiedene Abteilungen gegliedert.Die Mehrheit der Depoträume hat eine Fläche von 204 m2.Die gesamte Depotkapazität des Stadtarchivs beträgt 1300m2. In einem einzigen Depot von 204 m2 können fast zweilaufende Kilometer Archivmaterial untergebracht werden.Neben den Aktenbeständen verwaltet das Stadtarchivnatürlich auch eine umfangreiche Sammlung von Büchern,Zeitschriften und Periodika, deren Verwahrungsansprüchekeine anderen sind als für papierene Aktenbestände. Das-selbe gilt für zehntausende Zeichnungen, Pläne, Stiche undKarten.

Einen besonderen Teil der Bestände bilden die Glasne-gative. Als Trägermaterial für Fotografien war Glas langeZeit der geeignetste Werkstoff. Dessen Nachteile sindnatürlich seine Zerbrechlichkeit und das große Gewicht.Die über 100.000 Glasnegative im Stadtarchiv Dordrechtreichen von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhun-derts. Solches Negativmaterial bleibt am besten bei einerTemperatur von etwa 4-5 Grad Celsius erhalten, Farbnega-tive sollten sogar bei einer Temperatur unter Null GradCelsius verwahrt werden. Im Allgemeinen lässt sichbehaupten, dass eine Temperaturabsenkung um 6 Grad dieLebensdauer von Fotonegativen jeweils verdoppelt. Derar-tige Glasnegative werden daher in einer speziellen Kühl-zelle verwahrt, in der etwa 4 Grad Celsius herrschen. Inden vergangenen Jahren wurde jedoch ein großer Teil die-ser Glasnegative digitalisiert, sodass sie nur noch seltenihre notwendigerweise kalte Umgebung verlassen müssen.

Eine andere wesentliche Überlieferungsschicht inner-halb der Lichtbildbestände bilden die Negative auf Acetat.Dieses Bildmaterial ist weder so fragil und schwer anGewicht wie die Glasnegative, noch ist es so instabil, che-misch aggressiv und leicht entflammbar wie das vonKodak entwickelte Zellulosenitrat. In den Kühlzellen desArchivdepots werden heute ausschließlich diese unge-fährlichen Acetat- und Polyesternegative aufbewahrt.Wegen der chemischen Bestandteile des Fotomaterials wer-den aber die Lichtbilder stets getrennt von sonstigenPapierdokumenten verwahrt, da sonst auch das Papier vonden fortwährenden fotochemischen Prozessen angegriffenwürde. Insgesamt befinden sich in den hiesigen Bildbe-ständen zwischen 40.000 und 50.000 Fotografien mit einerGesamtlaufzeit von 1845 bis heute.

Das neue Archivdepot wurde für den Schriftgutzu-wachs der kommenden 25 Jahre errichtet. Schon gegenwär-tig besteht aber die Möglichkeit einer künftigen Erweite-rung. Auf der Rückseite des neuen Gebäudes ist nämlichgenug Fläche für eine Vergrößerung auf weitere 25 Jahre.Man wird dabei jedoch im Auge behalten, dass das Papier-zeitalter langsam zu Ende geht und zunehmend durchdigitale Informationsträger ersetzt wird. Deren großer Vor-teil besteht darin, dass diese Datenaufbewahrung vielweniger Raum einnimmt, doch kommen auf die Archivebekanntlich ganz neue Bestandserhaltungsprobleme zu.

Dordrecht/RecklinghausenCharles Jeurgens/Matthias Kordes

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Slowakei

Stand des Informationssystems und die Archivarsausbil-dung in den Archiven der Slowakei

Staatliche Archive in der SlowakeiZu den Staatlichen Archiven in der Slowakei gehören fol-gende Institutionen: Das Slowakische Nationale Archiv,das Staatliche Bergbauarchiv, sieben weitere Staatsarchive,37 Nebenstellen der Staatlichen Archive und das Archivder Hauptstadt Bratislava (Pressburg). Bestandteil derArchiverfassung ist auch das Stadtarchiv von Kosice(Kaschau). All diese Archive verwalten, laut Stand zum31. Dezember 2004, 175.831,63 laufende Meter an Archiva-lien und 25.254 Archivfonds. Trotz der im Vergleich zuanderen europäischen Ländern eher kleinen Zahl anArchivalien und Archivfonds befinden sich in den slowa-kischen Archiven etliche wertvolle historische Dokumen-te, die von Forschern und Fachleuten aus der ganzenWelt genutzt werden. Zum Beispiel gibt es 45.425 Schrift-stücke und Urkunden aus der Zeit vor 1526, weitere118.304 Dokumente aus der Zeit nach 1526, des Weiteren988.824 Amtsbücher und ähnliche Dokumente. Die mei-sten Schriftstücke stammen aus der Staatsverwaltung, Ver-waltung und Selbstverwaltung.

Zum Stand des Informationssystems der Staatlichen Archive inder SlowakeiAuf das Informationssystem der Archive bezieht sich dasGesetz Nr. 395/2002 der Gesetzessammlung über Archiveund Registraturen sowie die Erklärung des Innenministe-riums der Slowakischen Republik Nr. 628/2002 der Geset-zessammlung. Zum Archiv-Informations-System gehörenerstens die Erfassung des archivischen Erbes und zweitensdie archivischen Hilfsmittel wie verschiedene Führer,Inventare, Kataloge oder Register. In der Slowakei gibt eskeine längere Geschichte der Bereitstellung von Informa-tionen über Archive und aus Archiven im Internet. Den-noch sind schon große Fortschritte gemacht worden, umdas slowakische Archivwesen dem der EuropäischenUnion und der Welt anzuschließen.

In der Slowakischen Republik ist das Informationssy-stem der Staatsarchive dem Innenministerium und zwarseiner Abteilung für Archive und Registraturen in Bratis-lava zugeordnet. Im Jahre 1996 begann der Aufbau einerelektronischen Beständeübersicht, die drei Mal erweitertwurde und jetzt für den Einsatz bereit steht. In den letztenJahren wurde auch das Projekt der Bereitstellung vonarchivischen Hilfsmitteln wie Inventaren, Katalogen undRegistern im Internet vorbereitet. Das slowakische Archiv-wesen muss diesbezüglich zwei wichtige Fragen lösen.Einerseits die Digitalisierung von ca. 4000 schon vorhan-denen Archivhilfsmitteln, die gesammelt im Innenministe-rium in der Abteilung für Archive und Registraturen vor-liegen, und andererseits die Bereitstellung von neuenArchivhilfsmitteln in elektronischer Form.

In den letzten Jahren wurden alle staatlichen Archivemit moderner technischer Einrichtung ausgestattet, so dassalle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewältigung dergegebenen Aufgaben geschaffen wurden. Bei ihrer Arbeitbauen die slowakischen Archivare auf die Erfahrungenihrer tschechischen Kollegen, wo bereits Erfahrungen mitDigitalisierungsprojekten vorliegen. Das System wird

durch die tschechische Firma Bach Systems, s.r.o. betreutund das angewendete System PRO ARCHIV beinhaltetspezielle Programme zur Verarbeitung von Dokumenten,Inventaren, Karten und Bibliotheksbeständen, sowie zurvorarchivischen Pflege. 2006 startete auch ein Programmzur Katalogisierung von Handschriften und Urkunden.

Mehrere slowakische Archive benutzen an ihrem Stand-ort das Intranet, das den Forschern einen Zugang zu Infor-mationen in digitaler Form zumindest vor Ort ermöglicht.Die zentrale Internetseite des staatlichen Archivwesens inder Slowakei ist die Seite des Innenministeriums –www.civil.gov.sk. Eine eigene Adresse hat auch das Slowa-kische Nationale Archiv – www.civil.gov.sk/snarchiv, desWeiteren das Staatliche Archiv in Bratislava (Pressburg) –www.civil.gov.sk/arch/saba und das Staatliche Archiv inBanská Bystrica (Neusohl) – www.archivneusohl.sk. Nurin slowakischer Sprache wird die Internetseite des Verban-des der slowakischen Archivare – www.archivar.sk ange-boten.

Wie es scheint, haben die slowakischen Archivare nochvieles nachzuholen. Eine Erklärung für den langsamerentechnischen Prozess in der Slowakei ist die Tatsache, dassdie Archivare nach der Sanften Revolution von 1989 bei dergeschichtlichen Bewältigung der jüngeren Vergangenheitbehilflich waren. Ihre Arbeit konzentrierte sich auf ver-schiedene administrative Tätigkeiten, in den letzten Jahrenverstärkt auf die vorarchivische Pflege gemäß dem neuenGesetz, was die Bearbeitung einer riesigen Menge anDokumenten von juristischen und natürlichen Personenbedeutete. Leider wuchs die Anzahl der Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter kaum an, während sich die Zahl derDokumente ungleich vervielfachte. Wir glauben aber, dassdie nächsten Jahre mehr Zeit für die Zugänglichmachungder Archivdokumente bringen und die slowakischenArchive so ihren Beitrag für das Archivwesen in Europaleisten können.

Die Archivarsausbildung in der SlowakeiDie systematische Archivarsausbildung begann in der Slo-wakei in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Ausbil-dung der Archivare ist auch deshalb sehr wichtig, weil dieslowakischen Archive über relativ kompakte Archivbe-stände vom 13. Jahrhundert bis in die Gegenwart verfügen.Die erste Institution, die Archivare ausbildete, war dieComenius-Universtät in Bratislava (Univerzita Komenské-ho v Bratislave). Das Studium des Archivwesens am Lehr-stuhl für slowakische Geschichte und Archivwesen dauertdort fünf Jahre. Das Gewicht wurde vor allem auf dieHistorischen Hilfswissenschaften und die Sprachvorberei-tung – Latein, Deutsch, Ungarisch – gelegt, auf jene Spra-chen also, die für das Verständnis der vor 1918 entstande-nen Archivalien erforderlich waren. Die Universität hat imArchivarsstudium viele qualifizierte Archivare und Histo-riker, vor allem für den älteren Zeitabschnitt, ausgebildet.Aufgrund des vorhandenen Bedarfs wurden vor einigenJahren das Studium an der Universität und das Fachgebietder Geschichte erweitert. In der Gegenwart ist es möglich,das Archivwesen als einzelnes Fach oder in Verbindungmit anderen Disziplinen zu studieren. Großen Zulauf hatdas Studium des Archivwesens in Verbindung mit der eng-lischen und der französischen Sprache. Die Absolventendieser Fächerkombinationen haben auf dem Arbeitsmarktgute Chancen, insbesondere in den staatlichen Behörden

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und den ausländischen Vertretungen in Bratislava. Daranist die hervorragende Qualität der Archivarsausbildung ander Comemius-Universität erkennbar. An der Universitätkann Archivwesen auch im Fernstudium neben dem Berufstudiert werden.

Die zweite Hochschule ist die Universität Presov, an derman seit 1991 das Fach „Archivwesen“ studieren kann. DieEntstehung dieses Faches folgte einer praktischen Notwen-digkeit. Hier werden Archivangestellte für die staatlichenBezirks- und Kreisarchive ausgebildet. Viele Absolventender Comenius-Universität entscheiden sich wegen der bes-seren beruflichen und finanziellen Chancen für eine Kar-riere außerhalb des Archivwesens. Das Studium des

Archivwesens in Verbindung mit dem Fach Geschichtedauert an der Universität Presov fünf Jahre. Die Bedingun-gen für die Neueinrichtung eines Archivstudiums warendort sehr günstig, weil man auf eine schon seit Jahrzehn-ten erfolgreich arbeitende Sektion für Geschichte aufbau-en konnte. Die Sprachausbildung der angehenden Archi-varinnen und Archivare wird von den dortigen Lehrstüh-len für Sprachausbildung übernommen. Den Unterricht inHistorischen Hilfswissenschaften geben Absolventen derComenius-Universität, die ungarische Sprache unterrichtetein ungarischer Lektor. Auch in Presov hat man mit derEinrichtung eines Fernstudiums begonnen.

Poprad Zuzana Kollárová

Literaturbericht

Archivnachrichten Niedersachsen – Mitteilungenaus niedersächsischen Archiven. Hrsg. von derArbeitsgemeinschaft niedersächsischer Kommunalar-chivare e.V. und dem Niedersächsischen Landesarchiv.Heft 1/1997 – Heft 9/2005.

Ein Jubiläum steht kurz bevor: Im Frühjahr 2007 wird das zehn-te Heft der Archiv-Nachrichten Niedersachsen erscheinen, Anlassgenug, das Publikationsorgan für die niedersächsischen Archivebereits jetzt, unmittelbar vor seinem 10. Geburtstag, einer kriti-schen Würdigung zu unterziehen.

1997 erscheinen erstmalig die „ANKA-Nachrichten – Mitteilun-gen aus den Archiven vor Ort“, so der Titel für die erste Ausgabe.Später herausgebracht als erhofft, dafür auch erheblich umfangrei-cher, ist es das zweite größere Projekt der Arbeitsgemeinschaftnach der Veröffentlichung des Handbuchs der niedersächsischenKommunalarchive, nachdem das Landespublikationsorgan„Archive in Niedersachsen“ längere Zeit nicht erschienen war. ImGeleitwort des damaligen Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaftniedersächsischer Kommunalarchivare e. V. Dr. Jürgen Bohm-bach vom Stadtarchiv Stade heißt es dazu: „ Beide [Handbuchund ANKA-Nachrichten] fallen in eine Zeit, die die meisten kom-munalen Archive vor neue Probleme stellt, der Selbstbehauptungtrotz dramatischer finanzieller Engpässe, des Überlebens inner-halb einer umfassenden Neuorganisation der kommunalen Ver-waltungen.“ Die Bildung regionaler Arbeitsgruppen innerhalb derANKA ist die Folge, allgemein zugänglichen Informationen durchein regelmäßig erscheinendes Publikationsorgan wird eine großeBedeutung beigemessen. Das Redaktionsteam bestehend aus Dr.Karljosef Kreter (Stadtarchiv Hannover) und Rose Scholl (Stadt-archiv Garbsen) konkretisieren im „Editorial“ Zielrichtung undAufbau des neu geschaffenen Publikationsorgans: „Die ANKA-Nachrichten wollen ein Kontaktorgan für Neuigkeiten, Informa-tionen und Anregungen aus den Regionen im Land sein. Sie kön-nen aber nur ein lebendiges Organ der Archivare in Niedersach-sen sein, wenn es genug Kolleginnen und Kollegen gibt (gleich-gültig ob ANKA-Mitglied oder nicht), die ihre Meinung in diesemOrgan artikulieren. Die ANKA-Nachrichten sollen allen archivischArbeitenden im Lande ein Forum bieten.“ Die Publikation verfolgtdas Ziel, nicht nur die Beiträge der ANKA-Tagungen im Wortlautund Vereinsnachrichten abzudrucken, sondern unter der Rubrik„aktuell und interessant“ weitergehende informative Beiträge zuveröffentlichen, so dass sich als Gesamtbild eine „bunte Mischungaus Sachbezogenheit und subjektiveren Darstellungsformen“ergibt. Erste Zweifel deuten sich allerdings bereits an, ob es mög-lich sein werde, eine regelmäßige Erscheinungsweise, die drin-gend notwendig wäre, unter finanziellen und personellen

Gesichtspunkten – die Tätigkeit für die ANKA fußt auf rein ehren-amtlichem Engagement der Vereinsmitglieder - zu gewährleisten.Darüber hinaus ist fraglich, ob die Publikation auch zukünftigkostenlos abgegeben werden kann.

Heft 2 erscheint, allerdings mit maßgeblichen Veränderungen.Die niedersächsische Archivverwaltung kommt als Mitherausge-berin hinzu. „Umso mehr freut es uns, dass sich bereits in dieserzweiten Nummer auch die staatliche Archivverwaltung an die-sem neuen Mitteilungsblatt gleichberechtigt mit Beiträgen (undauch finanziell) beteiligt. Dies ist für mich ein weiterer Beleg fürdie erfreuliche, problemlose, selbstverständliche Zusammenarbeitmit der Leitung der staatlichen Archivverwaltung in Niedersach-sen, die sich in den vergangenen Jahren gezeigt hat“, so Bohm-bach im Geleitwort zur zweiten Ausgabe. Die partnerschaftlicheZusammenarbeit bei der Herausgabe der Archivzeitschrift ist fürden Leiter der Staatlichen Archivverwaltung in Niedersachsen,Otto Merker, ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg derspartenübergreifenden Zusammenarbeit der Archive in Nieder-sachsen in schwierigen Zeiten. Eine Veränderung des Publikati-onstitels ist unvermeidlich: Die „ANKA-Nachrichten – Mitteilun-gen aus den Archiven vor Ort“ weichen den „Archiv-Nachrich-ten Niedersachsen – Mitteilungen aus niedersächsischen Archi-ven“. Das bestehende Redaktionsteam wird um Dr. Birgit Kehnevon der Niedersächsischen Archivverwaltung erweitert. Nachdem Ausscheiden von Dr. Kreter liegt die Redaktion seit Heft4/2000 bis heute in den bewährten Händen von Birgit Kehne undRose Scholl. Die kostenlose Abgabe lässt sich nicht, wie zunächsterhofft, realisieren. Ab Heft 2/1998 wird die Jahrespublikationzum äußerst moderaten Preis von 10,- DM (bzw. 6 € ab Heft5/2001) abgegeben. Vermutlich aus finanziellen Gründen inte-grieren die Herausgeber ab Heft 7/2003 in geringem Umfangfachbezogene Werbeanzeigen. Das Layout bleibt zunächst weit-gehend unverändert. Der Wechsel zu einer neuen Druckerei wirdzum Anlass genommen, die Umschlaggestaltung zu modernisie-ren. Heft 6/2002 präsentiert sich, sicherlich unabhängig von derFarbgestaltung des Archivar in einem Grünton.

Im Zuge der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischender Arbeitsgemeinschaft der niedersächsischen Kommunalarchi-vare e.V. und der niedersächsischen Archivverwaltung (ab Heft8/2004 Niedersächsisches Landesarchiv nach Umorganisation)festigt sich zunehmend das Gliederungsschema der Publikation:Bericht und Wortbeiträge der ANKA-Tagung – Aus der Arbeit derArchive – ANKA-Angelegenheiten – Aktuell und interessant –Bekanntmachungen und Termine – Das letzte zum Schluss (Ver-leihung der „Rostigen Büroklammer“ für die „systematische Ver-nichtung archivischer Überlieferung“, letztmalig in Heft 7/2003).

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Entsprechend des selbstformulierten Anspruchs, die neuenArchiv-Nachrichten Niedersachsen zu einem „breiten Diskussi-onsforum“ und zu einer „Nachrichtenbörse für das niedersächsi-sche Archivwesen“ (Bohmbach, Heft 2) zu entwickeln, gestaltetsich die inhaltliche Ausrichtung der Archiv-Nachrichten. Im Fol-genden sollen die Hefte 5 bis 9 schlaglichtartig vorgestellt werden.

Heft 5/2001 dokumentiert durch zahlreiche abgedruckte Wort-beiträge die ANKA-Tagung 2001 in Stade, die unter dem Rahmen-thema „Schriftgut der NS-Zeit: Fragen der Überlieferungssiche-rung und Bewertung“ stand. Ein breites inhaltliches Spektrumfindet sich in den Beiträgen wieder: u. a. Vorstellung von Quellenzum kommunalen Gesundheitswesen (Cornelia Regin) und vonAkten der Oberfinanzdirektion Hannover als Quellen zurGeschichte von Juden (Marlis Buchholz). Das aktuelle ThemaZwangsarbeit im Nationalsozialismus wird für den GroßraumHannover und den Landkreis Dannenberg (Claus Füllberg-Stolberg) und die Lüneburger Heide (Nils Köhler) dargestellt.Jürgen Bohmbach beleuchtet als Gastgeber der Tagung die Ent-wicklung des Kreises und der Stadt Stade im Nationalsozialismus.Detlef Garbe berichtet vom KZ Neuengamme, der Gedenkstätteund der Bewahrung der Erinnerung. Unter der Rubrik „Aus derArbeit der Archive“ befasst sich Brage Bei der Wieden auf-grund eines konkreten Anlasses mit der Abgrenzung von Archi-ven und Sammlungen, die bei Fachfremden, denen das Prove-nienzprinzip der Archive fremd ist, immer wieder zu irrigenAnnahmen und Handlungsweisen führt. Das anvisierte Schwer-punktthema „Archivierung von Schulunterlagen“, das für Archi-ve, nicht nur in Niedersachsen, nach wie vor ein zentrales undsicherlich noch nicht überall hinreichend gelöstes Thema ist, wirddurch zwei Praxisbeispiele aus dem Landkreis Cuxhaven (JuliaKuhnt) und dem Stadtarchiv Göttingen (Rolf Lohmar) veran-schaulicht. Vorab erläutert Birgit Kehne den zugrunde liegendenRunderlass des niedersächsischen Kultusministeriums in seinenGrundzügen. Die Rubrik „Aktuell und interessant“ bietet inErgänzung der Fachbeiträge der ANKA-Tagung nochmals prak-tische Hinweise zur Verfahrensweise bei der Entschädigung vonZwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, ein Thema, das vieleKommunalarchivarinnen und -archivare zu dieser Zeit intensivbeschäftigt. Ein Statusbericht zum Thema Übernahme von AOK-Unterlagen erläutert die Verfahrenweise, auf die sich die Beteilig-ten geeinigt haben. Die Vorreiterrolle der niedersächsischen Kom-munalarchive sei an dieser Stelle nochmals positiv hervorgeho-ben. Daraufhin initiierte das Westfälische Archivamt auch in West-falen-Lippe entsprechende Aktivitäten. Eine kritische Würdigungdes ersten, vom Verband deutscher Archivarinnen und Archivee.V. initiierten Tages der Archive verbunden mit Erfahrungsbe-richten zeigt die grundsätzliche Bereitschaft der Archive in Nie-dersachsen, dieses Projekt auch künftig aktiv zu unterstützen.

Die ANKA-Tagung 2002 in Hameln ist in Heft 6/2002 doku-mentiert. Das Rahmenthema „Archive als Dienstleister in derInformationsgesellschaft“ erfreut sich bis heute einer großenAktualität. Schwerpunktmäßig werden Fragen der Öffentlich-keitsarbeit sowie der historischen Bildungsarbeit und Archivpäd-agogik im Besonderen praxisnah an Beispielen erörtert. Eineninteressanten Überblick über die Archivpädagogik in Deutsch-land bietet Katharina Hoffmann von der Universität Oldenburg.Die Bedeutung des Internets als neues Medium für die Archivewird am Beispiel des Stadtarchivs Göttingen (Ernst Böhme) erör-tert. Dass das Thema nicht ohne die dringende Klärung vonRechtsfragen abgehandelt werden kann, zeigen die Beiträge„Archive und Urheberrecht“ (Gerhard Pfennig) und „Was bringtdas neue Informationszugangsgesetz?“ (Jürgen Bohmbach). DerThemenkomplex „Archive und Schule“ wird aus archivpädago-gischer Sicht behandelt (Andrea Baumert/Stefan Kießler/Karl-Heinz Schneider: Geschichts@tlas; Wolfgang München-hagen: Regionalgeschichte im Unterricht). In Ergänzung desHeftes 5 folgen weitere archivfachliche Beiträge, zur Überliefe-rungsbildung des Ulricianum in Aurich (Wolfgang Henninger)und zum schulgeschichtlichen Quelleninventar im StaatsarchivAurich (Stefan Pötzsch). Die Rubrik „Aktuell und interessant“enthält u. a. Beiträge über die Zusammenarbeit von Archiven imLandkreis Harburg, über Testamente als wichtige Quellen zur

Geschichte der Juden, über den Erwerb eines Architektennachlas-ses durch das Stadtarchiv Garbsen mit wichtigen Quellen zurbebauten Ortsgeschichte. Nicht immer gelingt es, die Leserschaftso zu motivieren, dass konzeptionelle Neuerungen umgesetztwerden können. Aufgrund mangelnder Meldungen entfälltzunächst die Bibliographie der Veröffentlichungen niedersächsi-scher Archive. Das Informations-Forum bleibt für 2002 ungenutzt.

Die ANKA-Tagung 2003 in Oldenburg ist in Heft 7/2003 doku-mentiert. Das Rahmenthema „Bedrohte Erinnerungen – Kommu-nalarchive und die Sicherung des historischen Erbes“ befasst sichu. a. mit technischen Fragen der Aufbewahrung und Erhaltungvon Archivgut (Manfred Anders, Birgit Geller, Rickmer Kieß-ling), mit Fragen der Familienforschung (Ludwig Remling, UlfBollmann) sowie Aufgaben und Arbeiten der Ortsheimatpfleger(Dagmar Kleineke). Erfreulicherweise erscheint als Tagungsbei-trag ein ausführlicher kritischer Beitrag über den 1998 geschaffe-nen Ausbildungsberuf zu Fachangestellten für Medien- und Infor-mationsdienste (Michael Schütz). „Aus der Arbeit der Archive“wird u. a. über „digitale Karten“ (Hans-Martin Arnoldt), überdas Datenbankprojekt für Nachlässe Kalliope (Karljosef Kreter)und über die Erschließung der Wasserbaubestände des Staatsar-chivs Stade (Christian Hoffmann) berichtet. Für die Rubrik„Aktuell und interessant“ erhielt die Redaktion zwei Angeboteaus umliegenden Bundesländern, aus Nordrhein-Westfalen einBeitrag zu kommunalarchivischen Arbeitsgemeinschaften undaus Hessen einen Hinweis auf ein Online-Findbuch aus demArchiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel. Das Internet alsInformationsforum gewinnt zunehmend an Bedeutung. Der Bei-trag von Sabine Graf informiert über die Mailing-Liste GESCH-NDS-INFO. Anregungen für neue Rubriken aus der Mitglied-schaft werden aufgenommen: Unter „Nachlese(n)“ sollen künftigwichtige Publikationen vorgestellt werden. „Leser fragen – wirantworten“ ist als Forum des fachlichen Austauschs gedacht. Zumumfassenden Informationsauftrag zählt ebenfalls der Abdruckder BKK-Empfehlung zur „Archivierung und Nutzung digitalerUnterlagen in Kommunalarchiven“.

„Gewinner oder Verlierer – Die Archive und die Reform derkommunalen Verwaltung“, so lautet das Rahmenthema derANKA-Tagung 2004 in Diepholz, die in Heft 8 dokumentiert ist.Das Themenspektrum ist umfassend: u. a. Migration und Integra-tion in Niedersachsen seit dem 2. Weltkrieg (Jochen Oltmer), Ver-änderungen der Arbeits- und Dokumentationspraktiken in kar-tenproduzierenden Verwaltungszweigen (Ulrike Stampa-Weßel), Ansätze und Perspektiven des E-Government (HelmutSchmidt), Modelle kommunaler Zusammenarbeit: Die Archiv-gemeinschaft Schwarzenbek (William Boehart), Kommunalar-chiv Minden als Verbundarchiv (Monika Schulte), Niedersäch-sische Archivverwaltung und die neuen Organisationsmodelle(Bernd Kappelhoff). Archivfachliche und quellengeschichtlicheBeiträge runden in gewohnter Weise die Dokumentation derANKA-Tagung ab. In der Rubrik „ANKA-Angelegenheiten fälltneben der Veröffentlichung eines weiteren Positionspapiers derBKK „Das Kommunalarchiv“ insbesondere der Abdruck der„Diepholzer Erklärung“ auf. Angemessene Kostenerstattung beiÜbernahme kommunalen Archivgutes in die Staatsarchive sowiedie durch die Archivverwaltung präzisierte Auslegung des § 7 desniedersächsischen Archivgesetzes, die die Kommunen verpflich-tet, ihr Archiv kontinuierlich an einem geeigneten Ort mit quali-fiziertem Personal zu sichern, werden von der ANKA nachdrück-lich begrüßt. Ob vor dem Hintergrund der finanziellen Lage derkommunalen Haushalte tatsächlich vor Ort eine Qualitätsverbes-serung eintreten wird, bleibt abzuwarten. Die Veröffentlichungeines Erfahrungsberichtes in den nächsten Jahren wäre zu begrü-ßen.

Das Rahmenthema der ANKA-Tagung 2005 in Lingen widmetsich dem Thema „Pflicht oder Kür – Archivische Pflichtaufgabencontra historische Bildungsarbeit“ (Heft 9/2005). In seinem Ein-führungsvortrag formuliert Prof. Dr. Karl H. Schneider von derUniversität Hannover die Wünsche und Anforderungen von For-schung und Lehre an die Archive. Die abgedruckten Beiträgebefassen sich schwerpunktmäßig mit den archivischen Pflichtauf-gaben, speziell mit dem Thema Bewertung, mit Erfahrungen und

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Perspektiven allgemein (Karljosef Kreter), mit der Bewertungbestimmter Quellengattungen wie Personalakten (Rose Scholl),Schulakten (Michael Schütz), Krankenunterlagen (CorneliaRegin), mit der Bewertung von Unterlagen im Ressort des Nie-dersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport. Darüber hin-aus stellt Ingo Wilfling Ergebnisse einer Fragebogenaktion zumThema Bewertung vor, die er bei ehrenamtlich tätigen Mitarbei-tern in Kommunalarchiven durchgeführt hat. Leider bleiben dieAuswertung und damit die Beurteilung der Ausgangsthese, esgebe wesentliche Qualitätsunterschiede zwischen hauptamtlichund ehrenamtlich Tätigen, der Leserschaft selbst überlassen. DieNutzung digitaler Technik ist erneut Thema: Erfahrungen bei derEinführung eines Dokumentenmanagements bei der Stadt Buxte-hude (Bernd Utermöhlen), digitale Kulturgutsicherung mit Ein-Euro-Jobs (Karl-Ernst Bungenstab), Langzeiterfahrungen miteinem digitalen Archiv (Hans-Reinhard Fricke). Ausführungenüber Archivdidaktik in Wolfsburg (Birgit Schneider-Bönnin-ger) sowie die Vorstellung von Ausstellungsprojekten (EkkehardJust/Martina Jung) bilden die „Kür“. „Aus der Arbeit der Archi-ve“ berichtet u. a. Gerd Steinwascher über die Folgen der Auf-lösung der Bezirksregierungen für das Niedersächsische Landes-archiv am Beispiel Oldenburg, Hans-Martin Arnoldt über Nor-mung im Bereich Schriftgutverwaltung, Nicolas Rügge übernützliche Internetangebote, Karl-Heinz Grotjahn über den Wertländlicher Pfarrarchive, eine gute Möglichkeit, die spartenüber-greifende Diskussion in den Archiv-Nachrichten zu fördern. ZumSchluss wie immer „Aktuelles“: u. a. iznAIDA-online – die Daten-bank des Niedersächsischen Landesarchivs, Bedingungen fürEin-Euro-Jobs in Archiven. Das Heft bietet eine große thematischeBandbreite, die sich auch quantitativ niederschlägt. Mit rund 170Seiten gehört die Nr. 9 nach 2001 zu den umfangreichsten Heften.

Die Archiv-Nachrichten Niedersachsen mit den bisher erschie-nenen 9 Jahresbänden werden voll und ganz dem selbst gesteck-ten Anspruch gerecht, ein lebendig gestaltetes Forum für dieArchive zu sein, ein Organ für Neuigkeiten, Informationen undAnregungen, das immer wieder die Zusammenarbeit mit denKolleginnen und Kollegen im Land sucht, um nicht den Bezug zurPraxis zu verlieren. Dabei gibt es kaum ein Themenfeld, das inden letzten Jahren nicht behandelt wurde. Das Spektrum der Bei-träge ist weit gefasst: Lokal- bzw. Regionalgeschichte und Quel-lenkunde, klassische Archivaufgaben wie Bewertung undErschließung, Fragen des Bestandsschutzes, Archivrecht, histori-sche Bildungsarbeit, Öffentlichkeitsarbeit im weitesten Sinne,Einsatz digitaler Medien und seine Auswirkungen auf die archi-vische Arbeit, Verwaltungsreform, Fragen der Aus- und Weiter-bildung sowie aktuelle Fragestellungen wie etwa der Einsatz vonEin-Euro-Kräften etc. Die Stärke der Publikation liegt in theore-tisch fundierten Beiträgen, die praxisnah und zielgruppenorien-tiert vermittelt werden. Die Entscheidung der ANKA und der nie-dersächsischen Archivverwaltung, ab Heft 2 spartenübergreifendden Weg gemeinsam zu gehen, kann nur als bereichernd für diePublikation angesehen werden. In den vergangenen knapp zehnJahren muss man feststellen, dass die Archiv-Nachrichten„erwachsener“, vielleicht auch „ernster“ geworden sind. Humo-ristische Elemente sind rar geworden. Die Sparte „Leser fragen –wir antworten“ findet keinen regelmäßigen Zuspruch, was beieinem Jahrbuch sicherlich auch nicht verwundert. Der Sache tutes aus meiner Sicht keinen Abbruch, von einem spröden Amts-blatt sind die Archivnachrichten weit entfernt! Ein großes Lobgebührt dem eingespielten Redaktionsteam Birgit Kehne undRose Scholl, denen es mit großem Engagement immer wiedergelingt, qualitativ gute und sorgfältig gearbeitete Jahrespublika-tionen herauszugeben. Es bleibt zu wünschen, dass die Archiv-Nachrichten Niedersachsen als fester Bestandteil in der archivi-schen Fachliteratur weit über die Grenzen Niedersachsens hinauswahrgenommen werden. Wer (noch) nicht zum Kreis der Abon-nenten zählt, hat seit dem Heft 6/2003 die Möglichkeit, auf derHomepage der ANKA unter www.anka-online.net die Hefte her-unter zu laden.

Münster Katharina Tiemann

Ein badisches Intermezzo? Die MarkgrafschaftBaden-Baden im 18. Jahrhundert. Festgabe für HerwigJohn. Hrsg. von Rainer Brüning und Clemens Rehm.Verlag Förderverein des Generallandesarchivs Karlsru-he e.V., Karlsruhe 2005. 60 S., zahlr. farb. Abb., brosch.10,- €.

Wenn Archivare, Historiker oder dergleichen einem verdientenKollegen zu seiner Verabschiedung in den Ruhestand einGeschenk machen wollen, dann tun sie dies gerne in Form einerFestschrift. Darin werden dann nicht nur die Verdienste des zuWürdigenden dargestellt, sondern zugleich auch die besonderenFähigkeiten der Laudatoren ins rechte Licht gerückt. Von diesemSchema hebt sich die Festgabe wohltuend ab, die einige im GLAKarlsruhe tätige Archivarinnen und Archivare (Kurt Ander-mann, Peter Exner, Konrad Krimm, Jutta Krimm-Beumann,Volker Rödel und Martin Stingl), angeführt von Rainer Brüningund Clemens Rehm, dem 2005 in Pension gegangenen HerwigJohn bereitet haben. Dass der Band eine „Festschrift“ sein soll,zeigt sich nur im Titel (nicht aber auf den Umschlagseiten) sowieam Ende der von den Herausgebern geschriebenen Einleitung.Von den – unbestreitbar großen – Verdiensten Herwig Johns istnicht die Rede, und auch die Verfasser der Beiträge verbergen sichbescheiden hinter ihren erst im nachgestellten Autorenverzeich-nis aufgelösten Initialen. Gleichwohl lassen sich unschwer Verbin-dungslinien zu Herwig John und seinem Wirken ziehen: Mit der(katholischen) Markgrafschaft Baden-Baden hat er sich in derKarlsruher Zeit seines Berufslebens immer wieder beschäftigt,bildliche Quellen hatten es ihm besonders angetan – man denkenur an seine langjährige Tätigkeit als „Wappenexperte“, dem somanche Kommune im nicht schwäbischen Teil Baden-Württem-bergs ein sinnvolles und heraldisch korrektes Wappen zu verdan-ken hat –, und schließlich war es ihm stets ein Anliegen, archivi-sche Quellen so zum Sprechen zu bringen, dass auch fachlicheLaien sie zu verstehen vermochten. Einen archivdidaktischenAnsatz verfolgt auch die mit vielen farbigen Abbildungen sehransprechend aufgemachte Broschüre. Jeder der lediglich eineTextseite umfassenden 24 Beiträge geht aus von einer als ganzsei-tige Abbildung wiedergegebenen Quelle – „seien es Urkunden,Handschriften, Akten, Karten und Baupläne, Bilder und Wappensowie Druckschriften“ (S. 5) – und erläutert sie, ergänzt durchzusätzliche Abbildungen oder vergrößert dargestellte Details.Diese Art der Aufbereitung und auch die von den Autoren fastdurchweg verwendete allgemeinverständliche und auf „Fachchi-nesisch“ zumeist verzichtende Sprache erinnern an die in denbaden-württembergischen „Archivnachrichten“ seit vielen Jahrenüblichen Quellenpublikationen. In der Tat animieren die Beiträgedurchaus dazu, sich einmal etwas näher mit „einem vernachläs-sigten Teil der badischen Landesgeschichte“ (S. 5) zu beschäftigen,und die Vielfalt der angerissenen Themen zeigt eine Fülle vonunterschiedlichen Ansätzen und Herangehensweisen auf. Die imUntertitel avisierte zeitliche Begrenzung auf das 18. Jahrhundertwird nicht streng durchgehalten, was dem Ganzen freilich keines-wegs zum Nachteil gereicht. Eingeteilt sind die 24 Beiträge in jeacht zu den Bereichen „Herrschaft und Dynastie“, „Wirtschaftund Gesellschaft“ sowie „Kirche und Kultur“ – dass diese Eintei-lung nur recht unscheinbar in den Kolumnentiteln kenntlichgemacht wird, lässt über die bisweilen etwas willkürlich erschei-nende Zuordnung umso leichter hinwegsehen. Schön ist, dassKirche und Kultur, wenn auch vielleicht nur wegen des erforder-lichen Parallelismus’ bei den Titeln, gleichgestellt sind – was janicht von jedermann so gesehen wird –, und dass das katholischeProprium der Markgrafschaft Baden-Baden nicht ausschließlichunter Betonung der (angeblichen oder tatsächlichen?) Rückstän-digkeit der Katholiken dargestellt wird, fällt angenehm auf. Ein-zelne kleinere redaktionelle Versehen schließlich (z. B. S. 47„Gegenbach“ statt „Gengenbach“) – war in der Schlussphase derEntstehung vielleicht der Zeitdruck etwas zu groß? – trüben dasrundum positive Gesamtbild nicht wesentlich.

Freiburg Christoph Schmider

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Bayerisches Hauptstaatsarchiv. Reichskammerge-richt. Bd. 10: Nr. 3884-4491 (Buchstabe G). Bearb. v.Manfred Hörner. Generaldirektion der StaatlichenArchive Bayerns, München 2003. X, 918 S., brosch.26,60 €.(Inventar der Akten des Reichskammergerichts, Nr. 19.Bayerische Archivinventare, Bd. 50/10)

In dem anzuzeigenden Band ist die Verzeichnung der im Bayeri-schen Hauptstaatsarchiv München befindlichen Reichskammer-gerichtsakten nach bewährtem Muster fortgeführt worden. Her-vorzuheben ist einmal mehr die im Vergleich zu den anderenRepertorien der Inventarreihe „Reichskammergericht“ unge-wöhnliche Erschließungsintensität. Die Darin-Vermerke enthalteneine Vielzahl an Hinweisen auf Urkunden, Zeugenverhöre, Pro-tokolle von Inaugenscheinnahmen und andere Quellen wie Rit-terschaftsmatrikel etc.

Unter den Buchstaben G fallen u. a. Prozesse verschiedenerfränkischer Adelsfamilien wie von Giech und von Guttenberg.Für die Reichsgeschichtsforschung von besonderem Interessesind diverse Verfahren, die die fränkischen Dörfer Gochsfeld undSennfeld gemeinsam um ihre Reichsunmittelbarkeit führten.Allein in den 1590er Jahren entstanden vor diesem Hintergrund26 Prozessakten, in denen zumeist das Hochstift Würzburg undzugehörige Beamte als Gegner aufgeführt wurden. Gegenstandder Klagen der Reichsdörfer waren Eingriffe in die Zentgerech-tigkeiten, Verhaftungen von Dorfbewohnern und Versuche seitensder Würzburger Fürstbischöfe, Pfarrer einzusetzen und die Kir-chengerichtsbarkeit in den protestantischen Dörfern auszuüben.Noch in den 1710er Jahren waren die kirchenrechtlichen FragenGegenstand von Reichskammergerichtsverfahren, in denen dieReichsdörfer sich nunmehr auch auf das im Westfälischen Friedenbestimmte Normaljahr 1624 stützten.

Darüber hinaus enthält der verzeichnete Bestand einen Pro-zess, der im Vorfeld der so genannten Grumbachschen Händelanzusiedeln ist: Es ging hierbei um den Versuch Wilhelms vonGrumbach, mithilfe des Reichskammergerichts eine Restitutionseiner Güter zu erwirken, die ihm im Markgräflerkrieg 1553 anseine Feinde verloren gegangen waren. Diese, die Fürstbischöfevon Bamberg und Würzburg, rechtfertigten die Besitzspoliationhingegen mit Grumbachs Parteinahme und Unterstützung des indie Acht gefallenen Markgrafen Albrecht Alcibiades von Branden-burg-Kulmbach. Der Prozess wurde bis 1563 fortgeführt, jenemJahr, in dem es Grumbach vorübergehend gelang, Würzburg zubesetzen und den Fürstbischof Melchior Zobel von Giebelstadtnach Fehderecht zur Einwilligung in seine Forderungen zu bewe-gen. Die im gleichen Jahr gegen Grumbach ausgesprocheneReichsacht sollte letztlich zu dessen Gefangennahme wie auch sei-ner Hinrichtung zu Gotha führen. Anhand der Prozessakten las-sen sich unter anderem die Korrespondenzen zwischen Wilhelmvon Grumbach und Markgraf Albrecht Alcibiades in den 1550erJahren beleuchten.

Ausführliche Orts-, Personen- und Sachindices helfen, dasRepertorium für verschiedene historische Untersuchungsfelder,von der Rechtsgeschichte über die politische Geschichte zur Kul-turgeschichte, nutzbar zu machen. Wie schon in den Bändenzuvor, befinden sich zudem im Anhang jeweils ein Index der Vor-instanzen und der Reichskammergerichtsprokuratoren. Letztererkommt dem zunehmenden Wunsch seitens der Reichsgerichtsfor-schung entgegen, auch jene Juristen, die als Parteienvertreter vordem Reichsgericht operierten, genauer ins Blickfeld zu nehmen.

München Ralf-Peter Fuchs

Die Bestände des Landeshauptarchivs Schwerin.Band 3: Nichtstaatliches Archivgut und Sammlungen.Landeshauptarchiv Schwerin 2005. 438 S., geb. 30,- €.(Findbücher, Inventare und kleine Schriften des Landes-hauptarchivs Schwerin, Bd. 11)

Der Nutzen von Beständeübersichten ist für Archivbenutzer undfür Archivbedienstete gleichermaßen unbestritten, geben sie dochüber Vorhandensein, Umfang, Laufzeit und Benutzungsbedin-gungen schnell und umfassend Auskunft. Nicht zum wenigstenwird sich aber auch der archivarische Kollege mit großem Inter-esse nicht nur über die Inhalte – in diesem Fall eines der wichtig-sten norddeutschen Archive – informieren, sondern er ist auchneugierig auf Verzeichnungsgrad und Aufbau des Archivs. Wardieser Einblick für die Urkunden und Akten 1158 - 1945 (Bd. 1,1999) und das staatliche Schriftgut 1945-1990 (Bd. 2, 2002) des Lan-desarchivs schon möglich, wird jetzt in schneller Folge der 3. Bd.,enthaltend die Übersicht über das nichtstaatliche Archivgut unddie Sammlungen, vorgelegt. Wenn gemeinhin in Archiven häufigauch etwas stiefmütterlich behandelt, so bieten diese Materialiendoch unverzichtbare Angaben gerade über Bereiche, die demstaatlichen Zugriff sonst entzogen sind. Die hier ausgebreiteteVielfalt kann leider nur angedeutet werden: Unter „Wirtschaftund Verkehr“ findet man sowohl Schriftgut zu Zünften undInnungen (seit dem 15. Jh.), als auch zur Industrie, z. B. über dasKaliwerk Conow bei Lübtheen, den Flugzeugbau Ribnitz, aberauch Eisenbahnunterlagen, Papiere zu Banken, Landwirtschaftli-chen Krediteinrichtungen, Spar- und Brandkassen, Siedlungs-und Konsumgenossenschaften. Hierzu mag auch manches sich inden ebenfalls genannten umfangreichen Notariatsbeständen ver-bergen. Von besonderem Interesse ist jedoch die Überlieferungvon Massenorganisationen, wie Parteien, hier auch der SED, undzwar hier von den obersten Ebenen bis zu den Grundorganisatio-nen. Gewerkschaften, zahlreiche landwirtschaftliche Gruppie-rungen, politische Vereinigungen, die FDJ, vaterländische undpatriotische, sowie kulturelle und wissenschaftliche Vereinigun-gen u. a. sind zu finden. Relativ gering vertreten sind Stiftungenund Religionsgemeinschaften, vorhanden aber doch gerade wich-tiges Material des Israelitischen Oberrats und des Landesrabbi-nats von 1840-1938. Der Bereich der Nachlässe (vom 17. Jh. ab,aber mit Schwerpunkt im 19. und 20. Jh.) unterliegt, wie überall,der Zufälligkeit der Überlieferung, bietet aber z. B. doch Materi-al zu den Adelsfamilien Blücher, Bülow, Maltzahn, Oertzen undPentz. Für die deutsche Archivgeschichte interessant sein könn-ten die Papiere der bedeutenden mecklenburgischen Archivare,wie Grotefend, Lisch, Hamann, Stuhr, Wigger, aber auch von nam-haften Persönlichkeiten, wie z. B. v. Westfalen, Schlie, Masch,Meyenn, – leider häufig nur gering an Umfang. Hervorgehobenseien hier die Nachlässe des Staatsministers Adolf Langfeld (1854-1939) und des Gauleiters Friedrich Hildebrandt (1898-1948) sowiezahlreiche Unterlagen von Personen aus den Zeiten der DDR.Genealogische Sammlungen, Wappen-, Siegel- und Siegelstem-pelsammlungen sind ebenfalls zu finden. Zu beneiden ist das Lan-deshauptarchiv um seinen Kartenbestand (rund 71 000 Stück).Nicht unerheblich ist auch der Bestand an Postkarten, Fotografen-nachlässen, Materialien der Landesbildstellen mit Luftaufnahmenusw. 33 600 Bände zählt die Archivbibliothek. Eine kurzegeschichtliche Einleitung in das mecklenburgische Archivwesenund die Neuformierung der Zuständigkeiten (Abstimmung mitdem Landesarchiv Greifswald 1997) im heutigen BundeslandMecklenburg-Vorpommern eröffnet den Band. Ein differenziertesRegister erleichtert das Auffinden der Bestände, die mit kurzerEntstehungsgeschichte, Umfangs-, Inhalts- und Zeitangabensowie Hinweis auf Vorhandensein von Findhilfsmitteln charakte-risiert werden. Mag ein Archivar auch zögern, eine Beständeüber-sicht vorzulegen, wenn noch nicht alle Bestände geordnet underschlossen worden sind, so ist die Werbewirksamkeit undErleichterung für die Benutzung gar nicht zu überschätzen undeinem Archiv daher recht eigentlich angemessen. In diesem Sinneist den mecklenburgischen Archivaren für ihre Leistung ein Kom-pliment zu machen.

Lübeck Antjekathrin Graßmann

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1 85

Das Domstift Brandenburg und seine Archivbe-stände. Bearb. von Wolfgang Schößler. Verlag PeterLang, Frankfurt/M. 2005. IX, 105 S., 5 Abb., brosch.21,50 €.(Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgi-schen Landeshauptarchivs, Bd. 15)

Die in kollegialer Zusammenarbeit mit dem Landeshauptarchivin Potsdam edierte Bestandsübersicht ermöglicht präzise Ein-blicke in dieses in mehrfacher Hinsicht höchst bemerkenswerteArchiv. Im Zentrum der Darstellung steht der Archivbestand desDomkapitels in Brandenburg (Signatur: BDK, siehe S. 33-73) vonseiner Gründung im Jahre 1161 bis zum Jahre 1945 mit über 8.000Verzeichnungseinheiten. Es schließt sich an der Bestand des Dom-stifts von 1945 bis 1999 (Signatur: BDS, siehe S. 74-79) mit nocheinmal mehr als 2.600 Akten. Hinzu kommen drei weitere,wesentlich kleinere, aber nicht weniger wichtige Bestände. Diesist zunächst das nur noch teilweise an Ort und Stelle verwahrteArchiv der Bischöfe von Brandenburg (Signatur: BB, siehe S. 27-29). Zu diesem gehört auch die im Original überlieferte Grün-dungsurkunde des Bistums Brandenburg von 948, die überhauptdas älteste Schriftstück darstellt, das in den Gebieten rechts derElbe die Zeiten überdauert hat. Allein schon dadurch kann dasDomstiftsarchiv beanspruchen, die mit Abstand älteste Einrich-tung dieser Art im Land Brandenburg zu sein, die auf eine weitüber tausendjährige Tradition zurückblicken kann. Ein weitererTeilbestand betrifft das einstige Prämonstratenserstift St. Marienauf dem Harlunger Berg (Signatur: BM, siehe S. 80-81), von des-sen beeindruckenden Bauten keinerlei Reste erhalten gebliebensind. Schließlich ist die Ritterakademie Brandenburg vertreten(S. 82-85), die seit 1705 vor allem der Ausbildung des märkischenAdels diente.

Aufgrund der geringen Anzahl von Beständen ist für die Über-sicht ein kluger Mittelweg zwischen dem aus Kostengründenunmöglichen Abdruck der Findbücher und einer bloßen Beschrei-bung der einzelnen Archivbestandteile gewählt worden. Nachzu-lesen sind folglich die Hauptgruppen der Findbücher, bei denendie Aktensignaturen ebenso zusammengefasst wiedergegebensind wie die Laufzeiten. Die außerordentliche Leistung des Ver-fassers besteht in der ungewöhnlichen Erschließungstiefe derBestände, die durch eine sehr weitgehende dezimale Untergliede-rung erreicht wird (ein beliebiges Beispiel von S. 44 unten: A 3. 6.9. Personal von Registratur und Archiv 1740-1944). Eine weitereBesonderheit ist die Einbeziehung der zahlreichen Urkunden,Karten und Bilder in die einzelnen Gruppen des Findbuches. Aufdiese Weise entsteht für den Kernbestand des Archivs eine einzig-artige systematische Übersicht über Besitz, Funktionen und Per-sonal des Domstifts, die einen Zeitraum von 784 Jahrenumspannt.

Die Bestandsübersicht ist ferner angereichert durch einenumfangreichen Überblick über die Geschichte des Hoch- undDomstifts (S. 2-17), eine detaillierte Geschichte des Domstiftsar-chivs (S. 18-27) und ein getrenntes Orts-, Personen- und Sachre-gister (S. 87-105). Dadurch ist ein schneller Zugriff auch bei the-matischen Fragestellungen gewährleistet und eine Informations-dichte hergestellt, die oft von weit umfangreicheren Publikatio-nen nicht erreicht wird. Die fünf in den Text eingefügten Abbil-dungen (Gründungsurkunde des Domstifts von 1161, Archiv-schrank des 18. Jahrhunderts, Kopialbuch des 14. Jahrhunderts,Verleihung der Stiftsorden 1755, Wappenmatrikel der Ritteraka-demie) veranschaulichen die Vielfalt der erhaltenen Quellengat-tungen. Der Archivgeschichte ist nicht zuletzt ganz detailliert zuentnehmen, in welchem Zustand der Verfasser das Archiv vorge-funden hat. Man darf daher ohne Übertreibung sagen, dass dieNeuordnung der Bestände in nunmehr 35 Dienstjahren nichtsweniger als ein Lebenswerk darstellt, das nun noch durch diegesonderte Edition der Urkundenregesten gekrönt wird.

Nun wird der unkundige Leser zunächst vermuten, in einemDomstiftsarchiv in erster Linie Material zur Wirksamkeit einerkirchlichen Institution zu finden. Dies ist jedoch nur in einge-schränktem Maße der Fall, wenngleich der geistliche Charakterdes Domstifts nach 1945 wieder deutlicher hervorgetreten ist. Ein

offenkundiger Schwerpunkt ist vielmehr die Funktion des Dom-stifts als Grundherrschaft, die an die umfangreichen Besitzungengeknüpft war. Insofern sind erhebliche Teile des Archivs ver-gleichbar mit den Archiven der großen adligen Güter. Da diesejedoch in den neuen Bundesländern nur in relativ wenigen Fällenerhalten geblieben sind, kommt dem Domstiftsarchiv auch in die-ser Hinsicht ein geradezu exemplarischer Wert zu. Zudem erge-ben sich durch die Domherren, die allesamt namentlich und mitLebensdaten aufgeführt sind (S. 36-44), unendlich viele Verbin-dungslinien zur Geschichte des preußischen Staates. Und schließ-lich ist es eine nicht alltägliche Besonderheit, dass das Archivfester Bestandteil einer wieder sehr lebendigen Körperschaft ist,die sich gerade anschickt, ein Domgymnasium zu eröffnen. Durchdie unmittelbare Verknüpfung mit den Bau- und Kunstschätzendes Brandenburger Domes versteht es sich fast von selbst, dassdas Archiv in der Gegenwart mit vielfältigen Anforderungen –von Ausstellungszwecken bis hin zur Bauforschung – konfrontiertwird.

Der Benutzer dieser Bestandsübersicht darf allerdings nichtvergessen, dass mit ihr durchaus nicht alle Archivalien benanntsind, die sich heute auf der Dominsel befinden. Aufgrund desakuten Bedarfes in der Landeskirche hat sich das Domstiftsarchivnämlich in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker zu einemDepositalarchiv für gefährdete Ephoral- und Pfarrarchive ent-wickelt. Es beherbergt heute fast 200 Deposita aus allen RegionenBrandenburgs, oft einschließlich der Kirchenbücher, und damitschätzungsweise ein Viertel aller kirchlichen Archivalien aus denländlichen Gebieten der Evangelischen Kirche in Berlin-Branden-burg. Auf diese Weise steht der kirchengeschichtlichen Forschungschon jetzt ein repräsentativer Querschnitt dieser Quellen zur Ver-fügung, die weitestgehend ebenfalls fachgerecht erschlossen sind.Eine Kurzübersicht dieser Bestände ist bereits seit geraumer Zeitim Internet verfügbar. Nicht weniger wertvoll sind die histori-schen Buchbestände, die rund 40.000 Bände umfassen, aberimmer noch zu wenig bekannt und benutzt sind. Es bleibt also zuwünschen, dass sich das Domstiftsarchiv mit seinem überreichenFundus in den kommenden Jahren auch als Forschungsstätte zurLandesgeschichte profilieren kann und die dafür notwendigenRahmenbedingungen geschaffen werden.

Rühstädt Uwe Czubatynski

Der 13. Januar. Die Saar im Brennpunkt der Geschichte.Hrsg. von Ludwig Linsmayer. Merziger Verlag, Mer-zig 2005. 336 S., zahlr. s/w Abb., geb. 24,80 €.(Echolot – Historische Beiträge des Landesarchivs Saar-brücken, Bd. 1)

Paul Burgard, Ludwig Linsmayer, Der Saarstaat.Bilder einer vergangenen Welt. Merziger Verlag, Merzig2005. 399 S., ca. 700 Abb., geb. 29,80 €.(Echolot – Historische Beiträge des Landesarchivs Saar-brücken, Bd. 2)

Mit den beiden vorliegenden Bänden hat das Saarländische Lan-desarchiv eine eigene Publikationsreihe mit dem Titel Echoloteröffnet. Der aus der Schifffahrt stammende Begriff wurdebewusst gewählt, weil die Funktion des Echolots, mittels Schall-wellen eine unbekannte Welt zu erkunden, an die Arbeit desHistorikers erinnert. Daraus abgeleitet verfolgt die Reihe das Ziel,im Bewusstsein einer vielstimmigen Geschichtsschreibung undauf der regionalen Ebene einen Dialog zwischen Gegenwart undVergangenheit in Gang zu setzen.

Der erste Band befasst sich mit einem zentralen Ereignis derSaargeschichte, der ersten Saarabstimmung am 13. Januar 1935.Er ist in drei Teile gegliedert, von denen der erste die Erinnerungan das historische Ereignis zu verschiedenen Zeiten und ausunterschiedlichen Blickwinkeln reflektiert. Die Spanne reicht vonder nationalen Verklärung des heroischen Abstimmungskampfesim Dritten Reich, über die vollständige Negation in der Nach-kriegszeit bis zur kritischen Auseinandersetzung mit den histori-schen Zusammenhängen in den achtziger und neunziger Jahrendes 20. Jahrhunderts. In diesen Teil ist auch eine ausführliche

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86 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1

Chronik zur Saargebietszeit integriert, die für einen schnellenÜberblick und zum Nachschlagen sehr nützlich ist. Im zweitenTeil stehen zwei Fotobestände und ihre unterschiedliche Sicht derEreignisse im Zentrum. Ein lokaler Amateurfotograf (Julius Wal-ter) zeigt den Sog der nationalen und nationalsozialistischenInszenierungen in den Jahren 1933 bis 1935, Bilder französischerPressefotografen die internationale Sicht auf die Volksabstim-mung. Der dritte Teil ist den Akteuren aus den politischen LagernDeutsche Front und Status-quo-Anhänger sowie den Verfolgtendes NS-Regimes in Beispielen gewidmet. Die Auswahl setzt aufdie weniger bekannten Gesichter des Abstimmungskampfes,unter anderem den Saarbrücker Oberbürgermeister Hans Neikesauf Seiten der Deutschen Front oder den Rabbiner FriedrichSchlomo Rülf auf der Opferseite. In allen drei Teilen werden diejeweiligen Forschungsgegenstände mit einem methodenkriti-schen Kapitel eingeführt.

Der zweite Band der Reihe Echolot ist ein Bildband zum halb-autonomen Saarland, das von 1945 bis 1956 unter der außenpoli-tischen Aufsicht Frankreichs eine staatliche Existenz zu verwirk-lichen suchte. Der durchgängig zweisprachige Band – deutschund französisch – vereint in 26 Kapiteln Fotos und begleitendeTexte. Die Inhalte beleuchten in mehr oder weniger chronologi-scher Folge den Alltag im Saarland in den zehn Jahren der Auto-nomie. Dabei werden so unterschiedliche Themen wie der 14. Julials Inszenierung der französischen Schutzmacht und Bergleute,die im Nebenerwerb eine kleine Landwirtschaft betreiben, neben-einander gestellt. Daraus entsteht ein buntes, facettenreichesMosaik eines Landes, das eine neue Staatsform, nämlich ein unterdem Dach der Westeuropäischen Union europäisiertes Saarlandprobt. Die Saarländer und Saarländerinnen haben dieses Konzeptin der Abstimmung vom 23. Oktober 1955 abgelehnt und sichdamit für eine Existenz innerhalb der Bundesrepublik Deutsch-land entschieden. Nationale und nationalistische Argumentehaben wie 1934/35 im Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt.Auch diese Zusammenhänge werden in der Bildauswahl und denTexten deutlich.

In beiden Bänden halten sich die Autoren bei der Interpretati-on der Ereignisse merklich zurück, im zweiten Band kann der Ein-druck eines beinahe rosigen Idylls entstehen. Zumindest die Nein-Sager bei der Abstimmung 1955 haben das sicher nicht so emp-funden.

Für Neueinsteiger in die Themen Saargeschichte und spezielldie Saarabstimmung(en) bieten beide Bände eine gute Einfüh-rung mit Quellen, Methoden und Themen, die aktuell in derGeschichtsforschung diskutiert werden. Auch den „alten Hasen“,zu denen sich die Rezensentin nicht zählt, kann das Werk sicher-lich neue Sichten und Einsichten vermitteln, vor allem dieErkenntnis, dass die Diskussion um die Saarabstimmung(en), die-ser ewig kontroverse Evergreen des saarländischen Geschichts-diskurses, auch sachlich und ausgewogen geführt werden kann.

Saarbrücken Irmgard Christa Becker

Führer durch das Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Anlässlich des 25jährigen Jubi-läums 1978-2003 unter Beteiligung aller Mitarbeiter neubearbeitet von Eckart Henning. Berlin (1. Aufl.) 2003,(2. durchgesehene Aufl) 2005. 184 S., 54 Abb., kart.(Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte derMax-Planck-Gesellschaft, 17)

Trotz mancher Bemühungen um eine einheitliche archivischeBegrifflichkeit bestehen im deutschen Archivwesen noch immerunterschiedliche Auffassungen darüber, was unter einer Bestän-deübersicht oder Kurzübersicht, einem Archivführer oder Kurz-führer bis hin zur Faltblattform eigentlich zu verstehen ist. EckartHenning hat einmal zur Klärung dieses terminologischen Pro-blems (im Herold-Jahrbuch NF 2 (1997), S. 173) beigetragen; alsBearbeiter des vorliegenden Bandes nutzte er den Anlass des25jährigen Bestehens des von ihm seit 1984 geleiteten Archivs derMax-Planck-Gesellschaft, um ein praktisches Beispiel dafür zugeben, was ein handlicher Archivführer auf 184 Seiten alles ent-halten kann.

Sein Buch bietet zweierlei: Eine Führung hin zu diesem Archiv,sodann durch das Archiv. Es erscheint einerseits als rückblicken-de Festschrift, andererseits als aktuelles Werbemittel der Öffent-lichkeitsarbeit, und zum Dritten als schneller Informator überBestände, Nachlässe und Sammlungen (für die insgesamt, bitte-schön, „Bestände“ kein Oberbegriff ist). Seine reiche Bildausstat-tung zeigt Zimelien, Gebäude und Ereignisse, ViP's und Personal– und mag damit speziell für die neun Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter des Hauses auch zu einem eigenwertigen Erinnerungs-werk geworden sein.

Am Anfang stand Preußens wirksamster Kultusministerialbe-amter Friedrich Althoff und sein noch 1908 entworfener Plan, imstillen Berliner Vorort Dahlem ein „deutsches Oxford“ einzurich-ten. Hier sollte die wissenschaftliche Arbeit der Kaiser Wilhelm-Institute ihre Heimstatt finden. Wenig später wurde sogar darangedacht, zwischen den U-Bahnstationen Podbielskiallee und Dah-lem Dorf auch preußische Ministerien und ihre aktenüberneh-mende Institution, das Preußische Geheime Staatsarchiv, auf demDomänengelände anzusiedeln. Nach den Umbrüchen des 20.Jahrhunderts sind davon übrig geblieben das heutige GeheimeStaatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, einige Max-Planck-Institu-te und seit 1973/1978 ihr „Tresor“, das eigenständige Archiv zurGeschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Im repräsentativen War-burg-Haus und dem (Magazin-) „Turm der Blitze“ ist es angemes-sen untergebracht. Unter den Direktoren Rolf Neuhaus undEckart Henning hat das wichtige Wissenschaftsarchiv einen ste-ten Aufschwung genommen, wie nicht zuletzt die seit 1989 überdie Tausender-Marke gekletterten jährlichen Benutzungen zeigen.Neben der Erledigung der bekannten archivischen Fachaufgabenund dem Jahraus/Jahrein der Bestandsergänzung, -erhaltungund -erschließung, der Benutzungsbetreuung und Ausstellungs-arbeit vermochte das Archiv 1994 durch die Einführung der „Dah-lemer Archivgespräche“ mit wissenschaftsgeschichtlicher undhilfswissenschaftlicher Akzentuierung in der facettenreichen Ber-lin-Brandenburger Archivlandschaft ein unverwechselbares Pro-fil zu gewinnen, das vielleicht mit dem der Pallas Athene gleich-gesetzt werden kann, das Formulare und Informationsblätter desArchivs schmückt. All das wird auf etwa 100 Druckseiten ausführ-lich erzählt und bis in die Einzelheiten dokumentiert.

Nach den Hinweisen zur (unverändert gebührenfreien) Benut-zung folgen auf ca. 50 Seiten die Auflistungen von Beständen,Nachlässen und Sammlungen, welche die ca. 3 1/2 lfd. km imArchivmagazin mit Laufzeit ab 1909 ausmachen. BesondereBeachtung verdienen dabei vielleicht die 206 Nachlässe, darunterdie von 11 Nobelpreisträgern. Wer sich über die gesamte Überlie-ferung ausführlicher informieren will, wird wohl weiterhin zur„Beständeübersicht des Archivs zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem“ greifen, die Christel Wegeleben1997 vorlegte.

Naturgemäß bietet der Führer im Vergleich zur Übersichtweniger Informationen über die im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft verwahrten Schriftgutschätze, aber umso mehr überdie Möglichkeiten, wie dieses Haus der Wissenschaftsgeschichtezu nutzen ist und vor allem bislang genutzt wurde. So eignet demBuch zu guter Letzt auch der Charakter einer eindrucksvollenBilanz, auf die der im Frühjahr 2006 neu bestallte Direktor Dr.Lorenz Beck sicher in Ruhe aufbauen kann.

Berlin Jürgen Kloosterhuis

Fundamenta Historiae. Geschichte im Spiegel derNumismatik und ihrer Nachbarwissenschaften.Festschrift für Niklot Klüßendorf zum 60. Geburtstagam 10. Februar 2004. Hrsg. von Reiner Cunz in Verbin-dung mit Rainer Polley und Andreas Röpcke. VerlagSchmidt, Neustadt/Aisch 2004. 499 S., zahlr. Abb., geb.(Veröffentlichungen der urgeschichtlichen Sammlungendes Landesmuseums zu Hannover, Bd. 51)

Vorliegender Band umfasst als Festschrift für Niklot Klüßendorfzu seinem 60. Geburtstag neben einer umfangreichen Tabula gra-tulatoria, einigen persönlichen Widmungen und Beiträgen

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(Andreas Röpcke, Sechzig Werden), einem Werkverzeichnis desJubilars sowie einem Autorenverzeichnis vierzig – notwendiger-weise kurz gehaltene – Beiträge seiner Lehrer, Freunde, Schülerund Kollegen. Diese lassen sich drei Themenbereichen zuordnenentsprechend den Interessen und Arbeitsschwerpunkten Klüßen-dorfs, der sich als Archivar, Numismatiker und Historiker für eineinterdisziplinäre Arbeitsweise seit langem einsetzt: Themen zuNumismatik und Geldgeschichte, den Historischen Hilfswissen-schaften und der Archivwissenschaft sowie der GeschichtlichenLandeskunde.

Einige eher grundsätzlich ausgerichtete Artikel behandeln: dieNumismatik in Marburg während des 20. Jahrhunderts (K.Christ) oder die Frage nach dem Beitrag der Numismatik zurGeldgeschichte (E. Nau), während R. G. Doty die Betrachtungder Münzen mehr aus dem technologischen Blickwinkel fordertund erste eigene Erkenntnisse vorstellt. W. Zöllner widmet sichden Historischen Hilfswissenschaften in Halle an der Saale undR. Polley stellt das Archivrecht als schriftliches Prüfungsfach ander Archivschule Marburg vor. Dem Selbstverständnis des Archi-vars und der Frage nach der Anerkennung eines Berufsstandswidmet B. Bei der Wieden seinen Beitrag, und dass es zwischenArchivtheorie und Archivpraxis bereits im ausgehenden 17. Jahr-hundert gewisse Diskrepanzen gab, zeigt Th. Vogtherr am Bei-spiel der Herren Fritsch, Multz von Oberschönfeld und Aebbtlin.Als Beitrag zu der von ihm geforderten eigenen Hilfswissenschaft„Titulaturenkunde“ bietet E. Henning aktuelle Anmerkungen zuakademischen Titeln.

Der Numismatik konkret ist die Mehrzahl der Beiträge gewid-met – vielfach mit Münzkatalogen und Fundkarten ausgestattet.Eine Münzenart des 1. und 2. Jahrhundert v. Chr. aus den nori-schen Alpen mit „Frontalgesicht“ auf der Vorderseite behandeltG. Gorini, während sich H. Schubert mit den römischen Gold-münzen des 1. bis 5. Jahrhundert aus Nordhessen befasst undR. Walburg eine Patrize zur Herstellung frühkaiserzeitlicherMünzstempel vorstellt. Die mittelalterliche Münzgeschichte istvertreten mit Untersuchungen über gefälschte arabische Gold-münzen der Karolingerzeit (L. Ill isch), die deutschen Einflüsseauf die angelsächsische und normannische Münzprägung durchdynastische Verbindungen und Handelsbeziehungen (M. M.Archibald) oder Stierkopfbrakteaten des 14. Jahrhundert ausdem Rostocker Katharinenkloster (T. Fried). W. Steguweitbewertet einen sächsischen „Halbtaler“ von 1490 als Probe aufdem Weg Sachsens zur Einführung einer Großsilberwährung. DieFunktion zweier Medaillen der Mainzer Erzbischöfe JohannSchweikhard von Kronberg und Anselm Kasimir Wambolt vonUmstadt aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhundert interpretiertW. Dobras als metallene Aufschwörurkunden, während Medail-len im 18. Jahrhundert auch als fürstliche Geschenke verwendetwurden, wie aus den Aufzeichnungen des Markgrafen Carl Wil-helm Friedrich von Brandenburg-Ansbach hervorgeht (H.Maué). U. und P. Arnold betrachten die sächsischen Reichsvi-kariatsprägungen von 1711 im Kontext der Verfassungsgeschich-te des Alten Reichs, P. Ill isch Waldeck und seine besondere Stel-lung in der hessischen Münzgeschichte des 17. und 18. Jahrhun-derts.

Als lohnende Forschungsobjekte rücken St. Heidemann diekaum bekannten orientalischen Münzen der Universitätsbiblio-thek Leipzig und B. Kluge den nach 1628 verborgenen, 1951gefundenen und 1982 wiederentdeckten Münzschatz von Mal-chin in Mecklenburg in den Blick. Ebenfalls als Beitrag zur Meck-lenburger Numismatik stellt W. Virk einen kleinen Münzschatzaus dem Rostocker Lohgerberviertel vor (nach 1654), weitereFundmünzen sind in der südthüringischen Kirche von Solz imLandkreis Schmalkalden-Meiningen zutage getreten (M. Schlap-ke).

Mit einem Münzkatalog des 18. Jahrhunderts und Brakteaten-fälschungen des Nicolaus Seeländer aus Erfurt beschäftigt sich K.Schneider, während G. Steinwascher Münzfälschungen imHerzogtum Oldenburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundertsauf Grundlage zweier Aktenbände mit Fälschungsmeldungen alsein (nahezu alltägliches) Kapitel der Kriminal- und Rechtsge-schichte vorstellt. Als Numismatik im historischen Kontext unter

Einbeziehung archivalischer Quellen, eine vom Jubilar immerwieder gestellte Forderung, können auch die Beiträge von M. undB. Overbeck, die die Schatzsuche in Philosophie und Volksglau-be im Römischen Reich behandeln, und von St. Suchodolski,der sich mit neueren Thesen über die Gründe für das Deponierenvon Münzschätzen im Ostseeraum der Wikingerzeit auseinander-setzt, bezeichnet werden. V. und G. Hatz betrachten die Verbrei-tung der ältesten Münzen der Reichsabtei Fulda im selben Gebietwährend des 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts. In den Rah-men der numismatischen Quellenkunde gehören zudem ein Bei-trag über bayerische Bestallungsurkunden für Münzmeister im15. Jahrhundert (H. Emmerig), die Beschreibung des Versuchsder Äbtissin von Herford, im Jahr 1689 Münzen zur Demonstra-tion ihres Hoheitsrechts prägen zu lassen (H. Bei der Wieden)und des Briefwechsels der beiden Münzfreunde G. W. Molanusund A. Morell in den Jahren 1700 und 1701 (P. Berghaus). DasErbfürstentum Paderborn im Umbruch zwischen Währungstradi-tion und Währungsreform (1802–1806) ist Thema J. Heckls, undeinen weiteren Beitrag zur Geldgeschichte des 19. Jahrhunderts,aus kurhessischer Sicht, leistet A. Kaiser mit seinen Überlegun-gen zur gescheiterten Banknotenkonferenz des deutschen Zollver-eins (1857–1861). H. Witthöft behandelt den Stellenwert KölnerMarken und Gewichte in der Geld- und Münzgeschichte, wäh-rend die Beziehung zwischen Numismatik und Archäologie ineinem Vorbericht über ein neu entdecktes römisches Lager beiOberbrechen (Kreis Limburg-Weillburg) betont wird (F.-R. Herr-mann).

Ergänzt werden diese vor allem münzgeschichtlich ausgerich-teten Beiträge durch Überlegungen über die Verwendung und dasAussehen von Bleisiegeln als Qualitätsmarken (R. Van Laere),oder durch die Darstellung der Beziehung Herzog Adolph Fried-richs IV. von Mecklenburg-Strelitz (+ 1794) zur Universität Greifs-wald (R. Schmidt). A. Schneider befasst sich mit dem Ende desSiebenjährigen Krieges, dem Gefecht an der Brücker Mühle beiAmöneburg und den anschließenden Friedensverhandlungen1762. Mehr anekdotisch widmet sich Chr. Bunners der Ethik desGeldes in Fritz Reuters Roman „Dörchläuchting“ von 1866. Derdarstellende Teil des Bands schließt mit der Lebensbeschreibungdes Lehrers, Verfassungshistorikers und Politikers in Waldeck,Otto Hufnagel, durch G. Menk.

Abgesehen von kleinen redaktionellen Mängeln ist dieserBand sehr sorgfältig, aufwendig und optisch ansprechend gestal-tet, mit vielen Abbildungen und Karten ausgestattet, welche dieAussagen der Beiträge gelungen illustrieren.

Aachen Monika Gussone

Klaus Herbers, Robert Plötz, Die Straß zu SanktJacob. Der älteste deutsche Pilgerführer nach Compo-stela. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2004. 128 S., 40s/w Abb., geb. 19,90 €.

Viele Jahrhunderte galten Jerusalem, Rom und Santiago de Com-postela als bedeutendste christliche Wallfahrtsorte. Humanismusund Reformation brachten dieser Fernwallfahrt beachtliche Ein-bußen. Zwar erlosch das Wallfahrtswesen nicht vollends, dochprofitierte Santiago de Compostela zunächst nicht so sehr wie alteund neue Wallfahrtsorte von dem neuen Aufschwung dieserForm der Volksfrömmigkeit, der im 19. Jahrhundert einsetzte.Noch zu Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhundertsführte die galicische Stadt im Nordwesten der Iberischen Halbin-sel ein eher behäbiges Dasein. Rund ein Vierteljahrhundert spä-ter hat sich das Blatt vollends gewandelt. Die Stadt vermag dieReisenden kaum zu fassen, die Wege dorthin sind streckenweisevoll von Fußpilgern. Mittlerweile hat die Renaissance des Cami-no auch die Medien erreicht. Konnten sich die Interessenten nochvor gut 25 Jahren nur schwer über die Wallfahrt zum hl. Jakobusd. Ä. informieren, müssen sie sich nun durch ein Überangebot vonLiteratur arbeiten, das nicht in allem selbst bescheidenen Ansprü-chen genügt.

Anders verhält es sich mit der hier vorzustellenden Publikati-on. Die beiden besten deutschen Kenner Santiago de Composte-

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las und des dazugehörigen Umfeldes haben den ältesten deut-schen Pilgerführer nach Santiago de Compostela ediert und miteiner fachkundigen Einleitung versehen, die als Bilanz langjähri-ger Auseinandersetzung mit der Thematik angesehen werdenkann. Eine Skizze gängiger Pilgerwege, zeitgenössische Holz-schnitte und Fotographien von Gerhard Weiß runden die Arbeitab, die durch ein Personen- und Ortsregister erschließbar undüber einen Anmerkungsapparat nebst Literaturverzeichnis leichtüberprüfbar ist. Der nicht umfangreiche Führer beschreibt denWeg von Deutschland nach Santiago de Compostela „am Endeder Welt“. Der Verfasser Hermann Künig von Vach nennt Städ-te und Landschaften, weist auf Gefahren und gute Möglichkeitender Einkehr hin. Sein Büchlein stellt ein eindrucksvolles frühesDokument einer jahrhundertealten Tradition dar, die bis heutelebendig ist. Es wurde bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts mehr-fach gedruckt. Sein Text zielt auf die Praxis, diente mit den holp-rigen Versen kaum der Erbauung. Dabei widmet sich der Autornicht nur dem Hin- sondern auch – was heute zutage leicht ausdem Blick kommt – dem Rückweg. Die Schwierigkeiten, auch nurannähernd alle im Führer genannten Spitäler zu identifizieren,deuten an, wie dicht das Versorgungsnetz am Ende des 15. Jahr-hunderts geknüpft war. Künigs praktische Hinweise sind einge-bettet in die Frömmigkeit seiner Zeit. „So wenig brillant der Pil-gerführer Hermann Künigs unter literarischen oder sprachlichenGesichtspunkten sein mag, für den Historiker und Volkskundlergewinnt er seinen besonderen Wert, weil er vornehmlich vonpraktischen und sehr unmittelbaren Bedürfnissen der Pilger aus-geht. Mit Vorsicht gelesen, bietet er somit Einblick in den Pilger-alltag, in die spezifischen Probleme von Quartier, Betrug, Geld-wechsel, Zollabgaben, Wasserstellen und Unterstützungen amWeg“ (S. 33 f.).

Stolberg Dieter Wynands

Kiesinger: „Wir leben in einer veränderten Welt.“Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands1965-1969. Bearb. von Günter Buchstab unter Mitar-beit von Denise Lindsay. Droste Verlag, Düsseldorf2005. 1570 S., geb. 78,- €.(Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 50)

„Wir pflegen schon seit Jahren, die öffentliche Meinung nachdemoskopischen Ergebnissen zu erforschen. Das haben wir vor-her getan, das haben wir gestern getan, und das werden wir auchmorgen tun müssen...“ (S. 421). Diese Sätze Kurt Georg Kiesin-gers, gesprochen in einer CDU-Bundesvorstandssitzung imFebruar 1967, sind nicht die einzigen Passagen dieser Edition, dieuns aktuell anmuten: Bereits vor 40 Jahren gab es Medienschelte,stritt man sich über die Erhöhung der Mehrwertsteuer, über dieMischfinanzierung zwischen Bund und Ländern in der Wissen-schafts- und Bildungspolitik, um nur einige Themenfelder zu nen-nen. Immer wieder muss man sich bei der Lektüre in Erinnerungrufen, dass es sich um Protokolle aus der ersten großen Koalitionund nicht um Indiskretionen aus heute stattfindenden Vorstands-sitzungen handelt und die vordergründige Aktualität macht einengroßen Reiz dieser Publikation aus.

Günter Buchstab, Leiter des Archivs für Christlich-Demokra-tische Politik, hat in einer sorgfältigen Edition die 27 Sitzungendes CDU-Bundesvorstands zwischen dem 20.9.1965 und dem20.6.1969 zugänglich gemacht. Grundlage der Ausgabe sind dievom Stenogramm übertragenen Mitschriften, d. h., es handelt sichum Wortprotokolle, anhand derer man die inhaltlichen und per-sonellen Auseinandersetzungen nachvollziehen kann. Selbstwenn man die über 1500 Seiten nicht von vorne bis hinten liest,erschließen sich schon beim „Hineinlesen“ interessante Zusam-menhänge. So z. B. die Tatsache, dass der offensichtlich schondamals machtstrategisch denkende Fraktionsvorsitzende derCDU im rheinland-pfälzischen Landtag, Helmut Kohl, nur zwei-mal bei den Bundesvorstandssitzungen fehlte, und sich vor allemdurch sehr dezidierte Beiträge zur innerparteilichen Reformäußerte. Denn die CDU machte in dieser Zeit – auch das wirddurch die Edition deutlich – wichtige Schritte hin zu einer profes-sionell geführten modernen Volkspartei.

Der hier dokumentierte Zeitraum umfasst drei von der CDUgeführte Regierungen. Als die erste Sitzung stattfand, war Ade-nauer noch Bundeskanzler. Bei der letzten Sitzung hieß der Bun-deskanzler Kiesinger und der Wahlkampf, der die CDU auf Bun-desebene zum ersten Mal in die Rolle der Opposition bringen soll-te, stand bevor. Dazwischen lagen die kurze Kanzlerschaft Lud-wig Erhards und die große Koalition sowie gelungene (Not-standsgesetzgebung) und gescheiterte (Wahlrechtsreform) Geset-zesvorhaben. Protestaktionen gegen die Notstandsgesetze, Unru-hen an den Universitäten und neue Fragen an die NS-Vergangen-heit waren Zeichen eines gesellschaftlichen Prozesses, der zu einerallmählichen Veränderung überkommener Werte und Lebenswei-sen führte. Aber auch die außenpolitischen Konstellationen – vorallem in der Ost- und Deutschlandpolitik – verschoben sich. Aus-führliche Diskussionen im CDU-Bundesvorstand zeigen, wie diepolitischen Entscheidungsträger nach neuen Wegen suchten, undmit Recht hat der Herausgeber dem Band das Kiesinger Zitat vonder „veränderten Welt“ als Titel gegeben.

Die Edition ist vorbildlich, d. h. knapp und weiterführendkommentiert, ein Sach- und Personenregister erleichtert dasgezielte Lesen. Kopfregesten mit den Sprechern und den Tages-ordnungspunkten geben einen ersten Überblick über die einzel-nen Sitzungen, genannte Personen werden durch Kurzbiogra-phien vorgestellt.

In der immer wieder aufflammenden Diskussion über denNutzen von Quelleneditionen ist der von Buchstab vorgelegteBand, der in jede Fachbibliothek gehört, ein gutes Beispiel für denWert solcher Editionen. Die Rezensentin bezweifelt im Übrigen,ob eine digitale Version ihr ähnlich überraschende Lektüreerleb-nisse verschafft hätte, wie der gedruckte Band.

Gummersbach Monika Faßbender

Helge Kleifeld, Bestandserhaltung und Massen-verfahren. Praktische Durchführung von Mas-senentsäuerungsverfahren. akadpress GmbH,Essen 2006. 86 S., kart. 15,- €.(Rheinisches Archiv- und Museumsamt. Archivbera-tungsstelle, Archivhefte 36)

„Die Verknüpfung des notwendigen theoretischen Wissens mitpraktischen Durchführungshinweisen“ war der Hauptgrund, soNorbert Kühn in seinem Vorwort, die vorliegende Publikationvon Helge Kleifeld in die bewährte Schriftenreihe der „Archivhef-te“ aufzunehmen. Der „Leitfaden“, den der Autor nicht als Anlei-tung zur Durchführung eines Massenentsäuerungsprojekts, son-dern als „Anregung und Wissensvermittlung“ mit dem Ziel einereffizienteren Arbeitsorganisation verstehen möchte, geht auf einumfangreiches Bestandserhaltungsprojekt zurück, welches Klei-feld betreute, bevor er zu einem der am Projekt beteiligten Dienst-leister wechselte.

Der Hauptteil des Heftes erläutert in zwei Abschnitten detail-liert und praxisnah die „kontinuierlich anfallenden“ sowie die„chronologisch ablaufenden Arbeiten“ im Zuge der Projektvorbe-reitung und -abwicklung. Die Schwerpunkte liegen dabei auf dervorbereitenden Informationsbeschaffung, der Schadensanalyseund der Qualitätskontrolle, wobei das Heft insgesamt eher an eineProjektvorstellung als an einen Projektbericht erinnert, da etwaVergleiche zwischen den kalkulierten Planungszielen und den tat-sächlichen Arbeitsergebnissen fehlen. Für die Leistungsformulie-rung hat Kleifeld bereits früher (wohl als einer der ersten inDeutschland) die von Matthias Buchholz für die Überlieferungs-bildung erarbeiteten Verfahren zur Bildung repräsentativerZufallsauswahlen auf die Analyse von Schadensbildern im Vor-feld von Bestandserhaltungsmaßnahmen übertragen (vgl. DerArchivar 57, 2004, H. 4, S. 305-309) und damit auf einen Schwach-punkt älterer Projekte hingewiesen, der immer wieder zu Fehlein-schätzungen und ungenügenden Ressourcenplanungen führte.Kleifeld macht deutlich, wie wichtig eine solide, mit Probeaufträ-gen gestützte Zahlenbasis gerade bei komplexen Massenkonser-vierungsmaßnahmen für eine verlässliche Angebotsprüfung undAuftragsvergabe ist. Im Rahmen der Qualitätskontrolle erläutertder Autor die Bedeutung umfangreicher Stichprobenkontrollen

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und die Bewertung aufgetretener „Nebenwirkungen“ anhandvon nachprüfbaren und statistisch hochzurechnenden „Verände-rungskennzahlen“. Alle diese Erörterungen werden im Anhangdurch hilfreiche Beispieltabellen, Prüflisten und eine Musteraus-schreibung ergänzt, die bereits das einsichtsvolle Zugeständnisenthält, dass Nebenwirkungen „insbesondere bei den blauen undroten Schreibmaschinenschriften, bei pinken Farbstiftvermerkensowie bei Kolorierungen […] nicht völlig auszuschließen sind“.

Insgesamt ist das Heft eine gelungene Handreichung für diePraxis, und besonders für die geduldige Arbeit der Archivbera-tung wünschte man sich mehr solcher gut verständlichen Leitfä-den, auch wenn die formulierten Ansprüche mitunter etwas überdie personellen und finanziellen Möglichkeiten kleinerer Archivehinausgehen dürften, etwa bei den geforderten Projektdokumen-tationen und den vorbereitenden Archivreisen und Firmenbesu-chen. Auch bedingt Kleifelds aktuelle Tätigkeit wohl mancheRücksichtnahme: Anbieter mit angeblich „übertriebenen“ Refe-renzen werden namentlich nicht genannt und die als Entschei-dungshilfe unabdingbare Aufstellung über die Vor- und Nachtei-le der unterschiedlichen Massenentsäuerungsverfahren wird demLeser leider vorenthalten.

Potsdam Mario Glauert

Landesarchiv Baden-Württemberg. Text: RobertMeier. Stuttgart 2005. 44 S., zahlr. farb. Abb., brosch.5,- €.

Die Teilnehmer des Deutschen Archivtages in Stuttgart vom Sep-tember 2005 fanden in ihren Taschen eine Broschüre vor, die inAufgaben und Organisation des staatlichen Archivwesens inBaden-Württemberg einführt. Die Schrift ist nicht für den altge-dienten Archivgänger gedacht, sondern soll erst jene Neugierdewecken, die der Stellung der Archive in der Öffentlichkeit dienenund neue Benützer ansprechen kann. Da wachsende Archivbe-stände nicht automatisch wachsende Archivbenützerzahlenbedeuten, man sich also mit dem unbekannten Wesen Archivbe-nützer vertrauter machen muss, wächst allenthalben der Bedarffür diese Art von Literatur.

Nach dem Zugang zum „Gedächtnis des Landes“ wird in zweiAbschnitten erläutert, „Was wir tun und wie“ und „Was alles imArchiv liegt“. Sinn und Nutzen von Archiven und Archivalienwerden in gleichsam assoziativer Folge, entlang dem Denken einessich erst kundig machen wollenden Publikums, vorgestellt: Aufein Stichwort hin werden Scheinwerfer auf ein Thema gerichtet,bei Zwecken und Arbeitsfeldern (so „Geschichte für heute“,„Überlieferung für morgen“, „Kulturgut schützen“, „Sein Landkennen“) oder bei Archivalienformen und Inhalten („Pergament-urkunden“, „Große Politik… und kleine Leute“, „Schönes… undSchreckliches“ bis zum „Und heute?“ der CD-ROMs). Das Landes-archiv Baden-Württemberg im World Wide Web leitet schließlichzur Präsentation seiner zehn Fach- und Archivabteilungen über,wie sie in der seit Anfang 2005 bestehenden Gliederung tätig sind.

Die Texte sind knapp, es wird nichts zerredet, aber auch nichtunzulässig vereinfacht. Sie werden von Bildern begleitet, dieArchivalien, Magazine, Arbeitsplätze und Archivbauten wech-selnd im Format und häufig im Anschnitt zeigen. Auch so soll dasMotto der Publikation deutlich werden. Es findet sich erst nachetlichen Seiten und zitiert den Titel einer binnen weniger Jahrezum Klassiker gewordenen Sammlung philosophischer Texte,nämlich von Odo Marquards „Zukunft braucht Herkunft“.

München Gerhard Hetzer

Nachlass Ernst Severin (1854-1920) und Nachfah-ren, Hüsten. Hrsg. im Auftrag der Stadt Arnsberg vonMichael Gosmann. Bearb. von Bärbel Köhler undPeter Scheiwe. Arnsberg 2005. 190 S., 6 s/w, 2 farb.Abb., brosch. 5,- €.(Arnsberger Archiv-Veröffentlichungen 8)

Der Nachlassbestand „Ernst Severin und Nachfahren, Hüsten“ imStadtarchiv Arnsberg umfasst private und geschäftliche Unterla-gen der Familie Severin und der seit 1880 von dieser Familie

betriebenen Buch-, Papier- und Schreibwarenhandlung, die aucheine Druckerei betrieb und sich darüber hinaus verlegerisch betä-tigte.

In der Einleitung wird die Familien- und Firmengeschichte aufknapp zwei Seiten beschrieben. Hier und in den anschließendenAngaben zum Bestand wird v. a. die Bedeutung des Firmengrün-ders und seiner Nachfolger für das öffentliche Leben in Hüstenhervorgehoben. Neben der eigenen Firma galt deren Engagementder IHK Arnsberg, der Kommunalpolitik und dem örtlichen Ver-einsleben. Daher finden sich in dem Bestand Papiere, die alsErsatzüberlieferung für verlorene Arnsberger IHK-Unterlagenoder auch für die 1975 größtenteils vernichtete Überlieferung desehemaligen Amtes Hüsten dienen können.

Den größten Block bildet der „Nachlass Ernst Severin (1854-1920) und Ernst Heinrich Severin (1886-1938)“ (191 Einheiten); esfolgen der „Nachlass Ernst Josef Severin (* 1926) (42 Einheiten)und schließlich Bücher (20 Einheiten), Karten und Pläne (1), Bil-der (60 Zigaretten-Sammelbilder) und 6 Geschäftsbücher der Fa.Ernst Severin; ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein Gesamtindexschließen den Band ab.

Ein persönlicher Nachlass soll die Aktivitäten und Interessendes Nachlassgebers widerspiegeln (Einleitung, S. 11) und im Ide-alfall ein Bild von dessen gesamter Persönlichkeit vermitteln.

Ist dieser Anspruch mit einem notwendigerweise begrenztenNachlassbestand überhaupt zu erfüllen? Nachlässe sind i. d. R.keine organisch gewachsenen Überlieferungen – anders als Behör-denbestände. Es gibt hier keinen Aktenplan, an dem sich die Ord-nung eines Bestandes orientieren könnte. Erkennbare Schwer-punkte des Nachlasses müssen individuell durch eine geeigneteKlassifikation herausgearbeitet werden. Dies erfordert zunächstBewertung und anschließend eine Ordnung, als deren ErgebnisVerzeichnungseinheiten entstehen mit einem Titel, der den jewei-ligen Inhalt umfassend wiedergibt, so dass – im günstigsten Fall– umfangreiche Enthält- und Darin-Vermerke unterbleiben kön-nen.

Zwar sind Bewertung und Kassation v. a. bei Depositalbestän-den nur eingeschränkt möglich; umso wichtiger für die Benut-zung wird dann aber eine überzeugende Ordnung.

Der Nachlass Severin enthält 233 Verzeichnungseinheiten, diemit sehr umfangreichen Darin-Vermerken durchschnittlichjeweils etwas mehr als eine halbe Seite (im Extremfall 4 1/2 S.)beanspruchen; dies kommt weitgehend einer Einzelblattverzeich-nung gleich. Die einstufige Klassifikation orientiert sich i. W. anden drei Generationen. Die Aktentitel sind vage und nur schlag-wortartig formuliert: „Politik, Zentrum, Bodenreform“ 1918-1922(Nr. 2), „Politik, Frieden, I. Weltkrieg, Katholiken“ 1909-1920 (Nr.3), „Politik, Bodenreform, Wohnungsbewirtschaftung“ 1913-1920(Nr. 4), „Politik, Wirtschaft, Handel“ 1914-1928 (Nr. 9), Politik,Wirtschaft, Handel, Gewerbe, Grundbesitzer, Versicherungen“1912-1929 (Nr. 10). Diese wenigen Beispiele zeigen, dass sich dieAktentitel oft sowohl inhaltlich als auch nach der Laufzeit über-schneiden und daher kaum systematische Orientierung bieten.Allein der kombinierte (einstufige) Orts-, Personen- und Sachin-dex gleicht diesen Nachteil etwas aus – leider ist er aber nicht voll-ständig (Stichprobe: „Westfälischer Verkehrsverband“ wird aufS. 82 mehrfach genannt, im Index jedoch nur für S. 87 und 95nachgewiesen).

„Eine Fundgrube für die Hüstener Geschichte“ – so der Unter-titel der Einleitung – ist und bleibt dieser Bestand zweifellos. Einesystematische Ordnung und Verzeichnung hätte daraus eine gutnutzbare Quellenbasis machen können.

Detmold Hermann Niebuhr

Populare Schriftzeugnisse in Brandenburg.Beschreibendes Verzeichnis von Selbstzeugnissen undverwandten Quellen (17.- 19. Jahrhundert), bearb. vonVeronika Siedt und Ingrid Edelberg. Potsdam 2004.CD-ROM. 12,- €.

In der 1992 an der Universität Potsdam entstandenen Max-Planck-Arbeitsgruppe „Ostelbische Gutsherrschaft als sozialge-schichtliches Phänomen der frühen Neuzeit“ gab es als eines der

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assoziierten Projekte das Vorhaben der „Erfassung und Inventa-risierung ländlicher Selbstzeugnisse in der Neuzeit in Branden-burg“. Dies hatte zum Ziel, ein Verzeichnis unveröffentlichter undveröffentlichter Schriften des Landes zu erstellen. Die Historike-rinnen Sieth und Edelberg setzten sich mit Museen, Archiven,Ämtern, Dörfern, Heimatvereinen, Privatpersonen usw. in Verbin-dung, um dieser Schriften habhaft zu werden. Dem Projekt warsehr dienlich, dass der Arbeitsgruppenleiter Jan Peters als volks-kundlich orientierter Historiker bereits bekannter Mitautor derVeröffentlichung über „Neu-Holland“ war. Er hatte auch die„Konsultationsstelle für Schreibebücher“ beim Institut für Wirt-schaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften geleitet, aufderen Vorarbeiten die Bearbeiterinnen zurückgreifen konnten.Brandenburg ging in dieser Disziplin bis dahin nicht geradevoran, hat aber mit diesem Verzeichnis den bundesweit zweitenKatalog für vergleichbare geographische Großräume verwirk-licht. Das Projekt wurde in der Entstehung maßgeblich vom Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen und finanziell von derVW-Stiftung unterstützt.

Die Recherchen wurden 1996 abgeschlossen. Wenn die Bear-beiterinnen einräumen, man hätte nicht alle Schriften aufnehmenkönnen, so schmälert dies den Wert der Veröffentlichung keines-wegs. Über „600 unveröffentlichte Handschriften“ und „annä-hernd 500 ganz oder teilweise in Periodika oder Monographienveröffentlichte Dokumente aus dem brandenburgischen Raum“(S. 9) sind in dem Verzeichnis katalogisiert worden. Es wurdedemzufolge in zwei große Abschnitte gegliedert:– [unveröffentlichte] handschriftliche Selbstzeugnisse und ver-

wandte Quellen (227 Seiten)– veröffentliche Selbstzeugnisse und verwandte Quellen (118

Seiten).In beiden Bereichen ist das umfangreiche Material nach 13

Kategorien geordnet (Notizbücher, Tagebücher, Erinnerungen,Wirtschaftsbücher, Briefe, Familienchroniken, Hofbriefe, Quit-tungsbücher, Örtliche Chroniken, Rezepturen/Magie, Sprüche/Lieder, Schülerhefte, Wander-/Arbeitspässe). Die Quellen nachLandkreisen zu ordnen, ist grundsätzlich sinnvoll; wie sich indesherausstellte, sind nur wenige Angaben so kurzlebig wie dieNamen und Flächen brandenburgischer Landkreise. Es wurdenauch die veröffentlichten Quellen der neumärkischen Kreise(heute Polen) einbezogen.

Soweit der Autor Zeitgenosse des Aufgezeichneten war, ist dieälteste unveröffentlichte Quelle (Nr. 189) Michael Weichbrodts„Verzeichnis und Legenden Etlicher Dinge und Geschichten, sosich zu Fürstenwalde begeben und zugetragen haben“ (1546-1612). Das älteste veröffentlichte Selbstzeugnis (Nr. 338) sindJohannes Simons „Bilder aus dem Leben in einem märkischenFrauenkloster um 1500 nach alten Rechnungsbüchern des Klo-sters Heiligengrabe“ 1512-1513, 1519. Ein kleiner Kreis der unver-öffentlichten Zeugnisse liegt im 16. Jahrhundert oder reicht wegender Rückblicke bis ins 13. Jahrhundert, einige mehr kommen ausdem 17. Jahrhundert, über 90 dieser Quellen berühren das18. Jahrhundert, der Schwerpunkt liegt jedoch mit über 500 Quel-len auf dem 19. Jahrhundert. In das 20. Jahrhundert reichen nichtweniger als 150 Quellen hinein – und dies in Einzelfällen bis indie 90er Jahre. Zahlreiche Quellen erstrecken sich über mehrereJahrhunderte.

Die Quellen sind kurz beschrieben. Das Spektrum reicht vonsehr kurzen Notizen bis zu gebundenen mehrere hundert Seitenstarken Büchern oder mehrbändigen Aufzeichnungen. Der Wertsolcher Ego-Dokumente ist unschätzbar. Sie erhellen dieGeschichte der kleinen Schauplätze. Die mikrohistorische For-schung braucht diese Quellengattung insbesondere, gibt sie unsdoch einen Zipfel von dem in die Hand, was Menschen andererEpochen innerlich bewegte. Seit etwa zwanzig Jahren weitet sichin Europa (besonders Skandinavien) die Suche nach Selbstzeug-nissen aus, verstärken sich Publikation und Interpretation, undintensiviert sich die Diskussion über diese Quellen und ihrenWert. Die Veröffentlichung trifft insofern auf eine aufnahmeberei-te Klientel.

Wie Peters einleitend vermerkt, handelt es sich vor allem umZeugnisse der „sogenannten Unter- und Mittelschichten“ (S. 7),und es finden sich Hunderte schreibender Bauern, Handwerker,

Schiffer, Bürger, Offiziere, Gutsbesitzer und natürlich Pfarrer,Stadtschreiber, Lehrer und Schüler, auch einige Bäuerinnen. Dar-unter sind aber auch Prominente wie der Philosoph und ArztParacelsus (1493-1541) offenbar mit der Abschrift einer seinerSchriften (Nr. 447) und der Goldschmied, Arzt, Buchdrucker,Alchimist, Geologe und Botaniker Leonhard Thurneisser (1531-1595/6) mit persönlichen Notizen auf einem von ihm herausge-gebenen Almanach (Nr. 1). Diese hätte man vielleicht so deutlichhervorheben können, wie es bei dem preußischen KammerherrnFriedrich Ludwig von Rochow auf Plessow (Nr. 31) oder demAgrarreformer Johann Gottlieb Koppe (Nr. 67) geschehen ist.

Das Verzeichnis, mit dem sich sehr gut und schnell arbeitenlässt, liegt in Form einer CD vor, die beim BrandenburgischenLandeshauptarchiv Potsdam erworben werden kann. Zu wün-schen ist, dass sie den ihr gebührenden Bekanntheitsgrad erlangtund dadurch zum Auffinden weiterer Zeugnisse sowie zu einerbreiteren Vernetzung der Besitzer derartiger Zeugnisse mit derForschung beiträgt.

Berlin Heinrich Kaak

Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kir-chen in der DDR (1970-1991) . Findbuch zumBestand 101 des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin.Bearb. von Ruth Pabst. Degener Verlag, Neustadt/Aisch 2005. 437 S. geb. mit CD-ROM, 22,- €.(Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft der Archi-ve und Bibliotheken in der evangelischen Kirche 28. Ver-öffentlichung des Evangelischen Zentralarchivs in Ber-lin, Bd. 7)

Die Erforschung vieler Bereiche der Geschichte der DDR ist nichtmöglich, ohne den direkten wie mittelbaren Einfluss der Kirchenoder christlich geprägter Gruppen in die Untersuchungen einzu-beziehen. Deshalb setzte bereits bald nach 1990 ein heftiges Drän-gen nach Einsicht in die Akten östlicher Gliedkirchen der Evan-gelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus den 1980er Jahren ein.In mehreren Landeskirchen standen die Ausstattung des jeweili-gen Archivs und erhebliche Verzeichnungsrückstände diesemBegehren entgegen. Hinzu kam, dass Akten z. B. zur kirchlichenFriedensarbeit laufende Akten der Konsistorien bzw. Landeskir-chenämter waren. In dieser spannungsreichen Situation war eshilfreich, dass mit dem Evangelischen Zentralarchiv (EZA) inBerlin, dem damaligen gemeinsamen Archiv der EvangelischenKirche in Deutschland und der Evangelischen Kirche der Union,ein Archiv zur Verfügung stand, dass sich systematisch um dieErschließung der kirchlichen Zentralüberlieferung und die Ver-kürzung von Sperrfristen bemühte.

Als Ergebnis intensiver Arbeit und politischer Entscheidungenim Kirchenamt der EKD (S. 29) liegt nun bereits das Findbuchzum Bestand Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirche inder DDR (BEK) vor, dessen reguläre Sperrfristen überwiegendnoch nicht abgelaufen wären. Personalakten allerdings und„Sachbetreffsakten mit überwiegend personenbezogenen Vorgän-gen“ (ebd.) werden nicht aufgeführt: Bei Akten zu Wehrdienstver-weigerung, zu Auseinandersetzungen wegen des kirchlichenEngagements von Schülern, Studenten und anderen Auszubilden-den, politischen Konflikten von Gemeindegliedern und bei derGefängnisseelsorge sind seelsorgerliche Rücksichten zu beachten.

Mit seiner vorzüglichen Klassifikation und der präzisen Ver-zeichnung ist dieses Findbuch nicht nur unentbehrlich für Benut-zer und Benutzerinnen des EZA. Ruth Pabsts anschauliche undlehrreiche Einleitung bietet Forschenden, die mit kirchlichemLeben wenig vertraut sind, eine Einführung in evangelische Kir-chengeschichte der Nachkriegszeit und in die – selbst sehr akti-ven Kirchengliedern oft unbekannten – zentralen kirchlichenGremien wie Ostkirchenkonferenz und Konferenz der Evangeli-schen Kirchenleitungen in der DDR (KKL). Auf nur neun Seitenschildert sie den Weg zur Gründung des BEK, die Funktionen sei-nes Sekretariats sowie die wichtigsten Ereignisse bis zum Zusam-menschluss von BEK und EKD.

Die Unterkapitel zur Registratur des BEK, der Übernahme desBestandes, seiner Ordnung und Verzeichnung spiegeln in knap-

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pen Sätzen die enorme Arbeit, die zu leisten war, bevor mit derAbfassung des Findbuches begonnen werden konnte. (Archiva-rinnen und Archivare, die Anfang der 1990er Jahre in kirchlichenArchiven tätig waren, werden vielfach entsprechende eigeneBemühungen wiedererkennen.) Aktentitel und Vermerke spiegelnkirchliches Handeln zur DDR-Zeit in seiner Lebhaftigkeit undVielseitigkeit.

Angesichts der zahlreichen Reisen zu ökumenischen Begeg-nungen erlaubt sich die Rezensentin den Hinweis, dass ein ent-sprechend genaues Findbuch zu einem Archiv einer Superinten-dentur oder einer ländlichen Kirchengemeinde viel begrenztereReise- und Kontaktmöglichkeiten erkennen ließe. So erleichtertdas neueste Findbuch des EZA nicht nur Recherchen im EZA, son-dern regt auch zur vertieften Beschäftigung mit der Geschichtekirchlichen Lebens in der DDR an.

Der Anhang enthält Angaben zu den Vorstandsmitgliedern derKKL und den Referentinnen und Referenten beim Sekretariat desBEK. Die dem Band beigegebene CD ermöglicht Recherchen aufdem heimischen Rechner in der Allegro-C-Datenbank der Daten-sätze der Druckversion. Die Menüs entsprechen denen der Alle-gro-Bibliothekskataloge. Angeboten werden unter „Titel“ außerAktentiteln auch Vermerke. Die angebotenen Titel sind so formu-liert, dass sie auch zur sachthematischen Suche genutzt werdenkönnen. Unter dem Buchstaben A finden sich z. B. „Abbaggernvon Braunkohlegebieten“ und „Abendmahlsverwaltung durchNichtordinierte“. In beiden Fällen handelt es sich um Teileumfangreicher „Enthält-Vermerke“ zu Sitzungsprotokollen, dieohne die CD nur mühsam aufzufinden wären. Auch nach Signa-turen und Laufzeiten sind Recherchen möglich. Das Programmermöglicht die individuelle Zusammenstellung ausdruckbarerErgebnislisten.

Dresden Carlies Maria Raddatz

„… sind Sie für den geschlossenen Arbeitseinsatzvorgesehen …“ „Judendeportationen“ von Bre-merinnen und Bremern während der Zeit dernationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Hrsg.vom Staatsarchiv Bremen. Bearb. von Günther Roh-denburg. Bremen 2006. 367 S., 50 s/w Abb., Paperback.10,- €.(Kleine Schriften des Staatsarchivs Bremen, H. 36)

Ziel des vorliegenden Bandes ist, einen vollständigen Überblicküber die Deportationen von Bremer Juden und deren Ablauf ent-sprechend des aktuellen Forschungsstandes darzulegen. Imbeschreibenden Teil, der rund die Hälfte des Buches umfasst, wer-den anhand von mehreren Aufsätzen und Berichten drei Gruppenvon Deportationen geschildert: die frühen Deportationen 1938,die Deportation nach Minsk 1941, sowie die Deportationen nachTheresienstadt zwischen 1942 und 1945. Während der Abschnittüber die Deportation nach Minsk weniger dokumentiert in einemfrüheren, rasch vergriffenen Band derselben Schriftenreihe bereitserschienen ist, bringen die beiden anderen Abschnitte Ergebnisseaus den Recherchen, die aus dem seit 2002 laufenden Projekt „Ver-folgung wegen jüdischer Abstammung“ gewonnen wurden. Diemeisten Aufsätze sind, obschon sie auch Primärquellen zitieren,nicht eigentlich wissenschaftliche Forschungsergebnisse, sondernBerichte, in denen persönliche Schilderungen der Betroffenen ver-flochten mit historischen Fakten klar und oft detailliert dargelegtwerden. Die persönlichen Beschreibungen dokumentieren teilssehr deutlich, wie vor allem in den ersten Phasen der Deportatio-nen das tägliche Leben der christlichen Bevölkerung fast normalverlief. Gewisse Einzelheiten wiederholen sich in den verschiede-nen Berichten, welche vielfach auf Interviews mit Überlebendenbasieren. Speziell im Teil über Minsk ist dies insofern gerechtfer-tigt, weil das Ghetto in Minsk mit all seinen Grauen, das„Auschwitz Belorußlands“, in Deutschland wenig bekannt istund es bisher kein umfassendes Werk dazu gibt, wie sich aus derumfangreichen Literaturübersicht schließen lässt. Dieses Buchbeschränkt sich nicht auf die eigentlichen Deportationen der Bre-mer Juden und ihr Schicksal in den Lagern, sondern beleuchtetauch die Perspektive der christlichen Umgebung, wobei deren

Schicksal etwas überdramatisiert wird. Der ausführliche undäußerst persönliche Aufsatz über die Gedenkreise von Bremennach Minsk 1991 beweist, wie beeindruckend und wichtig dieBeschäftigung mit dem Holocaust auch 50 Jahre danach ist. Die-ser Reisebericht schildert gleichzeitig die Eindrücke von Osteuro-pa zu Beginn der Perestroika. Der Teil über die Transporte nachTheresienstadt beschreibt anhand von statistischen Fakten undpersönlichen Eindrücken die allgemein bekannteren Umständedieses so genannten Musterghettos. Der Titel des letzten Aufsat-zes über die so genannten jüdischen „Helfershelfer“ ist irrefüh-rend, weil damit die Beamten, unter ihnen auch die Vertreter derBremer jüdischen Gemeinde, als Helfer der nationalsozialisti-schen Täter hingestellt werden, obwohl dies – wie auch der Ver-fasser zugibt – ein umstrittenes Thema ist. Der Materialienteil desBuches umfasst detaillierte Namenslisten der deportierten Bre-mer, aufgegliedert in die verschiedenen Deportationen und mitAngaben über deren weiteres Schicksal. Der Dokumententeil ent-hält Abbildungen von Originalakten, Auszüge aus Büchern, Kar-ten und Tafeln, sowie einzelne Fotos. Dieses Buch soll ein ersterSchritt sein für ein vollständiges Erinnerungsbuch für die jüdi-schen Opfer des Nationalsozialismus aus Bremen.

Jerusalem Denise Rein

Stamm-Buch der Jenaischen Burschenschaft. DieMitglieder in der Urburschenschaft 1815-1819. Bearb.von Peter Kaupp. SH-Verlag, Köln 2005. 192 S., 14 Abb.,geb. 29,80 €.(Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen,Bd. 14)

Zum ersten Mal wird das „Stamm-Buch der Jenaischen Burschen-schaft“ von 1815-1819 als Einzelveröffentlichung vorgelegt.Anlass ist das 190jährige Bestehen der Jenaischen Burschenschaft.Die Veröffentlichung von Peter Kaupp, selbst Armine, eigentlichSoziologe und als Spezialist der deutschen Postgeschichtebekannt, zeichnet sich durch besondere Quellennähe und Zuver-lässigkeit aus. Zugleich ist die Ausgabe ergänzt um knappe bio-graphische Daten und erweitert gegenüber der Veröffentlichungvon Rudolf Hanow „Mitglieder-Verzeichnis von 1815 bis1935…“, Hildesheim 1935.

Das vorliegende Stamm-Buch endet 1819, dann werden dieKarlsbader Beschlüsse so wirksam, dass kaum eine Überlieferungzu erwarten ist. Erst 1822 setzt die Schriftlichkeit wieder ein, bis1833 erneut restriktive Bedingungen zum Abbruch führen.

Bedeutende Studenten und später prominente Zeitgenossen,teilweise auch mit Bild, sind u. a. Heinrich v. Gagern (1799-1880),erster Präsident der Frankfurter Nationalversammlung 1848 undGeorg Friedrich Hanitsch (1790-1865), Komponist, der von Arndtdas Lied „Sind wir vereint zur guten Stunde“ vertonte, das beiGründung der Burschenschaft am 12. Juni 1815 gesungen wurdeund als Nationallied der Burschenschaft gilt. Zu nennen sind auchCarl Ludwig Sand (1795-1820), „der Mörder Kotzebues“, der spä-tere konservative Historiker Heinrich Leo (1799-1878) oder derGermanist und Turnlehrer Hans Ferdinand Maßmann (1797-1874). 863 Namen können der Urburschenschaft einwandfreizugeordnet werden. Nur bei 50 Namen ist die Mitgliedschaftungeklärt.

In dem Buch, das durch ein Personen- und Ortsregister guterschlossen ist, wird eine Avantgarde der deutschen und zuwei-len der europäischen Nationalbewegung vorgestellt. Es lohnt sich,den Fragen nachzugehen, wer diese Leute sind, woher sie kom-men und was aus ihnen später geworden ist?

„Die Studenten von 1815/19“, schreibt Harald Lönnecker,„sind die Vereinsvorstände von 1825, Wissen und Leistung kumu-lierende Akademiker, die im Vormärz oft in den Landtag und1848/49 in der Paulskirche saßen.“ Kaupp stellt die Studenten vor,die mit der Verfassung der Jenaischen Burschenschaft vom 12.Juni 1815 und mit den auf der Wartburg gefassten „Beschlüssendes 18. Oktober 1817“ erstmals Gedanken Struktur gaben, die sich– teilweise wortwörtlich – in der Verfassung von 1849 wieder fin-den, über die sie 1919 in der Weimarer Verfassung und 1949 insGrundgesetzt gelangten – und nicht zuletzt handelt es sich umjene Studenten, die die deutschen Nationalfarben schufen. Dabei

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ist es erstaunlich, welch eine kleine Gruppe die Spitze der deut-schen Nationalbewegung darstellte, die die deutsche Einheit undFreiheit propagierte und verbreitete. Kaupp kommt das Verdienstzu, sie erstmals personengeschichtlich erfasst zu haben.

Leipzig Gerald Wiemers

Ralf Stremmel, 100 Jahre Historisches ArchivKrupp. Entwicklungen, Aufgaben, Bestände. Hrsg.von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stif-tung. Deutscher Kunstverlag, München – Berlin 2005.276 S., 72 s/w und 155 farb. Abb., brosch. 14,80 €.(Kleine Reihe Villa Hügel.)

Die Bestände des Wirtschaftsarchivs Baden-Württemberg. Unternehmen, Industrie- und Handels-kammern, Handwerkskammern, Verbände, Vereine,Nachlässe. Bearb. von Martin Burkhardt, Ute Fitte-rer, Jutta Hanitsch, Anne Hermann, Gert Kollmer-von Oheimb-Loup, Sandra Krischel und ElkeSchmitt. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2005. 474 S.,geb. 59,- €.(Stuttgarter historische Studien zur Landes- und Wirt-schaftsgeschichte, Bd. 7)

Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass Krupp zu denam besten erforschten deutschen Industrieunternehmen gehört.Dafür steht nicht allein die noch von Renate Köhne-Linden-laub angeregte und von der Alfried Krupp von Bohlen und Halb-ach-Stiftung bei Lothar Gall in Auftrag gegebene zweibändigeKrupp-Geschichte, an der mit Klaus Tenfelde, Toni Pieren-kemper und Werner Abelshauser führende Wirtschafts- undSozialhistoriker beteiligt waren. Die Fülle der wissenschaftlichenVeröffentlichungen zu bzw. mit ausführlichen Hinweisen aufKrupp ist kaum zu überblicken. Dies hat seinen Grund, denn mitdem 1905 gegründeten Historischen Archiv Krupp – damals„Geschichtliche Abteilung“ genannt – steht ein schier unerschöpf-licher Quellenfundus, der bis in die Anfänge der Firmengeschich-te zurückgeht und etwa 8.000 laufende Regalmeter umfasst, zurVerfügung. Zeitgleich wurde von Margarethe Krupp das Famili-enarchiv Krupp gegründet, das bis 1720 zurückreicht und knapp300 laufende Meter zählt. Hinter dem eigentlichen Gründungsan-lass, dem bevorstehenden, mit großem Aufwand begangenen 100-jährigen Jubiläum im Jahre 1912 (vgl. dazu jüngst Klaus Tenfel-de: „Krupp bleibt Krupp“), standen aber auch strukturelle Ver-änderungen innerhalb der Geschichtswissenschaft. Mit dem Para-digmenwechsel von den „Großen Mächten“ (Leopold von Ranke)hin zur Strukturgeschichte gewannen gesellschaftliche, wirt-schaftliche und kulturelle Fragestellungen immer mehr anGewicht, und der Ruf „ad fontes!“ wurde auch für den Bereichdes Schriftgutes der Wirtschaft immer lauter. So hatte der Lamp-recht-Schüler Armin Tille 1905 die Einrichtung von „wirtschaftli-chen Bezirksarchiven“ empfohlen, und der in Rostock lehrendeNationalökonom Richard Ehrenberg, der sich vor allem durchseine frühen betriebssoziologischen Studien u. a. zu Krupp her-vorgetan hatte, setzte sich für die Einrichtung von Unternehmens-archiven ein, um die Entwicklung der Volkswirtschaft ausgehendvon ihren „Einzelzellen“ – damit meinte er die einzelnen Unter-nehmen wie die einzelnen privaten Haushalte - zu erforschen.

Diese Forderungen fielen bei Krupp auf fruchtbaren Boden,und 1905 wurde in Essen das Krupp-Archiv als erstes Archiv derWirtschaft in Deutschland gegründet. 1907 folgten mit dem Sie-mens-Archiv und dem Bayer-Archiv in München und Leverku-sen weitere bedeutende Gründungen von Unternehmensarchi-ven, die noch heute Bestand haben und zu den herausragendenUnternehmensarchiven in Deutschland zählen. Dass Krupp fürsolche Ideen empfänglich war, wundert nicht, denn das Unterneh-men war seit seinen Anfängen in besonderer Weise auf Repräsen-tation ausgerichtet und verfügte bereits seit den 1860er Jahren alserstes Industrieunternehmen über eine „Photographische Abtei-lung“ (Barbara Wolbring). Das vorliegende Buch geht dabei vonden ersten Überlegungen von Alfred Krupp aus dem Jahr 1871 zur

Gründung eines Archivs selbst aus. Mittlerweile 60 Jahre altbeklagte er: „Ich habe keine Registratur, kein Copirbuch, nichtsbleibt nachher von mir übrig als Briefe, Zettel-Notizen in Blei, oftsehr schlecht und unleserlich geschrieben.“ Ralf Stremmel, vieleJahre wissenschaftlicher Mitarbeiter im Westfälischen Wirtschafts-archiv in Dortmund und seit Sommer 2003 Nachfolger von Rena-te Köhne-Lindenlaub in der Leitung des Historischen ArchivsKrupp, hat zum 100-jährigen Bestehen des Archivs eine beein-druckende Archivgeschichte vorgelegt, die bis in die Gegenwartreicht und der Fachwelt nur empfohlen werden kann, ohne dassan dieser Stelle genauer auf die einzelnen Entwicklungsphaseneingegangen werden kann. Die hohe Wertschätzung, die dasArchiv auch heute bei seinem Träger genießt, kommt nicht zuletztin einem umfassenden Projekt zur Bestandserhaltung zum Aus-druck, für das die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stif-tung im Juni 2002 bis zu 2,5 Mio. € zur Verfügung gestellt hat.(S. 188). Die Darstellung blendet aber auch die schwierigen Pha-sen nach dem Zweiten Weltkrieg und den 1970er Jahren („Vordem Aus?“) nicht aus, als das Archiv nur nebenamtlich betreutwerden konnte und bereits öffentlich diskutiert wurde, ob dieBestände nicht besser in das Bundesarchiv oder in das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv nach Köln gehen sollten.„Quatsch“, das waren die deutlichen Worte von Krupp-VorstandEhrhard Reusch zu diesem Thema. (S. 95) Auch nach der Fusionvon Krupp und Thyssen im März 1999 ist die eigenständige Fort-existenz gesichert, denn das Historische Archiv Krupp ist in dasEigentum der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungübergegangen. Das hervorragend illustrierte Buch, das imAnhang auch eine kurze Beständeübersicht enthält, setzt auf demeher vernachlässigten Gebiet der Archivgeschichte Maßstäbe.

Ein an Jahren jüngerer Jubilar ist das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, das 2005 sein 25-jähriges Bestehen feierte. Nachdem eingangs erwähnten Aufruf Tilles wurden 1906 mit demRheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Köln – eine Initiati-ve der Handelskammern der preußischen Provinzen Rheinlandund Westfalen – sowie dem Südwestdeutschen Wirtschaftsarchivin Saarbrücken die ersten regionalen Wirtschaftsarchive inDeutschland gegründet. Leider hat der Zweite Weltkrieg hier zuunwiederbringlichen Verlusten geführt, und das SaarbrückerInstitut ist dann gar dem lukrativen Altpapierhandel in der Nach-kriegszeit zum Opfer gefallen. Andererseits hatten die Archivpo-litik des NS-Regimes und die Kriegswirren 1941 zur Gründungdes Westfälischen Wirtschaftsarchivs in Dortmund geführt, umdas wertvolle historische Schriftgut des westfälischen Industrie-gebiets und des märkischen Raumes vor dem zentralistischenZugriff der nationalsozialistischen Machthaber aber auch vor dennäher rückenden Bombeneinschlägen der Alliierten zu schützen.Heute existieren in der Bundesrepublik insgesamt sechs institu-tionell voneinander unabhängige regionale Wirtschaftsarchive,die aber eng kooperieren, und zwar neben Köln und Dortmunddas Baden-Württembergische Wirtschaftsarchiv in Stuttgart (gegr.1980), das Bayerische Wirtschaftsarchiv in München (gegr. 1986),das Hessische Wirtschaftsarchiv in Darmstadt (gegr. 1992) unddas Sächsische Wirtschaftsarchiv in Leipzig (gegr. 1993). Jüngstwurden in Braunschweig bzw. Wolfenbüttel Initiativen zur Grün-dung eines Niedersächsischen und in Berlin zur Gründung einesBerlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchivs entwickelt, wobeiersteres bereits in die Gründungsphase eingetreten ist.

Die Vielfältigkeit der Überlieferungen in den einzelnen regio-nalen Wirtschaftsarchiven spiegelt sich in den Beständeübersich-ten wider, die Visitenkarte der Archive sind. Eine solche hat zuseinem Jubiläum mit hohem archivwissenschaftlichem Sachver-stand nun auch das in Hohenheim domizilierende Wirtschaftsar-chiv Baden-Württemberg abgegeben. Das Archiv verfügt mittler-weile über beachtenswerte 450 Einzelbestände im Umfang von rd.neun Regalkilometern, die ihren zeitlichen Schwerpunkt zwi-schen 1850 und 1970 haben. Neben der Pflege der Archive dersüdwestdeutschen Industrie- und Handelskammern sowie derHandwerkskammern – hier nehmen die regionalen Wirtschafts-archive nach dem jeweiligen Landesarchivgesetz hoheitliche Auf-gaben wahr – bilden sich in den Hohenheimer Beständen dieregionalen Wirtschafts- und Branchenstrukturen ab. Zu den her-ausragenden Beständen zählen das Archiv der Schwäbischen

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Hüttenwerke in Wasseralfingen, das bis in das 17. Jahrhundertzurückreicht, sowie die Überlieferungen zur Textilindustrie (v. a.Bleyle, Württembergische Cattunmanufaktur), zur Metallindu-strie und zum Maschinenbau (v. a. Voith, WMF), zur Papierindu-strie und zum Verlagswesen, zum Musikinstrumentenbau (Hoh-ner), zur badischen Tabakindustrie, zur Nahrungsmittelindustrie(v. a. Birkel, Kessler Sekt), zur Lederwarenherstellung (Salaman-der), zur Holzverarbeitung, zur chemischen Industrie, zum Bau-gewerbe, zur Elektroindustrie, zur Schmuck- und Uhrenherstel-lung und nicht zu vergessen zu Banken, Sparkassen und Versiche-rungen (v. a. LBBW, Wüstenrot) und zur Energiewirtschaft, dieeinen besonderen Schwerpunkt bildet. Ergänzt werden die Kam-mer- und Firmenbestände durch Archive von Verbänden und Ver-einen, persönliche Nachlässe und Sammlungsgut wie Geschäfts-berichte, historische Werbematerialien oder Plakate. Den Benut-zern steht darüber hinaus eine Spezialbibliothek mit mehr als50.000 Titeln zum Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialgeschich-te Südwestdeutschlands sowie eine umfangreiche Sammlung vonFirmenfestschriften zur Verfügung. Wie das Beispiel Baden-Würt-temberg unterstreicht, sind die regionalen Wirtschaftsarchive, dieauch über eigene wissenschaftliche Schriftenreihen verfügen, zueinem unverzichtbaren Bestandteil der wirtschafts- und sozialge-schichtlichen Forschungslandschaft in Deutschland geworden.

Dortmund Karl-Peter Ellerbrock

Gabriele Stüber, Christine Lauer, Vom Gestern insMorgen. 75 Jahre Zentralarchiv der Evangelischen Kir-che der Pfalz (1930-2005). verlag regionalkultur, Heidel-berg – Ubstadt-Weiher – Basel 2005. 48 S., zahlr. meistfarb. Abb., brosch. 3,50 €.

Die kleine Schrift der Speyerer Archivleiterin und ihrer Mitarbei-terin Christine Lauer, die hierzu eine für die Nutzung hilfreicheBeständeübersicht des Zentralarchivs beisteuert (21-48), hätteauch „Verbesserungen der archivischen Dienstleistungen“ über-schrieben werden können. Denn in ihrem Jubiläumsbeitrag überdas 1931 eingerichtete und seit 1984 in Zentralarchiv umbenann-te Landeskirchliche Archiv der Pfalz wiederholt Gabriele Stüberbewusst nicht ihre Ausführungen über die Archiventstehung undArchivgeschichte, die sie zum 65. Geburtstag ihrer Einrichtung1995 veröffentlicht hat. Sie legt hingegen dar, was sich in dreiKernbereichen der archivischen Tätigkeit – Service für Pfarräm-ter, Agentur für Kirchengeschichte und digitale Erschließung vonUnterlagen – in den letzten Jahren getan hat und was es perspek-tivisch zu tun gilt. Entscheidende Veränderungen für die Arbeits-bedingungen traten dabei im letzten Jahrzehnt durch die Verab-schiedung des landeskirchlichen Archivgesetzes 1999, durch diedigitale Medienrevolution sowie durch den harten Sparkurs auchder Evangelischen Kirche der Pfalz ein.

Das landeskirchliche Zentralarchiv nimmt diese Herausforde-rungen an, indem es sich konsequent von Anregungen eines auchbetriebswirtschaftlich orientierten Archivmanagements leitenlässt. So wird das archivische Handeln verstärkt an den Benutzer-wünschen („Kundschaft“) ausgerichtet, beispielsweise bei denÖffnungszeiten, es werden gehaltvolle und nachhaltige Angebo-te für unterschiedliche Zielgruppen erarbeitet (z. B. für Vikare,Schüler, Kirchengemeinden etc.), es werden neue Kooperations-partner gefunden („Kulturpartner“), z. B. mit der EvangelischenErwachsenenbildung, und es werden schließlich kontinuierlicheQualitätssteigerungen der Serviceleistungen angestrebt (u. a. imZuge einer „digitalen Offensive“). In diesem Zusammenhang ver-stärkte das Archiv in den letzten Jahren die Einbindung Ehren-amtlicher und Ruheständler, es intensivierte die Einwerbungexterner Mittel und es beschritt zahlreiche neue Wege in derArchivpädagogik und der Historischen Bildungsarbeit.

Stüber weist in ihrem nicht nur für Kirchenarchivare anregen-den Beitrag zurecht darauf hin, dass längst noch nicht alle anste-henden Fragen zur Verbesserung der archivischen Tätigkeitenabschließend beantwortet seien. Sie sieht aber das Zentralarchivals „leistungsfähige, kundenorientierte Dienstleistungseinrich-tung“ dank seiner technischen Ausstattung und seiner motivier-

ten Mitarbeiter für die Herausforderungen „vom Gestern ins Mor-gen“ gut gerüstet.

Bielefeld Jens Murken

Vorläufiges Findbuch zur Abteilung X: „Interna-tionale Verbindungen“ des Ministeriums fürStaatssicherheit der DDR. Bearb. von Marko Pol-lack und Doreen Bombitzki. Lit Verlag, Münster 2005.335 S., Paperback. 19,90 €.(Archiv zur DDR-Staatssicherheit Bd. 8)

Wie schon in der Besprechung des Bandes 4 dieser Publikations-reihe, Der Archivar 56 (2003), 2, S. 165, angemerkt, sind veröffent-lichte Findbücher nützliche Hilfsmittel für die Forschung und denArchivbenutzern meist sehr willkommen, weil sie eine inhaltlicheVorbereitung geplanter Archivstudien außerhalb des Archivsermöglichen. Dies gilt in besonderem Maße für die Archive derBundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, deren Bestandsauf-bau auch für erfahrene Benutzer konventioneller Archive wegender Besonderheiten der Aktenbildung – bzw. „Nicht-Bildung“ –beim MfS zum Teil schwer nachzuvollziehen ist; umso erfreu-licher die vorliegende Publikation.

Das „Vorläufige Findbuch“, das erfahrungsgemäß auf länge-re Sicht „vorläufig“ bleiben wird, informiert in unterschiedlicherIntensität über den Inhalt des Archivgutes der Abteilung X desMfS, die von 1956-1989 mit der Aufgabenstellung bestanden hat,die „Zusammenarbeit mit den volksdemokratischen Ländern“ zurealisieren bzw. zu koordinieren; „internationale Verbindungen“sind also überwiegend in diesem engeren Sinne zu verstehen.Daher wäre es richtiger gewesen – und ist durch den tatsächlichenAkteninhalt auch gedeckt –, den beiden Hauptgruppen 1 und 2,dem Großteil des Findbuches, die Überschrift „Zusammenarbeitmit den Geheimdiensten der Sowjetunion und der volksdemokra-tischen/sozialistischen Länder“ zu geben. Fast alle in diesen bei-den Hauptgruppen genannten Länder fallen unter diese Über-schrift, zumal wenn man einige Länder mit dauerhafter oder zeit-weiliger „sozialistischer Orientierung“ einbezieht. Die erhebli-chen Überschneidungen zwischen den ersten beiden die gleichenLänder betreffenden Hauptgruppen sind zwar für den Nutzerunbefriedigend, lassen sich aber wegen der vorgefundenenAktenbildung bzw. Ordnung – in der 1. Hauptgruppe primärnach Ländern, in der 2. primär nach sachlichen Gesichtspunkten– wohl kaum vermeiden.

Generell ist eine gewisse Tendenz zur „Übergliederung“ fest-zustellen. So dürfte die gesonderte Kleinstgruppe 2.2. „Fahn-dungsmaßnahmen“ (6 Akteneinheiten, S. 132) neben der Groß-gruppe 2.1. „Personenüberprüfungen“ (S. 100-131) kaum vertret-bar sein. Warum VVS-Ein- und Ausgangsbücher (5.4), Post- undKurierbücher (5.8), Arbeitsbücher der Mitarbeiter (5.9) und Fern-sprechverzeichnisse (5.15.) – alle ohnehin von recht geringemhistorischem Wert – in vier verschiedenen Gruppen zu findensind, leuchtet nicht recht ein. Verlegenheitsgruppen ohne Aussa-gewert, wie 2.16. „Organisatorisches und herausgehobene Fälle“,sollte man nicht bilden! Ihr Inhalt ließe sich ohne Mühe auf die –übrigens zu zahlreichen – 15 anderen Gruppen der Hauptgruppe2 aufteilen. Auch die sehr kleine, nichts sagende Hauptgruppe 7„Themenübergreifendes und Sammlungsgut“ (!) müsste aufgelöstund in die bestehenden Hauptgruppen/Gruppen eingeordnetwerden. Das Abkürzungsverzeichnis sollte – wie generell üblich– auf allgemein bekannte Abkürzungen, wie z. B. AG, DDR, USAverzichten. Dagegen wäre die Aufnahme und Auflösung der fürdie vorliegende Überlieferung wichtigen Abkürzungen sehr not-wendig, etwa SOUD – sistema obscego uceta dokumentacii –gemeinsames Informationserfassungssystem – im Rahmen desInformationsverbundes der Geheimdienste der Sowjetunion undder sozialistischen Länder.

Vielleicht können diese wenigen Hinweise bei einer späterenÜberarbeitung dieser nützlichen Publikation berücksichtigt wer-den.

Potsdam Hermann Schreyer

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Nachrufe

Paul A. Alsberg †

Geb. 30. März 1919 ElberfeldGest. 20. August 2006 Beer Sheva/IsraelPaul A. Alsberg, unser israelischer Archivkollege, ist tot. InBeer Sheva, wohin er mit seiner Frau schon vor Jahren vonJerusalem umgezogen war und dort in der Umgebung, inGanei Omer, nahe seiner großen Familie, seinen Alters-wohnsitz gefunden hatte, erlag er im 88. Lebensjahr am20. August 2006 einem über Monate mit beispielhafterBeherrschung ertragenen unheilbaren Leiden. In patriar-chalischer Würde hatte er nach altjüdischem Brauch nochvon seiner Frau, den Kindern, Enkeln und UrenkelnAbschied genommen. Geboren am 30. März 1919 in Elber-feld (heute Wuppertal) wuchs Paul Alsberg, zusammenmit zwei älteren Geschwistern, im liberal-jüdischen Hauseiner alteingesessenen wohlhabenden Kaufmannsfamilieauf. Als nach dem Tode des Vaters 1936 sein älterer BruderOtto bereits nach Palästina emigriert war, entschloss sichauch Paul – in der Erkenntnis, dass das Judentum im NS-Staat keine Zukunft haben würde – zur Auswanderungdorthin. Zur gründlichen Vorbereitung schrieb er sichgleich nach dem Abitur am humanistischen Gymnasiumim Frühjahr 1937 zum Studium der Hebraistik und derjüdischen Theologie am Breslauer Rabbiner-Seminar ein,das zur Förderung der jüdischen Emigration vom Regimedamals zunächst noch toleriert wurde. Nachdem er unmit-telbar nach dem November-Progrom 1938 und der damitverbundenen Schließung des Seminars zusammen mit denanderen männlichen Teilnehmern (Dozenten und Studen-ten) verhaftet und nach Buchenwald deportiert wordenwar, gelang Paul Alsberg mit Unterstützung der Familiesogleich nach seiner Entlassung im Februar 1939 die Aus-reise. Mittels der so beschafften Einwanderungs-Zertifika-te konnte er – gemeinsam mit der auch in Elberfeld behei-mateten Betti Keschner, seiner späteren Ehefrau, die er imBreslauer Seminar kennen gelernt hatte – noch im Februar1939 ins britische Mandatsgebiet Palästina einreisen.1 Dortimmatrikulierte sich Alsberg an der Hebräischen Univer-

sität Jerusalem zum Studium der Geschichte und derRomanischen Philologie. Zunächst noch ohne feste Anstel-lung richtete er zusammen mit einem Studienfreundnebenher eine kleine Holzwerkstatt ein, in der beide zumVerkauf kleinere Möbelstücke fertigten. 1943 graduierte erzum M.A. Im April 1949 holte ihn Alex Bein in das „Cen-tral Zionist Archives“, wo er die amtlichen Beständebetreute. Als sich 1956/57 das Israelische Staatsarchiv kon-stituierte, wurde er im August 1957 dessen Direktor, imgleichen Jahr an der Hebräischen Universität zum PhDpromoviert. 1971 folgte die Ernennung zum „State Archi-vist“ von Israel. Diese dem Amt des Premierministersnachgeordnete leitende Archivfunktion nahm er bis 1990wahr. Die Gestaltung des staatlichen Archivwesens vonIsrael, dessen organisatorischer, administrativer und recht-licher Ausbau ist Paul Alsbergs Werk.

Über Jahrzehnte fungierte Alsberg als Vorsitzender derwissenschaftlichen Kommission der nationalen Gedenk-stätte Yad Vashem. Die Dokumentation des Eichmann-Pro-zesses betreute er als Mit-Herausgeber.

Nachdem er bereits ab 1956 an der Hebräischen Univer-sität Archivistik gelehrt hatte, assistierte Paul Alsberg 1961Alex Bein bei der Einrichtung eines umfassenden archiv-wissenschaftlichen Kurses, der sich dann innerhalb deruniversitären Schule für Bibliotheks-, Archiv- und Informa-tionswissenschaften zu einem eigenständigen Programmentwickelte. Als Präsident der Organisation aus Mitteleu-ropa nach Israel eingewanderter Juden war Alsberg Spre-cher dieser den jungen Staat zumal in der Aufbauphaseprägenden Bevölkerungsgruppe: der „Jeckes“ – auchSchriftleiter von deren Mitteilungsblatt (für das manwegen der noch lange Zeit verpönten deutschen Sprachedas Kürzel „MB“ benutzte). Für die ebenfalls aus Elberfeldstammende, im Januar 1945 in Israel verstorbene jüdischeSchriftstellerin Else Lasker-Schüler wirkte Paul Alsbergehrenamtlich als Nachlassverwalter.

Nachdem Paul und Betti mit ihrer Heirat 1942 in Jeru-salem ihre Familie begründet hatten, traf sie im Oktober1973 mit dem Soldatentod des Sohnes Shimon im Jom Kip-pur-Krieg ein bitterer Schicksalsschlag, den die Eltern nieverwunden haben. Irith, die Tochter der Alsbergs, hattesich mit ihrer jungen Familie in Beer Sheva am Rande derNegev-Wüste niedergelassen. Über sie, die auf Deutsch-landreisen werbend für Israel tätig war und in solcher Mis-sion eine Modell-Städtepartnerschaft zwischen Beer Sheva

1 Paul Alsbergs Mutter und Schwester erreichten Israel erst Jahre späterin einer durch den Kriegsausbruch verursachten abenteuerlichen Odys-see um die halbe Welt.

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und Wuppertal initiiert hatte, erwuchs zwischen Paul Als-berg und seiner deutschen Heimatstadt eine sich dann inbeidseitigem Vertrauen aktivierende Beziehung. So nahmAlsberg als Ehrengast eine Einladung zur Einweihung derneuen Wuppertaler Synagoge an, die im Dezember 2002 imBeisein von Bundespräsident Johannes Rau, des israeli-schen Staatspräsidenten und von Paul Spiegel, dem Vorsit-zenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, statt-fand.

Weltweites Ansehen und hohe Wertschätzung erwarbsich Paul Alsberg bald in der internationalen Archivars-Gemeinschaft. Seinen Ausdruck fand dies in aktiver Mit-arbeit in Fachausschüssen des Internationalen Archivrats,der ihn turnusgemäß 1972-1974 in sein Leitungsgremium,das Exekutivkomitee berief und seine Verdienste beimInternationalen Archivkongress von London 1980 durchErnennung zum Ehrenmitglied würdigte.

Beim Bonner Kongress 1984 wurde Paul Alsberg derVorsitz einer Sitzung angetragen. Da bei dieser Sitzung iminternationalen Sprachenproporz Deutsch an der Reihewar, erklärte sich der israelische Kollege ohne Bedenkenbereit, die Sitzung in deutscher Sprache zu leiten.

Als meine Frau und ich im April 1999 auf einer Israel-reise die Alsbergs in Ganei Omer besuchten und als Gästean einem von der Hebräischen Universität für den Acht-zigjährigen in Jerusalem veranstalteten Festakt teilnahmen,waren wir beeindruckt von der achtungsvollen Würdigungund der herzlichen Zuneigung, die Mitarbeiter, Kollegenund Freunde dem Jubilar bezeugten. Fachliche Kompetenzund umfassende Bildung verbanden sich in ihm auf eige-ne Weise mit vornehmer Gelassenheit, bescheidenerZurückhaltung und liebenswürdig offener Hilfsbereit-schaft.

Als Persönlichkeit von Rang mit starker menschlicherAusstrahlung wird Paul A. Alsberg seinen zahlreichenFreunden auf nationaler und internationaler Ebene in Erin-nerung bleiben.

Koblenz Alfred Wagner

Hellmuth Gensicke †

Geb. 29. Juni 1917 Alpenrod (Westerwald)Gest. 17. September 2006 WiesbadenIm 90. Lebensjahr verstarb Archivdirektor a. D. Dr. Hell-muth Gensicke. Wie bei vielen Menschen seiner Generati-on verlief seine Karriere keineswegs geradlinig. Nach demAbitur am humanistischen Gymnasium in Oberlahnstein1935 studierte er in Marburg, Königsberg, Bonn und Ber-lin. Noch vor Abschluss seines Studiums wurde er nachKriegsausbruch im Dezember 1939 zur Wehrmacht einge-zogen. Im Februar 1944 wurde er so schwer verwundet,dass sein rechtes Bein amputiert werden musste. Währendeines Lazarettaufenthaltes in Darmstadt geriet er im März1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er imJuni 1945 entlassen wurde. Im Wintersemester 1945/46nahm er sein Studium an der Universität Marburg wiederauf und vollendete seine bereits 1938 begonnene Untersu-chung „Landesgeschichte des Westerwaldes“, die 1947 alsDissertation angenommen wurde.

Schon als Student hatte Gensicke den Wunsch, denBeruf des Archivars zu ergreifen, doch musste er bis dahinnoch einen steinigen Weg zurücklegen. Nach Abschlussdes Studiums nahm er eine Assistentenstelle am Histori-

schen Seminar der noch jungen Universität Mainz an, fürdie er keine Vergütung erhielt. Während dieser Zeit legteer 1948 das 1. Staatsexamen für das Lehramt an höherenSchulen ab. Als die Archivschule in Marburg 1949 eröffnetwurde, nahm Gensicke mit besonderer Erlaubnis des Hes-sischen Kultusministeriums auf eigene Kosten am 1. Lehr-gang des höheren Archivdienstes teil und hielt währenddieser Zeit noch Übungen am Lehrstuhl von Leo Just ander Universität Mainz ab. 1950 bestand er die archivarischeStaatsprüfung, erhielt aber zunächst keine Anstellung inseinem Traumberuf. In seiner Frau Hilde, die er 1950 gehei-ratet hatte, fand er in dieser schwierigen Zeit, in der er sichmit verschiedenen Tätigkeiten durchschlagen musste, tat-kräftige Unterstützung. Zunächst nahm er einen For-schungsauftrag über die Überlieferung des Bistums, derKlöster und Stifte und der Stadt Worms bei der Akademieder Wissenschaften und Literatur in Mainz an. Als die Mit-tel für dieses Projekt gestrichen wurden, verwendete Gen-sicke seine Zeit auf die private Forschung und publiziertezahlreiche Aufsätze und kleinere Abhandlungen zur Lan-desgeschichte Rheinhessens, Nassaus und Hessen-Darm-stadts. 1952 ordnete er das Stadtarchiv Montabaur undbegann danach mit der Verzeichnung und Ordnung desArchivs der protestantischen Landeskirche der Pfalz inSpeyer.

Zum 1. Juli 1953 wurde er endlich in eine Planstelle amHessischen Staatsarchiv Darmstadt eingewiesen. Jetztkonnte er seine Stärken unter Beweis stellen. Seine profun-den Kenntnisse der rheinhessischen Landesgeschichtekamen ihm beim Ordnen und Verzeichnen der Urkunden-bestände zugute. Die rasche Auffassungsgabe, seine zügi-ge und präzise Arbeitsweise, seine Disziplin und Zuverläs-sigkeit, vor allem aber sein untrügliches Gedächtnis erreg-ten die Bewunderung seiner Vorgesetzten, der Mitarbeiterund der Benutzer. Dabei blieb Gensicke zeit seines Lebensein stiller, stets freundlicher und bescheidener Mensch, dersich selbst nie in den Vordergrund drängte. 1965 holte ihnder damalige Leiter des Hessischen Hauptstaatsarchivsnach Wiesbaden, wo er mit der Erschließung zahlreicherälterer Archivbestände beauftragt wurde, die vornehmlichseine alte Heimat, den Westerwald und das mittlere Lahn-gebiet, betrafen. Langjährige Erfahrungen im Umgang mitden Quellen des Hauptstaatsarchivs aus seiner Studienzeitwaren ihm bei seiner Tätigkeit in Wiesbaden von großemNutzen. So besaß er noch Aufzeichnungen aus Aktenbe-ständen, die heute zu den Kriegsverlusten des Haupt-staatsarchivs zählen. Man kann zu Recht sagen, dass nie-mand die Archivbestände der nassauischen und mittelrhei-nischen Region besser kannte als er. Zu seinen großen Leis-tungen gehörten außerdem der Aufbau der Justizbeständedes Hauptstaatsarchivs und die Sicherung wichtiger Pro-zessakten der Nachkriegszeit. Zu den Stärken Gensickesgehörte auch, dass er sein Wissen und seine praktischenberuflichen Erfahrungen nicht für sich behielt, sondernbereitwillig weitergab. Belegt wird dies durch eine frucht-bare Publikations- und Beratungstätigkeit, die ihn zueinem allseits geschätzten und geachteten Ansprechpart-ner und zu einer Autorität in landesgeschichtlichen undgenealogischen Fragen machte. Hinzu kam, dass er sichdurch seine menschliche Wärme vor allem im Kreise derAuszubildenden des Hessischen Hauptstaatsarchivs undder Heimat- und Familienforscher viele Sympathienerwarb.

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Seine Leidenschaft für die Forschung aus den archivi-schen Quellen hat er auch als Archivdirektor und Stellver-treter des Dienststellenleiters des Hessischen Hauptstaats-archivs nie verloren. Selbst nach seiner Pensionierung imJahr 1982 suchte er regelmäßig das Hauptstaatsarchiv auf,um Aktenstudien zu betreiben und Anfragen zu beantwor-ten. Erst als sich sein Gesundheitszustand altersbedingtzusehends verschlechterte, wurden seine Besuche imArchiv seltener. So wie es seiner Art entsprach, verabschie-dete er sich still von seinem Archiv, doch sein Lebenswerkwird noch lange nachwirken.

Für seine Leistungen wurde er vielfach ausgezeichnet.In den Nassauischen Annalen veröffentlichte er 40 Jahrelang regelmäßig Beiträge zur nassauischen Ortsgeschichteund zur Geschichte des nassauischen Adels, die als Grund-lagenforschung gelten dürfen. Seine 1958 im Druckerschienene Publikation „Landesgeschichte des Wester-waldes“, ein gefragtes Standardwerk, druckte die Histori-sche Kommission für Nassau 1987 nach. Über 500 Titelumfasst sein Schriftenverzeichnis. Sein letztes Vorhaben,das nassauische Pfarrerbuch, konnte er nicht mehr vollen-den.

Hellmuth Gensicke verkörperte den wissenschaftlichenHistoriker-Archivar, wie er heute kaum noch anzutreffenist. Mit ihm verlor die hessische und nassauische Landes-geschichte und Genealogie einen ihrer wichtigsten Reprä-sentanten.

Wiesbaden Klaus Eiler

Martin Reißmann †Geb. 29. April 1935 HannoverGest. 27. November 2006 WittenAm 27. November 2006 verstarb plötzlich und unerwartetder langjährige stellvertretende Leiter des LandesarchivsSchleswig-Holstein Dr. Martin Reißmann im Alter von 71Jahren. Geboren und aufgewachsen in Hannover, studier-te Martin Reißmann Geschichtswissenschaft und Latein inGöttingen, Heidelberg und Bern. In Göttingen legte er 1962die erste Staatsprüfung ab. 1967 wurde er ebenfalls in Göt-tingen bei Percy Ernst Schramm mit einer Dissertation überdie Hamburgische Kaufmannschaft des 17. Jahrhundertszum Dr. phil. promoviert. Mit Wirkung vom 1. Oktober1965 erfolgte seine Ernennung zum Archivreferendar beimLandesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig. Als Teil-nehmer des 8. wissenschaftlichen Lehrgangs der Archiv-schule Marburg bestand er am 31. Oktober 1967 die Staats-prüfung für den höheren Archivdienst. Er kehrte dann ansein Ausbildungsarchiv nach Schleswig zurück, gemein-sam mit seiner Ehefrau Eva-Maria, die er während derMarburger Ausbildung als Kollegin kennen gelernt undam 14. August 1967 geheiratet hatte. Sein ganzes Dienstle-ben hindurch sollte das Landesarchiv Schleswig-Holsteinseine Wirkungsstätte und das Land Schleswig-Holsteinseine zweite Heimat bleiben. Die dabei gewachsene Ver-bundenheit mit dem Landesarchiv prägte die Zeit seinerberuflichen Arbeit, besonders in der langen Phase als stell-vertretender Leiter nach seiner Beförderung zum Archiv-direktor am 1. Mai 1977. Seine Zuständigkeit für denBenutzungsbetrieb im Lesesaal und für die Fotostelle warüber Jahrzehnte eine feste Tradition. Bundesweit wirkte erim Fototechnischen Ausschuss der Archivreferentenkonfe-renz, wo er schon bald als fachlich und persönlich

geschätzter Kollege einen Namen hatte. Das Arbeitsfeldaber, das sich vielleicht am stärksten mit seiner Person ver-bindet, war stets das Wappenwesen, insbesondere dieKommunalheraldik. Durch die Mitgestaltung neuer Orts-wappen und die letztendliche Begleitung der Genehmi-gungsverfahren hat Martin Reißmann die schleswig-hol-steinische Wappenlandschaft ganz wesentlich mit geprägt.Eine Bilanz langjähriger Wappenarbeit ist der von ihm imJahre 1997 bearbeitete Band „Die Wappen der Kreise,Ämter, Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein“, derals Standardwerk bis heute seine Gültigkeit hat. Nichtunerwähnt bleiben darf das Engagement Martin Reiß-manns für das Ausbildungswesen im Landesarchiv. VieleGenerationen von Referendaren und Anwärtern sind imHause auch von ihm mit betreut worden, und er hat ihnenKenntnisse über den Umgang mit den Beständen vermit-telt. Er hat aber darüber hinaus immer wieder auch dieBrücke geschlagen zwischen historischer Bildung undarchivischer Arbeit, hat über die Vermittlung des Hand-werkszeuges hinaus stets die Begeisterung für die Quellenund deren Botschaft zu wecken gewusst.

Sein Ruhestand seit Mai 2000 war ein Einschnitt. Für ihnselbst begann eine Zeit der Neuorientierung mit einer Füllevon Interessen des umfassend gebildeten Gelehrten in derWelt der Literatur, Kunst und Musik. Jeder, der ihn gekanntund geschätzt hat, hätte ihm angesichts seines frühenTodes eine entschieden längere Phase dieses selbstbe-stimmten Lebens gewünscht. Für seine Dienststelle, dasLandesarchiv Schleswig-Holstein, war sein Ausscheidenebenfalls ein Einschnitt. Immer gilt, dass Fachlichkeit mehroder weniger gut zu ersetzen ist, dass aber der einzelneMensch und Kollege mit seinem ganz individuellen Wesendie eigentlich spürbare Lücke hinterlässt. Für den KollegenReißmann gilt dieses in einem ganz besonderen Maße, wasvon allen, die mit ihm haben zusammenarbeiten dürfen,stark empfunden und immer wieder ausgesprochenwurde. Was hat die Erinnerung an dieses Archivarslebenin seiner alten Wirkungsstätte so unvergesslich gemacht?Der humanistisch geprägte Gelehrte Reißmann hat Bil-dung nicht nur als Zweck empfunden, sondern zu einemTeil seines Charakters gemacht. Hieraus und aus einem tie-fen religiösen Empfinden resultierte seine Achtung vor denMenschen, mit denen er zu tun hatte, und seine Liebe zurNatur und zur Schöpfung. Vielleicht war es diese Achtungvor dem Anderen, die sein Gegenüber spürte und ihm mitfreundschaftlicher Zuneigung dankte. Dieses hat auch seinberufliches Umfeld geprägt und dem Landesarchiv überJahrzehnte ein Gesicht gegeben, an das viele – manchmalnicht ohne Wehmut – zurückdenken. Diese Gedanken gel-ten einem Menschen. Aber sie gelten auch einer Epoche,die ihrerseits den in ihr wirkenden Archivaren ein Berufs-umfeld geboten hat, das in wenigen Jahren eine rapideWandlung erfuhr. Moderne Methoden und Arbeitsmittelhaben in der Zwischenzeit manches verbessert. Auf deranderen Seite hat zunehmend ein technokratisches undpolitisches Denken Einzug gehalten und besonders ineiner Zeit knapper werdender Ressourcen das auf Achtunggegründete menschliche Miteinander überlagert. Moder-nes Berufsleben und humanistische Traditionen sind abernicht per se Gegensätze. Und dieses Bewusstsein wird mitder Erinnerung an den Kollegen Martin Reißmann verbun-den bleiben.

Schleswig Dirk Jachomowski

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1 99

Kurzinformationen, Verschiedenes

Adressen, Ruf- und Faxnummern

Das Landeskirchliche Archiv Schwerin hat die neueAnschrift: Am Dom 2, 19055 Schwerin; Postanschrift: Post-fach 11 04 07, 19004 Schwerin, Tel. 0385/200 385-50, Fax0385/200 385-66, E-Mail: [email protected];Internet: www.archiv.ellm.de.

Archiv der Philipps-Universität MarburgSeit dem 1. März 2006 wird das Archiv der Philipps-Uni-versität Marburg, das seit über 100 Jahren im StaatsarchivMarburg untergebracht ist, von der Universität selbstbetreut. Die einvernehmliche Kündigung des Deposital-vertrags aus dem Jahr 1890 machte den Weg frei zu einerneuen vertraglichen Regelung: Die Universität stellteArchivrätin Dr. Katharina Schaal ein, das Staatsarchiv

stellt weiterhin den Magazinraum und auch ein Büro zurVerfügung. Die fast 500 Urkunden und über 1100 lfd.Regalmeter Akten, Amtsbücher und Rechnungen könnenweiterhin im Lesesaal des Staatsarchivs am Friedrichsplatzeingesehen werden.

Archiv der Philipps-Universität Marburgc/o Hessisches Staatsarchiv MarburgFriedrichsplatz 1535037 MarburgTel.: 06421/9250-176Fax: 06421/16 11 25Email: [email protected]: www.uni-marburg.de, Service

Marburg Katharina Schaal

MITTEILUNGEN DES VDA – VERBAND DEUTSCHERARCHIVARINNEN UND ARCHIVARE e.V.

Aktuelle Informationen aus dem VorstandDer Vorstand des VdA –Verband deutscher Archivarinnen undArchivare e.V. hat in seiner Sitzung am 25. Oktober 2006 inFulda folgende Beschlüsse gefasst, die hier zur Kenntnisgegeben werden:1. Zur konzeptionellen Weiterentwicklung des Deutschen

Archivtags wird eine Mitgliederbefragung durchge-führt, deren Ergebnis in der nächsten Vorstandssitzungdiskutiert wird.

2. Der nächste TAG DER ARCHIVE findet am 1. und 2. März2008 statt. Der Ausschuss für Öffentlichkeit wird einzentrales Motto, für das die Verbandsmitglieder um Vor-schläge gebeten werden, sowie weitere Ideen für dieAusgestaltung des nächsten TAGS DER ARCHIVE ent-wickeln. Nähere Informationen hierzu erfolgen im Früh-jahr dieses Jahres.

3. Neben dem Vorsitzenden sollen die Kollegen Dr. Soéni-us und Dr.Wisotzky für die Dauer der laufenden Wahl-periode des Vorstandes den VdA im Beirat der Fachzeit-schrift „Der Archivar“ vertreten.

Stuttgart, den 2. Januar 2007Prof. Dr.Robert KretzschmarVorsitzender des VdA

Neujahrsbrief des VorsitzendenAn alleMitglieder desVdA –Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V.Stuttgart, 2. Januar 2007

Liebe Kolleginnen und Kollegen,für das soeben begonnene neue Jahr wünsche ich Ihnenherzlichst alles Gute: Gesundheit und Wohlergehen, dieErfüllung beruflicher Ziele und persönlicher Wünsche,nicht zuletzt viel Freude an unserem schönen Beruf.

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse an unserer Verbands-arbeit im vergangenen Jahr und hoffe, Sie können sich inden Beschlüssen und Aktivitäten des Vorstands wieder fin-den.

In den nächsten Tagen werden Sie als Mitglied des VdAden Tagungsband zum 75. Deutschen Archivtag in Stutt-gart mit dem Titel „Das deutsche Archivwesen und derNationalsozialismus“ erhalten, der im vergangenen Jahrfertig gestellt werden konnte. Allen Beteiligten an dieserwichtigen Publikation möchte ich nochmals herzlich dan-ken. Ich bin überzeugt, dass die Forschung zur Rolle derArchive zwischen 1933 und 1945 damit ein gutes Stückweiter gekommen ist. Der Tagungsband ist erstmals nichtals Beiband zu unserem Fachorgan „Der Archivar“ erschie-nen, sondern in Zusammenarbeit mit einem Verlag als Ver-öffentlichung des VdA und damit auch in neuer Aufma-chung. Die bisherige Zählung der Tagungsbände habenwir jedoch beibehalten, indem wir sie der neuen Reihe„Tagungsdokumentationen zum Deutschen Archivtag“zugrunde gelegt haben.

VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

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Das neue Format unserer Tagungsbände steht im Kon-text der Neukonzeptionierung des „Archivar“ auf derGrundlage eines neuen Herausgebervertrags, den das Lan-desarchiv Nordrhein-Westfalen und der VdA im vergange-nen Jahr geschlossen haben. Ich habe darüber auf der Mit-gliederversammlung am 27. September 2006 in Essenberichtet. Über die weitere Entwicklung werden wir im„Archivar“ informieren. Mein herzlicher Dank gilt auch andieser Stelle dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen fürdie konstruktive Zusammenarbeit bei der Herausgabeunserer Fachzeitschrift.

Der Tagungsband zum 76. Deutschen Archivtag ist inArbeit und wird dieses Jahr erscheinen.

Vorbereitet wird derzeit das Programm für den77. Deutschen Archivtag 2007, der dem Rahmenthema„Lebendige Erinnerungskultur für die Zukunft“ gewidmetist. Der Archivtag findet vom 25. bis 28. September 2007 inder attraktiven Stadt Mannheim statt, die dieses Jahr das400-Jahr-Jubiläum ihrer Gründung feiern kann. Wiesehenswert die Stadt mit ihrer ganz eigenen Geschichte ist,hat unser Kollege Dr. Ulrich Nieß in der letzten Mitglieder-versammlung anschaulich vorgeführt. Ich würde michsehr freuen, wenn sich möglichst viele Teilnehmer inMannheim einfinden würden. Das Programm, in demunter dem Gesichtspunkt der Erinnerungskultur vor allemwichtige Fragen der Überlieferungsbildung angesprochenwerden, dürfte für alle Archivsparten von Interesse sein.

Wie schon in Essen zum Thema „Open access“ wirdauch in Mannheim eine Informationsveranstaltung zuaktuellen Themen geboten. In ihr soll vor allem über lau-fende und geplante Digitalisierungsprojekte auf der natio-nalen und internationalen Ebene berichtet werden.

Als neues Element haben wir eine Informationsveran-staltung in das Programm aufgenommen, in der sich dieverschiedenen Aussteller unserer Fachmesse Archivisticavorstellen und über Neuentwicklungen informieren kön-nen. Unabhängig davon bietet die Fachmesse Archivistica,die allgemein öffentlich zugänglich ist, natürlich auchweiterhin die Möglichkeit zum direkten Kontakt zwischenden Ausstellern und dem interessierten Publikum.

Beibehalten haben wir im Programmablauf, dass dieEröffnungsveranstaltung mit einem anschließenden Emp-fang bereits am Dienstag-Abend stattfindet. Diese Neue-rung, die erstmals 2005 in Stuttgart erprobt wurde, hat sichauch 2006 in Essen bestens bewährt. Sie hat zu einer Ent-lastung des Programms an den Kerntagen geführt und istausschließlich auf positive Resonanz gestoßen.

Um den Deutschen Archivtag konzeptionell weiter zuentwickeln und ggf. den sich verändernden Erwartungenund Interessen, aber auch Teilnahmemöglichkeiten derMitglieder unseres Verbands anzupassen, hat der Vorstandin seiner letzten Sitzung beschlossen, eine Mitgliederbefra-gung durchzuführen. Auf vielfältige Anregung wird dabeiauch die Fragestellung aufgegriffen, ob – und dies wäre fürdie weitere Planung nach dem Jahr 2009 relevant – einzweijähriger Turnus dem traditionellen Jahres-Rhythmusvorzuziehen wäre. Der Vorstand hat diese Frage ergebnis-offen diskutiert, möchte jedoch ein Meinungsbild bei denMitgliedern erheben, bevor er sich auf einen Vorschlag ver-ständigt, um ihn der Mitgliederversammlung 2007 inMannheim zur Entscheidung vorzulegen. Mit einemgesonderten Schreiben erhalten Sie einen Fragenkatalog,der es Ihnen auch über die einzelnen Fragen hinaus ermög-licht, eigene Anregungen zur weiteren Entwicklung desDeutschen Archivtags als zentrale Veranstaltung zumdeutschen Archivwesen einzubringen.

Mir persönlich ist die Beteiligung der Mitglieder an derVereinsarbeit und an der Ausrichtung des VdA ein wichti-ges Anliegen. Über eine breite Resonanz unserer Befragungwürde ich mich sehr freuen.

Auch sonst bin ich für jede Anregung aus der Mitglied-schaft dankbar. Der Tagungsband zum 75. DeutschenArchivtag – um auf ihn zurückzukommen – ist z. B. auseiner solchen Anregung erwachsen, die der Vorstand auf-gegriffen hat. Er dokumentiert damit auch, wie lebendigder VdA ist.

Hinweisen darf ich in diesem Zusammenhang auchnoch einmal auf das Forum, das wir auf unserer Homepageeingerichtet haben und ja auch vor allem eine lebendigeKommunikation zwischen den Mitgliedern ermöglichensoll.

Das Internet-Angebot des VdA weiter zu entwickeln,steht auf der Agenda der Vorstandsarbeit für 2007. Auchhier sind wir für jede Anregung dankbar.

Wie ich in der Mitgliederversammlung 2006 in Essenbereits angekündigt habe und im Protokoll festgehalten ist,wird der Vorstand 2007 der Mitgliederversammlung inMannheim einige Vorschläge zur Satzungsänderung unter-breiten. Darüber werde ich mit der Einladung zum77. Deutschen Archivtag Näheres berichten.

Für heute bin ich mit herzlichen GrüßenIhrRobert KretzschmarVorsitzender des VdA

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1 101

Hänger, Andrea, Wettmann, Andrea, The Domea-Concept:An Interim Conclusion from the Archival Perspective.

Der Archivar, Jg. 60, 2007, S. 24-29.DOMEA stands for Document Management and Electronic Archi-ving in IT-supported business processes and is today the mostimportant guideline for the implementation of electronic recordsin Germany. The paper describes the main contents of the organi-sational concept and explicates the basic requirements defined forthe disposal and archiving of electronic records. From the archi-vist's perspective the concept for the disposal and archiving ofelectronic records is the most notable innovation. It describes allphases of the lifecycle through which documents typically pass,including creation, authoring, approval, release, and ultimatelyrevision or retirement and archiving. It defines the procedureswhich have to be implemented to make sure that the disposal canbe managed as automatically as possible. On the strength of pastexperience two years after its publication the concept is a real helpto support archival requirements in public administration.

Brüdegam, Julia, Eder, Hendrik, Mummenthey, Irmgard,Facts and Figures: Records Management in the Federal State ofHamburg.

Der Archivar, Jg. 60, 2007, S. 29-33.Hamburg is one of the federal states within the Federal Republicof Germany. The Hamburg Archives Act gives the State ArchiveService the responsibility to advise local government agencies on

their records management. Due to a significant decline in publicbudget funds records management has become rather inefficientand provoked strong criticism both in the media and in the localparliament. The State Archives Service has launched a project toimprove records management. To start with, the current state ofrecords management was evaluated. The results now serve as abasis for further steps. The authors point to the fact that youngtrainees were in charge of the evaluation process.

Mathys, Nora, Which Photographs should be Preserved?Der Archivar, Jg. 60, 2007, S. 34-40.

The article discusses possible criteria for the constitution andreduction of photographers’ estates before their entry into a con-serving institution. The preservation of photographs as a massmedia increasingly becomes problematic for archives, museumsand libraries due to the lack of financial resources and storagecapacities. As a consequence, criteria for the selection of a collec-tion’s representative objects in order to reduce its overall quanti-ty have to be discussed. Based on the example of a Swiss photo-grapher’s estate the author proposes a method to achieve this aim.The selection should not be organised according to thematic sub-jects, but aim at the reduction of coherent series, which does notentail the loss of essential information. On the level of the entirecollection, the proposed criteria concern institutional and con-textual aspects; on the level of a single series, they encompass the-matic, aesthetical and medial aspects.