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Das Wetter blieb gleich, der Preis nicht, sagt Aigner. [ Michelle Hirnsberger ] Sportkurse von Wiener Schulen Sommersportwochen Skikurse Quelle: Stadtschulrat Wien · Grafik: „Die Presse“ · GK ’02/03 ’03/04 ’04/05 ’05/06 ’06/07 ’07/08 ’08/09 ’09/10 ’10/11 ’11/12 ’12/13 ’13/14 ’14/15 ’15/16 ’16/17 AHS und BMHS 0 50 100 150 200 250 300 Ankünfte Nächtigungen TOP-NATIONALITÄTEN Nächtigungen 2017 in Mio. Veränderung zu 2007 in Prozent Deutschland Österreich Niederlande Großbritannien Schweiz u. Liechtenstein Tschechien Belgien Polen Italien Ungarn GESAMT Quelle: Statistik Austria Grafik: „Die Presse“ · GK 15 10 5 0 60 50 40 30 20 10 0 ’17 ’16 ’15 ’14 ’13 ’12 ’11 ’10 ’09 ’08 ’00 ’88 ’89 ’90 ’91 ’92 ’93 ’94 ’95 ’96 ’97 ’98 ’99 ’01 ’02 ’03 ’04 ’05 ’06 ’07 ’17 ’16 ’15 ’14 ’13 ’12 ’11 ’10 ’09 ’08 ’00 ’88 ’89 ’90 ’91 ’92 ’93 ’94 ’95 ’96 ’97 ’98 ’99 ’01 ’02 ’03 ’04 ’05 ’06 ’07 Sonstige Deutschland Österreich in Millionen, nach Nationalität: 25,5 15,9 5,7 2,4 2,4 1,7 1,6 1,2 1,1 1,1 +5% +16 % +5% −3% +53% 68,6 +16 % +84% +21% +65% −4% +10 % Skiurlaub. Es gibt weniger Schulskikurse, Urlaubern ist auch im Winter die Badehose näher als der Ski. Der lang- fristige Trend spricht gegen den Wintertourismus. Weniger Schulskikurse, mehr Zukunftssorgen VON GERHARD HOFER Wien. Zumindest für die Autobahnpolizei herrscht am heutigen Samstag wieder Aus- nahmezustand. Nicht nur, dass sich die Wiener und Niederösterreicher auf den Weg in die Skigebiete machen, auch im- mer mehr Polen und Tschechen lieben den österreichischen Schnee. Die Zahl der Winterurlauber aus Tschechien hat sich in den vergangenen zehn Jahren beinahe ver- doppelt. Aber der größte Andrang kommt aus Deutschland. Dort beginnen in acht Bundesländern die Winterferien. Und ein zünftiger Stau auf der Fernpassstraße oder Inntalautobahn gehört beinahe schon zum Skiurlaub wie Jägertee und Germknödel. Auf den ersten Blick ist also alles Son- nenschein. Skifahren erfreut sich größter Beliebtheit, die heimischen Wintersport- orte sind ausgebucht, und die Tourismus- wirtschaft veröffentlicht in regelmäßigen Abständen neue Rekordzahlen. Diese stimmen auch. Doch hinter dem Erfolg stecken immer größere Anstrengungen und immer kleinere Margen. Der Wettbe- werb wird härter. So wie Marcel Hirscher auf den Weltcuppisten die Schweizer, Franzosen und Italiener im Griff hat, schla- gen sich auch die österreichischen Berg- bahnen und Hoteliers äußerst erfolgreich. Das Preis-Leistungs-Verhältnis in Öster- reich ist besser. „Österreichs Wintersport- orte haben vieles richtig gemacht“, attes- tiert Daniel Müller-Jentsch, Tourismusex- perte des Schweizer Thinktanks Avenir Suisse, merkt allerdings an: „Im Gegensatz zur Schweiz wird der Tourismus in Öster- reich teuer subventioniert.“ Auch deshalb gelinge es, „gegen den Trend erfolgreich anzukämpfen“. Der „Trend“ sei aber ein- deutig negativ. Die Schweiz befindet sich bereits in einer Abwärtsspirale. Die Skifahrertage sind dort in den vergangenen Jahren um fast ein Drittel zurückgegangen. Der starke Schweizer Franken hat den Gegenwind verstärkt. Mittlerweile bleiben nicht nur internationale Gäste aus, viele Schweizer weichen ins billigere Österreich aus. Öster- reich profitiert also von der Schweizer Mi- sere. Dies sei auch ein Grund, warum das Problem – heuer umso mehr – unter einer dicken Schneedecke verborgen liegt, meint Müller-Jentsch. „Winterurlaube sind umständlich“, sagt er. Man müsse das Auto mit Equip- ment anfüllen oder später umständlich die Ausrüstung leihen. Doch die Urlauber wol- len Bequemlichkeit. „Convenience“, sagt Müller-Jentsch. Sie wollen mit „einem klei- nen Koffer samt Badehose“ reisen. Und all diese neuen Urlaubsangebote seien auch noch billiger als Ski fahren. Skiurlaub ist sehr umständlich Josef Burger ist Chef der Kitzbüheler Berg- bahnen. Er weiß, dass die neue Generation gewohnt ist, mit einem Mausklick den Ur- laub zu fixieren. „Heute kann man eine Kreuzfahrt samt Landausflügen gemütlich im Wohnzimmer buchen“, sagt Burger. Längst mache sich Kitzbühel Gedanken über diese Entwicklung. Signe Reisch, Prä- sidentin des Kitzbühel Tourismus, beob- achtet den gesellschaftlichen Wandel auch bei ihren Hotelgästen. „Die Gäste bleiben immer kürzer“, sagt die Chefin des Ras- mushofs. Und immer öfter seien es die Großeltern, von denen die Initiative zum Skiurlaub ausgehe. Kamen sie früher mit ihren Kindern, so kommen sie nun mit Kindern und Enkelkindern. „Und oft be- zahlen die Großeltern auch die Rech- nung“, merkt Reisch an. Die Jungen fahren immer weniger Ski. Das zeigt auch die Entwicklung der Schul- skikurse in Wiener Gymnasien und berufs- bildenden mittleren und höheren Schulen. Die Zahlen sinken seit Jahren stetig, aber nicht dramatisch. Im Vorjahr fanden 232 Skikurse statt, fünf Jahre zuvor waren es 262. Dass nach wie vor so viele Skikurse stattfinden, liege auch daran, dass die El- ternvereine immer mehr Geld zuschießen würden, erzählt Karl Dwulit. Er ist Vorsit- zender des Dachverbands der Elternver- eine an Österreichs Pflichtschulen. „Es wird von Jahr zu Jahr schwieriger, Skikurse zu machen“, betont er. Vor allem in den Ballungsgebieten können oder wollen sich viele Eltern den Skikurs nicht mehr leisten. Auch Lehrern sei der Aufwand eines Ski- kurses im Verhältnis zur Verantwortung und Bezahlung oft zu groß. Skikurs in der NMS ist die Ausnahme „Viele Schulen versuchen, den Skikurs kür- zer und günstiger zu gestalten“, erzählt Dwulit. So sei es etwa immer mehr üblich, dass nicht mit dem Autobus, sondern mit der Bahn angereist werde, weil die Kinder mit ihren Jugendtickets gratis fahren. Ge- nächtigt werde in einer Jugendherberge. Dennoch koste auch der günstigste Skikurs etwa 350 Euro. „Und da ist das Equipment nicht dabei“, sagt er. Für sozial schwache Familien steuert die Stadt Wien 75 Euro bei. „Und dann kommt natürlich Unterstützung von den Elternvereinen.“ Wie viel zahlen die El- ternvereine? „Das hängt von Region und Schule ab“, sagt Dwulit. Sprich: Es ist eben ein Unterschied, ob es sich um ein Innen- stadtgymnasium handelt oder um eine Neue Mittelschule (NMS) in einem Rand- bezirk. „In der NMS in Wien ist der Schul- skikurs längst zu einer Ausnahme gewor- den“, sagt Dwulit. Selbst wenn ein Skikurs zustande kommt, wird die Zahl der Nichtskifahrer immer größer. Wurden diese früher wie selbstverständlich in die Anfängergruppe gesteckt und zum kollektiven Pflugfahren verdonnert, so stehen heute Schneewan- dern und bestenfalls Langlauf auf dem Programm. In Wiener Schulen schieben Turnlehrer vor den Skikursen eigens Vor- bereitungsstunden ein, um den Kindern zu erklären, welche Kleidung auf einem Ski- kurs benötigt wird, dass Handschuhe durchaus praktikabel und Helme von gro- ßem Vorteil sind. Viele Menschen, vor allem jene mit Migrationshintergrund, verbinden mit Schnee eher eine Bedrohung als ein Ver- gnügen. Nicht nur der Klimawandel, son- dern auch der demografische Wandel wer- de den Wintertourismus in der Zukunft vor große Herausforderungen stellen, meint Avenir-Suisse-Forscher Müller-Jentsch. „Dem langfristigen Trend kann sich auch der österreichische Wintersport nicht ent- ziehen“, sagt er. In den Schulen gehe der Trend ein- deutig vom Skikurs in Richtung Sportwo- che im Sommer, erzählt Karl Dwulit. Som- mersport ist einfach billiger. Badehose schlägt Skiausrüstung? Selbst mit der Ba- dehose sei das so eine Sache, gesteht Dwu- lit: „Immer weniger Schüler können näm- lich schwimmen.“ LEITARTIKEL VON RAINER NOWAK Eine Berliner Koalition wäre trotz allem nicht besser Auch wenn die Rechtsregierung in Wien stottert, das, was da in Berlin an den Start geht, hat sich weder Angela Merkel noch Deutschland verdient. D ie Frage wurde nach längerer Debatte von einem hochrangigen Mitglied der türkisen Neigungsgruppe Sebastian Kurz formuliert: „Sind wir nun etwa verantwort- lich für die FPÖ?“ Es ging um den Skandal um den niederösterreichischen FPÖ-Spit- zenkandidaten Udo Landbauer und antise- mitische, NS-verherrlichende Passagen in einem Liederbuch seiner Burschenschaft. Zuvor hatte sich die Diskussion um die Frage der Betroffenheit des neuen Kanzlers von derartigen Vorkommnissen gedreht, deren eine mit dem Rücktritt des Wr. Neu- städter FPÖ-Politikers vorerst ein begrü- ßenswertes Ende gefunden hat. Seit wann hafte ein Kanzler für Taten in der Partei des Koalitionspartners? Tut er nicht, aber Patzer oder wie im konkreten Fall braune Flecken fallen auf Partei, Re- gierung und damit indirekt auf deren Chef zurück. Stimmt schon, keiner hätte Werner Faymann für Ausrutscher etwa des Außen- ministers Kurz verantwortlich gemacht. Aber der Blick auf die türkis-blaue Regie- rung hat einige Besonderheiten, die ge- genseitige Wirkungsweise anspruchsvoller macht als die der War-der-Ruf-erst-ein- mal-ruiniert-Koalition aus SPÖ und ÖVP. Erstens ist Türkis-Blau Opfer der eige- nen Inszenierung: Um nur ja keinen An- schein von Streit wie früher aufkommen zu lassen, stellen sich beide Regierungsteams bei jeder Gelegenheit als gut aufgestellte, harmonische, moderne Trachtenformation dar. Das erhöht automatisch die gegensei- tige Abhängigkeit. Zweitens steht eine Rechtsregierung mit Beteiligung einer rechtspopulistischen Partei mit dem ent- sprechenden Rechts-außen-Netzwerk mehr unter Beobachtung als eine Regie- rung in der breiten Mitte. Drittens lässt sich die Erinnerung an die schwarz-blaue Regierung unter Wolfgang Schüssel nicht abstreifen, auch wenn das nicht gerecht ist. Schüssel ließ trotz ausverhandelten Ab- kommens die Neuauflage von Rot-Schwarz platzen, um sich von der FPÖ von Platz drei aus zum Kanzler wählen zu lassen. Das ist der Unterschied, den viele Be- obachter vergessen: Diese erste Alternative gab es für Kurz de facto nicht, weder wollte Christian Kern noch wollten die Sozial- demokraten den Juniorpartner geben. (Auch Kurz selbst und mit ihm die Bevöl- kerungsmehrheit fürchteten eine Große- Koalition-Verlängerung.) Daher wird sich Kurz weiter mehr der Gesamtverantwor- tung stellen müssen als seine roten Vor- gänger gegenüber der stets widerspensti- gen ÖVP. Damit hadert die Regierung: Die Mehrheit der Journalisten und Me- dien steht in der Mitte und weiter links der türkis-blauen Koalition mindestens ebenso kritisch bis misstrauisch gegen- über wie der alten rot-schwarzen Regie- rung genervt und gelangweilt. Das ist vielleicht nicht fair, aber Realität. K urz hatte wie beschrieben ähnlich wenige Alternativen wie Angela Mer- kel in Deutschland: Nach der Absage der FDP gibt es nur noch eine im Vergleich zur SPÖ regierungsunwilligere SPD, die nun inhaltlich mehr einfordert und wohl bekommt, als ihr aufgrund der Größen- verhältnisse zustehen würde. Dem künfti- gen kleinen Koalitionspartner unter ihrem angeschlagenen Chef, Martin Schulz, wird das bei den eigenen Anhängern dennoch weniger bringen, als es Merkel bei ihren Wählern schadet: Um eine Regierung zu- stande zu bringen, rückt das Land wirt- schaftspolitisch nach links – und zurück. Der finanziell im europäischen Vergleich üppig aufgestellte Staatshaushalt wird für weitere Sozialausgaben, etwa im Pflege- bereich, angezapft werden, mögliche brei- te Steuersenkungen, die die einmalig gute Konjunktur weiter befeuern könnten, wird es nicht geben, stattdessen stellt Berlin einen noch größeren Anteil an der durch den Brexit schwindenden EU-Finanzie- rung in Aussicht. Wie faul viele der müh- seligen Kompromisse sind, lässt sich an einem peinlichen Phänomen ablesen: Nach jeder Einigung in einem Kapitel klingt die Interpretation desselben von Vertretern der SPD und der CDU konträr. Ein großer Wurf kann das nicht werden. Die großkoalitionäre Verösterreiche- rung Deutschlands schreitet voran. Da- mit werden automatisch die Wahlchan- cen der Rechts- und Linkspopulisten besser. Das macht Regieren in Zukunft – siehe Österreich – nicht leichter. Anders formuliert: Wir erleben nicht gerade die Hochzeiten des europäischen demokratischen Parteiensystems. E-Mails an: [email protected] „Skifahren ist kein Sport für arme Leute“ Interview. Der Schnee geht uns nicht so schnell aus, sagt Tourismusforscher Günther Aigner. Dennoch droht manchen Skigebieten das Aus. Sie könnten zwischen den Ansprüchen der Gäste und den finanzstarken Rivalen zerrieben werden. VON ANTONIA LÖFFLER Die Presse: „Österreich ist eine Skina- tion.“ Stimmt der Satz? Günther Aigner: Er stimmt. Wenn Öster- reich keine Skination ist, gibt es weltweit keine. Der Anteil der Skifahrer in der Bevöl- kerung ist vielleicht noch in der Schweiz und Norwegen so dicht wie in Österreich. Wir verzeichnen im Winter konstante Nächtigungs- und Ankunftsrekorde. Fast zwei Drittel der Österreicher fahren aber nicht mehr Ski. Wie passt das zusammen? Stimmt, nur ein Drittel fährt Ski. Aber es gibt trotzdem kein anderes Land auf der Welt, wo die Durchdringung höher ist. Skifahrer- nation heißt nicht, dass alle Ski fahren. Und das war auch in den guten alten Zeiten nie so. Im Prinzip stehen in Österreich immer mehr Menschen auf der Piste. Damit meine ich aber Inländer wie Ausländer. Bei den Einheimischen ist der Plafond erreicht. Vor 30 Jahren waren „nur“ 47 Prozent der Österreicher Skiverweigerer – ist der Aus- stieg den Kosten geschuldet? Ja, aber auch der Demografie. Die Heteroge- nität nimmt zu, die Hauptherkunftsländer sind in Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten. Das sind Wüstengebiete ohne kultu- rellen Bezug zum Skisport. Insofern ist es lo- gisch, dass der Anteil der Skifahrer an der wachsenden Bevölkerung sinkt. Wenn man die Touristen dazuzählt, stellt man fest, dass immer mehr Ski gefahren wird. Wir sind im Skitourismus gemessen an der Bevölke- rungsgröße Weltspitze. In absoluten Zahlen liegen wir als kleines Land auf Platz drei hinter den USA und Frankreich. Wenn es so gut läuft, wieso werden alle so- fort nervös, wenn der Schnee Anfang De- zember ausbleibt? Ich stelle mir dieselbe Frage. Das rührt wahrscheinlich daher, dass die Wintersport- branche stark vom Wetter abhängig ist, und das hat seine Launen. Die wichtigste Zeit für den Wintertourismus ist die Weihnachtssai- son. Man braucht einen Katapultstart und kann es sich nicht leisten, dass der Schnee zwei Wochen zu spät kommt. Am Anfang des Winters sind die Skibedingungen aber nicht unbedingt gegeben. Ist daran der Klimawandel schuld? Das muss man differenziert sehen. Der Kli- mawandel in den Alpen findet statt, sogar sehr deutlich. Aber hauptsächlich im Som- mer. Der ist in den österreichischen Bergen so warm und sonnig wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Winter haben sich aber nicht so stark verändert wie befürchtet. In Lagen oberhalb von 800 bis 1000 Metern hat sich in den vergangenen 30 Jahren nichts an der Schneebedeckung getan. Das belegen die amtlichen Messdaten ganz klar. Woher rühren dann die Warnungen, dass wir in 40 Jahren auf Graspisten fahren? Weil das tolle Schlagzeilen produziert. Die Forscher rechnen die Zahlen aus globalen Klimaszenarien auf die alpine Region herun- ter. Es ist absurd zu glauben, dass das Klima ein lineares System ist, bei dem man jahrzehntelang Prognosen machen kann. Ich schaue mir die amtlichen Messda- ten an und sehe: Wir haben seit 30 Jahren eine hysteri- sche Diskussion, dass wir bald nicht mehr Ski fahren können und in den 30 Jahren ist im Winter nichts passiert. Doch. Das Heer an Schnee- kanonen gab es vor 30 Jah- ren nicht. Der Einsatz der technischen Beschneiung, der damals praktisch null war, ist entschei- dend geworden. Wir haben natürlich Schneebedingungen, die sich nicht verän- dert haben, aber wir haben auch technische Mittel. Das ist der Gipfel der Ironie: Wir ha- ben alle Angst vor dem Ende des Skisports und die Skigebiete sind schneesicher wie nie. Wieso die vielen Schneekanonen, wenn die Winter wie eh und je sind, wie Sie sagen? Das ist schon vernünftig. Die natürliche Schneesicherheit ist und war nie da. Die hat man in Grönland und Sibirien, aber nicht in alpinen Regionen. Moderner Wintersport- tourismus muss zu Weihnachten einen funktionierenden Skibetrieb anbieten. Das fordern die Kunden. Was macht das kleine Skigebiet, das nied- riger liegt und den Komfort und die Tech- nik nicht bieten kann? Die kleinen Voralpenskigebiete haben es wahnsinnig schwer. Sie können unsere Er- wartungen nicht mehr erfüllen. Viele den- ken sich: Bevor ich dort enttäuscht werde, gehe ich gar nicht Ski fahren oder fahre in ein größeres Skigebiet. Es gibt aber Beispie- le, dass Große wie Kitzbühel Partnerschaf- ten mit Kleinen wie dem niederösterreichi- schen Unterberg eingehen. Das hat Charme und könnte eine Idee für die Zukunft sein. Die Großen subventionieren die Kleinen? Nicht Subvention, sondern Partnerschaft. Die läuft natürlich nicht ohne Hintergedan- ken. Im kleinen Gebiet nahe dem Ballungs- raum, wo die wichtigen Zielgruppen sitzen, lernt man mit den Kindern Ski fahren. Später geht es für den längeren Urlaub weiter weg. Den Familienskiurlaub kann sich aber nicht jeder leisten, wenn das Tagesticket 50 Euro kostet. Ski fahren ist sicher kein Sport für arme Leu- te. Das war er aber nie. Wenn man den Ski- sport global betrachtet, ist er fast überall ein Oberschichtenprogramm und Österreich eines der wenigen Länder, wo er in die Brei- te geht. Und die Skigebiete, die 50 Euro auf- wärts kosten, sind die 20, 30 besten. Wir ha- ben in Österreich auch 4,5 Millionen Pkw, und es fährt nicht jeder einen Audi A6. Es gibt genug Skigebiete, wo man um 20 Euro am Tag fährt. Das kann man sich leisten, wenn man will. Aber sie rei- chen unseren Ansprüchen oft nicht mehr. Da wären wir wieder bei den kleinen Bedrohten. Manche Skigebiete werden irgendwann zusperren müs- sen, wie Shoppingcenter, Tankstellen oder Supermärk- te. Es gibt kein Festhalten am Früher. Wenn die großen Skigebiete Zweier- gegen Achtersessellifte tauschen – und das 300 Mal in Öster- reich – können Sie sich vorstellen, wie viele Gäste dort befördert werden können. Wo sol- len die Skifahrer denn herkommen? Natür- lich ist das ein Verdrängungswettbewerb. Die Großen, die es sich leisten können, in- vestieren und erhöhen mit dem Komfort gleichzeitig die Preise? Ja, aber es ist wichtig zu betonen, dass die In- novation der österreichischen Seilbahnen beispiellos war. Das ist für den Inlandsmarkt schmerzhaft, weil es die Tickets teurer macht. Aber betrachtet man es global – und das sollte man beim Skitourismus tun –, sind wir fast allen anderen Konkurrenten mit der Strategie davongezogen. Österreich bietet die beste Infrastruktur und im globalen Ver- gleich sind unsere Skiticketpreise extrem bil- lig. Nehmen wir Europa: In der Schweiz kos- ten Liftkarten 50 Prozent mehr. Auch in Frankreich und Italien legt man mehr hin. Wir jammern zurzeit auf sehr hohem Niveau. Semesterferien: „Die Schneelage könnte nicht besser sein“ Skiurlaub. Die Anreise in die Skigebiete wird durch viel Verkehr und nasse Fahrbahnen erschwert: Mit Verzögerungen ist vor allem im Westen des Landes zu rechnen. Auf die Urlauber warten in allen Skiregionen gute Bedingungen. Die Schneelage ist überall gut. Es wird allerdings ziemlich kalt. Wien. Für rund 500.000 Schüler in Wien, Nie- derösterreich und Vorarlberg haben gestern, Freitag, die Semesterferien begonnen, ein nicht unwesentlicher Teil der Familien wird heute, Samstag, in den Skiurlaub aufbre- chen. Erfahrungsgemäß sollte man für die An- reise ein wenig mehr Zeit einplanen, denn durch das große Aufkommen auf den Stra- ßen ist immer wieder mit Staus zu rechnen. Etwa auf der Westautobahn zwischen Wien und Salzburg, da hier auch viele Urlauber aus Tschechien und Polen in Richtung Wes- ten unterwegs sein werden. Überlastet dürften demnach die Transit- routen im Westen des Landes sein. Mit Ver- zögerungen am heutigen Samstag rechnet der Arbö insbesondere auf der Arlberg- schnellstraße (S16) zwischen Bludenz und Dalaas, auf der Fernpass-Straße (B179) und auf der Inntalautobahn (A12), speziell am Grenzübergang Kufstein. Auch auf der Tau- ernautobahn (A10) zwischen Salzburg und dem Knoten Pongau wird es – wie generell im Großraum Salzburg – zu Staus und Ver- zögerungen kommen: Denn auch viele deut- sche Urlauber starten heute in die Ferien. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Fahrbahnen – vor allem im Süden – teils nass oder mit Schnee bedeckt sind, wodurch die Unfallgefahr steigt. Am heutigen Sams- tag sollte der starke Schneefall der vergange- nen Tage im Süden und Südosten zwar ab- klingen, dafür dürfte es an der Alpennord- seite vom Bregenzerwald bis zur Rax schnei- en: alles andere als optimale Fahrbedingun- gen also. Winterliche Verhältnisse Es gibt aber auch gute Nachrichten: Denn hat man es einmal ins Skigebiet geschafft, er- warten die Gäste jedenfalls gute Vorausset- zungen: So gut wie alle Skigebiete von Vor- arlberg bis Niederösterreich haben derzeit ausreichend (Natur-)Schnee, in den vergan- genen Tagen sind gerade im Süden noch ein- mal beachtliche Neuschneemengen dazuge- kommen, sagt Meteorologe Josef Lukas vom Wetterdienst Ubimet. „Die Bedingungen sind ausgezeichnet, die Schneelage könnte zum Beginn der Ferien nicht besser sein.“ Die Schneelage dürfte auch die ganze Woche so bleiben – die Wettermodelle sa- gen für die erste Ferienwoche winterliche Verhältnisse voraus, was so viel bedeutet wie: Es bleibt kalt und wird sogar noch käl- ter. In 2000 Metern zeichnet sich laut Ubi- met ein Temperaturrückgang von minus acht Grad am Montag auf minus 14 Grad am Freitag ab. Eine warme Bekleidung beim Skifahren ist also unbedingt notwendig. Ab Mitte der Woche kann es – vor allem im Süden und Osten (eher nicht im Westen) wieder schneien – vielleicht sogar bis ins östliche Flachland. Immer wieder, so Meteo- rologe Lukas, wird sich auch die Sonne zei- gen, vor allem ab Mittwoch, allerdings müs- se man mit wechselhaftem Wetter rechnen. Exakte Prognosen seien aber schwierig, da derzeit viele Tiefdruckgebiete über Eu- ropa ziehen, die immer wieder für kurzfristi- ge Wetterumschwünge sorgen. Daher gibt es auch noch keine seriöse Prognose, wie die zweite Ferienwoche – wenn die Schüler in Salzburg, Kärnten, Tirol und dem Burgen- land frei haben – verlaufen wird. (mpm) Beste Schneeverhältnisse zum Start der Wiener Semesterferien. [ Reuters ] ZUR PERSON Günther Aigner leitete von 2008 bis 2014 das Wintermarketing seiner Heimatstadt Kitzbühel. Seitdem ist er als freier Skitourismus-Forscher tätig. Seine „Fünf Thesen zur Zukunft des alpinen Skisports“ brachten ihm viel Aufmerksamkeit. Darin postuliert Aigner, dass Skifahren zum Luxus wird und dass der Winter in den Alpen trotz des Klima- wandels so kalt ist wie vor 30 Jahren. 125 Millionen Menschen können laut seinen Schätzungen weltweit Skifahren, 50 bis 60 Millionen tun es aktiv. Der globale Markt stagniert seit circa 1980. Österreich ist nach den USA und Frankreich das drittgrößte Skitourismusland der Welt. 2 THEMA DES TAGES SAMSTAG, 3. FEBRUAR 2018 SAMSTAG, 3. FEBRUAR 2018 THEMA DES TAGES 3

„SkifahrenistkeinSportfürarmeLeute“ · 2018-02-09 · DasWetterblieb gleich, der Preis nicht,sagtAigner. [MichelleHirnsberger] SportkursevonWienerSchulen Skikurse Sommersportwochen

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Das Wetter blieb gleich, der Preisnicht, sagt Aigner. [ Michelle Hirnsberger ]

Sportkurse von Wiener SchulenSommersportwochenSkikurse

Quelle: Stadtschulrat Wien · Grafik: „Die Presse“ · GK

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TOP-NATIONALITÄTENNächtigungen 2017 in Mio.Veränderung zu 2007 in Prozent

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SonstigeDeutschlandÖsterreichin Millionen, nach Nationalität:

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Skiurlaub. Es gibt weniger Schulskikurse, Urlaubern istauch im Winter die Badehose näher als der Ski. Der lang-fristige Trend spricht gegen den Wintertourismus.

Weniger Schulskikurse,mehr ZukunftssorgenVON GERHARD HOFER

Wien. Zumindest für die Autobahnpolizeiherrscht am heutigen Samstag wieder Aus-nahmezustand. Nicht nur, dass sich dieWiener und Niederösterreicher auf denWeg in die Skigebiete machen, auch im-mer mehr Polen und Tschechen liebenden österreichischen Schnee. Die Zahl derWinterurlauber aus Tschechien hat sich inden vergangenen zehn Jahren beinahe ver-doppelt. Aber der größte Andrang kommtaus Deutschland. Dort beginnen in achtBundesländern die Winterferien. Und einzünftiger Stau auf der Fernpassstraße oderInntalautobahn gehört beinahe schon zumSkiurlaub wie Jägertee und Germknödel.

Auf den ersten Blick ist also alles Son-nenschein. Skifahren erfreut sich größterBeliebtheit, die heimischen Wintersport-orte sind ausgebucht, und die Tourismus-wirtschaft veröffentlicht in regelmäßigenAbständen neue Rekordzahlen. Diesestimmen auch. Doch hinter dem Erfolgstecken immer größere Anstrengungenund immer kleinere Margen. Der Wettbe-werb wird härter. So wie Marcel Hirscherauf den Weltcuppisten die Schweizer,Franzosen und Italiener im Griff hat, schla-gen sich auch die österreichischen Berg-bahnen und Hoteliers äußerst erfolgreich.Das Preis-Leistungs-Verhältnis in Öster-reich ist besser. „Österreichs Wintersport-orte haben vieles richtig gemacht“, attes-tiert Daniel Müller-Jentsch, Tourismusex-perte des Schweizer Thinktanks AvenirSuisse, merkt allerdings an: „Im Gegensatzzur Schweiz wird der Tourismus in Öster-reich teuer subventioniert.“ Auch deshalbgelinge es, „gegen den Trend erfolgreichanzukämpfen“. Der „Trend“ sei aber ein-deutig negativ.

Die Schweiz befindet sich bereits ineiner Abwärtsspirale. Die Skifahrertagesind dort in den vergangenen Jahren umfast ein Drittel zurückgegangen. Der starkeSchweizer Franken hat den Gegenwindverstärkt. Mittlerweile bleiben nicht nurinternationale Gäste aus, viele Schweizerweichen ins billigere Österreich aus. Öster-reich profitiert also von der Schweizer Mi-sere. Dies sei auch ein Grund, warum dasProblem – heuer umso mehr – unter einerdicken Schneedecke verborgen liegt, meintMüller-Jentsch.

„Winterurlaube sind umständlich“,sagt er. Man müsse das Auto mit Equip-ment anfüllen oder später umständlich dieAusrüstung leihen. Doch die Urlauber wol-len Bequemlichkeit. „Convenience“, sagtMüller-Jentsch. Sie wollen mit „einem klei-nen Koffer samt Badehose“ reisen. Und alldiese neuen Urlaubsangebote seien auchnoch billiger als Ski fahren.

Skiurlaub ist sehr umständlichJosef Burger ist Chef der Kitzbüheler Berg-bahnen. Er weiß, dass die neue Generationgewohnt ist, mit einem Mausklick den Ur-laub zu fixieren. „Heute kann man eineKreuzfahrt samt Landausflügen gemütlichim Wohnzimmer buchen“, sagt Burger.Längst mache sich Kitzbühel Gedankenüber diese Entwicklung. Signe Reisch, Prä-sidentin des Kitzbühel Tourismus, beob-achtet den gesellschaftlichen Wandel auchbei ihren Hotelgästen. „Die Gäste bleibenimmer kürzer“, sagt die Chefin des Ras-mushofs. Und immer öfter seien es dieGroßeltern, von denen die Initiative zumSkiurlaub ausgehe. Kamen sie früher mit

ihren Kindern, so kommen sie nun mitKindern und Enkelkindern. „Und oft be-zahlen die Großeltern auch die Rech-nung“, merkt Reisch an.

Die Jungen fahren immer weniger Ski.Das zeigt auch die Entwicklung der Schul-skikurse in Wiener Gymnasien und berufs-bildenden mittleren und höheren Schulen.Die Zahlen sinken seit Jahren stetig, abernicht dramatisch. Im Vorjahr fanden 232Skikurse statt, fünf Jahre zuvor waren es262. Dass nach wie vor so viele Skikursestattfinden, liege auch daran, dass die El-ternvereine immer mehr Geld zuschießenwürden, erzählt Karl Dwulit. Er ist Vorsit-zender des Dachverbands der Elternver-eine an Österreichs Pflichtschulen. „Eswird von Jahr zu Jahr schwieriger, Skikursezu machen“, betont er. Vor allem in denBallungsgebieten können oder wollen sichviele Eltern den Skikurs nicht mehr leisten.Auch Lehrern sei der Aufwand eines Ski-kurses im Verhältnis zur Verantwortungund Bezahlung oft zu groß.

Skikurs in der NMS ist die Ausnahme„Viele Schulen versuchen, den Skikurs kür-zer und günstiger zu gestalten“, erzähltDwulit. So sei es etwa immer mehr üblich,dass nicht mit dem Autobus, sondern mitder Bahn angereist werde, weil die Kindermit ihren Jugendtickets gratis fahren. Ge-nächtigt werde in einer Jugendherberge.Dennoch koste auch der günstigste Skikursetwa 350 Euro. „Und da ist das Equipmentnicht dabei“, sagt er.

Für sozial schwache Familien steuertdie Stadt Wien 75 Euro bei. „Und dannkommt natürlich Unterstützung von denElternvereinen.“ Wie viel zahlen die El-ternvereine? „Das hängt von Region undSchule ab“, sagt Dwulit. Sprich: Es ist ebenein Unterschied, ob es sich um ein Innen-stadtgymnasium handelt oder um eineNeue Mittelschule (NMS) in einem Rand-bezirk. „In der NMS in Wien ist der Schul-skikurs längst zu einer Ausnahme gewor-den“, sagt Dwulit.

Selbst wenn ein Skikurs zustandekommt, wird die Zahl der Nichtskifahrerimmer größer. Wurden diese früher wieselbstverständlich in die Anfängergruppegesteckt und zum kollektiven Pflugfahrenverdonnert, so stehen heute Schneewan-dern und bestenfalls Langlauf auf demProgramm. In Wiener Schulen schiebenTurnlehrer vor den Skikursen eigens Vor-bereitungsstunden ein, um den Kindern zuerklären, welche Kleidung auf einem Ski-kurs benötigt wird, dass Handschuhedurchaus praktikabel und Helme von gro-ßem Vorteil sind.

Viele Menschen, vor allem jene mitMigrationshintergrund, verbinden mitSchnee eher eine Bedrohung als ein Ver-gnügen. Nicht nur der Klimawandel, son-dern auch der demografische Wandel wer-de den Wintertourismus in der Zukunft vorgroße Herausforderungen stellen, meintAvenir-Suisse-Forscher Müller-Jentsch.„Dem langfristigen Trend kann sich auchder österreichische Wintersport nicht ent-ziehen“, sagt er.

In den Schulen gehe der Trend ein-deutig vom Skikurs in Richtung Sportwo-che im Sommer, erzählt Karl Dwulit. Som-mersport ist einfach billiger. Badehoseschlägt Skiausrüstung? Selbst mit der Ba-dehose sei das so eine Sache, gesteht Dwu-lit: „Immer weniger Schüler können näm-lich schwimmen.“

LEITARTIKEL

VON RAINER NOWAK

Eine Berliner Koalitionwäre trotz allem nicht besserAuch wenn die Rechtsregierung in Wien stottert, das, was da in Berlin an denStart geht, hat sich weder Angela Merkel noch Deutschland verdient.

D ie Frage wurde nach längerer Debattevon einem hochrangigen Mitglied der

türkisen Neigungsgruppe Sebastian Kurzformuliert: „Sind wir nun etwa verantwort-lich für die FPÖ?“ Es ging um den Skandalum den niederösterreichischen FPÖ-Spit-zenkandidaten Udo Landbauer und antise-mitische, NS-verherrlichende Passagen ineinem Liederbuch seiner Burschenschaft.Zuvor hatte sich die Diskussion um dieFrage der Betroffenheit des neuen Kanzlersvon derartigen Vorkommnissen gedreht,deren eine mit dem Rücktritt des Wr. Neu-städter FPÖ-Politikers vorerst ein begrü-ßenswertes Ende gefunden hat.

Seit wann hafte ein Kanzler für Tatenin der Partei des Koalitionspartners? Tut ernicht, aber Patzer oder wie im konkretenFall braune Flecken fallen auf Partei, Re-gierung und damit indirekt auf deren Chefzurück. Stimmt schon, keiner hätte WernerFaymann für Ausrutscher etwa des Außen-ministers Kurz verantwortlich gemacht.Aber der Blick auf die türkis-blaue Regie-rung hat einige Besonderheiten, die ge-genseitige Wirkungsweise anspruchsvollermacht als die der War-der-Ruf-erst-ein-mal-ruiniert-Koalition aus SPÖ und ÖVP.

Erstens ist Türkis-Blau Opfer der eige-nen Inszenierung: Um nur ja keinen An-schein von Streit wie früher aufkommen zulassen, stellen sich beide Regierungsteamsbei jeder Gelegenheit als gut aufgestellte,harmonische, moderne Trachtenformationdar. Das erhöht automatisch die gegensei-tige Abhängigkeit. Zweitens steht eineRechtsregierung mit Beteiligung einerrechtspopulistischen Partei mit dem ent-sprechenden Rechts-außen-Netzwerkmehr unter Beobachtung als eine Regie-rung in der breiten Mitte. Drittens lässtsich die Erinnerung an die schwarz-blaueRegierung unter Wolfgang Schüssel nichtabstreifen, auch wenn das nicht gerecht ist.Schüssel ließ trotz ausverhandelten Ab-kommens die Neuauflage von Rot-Schwarzplatzen, um sich von der FPÖ von Platzdrei aus zum Kanzler wählen zu lassen.

Das ist der Unterschied, den viele Be-obachter vergessen: Diese erste Alternativegab es für Kurz de facto nicht, weder wollteChristian Kern noch wollten die Sozial-demokraten den Juniorpartner geben.(Auch Kurz selbst und mit ihm die Bevöl-kerungsmehrheit fürchteten eine Große-

Koalition-Verlängerung.) Daher wird sichKurz weiter mehr der Gesamtverantwor-tung stellen müssen als seine roten Vor-gänger gegenüber der stets widerspensti-gen ÖVP. Damit hadert die Regierung:Die Mehrheit der Journalisten und Me-dien steht in der Mitte und weiter linksder türkis-blauen Koalition mindestensebenso kritisch bis misstrauisch gegen-über wie der alten rot-schwarzen Regie-rung genervt und gelangweilt. Das istvielleicht nicht fair, aber Realität.

K urz hatte wie beschrieben ähnlichwenige Alternativen wie Angela Mer-

kel in Deutschland: Nach der Absage derFDP gibt es nur noch eine im Vergleichzur SPÖ regierungsunwilligere SPD, dienun inhaltlich mehr einfordert und wohlbekommt, als ihr aufgrund der Größen-verhältnisse zustehen würde. Dem künfti-gen kleinen Koalitionspartner unter ihremangeschlagenen Chef, Martin Schulz, wirddas bei den eigenen Anhängern dennochweniger bringen, als es Merkel bei ihrenWählern schadet: Um eine Regierung zu-stande zu bringen, rückt das Land wirt-schaftspolitisch nach links – und zurück.Der finanziell im europäischen Vergleichüppig aufgestellte Staatshaushalt wird fürweitere Sozialausgaben, etwa im Pflege-bereich, angezapft werden, mögliche brei-te Steuersenkungen, die die einmalig guteKonjunktur weiter befeuern könnten, wirdes nicht geben, stattdessen stellt Berlineinen noch größeren Anteil an der durchden Brexit schwindenden EU-Finanzie-rung in Aussicht. Wie faul viele der müh-seligen Kompromisse sind, lässt sich aneinem peinlichen Phänomen ablesen:Nach jeder Einigung in einem Kapitelklingt die Interpretation desselben vonVertretern der SPD und der CDU konträr.Ein großer Wurf kann das nicht werden.

Die großkoalitionäre Verösterreiche-rung Deutschlands schreitet voran. Da-mit werden automatisch die Wahlchan-cen der Rechts- und Linkspopulistenbesser. Das macht Regieren in Zukunft –siehe Österreich – nicht leichter.

Anders formuliert: Wir erleben nichtgerade die Hochzeiten des europäischendemokratischen Parteiensystems.

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„Skifahren ist kein Sport für arme Leute“Interview. Der Schnee geht uns nicht so schnell aus, sagtTourismusforscher Günther Aigner. Dennoch droht manchenSkigebieten das Aus. Sie könnten zwischen den Ansprüchender Gäste und den finanzstarken Rivalen zerrieben werden.

VON ANTONIA LÖFFLER

Die Presse: „Österreich ist eine Skina-tion.“ Stimmt der Satz?Günther Aigner: Er stimmt. Wenn Öster-reich keine Skination ist, gibt es weltweitkeine. Der Anteil der Skifahrer in der Bevöl-kerung ist vielleicht noch in der Schweizund Norwegen so dicht wie in Österreich.

Wir verzeichnen im Winter konstanteNächtigungs- und Ankunftsrekorde. Fastzwei Drittel der Österreicher fahren abernicht mehr Ski. Wie passt das zusammen?Stimmt, nur ein Drittel fährt Ski. Aber es gibttrotzdem kein anderes Land auf der Welt,wo die Durchdringung höher ist. Skifahrer-nation heißt nicht, dass alle Ski fahren. Unddas war auch in den guten alten Zeiten nieso. Im Prinzip stehen in Österreich immermehr Menschen auf der Piste. Damit meineich aber Inländer wie Ausländer. Bei denEinheimischen ist der Plafond erreicht.

Vor 30 Jahren waren „nur“ 47 Prozent derÖsterreicher Skiverweigerer – ist der Aus-stieg den Kosten geschuldet?

Ja, aber auch der Demografie. Die Heteroge-nität nimmt zu, die Hauptherkunftsländersind in Nordafrika, im Nahen und MittlerenOsten. Das sind Wüstengebiete ohne kultu-rellen Bezug zum Skisport. Insofern ist es lo-gisch, dass der Anteil der Skifahrer an derwachsenden Bevölkerung sinkt. Wenn mandie Touristen dazuzählt, stellt man fest, dassimmer mehr Ski gefahren wird. Wir sind imSkitourismus gemessen an der Bevölke-rungsgröße Weltspitze. In absoluten Zahlenliegen wir als kleines Land auf Platz dreihinter den USA und Frankreich.

Wenn es so gut läuft, wieso werden alle so-fort nervös, wenn der Schnee Anfang De-zember ausbleibt?Ich stelle mir dieselbe Frage. Das rührtwahrscheinlich daher, dass die Wintersport-branche stark vom Wetter abhängig ist, unddas hat seine Launen. Die wichtigste Zeit fürden Wintertourismus ist die Weihnachtssai-son. Man braucht einen Katapultstart undkann es sich nicht leisten, dass der Schneezwei Wochen zu spät kommt. Am Anfangdes Winters sind die Skibedingungenaber nicht unbedingt gegeben.

Ist daran der Klimawandel schuld?Das muss man differenziert sehen. Der Kli-mawandel in den Alpen findet statt, sogarsehr deutlich. Aber hauptsächlich im Som-mer. Der ist in den österreichischen Bergenso warm und sonnig wie nie seit Beginn derAufzeichnungen. Die Winter haben sichaber nicht so stark verändert wie befürchtet.In Lagen oberhalb von 800 bis 1000 Meternhat sich in den vergangenen 30 Jahrennichts an der Schneebedeckung getan. Dasbelegen die amtlichen Messdaten ganz klar.

Woher rühren dann die Warnungen, dasswir in 40 Jahren auf Graspisten fahren?Weil das tolle Schlagzeilen produziert. DieForscher rechnen die Zahlen aus globalenKlimaszenarien auf die alpine Region herun-ter. Es ist absurd zu glauben,dass das Klima ein linearesSystem ist, bei dem manjahrzehntelang Prognosenmachen kann. Ich schauemir die amtlichen Messda-ten an und sehe: Wir habenseit 30 Jahren eine hysteri-sche Diskussion, dass wirbald nicht mehr Ski fahrenkönnen und in den 30 Jahrenist im Winter nichts passiert.

Doch. Das Heer an Schnee-kanonen gab es vor 30 Jah-ren nicht.Der Einsatz der technischen Beschneiung,der damals praktisch null war, ist entschei-dend geworden. Wir haben natürlichSchneebedingungen, die sich nicht verän-dert haben, aber wir haben auch technischeMittel. Das ist der Gipfel der Ironie: Wir ha-ben alle Angst vor dem Ende des Skisportsund die Skigebiete sind schneesicher wie nie.

Wieso die vielen Schneekanonen, wenn dieWinter wie eh und je sind, wie Sie sagen?Das ist schon vernünftig. Die natürlicheSchneesicherheit ist und war nie da. Die hatman in Grönland und Sibirien, aber nicht inalpinen Regionen. Moderner Wintersport-tourismus muss zu Weihnachten einenfunktionierenden Skibetrieb anbieten. Dasfordern die Kunden.

Was macht das kleine Skigebiet, das nied-riger liegt und den Komfort und die Tech-nik nicht bieten kann?Die kleinen Voralpenskigebiete haben eswahnsinnig schwer. Sie können unsere Er-wartungen nicht mehr erfüllen. Viele den-ken sich: Bevor ich dort enttäuscht werde,gehe ich gar nicht Ski fahren oder fahre inein größeres Skigebiet. Es gibt aber Beispie-le, dass Große wie Kitzbühel Partnerschaf-ten mit Kleinen wie dem niederösterreichi-schen Unterberg eingehen. Das hat Charmeund könnte eine Idee für die Zukunft sein.

Die Großen subventionieren die Kleinen?Nicht Subvention, sondern Partnerschaft.Die läuft natürlich nicht ohne Hintergedan-ken. Im kleinen Gebiet nahe dem Ballungs-

raum, wo die wichtigen Zielgruppen sitzen,lernt man mit den Kindern Ski fahren. Spätergeht es für den längeren Urlaub weiter weg.

Den Familienskiurlaub kann sich abernicht jeder leisten, wenn das Tagesticket50 Euro kostet.Ski fahren ist sicher kein Sport für arme Leu-te. Das war er aber nie. Wenn man den Ski-sport global betrachtet, ist er fast überall einOberschichtenprogramm und Österreicheines der wenigen Länder, wo er in die Brei-te geht. Und die Skigebiete, die 50 Euro auf-wärts kosten, sind die 20, 30 besten. Wir ha-ben in Österreich auch 4,5 Millionen Pkw,und es fährt nicht jeder einen Audi A6. Esgibt genug Skigebiete, wo man um 20 Euroam Tag fährt. Das kann man sich leisten,

wenn man will. Aber sie rei-chen unseren Ansprüchenoft nicht mehr.

Da wären wir wieder beiden kleinen Bedrohten.Manche Skigebiete werdenirgendwann zusperren müs-sen, wie Shoppingcenter,Tankstellen oder Supermärk-te. Es gibt kein Festhalten amFrüher. Wenn die großenSkigebiete Zweier- gegenAchtersessellifte tauschen –und das 300 Mal in Öster-

reich – können Sie sich vorstellen, wie vieleGäste dort befördert werden können. Wo sol-len die Skifahrer denn herkommen? Natür-lich ist das ein Verdrängungswettbewerb.

Die Großen, die es sich leisten können, in-vestieren und erhöhen mit dem Komfortgleichzeitig die Preise?Ja, aber es ist wichtig zu betonen, dass die In-novation der österreichischen Seilbahnenbeispiellos war. Das ist für den Inlandsmarktschmerzhaft, weil es die Tickets teurermacht. Aber betrachtet man es global – unddas sollte man beim Skitourismus tun –, sindwir fast allen anderen Konkurrenten mit derStrategie davongezogen. Österreich bietet diebeste Infrastruktur und im globalen Ver-gleich sind unsere Skiticketpreise extrem bil-lig. Nehmen wir Europa: In der Schweiz kos-ten Liftkarten 50 Prozent mehr. Auch inFrankreich und Italien legt man mehr hin.Wir jammern zurzeit auf sehr hohem Niveau.

Semesterferien: „Die Schneelage könnte nicht besser sein“Skiurlaub. Die Anreise in die Skigebiete wird durch viel Verkehr und nasse Fahrbahnen erschwert: Mit Verzögerungen ist vor allem im Westen desLandes zu rechnen. Auf die Urlauber warten in allen Skiregionen gute Bedingungen. Die Schneelage ist überall gut. Es wird allerdings ziemlich kalt.

Wien. Für rund 500.000 Schüler in Wien, Nie-derösterreich und Vorarlberg haben gestern,Freitag, die Semesterferien begonnen, einnicht unwesentlicher Teil der Familien wirdheute, Samstag, in den Skiurlaub aufbre-chen.

Erfahrungsgemäß sollte man für die An-reise ein wenig mehr Zeit einplanen, denndurch das große Aufkommen auf den Stra-ßen ist immer wieder mit Staus zu rechnen.Etwa auf der Westautobahn zwischen Wienund Salzburg, da hier auch viele Urlauberaus Tschechien und Polen in Richtung Wes-ten unterwegs sein werden.

Überlastet dürften demnach die Transit-routen im Westen des Landes sein. Mit Ver-zögerungen am heutigen Samstag rechnetder Arbö insbesondere auf der Arlberg-schnellstraße (S16) zwischen Bludenz undDalaas, auf der Fernpass-Straße (B179) undauf der Inntalautobahn (A12), speziell amGrenzübergang Kufstein. Auch auf der Tau-ernautobahn (A10) zwischen Salzburg unddem Knoten Pongau wird es – wie generellim Großraum Salzburg – zu Staus und Ver-zögerungen kommen: Denn auch viele deut-sche Urlauber starten heute in die Ferien.

Erschwerend kommt hinzu, dass vieleFahrbahnen – vor allem im Süden – teilsnass oder mit Schnee bedeckt sind, wodurchdie Unfallgefahr steigt. Am heutigen Sams-tag sollte der starke Schneefall der vergange-nen Tage im Süden und Südosten zwar ab-klingen, dafür dürfte es an der Alpennord-seite vom Bregenzerwald bis zur Rax schnei-en: alles andere als optimale Fahrbedingun-gen also.

Winterliche VerhältnisseEs gibt aber auch gute Nachrichten: Dennhat man es einmal ins Skigebiet geschafft, er-warten die Gäste jedenfalls gute Vorausset-zungen: So gut wie alle Skigebiete von Vor-arlberg bis Niederösterreich haben derzeitausreichend (Natur-)Schnee, in den vergan-genen Tagen sind gerade im Süden noch ein-mal beachtliche Neuschneemengen dazuge-kommen, sagt Meteorologe Josef Lukas vomWetterdienst Ubimet. „Die Bedingungensind ausgezeichnet, die Schneelage könntezum Beginn der Ferien nicht besser sein.“

Die Schneelage dürfte auch die ganzeWoche so bleiben – die Wettermodelle sa-gen für die erste Ferienwoche winterliche

Verhältnisse voraus, was so viel bedeutetwie: Es bleibt kalt und wird sogar noch käl-ter. In 2000 Metern zeichnet sich laut Ubi-met ein Temperaturrückgang von minusacht Grad am Montag auf minus 14 Grad amFreitag ab. Eine warme Bekleidung beimSkifahren ist also unbedingt notwendig.

Ab Mitte der Woche kann es – vor allemim Süden und Osten (eher nicht im Westen)wieder schneien – vielleicht sogar bis insöstliche Flachland. Immer wieder, so Meteo-

rologe Lukas, wird sich auch die Sonne zei-gen, vor allem ab Mittwoch, allerdings müs-se man mit wechselhaftem Wetter rechnen.

Exakte Prognosen seien aber schwierig,da derzeit viele Tiefdruckgebiete über Eu-ropa ziehen, die immer wieder für kurzfristi-ge Wetterumschwünge sorgen. Daher gibt esauch noch keine seriöse Prognose, wie diezweite Ferienwoche – wenn die Schüler inSalzburg, Kärnten, Tirol und dem Burgen-land frei haben – verlaufen wird. (mpm)

Beste Schneeverhältnisse zum Start der Wiener Semesterferien. [ Reuters ]

ZUR PERSON

Günther Aigner leitete von 2008 bis 2014 dasWintermarketing seiner Heimatstadt Kitzbühel.Seitdem ist er als freier Skitourismus-Forscher tätig.Seine „Fünf Thesen zur Zukunft des alpinenSkisports“ brachten ihm viel Aufmerksamkeit. Darinpostuliert Aigner, dass Skifahren zum Luxus wirdund dass der Winter in den Alpen trotz des Klima-wandels so kalt ist wie vor 30 Jahren.125 Millionen Menschen können laut seinenSchätzungen weltweit Skifahren, 50 bis 60 Millionentun es aktiv. Der globale Markt stagniert seit circa1980. Österreich ist nach den USA und Frankreichdas drittgrößte Skitourismusland der Welt.

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