Assads neues syrisches Reich - WDR · Assads neues syrisches Reich Seite 5 / 44 Wir haben vor dem Einmarsch der US-Amerikaner 1990 gehört, dass da angeblich die ganzen armen kuwaitischen

Assads neues syrisches Reich Ein Feature über Gläubige, Märtyrer und Nazis

MARC THÖRNER

Besetzung: Sigrid Burkholder, Therese Hämer, Hüseyin Michael Cirpici, Daniel Berger, Heiko Obermöller, Andreas Laurenz Maier, Niels Kretschmer und der Autor

Technische Realisation: Matthias Fischenich und Jeanette Wirtz-Fabian Regieassistenz: Leyla Margareta Jafarian Regie: Martin Zylka Redaktion: Dorothea Runge

Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks für das ARD radiofeature 2020.

Alle Sendungen im Überblick:

SWR SWR 26.02. | 22:03 Uhr

BR BR2 29.02. | 13:05 Uhr, Wdh. 01.03. | 21:05 Uhr

SR SR 2 KulturRadio 29.02. | 17:04 Uhr

Antenne Saar 29.02. | 17:04 Uhr, Wdh. 02.03. | 19.00 Uhr

RB Bremen Zwei 29.02. | 18:05 Uhr, Wdh. 02.03. | 21:00 Uhr

NDR NDR Info 01.03. | 11:05 Uhr, Wdh. 01.03. | 15:05 Uhr

NDR Info spezial 01.03. | 11:05 Uhr, Wdh. 01.03. | 15:05 Uhr

WDR WDR 5 01.03. | 11:04 Uhr, Wdh. 02.03. | 20:04 Uhr

HR HR2-Kultur 01.03. | 18:05 Uhr

Assads neues syrisches Reich Seite 2 / 44

Musik: Muslimgauze ~ Mullah Said

Sprecherin:

Baschar al-Assad mit Anzug und Krawatte, in die Ferne blickend, das Haupt in himmlischen

Gefilden, umschwebt von einem Engel und von Schwalben. Wo Assads Oberkörper mit

einem Strahlenkranz verschmilzt, hat sich ein Schwarm winziger Menschlein versammelt. In

einer Geste der Verehrung und ihm zugewandt, heben sie ihre Gesichter und Arme auf zu

Assad. Von weit oben, blickt Baschars verstorbener Vater und Vorgänger, Hafez al Assad,

wohlgefällig auf die Szene.

Autor :

Ein offizielles Ölgemälde des syrischen Staatschefs.

2. Atmo :

„Krieg, Gewalt“

Sprecherin:

Der untere Rand des Bildes ist in fahles Grau getaucht. Hier drängen sich diejenigen, die

sich von Assad abwandten. Ihre Augen blutunterlaufen, ihre Gesichter hassverzerrte

Fratzen. Einer - vermummt nach Art der Dschihadisten - schwingt eine Handgranate. Um sie

herum: nur Trümmer und Zerstörung.

Ansage :

Assads neues syrisches Reich

Ein Feature

Über Gläubige, Märtyrer und Nazis

Ein Feature von Marc Thörner

Musik: Muslimgauze ~ Port Said


Autor :

Spätestens seit 2011 und mit dem Überschwappen der arabischen Rebellion ist Syrien

Schauplatz grausamster Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen geworden. Das

bezeugen tausende Fotos aus syrischen Geheimdienstgefängnissen.

Sprecherin beschreibt Fotos:

- In einer Art Lagerhalle liegt ein Dutzend junger Männer. Ihre Körper sind verrenkt und

stark abgemagert.

- Ein Mann mit eingeschlagenem Schädel und von Blut verklebten Haaren.

- Spindeldürre, von Hunger ausgezehrte Leichen, die Beine abgemagert bis aufs

Skelett.

Autor :

Jeder Aufnahme liegt eine Karteikarte des syrischen Militärgeheimdiensts bei. Penibel

listeten die verantwortlichen Staatsbeamten sämtlich Namen, Daten und Registriernummern

der Opfer auf.

Sprecherin

Ein desertierter syrischer Armeefotograf schmuggelte über 50.000 dieser Bilddokumente aus

Syrien heraus. Sein Deckname: Caesar. 28.000 dieser grausigen Fotos hat Human Rights

Watch analysiert und viele Menschen auf den Fotos identifiziert …

Zitatorin:

…„mindestens 6.786 Gefangene waren in fünf Zweigestellen des Geheimdienstes in

Damaskus inhaftiert.“

Sprecherin


Die restlichen Fotos zeigen Opfer des Bürgerkriegs: Regierungssoldaten, bewaffnete

Kämpfer, getötete Zivilisten.

Zitator UN-Repor t:

“Die Fotos von ‚Caesar‘ wertet die Untersuchungskommission als Beweismaterial…

Sprecherin :

... heißt es in einem Bericht der Vereinten Nationen nach eingehender Prüfung.

Zitator UN-Repor t:

… sie belegen, dass Caesar oder seine Abteilung täglich bis zu 50 Leichen fotografieren

musste. Das spricht dafür, dass es sich um systematische Tötungen handelte”.

Autor :

Den Vorwurf systematischer Tötungen weist die syrische Regierung zurück. Unterstützt wird

sie dabei von Iran und Russland, aber auch von manchen Politikern im Westen. In

Deutschland zum Beispiel von der AfD.

O-Ton: Blex

Da kann ich Ihnen so nichts zu sagen, was da an Verbrechen gelaufen ist.

Sprecherin

Auf Facebook fordert der AfD-Politiker Hans Thomas Tillschneider Solidarität mit Baschar al

Assad und wirbt für einen positiven Blick auf das Regime.

Und Christian Blex der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete der AfD hält die

Berichte der UN über Assads Massentötungen für unglaubwürdig, reiste eigens mit einer

Parlamentariergruppe seiner Partei nach Syrien.

O-Ton: Blex

Also erst muss ich immer fragen: Wer ist die Quelle des Ganzen?


Wir haben vor dem Einmarsch der US-Amerikaner 1990 gehört, dass da angeblich die

ganzen armen kuwaitischen Babys da ermordet wurden, das war alles großes Fake News.

Dann haben wir 2003 gehört, dass es da Chemiewaffen geben sollte und das hat sich auch

als Fake herausgestellt. Ich bin sehr skeptisch, wenn dann so ne neue Sau durchs Dorf

getrieben werden soll, wo‘s dann plötzlich heißt: oh, schaut mal her, der Böse ist ja so böse!

O-Ton: Leukefeld

Was diese Fotos betrifft, erfuhr ich, dass man nicht allein von dem Bild sagen kann, um was

für eine Person es sich handelt.

Sprecherin

Karin Leukefeld, Journalistin und als einzige deutsche Medienvertreterin in Syrien

dauerakkreditiert.

Musik : Oud Tremolo Flux ~ Andreas Bick

Autor

Ich erreiche sie über Skype.

Was sie „erfuhr“ kommt mir bekannt vor.

Ali Haidar, der Chef der syrischen „Kommission für nationale Versöhnung“, hat sich mir

gegenüber ganz ähnlich geäußert. Er spielt für Assad eine Schlüsselrolle im Prozess um die

neue Ordnung in Syrien.

O-Ton : Ali Haidar

Arab.

Übersetzer :

Der ganze Komplex muss überprüft werden. Die Krankenhäuser waren zu dieser Zeit mit

Kriegsopfern überfüllt, die von überall her eingeliefert wurden. Und diese Person hat eine


große Anzahl seiner Fotos in solchen Krankenhäusern gesammelt. Als ausgebildeter Arzt

kann ich ihnen sagen: Folterspuren erscheinen für eine bestimmte Zeit auf dem Körper

jedes Opfers. Es ist nicht möglich festzustellen, wann und wodurch diese Spuren entstanden

sind. Explosionen und dergleichen gab es überall. Dass man solche Fotos nimmt und sie

entsprechend anordnet, heißt nicht, dass sich diese Fälle in syrischen Gefängnissen ereignet

haben.

Musik: Azzazin 1-2 ~ Muslimgauze

Autor :

Beide, der syrische Staatsdiener und die in Syrien akkreditierte Korrespondentin

dementieren nicht die von den UN bestätigten, bestialisch in den Gefängnissen zu Tode

gemarterten Opfer des Assad-Regimes. Aber, sie verschieben den Akzent. Sie lenken den

Blick von Assads Folteropfern auf die vielen anderen Fotos. Der sozusagen „normalen“

Toten des Bürgerkriegs. An denen sei Assad, so sehen sie es wohl, schuldlos.

O-Ton: Leukefeld

Wenn da jemand identifiziert werden kann, ist es eindeutig. Aber es ist so, dass die Armee

eben auch dort, wo sie in Dörfer einmarschiert und Tote findet… die werden immer alle zum

Militärkrankenhaus oder in die Militärstationen gebracht, fotografiert und dokumentiert und

das heißt nicht, dass diese Toten alle aus den Gefängnissen sind.

Sprecherin

Karin Leukefeld arbeitet in Syrien für verschiedene Medien, unter anderem für die

linksrevolutionär auftretende deutsche Tageszeitung ‚Junge Welt‘ und den deutschen Dienst


des russischen Staatssenders ‚Russia Today‘, der unter anderem dadurch bekannt wurde,

dass er die Pegida-Demonstrationen live in deutsche Wohnzimmer übertrug.

Autor

Ganz links und ganz rechts, wie geht das beim Thema Assad zusammen?

O-Ton: Blex

Ich gehe davon aus, dass Herr Assad und seine Regierung zumindest säkular ist.

O-Ton: Leukefeld

Schon 2011 haben Gesprächspartner zu mir gesagt: Also wir wollen Veränderung. Aber wir

wollen hier keinen islamischen Staat und wir wollen hier keine Theokratie, sondern wir sind

säkular und dafür steht Assad.

Musik : Aqua Tingkyur~ Muslimgauze

Autor :

Diese Selbstbild Assads ist zum wichtigsten Kapital des syrischen Regimes auf der

internationalen Bühne geworden, so etwas wie seine Marke: „Wer Assad ablehnt, der öffnet

automatisch den radikalen Islamisten Tür und Tor“. Die Marke „Assad gleich Säkularismus“

wird in dem Maße wertvoller, je näher die Verhandlungen der Regionalmächte rücken, um

über die Zukunft des Regimes zu entscheiden.

O-Ton: el Hamid :

Denn wenn Assad fallen würde, dann kommen nur diese Leute, die die Macht übernehmen

und die werden Syrien in ein Chaos versetzen.


Sprecherin

Dr. Salem el Hamid ist Kinderarzt und Vorsitzender der regimefreundlichen Deutsch-

Syrischen Gesellschaft. Seit die Bundesregierung zu Beginn des Bürgerkriegs 2011 die

diplomatischen Beziehungen zum Regime in Damaskus auf Eis gelegt hat, fungiert el Hamid

als eine Art inoffizieller Mittelsmann für das Regime.

O-Ton: el Hamid

Deutschland macht einen Riesenfehler, indem es moderate Rebellen unterstützt, die es nicht

gibt. Dort kämpfen ja nur die Radikalen.

Autor :

In der Öffentlichkeit wirbt Hamid offensiv dafür, dass Deutschland Assad unterstützt und

nicht wie bisher die Gruppierungen der syrischen Opposition.

O-Ton: el Hamid

Diese Fanatiker, die hassen den Westen, die missachten alles, was wir hier im Westen an

Lebensart, an Philosophie, an Demokratie… und so.

Schauen Sie sich nur mal die Bilder an. Alleine die Gesichter dieser Leute, ihre Bärte, ihre

Brüllerei… man kriegt Angst. Wie kann die deutsche Politik zu diesen Leuten stehen,

anstelle sie zu bekämpfen? Deutschland wird Opfer. Schauen Sie mal: die ganzen

Flüchtlingsströme.

Autor :

Der Generalsekretär der Deutsch-Syrischen Gesellschaft verfügt selbst über Macht und

Einfluss im syrischen System. Er ist in der Lage, deutschen Reportern jederzeit eines der

raren Presse-Visa für Syrien zu verschaffen.


Schon lange recherchiere ich über den Syrienkonflikt, habe mich mit Anhängern und

Gegnern Assads getroffen. Aber die Frage, ob Assad Säkularist ist, scheint mir imminent

wichtig vor dem Hintergrund der beginnenden Verhandlungen über Syriens Zukunft.

Musik: Mullah said ~ Muslimgauze

Autor:

Im Herbst 2019 fliege ich nach Beirut. Dort, an der renommierten Amerikanischen

Universität, sitzen Forscher, die sich bestens mit der Region und mit dem Assad-Regime

auskennen.

Sprecherin:

Ist Assad religiöser als man annimmt? Oder muss man, um Assad zu verstehen, das

Alawitentum verstehen – diese kleine religiöse Minderheit in Syrien inmitten einer großen

Mehrheit von Sunniten?

Atmo:

Beirut

O-Ton: Hilal Khashan

You need to understand the Alawite faith. It‘s a cult. They combine in their religion elements

of Islam and Christianity and the philosophical religions of Asia.

Übersetzer :

Zum alawitischen Glauben müssen Sie wissen: Es ist ein Kult. Die Alawiten kombinieren in

ihrer Religion Elemente des Islam und des Christentums und der philosophischen Religionen

Asiens.


Sprecherin

Der Leiter des Fachbereichs für Politologie, Professor Hilal Khashan, ist einer der besten

Kenner von Religion und Politik des Nahen Ostens.

Autor:

Im Gegensatz zu den Anhängern anderer Religionen, sagt Professor Khashan, fielen die

syrischen Alawiten nicht durch besonderen Glaubenseifer auf, und auch von Assad könne

man das nicht sagen.


He is not religious.

Sprecherin:

Schon seit dem Militärputsch von 1966 kontrollieren die Alawiten Syrien und damit die

Mehrheit der Sunniten. Es handele sich dabei nicht um Verfechter einer Lehre, die Anhänger

gewinnen will. Sondern um einen Zirkel, deren Führungsfiguren eine verschworene

Gemeinschaft bilden.

Musik: Waayahan Oud Grain~ Andreas Bick


I would call this cooptation. You include the groups in the political system on the basis of

personal arrangement. They provide their unquestioning support to the political system and

you give them some material and political rewards in exchange for their loyalty to the regime.


Übersetzer :

Ich würde das als Vereinnahmung bezeichnen. Man integriert bestimmte Gruppen ins

politische System, auf Basis persönlicher Vereinbarungen. Die Betreffenden geben dem

Regime ihre uneingeschränkte Unterstützung – und als Gegenleistung für ihre Loyalität

erhalten sie materielle Zuwendungen oder politischen Einfluss.

Autor :

Der Assad-Familie und ihrem Zirkel geht es also um Macht. Um die zu behalten, und um als

Angehöriger einer Minderheit die große Mehrheit der sunnitischen Syrer hinter sich zu

versammeln, bedient sich die Familie Assad der jeweils nötigen Ideologien und der dazu

passenden Bilderwelten.

Sprecherin:

Als sich Baschars Vater und Vorgänger Hafez al Assad 1970 innerhalb des herrschenden

Alawitenzirkels nach oben putschte, tat er das auf der damals populären Ideologie des

Sozialismus. Dessen tragende Säulen waren: Antikapitalismus, Antikolonialismus,

Antizionismus, sowie die strikte Trennung von Staat und Religion. Und die arabisch-

sozialistische Baath-Partei wurde in Syrien zum Träger dieses Modernismus. Ihr Führer war

Vater Assad, sein Sohn Baschar hat ihn darin beerbt.


Assad talks about fighting Israel, Assad talks about many things.

He talks about Arab nationalism. The Syrian Regime since his late father is known for raising

big slogans that are removed from what they actually do on the ground.

Übersetzer :


Assad redet über den Kampf gegen Israel, Assad redet über viele Dinge. Spricht über

arabischen Nationalismus... Seit der Zeit von Baschar al Assads verstorbenem Vater ist das

syrische Regime dafür bekannt, große Sprüche zu machen. Die weit entfernt sind von dem,

was sie vor Ort dann tatsächlich tun.

Autor :

Der Gegensatz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zeigte sich in Assads Umgang mit dem

arabischen Frühling im eigenen Land.

Musik: Waayaha Oud Grain~ Aandreas Bick

Sprecherin

Als 2011 mit der Arabellion, dem arabischen Frühling, der Säkularismus auf dem Vormarsch

war, als auch in Syrien Forderungen nach Freiheit, Gewaltenteilung und Parlamentarismus

laut wurden, da habe Assad, um seine Macht zu retten, die Gefängnisse ausgerechnet für

radikale sunnitische Islamisten geöffnet.


Assad wanted to militarize the uprising. And without militarizing it, without releasing the

fundamentalists from prison, it would have been impossible to militarize it. He wanted to

militarize it and to shift its focus from demands for liberty and democratization into fighting a

war against terrorism. And he succeeded in changing the course of the uprising into a fight

against terrorism.


Übersetzer :

Hätte Assad nicht die islamischen Fundamentalisten aus den Gefängnissen entlassen, wäre

die Militarisierung der Revolte unmöglich gewesen. Er wollte, dass der Fokus verschoben

wird, von den Forderungen nach Freiheit und Demokratisierung hin zu einem Kampf gegen

den Terrorismus. Und genau das ist Assad auch gelungen. Aus der Revolte gegen ihn,

wurde: Assads Kampf gegen den Terror.

Autor:

Doch die einmal von Assad gerufenen Geister wollten nicht wieder zurück in die Flasche.

Sprecherin:

Die radikalen sunnitischen Islamisten wuchsen sich aus zu einer Bedrohung für ihn selbst.

Mithilfe der Golfstaaten zwangen sie Assads Armee überall zum Rückzug.

Autor:

In dieser Lage habe er sich von den sunnitischen Dschihadisten ab und den schiitischen

Dschihadisten zugewendet. Den vom Iran gestützten Kämpfern der Hisbollah.


There is a relationship between the Syrian regime and the Iranians. Since Hisbollah played a

major role in assuring the regime of Assad and Assad‘s regime needs the Hisbollah-fighters

in the war. The Iranians are planning on having a permanent presence in Syria.

Übersetzer :

Es gibt eine. Verbindung zwischen dem Syrischen Regime und dem Iran. Da die Hisbollah

die Hauptrolle dabei spielte, das Assad an der Macht zu halten, braucht das Regime die


Hisbollah-Kämpfer weiterhin für seinen Krieg. Und die Iraner planen eine ständige Präsenz in

Syrien.

Autor :

Im Beiruter Schiitenviertel, beobachte ich ein religiöses Fest mit jungen Aktivisten. Viele von

ihnen sind bereit, zum Kampf für Assad nach Syrien zu ziehen. Heute gedenken sie des

Todes von Imam Hussein Ibn Ali, ihrem Glaubensstifter.

17,- 18-, 19,-Jährige schwarzgekleidet und in Zweierreihen defilieren vorbei an der

wichtigsten schiitischen Moschee. Vor sich die Fahnen der Hisbollah. Vorbei auch an

großformatigen Darstellungen der schiitischen Märtyrer. An erster Stelle ihr Glaubensstifter

Imam Hussein in seiner mittelalterlichen Rüstung, daneben idealisierte, bunt retuschierte

Fotos von modernen Hisbollah-Soldaten im Syrien-Krieg mit Helm, Kampfdress und

Kalaschnikows.

In ritueller Trauer um die vor 1400 Jahren verlorene Schlacht von Kerbala und die Tötung

ihres Hoffnungsträgers Hussein klopfen sich die jungen Männer immer wieder auf die Brust.

Ich stoppe einen, frage ihn, was junge Hisbollah-Aktivisten dazu bringt, in den Krieg nach

Syrien zu ziehen?

O-Ton: Hisbollah-Mitglied

A lot of people think that what‘s happing in Syria especially with Daesh and Jabhat al Nusra

and etc, they think that it‘s a conflict between Shia and Sunna. It‘s not the case. What‘s

happening in Syria, why Hisbollah went to Syria and why the Shiites around the world took

this cause as their own, it‘s because there is Sayeda Zeynab, the sister of Imam Hussein

over there.


Übersetzer :

Viele denken, dass es in Syrien um den Kampf mit Daesh, dem IS und der Jabhat al Nusra

geht, um einen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten. Aber das stimmt nicht. Die Hisbollah

ist aus einem anderen Grund nach Syrien gezogen. Der eigentliche Grund ist, dass dort

Zeynab begraben liegt, die Schwester von Imam Hussein!


There are important Shiite religious sites in Syria that need to be protected and Hisbollah and

Iran disseminate the information that: if we don‘t go to Syria to support Bashar al Assad‘s

regime, then those religious sites that are sacred to Shiites will be demolished by the Sunni

uprising.

Übersetzer :

Wichtige schiitische Heiligtümer befinden sich in Syrien. Angeblich müssen sie beschützt

werden. Der Iran und die Hisbollah behaupten dass, wenn sie nicht nach Syrien gehen, um

das Regime von Baschar al Assad zu unterstützen, dass dann diese heiligen schiitischen

Stätten von sunnitischen Aufständischen zerstört werden.

Musik : Nuri Oud Faulty radio ~ Andreas Bick

Atmo :

Abfahrt des Taxis nach Damaskus, Gespräch mit dem Fahrer

Autor :

Welchen Einfluss der Iran auf die Politik Assads hat, konnte ich selbst erleben, als ich im

Frühsommer 2018 endlich ein Visum für Syrien bekam - nach fast zweijährigen


Verhandlungen mit Assads deutschem Mittelsmann, dem Generalsekretär der Deutsch-

Syrischen Gesellschaft.

El Hamid hatte mich angerufen: Er habe vom Büro Präsident Assads grünes Licht erhalten.

Ich könne von Beirut aus mit dem Taxi nach Damaskus fahren.

Atmo :

Ankunft, Stimme Taxifahrer: Damaskus, it‘s beautiful.

Autor:

Die Fahrt dauert nur wenig mehr als zwei Stunden. Zwei Stunden, um vom Frieden in den

Krieg zu kommen. Von einer mediterranen Glitzermetropole in eine kriegsmüde Stadt, die

äußerlich den arabischen Großstädten der 1980er Jahre ähnelt.

Musik : Rumbling Atmosphere- Andreas Bick

Autor :

Ich kam gerade an, als sich die Schlüsselmomente abspielten, die für Syriens Zukunft

entscheidend werden sollten.

Die jungen Kämpfer der Hisbollah hatten bereits in der Hauptstadt Damaskus ein Gebiet der

Opposition nach dem anderen zurück erobert. Nun ging es um die letzten Enklaven der

sunnitischen Dschihadisten, inzwischen in Gestalt des IS.

Von früh bis spät rasten russische und syrische Kampfjets über den Himmel und versuchten,

die verbliebenen beiden Stadtviertel sturmreif zu bomben.

Es war die Zeit, als Assad seine engsten Mitarbeiter für die von ihm angestrebte

Nachkriegsordnung auswählte und positionierte. Die Zeit, als Teile der Bevölkerung aus

ihren angestammten Wohngebieten vertrieben wurden. Und als das Image geschaffen

wurde: Weder die verbündeten Russen, noch die Verbündeten Iraner hätten den Sieg über


die Feinde davongetragen, sondern siegreich sei einzig und allein der säkulare Präsident

Assad und seine ihm unterstehende syrische Armee.

Was ich damals beobachtete, hielt ich in täglichen Notizen fest.

Autor Tagebuch :

Damaskus, Mai 2018:

Im Stadtviertel Yarmouk Straße rücken einige der Assad verbliebenen regulären Einheiten

Straße um Straße den Rebellen näher. Nur zwei, drei der syrischen Soldaten verfügen über

Helme. Viele tragen Turnschuhe anstelle von Stiefeln. Schutzwesten fehlen ganz. Ihre

Waffen stammen aus alten russischen Beständen.

Die Zerstörungen erinnern an Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg. Oft sind die Straßen nur

noch in Grundlinien zu erkennen. Dort, wo mehrstöckige Häuserzeilen standen, sind nur

noch Trümmer. Hier und da ragt wie eine bizarre Kulisse der ausgebrannte Rest einer

Fassade auf.

Autor:

Von Schuttberg zu Schuttberg, weiter gelotst von den Soldaten, bewegten wir uns vorsichtig

auf die Frontlinie vor.

Mein offizieller Begleiter vom syrischen Presseamt erklärte: „Dahinter beginnt das

Schussfeld der Islamisten“.

Atmo

Gehen, Stimme Begleiter : „This is as far as you can go. From now on the sniping begins.“

Stimme Offizier , arab. Stimme Begleiter : This is the religious court of Yarmouk camp.

Autor :


Von hier aus war das Scharia-Gericht zu sehen, das die Rebellen bis vor kurzem

unterhielten. Über dem Eingang prangte noch das Logo der Terror-Miliz „IS“. Ihre Kämpfer

waren die letzten, die noch Widerstand leisteten.

In einem halb zerstörten Haus hatte der Kommandeur dieses Abschnitts seinen

vorgeschobenen Posten eingerichtet. Er zeigte mir den Frontverlauf auf einem

ausgedruckten, an die Wand gepinnten Satellitenbild. Der Offizier betonte, es gehe hier nicht

nur um Häuserkampf. Hier verlaufe auch noch eine andere Frontlinie: Die zum

fundamentalistischen Islam-Modell der Golfstaaten.

Aus seiner Sicht begann die Reihenfolge der Geschehnisse nicht damit, dass Assad

Islamisten und Dschihadisten aus den Gefängnissen freiließ, sondern damit, dass das

Ausland die Islamisten in Syrien unterstützte.

O-Ton: Feldkommandeur

Übersetzer :

Die arabischen Golfstaaten, Amerika und Israel, die unterstützen alle den Terrorismus. Und

diese ausländischen Mächte haben es geschafft, ihre eigenen Stellvertretergruppen hier

einzuschleusen wie den IS. Sie haben ihnen grünes Licht gegeben, in Syrien zu tun, was

immer sie wollen: Köpfe abschlagen, zur Strafe Hände amputieren. Sie haben den Zivilisten,

die nicht fliehen konnten, ihren wahabitischen Glauben aufgezwungen. Sobald wir dieses

Viertel vollständig kontrollieren, werden Sie sehen, was aus den Kindern wurde, die sie

rekrutiert haben.

Musik: Rumbling Atmosphere - Andreas Bick

Sprecherin

Das Viertel und seine Bewohner galt den Militärs als islamisch-radikal: Als in die Hände des

IS übergegangen.


Annahmen wie diese machten den Weg frei für ein Gesetz zur Enteignung der Bevölkerung.

Das Gesetz Nummer 10:

Autor Tagebuch :

Häuser und Grundstücke von Menschen, die geflohen, – und nach Assads Meinung –

unzuverlässige Bevölkerungsteile sind, dürfen beschlagnahmt und an andere Personen

vergeben werden. Es sei denn, dass sie den syrischen Behörden in Monatsfrist Dokumente

vorlegen, aus denen ihr Eigentumsanspruch hervor geht.

Diese Bedingung können 6,7 Millionen geflüchtete Syrer im Ausland nicht erfüllen. Somit ist

das Gesetz Nummer 10 de facto ein Gesetz zur Enteignung. Mutmaßlich zugunsten

derjenigen, die Assad als zuverlässige Gefolgsleute betrachtet.

Musik : Oud Tremolo Flux- Andreas Bick

Autor :

Ayman Sousan, der stellvertretende syrische Außenminister wies dies mir gegenüber scharf

zurück

O-Ton: Ayman Sousan :

Arab.

Übersetzer :

Seit dem Beginn des Krieges vor acht Jahren gibt es schon es diese verrückte

Desinformationskampagne gegen die syrische Führung und Regierung. In Deutschland

spricht man jetzt über ein angebliches Gesetz, das der syrischen Regierung erlaubt den

Grundbesitz von Syrern zu beschlagnahmen, die als Regimegegner aktiv sind. All das ist

Falschinformation, die gegen die Souveränität und die Führung Syriens gerichtet ist.


Autor Tagebuch :

Die Gespräche mit Offiziellen laufen immer wieder auf dieselbe Darstellung hinaus:

Das Assad-Regime sei ein säkulares System, das einen Kampf des Westens gegen den

religiösen Terror führe. Wenn nicht gar stellvertretend für den Westen, der seine Ideale an

die arabischen Golfstaaten verkauft habe!

Autor :

Nichtsäkulare Strömungen wie Islamismus und Dschihadismus würden allein vom Ausland

nach Syrien hineingebracht.

O-Ton: Nihad

Djeish al Islam, Fatah al Shams, whatever you can name it. Names do not indicate anything,

actually. Because, after all, they were all performing as one group. Some of them give

names, just in order to receive money from Saudi Arabia and Qatar and the United Arab

Emirates.

It‘s as simple as that.

Übersetzer :

Dschaisch al Islam, Fatah al Shams, wie immer man sie nennt. Namen spielen keine Rolle.

Denn sie agierten stets wie eine Gruppe. Die unterschiedlichen Namen dienen nur dazu,

Geld von unterschiedlichen Gebern zu bekommen. Von Saudi Arabien, Katar, den

Vereinigten Arabischen Emiraten. Ganz einfach

Musik: Rumbling Atmosphere ~ Andreas Bick

Autor Tagebuch :

Mr. Nihad, der Mann des syrischen Presseamts, begleitet mich auf Schritt und Tritt. Gleich

zu Beginn hat er sich als ein Angehöriger von Assads regierender Alawiten-Gemeinschaft

vorgestellt. Ohne ihn kann ich weder Interviews führen noch irgendwelche anderen

Aufnahmen machen. Jeden Abend will er meine Notizen sehen und daraus entnehmen, ob


die Bilanz des Tages für das Regime positiv ausfällt. Sei das erkennbar nicht der Fall, dann

sei er gehalten, meinen Aufenthalt in Syrien zu beenden.

Allerdings, so macht er deutlich, lasse sich mein Aufenthalt auch für ein angemessenes

Trinkgeld von Tag zu Tag verlängern.

Autor :

Ich bat den Leiter des Presseamts um Gesprächstermine mit Iranern oder Kommandeuren

der Hisbollah-Truppen. Er wisse nichts von solchen Truppen, gab er vor. Man habe als

syrisches Presseamt zu Vertretern ausländischer Mächte keinen Zugang.

Atmo :

Luftangriff

Autor :

Plötzlich stand das Thema Hisbollah regelrecht bei mir im Zimmer.

Autor Tagebuch :

Wurde vom Lärm der Bomben und Raketen fast aus dem Bett geworfen. Am Horizont

flackerte es immer wieder rot auf. Rechts und links von meinem Hotelbalkon stiegen die

Leuchtspuren der Abwehrfeuer auf.

O-Ton: Ayman Sousan

Arab

Übersetzer :

Die Aggression von heute Morgen ist Teil der anhaltenden Angriffe der Israelis gegen die

Souveränität des syrischen Territoriums. Die syrische Luftverteidigung hat diese Raketen

erfolgreich abgeschossen. Es ist unsere Mission, die syrische Souveränität zu bewahren.


Autor :

Sagte mir der stellvertretende syrische Außenminister Ayman Sousan. Und er fügte hinzu:

O-Ton: Ayman Sousan

Arab.

Übersetzer :

Die Hisbollah trägt dazu bei, die Menschheit zu schützen, indem sie den syrischen Staat im

Kampf gegen den Terrorismus unterstützt.

Autor :

Welche Rolle spielt den nun die Hisbollah in Syrien? Endlich und nach wiederholten

Anfragen an das Presseamt, war auch der Großmufti von Syrien zu einem Gespräch bereit.

Sprecherin:

Badr ed-Din al Hassoun hat in Kairo islamische Rechtswissenschaften studiert und ist

offizieller Religionsführer der mehrheitlich sunnitischen Syrer. Vor allem gehört er zu Assads

engsten Vertrauten und nimmt an Kabinettssitzungen teil.

Autor:

Der Sunnit empfing mich in einem mit Rokoko-Möbeln ausgestatteten Saal und beantwortete

die Frage nach der Rolle der schiitischen Hisbollah so:

Musik: Filma ~ Pablo‘s eyes

O-Ton: Großmufti

Arab.


Übersetzer :

Zwischen 2011 und 2013 gab es in Syrien keinen einzigen iranischen Soldaten oder

russischen Offizier, keinen einzigen Hisbollah-Kämpfer. Dann nahmen wir in unserem Land

einige Geheimdienstleute fest, sie stammten aus Europa, Israel und der Türkei. Und wir

fanden heraus, dass sie ihre Einsatzzentralen in Jordanien und in der Türkei, in Incirlik,

hatten. Das war der Punkt, an dem der syrische Staat um Unterstützung bat. Syrien rief die

ganze Welt zu Hilfe. Aber am Ende halfen nur Russland und der Iran. Die EU-Staaten und

die USA haben uns in diese Allianz mit dem Iran hineingezwungen. Sie haben die Hisbollah

und den Iran zu uns hineingetrieben.

Autor :

Und dann sagt er etwas, was offensichtlich auch den AfD-Delegationsleiter Christian Blex

fasziniert hatte.

O-Ton: Großmufti

Arab

Übersetzer :

Baschar al Assad ist säkular orientiert. Doch statt sich bei Assad zu bedanken, was haben

die EU und die USA getan? Sie haben ihm 350 000 Dschihadisten nach Syrien geschickt.

Aber ich sage: In Syrien brauchen wir keine religiösen Philosophien. Jeder Staat sollte

säkular orientiert und für seine Staatsbürger da sein.

O-Ton: Blex

Ich weiß nicht, wie viele sunnitische Großmuftis Sie kennen, die die Trennung von Staat und

Islam fordern. Ich kenn nur ihn.



Autor Tagebuch :

Offenbar ist das syrische Presseamt genervt von meinen ständigen Fragen nach den

iranisch gestützten religiösen Bündnispartnern.

Autor

Und so fütterten sie mich mit Informationen über säkulare syrische Parteien.

Sprecherin

Volksfront für Wandel und Freiheit, Bewegung Arabischer Sozialisten, Arabische

Demokratische Einheitspartei, Partei der Einheitssozialisten...

Atmo:

Arabischer Marsch

Autor Tagebuch :

Es gibt, so höre ich, Wahlen, gelebten Parlamentarismus und echten Pluralismus.

Das Schlüsselressort für nationale Versöhnung hat Präsident Assad der Syrischen

Sozialnationalistischen Partei, SSNP erteilt.

Nach der de-facto-Neutralisierung der vormals staatstragenden Baath, die für einen Großteil

der Bevölkerung nicht mehr akzeptabel war, präsentiert man mir den neuen innenpolitischen

Hoffnungsträger: den langjährigen Oppositionellen und SSNP-Chef Ali Haidar.

O-Ton: Ali Haidar

Arab


Übersetzer :

Ich wurde als Chef einer politischen Oppositionspartei an die Spitze dieses Ministeriums

berufen. Deshalb kenne ich sehr gut den Unterschied zwischen echter Opposition und

Terrorismus. Das Ministerium für nationale Versöhnung glaubt an eine politische Lösung.

Und jeder syrische Bürger auf dem Gebiet des syrischen Territoriums ist für uns ein Partner.

Wir schließen niemanden aus.

Autor Tagebuch :

Lange hat die SSNP ein Schattendasein geführt. Im Gegensatz zu Assads Baath-Partei, die

eine großarabische und sozialistische Ideologie verfolgte, setzt die SSNP auf eine

großsyrische und nationale. Assads Mutter war schon Sozialnationalistin in der SSNP.

Sprecherin:

Und nun beauftragte Assad diese Partei damit, oppositionelle Kräfte einzubinden und das

zerrissene Syrien wieder zu einer Nation zusammenzuführen.

O-Ton: Leukefeld

Also einmal beteiligt sie sich nicht in irgendeiner Weise an den bewaffneten Kämpfen. Sie ist

säkular. Sie hat in allen Schichten Angehörige. Sie ist im ganzen Land vertreten.

Sprecherin:

Karin Leukefeld, die Syrien-Korrespondentin

O-Ton: Leukefeld

Sie ist in den 1930er Jahren gegründet worden, noch vor der Baath-Partei und sie vertritt

auch eine Position, die ja die ganze Region mit einbezieht, auch im Libanon sehr stark ist.

Wenn man hier eine Veränderung will, dann muss man auf jeden Fall die vorhandenen


Oppositionsparteien mit einbeziehen und die SSNP ist im Parlament vertreten, sie ist bei den

Wahlen angetreten und sie genießt großen Respekt.

Sprecherin

Auch Christian Blex, der Abgeordnete der AfD, hat Ali Haidar bereits besucht.

O-Ton: Blex

Syrien - hat - Wahlen. Syrien ist sicher keine Demokratie in unserem Sinne, aber es gibt dort

Wahlen und Parteien und es gibt dort Wahlen. Zum Beispiel Herr Doktor Haidar, der ist da

als Opposition in der Regierung drin, für nationale Versöhnung ist der eingesetzt worden.


Autor Tagebuch :

Ali Haidar, der SSNP-Chef und Leiter der Kommission für nationale Versöhnung ist ein

ergrauter, aber jungenhaft wirkender Mann, der einen lockeren Eindruck macht. Das Jackett

hat er abgelegt, die Ärmel seines blauen Oberhemdes aufgekrempelt. Er wirkt uneitel und

humorvoll. Ein Macher, der es mit dem Protokoll nicht allzu genau nimmt.

O-Ton: Ali Haidar

Arab.

Übersetzer :

Um die Versöhnung zu erreichen, haben wir die Terroristen klassifiziert, sämtliche

bewaffnete Fraktionen. Wir unterscheiden zwischen Syrern und Nichtsyrern. Die Ausländer


unter ihnen werden früher oder später das Land verlassen, deshalb sind sie nicht Partner

beim Versöhnungsprozess. Alle Syrer hingegen betrachten wir als Mitwirkende an diesem

Prozess.

Sprecherin

Wie aber lässt sich Versöhnung erreichen, wenn das Regime, wie aus den

Untersuchungsberichten der UN hervorgeht, tatsächlich systematisch Massenmord betrieben

hat?

Musik: Port Said ~ Muslimgauze

Autor

Laut Amnesty International hat der Konflikt bis Ende 2017 mehr als 400.000 Todesopfer

gefordert, mehr als 11 Mio. Menschen sind Binnenvertriebene oder leben als Flüchtlinge im

Ausland. Seit dem Aufstand 2011 sind in syrischen Gefängnissen wie Saidnaya fast 18.000

Gefangene hingerichtet worden. Syrische Menschenrechtler sprechen sogar von 50.000.

Bisher ist niemand dafür zur Verantwortung gezogen worden.

Während der Leiter der Kommission für nationale Versöhnung redete, während er

stellvertretend für das Regime die Vorwürfe von Folter und systematischen Morden

zurückwies, fiel mir das schwarzweißrot gehaltene Parteilogo in einer Vitrine auf. Es besteht

aus einem Kreuz, das mir als Deutschem nur allzu bekannt vorkam.

Musik: Waayaha Oud Grain ~ Andreas Bick

Sprecherin

Dem Internetauftritt der Syrischen Sozialnationalistischen Partei ist zu entnehmen, dass es

sich bei dem Logo um ein Hakenkreuz handelt und dass sie 1932 von Antoun Sadeh, einem

syrischen Christen gegründet wurde, der Deutschlehrer war. Mit ihrer großsyrischen

Ausrichtung bezieht die SSNP auch den Libanon mit ins Staatsgebiet ein. Dort unterhält sie


ihr eigentliches regionales Hauptquartier. Ihre Mitglieder sind vor allem Christen, aber sie ist

auch offen für anderen Religionen. Denn, so wird betont, man betrachte alle Religionen als

integralen Bestandteil eines künftigen Großsyrien.

Atmo :

Damaskus

Autor :

Nach einer Woche Aufenthaltsverlängerung auf Tagesbasis, ließ das syrische Presseamt

erkennen: man wolle nun einen Schlusspunkt setzen.

Was hat es mit der von Assad protegierten Versöhnungspartei SSNP auf sich? Welche Rolle

können die Sozialnationalisten beim geplanten Versöhnungsprozess und bei der

Neugestaltung Syriens tatsächlich spielen?

Dieser Frage gehe ich im Herbst 2019 in Beirut weiter nach. Hier in der libanesischen

Hauptstadt befindet sich die regionale Großzentrale der pansyrischen Partei.

Atmo :

Beirut

Autor :

Von außen wirkt das regionale Hauptquartier der syrischen Sozialnationalisten abweisend.

Die Zufahrtsstraße ist zu beiden Seiten von einer bewaffneten Parteimiliz abgesperrt.

Als Autosperre dienen schwarz-weiß-rot gestrichene Kanister, auf denen die Fahne der

SSNP prangt. Das Logo der „Versöhnungspartei“ ist – das wird auch auf den zweiten und

dritten Blick nicht anders - ein Hakenkreuz. Doch während die Grundfarbe der NSDAP-

Fahne rot und das Hakenkreuz schwarz ist, verhält es sich bei der SSNP-Fahne umgekehrt.

Auf schwarzem Grund leuchtet das rote Hakenkreuz in einem weißen Kreis.


Die Kommunikationsabteilung der Partei scheint an Presseterminen mit ausländischen

Journalisten zunächst nicht interessiert.

Doch als man hört, dass ein Deutscher vor der Tür steht, begrüßt mich Maen Hamieh, der

Kommunikationschef der Partei, wie einen alten Bekannten. Man habe mit den Deutschen

sehr viel gemeinsam.

O-Ton: Maen Hamieh

Arab

Übersetzer :

Wenn Sie sich nur die Parteifahne hier ansehen: Sie ähnelt der alten deutschen

Nationalfahne mit dem Hakenkreuz der Nationalsozialisten!

Autor :

Der Parteisprecher freut sich, hebt noch andere Gemeinsamkeiten hervor, die uns seiner

Meinung nach verbinden und liefert dafür ein Beispiel: Die Parteihymne der Syrischen

Sozialnationalisten, die „Syrien über alles“ stelle, So wie im „Lied der Deutschen“

Deutschland über alles gestellt werde.

Atmo :

Stimme Hamieh

Singt: „Suria. Ya kiss salam, Suria antil huda….“

Autor :


Zu den Gemeinsamkeiten gehöre auch, dass man wie die Deutschen unter Verleumdungen

zu leiden habe.

Welche Verleumdungen meint er?

O-Ton: Maen Hamieh

Arab.

Übersetzer :

Den deutschen Nationalsozialisten wurde ja vorgeworfen, Hass zu schüren und den

Holocaust bewirkt zu haben. Aber das war nichts als Propaganda. Genauso werden wir

heute beschuldigt, Terroristen zu sein. Deutschland ist auf aggressive Weise angegriffen

worden. Dabei haben die Nationalsozialisten nichts anders versucht, als dem deutschen Volk

seine Würde zurückzugeben. Der Unterschied zwischen den deutschen Nazis und uns

besteht vielleicht darin, dass sie sich in ihrer Vision auf Deutschland beschränkten. Für uns

geht es um die gesamte, auf viele Länder verteilte syrische Nation.

Autor :

Wie die deutschen Nazis sei man bewaffnet; man unterhalte auch eine schlagkräftige

paramilitärische Organisation. Eine eigene bewaffnete Miliz.

O-Ton: Maen Hamieh

Arab.

Übersetzer :

Wir haben überall, auf dem gesamten Territorium Syriens, gekämpft. Wir standen dabei an

vorderster Front, zusammen mit der syrischen Armee. Und wir kämpfen in Syrien Seite an

Seite mit der Hisbollah. Auch wenn die Hisbollah eine religiöse Partei ist und wir Säkularisten

sind. Aber die Hisbollah geht gegen die Israelis und gegen die sunnitischen

Fundamentalisten vor. Wir haben also dieselben Feinde, wir führen denselben Kampf, gegen


Israel und den islamischen Staat, gegen al Nusra und die anderen Terrorgruppen. Wir sitzen

im selben Boot, trotz unserer Unterschiede.

O-Ton: Leukefeld

Sie haben keine eigenständige Miliz, sie haben nur lokal ihre eigenen Dörfer verteidigt und

dafür auch große Opfer gebracht.

Autor :

Hatte mir die Syrien Korrespondentin über Skype zur SSNP gesagt:

O-Ton: Leukefeld

Aber sie haben nicht angefangen, eine eigene Miliz aufzubauen, die alles übernimmt.


Autor :

Was verbindet eine säkular auftretende Partei wie die syrischen Sozialnationalisten mit den

islamisch Religiösen von der Hisbollah, frage ich Hamieh? Als Gesprächspartner empfiehlt

mir der Kommunikationschef einen der SSNP angeschlossenen christlichen Geistlichen. Der

etwa Sechzigjährige erscheint im Ornat, wie es die Amtsträger der evangelisch-

presbyterianischen Kirche zu tragen pflegen: Schwarzer Anzug, weißer Kragen.

O-Ton: Pastor Paulus

The values which we can compare is that the violence that happened. From the Jews in that

part and from the Sunna in that part. I mean, from the leaders of the Sunna in that time.

Übersetzer :


Was wir bei Christen und Schiiten vergleichen können, ist die gemeinsam erlittene Gewalt.

Bei den Christen ging sie von den Juden aus, bei den Schiiten von den Sunniten. Also von

denen, die damals die Sunniten führten.

Autor :

Der Pastor möchte anonym bleiben. Deshalb nenne ich ihn Paulus. Für Schiiten wie Christen

– und auch für die säkular orientierten Christen der SSNP – betont Pastor Paulus, stünden

die Märtyrer ganz vorne an. Nicht die sunnitischen, nicht die schiitischen Dschihadisten,

sondern die Sozialnationalisten hätten die erste Selbstmordattentäterin losgeschickt. Das

war 1985 und die hieß Sana Mohaidli.


Sana was a symbol. She drive a car with an explosion and ran into the Israeli obstacle and

bombard itself in it. That‘s a symbol of how they are thinking of resisting this country or this

people. This is a revenge, that they will think of it. And the Israeli were afraid from what they

are doing in that time.

Übersetzer :

Sana wurde zum Symbol. Sie fuhr ein Auto mit Sprengstoff in eine israelische Sperre und

brachte sich dann selbst zur Explosion. Sie ist ein Symbol dafür, wie man diesem Volk

gegenüber Widerstand leisten kann. Das war eine Rache und das jagte den Israelis Angst

ein.

O-Ton Autor – Paulus :

Stimme Autor :

So, can we consider her a martyr?

Stimme Pastor Paulus :

Of course.

Stimme Autor :


That‘s very important. Because you always compare the Jihadi…


No, no. This is… We consider her as a martyr, yes!


Autor :

Dank der 17-jährige Sana, erklärt Pastor Paulus sei es den syrischen Sozialnationalisten

sogar gelungen, in der Region eine Technik einzuführen, die noch heute viele weitere

Selbstmordattentäter kopieren: Sana verlas, vor einer Kamera ein politisches Testament.


Seventeen, eighteen persons like Sana did the thing. And they announced that they are to

go. Before they go they registered a film and they said that:

‚We will go and after we made this operation you will announce it.‘ We call it in Arabic

‚Shouhada‘. That they died for their country. For what they believe.

Übersetzer :

17, 18 Personen taten hinterher genau dasselbe wie sie. Nahmen vorher einen Film auf und

sagten: Danach werdet ihr das veröffentlichen. Wir nennen so jemanden auf Arabisch

Schuhada. Solche Menschen sind für ihr Land und für ihren Glauben gestorben.

Autor :


In Sana Mohaidlis Abschiedsvideo beschwört der Teenager ihre Angehörigen, nicht um sie

zu trauern. Denn in dem Moment, da ihr Blut die Erde des Südlibanons tränke, breche sie

auf…:

Zitatorin Mohaidli :

„…in eine große Zukunft, ein unbeschreibbares Glück. Mein auf der Erde zersprengter

Körper wird im Himmel wieder zu einem Leib zusammengefügt.“

Autor :

Während der Aufnahme sitzt die 17-jährige in Tarnuniform und Barett vor dem Logo der

SSNP.

Autor :

Für Sunnitische Dschihadisten und die schiitische Hisbollah ist die „jungfräuliche Braut des

Südens“ Kult. Präsident Assads Vater und Vorgänger feierte die Tat in einer Rede und

empfahl sie der Jugend als Vorbild.

Zitator: Hafez al Assad

„Die Märtyrer sind sicherlich die wertvollsten unter den Menschen.“

Autor :

Die Märtyreroperation, das Selbstopfer, sagt Pastor Paulus, sei auch heute noch die

schärfste Waffe im Kampf gegen die Feinde Großsyriens.

Auch im Kampf gegen die sunnitischen Dschiahdisten von IS, al Nusra und al Kaida?

O-Ton Autor: Pastor Paulus

Stimme Autor :

Even against jihadists and fundamentalists?



Of course. A big number was waiting for their term. And are still waiting.

Übersetzer :

Natürlich. Schon viele haben gewartet, bis sie an der Reihe sind. Und viele warten noch.



As early as 1985 the Syrian National Socialist Party talked about martyrdom .

Übersetzer :

Bereits 1985 sprach die syrische Sozialnationalistische Partei in dem Zusammenhang von

Märtyrertum.

Sprecherin

Der Politologe Hilal Khashan von der Amerikanischen Universität in Beirut:


When you talk about martyrdom, you talk about a religious connotation of martyrdom. A

martyr expects a heavenly reward for his or her martyrdom.

Übersetzer :

Aber sobald man davon spricht, spricht man bereits in religiösen Konnotationen. Das, was

ein Märtyrer für sein oder ihr Märtyrertum erwartet, ist eine himmlische Belohnung.

Musik: Oud Tremolo Flux ~ Andreas Bick

Autor :


Das heißt: Das syrische Regime benutzt Begriffe wie Märtyrertum, Opfertod, Himmel oder

Paradies. Die Selbstinszenierung Assads auf dem Gemälde und die SSNP sind dafür nur

Beispiele. Assad bedient sich stets derjenigen Weltanschauung, die ihm für das jeweilige Ziel

am passendsten erscheint, schließe ich aus meinen Recherchen.

Und um gegen den Westen mobil zu machen, eignet sich nichts so gut wie religiöser

Fanatismus. Als Beleg dafür verweist mich der Wissenschaftler Hilal Khashan auf eine

Predigt des Großmuftis von Syrien aus dem Jahr 2011.

O-Ton: Großmufti

Arab.

Übersetzer :

In dem Moment, in dem die erste Rakete Syrien trifft, werden alle Söhne und Töchter Syriens

und Libanons sich aufmachen und danach streben, Märtyrer zu werden. In Europa und auf

dem Boden Palästinas. Ich sage zu Europa und den USA: Wir werden Leute aktivieren, die

nach dem Martyrium streben und es wird sich um Leute handeln, die sich schon unter euch

befinden.

Autor :

Derselbe Mann, der mir gegenüber von Assads Säkularismus sprach, zeigt sich auf diesem

Video gleich zu Beginn der Arabellion in Syrien nicht freundlich und konziliant. Der

Großmufti gestikuliert und droht westlichen Staaten, falls sie den syrischen Aufständischen

militärisch helfen sollten.

O-Ton: Großmufti

Arab.

Übersetzer:


Von nun an gilt: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Und derjenige, der zuerst zugeschlagen

hat, ist der Ungerechtere Und ich sage zu allen Arabern und zu allen Menschen: denkt nicht,

dass Diejenigen, die dann zu Märtyrern werden in Frankreich, Großbritannien oder den USA,

dass diese Menschen dann Araber oder Muslime sein werden.

Autor :

Nicht nur Araber und Muslime will der Großmufti als Märtyrer sehen – sondern auch

Europäer, Christen, Säkulare?

Wofür, frage ich mich, sollen die sich alle in die Luft sprengen?

Für Jesus Christus? Für Allah? Für den schiitischen Märtyrer Hussein, für Husseins

Schwester Zeynab? Oder doch eher für Baschar al Assad? Der sich auf offiziellen

Ölgemälden zum Gottessohn und seinen Vater zu Gottvater stilisieren lässt?

Der Politologe Hilal Khashan hat noch eine andere Erklärung, weshalb junge Menschen zum

Selbstopfer aufgefordert werden: Nicht um Baschar al Assad gehe es, sondern schlicht um

die regionalen Interessen des Iran.


One of the aims of the Iranian Revolution in 1979 was to spread the revolution and spreading

Shiaism is a corollary to Iran’s efforts to prevail in the region. More than two million Shiites

have naturalized in Syria, Shiites that come from Iraq, even from Afghanistan and some parts

of Iran. And some Lebanese Shiites have now become dual citizens of Syria and Lebanon.

The transformation in the demographic change of Syria is too obvious to ignore.

Übersetzer :

Eines der Ziele der iranischen Revolution von 1979 war, die Revolution auszuweiten. Und

das Schiitentum zu verbreiten und damit den iranischen Einfluss in der Region. Mehr als

zwei Millionen Schiiten wurden schon in Syrien eingebürgert. Sie stammen aus dem Irak,


sogar aus Afghanistan und dem Iran. Und einige libanesische Schiiten haben die doppelte

Staatsbürgerschaft erhalten, syrisch-libanesisch. Der Wandel der Bevölkerungsstruktur in

Syrien ist zu offensichtlich, um ihn zu ignorieren.

Musik: Oud Tremolo Flux ~ Andreas Bick

Sprecherin

Da passt Gesetz Nummer 10, das die Enteignung regelt und den Bevölkerungsaustausch

möglich macht zugunsten derer, die Assad als zuverlässige Gefolgsleute betrachtet.

Autor

Was hält der AfD-Delegationsleiter Christian Blex davon, dass gerade der syrische

Großmufti zu Märtyreroperationen aufruft?

O-Ton: Blex

Stimme Autor :

zitiert Großmufti:

„Wir werden die Märtyreraspiranten vorbereiten, die sich bereits unter euch befinden. Solltet

Ihr Syrien oder Libanon...“

Stimme Blex :

Ja, er hat ja sogar recht gehabt. Schauen Sie sich doch an, was passiert ist. Frau Merkel hat

die ganzen Islamisten 2015 ins Land gelassen und seitdem haben wir hier Anschläge. Das

sind aber nicht seine Leute. Aber natürlich hat er, so gesehen, prophetische Gaben gehabt.

Autor :


Und wie bewertet Blex die Märtyreroperationen der von ihm gelobten SSNP?

Ich lese ihm zunächst allein den Text der Abschiedsbotschaft Sana Mohaidlis vor.

O-Ton: Autor, Blex :

Stimme Autor :

Was sagt Ihnen so was?

Stimme Blex :

Als aufgeklärter Mensch, Naturwissenschaftler, werden Sie verstehen, dass ich für so was…

dass ich das überhaupt nicht nachvollziehen kann. Überhaupt nicht.

Allerdings muss ich zur Kenntnis nehmen, dass es offensichtlich Menschen gibt, die diese

Beweggründe haben. Und da muss ich aber eins tun: Ich muss natürlich drauf aufpassen,

dass ich solche Leute nicht auf meine Bevölkerung lasse.

Autor :

Dann sage ich Blex, dass es sich bei der Attentäterin nicht um eine Islamistin handelt,

sondern eine syrische Sozialnationalistin.

O-Ton: Blex :

Also die Partei selber ist panarabisch. Ja? Das sind also säkulare Nationalisten. So. Wenn

Sie das so wollen. Ja? Das heißt, die Frau hat sich dann aus nationalistischen Gründen dann

aus nationalistischen Gründen als Araberin wohl anscheinend dann vermutlich wohl in den

Tod gestürzt. Auch das kann ich nicht nachvollziehen, in dem Fall. Ich weiß aber auch nicht

ganz konkret, in welcher Bedrohungslage sie das getan hat. Ich wüsste nur nicht, dass in

Deutschland auf deutschem Boden Terroranschläge von dieser Partei verübt worden sind.

So. Aber was wir sehr wohl haben, ist, dass von Islamisten Terroranschläge veranstaltet


wurden, verübt wurden. Ich wüsste auch nicht, dass diese Partei meine Lebensweise, Ihre

Lebensweise, unsere Lebensweise bedroht, indem sie sich die Frauen knechten will.

O-Ton: Leukefeld

Außer diesem einen Fall ist mir nichts bekannt, wo das vertreten oder angewandt worden ist.

Sprecherin:

Sagt auch Karin Leukefeld, die Syrien Korrespondentin.

O-Ton: Leukefeld

Also, ich denke, im 21. Jahrhundert ist diese Partei durchaus angekommen. Alle

Gesprächspartner, die ich kenne, vertreten eine politische klare Linie. Ich denke nicht, dass

das im Programm sozusagen aufgenommen ist.

Sprecherin:

Die SSNP hat sich nicht distanziert: Weder von Sana Mohaidli, noch von anderen

Dschihadisten und Attentätern. Im Gegenteil: Sie beruft sich auf ihr Beispiel.

Autor

Bald nach unserem Gespräch überrascht mich Karin Leukefeld mit einer E-Mail.

Die Passagen über die SSNP und deren Selbstmordattentate möchte sie aus dem Gespräch

gestrichen haben. Als ich das ablehne, weil das journalistischen Standards nicht entspricht,

will sie, das gesamte Interview zurückzuziehen. Außerdem legt sie einen Artikel der ‚Jungen

Welt‘ bei, in dem sie mit dem SSNP-Chef und Leiter der syrischen Versöhnungskommission

gesprochen hat. - Rechtzeitig, bevor diese Sendung ausgestrahlt wird.

Musik :Azzazin 1-2 ~ Muslimgauze


Zitatorin Leukefeld :

„Selbstmordattentate (…) Steht das in Ihrem Programm?

Zitator Ali Haidar :

Nein. Aber erinnern Sie sich an die japanischen Kamikaze-Flieger. (…) Es ist wahr, wir

hatten Mitglieder, die sich in der israelischen Armee in die Luft gesprengt haben, die

Palästina und den Südlibanon besetzt hielt. Diejenigen, die das getan haben, waren

Parteimitglieder im Südlibanon und sie kämpften mit ihrer Aktion gegen die israelische

Besatzungsarmee. Ja, es ist richtig, wir tun das und wir sind stolz darauf.(...)“

Autor :

Und Leukefelds Frage, ob das Hakenkreuz seiner Partei an das der deutschen

Nationalsozialisten erinnert, beantwortet der Minister so:

Zitator Ali Haidar :

„Natürlich nicht. Diese Partei wurde 1932 gegründet, das war vor der Machtübergabe an die

Nazis. (...) Unser Symbol nennen wir aber »Suba«, es bedeutet »Wirbelwind«, und es ist ein

syrisches Symbol, das 4.000, 5.000 Jahre alt ist. Sie können es heute auf vielen alten

Kulturstätten in Syrien und in unserer Region sehen. Es hat nichts mit der deutschen

Nazipartei zu tun.“

Autor :

Allerdings lässt der syrische Minister eines unerwähnt: Die deutschen Nationalsozialisten

firmierten bereits seit 1920 unter dem Jahrtausende alten hakenkreuzförmigen Symbol. Elf

Jahre bevor die syrischen Sozialnationalisten gegründet wurden.

Sprecherin :


Ayman Mhanna ist Leiter der Samir-Kassir-Stiftung für Journalismus und Meinungsfreiheit

und Dozent an der St. Joseph-Universität in Beirut und Spezialist für die politischen

Gruppierungen in der Region. Wie sieht er die von Assad als „Versöhnungspartei“

protegierte SSNP?

O-Ton : Ayman Mhanna :

The nineteenthirties saw the emergence of parties that were inspired by the Nazi

organization in Germany. One of them is the Syrian Social Nationalist Party with the idea of

superiority of that race, very strong antisemitism and very strong secular identity that

supersedes any kind of religious or confessional belonging that people have.

Übersetzer :

In den 1930er Jahren entwickelten sich hier Parteien, die von den deutschen Nazis inspiriert

waren, darunter auch die Syrische Sozialnationationalistische Partei. Ihre Grundidee besteht

in der Überlegenheit der syrischen Rasse, einem ausgeprägten Antisemitismus und einer

starken säkularen Identität, die alle religiösen oder konfessionellen Zugehörigkeiten aufhebt.

Sprecherin:

Mhanna hält die SSNP für eine Partei, die vom Assad-Regime benutzt wird, um sich hinter

dieser Fassade neu aufzustellen. Und wie das Assad-Regime in Syrien, seien die syrischen

Sozialnationalisten auch im Libanon für ihre Brutalität gegen Andersdenkende bekannt – die

selbst für Libanesische Verhältnisse ungewöhnlich sei.

O-Ton: Mhanna


There are a lot pf physical attacks on journalists and protesters and then, that same party

has one its prominent members claiming and very proudly implicated of the assassination of

president elect Bachir Gemayel in 1982.

Übersetzer :

Sie verüben hier viele körperliche Angriffe auf Journalisten und Demonstranten. Und nicht

zuletzt rühmt sich ein prominentes Mitglied der SSNP, ja immer noch, dass er 1982 an der

Ermordung von Baschir Gemayel, einem von uns gewählten Präsidenten beteiligt war.

Atmo

Arabischer Marsch

Musik: Mullah Said ~ Muslimgauze

Autor :

Systematischer Massenmord. Antisemitismus. Enteignungen von Privateigentum für falsche

Gesinnung. Das Ideal von Opfertod und Selbstopfer, Jugendliche, die zum Märtyrertum

bereit sind.

Syrien erscheint als neues antiwestliches Erfolgsmodell. Zumindest aus Sicht des Iran und

Russlands.

Vermeintlich Linke, eindeutig Rechte, schiitische Dschihadisten, selbsterklärte Säkularisten –

wie, um Himmels Willen, passt das alles zusammen?

O-Ton: Ayman Mhanna

Well, it smells like fascism, it looks like fascism, it tastes like fascism. Then, probably it is

fascism.

Musik : Muslimgauze ~ Mullah Said


Absage: Assads neues syrisches Reich Ein Feature über Gläubige, Märtyrer und Nazis Von Marc Thörner Es sprachen : Der Autor und Sigrid Burkholder Therese Hämer Hüseyin Michael Cirpici Daniel Berger Heiko Obermöller Andreas Laurenz Maier Niels Kretschmer Technische Realisation: Matthias Fischenich und Jeanette Wirtz-Fabian Regieassistenz: Leyla Margareta Jafarian Regie: Martin Zylka Redaktion: Dorothea Runge Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks für das ARD Radiofeature 2020. „Gegendarstellung In dem ARD Radio-Feature “Assads neues syrisches Reich", das vom WDR produziert und am 1.3.2020 bei WDR gesendet wurde, heißt es in Bezug auf meine Person am Ende (S.41 des Sendemanuskriptes): ,,Die Passagen über die SSNP und deren Selbstmordattentate möchte sie aus dem Gespräch gestrichen haben." Diese Behauptung ist falsch, ich habe derartiges nie verlangt. (Karin Leukefeld) Der WDR ist gemäß § 56 Rundfunkstaatsvertrag zur Veröffentlichung der Gegendarstellung ohne Rücksicht auf ihre Richtigkeit verpflichtet.“

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Assads neues syrisches Reich - WDR · Assads neues syrisches Reich Seite 5 / 44 Wir haben vor dem Einmarsch der US-Amerikaner 1990 gehört, dass da angeblich die ganzen armen kuwaitischen