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Asymmetrie der grauen Substanz des Riickenmarks. Von Dr. P. Schiefferdeeker, Assistenten an dem physiologischen Institut der Universit~tStrassburg i. E. Hierzu sieben Holzschnitte. Bei meinen Untersuchungen fiber den Bau des Riickenmarks hatte ich vor Kurzem Gelegenheit, eine interessanteBeobachtung zu machen, die ich hier kurz mittheilen will, da ich, mit anderen hr- beiten beschiiftigt, vorliiufig nicht in der Lage bin, die Sache welter verfolgen zu kiinnen. Fig. I. \ Hund ; Ge end des Ursprunges des IIL Cervicalnervenpaares. Vergr. a. Fig. II. Hund; Gegend des Ursprunges des VII. Dorsalnervenpaares. Vergr. ~. Ich fand nitmlich, dass bei vollkommen gesundem Rilckenmark, and ohne dass man wahrend desLebens irgend eine func- tionelle StSrung wahrnehmen kann, eine nicht unbetriichtlicheAsymmetrie der bei- den H~tlften der grauen Substanz, sowohl was Form als Lage anlangt, vorkommen kann. Den ersten derartigen Befund machte ich bei einem Hunde. Derselbe hatte als Versuchsthier gedient, keine Functions- sti~rungen gezeigt, das Rtickenmark er- schien, mit Ausnahme der Asymmetrie, durchaus normal. Sowohl im Bereiche des ~weiten Cervicalwirbels als in dem des siebenten Dorsalwirbels hatte bier die rechte Hiilfte der grauen Substanz auf dem Querschnitte eine andere Gestalt als die der normalen linken (Fig. I u. II). In beiden F~llen war das Hinterhorn, wie man wohl

Asymmetrie der grauen Substanz des Rückenmarks

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Page 1: Asymmetrie der grauen Substanz des Rückenmarks

A s y m m e t r i e der g r a u e n S u b s t a n z des R i i c k e n m a r k s .

V o n

Dr. P. Schiefferdeeker, Assistenten an dem physiologischen Institut der Universit~t Strassburg i. E.

Hierzu sieben Holzschnitte.

Bei meinen Untersuchungen fiber den Bau des Riickenmarks hatte ich vor Kurzem Gelegenheit, eine interessanteBeobachtung zu machen, die ich hier kurz mittheilen will, da ich, mit anderen hr- beiten beschiiftigt, vorliiufig nicht in der Lage bin, die Sache welter verfolgen zu kiinnen.

Fig. I.

\ Hund ; Ge end des Ursprunges des IIL Cervicalnervenpaares.

Vergr. a.

Fig. II.

Hund; Gegend des Ursprunges des VII. Dorsalnervenpaares.

Vergr. ~.

Ich fand nitmlich, dass bei vollkommen gesundem Rilckenmark, and ohne dass man wahrend desLebens irgend eine func- tionelle StSrung wahrnehmen kann, eine nicht unbetriichtlicheAsymmetrie der bei- den H~tlften der grauen Substanz, sowohl was Form als Lage anlangt, vorkommen kann.

Den ersten derartigen Befund machte ich bei einem Hunde. Derselbe hatte als Versuchsthier gedient, keine Functions- sti~rungen gezeigt, das Rtickenmark er- schien, mit Ausnahme der Asymmetrie, durchaus normal. Sowohl im Bereiche des ~weiten Cervicalwirbels als in dem des siebenten Dorsalwirbels hatte bier die rechte Hiilfte der grauen Substanz auf

dem Querschnitte eine andere Gestalt als die der normalen linken (Fig. I u. II). In beiden F~llen war das Hinterhorn, wie man wohl

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am bezeichnendsten sagen kann, nach vorne gewandert. In dem Bereiche des zweiten Cervicalwirbels .war dabei eine nieht unbedeu- tende Vergriisserung der Masse der grauen Substanz der rechten Seite vorhanden, im zweiten Falle war die Masse auf dieser Seite geringer. Das Rtickenmark im Bereiche des niichst oberen und niichst unteren Wirbels war vollkommen normal und ging an den. betreffenden Stellen in das asymmetrische allm~hlich fiber.

Bald darauf hatte ich einen ~ihnlichen, nur noch interessanteren Befund bei einem menschlichen Rtickenmarke. Dasselbe stammte allerdings yon einem Patienten aus der Irrenanstalt Stephansfeld her, indessen war es mir seiner Zeit ausdrticklich als normal zuge- schickt worden, es waren also weder functionelle Stiirungen an dem Individuum beobachtet worden, welche auf eine Rtickenmarksano- malie schliessen liessen, noch war bei der Section irgend etwas pa- thologisches an dem Rtickenmark bemerkt worden. Da ich erst lange Zeit nach dem Empfange zur Untersuchung schreiten konnte, war es mir unmiiglich zu erfahren, woran der betreffende Patient gelitten hatte. Das einzige, was mir als anormal bei diesem Riickenmark auffiel, war die bedeutende Dicke und Festigkeit der Pin, die indessen yon oben his unten ganz gleichm~tssig war. Der Centralkanal war durchg~ingig verwachsen, ein bei dem Rtickenmark ~lterer Personen, wie es scheint, h~iufiges Vor- kommniss.

Fig. III. Im Bereiche des zweiten Cervical- - ~ wirbels war wieder eine ~ihnliche Erschei-

J ~ hung vorhanden (Fig. II1), wie bei dem Hunde: Vermehrung der grauen Substanz

~ j rechterseits, oberhalb und unterhalb nor- real, Uebergang, wie immer, allmiihlich.

/ Das Hinterhorn war hier indess nicht ver- ~tndert und auch in Betreff der grSsseren Masse des Vorderhorns lag die Sache hier

l~ensch; Querschnitt des Rfieken- markes aus der Gegend des Ur- etwas anders. u ersten durch den zwei- sprunges des ]II . Cervicalnerven-

p~are~. Ver~r. 4. ten zum dritten Cervicalwirbel nimmt die Masse tier grauen Substanz normal stetig zu; die Masse der grauen Substanz der linken H~tlfte im Bereiche des zweiten CervicalwirbeIs entsprach nun derjenigen im Bereiche des ersten, die der grauen Substanz rechterseits der Masse derjenigen im Bereiche des dritten Wirbels, es war also das Anwachsen auf der rechten Seite nur

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Fig. IV.

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Men,oh; Gegend des IV. Cervical- nervenpaares . Vergr. 4.

Fig. V.

Me•sch; Gegend des IV. D o r s a l nerven. Vergr. 4.

Fig. VI.

Mensch; Gegend des V. Dorsal- nerven. Vergr. 4.

Fig. VII.

(/ '

,/) Menseh; Gegend des Vl. Dorsal-

her ren . Vergr. 4.

ein schnelleres als aufder linken. Bei dem Hunde dagegen war die Masse rechterseits bedeutender als die des niichst unteren Absehnitts, w~ihrend die linke die normale ihr zukom- mende GrSsse besass. Ein mit die- sem letzteren ganz ttbereinstimmen- der Befund war bei dem mensch- lichen Rttckenmark im Bereiche des sechsten Cervicalwirbels vorhanden. (Fig. IV). Sodann war das Riicken- mark normal his zum Beginne des vierten Dorsalwirbels. Im Bereiche dieses, des fiinften und sechsten trat dann eine sehr sonderbareAsymmetrie der Gestalt und namentlich der Lage auf (Fig. V, VI, VII). Die Fissura anterior machte hier einen mehr oder weniger starken Bogen naeh rechts, im Bereiche des sechsten Dorsalwir- bels stand sie sogar senkrecht zur Fiss. posterior. Das linke Vorderhorn war stark nach vorne getreten (wie vorgezogen sah es aus) und zugleieh in seiner Gestalt ~er~ndert. Die aus- tretenden Wurzeln liefen statt nach vorne naeh hinten. Die Hinterstriinge hatten eine kolossale GrSsse sowohl absolut, als besonders im Verh~tltniss zu denVorderstr~tngen erlangt. Merk- w~trdiger Weise waren alle dieseYer- ~inderungen in einem viel geringeren Grade an dem mittelsten, im Bereiehe des fiinften Dorsalwirbels liegenden Stack ausgepr~gt, das im Ganzen ziemlich normal aussah im Vergleiche mit der kolossalen Asymmetrie ober- halb und unterhalb. Dieses Stack hatte auffallenderweise auch einen

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geringeren Durchmesser. Unterhalb des sechsten Dorsalwirbels war das Riickenraark dann wieder normal, der Uebergang, wie sonst, ein allraiihlicher, und blieb normal bis zu Ende.

Aus den eben raitgetheilten Beobachtungen folgt also: 1) Es kSnnen ira norraalen R~ickenraark bedeutende Asym-

metrieen der grauen Substanz beider Seiten sowohl naeh Form, als Gr~sse, als Lage vorkomraen. (Bei dera raenschlichen R~ickenraark ist die Beobachtung allerdings nicht ganz rein, da es mSglich ist, dass hier eine Erkrankung der Meningen stattgefunden hat, welche auf die Ausbildung des Markes yon Einfluss sein konnte.)

2) 8olche Asyraraetrieen scheinen sich raeist auf einen Wirbel- abschnitt zu beschranken.

3) Trotz hochgradiger Asyrametrie braueht keine Functionsst~- rung vorhanden oder wenigstens der Beobachtung zuganglich zu sein

Es fordern diese Thatsachen iibrigens auch zur Vorsicht bei Deutung yon Sectionsbefunden auf. Ich bin iiberzeugt, dass wenn in diesen Fallen FunctionsstSrungen vorhanden gewesen w~iren, die vielleicht auf ganz anderen, viel feineren pathologischen Ver- anderungen beruhten, wohl fast ein Jeder, der die Section geraacht hatte, die Asymmetrie far ein hinreichendes anatomisches Substrat angesehen haben w~irde.

Es wiirde nun eine leichte uud dankbare Arbeit sein, das R~icken- mark einer gr~sseren Anzahl yon Menschen und Thieren auf diese Anoraalie hin zu untersuchen, urn zu bestiramen:

1) Die Hiiutigkeit des Vorkoraraens. (Verschiedene Alters- klassen?)

2) Ob eine der beiden R~ickenraarkshalften vorzugsweise er- griffen wird.

3) Ob hiiufig ein wirklichesUeberwiegen der Masse der grauen Substanz einer Seite vorkommt, und ob dieses vielleicht besonders die rechte Seite betrifft (wie in meinen Fallen).

4) Den ursaehlichen Zusammenhang. (Beweglichkeit der Wir- bel, 13iegungen der Wirbelsaule, Erkrankungen der Meningen etc.)