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Redaktion: Markus Rediger (mr), Michael Wahl (mw), Jonas Ingold (ji) | [email protected] Das Dossier erscheint sechsmal pro Jahr | Online-Archiv unter www.lid.ch Nr. 448 vom 13. Oktober 2011 ZUSAMMENFASSUNG. Nachdem die Bäuerinnen jahrelang als selbstver- ständlich angesehen wur- den, stehen sie derzeit im Fokus von Forschung und Politik. Das ist auch höchste Zeit, denn ohne Bäuerinnen geht in der Landwirtschaft gar nichts. Eveline Dudda, Agrarjournalistin, Dipl.Agr.Ing. So verschieden wie die Landwirtschaft, so verschieden sind auch die Bäuerin- nen. Während manche sich auf ihre Rolle als Frau eines Bauern beschrän- ken, übernehmen andere die Betriebs- leitung des Hofes gleich ganz. Einige machen die Bäuerinnenausbildung, um dann nie auf einem Hof zu leben. Andere arbeiten lebenslang auf einem Hof mit und haben keine Bäuerinnen- ausbildung. Die grosse Mehrheit der Frauen legt jedoch auf dem Hof Hand an. Nicht immer aus reiner Begeiste- rung, sondern oft auch aus wirtschaft- licher Notwendigkeit. Die Mehrfach- belastung der Bäuerinnen ist gross, sie müssen oft viele Aufgaben unter einen Hut bringen. Ein Regierungsrat sagte kürzlich an der Diplomverleihung einer Bäu- erinnenschule, was eine Bäuerin für ihn ist: „Eine Bäuerin kann kochen, waschen, putzen, melken, Traktor fah- ren, Büroarbeiten erledigen und vieles mehr. Kurz gesagt: Sie kann fast alles.“ Damit liegt er sicher nicht falsch. Viele Bäuerinnen können sogar noch mehr. Sie sind die weibliche Version eines Superman, denn sie retten die bäuer- lichen Betriebe vor dem Untergang. Entweder weil sie unentgeltlich oder billig mitarbeiten oder weil sie einen eigenen Betriebszweig führen, mit dem der Betrieb quersubventioniert werden kann. Immer öfter verdienen sie auswärts Geld, das zum Einkom- men – und Überleben – der Familie beiträgt. Manchmal machen sie sogar alles miteinander. Dass sie nebenbei noch als Hausfrau, Altenpflegerin und Lehrlingsausbildnerin wirken, wird allgemein als selbstverständlich ange- nommen. Doch auch Superfrauen kommen an ihre Grenzen. Vor allem, wenn es an Anerkennung, an sozialer Sicherheit und an Einkommen fehlt. Langsam aber sicher wird in den Medien die soziale und rechtliche Stellung der Bäuerin thematisiert. Im Parlament gingen mehrere Vorstösse zu Bäue- rinnenthemen ein. Und die landwirt- schaftliche Forschungsanstalt erfasst derzeit akribisch die umfangreiche Arbeitsleistung dieser Multitalente. Seit Jahren machen die Bäuerinnen darauf aufmerksam, dass die Agrarre- formen auf ihrem Buckel ausgetragen werden. Manche Bäuerinnen gehen das kämpferisch an, andere sind müde geworden. Beides ist bedenklich. Denn ein alter Spruch der Frauenbewegung trifft auf die Bäuerinnen besonders gut zu: „Wenn die Bäuerin nicht will, steht die Landwirtschaft still.“ Atemloser Alltag und lausiger Lohn: Druck auf Bäuerinnen wächst Die Freude am Bäuerinnenleben ist vielen Frauen in den letzten Jahren abhanden gekommen – vor lauter Arbeit. (ed)

Atemloser Alltag und lausiger Lohn: Druck auf … · tägliche Aufgaben wie Melken oder Stall-arbeiten oder aber sie helfen saisonale Arbeitsspitzen brechen, die bei der Heu- oder

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Redaktion: Markus Rediger (mr), Michael Wahl (mw), Jonas Ingold (ji) | [email protected] Das Dossier erscheint sechsmal pro Jahr | Online-Archiv unter www.lid.ch

Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

ZUSAMMENFASSUNG. Nachdem die Bäuerinnen jahrelang als selbstver-ständlich angesehen wur-den, stehen sie derzeit im Fokus von Forschung und Politik. Das ist auch höchste Zeit, denn ohne Bäuerinnen geht in der Landwirtschaft gar nichts.

Eveline Dudda, Agrarjournalistin,

Dipl.Agr.Ing.

So verschieden wie die Landwirtschaft,

so verschieden sind auch die Bäuerin-

nen. Während manche sich auf ihre

Rolle als Frau eines Bauern beschrän-

ken, übernehmen andere die Betriebs-

leitung des Hofes gleich ganz. Einige

machen die Bäuerinnenausbildung,

um dann nie auf einem Hof zu leben.

Andere arbeiten lebenslang auf einem

Hof mit und haben keine Bäuerinnen-

ausbildung. Die grosse Mehrheit der

Frauen legt jedoch auf dem Hof Hand

an. Nicht immer aus reiner Begeiste-

rung, sondern oft auch aus wirtschaft-

licher Notwendigkeit. Die Mehrfach-

belastung der Bäuerinnen ist gross, sie

müssen oft viele Aufgaben unter einen

Hut bringen.

Ein Regierungsrat sagte kürzlich

an der Diplomverleihung einer Bäu-

erinnenschule, was eine Bäuerin für

ihn ist: „Eine Bäuerin kann kochen,

waschen, putzen, melken, Traktor fah-

ren, Büroarbeiten erledigen und vieles

mehr. Kurz gesagt: Sie kann fast alles.“

Damit liegt er sicher nicht falsch. Viele

Bäuerinnen können sogar noch mehr.

Sie sind die weibliche Version eines

Superman, denn sie retten die bäuer-

lichen Betriebe vor dem Untergang.

Entweder weil sie unentgeltlich oder

billig mitarbeiten oder weil sie einen

eigenen Betriebszweig führen, mit

dem der Betrieb quersubven tioniert

werden kann. Immer öfter verdienen

sie auswärts Geld, das zum Einkom-

men – und Überleben – der Familie

beiträgt. Manchmal machen sie sogar

alles miteinander. Dass sie nebenbei

noch als Hausfrau, Altenpflegerin und

Lehrlingsausbildnerin wirken, wird

allgemein als selbstverständlich ange-

nommen.

Doch auch Superfrauen kommen

an ihre Grenzen. Vor allem, wenn es

an Anerkennung, an sozialer Sicherheit

und an Einkommen fehlt. Langsam

aber sicher wird in den Medien die

soziale und rechtliche Stellung der

Bäuerin thematisiert. Im Parlament

gingen mehrere Vorstösse zu Bäue-

rinnenthemen ein. Und die landwirt-

schaftliche Forschungsanstalt erfasst

derzeit akribisch die umfangreiche

Arbeitsleistung dieser Multitalente.

Seit Jahren machen die Bäuerinnen

darauf aufmerksam, dass die Agrarre-

formen auf ihrem Buckel ausgetragen

werden. Manche Bäuerinnen gehen

das kämpferisch an, andere sind müde

geworden. Beides ist bedenklich. Denn

ein alter Spruch der Frauenbewegung

trifft auf die Bäuerinnen besonders gut

zu: „Wenn die Bäuerin nicht will, steht

die Landwirtschaft still.“

Atemloser Alltag und lausiger Lohn:Druck auf Bäuerinnen wächst

Die Freude am Bäuerinnenleben ist vielen Frauen in den letzten Jahren abhanden gekommen – vor lauter Arbeit. (ed)

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

3

Atemloser Alltag und lausiger Lohn: Druck auf Bäuerinnen wächst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1. DIE Bäuerin gibt es nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.1 Die Bäuerin als Frau des Bauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.2 Die Bäuerin als Mitarbeiterin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.2.1 Bäuerinnen ohne Garten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.3 Die Bäuerin als Chefin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.4 Die gelernte Bäuerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.4.1 Bäuerin mit Fachausweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.4.2 Eidgenössisch Diplomierte Bäuerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

1.4.3 Landwirtin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

1.5 Frauenarbeit und Hofarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

2. Bei Bäuerinnen ist vieles anders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2.1 Leben in der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2.2 Gesellschaftlicher Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2.3 Frauen ohne Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.3.1 Frauen ohne Lohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.3.2 Scheiden tut weh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2.4 Mutterschaftsentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

3. Wenn Bäuerinnen sich erheben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

3.1 Bäuerinnen fordern faire Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

3.1.1 Bauern am Pranger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

3.1.2 Der relativierte Agrarbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

3.2 Agrarpolitische Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

3.3 Teilnahme am Frauenstreiktag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

4. Bäuerinnen als Politikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

4.1 Ein Netz für die Bäuerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

4.2 Anerkennung der Bäuerinnenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

4.2.1 Umstrittene Standardarbeitskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

4.3 Situation der Frauen in der Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

5. Bäuerinnen als Studienobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

5.1 Zeitbudget-Studie Bauernhaushalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

5.2 Rolle der Frauen in der Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

5.3 Nationales Forschungsprojekt AgriGenre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

6. Bäuerinnen im Bauernverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

6.1 Frauenvertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

7. Wie wird die Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

9. Literatur / Quellen / Links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

Inhalt

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

4

Dem Schweizerischen Bäuerinnen und

Landfrauen-Verband (SBLV) gehören rund

70‘000 Frauen an. Etwas weniger als die

Hälfte davon sind Bäuerinnen, etwas mehr

als die Hälfte Landfrauen. Landfrauen

haben keinen bäuerlichen Hintergrund,

sind nicht mit einem Bauern verheiratet

und leben auch nicht auf einem Bauern-

hof. Doch in der modernen Welt trifft das

manchmal auch auf eine Bäuerin zu: Dass

sie auf dem Hof lebt und einen Bauern hei-

ratet, ist heutzutage nicht mehr unbedingt

nötig. Das Ur-bäuerliche nimmt ab. Ohne-

hin sind nur noch zwei von drei Bäuerinnen

auf einem Hof aufgewachsen. Und es wer-

den immer weniger.

Letztes Jahr führte die Bauernzeitung

eine Umfrage unter Bäuerinnen durch. Von

den rund 1‘000 Frauen, die mitmachten

schlugen einige vor, den Begriff Bäuerin

zu ersetzen, z.B. durch „Allrounderin Land-

wirtschaft“, „Farmmanagerin“, „bäuerlich-

hauswirtschaftliche Betriebsmanagerin“,

„Landfrau CEO“ oder „landwirtschaftliche

Fachfrau“. Zutreffend wäre alles.

1.1 Die Bäuerin als Frau des Bauern

Manche Frauen bezeichnen sich nicht als

Bäuerin. Sie empfinden sich einfach als

Frau, die mit einem Bauern verheiratet

ist. Und tatsächlich gibt es Bäuerinnen,

deren Leben sich nicht wesentlich von

dem anderer (Ehe-) Frauen unterscheidet.

Ihre Männer haben in der Regel einen gut

mechanisierten Betrieb – eventuell sogar

eine Betriebsgemeinschaft – wo nicht viel

Handarbeit anfällt. Die Mechanisierung

entlastet die Frauen von vielen Hilfsar-

beiten. Dafür belasten die Maschinen das

Budget.

Wenn die Frau einem gutbezahlten Beruf

nachgeht, z.B. Lehrerin an einer höheren

Schule ist, dann kann das für ihren Mann

Folgen haben. Möglicherweise werden ihm

wegen ihrem Einkommen die Direktzah-

lungen gekürzt. Denn dabei wird das steu-

erbare Einkommen berücksichtigt. Derzeit

liegt die Schwelle bei 130‘000 Franken

für Paare und 80‘000 Franken für Sing-

les. Vom Betrag, der darüber hinausgeht,

werden zehn Prozent gekürzt. Nur die

Ökobeiträge werden vollumfänglich aus-

bezahlt.

Auch wenn die Bauersfrau ein mil-

lionenschweres Erbe in die Ehe mitbringt,

muss der Mann sich dafür seine Direktzah-

lungen kürzen lassen. Derzeit könnte es

sich lohnen, mit der Heirat zu warten: Die

Vorschläge zur Agrarpolitik 2014-2017

sehen nämlich vor, die Einkommens- und

Ver mögensgrenzen aufzuheben.

1.2 Die Bäuerin als Mitarbeiterin

Neben dem Haushalt arbeiten nicht alle,

aber doch die meisten Bäuerinnen auf dem

Hof mit. Je nach Betrieb übernehmen sie

tägliche Aufgaben wie Melken oder Stall-

arbeiten oder aber sie helfen saisonale

Arbeitsspitzen brechen, die bei der Heu-

oder Obsternte anfallen. Viele Bäuerinnen

betreuen Kleintiere, bewirtschaften einen

Garten und verarbeiten hofeigene Lebens-

mittel. Häufig übernehmen Bäuerinnen die

Büroarbeiten und die Betriebsbuchhaltung.

Oft haben sie den besseren Überblick über

die Betriebsfinanzen als der Bauer.

Eine wachsende Zahl Bäuerinnen führt

zudem einen eigenen Betriebszweig: Das

können Direktvermarktung oder Agro-

tourismus sein, aber auch ganz andere

Tätigkeiten, die sich auf dem Hof ausüben

lassen. Es gibt Bäuerinnen, die eine Kinder-

krippe auf dem Hof leiten, Aerobicstunden

im umgebauten Stall geben, einen Schön-

heitssalon führen oder neben dem Hof eine

1. DIE Bäuerin gibt es nicht

Nur noch zwei Drittel der heutigen Bäuerinnen sind auch als Bauernmädchen aufgewachsen. (ed)

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

5

Chocolaterie oder ein Scherenschnittate-

lier aufgebaut haben. Andere Bäuerinnen

bieten gemeinsam einen Apéro-Service

oder Haushaltsdienstleistungen an. Es

gibt Frauen, die sich als Kräuterführerin

betätigen oder Hochzeitspaaren einen

idealen Background für den schönsten Tag

des Ehelebens liefern. Viele Frauen schät-

zen es, auf dem Hof selbst etwas in die

Hand nehmen zu können. Sie sind krea-

tiv. Die wirtschaftliche Lage zwingt sie oft

dazu.

Sehr viele Frauen gehen zusätzlich noch

einer Arbeit ausserhalb des Hofes nach.

Bäuerinnen sind in der Wirtschaft beliebte

Arbeitskräfte: Sie gelten als zuverlässig,

„schaffig“ und oft mit wenig Lohn zufrie-

den. Vielen Frauen geht es nicht nur ums

Geld, auch wenn sie auf das Zusatzein-

kommen angewiesen sind. Die Möglichkeit

mit anderen Leuten in Kontakt zu kommen,

sollte bei Bäuerinnen, die zuweilen ziem-

lich abgelegen wohnen, nicht unterschätzt

werden. Die Nebenbeschäftigung kann

auch Freude machen, für Anerkennung

sorgen und das Gefühl geben, unabhängig

zu sein und eigenes Geld zu verdienen.

1.3 Die Bäuerin als ChefinNeben den Bäuerinnen, die auf dem Hof

mitarbeiten, gibt es auch solche, die selbst

Chefin sind. In der ganzen Schweiz sind das

immerhin 2‘800 Frauen. Zwei Drittel von

ihnen führen einen Nebenerwerbsbetrieb. Ei-

nige dieser Frauen sind Landwirtinnen. Im Un-

terschied zu den Bäuerinnen haben sie eine

landwirtschaftliche Lehre gemacht und damit

dieselbe Ausbildung absolviert wie ein Bauer.

1.4 Die gelernte BäuerinDer Strukturwandel hat vor dem Beruf der

Bäuerin nicht Halt gemacht. Bäuerin ist in-

zwischen eine Zweitausbildung. Wer sich

heute für den Bäuerinnen beruf entschliesst,

hat vorgängig eine Berufslehre oder Mittel-

schulausbildung abge schlossen. Das Inter-

esse an dieser vielseitigen Ausbildung in den

Bereichen Ernährung, Hauswirtschaft und

Landwirtschaft ist gross. Immer mehr Frauen

besuchen den Ausbildungsgang zur persön-

lichen Weiterbildung, oft sogar ohne eine

Abschlussprüfung zu machen. Längst

nicht alle, die den Beruf Bäuerin erlernen,

werden es.

1.4.1 Bäuerin mit Fachausweis

Die Ausbildung zur Bäuerin FA vermittelt

praktische und unternehmerische Kom-

petenzen vom Stall bis zum Tisch, von der

Grabgabel bis zum Rüstmesser: Der Tätig-

keitsbereich umfasst das gesamte haus-

und betriebswirtschaftliche Management.

Der modular aufgebaute berufsbegleitende

Lehrgang dauert in der Regel zwei Jahre

und schliesst mit einer Berufsprüfung ab. Im

Rahmen der Agrarpolitik 2002 wurde die

Bäuerin mit Fachausweis dem Landwirt

mit Fähigkeitszeugnis gleichgestellt. Seither

kann auch die Bäuerin, wenn sie einen Betrieb

leitet, Investitionskredite und Direktzah-

lungen von Bund und Kantonen beziehen.

Der Gemüsegarten hat bei den Bäuerinnen an Stellenwert eingebüsst. Da und dort muss er pflegeleichteren Blumenbeeten weichen. (ed)

Für viele Menschen gelten Bäuerinnen

als Inbegriff von Gärtnerinnen. Dabei

haben heute längst nicht mehr alle

Bäuerinnen einen Gemüsegarten. Laut

der Bäuerinnenumfrage der Bauernzei-

tung pflegen zwar noch drei von vier

Bäuerinnen einen Garten, doch zwei

von drei Bäuerinnen kümmern sich nur

noch um den Blumenschmuck. Es ist

zwar nicht billiger, aber deutlich weni-

ger zeitintensiv Gemüse im Laden zu

kaufen, als selbst anzubauen. Ange-

sichts der Mehrfachbelastung vieler

Bäuerinnen ist der Verzicht auf den Ge-

müsegarten eine Erleichterung.

1.2.1 Bäuerinnen ohne Garten

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

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1.4.2 Eidgenössisch Diplomierte Bäuerin

Die nächste Stufe, die eidgenössisch diplo-

mierte Bäuerin, ist wesentlich anspruchs-

voller, hier wird die Bäuerin zur Meiste-

rin. Gesamtwirtschaftliches Denken und

Handeln wird in der Ausbildung gefördert.

Management- und Führungskompetenzen

im haus- und landwirtschaftlichen Bereich

werden gross geschrieben. Die eidg. dipl.

Bäuerin nimmt oft auch Führungsfunk-

tionen ausserhalb des Betriebes wahr. Sie

hat in der Regel gute Chancen auf dem

Arbeitsmarkt. Um die Abschlussprüfung zu

bestehen, werden sieben Modulabschlüs-

se, zwei Jahre Praxis nach der Berufsprü-

fung und eine Diplomarbeit verlangt.

1.4.3 Landwirtin

Landwirtinnen und Landwirte haben einen

sehr vielseitigen Beruf. Sie arbeiten in der

Natur, mit Pflanzen, Tieren und Maschinen.

Seit die moderne Technik viel Muskelkraft

ersetzt, ist der Beruf körperlich nicht mehr

ganz so anstrengend. Frauen sind des-

halb nicht per se benachteiligt. Es gibt die

klassische dreijährige Lehre, die mit dem

eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ)

abschliesst und die zweijährige Ausbil-

dung mit eidgenössischem Berufsattest

(EBA). In beiden Fällen stellen die Frauen

die Minderheit, ausser wenn es um Pferde

geht: Sechs Mal soviele Frauen wie Män-

ner lassen sich derzeit zur Pferdefachfrau

ausbilden. Und 52 Pferdewartinnen in spe

stehen gerade vier männliche Lehrlingskol-

legen gegenüber.

Bei der Meisterausbildung sind Frau-

en dagegen eine Rarität: In der Deutsch-

schweiz haben dieses Jahr gerade mal

vier Landwirtinnen die Meisterprüfung ab-

solviert – neben 100 Landwirten.

1.5 Frauenarbeit und Hofarbeit

Vollzeitliche Haupterwerbsbetriebe werden

meistens von Männern geführt: Laut dem

Bundesamt für Statistik stehen hier 38‘000

Betriebsleitern gerade mal 1‘000 Betriebs-

leiterinnen gegenüber. Anders sieht es aus,

wenn die Betriebe in Teilzeit geführt wer-

den, dann kommen vermehrt auch Frauen

zum Zug: Im Jahr 2010 lag das Verhältnis

bei 18‘000 männlichen zu 1‘800 weib-

lichen Betriebsleiterinnen. Jeder zehnte

Nebenerwerbsbetrieb wird also bereits

von einer Frau geführt – Tendenz steigend.

Trotzdem werden sie in der Gesellschaft

seltener als Chefinnen wahrgenommen.

Weitaus mehr Frauen arbeiten auf dem

Betrieb als Familienarbeitskräfte mit: Bei

kleineren, in Teilzeit geführten Betrieben

Quelle: SBV, 2010

Immer mehr Bäuerinnen machen eine Berufsprüfung

Den Traktor kümmert es nicht, ob er von einer Frau oder einem Mann bedient wird. (ed)

0

20

40

60

80

100

120

2005 2006 2007 2008 2009 2010

eidgenössisches Diplom

eidgenössischer Fachausweis

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

7

Was eine Bäuerin zur Bäuerin macht, ist das

bäuerliche Umfeld. Da unterscheidet sich

manches stark von dem anderer Frauen.

Zum Beispiel sind Arbeitsort und Wohnort in

der Regel identisch. Das ist schön, weil die

Kinder ihren Vater im Arbeitsalltag erleben

und sich die ganze Familie für ein gemein-

sames Ziel einsetzen kann. Es bringt aber

auch mit sich, dass man die Arbeit stets vor

Augen hat. Speziell ist in der Landwirtschaft,

dass die Arbeit jahreszeitlich stark schwankt.

Mal hat es viel, dann sehr viel, später viel

zuviel und irgendwann wieder nur noch

viel zu tun. Die Schweizer Landwirtschaft

ist hauptsächlich Viehwirtschaft. Das Gros

der Betriebe hält Tiere, also fällt täglich Ar-

beit an, Füttern und Melken gehören dazu.

Wer keinen Melkroboter hat, muss zweimal

täglich Hand ans Euter legen. Das gibt dem

Leben eine feste Struktur. Es kann aber auch

belastend werden.

2.1 Leben in der Gemeinschaft

So schön das Zusammengehen von Fami-

lie und Beruf auch sein mag, so schwierig

gestaltet sich zuweilen die Abgrenzung,

wenn der Lehrling im selben Haushalt lebt,

die landwirtschaftlichen Mitarbeiter oder

Angestellten von der Bäuerin mitverpflegt

werden, ein Zimmer auf dem Hof haben

und auch die Freizeit dort verbringen.

Das Herz der Schweizer Familienbetrie-

be sind die Familien, und da gehört oft auch

die ältere Generation dazu. Je nachdem,

wie leicht oder schwer ihnen der Abschied

von ihrem Lebenswerk fällt, funktioniert

das Zusammenleben mehr oder weniger

gut. Generationenkonflikte in Bauernfa-

milien sind eine grosse Belastungsprobe.

Nicht immer lassen sich die Probleme lö-

sen ohne dass die Familie daran zerbricht.

Das Zusammenleben zweier Generationen

kann aber durchaus auch positive Seiten

haben. Denn wenn es funktioniert, profitie-

ren beide Seiten davon: Die Älteren, weil

sie nicht mehr Hand anlegen müssen, aber

spüren, dass sie noch gebraucht werden.

Und die Jungen, weil sie vom Wissen und

der Arbeitsentlastung der Alten profitieren.

Himmel oder Hölle – das Zusammenleben

mehrerer Generationen hat Potential für

beides.

2.2 Gesellschaftlicher DruckViele Frauen in der Landwirtschaft spü-

ren einen starken Rechtfertigungsdruck

gegenüber der Gesellschaft. Sie glauben,

sich dafür verteidigen zu müssen, dass

ihre Betriebe Direktzahlungen bekommen.

Dass die meisten von ihnen wissen, dass

sie ohne Direktzahlungen gar nicht über-

leben würden, macht es auch nicht ein-

facher. Der Preiszerfall und die mangelnde

wirken doppelt so viele Frauen mit wie

Männer.

Wie in der übrigen Gesellschaft liegen

die Löhne für landwirtschaftliche Angestell-

te tiefer, wenn sie weiblich sind. Während

ein männnlicher Angestellter zwischen

3‘100 und 4‘400 Franken Lohnanspruch

hat, liegt dieser Wert bei den weiblichen

Angestellten zwischen 3‘000 und 3‘800

Franken. Das ist aber immer noch mehr

als manche Familienarbeitskräfte für sich

selbst in Rechnung stellen können…

2. Bei Bäuerinnen ist vieles anders

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90%

100% Frauen

Männer

Vollzeitbetriebe: Teilzeitbetriebe:

Quelle: SBV, 2010

Frauenanteil in Nebenerwerbsbetrieben deutlich höher

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

8

Wertschätzung der Produkte nagen eben-

falls am Selbstbewusstsein. Besonders in

Zeiten wie diesen, wo den Konsumenten

eingehämmert wird, Schweizer Produk-

te seien zu teuer, im Euroraum sei alles

billiger.

Die agrarpolitischen Reformen seit Be -

ginn der 90er Jahre und die wirtschaft liche

Entwicklung setzten die Schweizer Bauern

unter Druck. Die Bauernfamilien reagierten,

indem sie die Betriebsstrukturen anpassten,

die Produktion noch stärker auf den Markt

ausrichteten, sich Nischenmärkte suchten

oder einem Neben- und Zuerwerb nach-

gingen. Trotzdem ist die Einkommenssi -

tua tion vieler Betriebe unbefriedigend ge-

blieben. Laut einer Konzeptstudie der

Schwei zerischen Landwirtschaftlichen Hoch-

schule (SHL) aus dem Jahr 2002 kämpft je-

der fünfte Bauernhaushalt mit einer bedenk-

lichen finanziellen Situation. Das dürfte sich

seither kaum geändert haben. Viele Bauern-

familien erfüllen die Kriterien für Working

Poor. Nicht immer ist das ihr eigenes Ver-

schulden. Die Ursachen dafür sind vielfältig:

Entweder ist der Betrieb zu klein, der Inves-

titionsbedarf zu gross, oder aber die steigen-

den Kosten werden von den sinkenden Pro-

duktepreisen nicht mehr gedeckt. Wenn

zudem die Möglichkeiten für einen Neben-

erwerb schlecht sind oder gar noch gesund-

heitliche Probleme bis hin zu schicksalhaften

Ereignissen (Krankheit, Unfall, Pech im Stall)

hinzukommen, geht das ganze irgendwann

nicht mehr auf. Die Bäuerinnen setzen sich

stärker mit der (bitteren) Realität auseinan-

der. Nicht zuletzt deshalb, weil sie in vielen

Fällen die Buchhaltung unter sich

haben und die finanziellen Verhältnisse bes-

ser überblicken. Doch auch sie suchen oft

erst Hilfe bei einer landwirtschaftlichen Be-

triebsberatung oder bei Sozialdiensten,

wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht.

2.3 Frauen ohne RechteBäuerinnen sind einerseits einer grossen Ar-

beitsbelastung ausgesetzt. In der Umfrage

der Bauernzeitung gaben die Bäuerinnen

zum Beispiel an, mehr als 70 Stunden pro

Woche zu arbeiten. Andererseits sind sie

finanziell und versicherungsrechtlich oft

schlecht gestellt. Juristisch gesehen gilt die

Bäuerin als Hausfrau, obschon sie in der

Regel auch für den Betrieb arbeitet, gilt

sie sozialversicherungsrechtlich als Nicht-

Erwerbstätige. Ihre rechtlichen Einfluss-

möglichkeiten auf Betriebsentscheidungen

tendieren oft gegen Null und nicht selten ist

sie nicht einmal unterschriftsberechtigt. Um

der Bäuerin einen ihrer Arbeitsleistung ent-

sprechenden Status zu verschaffen, gäbe es

zwar mehrere Möglichkeiten. Doch vor lau-

ter Arbeit fehlt vielen die Zeit, sich darum zu

kümmern. Wenn dann eine Scheidung oder

der Tod des Partners eintritt, wird es hart.

Doch dann ist es bereits zu spät. Themen

wie Ehevertrag und Altersvorsorge werden

in vielen Bauernfamilien immer noch ver-

nachlässigt.

2.3.1 Frauen ohne Lohn

Wenn die Bäuerin auf dem Betrieb mitar-

beitet, ohne wesentlichen Einfluss auf die

Betriebsführung zu nehmen, so kann sie

bei der AHV-Ausgleichskasse einen Lohn

deklarieren, damit wird sie beitragspflichtig

und ist damit im Falle von Scheidung oder

Invalidität abgesichert. Wenn die Bäuerin

einen Betriebszweig eigenverantwortlich

führt, sollte sie sich aus demselben Grund

als selbständig Erwerbende registrieren

lassen.

Doch noch immer ist das längst nicht

überall der Fall. Eine repräsentative Um-

frage der UFA-Revue brachte an den Tag,

dass zwar auf drei von vier Betrieben Fami-

Auf dem Markt bekommen die Konsumenten frische Lebensmittel aus der Region – statt billiger Nahrung von irgendwoher. (ed)

Für Kinder bieten das Leben auf dem Hof mehr als eine Stadtwohnung. (ed)

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

9

lienmitglieder mitarbeiten. Gesamtschwei-

zerisch gesehen bezieht aber nur jeder

dritte unter ihnen dafür einen Lohn. In der

Westschweiz ist der Anteil mit rund 50 Pro-

zent wesentlich höher als in der Deutsch-

schweiz, wo nur jedes vierte Familienmit-

glied entlöhnt wird. Es sind meistens die

Ehefrauen, die leer ausgehen.

2.4 Mutterschaftsent schä -di gung

Damit eine Bäuerin in den Genuss einer

Mutterschaftsentschädigung kommt, muss

sie während mindestens neun Monaten

vor der Geburt eine obligatorische AHV-

Versicherung haben. Sie muss also ent-

weder als Arbeitnehmerin oder Selbststän-

digerwerbende gemeldet sein. Oder aber

im Betrieb des Ehemanns als Arbeitneh-

merin mit einem Barlohn angemeldet

sein. Weil die Mutterschaftsentschädigung

80 Prozent vom Erwerbseinkommen be-

trägt, fällt sie umso grösser aus, je grösser

der AHV-Lohn. Das maximale Taggeld von

196 Franken dürften die wenigsten Bäue-

rinnen erreichen, denn es setzt ein Monats-

einkommen von 7‘350 Franken voraus.

Ein Hof ist meistens mehr als nur eine

Wohnung mit Veranda. Denn auf einem

Hof gehören Hunde, Katzen, Kühe, Hüh-

ner, Schweine mit dazu. Kinder haben

auf dem Hof ein interessantes Umfeld.

Sie profitieren auch davon, wenn mehre-

re Generationen auf dem Hof leben.

Deshalb bleiben nach einer Scheidung

die Kinder häufig auf dem Hof oder sie

kehren auf den Hof zurück. Das macht

es für viele Frauen noch schwerer, die

Trennung einzureichen.

2.3.2 Scheiden tut weh

Bäuerin sein eröffnet viele Möglichkeiten,

bis hin zur Erfüllung. Frauen können sich ei-

nen eigenen Betriebszweig einrichten und

es geniessen, dass Arbeit und Familie unter

einem Dach stattfinden. Auch die Natur-

verbundenheit ist ein Plus. Manche Frauen

gehen leidenschaftlich gerne auf die Alp,

andere verwirklichen sich im Agrotouris-

mus. Doch all diese Begeisterung erlischt

irgendwann, wenn das landwirtschaftliche

Einkommen, trotz all dem Engagement,

nicht reicht, um würdig davon zu leben.

Männer sind Meister im Verdrängen, sie

ertränken ihre Gedanken gerne in Arbeit.

Frauen sind Meisterinnen im Versorgen

der Familie. Weil Frauen einen extremen

Durchhaltewillen haben, geben sie nicht

so schnell auf. Doch der Unmut wächst.

Ein Ende der Mehrfachbelastung ist nicht

abzusehen. Immer mehr Bäuerinnen sind

nicht mehr bereit, einfach jede Agrarreform

als gottgegeben hinzunehmen. Sie stehen

auf, klopfen auf den Tisch, zeigen mit dem

Finger auf Missstände.

3.1 Bäuerinnen fordern faire Berichterstattung

Bäuerinnen lassen sich nicht mehr alles

gefallen. Als die Tagesschau z.B. die Bau-

ern anlässlich der Präsentation des Agrar-

berichts 2010 als „Jammeri“ bezeichnete

und die Berichterstattung primär dazu ver-

wendete, die Bauern in ein schlechtes Licht

zu stellen, griff Uniterre-Vizepräsidentin

Ulrike Minkner zur Tastatur und reichte bei

der Ombudsstelle für Fernsehen und Radio

Klage ein: „Die Verwendung von Wörtern

wie Jammern oder Jammeri zementiert ein

Bild, das so nicht stimmt.” Minkner rückte

in ihrem Schreiben die Notlage der Bau-

ern ins Zentrum und schrieb, dass sie von

der Tagesschau erwarte, dass sie nicht nur

BLW-Direktor Bötsch zitiert, sondern auch

selber recherchiert und den Agrarbericht

liest. Der Ombudsmann, Achille Casanova,

gab Minkner Recht. Er hiess die Beanstan-

dung gut, und bestätigte den Eindruck,

dass die Tagesschau gegen die journalisti-

sche Sorgfaltspflicht verstossen habe.

3. Wenn Bäuerinnen sich erheben

Als Kulisse für touristische Anlässe sind traditionelle Bäuerinnen erwünscht, doch danach gelten sie wieder als rückständig. (ed)

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

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3.1.2 Der relativierte Agrarbericht

Der Ombudsmann hat im übrigen nicht nur

die Tagesschau, sondern auch das Bundes-

amt für Landwirtschaft (BLW) gerügt. Das

BLW habe versucht, sowohl im Titel des

Presserohstoffes als auch in seiner Presse-

mitteilung die gesunkenen Einkommen in

der Landwirtschaft zu kaschieren. Damit

haut der Ombudsmann in dieselbe Kerbe

wie der Bäuerinnen- und Landfrauenver-

band (SBLV): „Der Agrarbericht bestätigt

die Tendenz, Zahlen und Fakten zugunsten

des BLW und zu Ungunsten der Landwirt-

schaft sprechen zu lassen.“ Der SBLV warf

dem BLW vor, intransparente und unrea-

listische Analysen zu treffen, die Lage zu

beschönigen und Fehlentwicklungen in

der Landwirtschaftspolitik zu verstecken.

„In keinem andern Beruf würde es sich

der Arbeitgeber erlauben, dem Einkommen

seines Angestellten noch dasjenige seiner

Ehefrau beizufügen, nur um zu beweisen,

dass alles gut gehe und dass eine Lohn-

erhöhung überflüssig sei. In der Landwirt-

schaft benachteiligt diese Darstellungsart

sehr oft die Frau, weil sie auswärts arbei-

tet“, schrieb Regula Siegrist vom SBLV in

einer Medienmitteilung. „Wie kann ein

Landwirtschaftsministerium die Tatsache

begrüssen, dass landwirtschaftliche Betrie-

be mehr und mehr gezwungen sind, aus-

wärtige Tätigkeiten anzunehmen, damit

der Betrieb dank Quersubventionierung

überleben kann?“ Ob die Kritik auf frucht-

baren Boden gefallen ist, wird der nächste

Agrarbericht zeigen.

3.2 Agrarpolitische Stellungnahmen

Seit einigen Jahren äussert sich der SBLV

bei agrarpolitischen Themen vergleichs-

weise mutig. Ihre Vernehmlassungsant-

wort zur Agrarpolitik 14-17 spart nicht an

Kritik. „Der SBLV ist der Meinung, dass

der Anpassungsbeitrag viel zu hoch ist. Im

Durchschnitt beträgt er 23 Prozent, kann

aber je nach Betriebstyp bis zu 50 Prozent

ausmachen. Das zwingt die Bauernfamilien

dazu, Zusatzleistungen zu erbringen, wenn

sie das gleiche Niveau der Direktzahlungen

halten wollen wie heute. Das heisst, sie

müssen mehr Leistung erbringen für das

gleiche Einkommen. In welcher Branche

würde das akzeptiert? Die Zusatzleistun-

gen sind nur über eine Extensivierung zu

erhalten, da damit gerechnet wird, dass

die Bauernfamilien den sinkenden Anpas-

sungsbeitrag über freiwillige ökologische

Programme kompensieren. Das schwächt

direkt die Produktion von Nahrungsmit-

teln. Hier kann man nicht mehr von einem

Anreizsystem sprechen, sondern von unter-

nehmerischem Zwang im Sinne von ‚Vogel

friss oder stirb‘.“

3.3 Teilnahme am Frauenstreiktag

Erstmals in der Geschichte beteiligte sich

dieses Jahr der SBLV am Frauenstreiktag in

Bern. Primär, um sich mit anderen Frauen-

verbänden zu solidarisieren und ein Zei-

chen zu setzen. Die Teilnahme stiess nicht

überall auf eitel Freude. Streiken, das kennt

man bei den Bäuerinnen (noch) nicht. Und

das Zusammenspannen mit linken Kreisen

fiel im konservativen Umfeld der Bauern

und Bäuerinnen auf wenig Gegenliebe.

Der SBLV liess sich davon nicht beirren

und stand mutig in Bern für die Forderung

„gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ein. Die

Medienaufmerksamkeit war gross.

Am 25.Oktober 2010 begann der «Tagesschau»-Moderator Franz Fischlin einen Beitrag

wie folgt: «Dass Bauern als Jammeri gelten, das haben sie sich zumindest zum Teil

selber zuzuschreiben. In jüngster Zeit gerade gab der tiefe Milchpreis zu bäuerlichem

Wehklagen Anlass. Ist das Jammern der Bauern über ihr Schicksal gerechtfertigt?

Grundsätzlich kann man sagen: Jedes Jahr müssen rund tausend Bauern aufgeben.

Aber wie der neuste Landwirtschaftsbericht des Bundes weiter zeigt, so mies ist die

Situation für die meisten Bauern trotzdem nicht.»

Ulrike Minkner beschwerte sich beim Ombudsmann unter anderem mit folgenden

Worten: „Im Übrigen sind wir nicht am Jammern, sondern wir sind stocksauer! En

colère! Und ich bin sicher, dass eine solche Berichterstattung dazu beitragen wird, dass

diese Wut sich steigern wird. Wer solche Berichte wie den Agrarbericht 2010 so

menschenverachtend kommentiert, der muss sich nicht wundern, wenn die Wut aus-

bricht und die sozialen Missstände, die grosse Schere zwischen den Einkommen, zu

Eskalationen führen wird. Der soziale Frieden ist am Bröckeln.“

Die Tagesschau wurde vom Ombudsmann in die Schranken gewiesen. Doch die Ein-

kommensschere geht noch immer weiter auf. Wird Minkner Recht bekommen?

3.1.1 Bauern am Pranger

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

11

Aufmüpfig sein ist zwar unbequem. Aber

es bringt die Bäuerinnen in die Medien.

Und von dort ist der Weg in die Politik nicht

mehr weit. Die Vorstösse im Nationalrat

zeigen, dass die Botschaften angekommen

sind.

4.1 Ein Netz für die Bäuerinnen

Zum Beispiel fragte Hildegard Fässler am

14. Juni 2011 den Bundesrat in der Frage-

stunde, ob er etwas zur Verbesserung des

sozialen Netzes der Bäuerinnen beitragen

wolle. Fässlers Vorschlag, das Thema Sozi-

alversicherungen in der Beratung verstärkt

zu thematisieren fiel auf fruchtbaren Bo-

den. Der Bundesrat versprach, in seinem

Leistungsauftrag diesem Thema noch mehr

Gewicht zu geben und schob den Ball an

die Agridea weiter. Dort ist man bereits

gewappnet: Die Agridea hat einen Rat-

geber und eine Merkblattserie „bewusst

Bäuerin sein“ parat, mit Empfehlungen

zu Ehe und Konkubinat, Vereinbarungen

zwischen Ehegatten, Scheidung, Erbrecht,

Wohnnrecht und Versicherungen. Nur in

der Anwendung hapert es offenbar noch.

4.2 Anerkennung der Bäuerinnenarbeit

Alice Glauser-Zufferey wollte dem Bundes-

rat per Motion den Auftrag erteilen, die

Arbeit der Bäuerinnen im Rahmen der

Agrarpolitik 2014-2017 stärker zu be-

rücksichtigen und die rechtlichen und

sozialen Bedingungen der Bäuerinnen zu

verbessern. Glauser argumentiert unter

anderem damit, dass die Bäuerinnen auch

bei Nebenerwerbstätigkeiten wie Agro-

tourismus, Direktverkauf oder Schule auf

dem Bauernhof einen wesentlichen Beitrag

zum Fortbestand der Landwirtschaft leisten.

Weil diese Tätigkeiten bislang nicht aner-

kannt werden, sollen sie in der Agrarpolitik

14-17 in die Berechnung der Standardar-

beitskraft (SAK) einfliessen. Glauser wies

darauf hin, dass viele Betriebe auf einen

Zuerwerb durch die Bäuerin angewiesen

sind: „Zudem vergeben Banken heutzu-

tage Kredite an landwirtschaftliche Betrie-

be oft nur unter der Voraussetzung, dass

die Ehefrau ausserhalb des Betriebes einer

bezahlten Arbeit nachgeht.“

Der Bundesrat antwortete zwar, dass er

die Bedeutung der Frauen in der Landwirt-

schaft mit ihren vielfältigen Aufgaben aner-

kenne und die Anliegen der Frauen in der

Landwirtschaft ernst nimmt. Handelsbedarf

sieht er dennoch nicht. In der Direktzah-

lungsverordnung und der Strukturverbes-

serungsverordnung seien die Ausbildungen

4. Bäuerinnen als Politikum

So erleben viele Bäuerinnen ihren Alltag: Immer am seggle,seggle, seggle … (ed)

Die Standardarbeitskraft SAK, die rein rechnerisch 2‘800 Arbeitsstunden im Jahr ent-

spricht (verglichen mit 2‘100 Stunden in der übrigen Wirtschaft), ist eine wichtige Grö-

sse um Direktzahlungen zu beziehen oder Investitionshilfen zu beantragen. Auch die

Gewerbegrenze, die für den Kauf von Landwirtschaftsland wichtig ist, hängt von der

SAK ab. Bei der Berechnung der SAK werden heute nur die Fläche, die Hangneigung,

einige Kulturen, die Anzahl Tiere und eine allfällige biologische Bewirtschaftung berück-

sichtigt. In den Vorschlägen zur AP 14-17 soll die SAK neu, mit wesentlich tieferen

Werten, berechnet werden und zudem die Grenze für die Direktzahlungen nach oben

geschoben werden. Damit würden rund zehn Prozent der Betriebe den Anspruch auf

Direktzahlungen verlieren, und einige auch nicht mehr als landwirtschaftliches Gewerbe

gelten.

4.2.1 Umstrittene Standardarbeitskraft

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

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Bäuerin und Landwirt gleich gestellt.

Offen liess er in seiner Antwort die Frage

der SAK-Berechnung. „Im Rahmen der Ver-

nehmlassung zur AP 2014-2017 haben

sich verschiedene Kreise zur Berechnung

der SAK-Grössen ge äussert. Die unter-

schiedlichen Anliegen werden bei der Aus-

arbeitung der Botschaft zur AP 2014-2017

geprüft.“ Der Bundesrat lehnte die Motion

ab, das Parlament hat sie noch nicht

behandelt.

4.3 Situation der Frauen in der Landwirtschaft

Nationalrätin Maya Graf forderte in der

Sommerses sion den Bundesrat per Postulat

dazu auf, einen „Bericht zur Situation der

Frauen in der Landwirtschaft“ zu erstellen.

Darin soll die Situation der Bäuerinnen

analysiert werden. Graf will Zahlen und

Fakten über den Beitrag der Bäuerinnen

zum Familieneinkommen, über die Zahl

der Betriebe, die von Frauen geführt wer-

den, die Landbesitzverhältnisse von Frauen

und Männern und Informationen über die

rechtliche, soziale und ökonomische Ab-

sicherung der Bäuerinnen. Der Bundesrat

soll zudem aufzeigen, wie er die bislang

unbezahlte Arbeit auf dem Betrieb bei der

Berechnung der Standardarbeitskraft be-

rücksichtigen will. Maya Graf: „Erstaunli-

cherweise liegen kaum Zahlen vor. Weder

können klare Angaben zum Besitz von

Frauen an Land und Betrieb gemacht wer-

den, noch sagen die Schweizer Statistiken

etwas über den Anteil aus, den Frauen mit

ihrer Arbeit – inner- und ausserbetrieblich

– zum Familieneinkommen der Landwirt-

schaft beitragen.“

Der Bundesrat nahm das Postulat an.

Die Forschungsanstalt Agroscope Recken-

holz-Tänikon (ART) führt ohnehin gerade

eine Zeitbudget-Studie über Bauernhaus-

halte durch, bei der einige der im Postulat

aufgeworfenen Fragen beleuchtet werden.

Die Direktvermarktung von Fleisch ist mit viel Arbeit verbunden. Auf die SAK-Berechnung hat sie aber keinen Einfluss. (ed)

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

13

5. Bäuerinnen als StudienobjektDie Bäuerinnen sind also auch Forschungs-

gegenstand geworden. Einerseits inte res-

siert ihr Beitrag zur Landwirtschaft, zur

bäuerlichen Existenz. Andererseits inte-

ressieren sie aber auch im Rahmen der

Gleichstellung der Geschlechter. Die Un-

tersuchungen sind Teil des „CEDAW-Akti-

onsplanes” der Bundesverwaltung, welche

vom Eidgenössischen Büro für die Gleich-

stellung von Frau und Mann geleitet wird.

CEDAW, das „Committee on the Elimina-

tion of Discrimination against Women” ist

auch als „Frauenkonvention” bekannt und

ein Projekt der Vereinten Nationen.

5.1 Zeitbudget-Studie Bauernhaushalte

In der Buchhaltung tauchen die Bäuerinnen

oft nur als Bruchteil einer Standardarbeits-

kraft auf, in der Realität ist ihr Arbeitseinsatz

jedoch wesentlich höher. Die Forschungs-

anstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon

hat deshalb einen Fragebogen erstellt, in

Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen

Bäuerinnen- und Landfrauenverband, der

Beratungszentrale Agridea und dem Bun-

desamt für Landwirtschaft. 360 Bäuerin-

nen werden dieses Jahr genau erfassen,

womit sie ihre Zeit verbringen. Dabei geht

es nicht nur um die Arbeit im Haushalt oder

auf dem Hof, sondern auch um den Zu- und

Nebenerwerb, sowohl der Bäuerinnen als

auch der übrigen Familienmitglieder. Frei-

willigenarbeit ist explizit ausgenommen.

Vom 1. Januar bis zum 31. Dezember

2011 notieren die Teilnehmerinnen an je-

dem achten Tag sämtliche bezahlten und

unbezahlten Tätigkeiten auf dem bäuerli-

chen Betrieb in 10-Minuten-Schritten. Ein

Riesenaufwand, der manche Teilnehmerin

dazu brachte aufzugeben. Dennoch dürfte

die Anzahl reichen, um einen repräsentati-

ven Querschnitt zu zeigen.

Ziel der umfangreichen Auswertung ist

es, die Leistungen der Bäuerinnen sichtbar

zu machen. Dies nicht zuletzt auch als Basis

für die Anerkennung der Bäuerinnenarbeit

in der Gesellschaft. Die Resultate sollen im

Agrarbericht 2012 publiziert werden.

5.2 Rolle der Frauen in der Landwirtschaft

Die letzten umfassenden Daten über Frauen

in der Landwirtschaft stammen aus dem Jahr

2002. Seither ist das Tätigkeitsfeld der Bäue-

rinnen stets gewachsen – sowohl in quali-

tativer, als auch quantitativer Hinsicht. Das

Bundesamt für Landwirtschaft wird deshalb

im Januar / Februar nächsten Jahres zusam-

men mit der Forschungsanstalt Agroscope

eine grosse Umfrage bei 1‘500 Bäuerinnen

durchführen, welche einen Vergleich mit dem

Ist-Zustand von vor zehn Jahren ermöglichen.

Genau wie damals sollen nicht nur Frage-

bogen verschickt, sondern auch noch Ge-

sprächsrunden mit Bäuerinnen stattfinden,

damit Unklarheiten geklärt und persönliche

Statements einfliessen können. Expertinnen-

Interviews werden später die Umfrageergeb-

nisse ergänzen und vervollständigen.

5.3 Nationales Forschungs-projekt AgriGenre

Das Nationale Forschungsprogramm

«Gleich stellung der Geschlechter» (NFP

60) analysiert die Gleichstellungspolitik

in der Schweiz und sucht nach den Ursa-

chen für das Fortbestehen von ungleichen

Behandlungen aufgrund des Geschlechts.

Die Ergebnisse sollen in die Erarbeitung

einer nachhaltigen Gleichstellungspolitik

einfliessen. Die Forschungsprojekte haben

im Herbst 2010 begonnen. Innerhalb des

Forschungsprogramms gibt es das Projekt

„AgriGenre“, das sich mit Geschlecht,

Generationen und Gleichstellung in der

Schweizer Landwirtschaft beschäftigt.

AgriGenre setzt auf drei Ebenen an:

Zunächst werden die staatliche Landwirt-

Aufbruch zu neuen Forschungsprojekten: Die Bäuerinnen auf dem Seziertisch der Wissenschaften. (ed)

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

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schaftspolitik und die gesetzlichen Bestim-

mungen in den letzten drei Jahrzehnten

daraufhin untersucht, ob sie die Chancen-

gleichheit von Mann und Frau berücksich-

tigt haben und ob sich dies in der Zuteilung

öffentlicher Gelder niederschlägt. Da geht

es ums Erbrecht, Kriterien für die Gewäh-

rung von Direktzahlungen, Möglichkeiten

zur Teilnahme an Umschulungskursen usw.

Auf einer zweiten Ebene analysieren die

Forschenden die Arbeitsteilung zwischen

den Geschlechtern und den Generationen

auf dem Hof, und den Wandel der Ge-

schlechterrollen.

Auf der dritten Ebene untersuchen

die Forscherinnen und Forscher, welche

unterschiedlichen Lebensformen und sozi-

alen Praktiken in einer Landwirtschaft im

Umbruch auszumachen sind. Sie versu-

chen herauszufinden, welche Faktoren die

Entstehung von neuen – möglicherweise

gleichwertigeren – Beziehungen zwischen

den Geschlechtern und den Generationen

begünstigen.

Die Ergebnisse dürften nicht vor dem

Jahr 2014 vorliegen.

Die Arbeit am Herd wird den Frauen auch dann nicht abgenommen, wenn sie daneben auch noch im Stall stehen. (ed)

6. Bäuerinnen im Bauernverband Auf Verbandsebene bemüht man sich

ebenfalls um die Bäuerinnen. So hat der

Schweizerische Bauernverband im Inter-

net eine Hilfe-Seite eingerichtet auf der

man zahlreiche Adressen für betriebswirt-

schaftliche, strategische oder persönliche

Beratung und Unterstützung findet. Neben

dem „bäuerlichen Sorgentelefon“ oder

dem Verein „Bäuerlicher Sorge-Chrattä“

sind auch regionale Angebote aufgeführt

wie z.B. das Projekt „Wäg-Wyser“ im Aar-

gau, das Projekt „Weitblick“ im Appenzel-

lerland, die „Anlaufstelle Überlastung“ in

Bern oder „Wege aus der Sackgasse“ in

Solothurn. Finanzielle Hilfe wird ebenfalls

geboten: Zum Beispiel von der „Hilfskas-

se für Bäuerinnen in Notlagen“ im Kanton

St.Gallen oder der „goldenen Kasse“ im

Kanton Bern.

Mit solchen Angeboten lassen sich indivi-

duelle Schicksale vorübergehend mildern.

Am Grundproblem – der dauerhaften

Überlastung und unbefriedigenden wirt-

schaftlichen Situation vieler Bäuerinnen –

ändert es jedoch wenig.

6.1 Frauenvertretungen In der Geschäftsstelle, den verschiedenen

Gremien und Mitgliedsorganisationen des

Schweizerischen Bauernverbands sind die

Bäuerinnen recht unterschiedlich vertreten.

In zehn Fällen führen Frauen die Geschäfts-

stelle eines kantonalen Bauernverbandes.

„Vor allem in der Deutschschweiz lässt

sich ein weiblicher Vormarsch feststellen“,

sagt Sandra Helfenstein vom SBV und sie

gibt zu: „In den Gremien und in der SBV-

Geschäftsstelle dünnt sich der Frauenanteil

gegen oben jedoch aus.“ In der Landwirt-

schaftskammer – dem bäuerlichen Parla-

ment – sitzen gerade noch sieben Frauen

unter hundert Mitgliedern. Und im 21-

köpfigen Vorstand findet man im Moment

sogar nur eine einzige. Das ist allerdings

nicht nur die Schuld des Verbandes, denn

die Vorstandsmitglieder werden ja von

den Mitgliedsektionen gewählt. In diesen

Mitgliedsorganisationen sind die Frauen

zwar gut vertreten, aber selten Präsidentin.

In der Regel nimmt jedoch der Präsident

(oder falls es denn eine hätte, die Präsiden-

tin) Einsitz im SBV-Vorstand. Helfenstein ist

dennoch zuversichtlich: „Die Frauen holen

auf. Es gibt bereits in verschiedenen Kan-

tonalen Bauernverbänden und Fachorga-

nisationen Frauen als Vizepräsidentinnen.

Und die Jurassier stellen neu eine Frau auf,

um ihre Anliegen in unserem Vorstand zu

vertreten.“

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

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Daneben will der SBV den Bäuerinnen und

Landfrauen zu einem zweiten Vorstandssitz

verhelfen. Eine dementsprechende Statu-

tenrevision ist derzeit in Arbeit. Sie muss

an der Delegiertenversammlung noch

genehmigt werden. Den nächsten Schritt

stellt dann der Sprung in die siebenköpfige

Geschäftsleitung dar.

Dass die Frauen untervertreten sind,

liegt teilweise auch an der Situation an

sich: Einerseits hat es eine Frau allein in

einem Männergremium stets schwer. An-

dererseits fehlt ihr oft die Zeit dazu. Haus,

Familie, Hof und auch noch Verbandsarbeit

oder gar ein politisches Engagement unter

einen Hut zu bringen ist alles andere als

einfach. Und diejenigen Frauen, die sich

irgendwo engagieren, werden meistens

sofort mit Anfragen für noch mehr Gremien

und noch mehr Vertretungen überhäuft.

Der 1.-Augustbrunch wäre ohne Bäuerinnen gar nicht denkar. (ed)

7. Wie wird die Zukunft?Die Liberalisierung im Agrarbereich wird

weiter vorangetrieben. Der Strukturwandel

wird forciert, der Neben- und Zuerwerb

noch wichtiger werden. Ob der Mann einer

auswärtigen Tätigkeit nachgeht und die

Bäuerin deshalb zuhause mehr Aufgaben

auf dem Hof übernehmen muss oder ob

die Frau noch etwas dazu verdient, kommt

häufig auf dasselbe hinaus: Ein Grossteil

der zusätzlichen Belastung bleibt an den

Frauen hängen.

Doch nun gibt es zumindest Hoffnung:

Wenn die Leistung der Bäuerinnen erfasst

und transparent gemacht worden ist, kann

man sie nicht mehr so schnell unter den

Tisch wischen. Und wer weiss: Vielleicht er-

möglichen die verschiedenen Forschungs-

projekte ja einen gesamtheitlicheren Blick

auf die Bauernfamilien. Im Wissen: Ohne

Bäuerinnen – keine Landwirtschaft. Ohne

Landwirtschaft – keine Schweiz.

Der Beruf der Bäuerinnen hat das Poten-tial zum Glücklichsein. Die Rahmen-bedingungen müssen jedoch stimmen. (ed)

BÄUERINNEN IM FOKUS

LID Dossier Nr. 448 vom 13. Oktober 2011

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8. Literatur / Quellen / LinksDie Rolle der Frauen in der Landwirtschaft Dr. Brigitte Stucki, im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft , 2002

Frauen in der EU-Landwirtschaft Europäische Kommission, 2002

Konzeptstudie: Bauernhaushalte unter dem Existenzminimum Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft SHL, 2009

Statististische Schätzungen und Erhebungen über Landwirtschaft und Ernährung Schweizerischer Bauernverband, 2010

Bäuerinnensicht: Grosse Bäuerinnenumfrage Bauernzeitung Schweizer Agrarmedien GmbH, 2010

Verwurzelt auf dem Land, offen für die Stadt LID Dossier Nr. 424, Brigitte Weidmann, 2007

Hilfsangebote für Bauern und Bäuerinnen Schweizerischer Bauernverband, SBV, www.sbv-usp.ch/de/brauchen-sie-hilfe