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Forum 322 Gesundh ökon Qual manag 2011; 16 Das AMNOG habe den Arzneimittelmarkt neu strukturiert, es schaffe Transparenz und sorge für eine faire Preisbindung, kon- statierte Thomas Ilka, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, in seinem Grußwort. Seinen ersten Praxis- test habe das AMNOG mit der wenige Tage zuvor veröffentlichen ersten Nutzenbe- wertung nun bestanden. Für eine abschlie- ßende Bilanz sei die Zeit jedoch noch nicht gekommen, warnte Ilka. Diese Ansicht teilten die meisten der auf Ilka folgenden Redner – doch sie konnten über erste Er- fahrungen und Einschätzungen mit dem AMNOG berichten. Die rund 125 Teilneh- mer der Veranstaltung diskutierten nach den Vorträgen und in der abschließenden Podiumsdiskussion lebhaft mit den Refe- renten. Denn noch „wirft das AMNOG Fra- gen auf“, wie auch Dr. iur. Rainer Hess, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundes- ausschusses, zugeben musste. Hess erläu- terte zunächst das neue Zulassungsverfah- ren nach dem AMNOG: Der Hersteller reicht ein fünf Module umfassendes, umfangreiches Dossier ein. Innerhalb von drei Monaten müssen nun der G-BA sowie das von ihm beauftragte IQWiG eine sog. „frühe Nutzenbewertung“ vor- nehmen. Ziel und Zweck der Nutzenbe- wertung sei es, so Hess, den therapeuti- schen Wert des Arzneimittels zu ermit- teln und festzustellen, unter welchen Vo- raussetzungen das Arzneimittel verord- net werden solle. Nur wenn ein Zusatz- nutzen des Arzneimittels festgestellt werden konnte, kann der Hersteller an- schließend mit dem GKV-Spitzenver- band in Preisverhandlungen treten. An- dernfalls wird das Arzneimittel einer Festbetragsgruppe zugeordnet. Die bei- den „Knackpunkte“ im AMNOG seien das Beratungsverfahren und die im Bera- tungsgespräch festgelegte Vergleichs- therapie, meinte Hess. Eine umfassende Evaluation der frühen Nutzenbewertung würde Hess auf jeden Fall begrüßen. Da die Dossiers und die Stellungnahmen des G-BA im Internet veröffentlich würden, sei eine Untersuchung leicht möglich, man bräuchte nur – wie Hess mit Blick auf die umfangreichen Dossiers zugab – „sehr viel Zeit zum Lesen“. Auch Prof. Dr. Jürgen Windeler, Instituts- leiter des IQWiG, regte eine Zwischenbi- lanz zum AMNOG an, die nach 10 bis 15 abgeschlossenen Verfahren – also etwa im Frühjahr 2012 – erfolgen solle. Derzeit würden 14 Dossiers geprüft, vier weitere seien im Verfahren der Dossierprüfung und bei einem Arzneimittel sei die Dos- sierbewertung am 4. Oktober publiziert worden. Für dieses Arzneimittel – Ticag- relor – sei bei instabiler Angina pectoris und Herzinfarkt ohne typische EKG-Ver- änderungen (NSTEMI) ein Beleg für einen beträchtlichen Zusatznutzen ermitteln worden – das Ausmaß des Zusatznutzens ist vom Gesetzgeber in die drei Stufen „ge- ring“, „beträchtlich“ und „erheblich“ ein- geteilt worden. Bei Patienten mit ST-Stre- ckenhebungsinfarkt (STEMI) gebe es hin- gegen keinen Beleg für einen Zusatznut- zen gegenüber den vom G-BA gewählten Vergleichstherapien. Mit Henning Fahrenkamp, dem Haupt- geschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), betrat nach der Kaffeepause ein Referent das Rednerpult, der dem positiven Urteil sei- ner Vorredner zum AMNOG nicht bei- stimmen konnte. In den Zeiten des AM- NOG bestehe für pharmazeutische Unter- nehmen keine Planungssicherheit mehr, klagte Fahrenkamp, und erläuterte dies an einigen Beispielen. So sei bei Pitavastatin kein Beleg für einen Zusatznutzen gefun- den worden, das Arzneimittel werde also in eine Festbetragsgruppe eingruppiert. Bei Ticagrelor sei hingegen nur für ein In- dikationsgebiet ein Zusatznutzen ermit- telt worden – mit entsprechenden Schwie- rigkeiten für die Preisbildung. Beim Anti- diabetikum Linagliptin sei die Auswahl der Vergleichstherapie – des sog. Kompa- rators – aus Sicht der pharmazeutischen Industrie fragwürdig gewesen. „Wie wählt der G-BA die Vergleichstherapie aus“, fragte sich Fahrenkamp. „Wählt der G-BA die billigste Therapie?“ Sein Fazit: „Die Diskussionsforum „Market Access & Health Economics“ am 19. Oktober, Berlin Erste Erfahrungen mit dem AMNOG Seit knapp einem Jahr ist es nun in Kraft, das Arzneimittel- marktneuordnungsgesetz (AMNOG). Gemäß dem Gesetz wer- den alle neu zugelassenen Arzneimittel einer frühen Nutzenbe- wertung unterzogen. Pharmazeutische Unternehmen müssen dafür ein umfangreiches Dossier vorlegen, das vom Gemeinsa- men Bundesausschuss (G-BA) und dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) begutachtet wird. Nun hat das erste Arzneimittel das neue Zulassungsver- fahren durchlaufen. Zeit also, sich über erste Erfahrungen mit dem neuen Gesetz auszutauschen. Zu diesem Zweck trafen sich am 19. Oktober in Berlin namhafte Experten aus Industrie und Gesundheitspolitik beim vom Georg Thieme Verlag veran- stalteten Diskussionsforum „Market Access & Health Econo- mics“ unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Reinhard Rychlik. „Das AMNOG wirft Fragen auf“, musste auch der G-BA-Vorsitzende Dr. Rainer Hess zugeben. „Die Refinanzierung von Forschungskosten ist mit dem AMNOG nicht mehr gewährleistet“, warnte BPI-Geschäftsführer Henning Fahrenkamp.

Auch Prof. Dr. Jürgen Windeler, Instituts- Erste … Linagliptin sei die Auswahl der Vergleichstherapie – des sog. Kompa-rators – aus Sicht der pharmazeutischen Industrie fragwürdig

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Forum322

Gesundh ökon Qual manag 2011; 16

Das AMNOG habe den Arzneimittelmarkt neu strukturiert, es schaffe Transparenz und sorge für eine faire Preisbindung, kon-statierte Thomas Ilka, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, in seinem Grußwort. Seinen ersten Praxis-test habe das AMNOG mit der wenige Tage zuvor veröffentlichen ersten Nutzenbe-wertung nun bestanden. Für eine abschlie-ßende Bilanz sei die Zeit jedoch noch nicht gekommen, warnte Ilka. Diese Ansicht teilten die meisten der auf Ilka folgenden Redner – doch sie konnten über erste Er-fahrungen und Einschätzungen mit dem AMNOG berichten. Die rund 125 Teilneh-mer der Veranstaltung diskutierten nach den Vorträgen und in der abschließenden Podiumsdiskussion lebhaft mit den Refe-renten. Denn noch „wirft das AMNOG Fra-gen auf“, wie auch Dr. iur. Rainer Hess,

Vorsitzender des Gemeinsamen Bundes-ausschusses, zugeben musste. Hess erläu-terte zunächst das neue Zulassungsverfah-ren nach dem AMNOG: Der Hersteller reicht ein fünf Module umfassendes, umfangreiches Dossier ein. Innerhalb von drei Monaten müssen nun der G-BA sowie das von ihm beauftragte IQWiG eine sog. „frühe Nutzenbewertung“ vor-nehmen. Ziel und Zweck der Nutzenbe-wertung sei es, so Hess, den therapeuti-schen Wert des Arzneimittels zu ermit-teln und festzustellen, unter welchen Vo-raussetzungen das Arzneimittel verord-net werden solle. Nur wenn ein Zusatz-nutzen des Arzneimittels festgestellt werden konnte, kann der Hersteller an-schließend mit dem GKV-Spitzenver-band in Preisverhandlungen treten. An-dernfalls wird das Arzneimittel einer Festbetragsgruppe zugeordnet. Die bei-den „Knackpunkte“ im AMNOG seien das Beratungsverfahren und die im Bera-tungsgespräch festgelegte Vergleichs-therapie, meinte Hess. Eine umfassende Evaluation der frühen Nutzenbewertung würde Hess auf jeden Fall begrüßen. Da die Dossiers und die Stellungnahmen des G-BA im Internet veröffentlich würden, sei eine Untersuchung leicht möglich, man bräuchte nur – wie Hess mit Blick auf die umfangreichen Dossiers zugab – „sehr viel Zeit zum Lesen“.

Auch Prof. Dr. Jürgen Windeler, Instituts-leiter des IQWiG, regte eine Zwischenbi-lanz zum AMNOG an, die nach 10 bis 15 abgeschlossenen Verfahren – also etwa im Frühjahr 2012 – erfolgen solle. Derzeit würden 14 Dossiers geprüft, vier weitere seien im Verfahren der Dossierprüfung und bei einem Arzneimittel sei die Dos-sierbewertung am 4. Oktober pub liziert worden. Für dieses Arzneimittel – Ticag-relor – sei bei instabiler Angina pectoris und Herzinfarkt ohne typische EKG-Ver-änderungen (NSTEMI) ein Beleg für einen beträchtlichen Zusatznutzen ermitteln worden – das Ausmaß des Zusatznutzens ist vom Gesetzgeber in die drei Stufen „ge-ring“, „beträchtlich“ und „erheblich“ ein-geteilt worden. Bei Patienten mit ST-Stre-ckenhebungsinfarkt (STEMI) gebe es hin-gegen keinen Beleg für einen Zusatznut-zen gegenüber den vom G-BA gewählten Vergleichstherapien.

Mit Henning Fahrenkamp, dem Haupt-geschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), betrat

nach der Kaffeepause ein Referent das Rednerpult, der dem positiven Urteil sei-ner Vorredner zum AMNOG nicht bei-stimmen konnte. In den Zeiten des AM-NOG bestehe für pharmazeutische Unter-nehmen keine Planungssicherheit mehr, klagte Fahrenkamp, und erläuterte dies an einigen Beispielen. So sei bei Pitavastatin kein Beleg für einen Zusatznutzen gefun-den worden, das Arzneimittel werde also in eine Festbetragsgruppe eingruppiert. Bei Ticagrelor sei hingegen nur für ein In-dikationsgebiet ein Zusatznutzen ermit-telt worden – mit entsprechenden Schwie-rigkeiten für die Preisbildung. Beim Anti-diabetikum Lina gliptin sei die Auswahl der Vergleichstherapie – des sog. Kompa-rators – aus Sicht der pharmazeutischen Industrie fragwürdig gewesen. „Wie wählt der G-BA die Vergleichstherapie aus“, fragte sich Fahrenkamp. „Wählt der G-BA die billigste Therapie?“ Sein Fazit: „Die

Diskussionsforum „Market Access & Health Economics“ am 19. Oktober, Berlin

Erste Erfahrungen mit dem AMNOG Seit knapp einem Jahr ist es nun in Kraft, das Arzneimittel-marktneuordnungsgesetz (AMNOG). Gemäß dem Gesetz wer-den alle neu zugelassenen Arzneimittel einer frühen Nutzenbe-wertung unterzogen. Pharmazeutische Unternehmen müssen dafür ein umfangreiches Dossier vorlegen, das vom Gemeinsa-men Bundesausschuss (G-BA) und dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) begutachtet wird. Nun hat das erste Arzneimittel das neue Zulassungsver-fahren durchlaufen. Zeit also, sich über erste Erfahrungen mit dem neuen Gesetz auszutauschen. Zu diesem Zweck trafen sich am 19. Oktober in Berlin namhafte Experten aus Industrie und Gesundheitspolitik beim vom Georg Thieme Verlag veran-stalteten Diskussionsforum „Market Access & Health Econo-mics“ unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Reinhard Rychlik.

„Das AMNOG wirft Fragen auf“, musste auch der G-BA-Vorsitzende Dr. Rainer Hess zugeben.

„Die Refinanzierung von Forschungskosten ist mit dem AMNOG nicht mehr gewährleistet“, warnte BPI-Geschäftsführer Henning Fahrenkamp.

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Gesundh ökon Qual manag 2011; 16

Wahl des Komparators durch den G-BA droht weniger eine wissenschaftliche, als ein (kosten-)politische Entscheidung zu werden.“ Fahrenkamp befürchtet negati-ve Konsequenzen für die Versorgung der Patienten und für Innovationen der phar-mazeutischen Industrie. Er warnte auch vor einem „Kellertreppeneffekt“ der euro-päischen Arzneimittelpreise, da die Preise in Deutschland erhebliche Auswirkungen auch das Preisgefüge in ganz Europa hät-ten. Er schloss mit der Forderung einer Re-form des G-BA: Die Entscheidungen des G-BA seien intransparent, und ein Dialog sei im Beratungsverfahren nicht gegeben. Fahrenkamp wünscht sich daher u. a. ei-nen wissenschaftlichen Beirat für den G-BA sowie eine Ombudsstelle für Streit-fragen.

Anschließend stellte Prof. Dr. Walter Schwerdtfeger, Präsident des Bundesins-tituts für Arzneimittel und Medizinpro-dukte (BfArM), die Aufgaben seines Insti-tuts bei der Zulassung neuer Arzneimittel vor und erläuterte die Zusammenarbeit zwischen BfArM, G-BA und IQWiG bei der Bewertung des Zusatznutzens. So erhal-ten G-BA und IQWiG Einsicht in die Zulas-sungsunterlagen. Ein früher Austausch und eine intensive Kooperation zwischen pharmazeutischer Industrie, Zulasser, Kostenträger, Ärzten und Patienten seien sinnvoll. Und nicht nur im Rahmen des AMNOG wird eine Nutzenbewertung vor-

genommen: Auch nach der Zulassung gebe es regelmäßige Kosten-Nutzen-Be-wertungen.

Aber „wird beim AMNOG tatsächlich über den Nutzen geredet?“, fragte sich Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Ver-bands forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa). Der vfa stehe zwar zum AMNOG, sehe aber durchaus Schwachstellen. So gebe es keine klare Trennung zwischen dem Prozess der Nutzenbewertung und dem der Preisfindung. Außerdem sei die pharmazeutische Industrie zum Objekt degradiert – sie habe keine Einspruchs-möglichkeit im Zulassungsverfahren. Eine Widerspruchsstelle sei deshalb dringend erforderlich. Fischer monierte auch, dass es – gerade im Hinblick auf den europäi-schen Arzneimittelmarkt – keine Vertrau-lichkeit bei der Preisfindung gebe. Innova-tive Arzneimittel, so Fischer, trügen maß-geblich zur Steigerung der Lebenserwar-tung bei. Ob das AMNOG einen deutlichen Einfluss auf künftige Innovationen haben werde, sei nach Fischer noch offen. Sie wünschte sich jedoch rationale und zu-kunftsfähige Umsetzungsregeln für das neue Gesetz.

Diese erhoffte sich auch Han Steutel, Ge-schäftsführer der Bristol-Myers Squibb GmbH & CoKGaA, der die Auswirkungen des AMNOG aus der Sicht eines pharma-zeutischen Unternehmens erläuterte. Im

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion setzten sich Han Steutel, Birgit Fischer, Prof. Dr. Walter Schwerdtfeger und Prof. Dr. Torsten Stohmeyer unter der Diskussions-leitung von Prof. Dr. Dr. Reinhard Rychlik (von links) mit dem AMNOG auseinander.

Gegensatz zu den Vorstellungen, die der Gesetzgeber bei Ausarbeitung des Geset-zes gehabt hatte, sei das AMNOG-Verfah-ren hochkomplex und äußerst aufwen-dig. Eine Entbürokratisierung sei drin-gend erforderlich. Gerade in der Onkolo-gie seien die Therapien komplex, sodass die Generierung von Evidenz in der Nut-zenbewertung nicht immer leicht sei. Den Dialog zwischen Hersteller und G-BA bezeichnete Steutel als partner-schaftlich und kons truktiv, er mahnte je-doch Planungssicherheit an und forderte, dass auch Hochrisiko-Investitionen in der Arzneimittelbewertung berücksich-tigt werden müssten.

Sorgen um den Forschungsstandort Deutschland müsse man sich jedoch nicht machen, meinte Prof. Dr. Thorsten Strohmeyer, Leiter Forschung und Ent-wicklung bei der GlaxoSmithKline GmbH & Co KG. Er mache sich vielmehr Sorgen um den Versorgungsstandort Deutsch-land. Denn das Portfolio der Forschung könne sich durch die neuen Entwicklun-gen verändern – weg von den „Volkser-krankungen“ hin zu Akuttherapien, Imp-fungen oder onkologischen Therapien. Strohmeyers erste Erfahrungen mit der frühen Nutzenbewertung sind zwiespäl-tig. Er kritisierte das sog. Beratungsverfah-ren, das aus seiner Sicht einer „Verkündi-gung“ entsprochen habe. Er habe sich hier eher einen Dialog gewünscht. Auch die Wahl der Vergleichstherapie – mit Fokus auf die wirtschaftlichste Therapie – sieht Strohmeyer kritisch. Er wünsche sich bei der Auswahl des Komparators eine Aus-richtung am Stand der Wissenschaft – bei-spielsweise durch Einbindung der jeweili-gen wissenschaftlichen Fachgesellschaft. Neue Arzneimittel, davon ist Strohmeyer dennoch überzeugt, ließen sich auch in Zukunft noch profitabel entwickeln – trotz aller neuen Herausforderungen.

Dr. med. Stefanie Conrads, Stuttgart