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Durch Farbe formen. Farbe als Material im Œuvre Max Slevogts Eva Brachert

Aufsatz Farbe als Material - Landesmuseum Mainz€¦ · Neue in der Aufhellung der Palette. Gelb – Blau – Grün als »Gegenfarben« in unmittelbarer Nachbarschaft auf dem weißen

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Page 1: Aufsatz Farbe als Material - Landesmuseum Mainz€¦ · Neue in der Aufhellung der Palette. Gelb – Blau – Grün als »Gegenfarben« in unmittelbarer Nachbarschaft auf dem weißen

Durch Farbe formen.

Farbe als Materialim Œuvre

Max Slevogts

Eva Brachert

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Die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich wachsende Zahl künstlerischer

Stilrichtungen spiegelt sich in Kommentaren, Kritiken und Kunsttheorien der zeitgenössischen

Zeitschriften und Publikationen. Parallel dazu wurden naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf

dem Gebiet der Optik und der physiologischen Farbenlehre ebenso öffentlich diskutiert wie die

Bemühungen um eine Farbnormung sowie neue Maltechnologien, die in Ausstellungen zur »Mal-

technik« ihren Ausdruck fanden;1 vor diesem Hintergrund bietet es sich an, die Frage nach »dem

Neuen« der Kunstproduktion der Secessionisten aus technologischer Sicht zu stellen.

Einig waren sich die Neuerer bei aller Vielfalt der Gruppierungen, »[…] daß wir uns eben

nicht an hohlgewordenen, traditionellen Formen akademischer Schönmalerei klammern dürfen

[…]«,2 wie sie an den Akademien von Berlin und München gelehrt wird. Beispiele sind die nationale

Historienmalerei Anton von Werners, dem Direktor der Hochschule für Bildende Künste in Berlin

und vehementem Vertreter der offiziellen wilhelminischen Kunstpolitik, oder die dekorative Malerei

eines Carl Theodor von Piloty, seit 1874 Leiter der Akademie für Bildende Künste in München.

»Beim akademisch populären Kunstwerk liegt der Geist immer im Gegenstand, da das akademische

Können für sich allein keinen Wert, also auch keinen Geist hat, folglich darauf angewiesen ist, den

geistigen Wert ganz allein vom Gegenstand zu beziehen«, polemisierte Wilhelm Trübner,3 um die

Notwendigkeit einer Erneuerung der Kunst um die Jahrhundertwende zu rechtfertigen.

Technologisch war die Malerei – seit Adolph von Menzel und Anton von Werner – charakte-

risiert durch eine gedämpfte Farbigkeit; gleichzeitig lebten die Gemälde der Piloty-Schule von ei-

nem Spannungsverhältnis zwischen starkem Licht und schillernder Stofflichkeit neben tiefen

Schatten und der genauen Erfassung von Situation und Realität durch die Zeichnung. Der Kom-

positionsentwurf ging von einem Liniengerüst aus, über dem die geschlossene Malschicht mittels

ihrer Glätte die feste Beschaffenheit und statische Exaktheit des Dargestellten vermittelte.

Diesem Akademismus setzten die Secessionisten das Prinzip des Malerischen entgegen. Tech-

nologisch möglich wurde die neu gewonnene Freiheit seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch

die industrielle Fertigung von Farben.4 Jetzt war es dem Maler möglich, Farben malfertig aus der

Tube zu drücken. Darüber hinaus führte die synthetische Farbenherstellung dazu, dass beispiels-

weise Rot nicht mehr nur eine Farbe bezeichnete, sondern in mehreren, fein abgestuften Farbwerten

gebrauchsfertig vorlag. Die Malerei wurde farbig. Licht war nicht mehr nur weiß, sondern wurde

in seinen Farbkreis aufgefächert erfasst.

Licht und Maltechnologie

Die Bedeutung des Lichts zur Wahrnehmung von Farbe prägte das Schaffen Max Slevogts. Farbe

als Material wurde zum Ausdrucksmittel, das zugleich, nach den Prinzipien der Farbharmonie

verwendet, ein neues Sehen der Wirklichkeit hervorbrachte.5

Maltheoretische Überlegungen hierüber finden sich in Slevogts Schriften und in verschiedenen

Äußerungen der Kunsthistorikerfreunde Karl Voll und Hans Rosenhagen. Diese nutzten Periodika

wie »Die Kunst für alle« und »Kunst und Künstler«, um das neue Sehen in Abhängigkeit von der

neuen Maltechnologie zu diskutieren. Künstlerkollegen wie Wilhelm von Debschitz und Wilhelm

Trübner nutzten die gleichen Foren, um technologische Neuerungen im aktuellen naturwissen-

schaftlichen Kontext von Farbe, Licht und Sehen zu diskutieren und zugleich das Ende der aka-

demischen Malerei zu verkünden.

Lovis Corinth gelang es in seiner Lehrschrift »Das Erlernen der Malerei«, die maltechnologi-

schen Neuheiten an Beispielen zu erklären und außerdem die Rolle des Betrachters vor einem

Farbe als Material im Œuvre Max Slevogts 247

Abb. 1 Detail aus Die kleine Weinernte (Kat. 185),1913, Der Pinselduktus mal breit gespachtelt, mal forsch impastiert gibt das Flirren des Sommerlichtes spürbar wieder.

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Kunstwerk in Worte zu fassen: »[…] malen heißt: Licht, Tonwerte, Schatten, Reflexe als einzelne

Farben hinsetzen, […] die richtige Farbe auf den richtigen Fleck setzen. […] Die Zeichnung ist

mehr das Resultat des Verstandes, die Malerei mehr Empfindungssache. […] Ferner ist die

Malerei ein Übersetzen der Wirklichkeit.«6 Die Ölmalerei stelle für die Umsetzung dieser An-

schauungsweise das geeignete Medium dar. Zu den neuen technologischen Möglichkeiten in der

Malerei gesellte sich die endgültige naturwissenschaftlich Klärung der Fragen »Was ist Licht?«

und »Was ist Farbe?«. Sehen wurde durch Farben und die Art und Weise, wie sie auf dem Mal-

untergrund appliziert wurden, plastisch und haptisch erlebbar. Dabei bestand das augenfälligste

Neue in der Aufhellung der Palette. Gelb – Blau – Grün als »Gegenfarben« in unmittelbarer

Nachbarschaft auf dem weißen Malgrund miteinander konfrontiert, steigerte deren Leuchtkraft.7

Das Kolorit einer Landschaft wurde als ein von der Luft abhängiger Zustand erkannt: Blauer

Himmel bewirkt einen blauen Grundton in einer Landschaft, die – abhängig vom Pflanzenbewuchs

– das Licht gelb, warmtonig reflektiert. Es entstanden folglich blau-gelbe Landschaften wie bei-

spielsweise Slevogts Kleine Weinernte von 1913 (Kat. 185). 1889 stellte Friedrich Jaennecke in

seinem »Handbuch der Ölmalerei« fest, man habe »vor wenigen Jahrzehnten an deutschen aka-

demischen Lehranstalten«, an denen ein »ziemlich verkommener Farbgeschmack überlieferter

konventioneller Schablone« vorgeherrscht habe, diese Art der Verwendung von Primärfarben

»nicht entdecken können«. Erst »veranlaßt durch die französische Initiative und zuerst in Süd-

deutschland praktiziert«, habe man dem Kolorit und der realistischen Darstellung Aufmerksamkeit

gewidmet. Das Kolorit – in diesem »künstlerischen Sinne« angewendet – habe eine Darstellung

der realen Welt in der Malerei eingeleitet.8

Die Bildrealität erzielt Slevogt durch von vorne pastos aufgesetzte lichthelle, »bunte« Farb-

flächen, um das aus der Blicktiefe zwischen Zweigen und Blattwerk dringende Licht einzufangen.9

Wird so die reale räumliche Abfolge umgekehrt, konzentriert sich die Bildwirkung ganz auf die

Wiedergabe der Leuchtkraft des Lichts im Waldesinneren. Hier nutzt er das optische Phänomen

aus, dass in der Wahrnehmung des Betrachters helle Farben in der vorderen Bildebene verortet

werden. Die in einer Pastosität auftretenden Zufälligkeiten von glänzenden lichten Höhen neben

schattigen Verwerfungen in den Tiefen setzt er gekonnt ein. Mohnöl erlaubt ein verlängertes Ar-

beiten nass-in-nass, wobei der Pinsel auffällige Strukturen in der Farbe hervorbringt. Licht im

Bild entsteht durch einen hohen Ölanteil, der das auf der Malschicht auftreffende, tatsächliche

Licht reflektiert, wodurch das gemalte Licht in seiner ganzen Intensität eingefangen wird. Die

virtuose Verwendung des Materials Farbe durch Kontraste, gebildet aus hellen kühlen und warmen

dunklen Farben, glänzend und matt, impastiert und lasiert, ermöglichte es Slevogt, Licht und

das Sehen optisch korrekt unter Missachtung räumlicher Gesetzmäßigkeiten wiederzugeben.

Linie

Slevogt besaß das von Corinth beschriebene intuitive Gefühl dafür, Perspektive, Linie und Räum-

lichkeit durch Farbe abzubilden. Allein in der Hartschierwache von 1910 (Abb. 4–7)10 findet

sich in der Darstellung des lichtdurchfluteten Innenraums eine darunterliegende, grobe Raum-

einteilung in Form von skizzenhaften Linien. Die Perspektive auf Linienbasis diente jedoch nur

zur Erzeugung von Räumlichkeit, um die Größenverhältnisse nachzubilden.

Er verzichtete gänzlich auf das scharfe Umreißen der Konturen mit Hilfe von Linien, eine

gemäß den akademischen Regeln bis 1900 als unverzichtbar geltende Technik zur Erzeugung

von Tiefenräumlichkeit. Dies leistete der Kritik Vorschub, dass den Kompositionen ein Vorne und

248 Farbe als Material im Œuvre Max Slevogts

Abb. 2 Detail aus Die kleine Weinernte (Kat. 185),1913, Glänzende lichte Höhe, schattige Verwer -fungen entstehen in den Pastositäten durch dasSpiel des Lichtes auf der Gemäldeoberfläche.

Abb. 3 Detail aus Bal Paré (Kat. 14), 1904, Stofflichkeit durch Reflexe auf Höhen und Tiefen,Konturen entwickeln sich durch die nebeneinanderliegenden Farbkontraste.

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Hinten fehle.11 Konturen und Linien der Gegenstände sind im Licht zu sehen, sie entwickeln sich

jedoch durch den Farbkontrast unmittelbar nebeneinander liegender Farbflächen. Die Linie

besitzt somit kein grafisches Eigenleben, da sie entweder durch Auslassungen in der Malschicht

zum Teil bis auf den Malgrund oder durch Heranführen zweier Farbflächen aneinander gebildet

wird. Die Kontinuität einer Linie entsteht aufgrund der Fähigkeit des Betrachterauges, Bruchstücke

im Moment der Wahrnehmung zusammenzuführen. Das Flirren des Lichts ist anhand der Span-

nung zwischen gleichförmig flacher Maloberfläche neben pastos in den Raum hineinwachsenden

Modellierungen für den Betrachter physisch spürbar. Je nach Volumen des gemalten Gegenstandes

wurde dessen Kontur pastos breit aufgetragen, darüber wurde – im leicht angetrockneten Zustand,

ohne zu verlaufen – der akzentuierende Umriss durch die benachbarte Farbe gezogen. »Im

Ganzen ist das Setzen der Farbe nach der Form zu empfehlen, niemals das Streichen. Alles ist als

Fläche anzusehen, […]; auch Striche, die es eben nur scheinbar sind. […] Es ist vielmehr eine

allgemeine Auffassung des Gegenstandes zu treffen und die Fleckenwirkung anzustreben. Hier

trifft einer der geistreichen Aussprüche Liebermanns zu: ›Zeichnen ist Auslassen‹«.12 Max Slevogt

entwickelte in der Handhabung von Pinsel und Spatel eine Technik, bei der er beide gleich einem

Zeichenstift nutzte. Der Pinselduktus änderte sich von Bildpartie zu Bildpartie, war mal breit ge-

spachtelt, mal flächig fließend, mal buttrig impastiert, mal forsch, kantig oder kalligrafisch

geführt (Abb. 1–3; 5). Der Farbwert gibt die Lage des Objektes im Bildraum an, die Pinselführung

verortet den Gegenstand in der Bildtiefe. Auf der Bildfläche verschmelzen Licht und Farbe zu

einer Einheit des Raumes.

Farbe

Die bisher gültige Praxis der Kompositionsplanung, durch deckende und lasierende Farbschichten

einem Bild Tiefe und Kontrast zu verleihen, indem man die Helligkeitsunterschiede sorgfältig ab-

stufte, galt als überholt.

Durch das Setzen der Farbe direkt auf die Leinwand wurde sie nun im Malprozess und

weniger auf der Palette gemischt und damit dem optischen Sinneseindruck unmittelbar Gestalt

gegeben. Licht, Reflexionen und Bewegungen wurden für den Zeitraum eines Augenschlages in

der Kürze des Malprozesses auf dem Malgrund eingefangen. Dazu Corinth: »In der Malerei sind

die hellen, leuchtenden Farben vorzuziehen, und trotz allen Schmelzes sind wohl die verschiedenen

Töne und Reflexe auseinander zu halten. […] Es ist anzuraten, recht pastos (dick) die Ölfarbe

auf die Tafel zu setzen; auch soll darauf geachtet werden, daß die Farben möglichst unvermischt

aufgetragen werden, weil dadurch die Frische und der Farbenreichtum vergrößert wird. Das

Cadmium, Neapelgelb, Kobalt, Zinnoberrot, Permanentgrün werden den schweren Erdfarben

wegen größerer Klarheit und Leuchtkraft vorzuziehen sein […].«13

Der flüchtig wahrgenommene Reiz wurde im Bild abgebildet, indem gemäß der Regeln der

physiologischen Wahrnehmung die Dinge nicht in ihrer Lokalfarbigkeit – sprich Eigenfarbigkeit

– erfasst, sondern die Farbwahrnehmung auf ihnen bildhaft gemacht wurde. So fängt Slevogt das

Spiel des Lichts in dem Gemälde Hartschierwache (Abb. 4) durch den im Kontrast zu den blauen

Uniformjacken der wachhabenden Soldaten lichtgelb gehaltenen Raum ein. Die Gegenfarben

Gelb – Grün – Blau addieren sich im Auge des Betrachters zum Farbdreiklang des Lichts, der

Räumlichkeit und Situation im Gemälde festhält. Das Pariserblau der Uniformjacken der sich

faul im warmen Sonnenlicht räkelnden Soldaten, in seinen von rotblau bis gelbblau reichenden

Farbabstufungen, korrespondiert mit den grüngelben Valeurs der lichten Raumhülle. Der pastose

Farbe als Material im Œuvre Max Slevogts 249

Abb. 4 Max Slevogt, Hartschierwache, 1910Max Slevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe

Abb. 5 Detail aus Hartschierwache, 1910, Markante Gesichtszüge durch satt gefüllten Pinseloder Spatel gesetzt.

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Farbauftrag »schneiderte« Uniformteile, Knöpfe und Abzeichen mit dem Spatel oder dem Pinsel

aus der Tube direkt auf den hölzernen Malgrund. Kantig und massig wie die Statuen und Schultern

der Soldaten wurde Farbe plastisch auf dem flächig vorgelegten, lichten Grund aufgesetzt. Die

markanten, kantigen Soldatengesichter wurden mit ebensolchen Spatelstrichen und reichlich

Farbe modelliert. Zugunsten der Darstellung eines bestimmten Gesamteindrucks verzichtete

Slevogt auf eine peinlich genaue Wiedergabe jeder einzelnen Kleinigkeit. Nicht Ähnlichkeit inte-

ressierte ihn, sondern die Abbildung der Wahrheit. 1928 formulierte Max Slevogt in seinem »Be-

kenntnis zum Impressionismus« seine Auffassung der Aufgabe von Malerei und stellte damit sein

Wissen um die naturwissenschaftlichen Abhängigkeiten von Licht, Farbe und Sehen unter Beweis;

dort hieß es, »[…] daß ich überhaupt nicht annehme, daß ein Menschenauge nur ›sieht‹. Das

Auge ist kein Instrument, kein Spiegel – es ist eine lebendige Weiterleitung in unseren Organismus

[…]. Denn wir sehen […] – wir wollen […] das Triviale neuartig sehen.«14 Er betont damit die

dem menschlichen Betrachterauge angeborene produktive Eigenkraft, die bewirkt, dass Farbe

erst in dem Moment entsteht, indem unser Blick auf ein Ding fällt.

Die »Primamalerei«

Slevogt erfasste mehr oder weniger in einem Arbeitsgang das Objekt gleichzeitig in Form und

Farbe. In der einschlägigen Fachliteratur findet sich dafür der Begriff der »Primamalerei«.15 Er

setzte, ohne zu starkes Vormischen auf der Palette, Ton neben Ton, Farbfleck neben Farbfleck,

wie die Farbe in der Schlusswirkung stehen sollte. Korrekturen wurden in die nassen oder bereits

angetrockneten Bildstellen hineingemalt. Dieses Arbeiten lässt sich an seinen Studien bzw. un-

vollendeten Arbeiten nachvollziehen.

In der Malpraxis hatte sich eine Reihe von gebräuchlichen Farbtönen für die Ölmalerei he-

rausgebildet. Mit Kremserweiß und Zinkweiß wurden zwei verschiedene Weißtöne empfohlen,

von denen der eine eher deckend der andere lasierend ist. Für Gelb kamen die synthetischen Pig-

mente Aureolin und Kadmiumgelb auf die Palette. Für die Farbe Rot standen neben künstlichem

Zinnober, dank der chemischen Farbenindustrie, mehrere Krappvaleurs zur Verfügung. Der in

England hergestellte »Madder« oder der von Slevogt besonders geschätzte »Carminlack« erweiterte

die Palette um ein tiefes, kühles Rot. Die Vielfalt der Blautöne reichte von Kobaltblau über Coe-

linblau, Ultramarin und Berliner Blau. Die beiden letzten, in ihrer synthetischen Form auf dem

Markt etabliert, wurden von Slevogt bevorzugt verwendet. Das tieftonige, glanzvolle ins grünliche

fallende Berliner bzw. Preußisch Blau verwendete Slevogt bevorzugt im Vordergrund, Walddunkel

oder in Faltentiefen. Mit Chromoxidgrün war nun ein künstlicher kühler Grünton auf dem Markt,

aus dem sich durch Zugabe von gelben Farben leuchtende grüne Nuancen herstellen ließen, wie

man sie in seinen Landschaftsgemälden findet. Natürliche Tonerden wie Lichter Ocker, Gebrannter

heller Ocker, Siena, Umbra und Grüne Erde wurden ergänzt durch synthetisches Madderbraun,

Van Dyck-Braun, Manganbraun. Den Farbkreis auf der Palette schloss Elfenbeinschwarz. Die

Betonung der Linie zur Erfassung eines Gegenstandes findet sich, mit Ausnahme im Frühwerk,

selten bei Slevogt.

In den Landschaftsdarstellungen verzichtet er auf das Ziehen von Konturen zur Abgrenzung

der Dinge. Sie werden durch das Aneinanderschieben von Farbflächen ersetzt, in denen die Pin-

selstruktur die Aufgabe der räumlichen Ausrichtung des Dargestellten übernimmt. Beispiele

hierfür sind die beiden Ansichten von Godramstein im Regen (Kat. 191) und Godramstein nach

dem Regen (Kat. 192) sowie Blick auf den Trifels (Kat. 189). Die sonnige Höhe wird durch eine

250 Farbe als Material im Œuvre Max Slevogts

Abb. 6 Detail aus Hartschierwache, 1910, Vermei-den einer peinlich genauen Darstellung der Reit-stiefel, dabei wird das Spiel des Lichtes auf denglänzend gewienerten Stiefeln mit fetter Ölfarbeexakt abgebildet.

Abb. 7 Detail aus Hartschierwache, 1910, Vor-zeichnung unter der Ausführung, die jedoch nurwenig Einfluß auf die endgültige Ausführung hat.

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breite horizontale Kontur in Weiß-Gelb abgebildet, die im Kontrast zu dem grünbraunen Mittel-

und Vordergrund das Licht am Horizont betont. Seine langstielige Haar- oder flachen Borstenpinsel

führt er in der Unterzeichnung, ohne sich bei Detailfragen aufzuhalten, in sehr bestimmten,

scharfen, aber auch eckigen Strichen über die Leinwand.

Als Malgründe dienten in der Ölmalerei unter anderem: Leinwand, Holz (Mahagoni) und

Pappe. Diese wurden zum Zweck der Bemalung meist mit Halbölgründen versehen. Der Blick

auf den Trifels ist auf einen mit Leinwand bespannten Arbeitsrahmen gemalt, der bereits für

andere Gemälde genutzt worden war, wie die Farbspuren belegen. Dieser Rahmen bietet der Mal-

fläche Schutz gegen Verwischen und stellt gleichzeitig eine Hilfe bei der Wahl des Bildausschnittes

zu Beginn des Malprozesses dar.

Physiologische und psychologische Farbtheorien

Die physiologischen und psychologischen Wirkungen von Farbe auf den Menschen, die im

19. Jahr hundert Ausgangspunkt für Auseinandersetzungen mit Philipp Otto Runges »Farbstern«

von 1809 und Johann Wolfgang Goethes »Entwurf zur Farbenlehre« von 1810 waren,16 wurden

zu Beginn des 20. Jahrhunderts anerkannt. Ebenso waren die 1671 veröffentlichten Beobachtungen

Isaac Newtons zur physikalisch-optischen Erscheinung von Farbe nun allgemein akzeptierter

Konsens:17 Für jedes Sehen ist Licht erforderlich, weil Materie an sich unsichtbar ist und erst

durch Licht Farbe entsteht. Stellvertretend für die in Künstlerkreisen der Zeit lebhaft diskutierten

physikalischen, psychologischen und physiologischen Abhängigkeiten,18 die in farbtheoretischen

Schriften publiziert wurden, sollen hier zwei Autoren zitiert werden. Naturwissenschaftlich geklärt

und kollektiv anerkannt war, dass Licht der mit Hilfe unserer Augen wahrnehmbare Teil des

Spektrums elektromagnetischer Strahlung ist.19 Licht, das sich wie Sonnenlicht aus allen Wellen-

längen zusammensetzt, empfinden wir als unbunt, d. h. als weiß. Licht eines einzelnen Wellen-

längenbereichs wirkt dagegen in unserem Auge als Farbreiz. Über Jahrhunderte wurde Licht in

der Kunst über den Gegensatz zum Schatten als Schwarz-Weiß-Kontrast bildlich dargestellt.20

Der Begriff »Farbe« umschrieb nun zugleich die Wahrnehmung eines Sinneserlebnisses der

physiologischen und psychologischen Optik und den materiellen Begriff für einen Werkstoff,

dessen weit verzweigte Eigenart chemisch-physikalischen Gesetzen unterworfen war. Von den

physikalischen Grundfarben Rot – Blau –Violett – Grün konnten alle Farbabstufungen abgeleitet

werden; sie wurden zu Zwecken der Erläuterung in verschiedenen Farbkreisen abgebildet. Ein

Gegenstand erscheint farbig, wenn das Licht, das von ihm in unser Auge gelangt, nicht alle Wel-

lenlängen zu gleichen Anteilen umfasst. Trifft beispielsweise Licht auf ein Pigmentkorn, wirkt

dieses wie ein Filter, der mit dem Licht in eine Wechselwirkung tritt, indem ein Teil absorbiert

und ein Teil reflektiert wird: Wir sehen farbig.

Aus der Etablierung dieser physikalischen Gesetzmäßigkeiten erwuchsen weitere viel disku-

tierte Fragen, so zum Beispiel: Kann ein Schatten bunt sein? Aber auch Theorien der Harmonielehre

oder die Entwicklung von Farbsystemen dienten zur Klärung der Fragen, wie Farbe mit den Me-

chanismen der Wahrnehmung zusammenhänge und das Empfinden des Betrachters beeinflusse.

Der Chemiker Michel Eugène Chevreul hatte im frühen 19. Jahrhundert Farbkontraste nach

dem Prinzip der Harmonie sowie der gegenseitigen Steigerung von zwei aneinandergrenzenden

Farbflächen untersucht. In seiner einflussreichen Abhandlung »De la loi du contraste simultané

des couleurs« aus dem Jahr 1839 stellte er fest, dass sich die größte Steigerung nicht durch Farb-

ton-, sondern vielmehr durch Tonwert- oder Helldunkelkontraste erzielen ließe.21 Neben einer

Farbe als Material im Œuvre Max Slevogts 251

Abb. 8 Detail aus Godramstein nach dem Regen (Kat. 192), 1894, aneinander geschobene Farb -flächen ersetzen eine separate Kanturierung

Abb. 9 Detail aus Godramstein im Regen (Kat. 191), 1894

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dunklen Fläche erscheint eine helle noch heller, neben einer ungesättigten Farbe leuchtet die ge-

sättigte umso intensiver. Der Farbton von aneinander angrenzenden Farben verschiebt sich,

indem er eine Beimengung der jeweiligen Komplementärfarbe erhält. So erscheint ein an Violett

angrenzendes Grün gelblicher und das Violett rötlicher. Bei diesen Tonwertkontrasten, die sich

im Farbkreis jeweils gegenüberliegen, spricht man von Komplementärfarben, die in unmittelbare

Nachbarschaft gesetzt jedoch eine Farbharmonie ergeben.22

Die Bedeutung des Tonwertes zur Erzeugung einer harmonischen Farbzusammenstellung zu

entwickeln, war etwa ein Jahrhundert später neben Farbnormungsversuchen das Anliegen des

Chemikers Wilhelm Ostwald.23 Künstler kritisierten den »Ostwald-Kreis« (Abb. 10) als unausge-

glichen in der Farbabstufung,24 weil er aus Spektralfarben aufgebaut war und nicht, wie in der

künstlerischen Praxis, auf dem Mischen von Pigmenten beruhte, weshalb die Farbtöne erheblich

abwichen.25 Die von Ostwald ihrer Abstufung nach »hellklare und dunkelklare Farben«,26 die

Ton in Ton aus einer Farbwerteskala heraus entwickelten und geordneten harmonischen Farbreihen

fanden bei Max Slevogt ihre künstlerische Umsetzung.

Slevogt und das »Sehen des Trivialen«

Slevogt erfasste das Sujet im Raum als Form und gab es so wieder, wie Licht, Schatten, Luftper-

spektive und der Augenpunkt des Betrachters es im menschlichen Auge abbildete.27 Der locker

geführte Pinsel scheint förmlich über den Malgrund zu springen, so als opfere er kleine Einzelheiten

zugunsten eines Gesamteindruckes. Stofflichkeit der Gegenstände drückt er durch Reflexe auf

Höhen und Tiefen, Farbharmonien und Kontrastwirkung der Gegenfarben aus. Farbharmonische

Abstufungen erwecken einen bestimmten Eindruck, dabei kümmerte er sich wenig um die korrekte

Linienführung jedes kleinen Details. Technologische Beobachtungen an den Gemälden belegen

eine entsprechende Arbeitsweise, die Zufälligkeiten in Form und Farbe jedoch zur exakten Ab-

bildung des Lichts verwertete. Fotos vom malenden Slevogt zeigen, dass er den Pinsel, dessen

Haare unterhalb der Zwinge nach allen Seiten gedrückt abstanden, leicht zwischen den Fingern

am hinteren Ende haltend, drehend über den Malgrund führte.28

Die Wertschätzung seiner Arbeiten zeigt, dass er zu den moderaten Modernen der Kunst ge-

hörte, überdies ließ ihn sein Einsatz des Materials Farbe technologisch neue Wege gehen. Die

Umsetzung seiner farbharmonischen Empfindungen verhinderte jedoch, dass Farbe zum Bedeu-

tungsträger wurde, und machte ihm die kontrastreiche Lokalfarben-Malerei der Nachfolgegene-

ration unmöglich.29

252 Farbe als Material im Œuvre Max Slevogts

Abb. 10 Einteilung des Farbtonkreises nach Wil-helm Ostwald, publiziert in »Die Farbfibel« 1916.

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1 C. W. [?]: Die Ausstellung für Maltechnik im kgl. Glaspalast zu München, in: Die Kunst für alle, Heft 23, 1893, S. 340–342.2 J. Sievers: Berliner Kunstsalons, in: Kunst für alle, Heft 11, 1911, S. 256–57, hier S. 256.3 Wilhelm Trübner, Mitglied des Vorstandes des Deutschen Künstlerbundes 1904, hier: Die Verwirrung der Kunstbegriffe. Betrach-

tungen. Frankfurt 1898, S. 9, zit. nach: Ekkehard Mai: Die deutschen Kunstakademien im 19. Jahrhundert. Künstlerausbildungzwischen Tradition und Avantgarde, Köln 2010, S. 305.

4 James Ayres: The Artist’s Craft. A History of Tools, Techniques and Materials, London 1985, S. 110. 1824, 1841 bzw. 1845 werden als terminus post quem genannt, nach dem Ölfarben in Zinntuben in den USA und England auf dem Markt zu erwerben waren.

5 Für die folgenden maltechnischen Oberflächenuntersuchungen wurden ausschließlich Ölgemälde Slevogts aus dem Bestand derSlevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe, herangezogen.

6 Lovis Corinth: Das Erlernen der Malerei, Berlin o. J. [nach 1902], S. 67–69.7 Corinth o. J. (wie Anm. 6), S. 69: »[…] Es gibt keine Farbe, welche die Leuchtkraft des Lichtes oder die klare Tiefe der Schatten

hat. Die Wirkung wird nur erreicht durch das Nebeneinandersetzen der verschiedenen Stärkegrade.«8 Friedrich Jaennecke: Handbuch der Ölmalerei. Nach dem heutigen Standpunkt und in vorzugsweiser Anwendung auf Landschaft

und Architektur, Stuttgart 1889, S. 114 und 181.9 Nini auf dem Holzstoß (Kat. 39); Grab mit Sonnenflecken (Kat. 181); Laube im Vorderhof (Kat. 177); Sommermorgen (Kat. 38).

Jaennecke 1889 (wie Anm. 8), S. 136 und 209: »[…] Hat man die nötigen Töne gemischt, so setzt man die Laubmasse mit wohlgefülltem Pinsel und saftiger Farbe in unregelmäßigen Klecksen ein, welche man sodann mit einem kleinen Borstenpinsel etwasmehr in die entsprechende Form leitet.«

10 Hartschierwache, Öl auf Mahagoni, 81 x 66 cm; Max Slevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe, Inv. LHS 83/4. Corinth o. J.(wie Anm. 6), S. 82 und 100.

11 Georg Bollenbeck: »Die Debatten über die deutsche Kunst« im Wilhelminischen Kaiserreich. Ein semantisches Laboratorium, in:Kai Bucholz, Rita Latocha, Hilke Peckmann u. a. (Hrsg.): Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunstum 1900, 2 Bde., Ausst.-Kat. Darmstadt 2001, S. 223–227.

12 Corinth, o. J. (wie Anm. 6), S. 71.13 Corinth o. J. (wie Anm. 6), S. 97 und 69: »Dieses Material [Ölfarbe] verträgt nur ein Behandeln ›naß in naß‹; d.h. man kann in

die Farbe, solange dieselbe auf der Leinwand naß bleibt, immer wieder hereinmalen und korrigieren …«.14 Max Slevogt in: Kat. der Preußischen Akademie der Künste Berlin 1928, S. 6 hier zit. nach: Ausst.-Kat. Saarbrücken/Mainz

1992, S. 524.15 Jaennecke 1889 (wie Anm. 8); Kurt Wehlte: Ölmalerei. Einführung in Techniken und Bildaufbau, 1. Aufl. Ravensburg 1928,

6. Aufl. Ravensburg 1957, S. 48.16 Ernst Berger: Goethes Farbenlehre und die modernen Theorien, in: Die Kunst für alle, Heft. 26, 1910–11, S. 133–141.17 Sir Isaac Newtons Erkenntnisse zum Sehen, 1671.18 John Gage: Die Sprache der Farben. Bedeutungswandel der Farbe in der Wissenschafts- und Kunstgeschichte, Leipzig 2010,

S. 196ff. und 249ff.19 Wellenlängen von 400–760 nm.20 Corinth o. J. (wie Anm. 6), S. 75: »[…] und das Licht wird zuerst zum Licht, wenn man den Tonwert des Schattens daneben -

gesetzt [sic] hat.« 21 Michel-Eugene Chevreul: De la loi du contraste simultané des couleurs, Paris 1839, dt. Ausgabe: Die Farbharmonie in ihrer

Anwendung bei der Malerei bei der Fabrication von farbigen Waaren jeder Art […] Aus dem Französischen […] Von einem Techniker, Stuttgart 1840, hier § 339.

22 Der Bibliotheksbau in Neukastel, 1926, Öl auf Leinwand, 69,5 x 63,5cm, Inv. SL 112; Der Garten in Neukastel mit der Bibliothek (Kat. 190); Kleine Weinernte (Kat. 185); Geburt der Venus II, 1923, Öl auf Leinwand, 54 x 46,5cm, Inv. SL 108, alle: Max Slevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe.

23 Wilhelm Ostwald: Die Farbfibel, Farbmuster mit der Hand hergestellt von »Muster-Schmidt« KG, Berlin 1916, 16. Aufl., Göttingen/Berlin 1944, S. 17.

24 Kurt Wehlte: Werkstoffe und Techniken der Malerei. Ravensburg 1967, S. 811; ders: Ölmalerei. Einführung in Techniken undBildaufbau, Ravensburg 1957, hier zu seiner Zusammenarbeit mit Slevogt S. 88.

25 Jaennecke 1899 (wie Anm. 8), S. 117: » Aus diesem Grund ist auch in der Kunst der Geschmack häufiger entscheidender wie derFarbkreis, wenn auch dessen anerkannte Grundlagen nicht verleugnet werden dürfen.«

26 Ostwald 1916 (wie Anm. 23), hier 16. Aufl. 1944, S. 20.27 Wilhelm v. Debschitz: Eine Methode des Kunstunterrichtes in: Dekorative Kunst, Bd. VII, März 1904, S. 209–227.28 Jaennecke 1899 (wie Anm. 8), S. 217 und 220: »[…] mit welchen von der Seite der Spitze die äußeren Formen, […] scharf und

entschieden gegeben werden können […] alte ruinierte Borstenpinsel – je weniger Haare, und von je verschiedener Länge, destobesser […] da sich mit denselben sehr veränderlich mannigfach gezackte und modellierte Striche machen lassen.«

29 Sein Berliner Farbenhändler Leopold Hess, Charlottenburg versorgte ihn mit Leinwand, Malpappen, Keilrahmen, Holztafeln undallen Neuerungen auf dem Markt der Malmaterialien, ca. 80 % der Werke aus dem Bestand der Max Slevogt Galerie, Schloss VillaLudwigshöhe tragen den Aufdruck dieses Farbenhändlers.

Farbe als Material im Œuvre Max Slevogts 253