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Werke befindet, die bisher der Oeffentlichkeit nicht bekanntgegeben worden sind.“ (Allgemeine Musik- zeitung. Wochenschrift für das Musikleben der Gegenwart 56 (1929), Nr. 34/35, S. 846) Manfred Gorke (1897–1956) wurde im schlesi- schen Hirschberg geboren, lebte jedoch seit späte- stens 1914 in Eisenach. Zu den wertvollsten Stücken seiner Sammlung zählen mehrere Originalhand- schriften Johann Sebastian Bachs, darunter das Mühlhäuser Hochzeitsquodlibet (BWV 524), die fragmentarische Abschrift eines Konzerts von Tomaso Albinoni (BWV Anh. 23) und zwei Teilautographe: sowohl die von Bach und seiner Frau Anna Magdalena gemeinsam angefertigte Nie- derschrift der oben genannten Violinsonate als auch ein Instrumentalkonzert mit zunächst unbekannter Provenienz. Schon Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich Thomaskantor Wilhelm Rust mit diesem Manuskript, das sich damals vermutlich in der Königlichen Bibliothek zu Berlin befand. Der Bach-Biograph Philipp Spitta hatte es zunächst für Bachs Abschrift eines „werthvollen, siebensätzigen Concerto grosso Händels aus F moll“ gehalten (Philipp Spitta, Johann Sebastian Bach, Bd. 1, Leip- zig 1873, S. 622). Wie sich aber bereits bei der ersten musikwissenschaftlichen Auswertung der Samm- lung in den frühen 1930er Jahren herausstellte, han- delt es sich bei dem Werk um das Concerto grosso f- Moll, op. 1, Nr. 8 des Italieners Pietro Locatelli und bei dem dazugehörigen Stimmensatz in Gorkes Sammlung um eine anonyme Abschrift, die aber von Bachs Hand an mehreren Stellen revidiert worden ist. Weitere Manuskripte in Gorkes Sammlung stam- men aus dem direkten Umfeld der Leipziger Kir- E in Raunen ging durch die Musikwelt, als am 9. Juni 1929 im Gewandhaus zu Leipzig mit der Sonate G-Dur für Violine und Basso continuo (BWV 1021) ein noch unbekanntes Werk Johann Sebastian Bachs erstmals zur Aufführung kam. Die Fachpresse vermutete hinter dem neu entdeckten Werk eine größere, noch unbekannte „Bach- Sammlung“: „Die Uraufführung ei- ner bis dahin völlig unbekannten Violin- sonate von Johann Sebastian Bach […] hat nunmehr die Aufmerk- samkeit der interessier- ten Kreise dahin ge- lenkt, daß sich in der Eisenacher Bachsamm- lung von Manfred Gorke noch eine größe- re Anzahl von Manu- skripten Bachscher 136 // BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O16] Nr. 3 Auftakt für Manfred Gorke Musikhandschriften für die Bach-Forschung im sächsischen Landesdigitalisierungsprogrammm von MANUEL BÄRWALD und JULIA MEYER Das Bach-Archiv Leipzig hat im September mit der Digitalisierung der Sammlung Gorke begonnen. Die Leipziger Forschungseinrichtung versteht sich als musikalisches Kompetenzzentrum am Hauptwirkungsort Johann Sebastian Bachs. Sein Zweck ist, Leben, Werk und Wirkungsgeschichte des Komponisten und der weit verzweigten Musikerfamilie Bach zu erforschen, sein Erbe zu bewahren und als Bildungsgut zu vermitteln. Im Bewusstsein der Bedeutung Bachs erfüllt es im historischen Bosehaus am Thomaskirch- hof einen umfassenden und vielfältigen Auftrag für eine breite internatio- nale Öffentlichkeit. Abschrift der Violinsonate BWV 1021 von der Hand Anna Magdalenas mit autographen Eintragun- gen Johann Sebastian Bachs.

Auftakt für Manfred Gorke - SLUB Dresden

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Page 1: Auftakt für Manfred Gorke - SLUB Dresden

Werke befindet, die bisher der Oeffentlichkeit nichtbekanntgegeben worden sind.“ (Allgemeine Musik-zeitung. Wochenschrift für das Musikleben derGegenwart 56 (1929), Nr. 34/35, S. 846)Manfred Gorke (1897–1956) wurde im schlesi-schen Hirschberg geboren, lebte jedoch seit späte-stens 1914 in Eisenach. Zu den wertvollsten Stückenseiner Sammlung zählen mehrere Originalhand-schriften Johann Sebastian Bachs, darunter dasMühlhäuser Hochzeitsquodlibet (BWV 524), diefragmentarische Abschrift eines Konzerts vonTomaso Albinoni (BWV Anh. 23) und zwei Teilauto graphe: sowohl die von Bach und seinerFrau Anna Magdalena gemeinsam angefertigte Nie-derschrift der oben genannten Violinsonate als auchein Instrumentalkonzert mit zunächst unbekannterProvenienz. Schon Ende des 19. Jahrhundertsbeschäftigte sich Thomaskantor Wilhelm Rust mitdiesem Manuskript, das sich damals vermutlich inder Königlichen Bibliothek zu Berlin befand. DerBach-Biograph Philipp Spitta hatte es zunächst fürBachs Abschrift eines „werthvollen, siebensätzigenConcerto grosso Händels aus F moll“ gehalten(Philipp Spitta, Johann Sebastian Bach, Bd. 1, Leip-zig 1873, S. 622). Wie sich aber bereits bei der erstenmusikwissenschaftlichen Auswertung der Samm-lung in den frühen 1930er Jahren herausstellte, han-delt es sich bei dem Werk um das Concerto grosso f-Moll, op. 1, Nr. 8 des Italieners Pietro Locatelli undbei dem dazugehörigen Stimmensatz in GorkesSammlung um eine anonyme Abschrift, die aber vonBachs Hand an mehreren Stellen revidiert wordenist.Weitere Manuskripte in Gorkes Sammlung stam-men aus dem direkten Umfeld der Leipziger Kir-

Ein Raunen ging durch die Musikwelt, als am9. Juni 1929 im Gewandhaus zu Leipzig mitder Sonate G-Dur für Violine und Basso

continuo (BWV 1021) ein noch unbekanntes WerkJohann Sebastian Bachs erstmals zur Aufführung

kam. Die Fachpressevermutete hinter demneu entdeckten Werkeine größere, nochunbekannte „Bach-Sammlung“:„Die Uraufführung ei -ner bis dahin völligunbekannten Violin -sonate von JohannSebastian Bach […] hatnunmehr die Aufmerk-samkeit der interessier-ten Kreise dahin ge -lenkt, daß sich in derEisenacher Bachsamm-lung von ManfredGorke noch eine größe-re Anzahl von Manu-skripten Bachscher

136 // BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O16] Nr. 3

Auftakt für Manfred GorkeMusikhandschriften für die Bach-Forschung imsächsischen Landesdigitalisierungsprogrammm

von MANUEL BÄRWALD und JULIA MEYER

Das Bach-Archiv Leipzig hat im September mit der Digitalisierung derSammlung Gorke begonnen. Die Leipziger Forschungseinrichtung verstehtsich als musikalisches Kompetenzzentrum am Hauptwirkungsort JohannSebastian Bachs. Sein Zweck ist, Leben, Werk und Wirkungsgeschichte desKomponisten und der weit verzweigten Musikerfamilie Bach zu erforschen,sein Erbe zu bewahren und als Bildungsgut zu vermitteln. Im Bewusstseinder Bedeutung Bachs erfüllt es im historischen Bosehaus am Thomaskirch-hof einen umfassenden und vielfältigen Auftrag für eine breite internatio-nale Öffentlichkeit.

Abschrift der Violinsonate

BWV 1021 von der Hand

Anna Magdalenas mit

autographen Eintragun-

gen Johann Sebastian

Bachs.

Page 2: Auftakt für Manfred Gorke - SLUB Dresden

chen und damit aus Bachs erweitertem Wirkungs-kreis. Darunter befinden sich Originalhandschriftenseiner Schüler Johann Christoph Altnickol, Hein-rich Nikolaus Gerber, Johann Philipp Kirnbergerund Johann Tobias Krebs. Zudem zählt das eigen-händige Choralbuch von Johann Friedrich Doles(Thomaskantor 1756–1789) zur Sammlung sowieeine von Thomasschülern in den 1750er Jahrenangefertigte Abschrift der Motetten aus „Florilegi-um portense“.Der Großteil der Musikalien der Sammlung Gorkeüberliefert bis heute kaum erforschtes mitteldeut-sches Repertoire des 18. und 19. Jahrhunderts, dasMusikern und Wissenschaftlern nun erstmals imOpen Access zur Verfügung gestellt wird. So gehtein weiterer Teil der Sammlung auf ein kaumbekanntes Mitglied der weitverzweigten Musikerfa-milie Bach zurück. Valentin Bach (1787–1875)sammelte seinerseits als Organist im thüringischenKaltennordheim über die Jahre hinweg Musikalien,ohne dass wir wissen, wie diese schließlich in denBesitz Gorkes übergingen. Neben den Musikhand-schriften enthält die Sammlung außerdem eineReihe von Textdokumenten zur sächsisch-thüringi-schen Musikgeschichte, darunter Archivalien zurbarocken Eisenacher Hofkapelle und Briefbeständezur Bach-Rezeption im 19. Jahrhundert, die unteranderem aus dem Nachlass von Thomaskantor Wil-helm Rust (1822–1892) stammen.Nach Verhandlungen mit mehreren Musikverlagenum die exklusiven Publikationsrechte einzelnerWerke, in die sich damals schon kritische Stimmenzur Provenienzfrage der Sammlung mischten, einig-te sich Gorke mit der Stadt Leipzig im Frühjahr1935 auf den Ankauf der Sammlung und die Unter-

bringung in der Stadtbibliothek. Nach dem Kriegging sie in den Bestand der 1954 gegründetenMusikbibliothek der Stadt Leipzig über, befand sichaber bereits seit 1952 und auch weiterhin zur dauer-haften Aufbewahrung im Bach-Archiv. Bei derUmwandlung des Bach-Archivs in eine Stiftung bür-gerlichen Rechts wurde die Sammlung 1998 inderen Vermögen überführt.Nach der von Gorke in den frühen 1930er Jahrenselbst initiierten ersten Erschließung der Sammlungin einem zweibändigen Katalog, der vorrangig einerBestandsaufnahme zum Zweck des Verkaufs dienensollte, fand die erste wissenschaftliche Bearbeitungdes gesamten Bestandskorpus durch Hans-JoachimSchulze statt, der 1977 einen Katalog der SammlungManfred Gorke vorgelegt hat. Dieser Katalog stelltbis heute den wichtigsten Zugang zu den Quellen dar,ist jedoch kaum über den engen Kreis der Bach-For-schung hinaus bekannt. Das Bach-Archiv Leipzig hatdeshalb im September mit der Digitalisierung derrund 700 Musikhandschriften umfassenden Samm-lung begonnen. Im Rahmen des sächsischen Landes-digitalisierungsprogramms für Wissenschaft undKultur steuert die SLUB Dresdendieses für Musiker und Forscher glei-chermaßen wichtige Projekt. Durchdie Digitalisierung, die Publikationim Open Access und die anschlie-ßende Tiefenerschließung im Inter-nationalen Quellenlexikon derMusik (RISM) erhofft sich dasBach-Archiv neue Impulse für diewissenschaftliche Auseinanderset-zung auch mit den bisher eher unbe-kannten Beständen der Sammlung.

BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O16] Nr. 3 // 137

JULIA

MEYER

MANUEL

BÄRWALD

Eigenhändiges Choral-

buch von Johann

Friedrich Doles

(Bach-Archiv Leipzig,

Go. S. 304)

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