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Gerda Holz
Aufwachsen unter Armutsbedingungen und Möglichkeiten zur kindbezogenen Armutsprävention
Schwerpunkte
Definition, Ursachen und Risiken
Das Kindergesicht der Armut
Individuelle Auswirkungen
Strukturelle Rahmensetzungen im Zugang und der Teilhabe
Kindbezogene Armutsprävention
Das Konzept auf kommunaler Ebene
Armutssensibles Handeln in Einrichtungen, Beispiel KiTas
Politische Herausforderungen
Aufwachsen unter Armutsbedingungen?
Definition, Ursachen und Risiken
Definition – Mehrdimensionales Verständnis
Armut … … ist immer zu erst Einkommensarmut
… eine Lebenslage, die die Gestaltungs-, Entscheidungs-, und Handlungsspielräume einschränkt
… führt zur Unterversorgung mit normalen Gütern und Leistungen
… führt zu sozialer Ausgrenzung
… hat ein spezifisches Kindergesicht
Arm ist in Deutschland wer ... … weniger als 50%/60% des durchschnittlichen Nettoeinkommens
(nach Haushaltsgröße gewichtet) zur Verfügung hat (EU-Definition).
... wer Anspruch auf Sozialhilfe/Sozialgeld hat.
Zentrale Ursachen und strukturelle Risiken
Erwerbsprobleme, z.B. (Langzeit-) Erwerbslosigkeit
Niedrigeinkommen
Working poor
Hartz-IV-Bezug
Soziale Probleme, z.B. Überschuldung
Trennung/Scheidung
Behinderung/Krankheit
Multiproblemlage
Migration
Alleinerziehend
Bildung
Sozialraum
„Kinderreiche“ Familien
Quelle: Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung + Jugendberufshilfe 2015
Beispiel
„Die Stadtstaaten“
Quelle: http://www.boeckler.de/wsi_62998.htm
Berlin 33,0%
Bremen 31,6% Bremen 29,9%
Bremerhaven 39,6%
Hamburg 20,9%
Westdeutschland 13,7%
Ostdeutschland 23,1%
Deutschland gesamt 15,4%
Dezember 2014
Aufwachsen unter Armutsbedingungen?
Das Kindergesicht der Armut
– Individuelle Folgen
0 - 3 Jahre
Bindung
Autonomie
3 - 6 Jahre
Sprache
Bewegung
Achtsamkeit
6 – 12 Jahre
Aneignen
Gestalten
Beziehungen eingehen
12 – 18 Jahre
Körper spüren
Grenzen suchen
Identität finden
18 -27 Jahre
Sich entscheiden
Intimität leben
Verantwortung übernehmen
Entwicklungsaufgaben
von Kindern und Jugendlichen
Entwicklungsschritte benötigen
Rahmenbedingungen, Zeit
und stetiges (Ein)Üben.
www.iss-ffm.de
Was ist Kinderarmut?
Quelle: Hock/Holz/Wüstendörfer 2000
materiell
kulturell
sozial
Eltern/ Erwachsene
Kind
Was kommt beim Kind an?
Materiell (Kleidung, Wohnen, Nahrung, Partizipation u.a.)
Sozial (soziale Kompetenz, soziale Kontakte u.a.)
Gesundheitlich (physisch und psychisch)
Kulturell (kognitive Entwicklung, Sprache, Bildung, kult. Kompetenzen u.a.)
Lebenslagetyp Kind
Wohlergehen Benachteiligung Multiple Deprivation
Haushalt ist arm
Lebenslagedimensionen
www.iss-ffm.de
Lebenslage von Sechsjährigen nach Armut - 1999
Anteil armer und nicht-armer Kinder mit Defiziten
Lebenslagebereich arme Kinder nicht-arme Kinder
Grundversorgung (n = 220 arm; 598 nicht-arm)
40 % 15 %
Kulturelle Lage (n = 223 arm; 614 nicht-arm)
36 % 17 %
Soziale Lage (n = 219 arm; 618 nicht-arm)
36 % 18 %
Gesundheit (n = 225 arm; 640 nicht-arm)
31 % 20 %
auf- oder abgerundete Angaben
Quelle: „Armut im Vorschulalter“ 1999, Berechnungen des ISS
www.iss-ffm.de
Anteil armer junger Menschen mit Auffälligkeiten
in der Lebenslage – Nach Erhebungszeitpunkten
Lebenslagebereich
Anteil armer junger Menschen mit Defiziten
6 Jahre alt
(1999)
10 Jahre alt
(2003/04)
16 Jahre alt
(2009/10)
Materielle Lage/
Grundversorgung 40 % 52 % 57 %
Gesundheit 31 % 26 % 40 %
Kulturelle Lage 36 % 38 % 55 %
Soziale Lage 36 % 35 % 44 %
Gerundete Angaben:
1999: n=893; 2003/04: n=500; 2009/10: n= 416 Quellen: Armut im Vorschulalter 1999; Armut im späten Grundschulalter 2003/04; AWO-ISS-Kinderarmutspanel 2009/10
www.iss-ffm.de
Ungleiche Startchancen – ungleiche Bildungsbiografien
33%
21%
26%
20%
49%
12%
32%
7%
Regulär Irregulär in Grundschule Irregulär in SEK I Irregulär in Grundschuleund SEK I
1999 arm 1999 nicht arm
Schulverlauf nach
Schulstufe – 1999
bis 2009/10
n = 308 (nur Befragte mit gültigen Antworten 1999, 2003/04 und 2009/10). Quelle: AWO-ISS-Kinderarmutspanel 2009/10, eigene Berechnung.
Risiko, in der Schulbiografie immer wieder „institutionell zu versagen“ vor allem für arme Kinder.
www.iss-ffm.de
Armutsepisoden zwischen früher Kindheit
und mittlerer Jugend
n = 298; 1999 arm: 65, 1999 nicht arm: 233 (nur Befragte mit gültigen Antworten 1999, 2003/04 und 2009/10).
Quelle: AWO-ISS-Kinderarmutspanel 2009/10, eigene Berechnung.
… die Mehrheit der armen KiTa-Kinder erlebt weitere Armutsepisoden.
www.iss-ffm.de
Armutsbetroffenheit als 6- und Lebenslagetyp
als 16-/17-Jährige – 1999 und 2009/10
n = 404 (nur Befragte mit gültigen Antworten 1999 und 2009/10).
Quelle: AWO-ISS-Kinderarmutspanel 2009/10, eigene Berechnung.
1999 Arm: 23%
1999 Nicht arm:
77%
18%
52%
30%
39%
49%
12%
Wohlergehen 2009/10 Benachteiligung 2009/10 Multiple Deprivation 2009/10Wohlergehen 2009/10 Benachteiligung 2009/10 Multiple Deprivation 2009/10
Aufwachsen unter Armutsbedingungen?
Das Kindergesicht der Armut
– Strukturelle Rahmensetzungen im Zugang
und der Teilhabe
Quelle: Richter, Antje (2000): Wie erleben und bewältigen Kinder Armut?
Kindspezifische Netzwerke von nicht-armen und armen Kindern in Braker Grundschulen – 2000
Unterversorgung mit allgemeinen Gütern – U2-jährige Kinder in Kitas in Deutschland nach Bildungsabschluss der Mutter Vergleich: 2009 und 2013/14, in % aller altersgleichen Kinder
Quelle: DJI-Survey AID:A 2009 und 2013/14, in: KOMDAT Heft 3/2014, S. 9.
Nutzung frühkindlicher Förder- und Betreuungsangebote in Deutschland nach materieller Lage der Eltern – 2010
20
22
35
51
44
17
13
31
55
33
31
49
47
47
72
0 10 20 30 40 50 60 70 80
Formale Förderung
Non-formale Förderung
Formale Föderung halbtags
Formale Föderung ganztags
Non-formale Förderung
in %
Alle anderen Familien*
ALG-II-Empfänger
Niedriges Einkommen
ANMERKUNG: * Zu dieser Gruppe gehören alle Eltern, die keine der folgenden sozioökonomischen Risiken aufweisen: alleinerziehend, mit Migrations-hintergrund, überwiegend in der Familie nicht Deutsch sprechend, Mutter ohne Berufsausbildung sowie niedriges Einkommen und ALG-II-Bezug. Quelle: SOEP v27.2; FiD v2.0; eigene Darstellung auf Basis Schober / Spieß 2012, S. 21
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Frankfurt am Main: Soziale Herkunft entscheidet – auch noch 2012
© FAZ-Grafik Niebel
Frankfurt am Main: Soziale Herkunft entscheidet – auch noch 2012
© FAZ-Grafik Niebel
Aufwachsen unter Armutsbedingungen?
Kindbezogene Armutsprävention
Kind-/Jugendbezogene (Armuts)Prävention …
ist ein Konzept das kindzentriert, d.h. aus der Perspektive des Kindes, angelegt ist,
das bei der Analyse und Stärkung der Ressourcen und Potenziale eines Kindes und auf allen gesellschaftlichen Ebenen ansetzt.
zielt darauf ab, armen Kindern jene Entwicklungsbedingungen zu eröffnen, die ihnen ein Aufwachsen im Wohlergehen ermöglichen.
ist ein komplexer sozialer und kinder-/jugendpolitischer Prozess, der ausdrücklich die
Verbesserung von Lebensweisen und
Verbesserung von Lebensbedingungen (Verhältnisse, Strukturen, Kontexte)
umfasst.
Anforderungen und Charakteristika struktureller (Armuts)Prävention für junge Menschen
Alle Kinder sind die Zielgruppe und jedes einzelne Kind wird gefördert
Schutzfaktoren fördern und Risikofaktoren begrenzen
Bezug zur Lebenswelt und zum Lebensverlauf, kindzentriert
„Kinder ohne Eltern gibt es nicht“ – immer gleichzeitig Eltern unterstützen
Fachkräfte – unterschiedlicher Professionen und Funktionen – sind
die zentrale Akteure
Zwei Ebenen der Prävention verknüpfen
Strukturelle Absicherung - Verhältnisprävention
Individuelle Förderung/Stärkung - Verhaltensprävention
Strukturformen sind
die Präventionskette
das Präventionsnetzwerk
Handlungsform ist die Kooperation von vielen Akteuren
Die zwei entscheidenden Ebenen einer kind-/jugendbezogenen (Armuts)Prävention
2. Focus = Strukturelle Prävention
Gestaltung/Veränderung von Verhältnissen, z.B.
durch armutsfeste Grundsicherung, kostenfreie
Angebote sowie umfassende und qualifizierte
öffentliche Infrastruktur und deren Vernetzung
1. Focus = Individuelle Förderung und Stärkung
Gestaltung/Veränderung von Verhalten/Handeln
durch Angebote/Maßnahmen über öffentliche
Infrastruktur, individuelle Zeit und Kompetenz
Strukturprinzip kindbezogener (Armuts)Prävention: Präventionskette durch Netzwerke
Aufwachsen unter Armutsbedingungen?
Armutssensibles Handeln in KiTas
Grundverständnis
Armutssensibilität ist als Feinfühligkeit und Empfindlichkeit gegenüber armutsbetroffenen Menschen – ihrer Lebenslage, ihren Bedürfnissen und Bedarfen, ihren Ressourcen und Bewältigungsstrategien – zu verstehen
Armutssensibilität ist ein pädagogischer Anspruch an Fachkräfte und Institutionen
Armutssensibilität wird auf drei Ebenen umgesetzt
persönlicher Ebene (z.B. Haltung, Wissen und Reflexion)
institutioneller Ebene (z.B. konzeptbasiertes Arbeiten)
struktureller Ebene (z.B. Zugang für alle, Vernetzung
1. Anmeldung, Vormerkung und Zugang zum Angebot z.B. Transparenz über Zugangskriterien, Eltern persönlich an Vormerkungen erinnern, großzügiger Umgang mit Terminüberschreitungen, Kinder möglichst früh aufnehmen
2. Übergang von der Familie in die KiTa, von der KiTa in die Schule z.B. wertschätzende Kontaktaufnahme, Hausbesuch, Begleitung in die KiTa, Nachfrage wegen Behördenhilfen, Begleitung in die Grundschule
3. Konzept der KiTa z.B. Kosten gering halten, Angebote für alle Kindern zugänglich, Arbeit in Kleingruppen mit Fokus Sprachbildung, Bewegung, Naturangebote, regelmäßige Ausflüge
4. Interaktion in der Kindergruppe z.B. Kinder stärken, viele kleine Tür-/Angelgespräche, Wechselkleiderfundus, Ausgrenzung in der Kindergruppe besprechen
Quelle: Hock/Holz/Kopplow: Kinder in ökonomischen Risikolagen. Expertise für WIFF, 2014.
Sieben Schlüsselsituationen zur kindbezogenen Armutsprävention in der einzelnen KiTa (1)
Quelle: Hock/Holz/Kopplow: Kinder in ökonomischen Risikolagen. Expertise für WIFF, 2014.
Sieben Schlüsselsituationen zur kindbezogenen Armutsprävention in der einzelnen KiTa (2)
5. Arbeit am Thema „Armut“ im Team z.B. Fachwissen über Armut sowie Sozialdaten des Stadtteils, Fallbesprechungen, Planung pädagogischer Vorhaben ohne Kosten
6. (Zusammen)Arbeit mit den Eltern z.B. Intensive und kontinuierliche Information, Umsetzung von Begegnung, Beratung, Bildung, Begleitung, Budget, Beteiligung
7. Vernetzung und Kooperation z.B. Angebote in den Einrichtungen, Gegenseitiger Informationsaustausch, gemeinsame Projekte verschiedener Einrichtungen, aktive Mitarbeit in Netzwerken
Bei all dem ist die Haltung, das Wissen und die Professionalität der
pädagogischen Fachkräfte entscheidend
Aufwachsen unter Armutsbedingungen?
Politische Herausforderungen
Politische Handlungsansätze
Armutsprävention für Kinder und Jugendliche Benötigt wird eine gute Infrastruktur
Förderung elterlicher Erwerbstätigkeit und mit einem einkommensfesten Einkommen
Bedarfsgerechte Kindergrundsicherung
Verlässliche Hilfen für Kinder und Eltern
Eltern benötigen eine eigene Unterstützung. Gefordert ist eine umfassende „Arbeit mit Eltern“, d.h. für Mutter und Vater
Vor allem die Funktion und Rolle der Väter ist dabei sehr genau anzuschauen
Zielsetzung von Politik auf allen Ebene muss die soziale Inklusion Ungleiches ungleich behandeln
Gleiche Zugänge für alle zu allen gesellschaftlichen Ressourcen sichern
Soziale Teilhabe und Partizipation Benachteiligter ermöglichen und befördern
Interessante Literatur zum Thema
AWO-ISS-Langzeitstudie „Armut bei Kindern und Jugendlichen (1997-2012): http://www.iss-ffm.de/m_106
Hock/Holz/Kopplow (2014): Kinder in Armutslagen. Armutssensibles Handeln in der Kindertagesbetreuung.
München: WIFF-Weiterbildungsinitiative frühpädagogische Fachkräfte http://www.weiterbildungsinitiative.de/aktuelles/news/detailseite/data/armutsbetroffene-kinder-in-der-kita/
Richter-Kornweitz/Utermark (2013): Werkbuch Präventionskette. Herausforderungen und Chancen beim Aufbau von Präventionsketten in Kommunen.
Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung http://www.gesundheit-nds.de/CMS/images/stories/PDFs/Werkbuch-Praeventionskette_Doppelseite.pdf
Unsere Jugend, Heft 2/2016: Kinderarmut – Aktuelle Entwicklungen und Handlungsstrategien