9
104 HMD 286 Michael Freundlieb, Frank Teuteberg Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung Nachhaltigkeitsberichte informieren die Stake- holder eines Unternehmens über dessen Bemü- hungen, ökonomische, ökologische und soziale Ziele in Einklang zu bringen. Im Rahmen dieses Beitrags werden die Konzeption, die prototypi- sche Umsetzung und die Evaluation von aug- mentierten Nachhaltigkeitsberichten beschrie- ben, bei denen multimediale Erweiterungen des Berichtsinhalts je nach Leseposition des Anwen- ders automatisch angezeigt werden. Im Gegen- satz zur bestehenden Praxis der Nachhaltigkeits- berichterstattung werden dabei auch externe Informationsquellen eingebunden. Inhaltsübersicht 1 Wettbewerbsvorteile durch Nachhaltigkeitsberichterstattung 2 Vorgehen nach einem Design-Science- Ansatz 3 Anforderungen aus der Praxis 4 Konzeption augmentierter Nachhaltigkeitsberichte 5 Prototypische Umsetzung 6 Evaluierung des Konzepts 6.1 Akzeptanzmodell und Fragebogen 6.2 Explorative Auswertung 6.3 Statistische Auswertung 7 Herausforderungen der Umsetzung in der Praxis 8 Literatur 1 Wettbewerbsvorteile durch Nachhaltigkeitsberichterstattung Nachhaltigkeitsberichte informieren die unter- schiedlichen Interessengruppen eines Unter- nehmens über dessen Bemühungen, ökonomi- sche, ökologische und soziale Ziele in Einklang zu bringen. Studien belegen, dass durch Nach- haltigkeitsberichte das Image eines Unterneh- mens verbessert und sowohl die Kaufentschei- dungen von Konsumenten als auch die In- vestitionsentscheidungen potenzieller Anteils- eigner positiv beeinflusst werden können (z.B. [Bartels et al. 2008]). Folglich stellt eine zeitge- mäße Nachhaltigkeitsberichterstattung einen potenziellen Wettbewerbsvorteil dar und ist so- mit ein wichtiger Bestandteil moderner, durch Informations- und Kommunikationstechnologie unterstützter Unternehmenskommunikation. Obwohl Nachhaltigkeitsberichterstattung zunehmend online erfolgt, wird das multime- diale Potenzial webbasierter Nachhaltigkeits- berichte von den berichtenden Unternehmen noch nicht voll ausgeschöpft [Isenmann 2004]. Melville kommt zu dem Schluss, dass die zu- künftige Forschung im Bereich der Wirtschafts- informatik untersuchen sollte, wie Informations- systeme die Einstellungen zum Thema Umwelt und Nachhaltigkeit beeinflussen und wie diese Informationssysteme gestaltet sein sollten [Melville 2010]. Diesem Aufruf folgend diskutiert der vorlie- gende Beitrag die Augmentierung von Nachhal- tigkeitsberichten, bei der multimediale Inhalte nicht statisch in Webseiten eingebettet, son- dern in Abhängigkeit der Leseposition des Be- nutzers dynamisch angezeigt werden. 2 Vorgehen nach einem Design- Science-Ansatz Dieser Beitrag verfolgt einen Design-Science- Ansatz, dessen Vorgehen in Abbildung 1 darge- stellt wird. Die Praxisanforderungen an einen augmen- tierten Nachhaltigkeitsbericht basieren auf Standards und Richtlinien sowie auf Studien

Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

104 HMD 286

Michael Freundlieb, Frank Teuteberg

Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

Nachhaltigkeitsberichte informieren die Stake-holder eines Unternehmens über dessen Bemü-hungen, ökonomische, ökologische und sozialeZiele in Einklang zu bringen. Im Rahmen diesesBeitrags werden die Konzeption, die prototypi-sche Umsetzung und die Evaluation von aug-mentierten Nachhaltigkeitsberichten beschrie-ben, bei denen multimediale Erweiterungen desBerichtsinhalts je nach Leseposition des Anwen-ders automatisch angezeigt werden. Im Gegen-satz zur bestehenden Praxis der Nachhaltigkeits-berichterstattung werden dabei auch externeInformationsquellen eingebunden.

Inhaltsübersicht1 Wettbewerbsvorteile durch

Nachhaltigkeitsberichterstattung2 Vorgehen nach einem Design-Science-

Ansatz3 Anforderungen aus der Praxis4 Konzeption augmentierter

Nachhaltigkeitsberichte5 Prototypische Umsetzung6 Evaluierung des Konzepts

6.1 Akzeptanzmodell und Fragebogen6.2 Explorative Auswertung6.3 Statistische Auswertung

7 Herausforderungen der Umsetzung in der Praxis

8 Literatur

1 Wettbewerbsvorteile durch Nachhaltigkeitsberichterstattung

Nachhaltigkeitsberichte informieren die unter-schiedlichen Interessengruppen eines Unter-nehmens über dessen Bemühungen, ökonomi-sche, ökologische und soziale Ziele in Einklangzu bringen. Studien belegen, dass durch Nach-

haltigkeitsberichte das Image eines Unterneh-mens verbessert und sowohl die Kaufentschei-dungen von Konsumenten als auch die In-vestitionsentscheidungen potenzieller Anteils-eigner positiv beeinflusst werden können (z.B.[Bartels et al. 2008]). Folglich stellt eine zeitge-mäße Nachhaltigkeitsberichterstattung einenpotenziellen Wettbewerbsvorteil dar und ist so-mit ein wichtiger Bestandteil moderner, durchInformations- und Kommunikationstechnologieunterstützter Unternehmenskommunikation.

Obwohl Nachhaltigkeitsberichterstattungzunehmend online erfolgt, wird das multime-diale Potenzial webbasierter Nachhaltigkeits-berichte von den berichtenden Unternehmennoch nicht voll ausgeschöpft [Isenmann 2004].Melville kommt zu dem Schluss, dass die zu-künftige Forschung im Bereich der Wirtschafts-informatik untersuchen sollte, wie Informations-systeme die Einstellungen zum Thema Umweltund Nachhaltigkeit beeinflussen und wie dieseInformationssysteme gestaltet sein sollten[Melville 2010].

Diesem Aufruf folgend diskutiert der vorlie-gende Beitrag die Augmentierung von Nachhal-tigkeitsberichten, bei der multimediale Inhaltenicht statisch in Webseiten eingebettet, son-dern in Abhängigkeit der Leseposition des Be-nutzers dynamisch angezeigt werden.

2 Vorgehen nach einem Design-Science-Ansatz

Dieser Beitrag verfolgt einen Design-Science-Ansatz, dessen Vorgehen in Abbildung 1 darge-stellt wird.

Die Praxisanforderungen an einen augmen-tierten Nachhaltigkeitsbericht basieren aufStandards und Richtlinien sowie auf Studien

Page 2: Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

HMD 286 105

von Beratungsunternehmen zur Nachhaltig-keitsberichterstattung. Darüber hinaus wur-den im Januar und März 2010 sowie im Juli 20113 Industrieworkshops mit mehr als 80 Teil-nehmern aus Wissenschaft und Praxis sowie13 Experteninterviews durchgeführt, um diePraxisanforderungen auch direkt zu erheben.Die so ermittelten Anforderungen fließen inden Design-Science-Ansatz ein und stellen dieRelevanz der erarbeiteten Lösung sicher. Diewissenschaftliche Fundierung erfolgt auf Basiswissenschaftlicher Erkenntnisse und entspre-chender Literatur aus den in Abbildung 1 ge-nannten Gebieten.

Anhand dieses Vorgehens wird zunächst einRahmenwerk für augmentierte Nachhaltig-keitsberichte konzipiert und eine prototypischeUmsetzung implementiert. Die anschließendeEvaluation geschieht auf Basis etablierter Ak-zeptanzfaktoren mittels eines Fragebogens imRahmen eines Laborexperiments. Somit wirdein Zyklus des in Abbildung 1 dargestellten Vor-gehens vollständig durchlaufen.

3 Anforderungen aus der PraxisAnalysen von Nachhaltigkeitsberichten zeigen,dass die Berichte zunehmend in Form vonWebseiten und Onlineportalen und nicht län-ger nur als Printversion oder statisches PDF-Do-kument veröffentlicht werden (z.B. [Freundlieb& Teuteberg 2010]). Im Zuge dieser Entwicklung

wurden von Wissenschaftlern Konzepte und Lö-sungen vorgeschlagen, die das multimedialePotenzial von webbasierten Nachhaltigkeits-berichten ausschöpfen, maßgeschneiderte undzielgruppengerechte Berichterstattung ermög-lichen und einen Dialog zwischen berichterstat-tenden Unternehmen und deren Stakeholdernfördern sollen (z.B. [Isenmann 2004]). Dennochwird auch in Veröffentlichungen neueren Da-tums immer wieder kritisiert, dass die bericht-erstattenden Unternehmen die technischenMöglichkeiten nicht voll ausschöpfen und sichnur zögerlich von printnahen, eher statischenBerichten lösen [Freundlieb & Teuteberg 2010].

Im Vorfeld dieses Beitrags wurden 13 Exper-teninterviews und 3 Workshops mit insgesamtüber 80 Teilnehmern aus Wissenschaft undPraxis durchgeführt, um aktuelle Herausforde-rungen und Anforderungen im Bereich der be-trieblichen Umweltinformationssysteme in derPraxis zu identifizieren. Im Rahmen der Work-shops wurden Gruppendiskussionen in Formeines World-Cafés durchgeführt, die auch aufeine Anforderungsanalyse in der Nachhaltig-keitsberichterstattung fokussiert waren.

Die Praxispartner favorisierten eine web-basierte Lösung mit konsistenten und transpa-renten/nachvollziehbaren Berichten. Als weite-re Anforderungen wurden eine möglichst einfa-che Benutzbarkeit, Verständlichkeit sowie Spaßan der Anwendung genannt. Darüber hinaussoll eine Informationsüberflutung der Anwen-

Design-Science-Ansatz

Konzeption & Umsetzungeines augmentierten

Nachhaltigkeitsberichts

Fundierung

Design-Science-Forschung

tur zur Technolgieakzeptanz

Online- Nachhaltigkeitsbericht- erstattung

ext 2.0

Wissensbasis

Evaluation

Anwendungsdomäne

zur Nachhaltigkeitsbericht-erstattung

keitsberichterstattung von Beratungsunter-nehmen

Umfeld

(Vor-)Wissen

verfeinern

beurteilen

Abb. 1: Design-Science-Ansatz (in Anlehnung an [Hevner et al. 2004]

Page 3: Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

106 HMD 286

der vermieden werden. Die ausführlichen Er-gebnisse der Anforderungsanalyse und -priori-sierung sind in [Gräuler et al. 2012] nachzulesen.

Ähnliche Anforderungen finden sich unterdem Schlagwort »Klarheit« auch im Leitfadenzur Nachhaltigkeitsberichterstattung der GlobalReporting Initiative [GRI 2011]. Auch die ein-gangs erwähnte Studie von Bartels et al. bestä-tigt, dass die Recherche von relevanten Informa-tionen aus den Nachhaltigkeitsberichten derUnternehmen für viele Anwender derzeit zuzeitaufwendig ist [Bartels et al. 2008].

4 Konzeption augmentierter Nachhaltigkeitsberichte

Als möglicher Lösungsansatz der beschriebe-nen Praxisprobleme wird im Rahmen diesesBeitrags eine Erweiterung von webbasiertenNachhaltigkeitsberichten vorgeschlagen, beider multimediale Inhalte nicht statisch in dieWebseite eingebettet sind oder durch Nutzer-eingaben aufgerufen werden müssen, sondernautomatisch bei Bedarf anhand der Blickposi-tion des Anwenders eingeblendet werden. DieBlickposition wird dabei mittels eines Eye-trackers ermittelt. Diese Erweiterung soll zumeinen den Bedienkomfort und die Geschwindig-keit der Informationsrecherche erhöhen, zumanderen soll durch die Einbindung externer In-formationen der Informationsgehalt, die Trans-parenz und die Glaubwürdigkeit der Berichtsin-halte gesteigert werden.

Biedert et al. schlagen in ihrem Beitrag[Biedert et al. 2009] ein ähnliches Konzept für

einen Eyetracking-fähigen eBook-Reader vor, beidem Bilder und Töne abhängig von der Lese-position des Anwenders eingeblendet werden,um das Leseerlebnis von Belletristik zu verbes-sern. Wir übertragen das Konzept im Rahmendieses Beitrags auf das Anwendungsgebiet derNachhaltigkeitsberichterstattung und spre-chen in diesem Zusammenhang in Anlehnungan den Begriff »Augmented Reality« von einemaugmentierten Nachhaltigkeitsbericht. Durchdie Augmentierung kann nach unserer Auffas-sung die Nutzerakzeptanz verbessert und somitlangfristig auch die Akzeptanz bei den bericht-erstattenden Unternehmen gefördert werden.Diese Hypothese wird durch eine vergleichendeEvaluation eines herkömmlichen Nachhaltig-keitsberichts und eines augmentierten Nach-haltigkeitsberichts in Abschnitt 6 näher unter-sucht.

Abbildung 2 zeigt das an das Text-2.0-Framework [Biedert et al. 2010] angelehnteRahmenwerk zur Umsetzung eines augmen-tierten Nachhaltigkeitsberichts.

Der Zugriff auf den augmentierten Nach-haltigkeitsbericht erfolgt über den Webbrowserdes Client-PC, der über ein Plug-in für augmen-tierte Nachhaltigkeitsberichte erweitert wird.Informationen über die Blickposition des Benut-zers werden dem Plug-in über eine Schnittstellezum Eyetracker bereitgestellt. Die entsprechen-den multimedialen Erweiterungen wie Bilder,Videos und Töne, Übersetzungen von Fremd-wörtern und Definitionen von Fachbegriffen so-wie relevante externe Links (beispielsweiseSuchtreffer bei Google oder Wikipedia, You-

Client Server

Webbrowser

Eyetracker

AugmentedPlug-in

Webserver Datenbankserver

Benutzer

<<use>>

Eyetracking-Datenbereitstellen

NBlesen

NBanzeigen

Berichts-inhalt

anfordern

Berichts-inhalt

bereitstellen Bilder, Videos,SoundsÜbersetzungen,Definitionen,externe Links

Inhaltund Struktur

Abb. 2: Rahmenwerk für augmentierte Nachhaltigkeitsberichte

Page 4: Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

HMD 286 107

tube-Videos, Profile auf Facebook, Xing oderTwitter) werden angezeigt, wenn die Blickposi-tion des Benutzers auf einen der grün hervorge-hobenen Marker innerhalb des Nachhaltig-keitsberichts trifft.

Abbildung 3 zeigt einen Screenshot desaugmentierten Nachhaltigkeitsberichts. Im Ge-gensatz zu herkömmlichen webbasiertenNachhaltigkeitsberichten sind die multimedia-len Inhalte weder fest in den Bericht eingebet-tet noch müssen sie bewusst durch den Benut-zer angesteuert werden. Die Anzeige wird viel-mehr auf Basis der Blick- bzw. Leseposition desAnwenders automatisch ausgelöst, wobei dieSymbole hinter den grün hervorgehobenenMarkern (in Abb. 3 hellgraue Schrift mit Unter-streichung) jeweils anzeigen, welche Art vonAugmentierung aufgerufen wird.

In Abbildung 3 sind sämtliche multime-dialen Erweiterungen des Nachhaltigkeitsbe-richts gleichzeitig aufgerufen, um die Bandbrei-te an möglichen Augmentierungen zu demons-trieren. Beim Lesen des Nachhaltigkeitsberichtskann der Leser einzelne Augmentierungendurch Schließen des entsprechenden Fenstersausblenden, um die Übersichtlichkeit des Be-

richts zu wahren und eine Informationsüberflu-tung zu vermeiden.

Der augmentierte Bericht wird über einenWebserver bereitgestellt, der wiederum auf ei-nen Datenbankserver zugreift, der neben derReportstruktur und den Reportinhalten auchdie multimedialen Erweiterungen bereitstellt.

Die vorgeschlagene Architektur nutzt somitüberwiegend weitverbreitete Hard- und Soft-ware, mit der sowohl die berichterstattendenUnternehmen als auch die Leser der Nachhal-tigkeitsberichte bereits vertraut sind, um dieAkzeptanz der Technologie auf beiden Seiten zusteigern. Um augmentierte Nachhaltigkeitsbe-richterstattung zu ermöglichen, muss der Leserlediglich ein Plug-in für seinen Webbrowser in-stallieren und einen Eyetracker bereitstellen.Obwohl Eyetracker im privaten Umfeld auf-grund hoher Anschaffungskosten bisher nurwenig Verbreitung gefunden haben, arbeitetTobii (www.tobii.com), der Marktführer im Be-reich der Eyetracking-Technologie, derzeit ander Integration von Eyetracking in Standard-PCs. Zukünftig könnten Eyetracker somit, ähn-lich wie Webcams heutzutage, zur Standard-ausstattung eines PC oder Laptops gehören.

Abb. 3: Augmentierter Nachhaltigkeitsbericht

Page 5: Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

108 HMD 286

5 Prototypische UmsetzungUm die prototypische Umsetzung zu ermögli-chen, wurde zunächst nach einer kostengünsti-gen Eyetracking-Komponente recherchiert. AlsLösung wurde der ITU Gaze Tracker [Agustin et al.2009] ausgewählt, da dieser zum einen kos-tenlos verfügbar und zum anderen mit Stan-dardhardware wie einer Videokamera oder ei-ner Webcam lauffähig ist. Als Hardware kamenneben einer Sony DCR-PC4-Videokamera zweiexterne Infrarotlichtquellen sowie ein Infrarot-filter zum Einsatz, um ein binokulares RemoteEye Tracking zu ermöglichen, bei dem der Be-nutzer im Gegensatz zu einer Head-Mounted-Lösung, bei der die Kamera am Kopf des Proban-den befestigt wird, aus der Distanz gefilmtwird. Die Möglichkeit des Remote Eye Trackingwurde favorisiert, um eine minimalinvasiveUmgebung für die spätere Evaluation zu schaf-fen. Beim Pretest des gewählten Setups konn-ten gute Tracking-Genauigkeiten von bis zu0,6 Grad erzielt werden. Diese verschlechtertensich bei wechselnden Lichtbedingungen sowiebei leichten Kopfbewegungen der Probandenjedoch deutlich, sodass die Lösung insgesamtals nicht zweckmäßig für die Evaluierung be-urteilt wurde. Kommerziell angebotene Eye-tracker bieten auch unter schwierigen Bedingun-gen dauerhaft gute Tracking-Genauigkeiten.Derzeit sind sie jedoch für Privatanwender nochunerschwinglich in der Anschaffung, sodassnach einer Alternative für die prototypischeUmsetzung gesucht wurde.

In der wissenschaftlichen Literatur findensich Untersuchungen, in denen eine Korrelationzwischen der Mausposition und der Blick-position des Anwenders festgestellt wurden(z.B. [Rodden & Fu 2007]). Um eine Evaluationohne den Einsatz eines Eyetrackers zu ermögli-chen, wurde der Prototyp daher mithilfe vonMousetracking implementiert.

Der Prototyp wurde mit HTML und Java-Script auf Basis des Siemens Nachhaltigkeitsbe-richts umgesetzt. Als Ausschnitt wurde aus

dem Bereich »Daten und Fakten« das Kapitel»Umweltschutz« ausgewählt, da dieses zahlrei-che Tabellen und Grafiken enthält, die zur Aug-mentierung des eigentlichen Berichtsinhaltsverwendet werden können. Die gewählte Formder Implementierung bietet den Vorteil, dassder Prototyp auf einem Standard-PC mit Stan-dardhardware lauffähig ist.

6 Evaluierung des Konzepts

6.1 Akzeptanzmodell und FragebogenUm den Prototyp zu evaluieren, wurden zuuntersuchende Akzeptanzfaktoren auf Basisdes Technologieakzeptanzmodells (TAM) von[Davis et al. 1989] sowie dessen Nachfolgernausgewählt. Dabei wurden auch spezialisierteAkzeptanzmodelle für verwandte IT-Artefaktewie webbasierte Informationssysteme, Websei-ten und eShops herangezogen.

Zentral für die Untersuchung ist die Variab-le Nutzungsabsicht (Intention to Use), die typi-scherweise von den Variablen Nützlichkeit(Perceived Usefulness), Einfachheit der Bedie-nung (Perceived Ease of Use), Vergnügen(Perceived Enjoyment) sowie der subjektivenEinstellung (Subjective Norm/Attitude) beein-flusst wird. Weitere ergänzende Faktoren sinddie Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse (ResultDemonstrability), die Ergebnisqualität (OutputQuality) sowie die Ängstlichkeit des Benutzersbeim Umgang mit Computern (Computer Anxiety).

Zur Evaluation des Prototyps wurde ein Fra-gebogen mit je 2-4 Fragen zur Bewertung dereinzelnen Akzeptanzfaktoren entwickelt. DieBewertung erfolgte anhand einer 7-Punkte-Likert-Skala (»stimme nicht zu« bis »stimme vollzu«), wobei je Proband und Akzeptanzfaktor einMittelwert aus den zugehörigen Antworten ge-bildet wurde. Als Kontrollvariablen wurden Al-ter und Geschlecht der Probanden erfasst.Genaue Angaben zur Herleitung der ausge-wählten Variablen, ihrer Operationalisierungsowie der vollständige Fragebogen finden sichunter www.uwi.uos.de/hmd/hmd_anb.pdf.

Page 6: Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

HMD 286 109

6.2 Explorative AuswertungDie Evaluation wurde mit insgesamt 24 Teilneh-mern durchgeführt, von denen 5 Masterstudie-rende und 19 Mitarbeiter eines mittelständi-schen Unternehmens mit ausgeprägtem Nach-haltigkeitsengagement waren. Somit wurde dieEvaluation überwiegend mit Praktikern durch-geführt, die aufgrund ihrer Unternehmenskul-tur ein hohes Interesse am Thema Nachhaltig-keit und damit auch an der Nachhaltigkeitsbe-richterstattung haben. Durch die Einbeziehungeiniger Studierender wurden jedoch auch Pro-banden in die Evaluation einbezogen, die keinebesondere Erfahrung im Bereich Nachhaltigkeithaben.

Den Teilnehmern wurden in unterschiedli-cher Reihenfolge die herkömmliche sowie dieaugmentierte Variante des Nachhaltigkeitsbe-richts vorgelegt, um eine Verfälschung der Er-gebnisse aufgrund der Reihenfolge zu vermei-den. Im Anschluss an die Benutzung der jeweili-gen Reportalternative wurde der Fragebogenbeantwortet. Bei der Verwendung des augmen-tierten Nachhaltigkeitsberichts wurden die Teil-nehmer angewiesen, die Maus als Lesehilfe zuverwenden, um so das Vorhandensein einesEyetrackers zu simulieren.

Hinsichtlich des Geschlechts waren die Pro-banden nahezu gleichmäßig aufgeteilt (13männliche, 11 weibliche Probanden), hinsicht-lich des Alters ist ein Großteil der Teilnehmer (16von 24 Probanden) der Altersgruppe 20-29 zu-zuordnen. Entsprechend der Altersstrukturzeigten die Teilnehmer bezüglich des Akzep-tanzfaktors Computer Anxiety, der vom Proban-den abhängt und somit einheitlich für beide Be-richtsvarianten erhoben wurde, einen sehr nied-rigen Mittelwert von 1,08 – die Teilnehmer sindsomit als sehr computeraffin zu bezeichnen,was entsprechend bei der Interpretation derEvaluationsergebnisse zu berücksichtigen ist.

Abbildung 4 zeigt die Evaluationsergeb-nisse der übrigen Akzeptanzfaktoren als Box-Whisker-Plot.

Insgesamt zeigt sich, dass die Bewertungender Benutzer hinsichtlich der Akzeptanzfakto-ren für den augmentierten Nachhaltigkeitsbe-richt (weiße Boxplots) deutlich positiver aus-fallen als für den herkömmlichen Bericht(graue Boxplots). Die Akzeptanzfaktoren ResultDemonstrability, Output Quality, SubjectiveNorm, Perceived Ease of Use und Perceived Use-fulness wurden deutlich besser bewertet alsbeim herkömmlichen Bericht – hier liegt das un-tere Quartil des augmentierten Berichts ober-halb des oberen Quartils des herkömmlichenBerichts. Geringer ist der Abstand lediglichbeim Faktor Perceived Enjoyment. Die relativ ge-ringe Differenz könnte dadurch begründet sein,dass die Probanden sich zunächst an das neuar-tige Bedienkonzept des augmentierten Berichtsgewöhnen mussten. Dennoch liegt der Mediandes augmentierten Berichts auch hinsichtlichdieses Akzeptanzfaktors oberhalb des Mediansdes herkömmlichen Berichts. Insgesamt zeigtsich ein deutlich positiver Effekt der Augmentie-rung, der auch durch die Bewertung der erklär-ten Variable Intention to Use bestätigt wird.

6.3 Statistische AuswertungTabelle 1 zeigt die Ergebnisse eines Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Tests. Neben den Mittelwer-ten der einzelnen Akzeptanzfaktoren für denherkömmlichen (HER) und augmentierten(AUG) Nachhaltigkeitsbericht gibt die TabelleAufschluss über die Anzahl der positiven (= Zahlder Probanden, die den herkömmlichen Berichtbesser als den augmentierten Bericht bewertethaben) und negativen Ränge. Die letzte Spalteenthält den berechneten Z-Wert.

Bereits an der Anzahl der Ränge zeigt sich,dass je Akzeptanzfaktor nur jeweils 1-2 Proban-den den herkömmlichen Bericht besser als denaugmentierten Bericht bewertet haben. DieseErkenntnis schlägt sich auch in den Z-Wertennieder: Hinsichtlich aller Akzeptanzfaktorenwird der augmentierte Bericht mit einer Irr-tumswahrscheinlichkeit von p < 0,001 dem her-kömmlichen Bericht vorgezogen. Auch die sta-

Page 7: Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

110 HMD 286

Intention to Use

Perceived Usefulness

Perceived Enjoyment

Result Demonstrability

Output Quality

Subjective Norm

Perceived Ease of Use

1 2 3 4 5 6 7

1 2 3 4 5 6 7

LegendeHerkömmlicher Bericht

Augmentierter Bericht

Abb. 4: Evaluationsergebnisse als Box-Whisker-Plot

n=24 MittelwertHER

MittelwertAUG

Anzahl positiver Ränge(HER>AUG)

Anzahl negativer Ränge(HER<AUG)

Z(HER-AUG)

Intention to Use 3,15 4,88 1 22 -3,855***

Perceived Enjoyment 3,75 4,48 2 18 -3,679***

Result Demonstrability 2,79 5,02 2 22 -4,081***

Output Quality 3,58 5,31 1 22 -3,833***

Subjective Norm 3,10 5,10 2 22 -3,933***

Perceived Ease of Use 3,48 5,23 1 22 -3,947***

Perceived Usefulness 3,79 4,89 2 22 -3,893***

*** p < 0,001

Tab. 1: Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test

Page 8: Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

HMD 286 111

tistische Auswertung der Evaluationsergebnis-se deutet somit den positiven Effekt derAugmentierung auf die untersuchten Akzep-tanzfaktoren an.

7 Herausforderungen der Umsetzung in der Praxis

Der Beitrag zeigt, dass sich die Anreicherungdes Nachhaltigkeitsberichts mit externen Infor-mationen positiv auf die Akzeptanz bei den Le-sern auswirken kann. Wie unsere Evaluation ge-zeigt hat, kann die Umsetzung auch ohne dastechnisch aufwendige Eyetracking positiveEffekte erzielen. Der entwickelte und zur Verfü-gung gestellte Fragebogen kann von Praktikernals Basis für eine standardisierte Evaluation vonNachhaltigkeitsberichten dienen. So können so-wohl Veränderungen in der Akzeptanz des eige-nen Nachhaltigkeitsberichts im Zeitablauf un-tersucht als auch Benchmarks mit den Nachhal-tigkeitsberichten von Mitbewerbern durchge-führt werden.

Um eine breitere Akzeptanz der Eye-tracking-Technologie bei den Anwendern zufördern, sollten zukünftig entweder die An-schaffungskosten für kommerzielle Eyetrackergesenkt oder die Tracking-Genauigkeit vonOpen-Source-Lösungen bei widrigen Bedingun-gen wie wechselnden Lichterverhältnissen so-wie Kopfbewegungen des Benutzers weiter ver-bessert werden. Durch die Nutzung von Eye-tracking in anderen Bereichen, wie z.B. bei derVerbesserung der Usability von Betriebssyste-men oder Office-Programmen, könnte derMehrwert von Eyetrackern gesteigert und de-ren Verbreitung und Weiterentwicklung zusätz-lich gefördert werden.

Der verfolgte Ansatz unterliegt einigenLimitationen, die mögliche Ansatzpunkte fürzukünftige Forschungsarbeiten darstellen: Zu-nächst wurde nur ein Ausschnitt eines Nachhal-tigkeitsberichts betrachtet und anhand einerprototypischen Umsetzung in einer Laborum-gebung evaluiert. Gegenstand zukünftiger For-schung könnte somit die vollständige Umset-

zung eines augmentierten Nachhaltigkeitsbe-richts und die Evaluation des Konzepts in derPraxis sein. Darüber hinaus ist zu berücksichti-gen, dass die Probanden der Evaluation sehrtechnikaffin und überwiegend jung waren. Zu-künftig wird im Rahmen weiterer Iterations-zyklen des in Abschnitt 2 vorgestellten Vorge-hens daher auch die Evaluation mit einer reprä-sentativeren Probandenauswahl angestrebt.

Auch hinsichtlich der Umsetzung der Aug-mentierung besteht weiterer Forschungsbe-darf: So werden beispielsweise einheitlicheStandards zur Kenntlichmachung von Augmen-tierungen durch entsprechende Farbgebungund/oder Symbole benötigt. Aus Sicht der prak-tischen Umsetzung mangelt es zudem an Lö-sungen zur automatisierten Annotierung derBerichtsinhalte, um den Aufwand zur Augmen-tierung der Berichte für die berichterstattendenUnternehmen gering zu halten. Hier könnte die(Weiter-)Entwicklung von Algorithmen, die au-tomatisiert Schlüsselwörter aus dem Berichts-inhalt extrahieren, entsprechende multimedialeErweiterungen recherchieren und in den Be-richt einbetten, Gegenstand zukünftiger For-schung sein.

Die Augmentierung von Nachhaltigkeitsbe-richten wirft darüber hinaus eine Reihe vontechnischen, organisatorischen und rechtlichenFragen auf: Wie kann die Verfügbarkeit der ex-ternen Informationen technisch und organisa-torisch zuverlässig sichergestellt werden (Er-kennung und Anpassung von toten Links)?Welche rechtlichen Probleme können aus derEinbindung fremder Inhalte in die eigenenWebseiten entstehen (Urheberrecht, Verant-wortung für den Inhalt nach Telemedienge-setz)? Sollen in Rankings von Nachhaltigkeits-berichten oder anderen Inhaltsanalysen dieaugmentierten externen Inhalte berücksichtigtwerden oder sind diese auszuklammern? Nach-dem die Nützlichkeit der Augmentierung in die-sem Beitrag grundlegend untersucht wurde,sollten diese Fragestellungen im Rahmen derzukünftigen Forschung neben der technischen

Page 9: Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung

112 HMD 286

Weiterentwicklung und tiefer gehenden Evalu-ation des Prototyps näher betrachtet werden.

8 Literatur[Agustin et al. 2009] Agustin, J. S.; Skovsgaard, H.;

Hansen, J. P.; Hansen, D. W.: Low-Cost Gaze Inter-action: Ready to Deliver the Promises. Procee-dings of the 27th international conference ex-tended abstracts on Human factors incomputing systems, 2009, ACM, New York,2009, pp. 4453-4458.

[Bartels et al. 2008] Bartels, W.; Iansen-Rogers, J.;Kuszewski, J.: Count Me In – The Readers’ Takeon Sustainability Reporting. KPMG, 2008.

[Biedert et al. 2009] Biedert, R.; Buscher, G.; Dengel, A.:The eyeBook – Using Eye Tracking to Enhancethe Reading Experience. Informatik-Spektrum33 (2009), 3, S. 272-281.

[Biedert et al. 2010] Biedert, R.; Buscher, G.; Schwarz, S.;Möller, M.; Dengel, A.; Lottermann, T.: The Text2.0 Framework. 2nd Workshop on Eye Gaze inIntelligent Human Machine Interaction. Stan-ford University, Palo Alto, 2010.

[Davis et al. 1989] Davis, F. D.; Bagozzi, R. P.;Warshaw, P. R.: User Acceptance of ComputerTechnology: A Comparison of Two TheoreticalModels. Management Science 35 (1989), 8,pp. 982-1003.

[Freundlieb & Teuteberg 2010] Freundlieb, M.;Teuteberg, F.: Status Quo der internetbasiertenNachhaltigkeitsberichterstattung: Eine länder-übergreifende Analyse der Nachhaltigkeitsbe-richte börsennotierter Unternehmen. In: Schu-mann, M.; Kolbe, L. M.; Breitner, M. H.; Frerichs,A. (Hrsg.): Multikonferenz Wirtschaftsinforma-tik 2010. Universitätsverlag Göttingen, Göttin-gen, 2010, S. 347 f., S. 1747-1759.

[Gräuler et al. 2012] Gräuler, M.; Teuteberg, F.;Mahmoud, T.; Marx Gómez, J.: Anforderungsprio-risierung und Designempfehlungen fürBetriebliche Umweltinformationssysteme dernächsten Generation – Ergebnisse einer explo-rativen Studie. In: Mattfeld, D. C.; Robra-

Bissantz, S. (Hrsg.): Multikonferenz Wirtschafts-informatik 2012. GITO Verlag, Berlin, 2012,S. 1531-1543.

[GRI 2011] Global Reporting Initiative (GRI): Sustain-ability Reporting Guidelines 3.1. GRI, Amster-dam, 2011.

[Hevner et al. 2004] Hevner, A. R.; March, S. T.; Park, J.;Ram, S.: Design Science in Information SystemsResearch. MIS Quarterly 28 (2004), 1, pp. 75-105.

[Isenmann 2004] Isenmann, R.: Internet-based sus-tainability reporting. International Journal ofEnvironment and Sustainable Development 3(2004), 2, pp. 145-167.

[Melville 2010] Melville, N. P.: Information SystemsInnovation for Environmental Sustainability.MIS Quarterly 34 (2010), 1, pp. 1-21.

[Rodden & Fu 2007] Rodden, K.; Fu, X.: ExploringHow Mouse Movements Relate to Eye Move-ments on Web Search Results Pages. SIGIR 2007Workshop Web-Information Seeking and Inter-action, 2007, pp. 29-32.

DanksagungDieser Beitrag ist im Rahmen des Projekts »IT-for-Green: Umwelt-, Energie- und Ressourcenmanage-ment mit BUIS 2.0« entstanden. Das Projekt wirdmit Mitteln des Europäischen Fonds für regionaleEntwicklung gefördert (Fördernummer W/A III80119242).

Michael Freundlieb M.Sc.Prof. Dr. Frank TeutebergUniversität OsnabrückFachgebiet Unternehmensrechnung und WirtschaftsinformatikKatharinenstr. 149069 Osnabrü[email protected]@uos.dewww.uwi.uos.de

Freundlieb/Teuteberg , Augmentierte Nachhaltigkeitsberichterstattung. HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik, Heft 286, 2012, S. 104-112.