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Aus Freude am Lesen

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Aus Freude am Lesen

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Anna hat alles im Griff. Sie dient einer »Herrin«, derBulimie, denn es gibt nichts Wichtigeres für sie, als einenvollkommenen Körper zu besitzen und unangreifbar zusein. Annas Eltern trennen sich, als ihre Mutter Katariinaherausfindet, dass ihr Mann sie betrügt. Sie, die Estin,verleugnet ihre Herkunft, weil sie weiß, welch schlechtesAnsehen Estinnen in Finnland haben – sie gelten alsrussische Huren, die es geschafft haben, durch Heirat nachFinnland zu entkommen. Aus Angst, dass ihrer Tochterdie gleiche Verachtung zuteil wird wie ihr, darf diese dieSprache nicht lernen und keinem sagen, woher die Mutterstammt. Während Anna lernen muss, dass sie wirklichkrank ist, erfährt der Leser die Hintergründe der Familien-geschichte, Ursache für Annas Leiden, die bis in die Zeitder Besetzung Estlands nach dem Zweiten Weltkrieg zu-rückreicht.

Sofi Oksanen, geboren 1977, Tochter einer estnischenMutter und eines finnischen Vaters, studierte Dramaturgiean der Theaterakademie von Helsinki. Mit ihrem drittenRoman »Fegefeuer« gelang ihr der literarische Durchbruch:Der Roman stand monatelang auf Platz eins der finnischenBestsellerliste, wurde in 38 Länder verkauft und mit zahl-reichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Finladia-Preis, demNordischen Literaturpreis und dem Europäischen Buch-preis.

Sofi Oksanen bei btbFegefeuer. Roman (74212)

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Sofi Oksanen

Stalins KüheRoman

Aus dem Finnischenvon Angela Plöger

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Verlagsgruppe Random House FSc® N001967Das für dieses Buch verwendete FSc®-zertifiziertePapier Lux Cream liefert Stora Enso, Finnland.

1. AuflageGenehmigte Taschenbuchausgabe März 2014,btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Münchencopyright © der Originalausgabe 2003 by Sofi OksanenAll rights reservedcopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Kiepenheuer& Witsch GmbH & co. KG, KölnUmschlaggestaltung: semper smile, MünchenUmschlagmotiv: plainpicture / Emma McIntyreDruck und Einband: cPI – clausen & Bosse, LeckSL · Herstellung: scPrinted in GermanyISBN 978-3-442-74364-3

www.btb-verlag.dewww.facebook.com/btbverlagBesuchen Sie auch unseren LiteraturBlog www.transatlantik.de

Die finnische Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel»Stalinin Lehmät« bei WSOY, Helsinki.

Ein Glossar mit den wichtigsten Personen und Begriffen be-findet sich am Ende des Buches.

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ERSTER TEIL

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MEInERSTESMaL war anders. Ich hatte geglaubt, es würde schrecklich,schwierig, schmutzig und schleimig sein. Ich hatte geglaubt,es würde Blut kommen und der Magen würde mir fürchter-lich wehtun. Ich hatte geglaubt, ich würde niemals so weitkommen, ich würde es nicht können, nicht wollen, aber alsdie Geräusche meiner knisternden Bauchdecke an mein Ohrdrangen, traf mein Körper für mich die Entscheidung. Esgab keine Alternative.

Es war himmlisch.Die Flamme des Feuerzeugs beleuchtete meine ruhigen,

glänzenden Augen. Meine erste Zigarette nach meinemersten Mal. Auch sie war himmlisch. Alles war himmlisch.

Das Einzige, was man mir ansah, waren Zufriedenheitund Triumph. Meine Stimme klang vielleicht etwas sandigoder gebrochen, aber: na und?

Und ich wusste, es würde ein zweites Mal geben. Eindrittes. Ein hundertstes. Natürlich geht es nicht allen so. Beimanchen bleibt das erste Mal auch das letzte, aber nicht beidenen, die darin und dafür gut sind.

Ich war sofort gut darin.

Aus Unerfahrenheit erbrach ich mich allerdings beim ers-ten Mal ins Waschbecken. Auch beim zweiten Mal noch.Vielleicht hatte die Kloschüssel etwas zu Ordinäres, Demü-tigendes. Vor dem Waschbecken braucht man zwar nicht zuknien, aber man muss ständig aufpassen, dass der Abflussnicht verstopft. Wie schafft man das zum Beispiel auf dem

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Dorf? Wenn das Erbrochene im Waschbecken steht, manden Abfluss überhaupt nicht freibekommt und nichts da ist,womit man die Pampe herausschöpfen könnte? Zwar gibtes in Badezimmern meistens Zahnputzbecher, aber es istziemlich schwierig, sie wieder sauber zu kriegen, ohne dassSpuren bleiben, denn den Geschmack von Seife oder Rei-nigungsemulsion bemerkt der Benutzer des Bechers, undder Geruch nach Erbrochenem geht trotzdem nicht weg.

Eine Dusche ist natürlich gut, sie dämpft das Geräusch,und das Sieb über dem Abfluss bekommt man meistens he-raus. Aber man kann nicht ständig in die Dusche gehen.Auf die Toilette dagegen schon. Es ist ganz normal, sich dieNase zu pudern. Und alle verstehen, dass es bei Frauen aufder Toilette immer etwas länger dauert; normalerweise mussman sich also nicht übermäßig beeilen, sondern hat genugZeit, alles herauszuwürgen und sich gründlich zu säubern.

Ich bin vierzehn Jahre lang gut darin gewesen, und niemandhat es bemerkt, wenn ich es nicht selbst erzählt habe. Den-noch will niemand kapieren, was ich erzählt habe. Und weres kapiert, steht der Sache hilflos gegenüber. So mächtig istmein Herr und Schöpfer, und so genehm bin ich meinemHerrn, in dessen starker Umarmung mein Frauenfleisch er-blüht, wenn ich meinem Herrn nur gehorche und ihn res-pektiere. Dann gibt mein Herr mir das, was ich will, einenvollkommenen Frauenkörper, der vollkommen ist für mich,vollkommen für meinen Herrn und vollkommen für dieWelt. Und ein vollkommener Frauenkörper macht aus mireine vollkommene Frau. Eine gute Frau. Eine begehrens-werte Frau. Eine kluge und beneidenswerte Frau. Eine, derman nachschaut. Eine, die man bewundert. Beauty hurts,baby.

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Katariina kommt zum ersten Treffen über eine halbe Stundezu spät, aber sie wird trotzdem erwartet. Ein finnischer Mannerwartet sie. Der bei der Tanzveranstaltung letzte Wocheihre ablehnenden Antworten nicht akzeptiert hat, sondernsie so oft aufforderte, bis Katariina nicht mehr anders konn-te, als einzuwilligen. Der Mann fragte auf Finnisch nur, war-um nicht, und Katariina war sich nicht sicher, wie der Mannihre Antwort verstehen würde, dass sie jetzt wirklich keineLust habe zu tanzen, sie sei müde und nur mitgegangen, umihrer Freundin Gesellschaft zu leisten, denn die hatte das sosehr gewollt und steif und fest behauptet, Katariina könneSpaß haben im Rae, ja, wirklich, jetzt kommst du mit! Dorthatte sich dann herausgestellt, dass das Rae kein Café war,wie sie angenommen hatten, sondern ein Restaurant, undanständige Mädchen gingen nicht ohne männliche Beglei-tung ins Restaurant. Nachdem der Oberkellner den Irrtumder Mädchen bedauert hatte, vertrieb er sie jedoch nicht,sondern führte sie an einen geeigneten, unauffälligen Platzund kam später ab und zu nachsehen, ob alles in Ordnungwar. Umso mehr Grund hatte Katariina, den Tänzer ab-zuweisen. Sie wollte wirklich nicht tanzen.

Aber der Finne hatte Katariina nochmals aufgefordert,sagte nach dem ersten Tanz Danke, führte Katariina an ih-ren Tisch, dann zurück auf die Tanzfläche, wollte immernoch einen und noch einen Tanz, und Katariina bekam amEnde des Stücks noch mehr Dankeschöns auf Finnisch. Kii-tos, danke, war das erste finnische Wort, das Katariina lernte.

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In Eile und leicht verschwitzt setzt sich Katariina an denTisch des wartenden Finnen und sagt, sie möchte einenKaffee mit Kognak. Der Finne ist überhaupt nicht verärgertwegen Katariinas Verspätung, aber ist er verärgert, weil Ka-tariina nur einen Augenblick Zeit hat. Als Katariina in ihrerHandtasche kramt und überlegt, wie sie es ihm höflich undfreundlich sagen soll, fallen ihr zwei wegen ihrer Öligkeit inZeitungspapier gewickelte Wasserhähne und eine Türklinkeaus der Handtasche, und die beschleunigen ihre Erklärung,nach der die Miene des Finnen verlangt: warum aus derHandtasche einer jungen Frau im Minirock Baumaterialienfallen, die der Dame während des Rendezvous Hände undKleider beschmutzen.

Katariina erzählt, sie sei unterwegs, um gegen diese Häh-ne und die Klinke Teile für ein Rohrsystem einzutauschen,die auf Katariinas Baustelle benötigt werden.

Auf Katariinas Baustelle? Ja, Katariina ist Bauleiterin. Hat-te sie das nicht erzählt, als der Finne gesagt hatte, er arbeiteauf der Baustelle des Hotels Viru? Katariina liest von derMiene des Finnen ab, dass er ihr ohne die Hähne und Tür-klinken nicht glauben würde. Katariina findet das ärgerlich,sie wirft den Kopf zurück und erklärt, sie müsse jetzt los, umden Tauschhandel abzuwickeln. Und zwar in das Restaurant,das gegenüber auf der anderen Straßenseite liegt. Der In-genieur aus der anderen Firma erwartet Katariina dort miteinem Einkaufsnetz voller Flansche. Im Übrigen habe siedieses Lokal für das Treffen mit dem Finnen nur deshalbgewählt, weil es so passend am Weg liegt. Möglicherweisekönne eine Frau in Finnland nicht als Bauleiterin arbeiten,aber in Katariinas Land gehe das.

Aber dafür gibt es hier keine Kaffeepausen, lacht der Finne.Kaffeepausen?Der Finne verspricht, von den Kaffeepausen zu erzäh-

len, wenn Katariina sich wieder hinsetzt und ihren Kognaktrinkt.

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Katariina setzt sich auf den Stuhlrand.Die Kaffeepause ist eine vorgeschriebene Viertelstunde

für das Kaffeetrinken.Das findet Katariina seltsam. Warum muss es eine vor-

geschriebene Viertelstunde für das Kaffeetrinken geben?Und warum wird samstags gearbeitet? Von der Baustelledes Hotels Viru hat Katariina schon gehört, mit dem erstengroßen Kooperationsprojekt von Estland und Finnland hatsich der Ruf der finnischen Arbeiter in der ganzen Stadtverbreitet. Es hat kein schlechtes Wort über die finnischenArbeitskräfte gegeben, mit den Männern aus dem eigenenLand dagegen würde man das Hotel wohl niemals fertig be-kommen. Angeblich tun die Finnen sofort das, was nötig ist,sie tun es gut und sorgfältig, es verschwindet kein Material,das Gebaute fällt am nächsten Tag nicht in sich zusammen,es ist, als hätten sie sieben Arme und sieben Beine, und anden Blaumännern gibt es Taschen und Schlaufen für Werk-zeug, sodass der Arbeiter nicht jedes Mal etwas holen muss.Die Finnen sind etwas ganz anderes als die langsamen undauch alltags schnapsnasigen Arbeiter ihres eigenen Landesmit ihren plumpen Wattejacken, in denen man sich nurlangsam bewegen kann.

Katariina geht nicht in das Restaurant, in dem sie denTauschhandel abwickeln sollte, sie kann die Flansche auchmorgen noch gegen die Wasserhähne eintauschen oder eineErklärung dafür finden, warum Teile fehlen.

Die Arbeitslosigkeit in Finnland ist gar nicht so hochwie behauptet, obwohl das so ein schlimmes kapitalistischesLand, ein Kapland, ist. Außerdem treibt der Finne Sport,Schwimmen und Skilaufen. Von den Feinden der gutenSozländer, den Kapländern, hätte man gar nicht geglaubt, dassdie Jugendlichen dort Spaß haben, sich frei sportlich betäti-gen können und keine Zwangsarbeit leisten müssen. Dass sieGrund haben, zu lachen und zu lächeln.

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Katariina ihrerseits muss dem Finnen versichern, dass derSchulunterricht nicht in russischer Sprache abgehalten wur-de. Ja, ja, hier gibt es Unterricht auf Estnisch, tatsächlich!Und ja, es besteht Arbeitszwang, man kann nicht arbeitslossein, es gibt gar keine Arbeitslosen. Katariina kramt aus derHandtasche ihr Arbeitsbuch hervor und zeigt es dem Fin-nen: So eines hat jeder, man bekommt es schon in der Schu-le während des ersten Praktikums, dann wird dort vermerkt,wo man arbeitet, und wenn man in die Schule zurückkehrt,wird dort vermerkt, dass man zur Schule geht. Wenn manvon der Schule ins Arbeitsleben wechselt, werden im Ar-beitsbuch der Name der Firma, die Berufsbezeichnung unddas Datum des Arbeitsbeginns eingetragen. Wenn man dieStelle verlässt, wird auch das ins Arbeitsbuch eingetragen. Inden Angaben darf es keine Lücken geben.

Von Arbeitslosengeld wiederum hat Katariina noch nieetwas gehört. Nein, so etwas gibt es nicht, nein, also wirk-lich nicht, da es ja auch keine Arbeitslosen gibt. Was der Fin-ne daran unbegreiflich finde? Unbegreiflich sei, dass man imUrlaub nach Finnland fährt und dass der Lohn am Zahltagauf ein Bankkonto geht und einem nicht in Scheinen auf dieHand geblättert wird so wie hier.

Der Finne wird allmählich interessant, und Katariinamöchte ihn vielleicht wiedersehen.

Sie beäugt den Mann. Er ist etwa gleichaltrig, korrektgekleidet, riecht sauber und auch sonst gut. Ja, Katariinamöchte ihn wiedersehen.

Also, sonst arbeitet man ständig, nur nicht in den »Kaffee-pausen«?

Und warum wird samstags nicht gearbeitet?

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IcHgEHEnuR zur Toilette.

Und mein Hüftumfang beträgt dreiundneunzig Zenti-meter.

Das rosa Maßband wiegt nur ein paar Gramm. Es passt injede Tasche, in die Handtasche, ins Portemonnaie, man kanndamit auch die Haare zusammenbinden, man kann es sichwie ein Armband um das Handgelenk oder als Ring um denFinger wickeln, man kann es herumwirbeln lassen, und eshat eine beruhigende Wirkung, wie übrigens auch Rosen-kränze.

Ich geh mir nur die Nase pudern.Mein Hüftumfang beträgt zweiundneunzig Zentime-

ter.

Verzeihung, wo ist hier die Damentoilette?Zweiundneunzig Zentimeter.

Raucht ihr ruhig eure Zigarette, ich geh inzwischen auf dieToilette.

Immer noch zweiundneunzig Zentimeter.

Liebling, vor der Toilette war eine fürchterliche Schlange, eshat unheimlich lange gedauert.

Einundneunzig Zentimeter.

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Ich mag jetzt nicht, Mutter … Ach, du gehst aus? Bist duden ganzen Abend weg? Und Papa kommt auch nicht nachHause?

Dreiundneunzig Zentimeter.

Natürlich esse ich den Teller leer, Mutter.Dreiundneunzig Zentimeter … bilde dir doch nichts ein;

wenn ich lange genug in dem Essen herumgestochert habe,geht Mutter, und ich kratze sofort alles vom Teller in denMülleimer oder in eine Plastiktüte.

Ja, genau, wir feiern Kindergeburtstag, ich muss für ein paarDutzend Gören Kekse kaufen.

Einundneunzig Zentimeter. Tausendmal wiederhole ich:Danke.

Nein danke, nicht jetzt, ich hab schon gegessen.Ich könnte später essen.Neunzig Zentimeter?

Ich verspreche ich verspreche ich verspreche, es zu essen,Liebling.

Zweiundneunzig Zentimeter.

Ich hab heute schon mehrmals gegessen.Ich hab wirklich schon mehrmals gegessen.Ich hab schon gegessen.Ich hab schon in der Schule gegessen.Ich hab schon bei Oma gegessen.Ich hab schon zu Hause gegessen.Ich hab schon bei Irene gegessen.Ich hab schon in der Schule und bei Irene und zu Hause

gegessen.Ich hab wirklich schon gegessen. Und echt genug! Na-

türlich!… ja, bestimmt. Das mag glauben, wer will.

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1971

Das zweite finnische Wort, das Katariina lernt, ist Mittwoch,weil sie das erste Treffen für Mittwoch verabredeten unddie Festlegung des Tages einige Zeit erforderte. Mithilfe desTaschenkalenders stellten sie sicher, dass sie auch wirklichdenselben Tag meinten. Kolmapäev, der dritte Tag, ist alsoMittwoch, der Tag in der Mitte der Woche.

Bald kauft Katariina ein finnisch-estnisches Konversati-onslexikon, und der Finne liest ihr bei seinem ersten Besuchlaut daraus vor. Das finnische S ist komisch, so breit undschlapp. Und das Wort älä ist unmöglich, weil es auf Estnischära heißt und älä sich wie die Sprache eines Kindes anhört,das einen Sprachfehler hat und noch kein R sprechen kann.

Zu den ersten Wörtern, die nicht im Wörterbuch stehen,gehört »Käsestrumpf«. Im Estnischen gibt es kein eigenesWort für die Strümpfe von Männern, die den ganzen Tagauf den Beinen waren. Warum kann Katariina sich nichtdaran erinnern, dass die Füße eines Landsmannes besondersstark rochen oder dass jemand sich Sorgen machte, weil erdie Strümpfe nicht gewechselt hatte? Hugo, ihr frühererFreund, hätte das doch irgendwie kommentieren müssen.Hugo besaß nicht sehr viele Paar Strümpfe. Und er hat siebestimmt nicht jeden Tag gewechselt. Kann es sein, dass dieFüße eines estnischen Mannes weniger schwitzen als die ei-nes Finnen oder dass sein Schweiß weniger stark riecht?

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IndEnBÜcHERn wird behauptet, dass meine Ohrspeicheldrüsenso stark anschwellen werden, dass ich aussehe wie ein Hams-ter.

Aber A. Hukka nennt mich Katze. Kleine Katze.In den Büchern heißt es, ich würde mich nach dem Er-

brechen unattraktiv und deprimiert fühlen.Ich aber fühle mich wunderbar beflügelt und vollkom-

men.In den Büchern heißt es, der Schmelz meiner Zähne wür-

de zerstört.Sie aber strahlen makellos in meinem Mund, schmerzen

vielleicht, das Zahnfleisch hat sich vielleicht ein wenig zu-rückgezogen, aber sonst gibt es nichts daran auszusetzen.

Sie sagen, wegen ihrer schadhaften Schneidezähne ver-meiden Bulimiker es zu lächeln.

Quatsch.Dass ich nicht lache.Vierzehn Jahre, und ich bin immer noch hier.Was sagt ihr Kurpfuscher dazu, die ihr angeblich so gut

Bescheid wisst?Was sagen Sie dazu, werte Frau Doktor Joan Gomez, Sie

behaupten ja, eine Bulimikerin könne kein Make-up tra-gen, weil das zu schrecklich aussehen würde. Was sagen Sie,Frau Doktor Gomez, wenn Sie sich mein Gesicht ansehen?

Und meine Haare, Joan Gomez, was sagen Sie zu meinenHaaren? Ich sollte doch ein kahlköpfiges KZ-Mädchen mitundefinierbaren Ausscheidungen und stinkendem Atem

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sein, zwischen dessen todesgekrümmten Hüftknochen keinLeben mehr entspringt, und auch das Herz pumpt kein Blut,sondern Kalorien. Wie direkt aus Workuta! Ich müsste einBild abgeben, wie die Künstler es vor ihrem Tod von sichselbst malen, verschwommene Gesichtszüge, tief in denHöhlen liegende Augen, Schädelknochen, die durch dieKopfhaut schimmern. Mein Mund müsste dieselben Wortesprechen, die die Schriftsteller in ihren letzten Tagen schrei-ben, meine Hand müsste eine ebenso verschwommene undschließlich auf ein so winziges Format zusammengeschnurr-te Schrift produzieren, dass sie fast nur noch eine geradeLinie bildet, wie eine Herzkurve nach dem Herzstillstand.War es nicht so, Peggy Claude-Pierre, war es nicht so, dasseine kaum zu entziffernde Winzigkeit typisch für die Hand-schrift von Anorektikern ist? Was? So sollte es also sein?

Na, dann sagen Sie mir doch mal, warum ich so strahlendund rosig aussehe? Warum mein Bauch flach und nicht ge-schwollen ist, warum er still ist und keine solchen unerfreu-lichen und peinlichen Geräusche erzeugt, vor denen Siewarnen? Warum werde ich immer zum Tanzen aufgefordert,warum können meine Liebhaber einfach nicht die Fingervon mir lassen – stinken meine Küsse denn nicht so nach Er-brochenem, dass es sie in die Flucht schlägt? Wie ist es mög-lich, dass ich bei den Aufnahmeprüfungen die besten Notenbekomme, obwohl ich während der schriftlichen Prüfungzwischendurch auf die Damentoilette gehe und mich ummich selbst kümmere, indem ich den mitgebrachten Kopen-hagener wieder erbreche? Was ist ein kleiner Schwindel, eintrockener Mund im Vergleich zu all dem? Warum sollte ichalso auf meinen wunderbaren Geliebten, meinen Schöpferund Herrn verzichten?

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1972

Katariina kann 1680 finnische Wörter.Der Finne lobt Katariinas Finnischkenntnisse.

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aufOMaSKOpf kraust eine flechtenartige, schlechte Dauerwelle, dieschwammig gewordene Wange ist dem in die weiße Kältezeigenden Dreifachfenster zugewandt, und es ist, als ließe dasFenster Omas Wange frieren. Sie wirkt weit schafporlinghaf-ter als die dem Zimmer zugewandte Wange. Meine weißenMädchenwangen müssten schon von derselben grauen Rassesein, da mein Herr vorzeitiges Altern verursacht, wie hießdas doch gleich? Ach ja, Hypogonadismus. Deshalb müsstenOma und ich gleich aussehen, denn verwandt sind wir nichtmiteinander. Diese Oma mag mich einfach so, sie wohnt im-mer noch in demselben mehrstöckigen Haus wie wir früherund ist mir seit jener Zeit bekannt. Die Oma, die mit mirverwandt ist, kann kein Verhältnis zu einer Person aufbauen,die von einer Ausländerin abstammt, wie auch sonst niemandaus der typisch finnischen Familie. Meine kleine, tapfere bal-tische Mutter war tatsächlich die erste Ausländerin, der dieMutter meines Vaters begegnete. Allerdings hatte sie Kon-takt zu Kareliern gehabt, als die nach Finnland kamen, unddeshalb begann bei ihr jeder zweite Satz damit, wie die Ka-relier dies und wie die Karelier jenes machten. Wenn Muttersich einen Kaffee nahm, sagte Oma, auch die Karelier hättenKaffee getrunken. Wenn Mutter Essen kochte, sagte Oma,auch das Essen der Karelier habe eigentümlich geschmeckt.Wenn Mutter sich schneuzte, sagte Oma, das hätten auchdie Karelier getan. Es dauerte allerdings mehrere Jahre, eheMutter begriff, warum im Zusammenhang mit ihrem Tunund Lassen immer von diesen Kareliern die Rede war.

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Vielleicht waren die Reden der mit mir verwandten Omaeigentlich ein ungeschickter Annäherungsversuch, vielleichtwar sie richtig froh, einen Gesprächsstoff gefunden zu haben,von dem sie meinte, es sei ein gemeinsamer. Vielleicht warsie sich nicht sicher, ob Mutter überhaupt ordentlich Fin-nisch verstand, da die Oma selbst nicht mal einen anderenDialekt beherrschte. Vielleicht war es so, aber die Karelierkonnte Oma nicht leiden. Wären sie bloß dort geblieben,von wo sie gekommen waren, diese Russkis. Mutter glaubtenicht an die linkisch beteuerte Gutwilligkeit von Omas Ab-sichten und kochte niemals Essen, das typisch finnisch gero-chen hätte. Jedenfalls nicht für ihre eigene Schwiegermutter.Nichts Estnisches, aber auch nichts typisch Finnisches, da-mit die Schwiegermutter ihren Sohn nicht dafür bedauernkonnte, dass seine aus dem Ausland geholte Ehefrau eine sojämmerliche Köchin war.

Die Oma, die mich mag, reicht mir einen Apfel, hier hastdu, und will etwas aus ihrer Handtasche nehmen. Ich weißschon, was. Ihre Geldbörse. Das sollte sie nicht tun, war-um tut sie das, ich will diesen Apfel nicht mehr, was sollich damit. Wenn ich Geld in Aussicht habe, was könnte ichdavon nicht alles kaufen, so manches, was ich den ganzenAbend und die Nacht hindurch erbrechen könnte, da ich imMoment keinen Pfennig dafür übrig habe. Liebe Oma, legdie Tasche weg, sei so lieb. Aber die Oma ist nicht so lieb,wie man zu mir lieb sein kann, sondern knipst mit einerHand ihr Portemonnaie auf und hält mir mit der anderenden Apfel hin, den ich nicht nehme, und Oma hebt ver-wundert den Kopf; warum ich ihn nicht nehme, er ist einschöner, blanker Apfel, und ich mag doch Äpfel, das weißOma, aber Oma weiß nicht, dass ich Äpfel nur deshalb mag,weil ich sie an einem Tag für sichere Lebensmittel ohneGefahr essen kann. Dann fragt Oma, was denn los sei, undich muss den Apfel ganz ganz schnell nehmen, aber nicht

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zu schnell, nicht verdächtig schnell, sondern so schnell, dasses für Oma aussieht, als wäre ich nur in Gedanken gewe-sen, als hätte ich den Apfel nur übersehen und als gingees nicht um irgendein Problem. Dass ich nicht unschlüssigwar, nicht nervös wegen irgendetwas, dass ich keine beängs-tigende Wahl getroffen habe, obwohl genau das der Fall war,in der kleinen Sekunde, als ich auf die Hand wartete, die dasPortemonnaie aus der Handtasche nahm. Hätte die Omamir den Apfel früher gegeben und nicht in Verbindung mitdem Kramen nach der Geldbörse, hätte ich zum Beispielsagen können, oh je, ich habe meine Verabredung vergessen,jetzt muss ich aber los, noch bevor Oma überhaupt dazu ge-kommen wäre, ihre Tasche zu suchen, und ich wäre nicht indiese Situation geraten und vor eine Entscheidung gestelltworden, sondern den ganzen Abend, also lange genug, voll-kommen entspannt gewesen, um prophezeien zu können,dass die Nacht ruhig sein würde. Aber Oma versteht so ein-fache Dinge nicht, und auch nicht, dass man mich nicht inVersuchung führen darf, indem man mir Geld gibt, wennich keins habe und weiß, wofür ich es ausgeben werde. Ichhätte schon weglaufen, mir irgendetwas ausdenken und fort-gehen müssen, aber ich bleibe sitzen und starre auf OmasHand, die einen glatten Geldschein hervorzieht und ihn mirin die Hand steckt, die ihn in meine Tasche schiebt. In derTasche spüre ich bis auf die Knochen einen heißen Bereich.Das Papier eines Geldscheins … ganz glatt. Ich möchte denApfel wegwerfen, aber das kann ich nicht vor den Augen derOma tun. Ich muss ihn in den Händen hin und her drehen,bis er Druckstellen bekommt. Und Oma möchte auch nochplaudern. Ich nicke, so als hörte ich zu. In meinen Beinenkribbelt es. Ich muss endlich los. Es ist schon wer weiß wiespät. Gleich schließen die Geschäfte. Dann ist nur noch derKiosk offen, und dort ist alles teurer. Was für einen Nutzenhätte ein großer Geldschein, wenn ich dafür nicht genugEsswaren kaufen kann. Das wäre unerträglich. Ich lasse die

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Beine baumeln, vor und zurück. Ich drücke den Apfel inder Hand. Ich weiß nicht, wohin damit. Er passt nicht in dieTasche, dort ist schon der Geldschein. Ich kann kein einzigesMal abbeißen. Ich habe schon beschlossen, was ich heuteAbend tun werde. Deshalb kann ich keinen Apfel essen.Als ich den Geldschein bekam, landete der Apfel auf derListe der verbotenen Lebensmittel. Er wurde überflüssig. Ichkann ihn heute nicht gebrauchen. Warum soll er mich alsoin meiner Hand ständig daran erinnern, dass ich nicht hättebleiben sollen, als die Hand der Oma die Geldbörse suchte?Oma bildet sich ein, mir zu helfen, da mein Konto ja nunleer ist. Dass ich jetzt alles Notwendige, Kaffee und Ziga-retten, Seife und Shampoo, solche Grundnahrungsmittelwie Brot und Butter kaufen kann, die bei anderen tagelanghalten, bei mir aber nur eine Stunde.

Ich schenke der Oma ein Lächeln, nicke, als säße ich ineiner schwingenden Schaukel, um loszukommen, um gehenzu können. Hinaus aus der Tür dort, langsam, gleichsamunbekümmert, entspannt, hinter der Ecke kann ich schonlaufen, ich kann noch wer weiß was tun. Aber die Omaspricht immer weiter und wechselt nur langsam die Stellungder Füße. Der Fußboden quietscht. Ich spiele die Ruhi-ge und Interessierte. Trinke noch eine Tasse Kaffee. Wieschaffe ich es nur, mich zu beherrschen? Ich stelle fest, dassein unterdrücktes Schlucken ein wirksames Mittel ist, sichauf etwas anderes als die Uhr und den Aufbruch und dendie Tasche erhitzenden Geldschein und dessen beruhigendeGlätte zu konzentrieren. Endlich knarrt Omas Stuhl auf eineWeise, dass ich weiß, gleich wird sie aufstehen.

Ich habe eine halbe Stunde Zeit.Ich bemühe mich, auf dem Weg zum Supermarkt nicht

zu rennen. Die Absätze allerdings machen Zeitlupenbe-wegungen wie in Stummfilmen, kreischen manchmal auf,wenn sie über die Pflastersteine von Helsinki schrappen.

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Das gleiche Geräusch erzeugten Mutters Absätze auf demKopfsteinpflaster der Altstadt, nicht in der typisch finnischenKleinstadt meiner Kindheit, wo es außerhalb des Zentrumskeine gepflasterten Wege gab … Wir hatten es eilig, in Tal-linn hatten wir es immer eilig, denn die Zeit war begrenzt,und das Erledigen auch der kleinsten Sache erforderte Ewig-keiten, deren Dauer man unmöglich voraussehen konnte,und deshalb mussten wir uns fast im Laufschritt bewegen,aber nicht zu auffällig, wir mussten ebenso rennen wie ichjetzt und die Umgebung im Auge behalten, um zu sehen,ob uns jemand folgte. Sah der Mann dort nicht genausoaus wie derjenige, der in der Kaufhausschlange hinter unsstand? Oder hat der Mann vielleicht nur einen ebensolchenMantel?, fragte Mutter, und ich war mir der Sache nichtsicher. Das ständige Beobachten war entnervend und auf-regend. Mutter fürchtete sich. Ich konnte das noch nicht.

Das war dort normal. Das ist hier normal. Mein normalerTag. Ebenso wie damals in Tallinn achte ich jetzt darauf,dass mir keine Bekannten entgegenkommen, die meineEinkaufstour behindern könnten, dass im Laden niemandzu sehen ist, mit dem ich sichere Lebensmittel einkaufenwürde und der wüsste, dass sich in meinen Einkaufswagenniemals solche Waren verirren würden. Oder jemand, dererst vor zwei Tagen gesehen hatte, wie ich für meinen Ein-personenhaushalt schon wieder mit krummem Rücken Eierin Familienpackungen und Eispakete schleppte. Gott seiDank gehört zu meinen Orgienspeisen heute auch anderesals Süßes, und das fällt weniger auf als ein Korb voller Kek-se, Schokolade und Puddings. Beinahe wäre ich gestolpert,aber ich mache nur ein paar Hüpfschritte auf einem Bein,ebenso wie Mutter dort irgendwann damals … Gegen Endedes Jahrzehnts, der Siebzigerjahre, hörte sie auch in Tallinnauf, mit hohen Absätzen durch die Stadt zu gehen. Einefinnische Frau war als Ausländerin und Finnin in Schuhenmit flachen Absätzen glaubhafter. Zu Turnschuhen ging

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Mutter jedoch nicht über, vielleicht dachte sie, sie könn-te alten Bekannten aus ihrer Studienzeit begegnen. DieRadieschencreme der Gesellschaft schenkte den Finnen ausdem Norden keine Beachtung. Die Radieschencreme, dieäußerlich die allerrötesten der roten Parteimitglieder waren!Und innerlich die weißesten Patrioten. Die hatte Mutterverraten, indem sie einen Finnen heiratete. Das war wahr-haftig zu verurteilen, auch wenn Mutter zu den wenigenihres Studienjahrs gehörte, die sich weigerten, in die Parteieinzutreten, und die nicht mitsangen: Es lebe, vom Willen derVölker gegründet, die ein’ge und mächtige Sowjetunion! Der Ver-achtung, die Mutter seitens der Radieschencreme zu spürenbekam, wollte sie jedoch durch ein so finnisches Attributwie Turnschuhe nicht noch mehr Nahrung geben. Trugendoch die Finnen auf den Tallinn-Schiffen immer Turnschu-he, die weiß vor Neuheit, aber angeblich ihre eigenen undfür den eigenen Gebrauch bestimmt waren – davon musstendie Zöllner überzeugt werden. Mit Turnschuhen an denFüßen warteten die Finnen in der Nähe ihres Hotels oderan der Eingangstür des Hotels Viru darauf, dass irgendeinSchwarzhändler kam und nach dem Preis der Schuhe fragte,und dann gingen sie die erhaltenen Rubel versaufen.

Der Wachmann des Selbstbedienungsladens steht schondraußen neben der Tür und raucht, so als wollte er schlie-ßen. Ich weiß, dass noch Zeit ist, aber ich spüre den Schre-cken bis in die Herzgrube. Was, wenn ich es nicht geschaffthätte? Ich schlüpfe hinein. Meine Atemlosigkeit höre ichim Kopf als ein Rauschen, aber jetzt ist ja alles gut, ich binschon drin. Niemand wird mich hinauswerfen, bevor ichmeine Einkäufe getätigt habe. Ich nehme einen Wagen. Alsich an der Obsttheke vorbeigehe, verlangsamt sich meinSchritt, aber ich bleibe nicht davor stehen wie an den Tagensicherer Lebensmittel, sondern gehe direkt zu dem damp-fenden Brot. Das ist das Wichtigste. Frisches Brot, gerade

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gebacken, dessen Dampf in der Plastiktüte kondensiert. Dieberauschend warmen Flanken des Brotes. Darauf gehört or-dentlich dick Butter, die zu flüssigem Gold schmilzt. Kurzvor Ladenschluss gibt es kein dampfendes Brot, aber ausmeinem Kopf lasse ich den schwindelerregenden Brotdampfnicht verdunsten, noch gibt es im Regal den ein oder ande-ren Laib, dessen Frische meinen Finger ganz aufsaugt, als ichihn leicht hineindrücke. Und ich kann das Brot ja zu Hausekurz in den Ofen schieben, um in den Genuss des Dampfesund des Schmelzens der Butter zu kommen.

Bis zur letzten Minute wandere ich weiter an den Re-galen entlang. Im Lebensmittelgeschäft verbringe ich immerviel Zeit. Ich prüfe neue Produkte. Genieße das. Studieredie Angaben zu den Inhaltsstoffen. Nur will mein Geldnicht für alles reichen. Die neue Hermesetas-Süßstoff-Dosemuss ich unter der Tasche im Einkaufswagen vergessen. Da-hin schiebe ich auch noch die sonnengetrockneten Tomaten,oder eigentlich kullert die Dose von selbst dorthin. Himmel,wie bin ich doch gut darin! Egal, welcher Aufpasser da steht.Der prüfende Blick. Und die Kasse ist der Zoll. Mit demUnterschied, dass die Kassiererin des Selbstbedienungsladenslächelt und entgegen der sowjetischen Etikette grüßt.

Die Liste der verbotenen Waren auf dem Zollformular bliebjahrein, jahraus unverändert. Nein, keine Waffen oder Ge-schosse, keine Antiquitäten, keine Drogen und keine Ge-rätschaften zu deren Anwendung, keine sowjetischen Lose.Jeden Punkt müssen wir einzeln durchgehen und bei jedem»keine« hinschreiben. Außerdem ist mir bekannt, dass außerden in der Zolldeklaration erwähnten Gegenständen zu verzollendeWaren sind: Druckerzeugnisse, Manuskripte, Filme, Schallplattenund Tonbänder, Briefmarken, Erzeugnisse der darstellenden Kunstund dgl., ebenso Pflanzen, Früchte, Samen, lebende Tiere undVögel sowie rohe Fleischprodukte und Wild. Und wir führen aufder Reise keine Waren zu einem anderen als dem eigenen

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Bedarf mit. In eigenen Zeilen sind Edelmetalle und Edel-steine anzugeben. Mutter trug jedes Jahr denselben Trauringund dieselben Ohrringe ein, jedes Mal zeigte sie sie demZöllner … hier ist mein Trauring … Hier sind meine Ohr-ringe … Hier ist meine Barschaft … Vor dem nächsten Zoll-mann öffnen wir die Kaffeepackungen und die Zahnpas-tatuben, ein Mann ist dumm genug zu versuchen, Bibelneinzuschmuggeln … Jedes Mal wird bei der Durchleuch-tung meiner Tasche meine Reiselektüre in Form von grauenStreifen sichtbar. Manchmal wird geprüft, was für Bücherdas sind, manchmal nicht. Aber der Bibelmann ist so blöd,dass er sich einbildet, er könne den Zoll übertölpeln, indemer die Bibeln in Folie packt, dabei ist die bei der Durch-leuchtung noch besser zu sehen. Ein Dummkopf. Einen sol-chen Fehler würde ich nicht machen. Während Mutter dieZolldeklarationen kritisiert und ihre Taschen in die Durch-leuchtung schiebt, beobachte ich das Treiben der Zöllnerneben uns und die Taschen der anderen Reisenden. Mehr alseinmal hat jemand meiner Mutter vorgeschlagen, ich könnedoch in meiner Tasche dies und jenes transportieren, daskleine Mädchen werde doch von niemandem verdächtigt,niemand werde die kleine Tasche eines kleinen Mädchenskontrollieren, in der sich eine Blockflöte und Fluortablettenbefinden, da könnte man doch sonst was drin unterbringen.Aber Mutter willigt nicht ein.

Beim ersten Mal schiebe ich in meine Sporttasche raschnoch ein Spielzeug, einen roten Plastikhasen. Mutter hatunzählige Male gemahnt, dass nichts mitkommt, was nichtganz dringend benötigt wird – die Taschen seien auch soschon schwer genug. Nur solche Dinge, die nach demGrenzübertritt als Valuta taugen. Für ein Kunststoffhäschengilt das sicherlich nicht, obwohl ich es unheimlich gernhabe, und es auf die Reise mitzunehmen erfordert also eini-ge Schläue und kleine Schliche sowie unschuldige Blicke.Auf dem Rückweg nach Finnland schiebe ich mir ein im

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vorigen Jahrhundert gedrucktes baptistisches Gebetbuchunter das Hemd, das ich bei Großmutter auf dem Bodengefunden habe … ich muss das hinkriegen, ich muss dasschaffen … Und ich lächle dasselbe Lächeln, mein sich nachinnen ausbreitendes und schlaues, nach außen unschuldiges,mit dem Erwischtwerden Versteck spielendes Lächeln. EinKopf rollt immer, aber es darf nicht der Kopf von Annaoder von Annas Mutter sein. Das Lächeln ist dasselbe wiedann, wenn ich mich nach dem Erbrechen wieder unter dieMenschen mische, nur ist es dann ein wenig matter, abersonst dasselbe … Es tänzelt innen und sagt ätsch!

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Katariina fährt mit zur alljährlichen Überprüfung derSchreibmaschinen ihrer Firma, damit der Transport nachPlan verläuft und dieselben Schreibmaschinen auch zurück-kehren. Im Prüfamt wird die Anschlagspur eines jeden Ty-penhebels geprüft und registriert, damit die Behörden beimöglichen Straftaten – politischen oder sonstigen – wissen,wo die Schreibmaschine zu finden ist, mit der dieses oderjenes Pamphlet oder was auch immer geschrieben wordenist. Katariinas Onkel hat zwar eine Schreibmaschine aus derVorkriegszeit, die man ihm nicht abgenommen hat, denner tippt seine Briefe. Ansonsten aber haben Privatpersonenkeine Schreibmaschinen. Wozu auch? Alles, was mit Ma-schine geschrieben werden muss, kann man bequem am Ar-beitsplatz schreiben.

Katariina denkt an den Finnen. Der Finne hat telegrafiert,dass er in drei Tagen aus Finnland eintrifft. Ob auch in Finn-land die Schreibmaschinen alljährlich überprüft werden? Dasmuss sie ihn fragen.

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JEdEnSOMMER,wEnn wir längere Zeit bei Mutters Mutter verbrachten,futterte Mutter sich mehrere Kilo an. Auf Arbeits- und Dol-metscherreisen bestand dafür keine Möglichkeit, vor lauterSprechen und Dolmetschen schaffte sie es niemals, ihrenTeller leer zu essen, aber auf anderen Reisen, auf kurzenund längeren, bekleidete Mutter sich reichlich mit Essenund legte es, nach Finnland zurückgekehrt, Kilo für Kilowieder ab, bis sie fünfzig Kilo wog so wie zuvor und so wieich jetzt.

Wir sind genau gleich groß, Mutter und ich, wir habendieselbe Statur, dieselbe Kleidergröße, dieselben schmalenSchultern, dieselben Vogelhandgelenke und dieselbe Schuh-größe vierzig. Dieselbe Körbchengröße und denselbenKopfumfang. Vierzehn Jahre lang habe ich mich um diefünfzig Kilo herum bewegt, und ich kehre immer wiederdahin zurück, ich kehre dahin zurück, obwohl ich es nichtmöchte, ich kehre dahin zurück, auch wenn ich mich garnicht darum bemühe, mein Gewicht kehrt immer auf das-selbe Niveau zurück. Vor vierzehn Jahren war ich zu meinervollen Größe herangewachsen, und Mutter und ich hättendieselben Kleider tragen können, wenn unser Geschmacknicht so gegensätzlich gewesen wäre. Wir aßen nicht das-selbe Essen; auch wenn Mutter lernte, finnische Gerichtezu essen, hat sie mich niemals dazu gezwungen. Ich warmit dem Essen auch sonst so wählerisch, dass Mutter nachmeinen Wünschen kochte. Immer schob sie mir Dessertsund Schokoladentafeln zu, in Finnland deshalb, weil es so

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wenig davon gab, in Estland aus demselben Grund, aberauch, weil ich für den typisch finnischen Winter auf Vorratschlemmen sollte. Den finnischen Kakao lehnte ich ab, unddeshalb schickte Großmutter aus Estland Kakao und Scho-koladenpralinen in einem Paket, das in braunes Packpapiergewickelt war.

Aus finanziellen Gründen konnte Mutter mir in Finn-land nicht so viel Schokolade und Runebergtorte kaufen,wie mein endlos nach Süßem verlangender Magen gefassthätte, aber dort, wo sie es konnte, wollte sie mir alles geben.Außerdem litt Mutter nicht an chronischem Hunger nachSüßem, sondern aß lieber etwas Salziges und anderes Est-nisches, das sie in ihrem Körper für Finnland einlagerte. Ichbekam alles Süße, einfach alles. Ganze Pralinenpackungen …für mich … ganze Bleche voll von diesem und jenem … fürmich … kiloweise Bonbons Kekspackungen Torten Baisersfür mich, ganz allein für mich; wie hätte ich da irgendeinMaßhalten lernen sollen?

Ich habe wohl kein einziges Mal eine einzelne Bananeoder Apfelsine gekauft. Es musste immer mindestens ein Kilosein. Der Inhalt meines Einkaufswagens sieht auch heute auswie der Wochenendbedarf einer Großfamilie. Oder so, alswollte ich mit meiner Familie für eine Woche ins Sommer-haus auf eine Insel fahren und niemand wollte während die-ser Woche die Insel auch nur ein einziges Mal verlassen. Ichbin außerstande, eine Handvoll Salmiakpastillen zu kaufen,es muss ein Sackvoll sein. Oder gar nichts. Ich koche zweiLiter Sauerkrautsuppe für einen Tag und esse sie auch be-stimmt im Verlauf des Tages auf. Ebenso Tomatensuppe. Ichkann diese zwei Liter nicht auf zwei, drei Tage verteilenund nicht einmal auf mehrere Mahlzeiten an einem Tag,sondern ich muss sie auf ein Mal aufessen. Oder ich essegar nichts. Ich kann nicht nur Wimperntusche auftragen,ich muss mir die Augen vollständig schminken. Ich kannnicht nur eine einzige Zigarette paffen, sondern will Kette

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rauchen. Ich kann mich nicht mit der angemessenen MengeParfum besprühen, sondern es muss so viel sein, dass es bisin den Hausflur zu riechen ist. Ich kann nicht einmal eineViertelstunde telefonieren, sondern es müssen fünf Stundenoder fünf Sekunden sein.

Ich bringe es nicht fertig, mit Fett zu knausern; der Trop-fen tötet, und im Eimer ertrinkt man. Wenn man ein Fassaufmacht, dann richtig. Brot natürlich, Käse vom Fettesten,Orangenmarmelade, Haferkekse, Schokoladenkekse, Scho-koladentafeln, Pizzas, karelische Piroggen, Ambrosia-Torte,eingefrorene Franzbrötchen, Mango-Melone-Eis … DenBackofen an, Kaffee in den Filter, die Butter auf den Tisch,damit sie nicht zu hart ist … Butter muss es sein, richtige,bei den Fressflashs immer nur richtige Butter … Musik an,Telefone aus, und die Orgie kann beginnen. Am liebstenbeginne ich mit Eis. Ich hab schon gelernt, dass man nichtmit Brot anfangen kann, wenn man zu viele Tage nichtsgegessen hat. Nach dem Fasten bekommt man das Brotnämlich nicht heraus, selbst wenn man sich die ganze Faustin den Hals steckt. Eis ist das beste Gleitmittel, es lässt denSpeisebrei perfekt aus dem Magen herausflutschen, unddann ist alles nur noch ein Tanz. Außerdem eignet sich Eisauch für saubere schnelle Fressflashs – frisch erbrochenes Eisschmeckt und duftet immer noch nach demselben Eis. Einandermal geht es nach dem Eis mit Brot und Butter weiter,ohne Getränk, weil das Trinken zusammen mit dem Brotdas Erbrechen erschwert, obwohl man meinen würde, dasses genau umgekehrt ist … tralalalalala … padapampampaa …wunderbar … eins zwei drei Brot, eins zwei drei Käse …die Pizzas sind schon im Ofen bereit … also die Pizza undeins zwei drei – in den Mund und in den Mund und in denMund und die Hefeteilchen in den Ofen …

Wie also hätte ich jemals irgendein Maß in meinenmenschlichen Beziehungen erreichen können, in meinemVerhältnis zu Hukka, in der Nähe, im Bett, anderswo. Ich

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kann ins Bett gehen, ohne zu lieben, und lieben, ohne insBett zu gehen, aber nicht lieben und ins Bett gehen. Undauch mögen kann ich nur zu sehr, daran ist nichts Aufregen-des oder Romantisches, und darum wohl habe ich es gewählt,damit kein Gefühl aufkommt, damit kein einziges Gefühldie Oberfläche verletzt und damit vor allem ich selbst be-stimme, ob ich jetzt sofort zwei Liter Sauerkrautsuppe esse,denn das hat nichts mit Hunger zu tun oder damit, wann ichzuletzt gegessen habe, ich weiß ja nicht einmal, wann ichHunger habe und wann nicht. Ich bestimme, ob ich zweiKilo Schokolade jetzt oder nie erbreche, ob ich mich mitdiesem Typ jetzt oder nie heftig küsse. Aber ich weiß nicht,ob ich küssen will oder nicht, ich habe niemals einen ver-dorbenen Magen mit unbeherrschbarer Neigung zum Er-brechen gehabt – das ist immer meine eigene Entscheidunggewesen. Wenn ich beschließe zu küssen, dann küsse ich.Wenn ich beschließe zu essen, dann esse ich. Wenn ich be-schließe zu erbrechen, dann erbreche ich.

Bei einem Fressflash vertilge ich auch die Speisen, die aufHukka warten. Manchmal kann die Orgie mit ihnen be-ginnen; wenn ich mit Hukka Streit habe, räche ich mich,indem ich die für Hukka bestimmten Speisen aufesse undsie erbreche. Hukka findet das lustig, weil es so verdreht ist,aber für mich ist nichts richtiger, nichts unvermeidlicher. Ichräche mich an Hukka auf dem Umweg über das, was Hukkadas Teuerste ist, also über mich. Ganz einfach. Ich habe zumBeispiel die Geburtstagstorte erbrochen, die ich für Hukkagemacht und die ich schon zu Hukka gebracht und dort inden Kühlschrank gestellt hatte. Aber dann hatten wir kleineMeinungsverschiedenheiten, und als Hukka ins Badezim-mer ging, machte ich mich mit der Torte aus dem Staub undging nach Hause. Eine Stunde später erschienen die Gäs-te, denen Hukka die Torte einer Meisterbäckerin wie mirschon angekündigt hatte. Ich weiß nicht, was Hukka sich alsErklärung hat einfallen lassen.

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Wenn Hukka mich kränkt, braucht Hukka meine Tor-te nicht. Wenn Hukka meine Torte kränkt, braucht Huk-ka mich nicht. Entweder will Hukka uns alle beide, oderHukka bekommt keines von beiden, und das würde Huk-ka doppelt ärgern, denn die besten Torten mache ich fürHukka. Und meine Mutter machte die besten für mich, fürihr Wichtigstes. Und ihre Mutter für sie. Damit Mutter vonihrer Mutter zubereitete Speisen bekam, mussten wir na-türlich nach Estland fahren, und dort bei Großmutter kamdann vom Herd und aus dem Ofen in regelmäßigen Ab-ständen alles nur mögliche Gute auf den Tisch. Großmutterwar so krank, dass sie nicht nach Tallinn fahren konnte, umuns zu treffen, obwohl unsere Einladung ausschließlich fürTallinn galt und für keinen anderen Ort. Wir mussten unsheimlich aus den Grenzen Tallinns davonstehlen, aufs Land.Im Ausland ansässige Personen konnten damals – abge-sehen von Touristenreisen, die nur ein paar Tage dauertenund vor allem Moskau, Leningrad, Riga und Tallinn sowieWyborg zum Ziel hatten – nur mit Einladung in die So-wjetunion kommen. Dann war auch ein längerer Aufenthaltmöglich. Ob ein Antrag auf Einladung zu einem Besuchpositiv beschieden würde, war unsicher und von vielerleiEinzelheiten abhängig, die den Antragstellern unbekanntwaren. Außerdem durften nur nahe Verwandte den Antragstellen, und als solche galten Geschwister, Eltern und Kin-der. Die Einladungspraxis betraf also im Ausland lebendeBlutsverwandte. Später wurde das Reisen leichter, und auchBekannte wurden in den Kreis der potenziellen Empfängereines Auslandsvisums aufgenommen.

Aufregend waren die Reisen immer. Am besten erinnereich mich an die Jahre, als wir zuerst in Tallinn bei Juuli, ei-ner alten Bekannten von Mutter, übernachteten. Nach demWecken ging Mutter zum Taxistand und stellte sich in dieSchlange. Dort konnte wer weiß wie viel Zeit vergehen,

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die Taxischlangen kamen einem immer endlos vor. End-lich ertönte das Hupen des Taxis auf dem Hof, und dannmachten wir uns daran, die Taschen ins Auto zu tragen.Wenn der Taxifahrer begriff, dass es sich um eine lohnendeTour handelte, half er uns beim Tragen in der Hoffnungauf ein Trinkgeld und auf ausländische Kontakte. Das wardie Ausnahme. Normalerweise öffneten die Taxifahrer ihrenKunden nicht die Türen, obwohl die manchmal von außenund von innen hartnäckig klemmten, und niemals hobendie Fahrer Taschen hinein und öffneten erst recht nicht denKofferraum. Das veranlasste Mutter, den Fahrer zu ver-wünschen und zu beschimpfen, was jedoch nie irgendeinenErfolg, allerdings auch keinerlei Nachteil hatte. Der Fahrerrührte sich nicht. Als die privaten Taxis aufkamen, mussteman vor dem Einsteigen immer daran denken zu fragen,ob das Taxi bereit war, auch dorthin zu fahren, wo manhinwollte. Das war nämlich keineswegs sicher. Durch dasFragen schonte man seine Nerven und seine Beine. Ein-facher war es freilich, finnisch zu sprechen. Dann klapptealles, auch wenn der Fahrer nichts anderes verstanden hatte,als dass es sich bei der Kundin um eine Ausländerin handelte.Saß man erst einmal im Auto, konnte man zum Russischenübergehen, um sicherzustellen, dass man auch ans Ziel kam.

Züge und Linienbusse waren als Alternative schon alleinwegen des Gepäcks ausgeschlossen, denn wir mussten allesNotwendige in Tallinn einkaufen. Auf dem Land konntenwir uns nicht nach Lust und Laune bewegen, und die Be-schaffung von Waren war dort schwieriger. Die Züge wärenauch zu öffentlich gewesen, dort gab es zu viele Menschen,zu viele Diebe, zu viel Aufmerksamkeit.

Natürlich war es auch zu auffällig, mit dem Taxi anzukom-men, als dass es eine gute Alternative hätte sein können,Taxis aus Tallinn waren kaum auf dem Lande unterwegs,nur Kolchosautos, aber es war die einzige Alternative. Nurwenige Bekannte besaßen ein Auto, und Mutter vertraute

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auch diesen wenigen nicht in dem Maße, dass sie sie gebetenhätte, uns aufs Land zu bringen. Keine Bestechung hätte aus-gereicht – immer hätten diese Bekannten noch etwas mehrverlangt. Außerdem war es vollkommen unnötig, dass auchnur eine einzige Person unseren genauen Aufenthaltsortkannte. Am sichersten und einfachsten war es also, ein Taxizu nehmen und dem Fahrer ein ordentliches Trinkgeld zugeben, das heißt, das Doppelte des Fahrpreises. Dann half er,Taschen und Tüten auszuladen und auf dem Hof der Groß-mutter zu einem Stapel aufzuschichten, und versprach, unsam vereinbarten Tag wieder zurück nach Tallinn zu bringen,und er forderte Mutter auf, auch später in jeder beliebigenAngelegenheit einfach Kontakt zu ihm aufzunehmen. DieBegeisterung über diesen Westkontakt war seiner Miene an-zusehen.

Das war Annas ureigene Welt.Annas Welt ist die, in der Annas Mutter glücklich ist.An den Orten der Glückseligkeit tragen alle Frauen Rö-

cke. Deshalb vertauscht Anna die Hosen gegen Rock oderKleid, sobald sie aus der Schule nach Hause kommt. Weil siesich im Rock wohler fühlt. In den Achtzigerjahren tragendie finnischen Frauen keine Röcke, auch nicht die Mädchenin der Schule, und deshalb muss Anna sich auch in Finnlandals Finnin verkleiden, sich einfügen, indem sie Jeans anzieht,obwohl sie es in Wirklichkeit nicht möchte. Einmal ziehtAnna ihr Hauskleid an, als sie in den Kindergarten geht, unddie Tante fragt sofort, ob Anna Geburtstag habe, weil sie sohübsch angezogen sei.

Auch an den Orten der Glückseligkeit soll Anna inder Öffentlichkeit Hosen tragen, aber aus einem anderenGrund, nämlich um sich zu unterscheiden, um als Auslän-derin zu gelten. Ein Kleid ist nur dann angebracht, wennes in genügendem Maße wie Importware aussieht. So etwasist der Jeansrock. Aber zu kurz und zu schmal darf er nichtsein, weil die einheimischen Mädchen diese Modelle bevor-

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zugen. Und ein solches Modell würde Anna lieber tragen,es ist so unglaublich schön, aber in der Öffentlichkeit ist daserst fünfzehn Jahre später möglich, als die estnischen Teenie-Mädchen zu ebensolchen Hüfthosen mit Stretch überge-gangen sind wie ihre Altersgenossinnen in Helsinki und derOrt der Glückseligkeit, Annas ureigene Welt, nur noch inder Erinnerung besteht.

Das ist nicht fair. Dass man öffentlich nirgendwo einenRock tragen darf, obwohl Anna sich darin wohlfühlt. Dasgefällt ihr überhaupt nicht.

Auch die Mutter verzichtet in Finnland auf Röcke, nach-dem sie bemerkt hat, wie die Kinder ihre Röcke anstarrtenund die Mütter ihren Kindern erklären mussten, was es mitso einem seltsamen Stück Stoff auf sich habe. Auch an denOrten der Glückseligkeit kann die Mutter nicht öffentlicheinen Rock tragen, weil auch sie wie eine Ausländerin aus-sehen muss.

Einen Rock trägt man dort, wo man sich gut und leichtfühlt, wo man am allerliebsten ist … Wo es Kopfstein-pflaster, Sonne und Gelächter gibt trotz des Fluchens undder Schlangen. Reifende Kirschen und Fliederwälder. Ver-fallende Gutshöfe und Windmühlen, Schilfdächer mit Moosdarauf, verbeulte Aluminiumtöpfe auf Pfannenuntersetzern,die nach Wacholder duften, und vom Wetter grau gegerbteMilchbühnen am Ende von Eschenalleen.

Mutter, Mutter, lass uns zurückgehen.

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Katariina gibt zu, dass sie Weihnachten in der Kirche war.Die Stille, die von diesem Satz erzeugt wird, ist angefüllt mitBlicken, alle auf sie gerichtet. Wie kann sie es wagen. Wiekann sie es auch nur wollen. Heute ist der erste Weihnachts-tag, und bei der Arbeit geht es vielleicht etwas leichtfüßigerzu, aber sonst ist es genauso wie an anderen Arbeitstagen.Jemand hat die Idee, dass Katariina nur einen Witz erzählthat, und fängt an zu lachen, und alle stimmen schnell ein,um den ersten Lacher einzuholen, um nicht dümmer zuwirken und um sicherzugehen, dass die anderen wissen, wiekomisch und prachtvoll sie Katariinas Witz finden.

Der Finne ist zu Weihnachten nach Finnland gefahren.Auch Katariina wäre gern zu ihren Eltern gefahren, kannes aber nicht, weil sie sowohl am Heiligabend, am erstenund auch am zweiten Weihnachtstag arbeiten muss, undBusse und Züge fahren nicht so häufig, dass sie es nachTallinn zurück schaffen würde. Wie soll man Weihnachtenfeiern, wenn man genauso wie an gewöhnlichen Tagen amArbeitsplatz und in der Schule sein muss? Und so sind dieWeihnachtstage denn auch gewöhnliche Tage. An die Stelleder alten Feiertage sind neue getreten, an ganz anderen Ta-gen und aus völlig anderen Gründen. Katariina möchte ihrWeihnachten zurückhaben. Katariina möchte ein Recht aufWeihnachten haben. Auf die neuen Nachthemden, die manzu Weihnachten bekommt, und auf die Weihnachtslieder.Auf einen Weihnachtsbaum, Kerzen und darauf, dass manzu Hause sein darf.

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wEnnIcHaLLEIn bei mir zu Hause in Helsinki bin, suche ich das est-nische Fernsehen und lasse es laufen, auch wenn kein Bildzu sehen ist, der Ton genügt mir. Wenn Hukka bei mir ist,mache ich das natürlich nicht, ich müsste dann begründen,warum ich ETV an habe, und dazu möchte ich Hukkanichts erklären und keine Fragen beantworten, auch wennich es könnte.

Mutter hat mit mir kein Wort Estnisch gesprochen, nichteinmal aus Versehen. Kein einziges Wort an mich rutschtihr heraus, auch wenn sie sonst manchmal finnisch und est-nisch durcheinander spricht. Wenn sie mit anderen estnischspricht oder die Leute ringsum estnisch sprechen, unter-bricht sie deren Redefluss, stoppt das ganze Gespräch undfragt mich immer ausdrücklich, ob ich verstanden habe,sie fragt mich jahraus, jahrein und immer von Neuem, ob-wohl Estnisch meine zweite Muttersprache ist und ich sietrotz des Widerstands meiner Mutter gelernt habe, von al-lein, ich hatte mir die sterbende Sprache angeeignet undwar nicht bereit, darauf zu verzichten, obwohl Mutter mir,wenn wir nach Finnland kamen, für jedes estnische Worteine tadelnde Kopfnuss gab oder mir das Haar zauste, wennes niemand sah. Mä kyllä tahaksin. Ein Schlag. Pianoläksytoskasin hyvin. Ein Klaps. Syön yhden õunan. Eine Ohrfeige.Am schwierigsten ist es unmittelbar nach den Estlandreisen,wenn ich in der estnischen Sprache gelebt und sie so langegehört habe. Ich beginne, bewusst zu sprechen, denke zu-erst nach und äußere mich dann. Schließlich höre ich ganz

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auf, in Estland estnisch zu sprechen, dazu braucht es nichtviele Jahre, und so höre ich auf, die Sprachen zu vermischen.Aber manchmal denke ich auf Estnisch, und ich höre nichtauf, Estnisch zu verstehen, was Mutter mir nicht glaubt. AlsMutter zehn Jahre lang von mir kein Wort Estnisch gehörthat, bespricht sie die Dinge mit den Esten auf Estnisch undanschließend mit mir auf Finnisch, und wenn es um Dingegeht, die nicht für meine Ohren bestimmt sind, lässt sie dieÜbersetzung ins Finnische weg und bildet sich ein, ich hättenichts verstanden. Ich lasse sie in dem Glauben und stellemich dumm, und so bekomme ich viele lustige Geschichtenzu hören, über mich und andere.

Wenn in Estland Gäste kommen und ich schweige, weilich nicht estnisch sprechen darf und es scheußlich finde,finnisch zu sprechen, wenn es nun einmal so ist, dass nurMutter das versteht, wird Mutter gefragt, ob ich Estnischspreche. Manchmal fragen die Leute auch mich selbst, aberMutter antwortet für mich: Nein. Sie erklärt das mit derVermischung der Sprachen und mit ihrer Ähnlichkeit. Dasses in Finnland so schrecklich sei, wenn ich im Sandkastenetwas auf Estnisch sage. Dass sie ihr Kind nicht als russischbrandmarken wolle, das in Finnland immer als Ryssä be-schimpft würde, selbst wenn man es zusammen mit demWeihnachtsschinken briete und mit Senf aus Turku servier-te. In Finnland empfehle es sich nicht, mit seiner estnischenHerkunft zu prahlen. Und dann erzählt sie, was geschah,nachdem wir ein ganzes Jahr in Tallinn verbracht hatten.Obwohl ich in Tallinn mit Mutter nur finnisch gesprochenhatte, vergaß ich nach unserer Heimkehr in Finnland dasFinnische vollkommen. Als wir durch den finnischen Zolldurch waren, fing ich an, estnisch zu sprechen. Eine solcheSituation würde Mutter kein zweites Mal zulassen.

Mutters Tante sagt geradeheraus, dass ihr Mutters Sprach-politik nicht behagte, aber die anderen lächeln nur, obwohlsie befremdet dreinschauen und nicht verstehen, warum

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Mutter ihr Kind in Finnland nicht als Estin brandmarkenwill. Die anderen verlieren kein böses Wort, weil sie ihrenausländischen Kontakt nicht gefährden wollen. Aber nie-mand glaubt es, als Mutter erzählt, dass der Finne den Estenfür einen Russen hält, für einen Russen unter Russen. Da-mit hat Mutter freilich recht. Für die Finnen waren die EstenRussen. Lange Zeit. Ein großer Teil der finnischen Schülerhörte von der Existenz der Esten erst zu dem Zeitpunkt, alsin der Schule die mit den Finnen verwandten Völker auf-gezählt wurden. Dann staunten sie und johlten, dass fünf-undachtzig Kilometer von Helsinki entfernt ein Volk lebte,von dem sie nichts gewusst hatten. Natürlich fuhren dielinksgerichteten Familien mit ihren Kindern nach Tallinn,Sotschi und Leningrad, aber für die anderen hätten dieseStädte sich ebenso gut am Meeresgrund oder im Inneren desMondes befinden können.

Wenn in Finnland zufällig jemand von meinen estnischenWurzeln erfuhr, kam immer als Erstes die Frage, ob ichRussisch könne, ob ich als Kind mit russischen Kindern ge-spielt habe und was für Spiele wir spielten. Was hat das, umalles in der Welt, mit meiner estnischen Herkunft zu tun?Warum fragte niemand, ob ich mit Esten gespielt habe? Ichdenke doch auch nicht, dass jeder Finne Sámi oder Schwe-disch sprechen kann. Diese Fragen waren unbegreiflich;als jemand, der nach den Estlandreisen halbwegs Estnischsprach, war ich doch in Estland ein noch bunterer Vogel alsin Finnland. Und warum hätte ich mit russischen Kindernspielen sollen, wenn unsere Verwandten und BekanntenEsten waren? Niemand aus unserer Familie sprach russischoder brachte irgendwohin russische Bekannte mit, dennes gab keine. Es wäre vollkommen abartig gewesen, wennMutter in Estland zu Hause russisch gesprochen hätte, odersonst jemand von den Menschen, die ich kannte. Außerdemhätte Mutter mir niemals Russisch beigebracht oder michauch nur Russisch lernen lassen, noch weniger als Estnisch,

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obwohl sie es nicht vermocht hat, mich vor spassiba, pashá-lujsta, charaschó und nitschewó zu schützen. Ládna …

Allerdings fragten in Estland aus irgendeinem Grundauch die Russen, mit denen wir zu tun hatten, Behörden-vertreter oder Taxifahrer, Mutter immer gleich als Erstes,wenn sie mich sahen, ob ich Russisch spreche. Zwar fragtensie manchmal auch, ob ich Estnisch spreche, aber das wareine Art Nebenbemerkung, keine richtige Frage wie dienach meinen Russischkenntnissen. Mutter wurde jedes Malböse. Auf dem Rücksitz des gelben Wolga. Auf den grünenPlüschstühlen bei der Registrierung der Pässe. Auf den mitrotem Kunststoff bezogenen Stühlen im Wartezimmer. Un-ter dem Bild einer führenden Persönlichkeit der Partei. IhrÄrger war offenkundig, obwohl sie nur mit einem einzigenverneinenden, an den Milizionär oder den Taxifahrer ge-richteten Wort antwortete, deren Gesichter das Lächeln desVaters aller Völker lächelten.

Die Angehörigen finnischer roter Familien dagegenkonnten nicht begreifen, wieso ich nicht Russisch sprach.Die Begeisterung auf ihren Gesichtern, wenn sie erfuhren,dass Mutter Estin war! Ja, der Fanatismus. Jetzt, mehr alszehn Jahre später, wird mir klar, dass sie annahmen, Mutterund ich teilten die offiziellen politischen Auffassungen So-wjet-Estlands, daher all die befremdlichen Fragen und dererstaunliche Eifer. Sie konnten sich nicht vorstellen, dassSowjet-Estland für uns nicht Teil des ersten sozialistischenStaates der Welt war, ein Beispiel, dem die ganze Welt fol-gen sollte. Dass die im Radio zu hörenden Hurra-Rufebeim Anschluss Estlands an die Sowjetunion nur so langedauerten, bis das Zeichen gegeben wurde, sie zu beenden,dass die Beifallrufe nicht spontan waren, sondern in einemDrehbuch genau festgelegt und nach diesem Drehbuch aus-gebracht worden waren. Dass alle Freude und alles Gute inder Sowjetunion genau diesem Schema folgten.

Sie verstanden nicht, dass meine kleine, tapfere baltische

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Sofi Oksanen

Stalins KüheRoman

Taschenbuch, Broschur, 496 Seiten, 11,8 x 18,7 cmISBN: 978-3-442-74364-3

btb

Erscheinungstermin: Februar 2014

Der erste Roman der finnischen Bestsellerautorin – erstmals im Taschenbuch! Anna hat alles im Griff. Sie dient einer »Herrin«, der Bulimie, denn es gibt nichts Wichtigeres fürsie, als einen vollkommenen Körper zu besitzen und unangreifbar zu sein. Annas Eltern trennensich, als ihre Mutter Katariina herausfindet, dass ihr Mann sie betrügt. Sie, die Estin, verleugnetihre Herkunft, weil sie weiß, welch schlechtes Ansehen Estinnen in Finnland haben – sie geltenals russische Huren, die es geschafft haben, durch Heirat nach Finnland zu entkommen. AusAngst, dass ihrer Tochter die gleiche Verachtung zuteil wird wie ihr, darf diese die Sprachenicht lernen und keinem sagen, woher die Mutter stammt. Während Anna lernen muss, dass siewirklich krank ist, erfährt der Leser die Hintergründe der Familiengeschichte, Ursache für AnnasLeiden, die bis in die Zeit der Besetzung Estlands nach dem Zweiten Weltkrieg zurückreicht.