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Sonderdruck aus: Aus Kirche und Reich Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter Festschrift für FRIEDRICH KEMPF zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag und fünfzigjährigen Doktorjubiläum Herausgegeben von Hubert Mordek T Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1983

Aus Kirche und Reich · 1 W. WATrENBACH, Das Schriftwesen im Mittelalter (1896) S. 9. 2 Die communis opinio vermitteln E. SECKEL, in seinem Artikel »Pseudoisidor« (Realencyklopädie

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Sonderdruck aus:

Aus Kirche und Reich Studien zu Theologie,

Politik und Recht im Mittelalter

Festschrift für FRIEDRICH KEMPF

zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag

und fünfzigjährigen

Doktorjubiläum

Herausgegeben von Hubert Mordek

T Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen

1983

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Kritischer Sinn und unkritische Haltung Vorgratianische Einwände zu Pseudo-Clemens-Briefen

YON HORST FUHRMANN

Wilhelm Wattenbach (1819-1897), fraglos ein intimer Kenner mittelalterlicher Handschriften und Literatur, dem wir einen in Teilen auch heute noch nicht überholten Überblick über

»Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter« verdanken, schrieb über die Wirkung der im 9. Jahrhundert großenteils erfundenen pseudoisidorischen Dekretalen, sie seien im Mittelalter unbeanstandet hingenommen worden: nach einigen Vorbehalten westfränkischer Bischöfe

»verstummt jeder Zweifel bis an das Ende des Mittelalters. Mit geringen Abweichungen hat

sich dieses Urteil bis heute gehalten, und nur wenige Ausnahmen kritischer Stellungnahmen

werden hie und da angeführte. Neuzeitlicher kritischer Sinn empfand seinen Abstand zu mittelalterlicher Befangenheit. Man verwunderte sich, daß eine »doch so plump angelegte Fiction, in der manche Widersprüche offen zutage liegen', weitgehend kritiklos hingenom-

men wurde, und fand seine Grundeinstellung bestätigt, daß die historische Kritik erst als »eine

1 W. WATrENBACH, Das Schriftwesen im Mittelalter (1896) S. 9. 2 Die communis opinio vermitteln E. SECKEL, in seinem Artikel »Pseudoisidor« (Realencyklopädie für Protestantische Theologie und Kirche 316,1905) S. 292,27ff.; A. VAN HovE, Commentarium Lovaniense in Codicem Iuris Canonici 1,1: Prolegomena 2(1945) S. 310ff.; H. E. FEINE, Kirchliche Rechtsgeschichte 5(1972) S. 156 f., um nur einige Übersichtsdarstellungen zu nennen. Von den bei B. Lipnss. IAN, Introductio in Ius Canonicum 1 (1924) S. 137ff.; A. M. STICKLER, Historia luris Canonici Latini 1: Historia fontium (1950) S. 139ff.; W. M. PLÖCHL, Geschichte des Kirchenrechts 1 2(1960) S. 449 für die Zeit vor dem 15. Jh. genannten Ausnahmen (Petrus Comestor [t um 1179], Gottfried von Viterbo [t nach 1190], Stephan von Toumai [t 1203], Marsilius von Padua [t 1343]) sind Stephan und Gottfried zu streichen. Daß Stephan von Tournai die Echtheit pseudoisidorischer Dekretalen bezweifelte, indem er die Briefe Papst Alexan- ders I. (105? -115? ) zurückwies, war eine Vermutung H. WASSERSCHLEBENS (Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche 212,1883, S. 383), deren geringe Wahrscheinlichkeit bereits SECKEL (siehe oben) S. 292 aufgezeigt hatte und die durch M. CHENEY (English Historical Review 56,1941) S. 183 erwiesen worden ist: der Widerstand betraf die neuen Dekretalen Alexanders III. (1159-1181). Auch Gottfried von Viterbo mit einer Stelle aus Pantheon XXII, 3 (MGH SS 22, S. 175f. ) gehört nicht in die Reihe der Kritiker. - Die älteren klassischen Gesamtdarstellungen der Geschichte des Kirchenrechts und der kirchlichen Rechtsgeschichte (G. Phillips, P. Hinschius, F. Walter - H. Gerlach, R. von Scherer, E. L. Richter - R. Dove - W. Kahl, E. Friedberg, U. Stutz) gehen mit geringen Unterschieden von der Annahme kritikloser Verwendung Pseudoisidors im Mittelalter aus. Von der alten Literatur ist das Buch von C. BLAsco hervorhebenswert: De collectione canonum Isidori Mercatoris commentarius (Neapel 1760) S. 39ff. (n dem Sammelwerk von A. GA

. LANDIUS, De vetustis canonum collectionibus dissertatio- num sylloge, Venedig 1778, als VIII. Abhandlung aufgenommen), dessen Daten J. A. THEINER, De Pseudo-Isidoriana canonum collectione dissertatio historico-canonica (Breslau 1827) S. 9ff. übernommen hat 3 So das Urteil von I. voN DÖLLINGER, Das Papstthum. Neubearbeitung von Janus, Der Papst und das Concil, bg. von J. FRIEnRtcH (1892) S. 36.

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Tochter des Humanismus« in die Welt des ausgehenden Mittelalters getreten sei', und hat der Frage keine besondere Aufmerksamkeit zugewandt5-wenn man nicht, zumal im 19. Jahrhun- dert, in dem erhebenden Gefühl einer höheren Bewußtseinsstufe das Mittelalter schlichtweg als »die Zeit der realisierten Unvernunft« abgekanzelt hat (K. Marx).

Aber man sollte die Schwierigkeiten eines kritischen Ansatzes im Mittelalter nicht unter- schätzen. Wir wissen nach vielfältigen Forschungen', daß z. B. Briefe Gregors I. (590-604) zur Herstellung von Pseudo-Dekretalen der Märtyrerpäpste verwendet worden sind, aber für ein unvoreingenommenes Auge konnte der Zusammenhang umgekehrt gesehen werden: als habe Gregor I. aus Dekretalen von Märtyrerpäpsten geschöpft, wie es eben »Art der Päpste« war, ungekennzeichnet »Wendungen ihrer Vorgänger wie eigene in ihre Briefe« zu übernehmen'. Noch Edouard Dumont, Geschichtsprofessor am Ly cee S. Louis in Paris (t 1875), hat sich 1866/67 in den Eröffnungsbänden der katholischen Revue des questions historiques auf diesen

scheinbaren Sachverhalt versteift und die Echtheit pseudoisidorischer Briefe behauptet8. Erst

wer systematisch und umfassend den Widersprüchen und Unvereinbarkeiten nachgeht, kann

eher die Unechtheit der Dekretalensammlung des Isidor Mercator durchschauen und beweisen. Dazu bedarf es der besonderen Bereitschaft, das Werk als Ganzes zu prüfen und als Erfindung

zu entlarven, und daran dachte zunächst niemand'. Wie schwer es ist, eingefahrene Denkbahnen zu verlassen, auch wenn sie offensichtlich

falsch sind, dafür kann trotz ihrer kritischen Einstellung auch die gegenwärtige Forschung Beispiele liefern. Für uns sind die pseudoisidorischen Dekretalen das Produkt einer einzigen Werkstatt: »Pseudoisidor schreibt«, so pflegt man sich auszudrücken, ganz gleich ob es sich um die Praefatio sancti Isidori oder um Briefe der Päpste Clemens, Anaclet oder Urban handelt. Sie

stammen eben von einem Autor: von Pseudoisidor. Für den mittelalterlichen Benutzer bestand

ein wesentlicher Unterschied zwischen den einleitenden Sätzen des »Sammlers« Isidorus Mercator und den Erlassen der Märtyrerpäpste Clemens und Anaclet, und wenn in der

modernen Forschung die geringere Wertschätzung der Einleitung Isidors Mercator (Isidori dicta non de excellentioribus... auctoritatibus) durch einen Autor des 11. Jahrhunderts für eine

4 In Aufnahme einer Formulierung von G. VoIGT, Die Wiederbelebung des classischen Alterthums oder das erste Jahrhundert des Humanismus 2 3(1893) S. 495. 5 Mit Ausnahme der Konstantinischen Schenkung, die zwar im pseudoisidorischen Dekretalenwerk enthalten ist, aber eine eigene kritische Beachtung gefunden hat. 6 Ein Bericht über »Gang und Stand der Forschung« ist gegeben bei H. FUHRMANN,. Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem Auftauchen bis in die neuere Zeit I (Schriften der MGH 24,1,1972) S. 1 ff.; ein ergänzender Übersichtsartikel erscheint unter dem Stichwort Pseudoisi- dorische Fälschungen« im Handwörterbuch der Deutschen Rechtsgeschichte 3 (1983). 7 Die im Text zitierten Äußerungen stammen von Erzbischof Hinkmar von Reims; zu wahrgenommenen Übereinstimmungen zwischen pseudoisidorischen Dekretalen und nachkonstantinischen Papstbriefen vgl. H. FUHRMANN, Einfluß und Verbreitung derpseudoisidorischen Fälschungen 2 (Schriften derMGH 24,2, 1973) S. 294f. 8 E. DUMONT, Les Fausses Decretales (Revue des questions historiques 1,1866) S. 392ff. und (ebd. 2, 1867) S. 97ff. Über Dumont (1790-1875) vgl. die kurze Notiz von J. RICHAVELOT (Dictionnaire de biographie frangaise 12,1970) Sp. 209. J. F. ScxuvrE (Theologisches Literaturblatt 1867 Nr. 17) S. 597ff. sprach von einem äußerst geschickten Versuch.. 9 Zum mittelalterlichen Fälschungsphänomen vgl. das Kapitel »Über Fälschungen im Mittelalter. Überlegungen zum mittelalterlichen Wahrheitsbegriff., in: Einfluß und Verbreitung 1 (wie Anm. 6) S. 65 ff., bes. S. 129 ff. .

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KRITISCHER SINN UND UNKRITISCHE HALTUNG 83

grundsätzliche Ablehnung pseudoisidorischer Dekretalen gehalten wird, so liegt hier ein »neuzeitlicher. Denkfehler vor10. Dem mittelalterlichen Betrachter mußte selbstverständlich die Einleitung einer Dekretalensammlung für geringwertiger erscheinen als die Dekretale eines Papstes - ebenso wie niemand den Sammler »Deutscher Gesetze« Heinrich Schönfelder (1902-1944) für den Verfasser der »Deutschen Gesetze« selbst hält, und seine »Aussagen« (dicta) werden selbstverständlich für »geringer« erachtet als das Bürgerliche Gesetzbuch. Die

moderne Prämisse der in einem Akt entstandenen Fälschung hat den mittelalterlichen Sinn

verfehlt, ebenso wie die mittelalterlichePrämisse einer Sammlung verschiedener Dekretalen den Fälschungsakt verstellte.

Ein Sinneswandel - die Absicht, das gesamte pseudoisidorische Dekretalenwerk als verfälscht und damit als unbrauchbar zu erweisen - kam erst mit der Abwendung vom alten Glauben, kam erst mit der Reformation. Nicht eine sich selbst genügende, »voraussetzungslo- se« Kritik hat das wahre Ausmaß der pseudoisidorischen Dekretalen-Fälschung aufgespürt, sondern zur konfessionell motivierten Ablehnung trat die bestätigende Kritik. Das vorherge- hende Mittelalter erschien als eine Epoche ohne kritischen Sinn; wie sich der selbstbewußte reformierte Prediger David Blondel (1590-1655) ausdrückte, der 1628 in einer umfassenden Analyse Quellen und Anlage des pseudoisidorischen Dekretalenwerkes bis in die Einzelheiten bloßlegte: »das Dunkel der Kritiklosigkeit gegenüber den Falschen Dekretalen« habe auf der früheren Zeit gelastet". Es schien und scheint ausgemacht, daß es weitgehend an der Fähigkeit

oder der Möglichkeit gefehlt habe, selbst äußerliche und leicht greifbare Widersprüche oder andere Indizien der Unechtheit zu erkennen und darzulegen.

Wenn im folgenden einige Zeugnisse mittelalterlicher Kritik angeführt werden, so sei das

Ausschnitthafte betont. Eine Analyse mittelalterlicher Kritik im Wandel der Zeiten - eine Mentalitätsgeschichte-wird hier verständlicherweise nicht angestrebt, obwohl der Grund für den pseudoisidorischen Erfolg in einer besonderen Geisteshaltung vermutet werden muß".

10 Der Sachverhalt-das Urteil desKardinals Otto von Ostia vom Jahre 1085 und die moderne Wertung- ist ausführlicher dargelegt in einem Aufsatz: H. FUHRMAA'N, Pseudoisidor, Otto von Ostia (Urban II. ) und der Zitatenkampf von Gerstungen (1085) (ZRG Kan. Abt. 68,1982) S. 57ff. 11 D. BLONDELLUS, Pseudo-Isidorus et Turrianus vapulantes (Genf 1628) Prolegomena S. 110. 12 Das Problem der Pseudepigraphie und der Fälschungen im Mittelalter verdiente eine eigene und eingehende Behandlung, wie sie W. SrEYFR, Die literarische Fälschung im heidnischen und christlichen Altertum. Ein Versuch ihrer Deutung (Handbuch der Altertumswissenschaft 1,2,1971) für einen Teilbereich derAntike vorgelegt hat. Anknüpfend an die oben Anm. 6 und 7 genannten Bände über Einfluß

und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen und das einschligige Kapitel über den mittelalterli- chen Wahrheitsbegriff (siehe oben Anm. 9) sind einige Ergänzungen gegeben worden: F. KEMPF (AHP 11, 1973) S. 391 ff.; Y. CONGAR, Les Fausses Decretales, leur reception, leur influence (Revue des sciences philosophiques et thcologiques 59,1975) S. 280ff.; P. LANDAU (ZRG Kan. Abt. 61,1975) S. 378 ff.; A. M. SnCKLER (Archiv für katholisches Kirchenrecht 147,1978) S. 621 f. und in der völlig neubearbeite- ten Quellenkunde von R. C. VAN CAENEGEM-F. L. GANSHOF, Guide to the Sources of Medieval History (Europe in the Middle Ages. Selected Studies 2,1978) S. 70ff. Einzelprobleme, jeweils mit Blick auf eine Mentalititsanalyse, behandeln: H. PLATEu

. E, Erreur sur la personne. Contribution i l'histoire de l'imposture au Mogen ige (Universitas. Philosophie, theologie, lettres, histoire, questions d'aujourd'hui. Melanges de science religicuse, numero special pour Je centenaire des Facultes catholiques de Lilie, 1877-1977,1977) S. 117 ff.; H. BANNASCH, Fälscher aus Frömmigkeit. Der Meinwerkbiograph - ein mittelalterlicher Falscher und sein Selbstverständnis (Archiv für Diplomatik 23,1977; erschienen 1979) S. 224 ff. und besonders B. GuENE, iAuthentique et approuve.. Recherches sur lesprincipes de la critique

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.I HORST FUHRMANN

Aber dazu bedürfte es einer ausgreifenderen Betrachtung, in die nach Möglichkeit auch andere Felder scheinbarer oder wirklicher Kritiklosigkeit einzubeziehen wären: von den Urkundenfäl-

schungen bis zum Reliquienhandel, von den falschen Friedrichen bis zur Därnonologie. Der

hier in den Blick genommene Ausschnitt ist sachlich und chronologisch eng. Bei dem

pseudoisidorischen Dekretalenwerk sollen lediglich die Einwände gegenüber den Clernensbrie- fen betrachtet werden`, deren Textkompilation und Widersprüchlichkeit die Kritik hätten

besonders herausfordern müssen, und der Betrachtungszeitraum sei auf die Jahrhunderte bis

ungefähr Gratian (ca. 1140) eingeschränkt, denn mit der allmählichen Anerkennung von

Gratians Dekret, dessen Kapitel, ungeachtet der Herkunft, ihrer Rechtsqualität nach für gleich

erachtet wurden, ' veränderte sich auch die Einstellung zu den Rechtsquellen. Beachtung fand so

gut wie nur, was im Decrerum Gratiani stand, so daß der Blick auf das pseudoisidorische Dekretalenwerk als Ganzes verstelltwar; man mußte, um eineÜbersicht zu gewinnen, au , wie

die ursprünglichen Volltexte zuweilen genannt wurden - die �Originale« zurückgreifen , was

selten geschah. Durch die Gleichschaltung aller Stücke des Dekrets verlor die Frage nach der

Herkunft- der mögliche Ursprung aus einer Fälschung- an Bedeutung; für die Rechtsverwen- dung und die Rechtserheblichkeit war diese Frage so gut wie gleichgültig. Mit der Übernahm

in ein allgemein anerkanntes Rechtsbuch wie das Decrerum Gratiani veränderte sich die

Einstellung gegenüber der pseudoisidorischen Dekretalensammlung; deshalb empfiehlt sich ein

Innehalten bei Gratian. Aus einer überwältigenden Masse von Exze ten hat Isidor Mercator oder besser: haben die

pseudoisidorischen Fälscher (denn mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich um eine Mehrzahl von Personen) das Dekretalenwerk mosaikartig zusammengesetzt, redigiert und um

eigene Zusätze vermehrt. Trotz aller Geschicklichkeit ließen sich die Nahtstellen nicht im'ner

historique au moyen age (La lexicographic du latin medieval et ses rapports avec les recherches actuell eine la civilisation du moyen ige. Colloques internationaux du CNRS 1978,1981) S. 215ff. Allg Überlegungen knüpfen an eine Behandlung der Konstanünischen Schenkung P. DE LEO, Ricerche sui falsi

medioevali 1. Il Constitutum Constantin i- om ilazione a "o Ia del sec. VIII (1974) und N. Den Une legende de fondation: le Constitutum Coastant (Le mo en ie 85,1979) S. 1771f. 7ff" Den

interessanten Bericht des Thomas von Evesham über die von ihm Papst Innozenz 111.1205 in Rom

vorgelegten offensichtlich falschen Papsturkunden (vgl. SPAETHEN, NA 31,1906, S. 629ff. ) hat zuletzt Ch. CHENEY, Pope Innocent III and England (Päpste

und Papsttum 9,1976S. 196 ff. auf seine historische

Umgebung untersucht. Die von C. Bxüllt, Der Fälscher. Zu den Fälschungen des Klo sin S. Pietro in Ciel d'Oro zu Pavia (DA 35,1979) S. 209ff. erwähnten »Flscherkonfessionen«

(S. 212) Geständnisse von reuigen Tätern, nicht begründende Bekenntnisse zurFälschungshandlung, und so bleibt der von F. Kern gemeinte und beklagte Mangel an Konfessionen zur »Seelenkunde

der mittelalterlichen Fälscher«. Beiseite gelassen sei in unserm Zusammenhang die reiche Literatur über Art und Wandel der

3ttEs hterlichen andeltsich muinsgesamt fünf

seudoisidorische Clemensbriefe: Decretalu Pseudo-Isidorianae et

Capitula Angilramni, rec. P. HINSCHIUS (1863) S. 30-66. Zum Aufbau der pseudoisidorischen Dekretalcn

vgl. Einfluß und Verbreitung 1 (wie Anm. 6) S. 182ff. inalia 14 Zu dieser Intention und zu diesem Sprachgebrauch vgl. J. nE GHEI. I. INCX, »Originale` et'Orig 566,5re (Archivum Latintatis Mcdii Aevi 14,1939) S. 95ff.; Einfluß und Verbreitung 2 (wie Anm' 7) S.

Anm. 19; B. SMAU. EY TheStud of the Bible in the Middle Ages l(1952) S. 226mitAnm" 4"DementsP chend konnte die seudoisidoriscbe Sammlun in fol ender Weise ums hrieben werden: Ordo . drauf cum

et originalea decretorum compilata a Ysidoro; möglicherweise geht auch auf Pseudoisidor:... deneta1es

eputole originales multum antique (so im Katalog der Konstanzer Dombibliothek von 1343), vgl: P. LEI MANN, Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz 1 (1918) S. 196,6.

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KRITISCHER SINN UND UNKRITISCHE HALTUNG 85

vertuschen, und manchen aufgenommenen Stücken haftete von vornherein der Ruf des Zweifelhaften an. Bei den Canones apostolorum z. B., die der eigentlichen Sammlung vorausgehen, war man frühzeitig von der Echtheit nicht voll überzeugt. Papst Clemens I. (ca. 88-97), der Tradition nach selbst Apostelschüler, soll diese Bestimmungen im Westen eingeführt haben, und bereits der in Rom als Übersetzer tätige Skythenmönch Dionysius Exiguus (t ca. 550) hat sie nur mit dem Vorbehalt canones qui dicuntur apostolorum eingerückt und mit dem Geständnis versehen plurimi consensum non praebuere facilem 15. Mit diesen Ankündigungen sind die Canones apostolorum zu Pseudoisidor gelangt, der die Apostelkano- nes mit Hilfe von Zusatzfälschungen hat absichern wollen und mit den Worten ankündigte: non sint respuenda ut quidam garriunt 1b. Eine ganze Reihe mittelalterlicher Autoren haben die Salvationsversuche nicht überzeugt: canones qui vocantur apostolorum non ab apostolis esse

15 Vgl. Repertorium fontium historiae medii aevi 3 (1970) S. 114 f.; H. MORDEK, Canones apostolorum (Lexikon des Mittelalters 2,7. Lieferung, 1983) Sp. 1437f. und die Edition der Canones apostolorum bei C. H. TURNER, Ecclesiae occidentalis monuments iuris antiquissimi 1,1 (1899) S. 1 ff. Das Fragment einer vordionysischen lateinischen Übersetzung hat A. SPAGNOLO in dem Veroneser Codex LI (49) aus dem 6. Jh gefunden und in der Appendix zu Bd. 1,2 von Turners Monumenta iuris (1913) veröffentlicht, vgl. G. BARDY, Canons apostoliques (Dictionnaire de droit canonique 2,1937) Sp. 1291; H. WURM, Studien und Texte zur Dekretalensammlung des Dionysius Exiguus (Kanonistische Studien und Texte 16,1939) S. 6 Anm. 23; A. Dow, Ein bisher unidentifizierter Eintrag in einem Veroneser Codex und seine Bedeutung für das Problem der Datierung einiger Veroneser Handschriften (Atti del Congresso internazio- nale di Diritto Romano e di storia del diritto 1948, Bd. 1,1953) S. 233 ff. und Codices Latini Antiquiores, hg. von E. A. LOTE, 4 (1947) Nr. 504 und 12 (1972) S. 53 (Literatur). Noch fehlt ein Vermerk ähnlich dem des Dionysius: canones qui dicunturapostolorum, den dieser der zweiten Redaktion seiner Konziliensa nm- lung und seiner zweiten Redaktion der griechischen Kanones vorangestellt hat, vgl. F. MAASSEN, Geschichte der Quellen und der Literatur des canonischen Rechts im Abendlande (1870) S. 408,961,965. Papst Stephan III. hat die ersten 50 Kanones ausdrücklich zugelassen und nur die über diese Zahl' hinausgehenden zurückgewiesen, ein Beschluß, der über Anastasius Bibliothecarius zu Humbert von Silva Candida und Deusdedit kam; vgl. das Konzil von Rom (769) Actio IV, hg. von A. WERMINGHOFF (MGH Conc. 2,1) S. 88,1 ff. und Anastasius' Bibliothecarius Brief an Papst Johannes VIII. (873), hg. von E. PEREts und G. LAEHR (MGH Epp. 7) S. 417,1ff. Zu diesen Erörterungen vgl. F. X. FUNK, Die apostolischen Konstitutionen. Eine litterar-historische Untersuchung (1891) S. 192ff.; E. VON DOB- SCHüi7, Das Decretum Gelasianum de libris recipiendis et non recipiendis (Texte und Untersuchungen 28, Heft 4,1912) S. 309. 16 Während der Hieronymus-Brief Gloriam sanctitatis (HINSCHIUS, S. 27,35-42) eine vorpseudoisidori- sche Fälschung darstellt (vgl. MAASSEN, wie vorige Anm., S. 416 Nr. 548,2), hat Pseudoisidor teilweise mit Anleihen aus diesem Brief eine Korrespondenz zwischen Bischof Aurelius von Karthago (t zwischen 427 und 430) und Papst Damasus (366-384) erfunden (HINSCHIUS, S. 20,36-21,38). Der Wortlaut der Ankündigung ist bei HINSCHtos, S. 27,32-34 irreführend. Die pseudoisidorischen Fälscher haben sich noch in anderer Weise abgeschirmt. In der von ihnen weitgehend verwerteten Praefatio der Collectio Hispana steht ein Negativurteil über die Canones apostolorum (MIGNE, PL 84, Sp. 91 f. ): Canones autem qui dicuntur apostolorum, sein quia eosdern nec sedes apostolica recipit nec sancti patres illis consensum praebuerunt, pro co quod ab hereticis sub nomine apostolorum compositi dignoscuntur, quamvis in eis quaedam inveniantur utilia, auctoritate tarnen canonica atque apostolic eorum gesta constat esse remota, et inter apocrypha reputata. Daraus formten sie:... praeposuirnus canones qui dicuntur apostolorum, licet a quibusdam apocrif: dicantur, quoniam plures eos recipiunt et sancti patres eorum sentenrias sinodali auctoritate roboraverunt et inter canonkas posuerunt constitutiones (HINSCHIUS, S. 17,29-31). Beide Urteile hat Gratian D. 16 c. 1 und 4 (hg. von E. FRIEDBERG, Corpus Iuris Canonici 1,1879. Sp. 41 f. ) aufgenommen. Zum Aufbau der pseudoisidorischen Dekretalen in diesem Teil vgl. Einfluß und Verbrei- tung 1 (wie Anm. 6) S. 182.

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creduntur schrieb bereits Erzbischof Hinkmar von Reims. Gratian bringt Zeugnisse des Für und Wider, um schließlich zu befinden: non sunt inter apocrifa deputandi (D. 16 c. 4 dict. p. ) 17.

Ein böser Mißgriff unterlief den Fälschern in einem anderen Falle. Für die ersten beiden Clemensdekretalen nahmen sie sich jene zwei Briefe zum Vorbild, die einst Papst Clemens I. dem Herrenbruderjakobus geschickt haben soll 18. Das erste der beiden Schreiben - später von gestaltender Wichtigkeit - hat Rufin von Aquileja (t 410/11) den von ihm übersetzten »Rekognitionen« beigegeben, einem Roman, der vom Schicksal des kreuz und quer durchs ganze Mittelmeer verschlagenen Petrusschülers Clemens von Rom handelt19. Das Mittelalter hatte Gefallen an diesen fabulosen Predigtzügen des Apostels Petrus und seines Begleiters Clemens, der im Verlauf der Wanderungen die verschollenen Mitglieder seiner Familie - entsprechend dem literarischen Schema des ävayvwgLaµd;, der recognitio - nach und nach »wiedererkennt«: in über 120 Handschriften ist uns der umfangreiche Text überliefert und als Folge einer starken Clemens-Verehrung wurde er an verschiedenem Ort bearbeitet. Das phantastische Itinerarium praedicationis Beati Petri - wie es im Mittelalter häufig hieß - stand von Anfang an in dem Verdacht, Unwahres und Unwahrscheinliches zu berichten. Schon der Übersetzer der Rekognitionen Rufin hatte Bedenken, und in dem sogenannten Decretum Geläsianum - einem privaten, aber bald unter dem Namen Gelasius' I. (492-496) laufenden Katalog über berücksichtigenswerte und abzulehnende Schriften - waren sie in Bausch und Bogen den libri non recipiendi eingereiht worden27. Offen ist von ihrer Unechtheit - zuweilen mit der der Canones apostolorum - gesprochen worden, z. B. von Agobard von Lyon (t 840), von Rathramnus von Corbie (t nach 868), von Humbert von Silva Candida (t 1061) in einem Brief Papst Leos IX. (JL 4308), dessen Formulierung über Ivo von Chartres (t 1115/17) in das Decretum Gratiani (D. 16 c. 3) gekommen ist, so daß manche Dekretisten (z. B. Rufin, die Summa Parisiensis, Stephan von Tournai) das Verdikt aufnehmen konnten21.

17 Vgl. Einfluß und Verbreitung 2 (wie Anm. 7) S. 569 mit Anm. 383 und 3 (Schriften der MGH 24,3, 1974) S. 664. 18 Von den insgesamt fünf pseudoisidorischen Clemensdekretalen (jKt 10 bist 14; Htxscxtus, S. 30-66) sind die erste UK t 10), die zweite UK t 11) und die fünfte UK t 14) an Jakobus gerichtet, wobei die ersten beiden zum größeren Teil vorpseudoisidorische Fälschungen darstellen, vgl. Einfluß und Verbreitung 1 (wie Anm. 6) S. 182f. mit Anm. 100. W. UU. MANN hat wiederholt den besonderen Wert des ersten Clemensbriefes betont, der darin bestehe, daß er das Bindeglied zwischen der biblischen Übertragung der Binde- und Lösegewalt (Matth. 16,18f. ) und dem historischen. Akt hergestellt, bzw. fingiert habe: The Significance of the Epistola Clementis in the Pseudo-Clementines Uournal of Theological Studies 11,1960) S. 295ff. (nachgedruckt in: The Church and the Law in the Earlier Middle Ages. Variorum Reprints. Collected Studies 38,1975, Nr. 2); zuletzt: DERs., Gelasius I. (492-496) (Päpste und Papsttum 18,1981) S. 30ff.: »Diese Epistola Clementis... verdient deshalb viel größere Beachtung als ihr gemeiniglich zugesprochen wird«. 19 Vgl. die Edition von B. REHM - F. PAsc cE, Die Pseudoklementinen II: Rekognitionen in Rufiins Übersetzung (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte 51,1965) und die Bemerkungen in dem Aufsatz: ZRG Kan. Abt. 68 (wie Anm. 10) S. 61 mit Anm. 27. 20 Von DOBSCHüTZ, Das Decretum Gelasianum (wie Anm. 15) S. 49,289 f. Zum Decretum Gelasianum vgl. UU. MANN, Gelasius 1. (wie Anm. 18) S. 256ff. 21 Einwände gegen die Echtheit der Rekognitionen bat E. PREUSCHEN, Pseudoclemcntinische Schriften, in: A. HARNALK, Geschichte der altchristlichen Litteratur bis auf Eusebius 1,1 (1893) S. 212ff., bes. S. 226f. zusammengestellt, freilich mit großen Lücken. So fehlt z. B. das interessante Urteil des

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KRITISCHER SINN UND UNKRITISCHE HALTUNG 87

Daß auch der mit den Rekognitionen häufig verbundene und von Pseudoisidor aufgenom- mene Clemensbrief UK - 10). 2 ins Zwielicht geriet, hat seinen Grund nicht eigentlich in dieser Nachbarschaft, obwohl im Brieftest selbst - in den einzelnen Handschriften und Klassen in

verschiedener Weise- auf den Zusammenhang mit den anrüchigen Rekognitionen hingewiesen ist23. Manchem aufmerksamen Leser fiel die grobe Ungereimtheit in der Briefadresse auf: Clemens, obwohl bei Pseudoisidor in der Papstsukzession der Nachfolger des Apostels Petrus,

wollte den Brief an den vor Petrus verstorbenen Herrenbruder Jakobus geschickt haben. In Aufnahme der Chronik des Euseb gibt Hieronymus, den wiederum Beda - eine für die Folgezeit chronologische Autorität ersten Ranges - ausschreibt, den Tod des Jakobus zum Jahr 61 an, zu 68 das Martyrium des Petrus und des Paulus24. Papst Clemens hätte nach dieser

Datierung den Brief also frühestens sieben Jahre nach dem Tod des Empfängers geschrieben: eine auf der Hand liegende Unmöglichkeit.

Pseudoisidor hat den Brief mit diesem chronologischen Widerspruch übernommen. Erste Zweifel, daß Papst Clemens an Jakobus, den Bruder des Herrn, geschrieben habe, stammen

noch aus der Zeit vor der pseudoisidorischen Fälschung und stellen Bemerkungen zu der von Ruf in übersetzten und von Pseudoisidor übernommenen und erweiterten ersten Clemensepi-

stel dar. Handschriften aus dem bayerisch-alemannischen Raum, die alle zusammen mit den

Rekognitionen den Clemensbrief überliefern, enthalten am Briefende die Bemerkung: Finit

Rathramnus, das die verschiedenartige Behandlung deutlich werden läßt: De libro vero beati Clementis...

non inter scripturas auaoritatis babetur, quamvis non usquequaque repudietur (MGH Epp. 6, S. 157,20ff. ). Preuschen hat das recht bunte Bild der Kanonistik beiseite gelassen; vgl. auch Einfluß und Verbreitung 2 (wie Anm. 7) S. 569 Anm. 383. 22 Hg. von REHM - PASCHKE, Pseudoklementinen 2 (wie Anm. 19) S. 375 ff. Pseudoisidor hat den Brief

erweitert, vgl. die Hinweise bei REHM -PASCHxE, S. 387, HiNsciIus, S. 36,42 mit Note 24 und B. REHM, Clemens Romanus II (Reallexikon für Antike und Christentum 3,1957) Sp. 198. Siehe auch oben Anm. 18. 23 In der ursprünglichen Form hatte der Brief folgenden ankündigenden Schluß: sub eo titulo, quem ipse

praecepit affigi, id est Clementis itinerarium praedtcationis Petri, sed et nunc exponere iam quae praecepit incipiam (REHM -PAscxxE, wie Anm. 19, S. 357,15 f. ). Mit einem schon in der Quesnelliana auftauchen- den Einschub praecepit (domino opem ferente) incipiam (MIGNE, PL 56, Sp. 740 C) ist der Text in manche Pseudoisidor-Handschriften, hauptsächlich der Klasse A2, unverändert übernommen. Andere haben den

auf die Rekognitionen hinweisenden Zusatz id est Clementis itinerarium praedicationis Petri weggelassen (so z. B. die AI-Handschrift der Cluny-Version New Haven, Yale University, Beinecke Libr. 442 und Modena, Bibl. Capit. 0. I. 4), wieder andere (vorwiegend der Klassen A/B, B, C, aber auch einige AI- Handschriften) setzen ein non nach itinerarium (Id est Clementis itinerarium, non praedicationis Petri): es

`handelt sich also um das Clementis itinerarium, nicht um das Itinerar der Predigttätigkeit des Petrus. Hier

scheint zurAbwehr des Vorwurfs der Unechtheit versichert, daß nicht das im Gelasianum zurückgewiesene Itinerarium Petri vorliegt. Die Edition von HINsc ; Ius versagt an dieser Stelle total (S. 36,41 f. ), während MEKUNS Ausgabe (MIGNE, PL 130, Sp. 27 C) lediglich eine späte Handschrift der Klasse C aus dem

12. Jh. (Paris, Bibl. de 1'Assemblee Nationale 27) wortgetreu abdruckt. Die schon im Ursprung lebhaften Divergenzen, die durchaus kritische Wachheit anzeigen, werden nicht sichtbar. 24 Die Chronik des Hieronymus, bg. von R. HEIM (Eusebius Werke 7,3. Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte 247,1956) S. 182,25ff. Zur Stellung des Jakobus als »Bischof von Jerusalem. vgl. H. voN CAMPENHAUSEN, Die Nachfolge desJakobus (ZKG 63,1950/51) S. 138ff. Zum Problem des Doppelmartyriums von Petrus und Paulus und zu deren Todesjahr vgl. S. Docxx, Chronologies neotestamentaires et vie de l'Eglise primitive (1976) S. 119ff. und E. DINKLER, Petrus und Paulus in Rom (Gymnasium 87,1980) S. 1 ff.

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epistola ut putatur sancti Clementis25. Die ältesten von ihnen stammen aus dem beginnenden 9. Jahrhundert, und es ist angesichts der übereinstimmenden Formulierung nicht unwahr- scheinlich, daß die Schlußbemerkung in den untereinander zusammenhängenden Handschrif- ten einen gemeinsamen Ursprung hat. Die Beobachtung der Unstimmigkeit dürfte in dem Umkreis eines Klosters dieses Raumes gemacht worden sein, denn die kritische Notiz scheint sich nur in dem südostdeutsch-alemannischen Überlieferungszweig der Rekognitionen zu finden. Offen muß vorerst bleiben - wir kennen nur den Vorbehalt ut putatur, nicht die Begründung-, ob es wirklich die chronologischen Unstimmigkeiten waren, die den Grund zur Kritik abgaben, und erst spätere Beispiele werden den Schluß erhärten (siehe unten S. 91).

Pseudoisidor hat sich mit der Übernahme und Verarbeitung des Clemensbriefes der Rekognitionen Echtheitsvorbehalte eingehandelt, aber auch sein zweiter, ebenfalls übernom-

mener Clemensbrief (JK t 11) trägt dieselbe Adresse und damit dieselben Verdachtsmomente. Den Fälschern selbst scheint die Unmöglichkeit nicht aufgefallen zu sein, denn von den drei von ihnen gänzlich hinzuerfundenen Clemensdekretalen nennt eine - die 5. und letzte - ebenfalls den »Mitbischof« Jakobus von Jerusalem als Empfänger26. Überhaupt sind die pseudoisidori- schen Kompositionskünstler mit den Rekognitionen und den flankierenden Clemensbriefen an einen unglücklichen Stoff geraten. Aus den Rekognitionen nahmen sie zum Ausstaffieren der Briefe versatzstückartig ganze Abschnitte, im 5. Clemensbrief OK t 14) unter anderem einen Absatz, der das Aussehen der Urkirche beschreibt und letztlich von Platon herkommt, auf den

auch angespielt ist. Zusammen mit Teilen der pseudoisidorischen Urbandekretalen spielte dieser Passus eine nicht unwichtige Rolle für die Beschreibung der ecclesia primitiva27, bereitete

aber zugleich Kopfschmerzen. Denn in sklavischer Übernahme der Rekognitionen ist von Platon, der ohne Namensnennung als Grecorum... sapientissimus mit einem Zitat aus seinen Gesetzen eingeführt wird28, gesagt, er habe gefordert, daß bei Freunden alles gemeinsam sein müsse; darunter seien »ohne Zweifel auch-die Frauen« einbegriffen (communia debere esse amicorum omnia; in omnibus autem Bunt sine dubio et coniuges). Schon die Schreiber

pseudoisidorischer Handschriften haben auf diesen kühnen Satz verschieden reagiert. Es ergibt

25 Nähere Angaben in ZRG Kan. Abt. 68 (wie Anm. 10) S. 61 ff. REHM - PescHKE (wie Anm. 19) S. XIX bringen den ut putatur-Zusatz als Merkmal eines Teils der von ihnen so genannten deutschen Handschriften-Gruppe, doch scheint dies nicht bei allen Codices der Fall zu sein; ein solcher Vermerk fehlt z. B. München, Bayer. Staatsbibl. clm 14253, clm 1704; München, Universitätsbibl. 40 ms. 1; Prag, Metropolitankapitelbibl. 156; Prag, Universitätsbibl. 1757. Eine Prüfung der Zusammenhänge steht noch aus. 26 Zum zweiten vorpseudoisidorischen Clemensbrief, der nicht über die Quesnelliana lief und den die Fälscher hauptsächlich mit Auszügen aus den Rekognitionen erweiterthaben, vgl. MAASSEN (wie Anm. 15) S. 411; er ist immer noch in der BAta. Exn. n-Ausgabe zu benutzen: MtciE, PL 56, Sp. 893 ff. Die zweite pseudoisidorische Clemensdekretale trägt die Adresse: Clemens Romanre ecclesiae praesul Iacobo karissi- mo et Hierosolimorum episcopo (Hmtscxrus, S. 46), die fünfte: Dilectissimis fratribus et condiscipulis Hierosolimis cum karissimofratre Iacobo coepiscvpo habitantibus Clemens episcopus (HnNSCxtus, S. 65). 27 Zu den pseudoisidorischen Urban- und Clemensdekretalen mit ihren Ausführungen über die ecrlesia primitiva und die vita communis vgl. die in Einfluß und Verbreitung 1 (wie Arun. 6) S. 45 Anm. 89 angegebene Literatur; einen umfassenden Forschungsbericht gab zuletzt St. WEINFURTER, Neuere For- schung zu den Regularkanonikern im deutschen Reich des 11. und 12. Jahrhunderts (HZ 224,1977) S. 377 ff. 28 Rekognitionen X, 5,6, REHM - PAscHzE (wie Anm. 19) S. 327,15ff.

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sich ein breites und durch alle Handschriftenklassen gehendes Spektrum, von der mechanischen Übernahme über Niederschrift und Tilgung. bis zur Unterdrückung oder zu ungläubiger Kommentierung29. Es zeigt sich folgendes Überlieferungsbild:

Denique Grecorum quidam sapientissimus hec ita sciens esse ait, communia debere esse amicorum omnia. In omnibus autem sunt sine dubio et coniuges.

In diesem Umfang bieten den Satz folgende, nach ihrer Entstehungszeit geordnete Pseudoisidor-Handschriften:

9. Jh.: Brescia, Bibl. Civia B. II. 13; Modena, Bibl. Capit. 0.1.4; Monza, Bibl. Capit: H. 3.151; Pistoia, Bibl. Capit. 130 (102); New Haven, Beinecke Library 442; Vat. Ottob. lat. 93

9. /10. Jh.: Vat. Reg. lat. 1038 10. Jh.: Angers, Bibl. Mun. 367 11. Jh": Mailand, Bibl. Ambr. A 87 inf.; Montecassino, Bibl. dell'Abbazia Cod. I; Paris, Bibl. Nat.

Nouv. acq. lat. 253; Vat. Reg. lar. 1054; Wien lat. 2253 11. /12. Jh.: Livorno, Bibi. Corn. Labr. 10 12. Jh.: Avranches, BibL Mun. 146; Boulogne-sur-Mer, Bibl. Mun. 115 und 116; Brüssel, Bibl.

Royale 11.2532 (2496); Douai, Bibl. Mun. 582 und 583; Grenoble, Bibl. Mun. 473; Mantua, Bibl. Com. 209; Montpellier, Bibl. de la Fac. de Med. H. 3; Paris, Bibl. de l'Assemblee Nat. 27; Paris, Bibl. Nat. lat. 3853; Reims, Bibl. Mun. 672; S. Omer, Bibl. Mun. 189; Vat. lat. 629

13. Jh.: Oxford, Bodl. Libr. Hatton 6; Paris, Bibl. Nat. lat. 16897; Vat. lat. 631 und 1340 14. Jh.: Paris, Bibl. de l'Arsenal 679; Paris, Bibl. Nat. lat. 5141 15. Jh.: Melk, Stiftsbibl. 410; Prag, Universitätsbibl. VI. D. 9; Rom, Bibl. Casan. 221; Turin, Bibl.

Naz. E 11 26; Venedig, Bibl. Naz. Marc. lat. IV. 48 und Zanetti lat. 168

Der Satz in omnibus - coniuges fehlt in den Handschriften: 9. Jh.: h-rea, Bibl. Capit. 83; Köln, Dombibl. 114; St. Gallen, Stiftsbibl. 670; Vercelli, Bibl.

Capit. 80 10. Jh.: Bamberg, Staatl. Bibl. Can. 4; Stuttgart, Württ. Landesbibl. HB VI 105 10. /11. Jh.: Florenz, Bibl. Naz. Conv. soppr. J. III. 18 (eine Abschrift des 15. Jh. ist Florenz, Bibl.

Medico Laur. Plut. XVI. 18) 11. /12. Jh.: Oxford, Bodl. Libr. Ms. Can. Patr. lat. 194; Vat. lat. 3788 12. Jh.: Bernkaste]-Kues Ms. 52; Mantua, Bibl. Com. 205 14. Jh.: Paris, BibL Nat. lat. 3857 15. Jh.: Paris, Bibl. Nat. lat. 15391; Vat. Urbin. lat. 179; Venedig, Bibl. Naz. Marc. lat. IV. 47 16. Jh.: Vat" lat. 4873

In omnibus - coniuges wurde getilgt: 9. Jh.: Lucca, Bibl. Capit. 123 (Pint. II); Rom, Bibl. Vail. D 38

11. Jh.: Paris, Bibl. Nat. lat. 3852 12. Jh.: Paris, Bibl. Nat. lat. 14314; Wien lat. 2133. Codices aller großen Klassen At (einschließlich Cluny-Version), A2, A/B, B, C30 enthalten den kompromittierenden Satz, doch Eingriffe durch Radieren und Tilgung finden sich ebenfalls in

29 Hti, scxtus, S. 65,10-12. In Andeutungen ist die Differenziertheit der Überlieferung schon in: Einfluß und Verbreitung 1 (wie Anm. 6) S. 55f. Anm. 134 angezeigt. - Kleine und belanglose Varianten sind bei der folgenden Übersichtsskizze beiseite gelassen. 30 Zu den verschiedenen Handschriftenklassen der pseudoisidorischen Dekretalen: Einfluß und Verbrei- tung I (wie Anm. 6)S . 171 ff.; zu der erst in letzter Zeit präziser erfaßten Cluny-Version innerhalb der A, - Klasse vgl. K. -G. Scxotr, Eine Redaktion der pseudoisidorischen Dekretalen aus der Zeit der Fälschung (DA 34,1978) S. 500ff. Die 5. pseudoisidorische Clemensdekretale fehlt in der von rund 20 Handschriften überlieferten Collectio Lanfranci.

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Handschriften verschiedener Klassen, offensichtlich unabhängig voneinander (A,: Paris lat. 3852; Wien 2133; A2: Lucca 123; Rom, Vall. D 38; B: Paris lat. 14314), und schließlich ist der Satz In omnibus autem sunt sine dubio et coniuges in vielen Handschriften weggefallen (A,: Bernkastel-Kues 52; Florenz, Bibl. Naz. Conv. soppr. J. III. 18; Cluny-Version: Paris lat. 15391; Vat. Urbin. lat. 179; Venedig Marc. lat. IV. 47; A2: Ivrea 83; Köln 114; St. Gal- len 670; Vercelli 80; Bamberg Can. 4; Stuttgart HB VI 105; Oxford Can. Patr. lat. 194; Vat. lat. 3788; Mantua 205; Vat. lat. 4873; C: Paris lat. 3857), und das auch bei Vertretern solcher Klassen, bei denen der Texteingriff durch Radieren und Tilgung (wie bei den vorher genannten) nicht direkt beobachtet werden konnte (A, -Cluny-Version; C). Schreiber und Leser verschie- dener Zeiten bewiesen hier durchaus kritischen Sinn.

Die Irritation, die dieser von Gratian (c. 2 q. 1 C. 12) aufgenommene Satz in der weiteren Kanonistik und unter den katholischen Gelehrten der frühen Neuzeit auslöste, hat Stephan Kuttner beschrieben31. Vielfach wurde einfach bestritten, daß Papst Clemens diese Empfeh- lung geschrieben habe; jemand anderes habe sie hinzugesetzt. Oder: sie bezöge sich nicht auf fleischliche Liebe, sondern auf »Zuneigung und Gehorsam. (ad dilectionem et obsequium), u. a. m.

Es gab aufmerksame Schreiber pseudoisidorischer Codices, denen die Herkunft der hinzugefälschten Clemensdekretalen zumindest teilweise klar war. Im Codex 670 der Stiftsbi- bliothek Sankt Gallen, im 3. Viertel des 9. Jahrhunderts in Sankt Gallen selbst entstanden, lautet die Inskription zum dritten Clemensbrief Epistola sancti Clementis de reverentia sacerdotum ex libro ipsius compilata und zur vierten Clemensdekretale Item epistola sancti Clementis excerpta de volumine quod dicituritinerarium sancti Petri de cathecizandis rudibus32. Dem Schreiber war also gegenwärtig, daß diese Clemensbriefe aus den Rekognitionen »kompiliert«, »exzerpiert« waren, mit deren apokryphem Charakter er durchaus vertraut sein konnte. Vielleicht war der Bodenseeraum eine Landschaft, was die Clemensdekretalen betrifft, besonders wacher Geister. Hier war schon der vorpseudoisidorische Clemensbrief mit

31' St. KurrNER, Gratian and Plato (Church and Government in the Middle Ages. Essays presented to C. R. Cheney, 1976) S. 101ff., bes. S. 109ff.; nachgedruckt in dessen gesammelten Aufsätzen: The History of Ideas and Doctrines of Canon Law in the Middle Ages (Variorum Reprints.. Collected Studies 113,1980, Nr. 11). - Ein mit Gratian c. 2 q. 1 C. 12 übereinstimmendes Exzerpt der 5. pseudoisidorischen Clemensdekretale (HINSCHIUS, S. 85,4-31: Dilectissimis -predicanda sent) enthalten einige Handschriften der Collectio canonum Anselms von Lucca (VII, 1, hg. von F. THANER, S. 362 n. a), so z. B. Vat. lat. 1364 und 6381, doch fehlen bei ihnen-im Gegensatz zu Gratian-die Worte In omnibus- coniuges (freundliche Auskunft von H. Goldbrunner, Rom). In den meisten Anselm-Handschriften ist dieser Heidenluft atmende Abschnitt, der trotz seiner Etikettierung De communi vita in den Reformsamm- lungen nicht berücksichtigt wurde (vgl. Einfluß und Verbreitung 3, wie Anm. 17, S. 828 f. Nr. 84), gegen einen Konzilskanon von Toledo ausgetauscht worden: deutlich eine Ersatzlösung. Ohne auf die Überliefe- rungsproblematik einzugehen, behandelt diesen Tausch Ch. DEREINE, Le probleme de la vie commune chez les canonistes, d'Ansehne de Lucques ä Grazien (Studi Gregoriani 3,1948) S. 292- 32 HINSCHIUS, S. 52 Note 22 und S. 60 Note 22. Zu dieser Handschrift vgl. die Beschreibung bei Sch. WILLIAMS, Codices Pseudo-Isidoriani. A palacognphico-historical Study (Monumenta Iuris Canoni- ci. Ser. C: Subsidia 3,1971) S. 56f. Nr. 60 mit älterer Literatur, J. AUTENRIETH, Die kanonistischen Handschriften der Dombibliothek Konstanz (Kirchenrechtliche Texte im Bodenseegebiet. Mittelalterliche Überlieferung in Konstanz, auf der Reichenau und in St. Gallen. Vorträge und Forschungen, Son- derbd. 18,1975) S. 12 und H. JoHN, Collectio anonum Remedio Curiensi episcopo perperam ascripta (Monumenta luris Canonici. Ser. B: Corpus Collectionum 2,1976) S. 66ff., 82ff.

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Vorbehalten behandelt worden, und diese ablehnende Haltung- ausgedehnt auf alle pseudoisi- dorischen Briefe des Clemens an Jakobus-scheint auch im 11. Jahrhundert dort bestanden zu haben.

Um von dem Echo auf die Kritik auszugehen: Gegen Verdächtigungen der Clemensbriefe wandte sich Deusdedit (t 1098/99), Kardinalpriester von S. Pietro in Vincoli, ein treuer Anhänger Gregors VII., im Prolog seiner spätestens 1087 abgeschlossenen Kirchenrechts- sammlungJ3" »Daß... die Briefe des Clemens an Jakobus, gegen die manche zu schwätzen scheinen (contra quas quidam garrire videntur), echt sind ostenduntsuccessores eiusAnacletus et Alexander et quidam alii pontifices et a deo benedictus monachorum pater34, qui ex illis plures sententias in suis scriptis inseruerunt. Die »Gewohnheit der Päpste«, aus Briefen der Vorgänger

ungekennzeichnet zu zitieren (siehe oben S. 82), ist für ihn das entscheidende Argument der Echtheit; daß umgekehrt aus späteren (echten) Briefen frühere (unechte) fabriziert worden sein können, kommt ihm nicht in den Sinn. Möglicherweise hat Deusdedit bei denjenigen, »die gegen die Echtheit der Clemensbriefe zu schwätzen scheinen«, Konstanzer Kleriker im Auge, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß Deusdedit in der Begleitung des Kardinallegaten Otto von Ostia in Konstanz 1084 Station machte. Der damals in Konstanz weilende Bernold (t 1100),

einstiger Schüler der dortigen Domschule, notierte in einer Randnotiz seiner noch im Original

erhaltenen Chronik zum Jahre 94, dem Beginn der Sedenzzeit Papst Clemens' I. 35: »Es scheinen sich zu widersprechen (Repugnantia videntur), daß Papst Clemens im 32. Jahre nach dem Tod des Herrenbruders Jakobus auf dem apostolischen Stuhl inthronisiert wird und daß er an denselben einige Dekrete erlassen hat. « Man hat in Bernolds Schriften Anfänge dialektisch-

scholastischer Überlegungen angetroffen3', und auch hier wird der chronologische Wider-

spruch einerseits festgestellt, andererseits mit einem videntur gemildert. Bernold bemühte sich, Gegensätze unter den Rechtsautoritäten abzuwägen und zu einer Entscheidung zu kommen,

welcher Bestimmung der Vorzug zu geben sei. In seiner Wertskala der Autoritäten rangieren die

33 Die Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit 1: Die Kanonessammlung selbst, hg. von V. WoLF VON GtahvELL (1905) S. 4,19ff. Zum sachlichen Zusammenhang vgl. den Aufsatz über den Zitatenkampf von Genrungen (wie Anm. 10) S. 60ff. und die dort angegebene Literatur. 34 Offensichtlich sind für Deusdedit Benedikt von Nursia (von dem die Fälscher nichts übernommen haben) und Benedictus Levita ein und dieselbe Person, eine, soweit ich sehe, im Mittelalter sonst bei keinem

anderen Autor begegnende Identifizierung; vgl. Einfluß und Verbreitung 1 (wie Anm. 6) S. 165 Anm. 53. 35 Bayer. Staatsbibl. München, clm 432, fol. 26: Repugnantia videntur Clementem papam trigesimo Secundo anno post mortem lacobi fratris Domini inthronizari apostolicae sedi et ad eundem aliqua decreta

constituisse (vgl. MIGNE, PL 143, Sp. 61 und nicht ganz fehlerfrei MGH SS 5, S. 403). Zu seiner Chronik: G. TANGL, Schwaben (W. WATrEN-BACH-R. HOLTzstANN, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelal- ter 1,1940) S. 522f. mit den Nachträgen von F. J. ScHs&At. E, 3. Teil (1971) S. 157*f.; J. Au NRIETH, Gernold von Konstanz (Neue Deutsche Biographie 2,1955) Sp. 126 ff., die auch unsere Stelle behandelt in: Die Domschule von Konstanz zur Zeit des Investiturstreits (Forschungen zur Kirchen- und Geistesge- schichte NF 3,1936) S. 127 Anm. 2; I. S. ROBINSON, Bernold von St. Blasien (Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon 1,1977) Sp. 797ff. Die von Bernold herangezogenen kirchenrechtlichen Sammlungen

versuchte zu ermitteln: A. VAN Ho«, Een inleiding tot de bronnen van het Kerkelijk Recht op het Binde derXI' ecuw (Miscellanea historica in honorem A. de Meyer. Recueil de travaux d'histoire et de Philologie, 3me sir., 22), 1946) S. 358 ff. Zuletzt I. S. ROBINSON, Zur Arbeitsweise Bemolds von Konstanz und seines Kreises (DA 34,1978) S. 51 ff. 36 Einen Durchbruch bedeutete die Analyse von M. GxnBM . N, Die Geschichte der scholastischen Niethode 1 (1909) S. 234ff.

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Papsterlasse besonders hoch, und er fordert ausdrücklich auf, widersprüchlich Scheinendes sachgerecht zu prüfen37: »Gerade die päpstlichen Bestimmungen verlangen einen lauteren Leser und einen höchst umsichtigen Sachkenner, der geduldig hinzunehmen versteht, auch wenn er nicht alles beim ersten Zugang vollständig begreift. « Denn in den päpstlichen Dekreten fände man vieles Abweichende, »was keineswegs als der Wahrheit widersprechend beurteilt

werden muß (repugnantia deputanda sunt), wenn es nur sachgerecht begriffen wird«. An anderer Stelle dringt Bernold darauf, man müsse bei Widersprüchen den rechten Sinn herausfinden, ne forte huiusmodi diversa nonnumquam quasi repugnantia temere respuamus, quae tarnen ex apostolica auctoritate promulgata sive confirmata non ignoramus. Die immer wieder verwendete Umschreibung repugnare, repugnantia o. ä. scheint für Bernold so etwas wie ein Terminus für einen nicht auflösbaren Gegensatz gewesen zu sein3ß.

Ob es die pseudoisidorischen Clemensbriefe oder die Dekretalen des Isidor Mercator insgesamt waren, Bernold hat jedenfalls angesichts der verwirrenden und widersprüchlichen Vielzahl von Texten offen bekannt, daß er in manchen Fällen nicht Ysidorus in collectario suo folge, sondern der TextsammlungS9, quae cgteris emendatior et apostolicae sedi acceptior videtur, videlicet, quam beatus Adrianus per manum Karoli imperatoris occidentalibus direxit aecclesiis. Nicht die pseudoisidorische Sammlung also, sondern die Collectio Dionysio- Hadriana von 774, die Papst Hadrian I. über Karl den Großen den abendländischen Kirchen hat zukommen lassen, hältBernold für die »sauberere und dem apostolischen Stuhl angenehme- re«. Doch geht es nicht nur um den sauberen Text. Bernold gesteht ein, daß »ihm vieles Unverständliche durch Vergleich verschiedener Textausgaben oft klar« werde. Er registriert sachliche Widersprüche, hebt sie, wo es möglich ist, auf und relativiert die Gültigkeit der alten (=pseudoisidorischen) Dekretalen. So findet er es »nicht unpassend«", daß in Zeiten des Friedens von der Schwierigkeit, Bischöfe anzuklagen und zu verurteilen, abgegangen wird, denn die Dekretalen der alten Päpste seien obsolet, weil in Verfolgungszeiten erlassen, als die Bischöfe einen besonderen Schutz genießen mußten, um für ihre meist mit dem Martyrium endenden organisatorischen, sakramentalen und seelsorgerlichen Aufgaben frei und unbehelligt zu sein.

An Bernolds Vorgehen und Überlegungen wird deutlich, wie sehr sich die Argumentation

37 Hg. von F. THANER (MGH Libelli de fite 2) S. 156,28ff.: Ipsa vero decreta (der Päpste) sobrium lectorem et circumspectissimum intellectorem requirunt, qui patienter ferne sciat, etiamsi non omnia inprimo aditu pleniter intelligat. Nam multa in eis diversa reperiuntur, quae veritati nequaquam repugnantia deputanda sunt, st competenter intelligantur; vgl. C. MIRBT, Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. (1894) S. 555f. - Besonders eingängige Darstellungen der Bernoldschen Konkordanzmethode bei VAN HovE, Een inleiding (wie Anm. 35) S. 368ff. und H. WEls'rzIt. ER, Die päpstliche Gewalt in den Schriften Bernolds von. St. Blasien (Studi Gregoriani 4,1952) S. 129ff. 38 Das obige Zitat: MGH Libelli de Ute 2, S. 139,22ff. In ähnlicher Bedeutung findet sich das Wort repugnare wiederholt ebd., S. 9,2; 11,11; 25,40; 58,3; 79,38; 83,42; 138,15. Dieser Sinngehalt des Wortes ist selbstverständlich schon seit der Antike nachweisbar, doch begegnet es bei dem der Dialektik sich öffnenden Bernold ungewöhnlich häufig. 39 MGH Libelli de fite 2, S. 131,21 ff.; wie schon an anderem Ort zeigt Bernold die Unterschiede der Versionen an c. 3 des Konzils von Nikäa (325): vgl. ebd., S. 70,16ff. und 131,25ff. Zu Bernolds differenzierender Haltung vgl. O. GREULICH, Die kirchenpolitische Stellung Bernolds von Konstanz (HJb. 55,1935) S. 3 ff. 40 MGH Libelli de fite 2, S. 125,26ff.

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KRITISCHER SINN UND UNKRITISCHE HALTUNG 93

auf eine angemessene inhaltliche Bewertung verlagertet, und so trug er keine Bedenken, die von ihm aus äußeren Gründen angezweifelten Clemensdekretalen an passendem Ort ohne Vorbehalt wie echte Schriften zu behandeln, ähnlich wie der zeitgenössische Konstanzer Priester Wolferad die Rekognitionen akzeptiert42.

Gänzlich unabhängig, nur in den Schlußfolgerungen wesentlich radikaler, hat der revolutio- näre Normannische Anonymus um das Jahr 1100 verwandte Gedankengänge vorgetragen43: Bei den alten (pseudoisidorischen) Dekretalen handle es sich verschiedentlich um Vorschriften, die, unter der Not der Christenverfolgungen erlassen, jetzt von den Zeitverhältnissen überholt

seien, auf deren Erfüllung mithin niemand mehr pochen könne. Selbst dem Primat der

römischen Kirche, so weit er sich aus der Aposteltradition ableitete, stand der Normannische Anonymus reserviert gegenüber; seiner Meinung nach hätte Jerusalem als Stadt des Herrn ein größeres Anrecht, zumal Jerusalem die von Christus gestiftete Tradition vielleicht besser bewahrt habe als Rom. Es ist derselbe Einwand, den über zwei Jahrhunderte später und noch radikaler Marsilius von Padua (t 1343) in seinem Defensor pacis vorbringen sollte; Papst Clemens könne schlecht den in Jerusalem wirkenden Apostel Jakobus belehrt haben45: »Wer

41 Es fehlt, so viele Detailbeobachtungen auch vorliegen, eine umfassende Untersuchung von Bernolds Text- und Traditionsverstindnis. Die Romhörigkeit Bernolds hat untersucht H. WEISWEILER (wie Anm. 37) S. 129ff. 42 Stuttgart, Wüm. Landesbibl., Cod. HB VII. 1, fol. 62`: Nulli doctori credendum nisi qui Jacobi fratris domini ex Hierusalem attulerit testimonium, veröffentlicht von AUTENRIETH, Domschule (wie Anm. 35) S. 68. Die Glosse nimmt eine Stelle aus den Rekognitionen IV 35,1 (REHM - PASCHKE, wie Anm. 19, S. 164) auf. 43 Trotz aller Unzulinglichkeit ist der Text des Normannischen Anonymus jetzt in der Ausgabe von K. PELLEr: s zu benutzen: Die Texte des Normannischen Anonymus. Unter Konsultation derTeilausgaben

von H. Böhmer, H. Scherrinsky und G. H. Williams neu aus der Handschrift 415 des Corpus Christi College Cambridge hg. (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte 42,1966) S. 12. Früherer und verstindiger Druck bei H. BöHMER, Kirche und Staat in England und in der Normandie im XI. und XII. Jahrhundert (1899) S. 444f. Zur Interpretation: R. W. und A. J. CARLYLE, A History of Mediaeval Political Theoryin the West 4 2(1932) S. 277f. und die nicht immer sachgerechten Bemerkungen

von K. PELIENs, Das Kirchendenken des Normannischen Anonymus (Veröffentlichungen des Instituts für

europäische Geschichte 69,1973); dazu vgl. W. HARTMANN, Beziehungen des Normannischen Anonymus zu frühscholastischen Bildungszentren (DA 31,1975) S. 108ff., bes. S. 117f. 44 PELLENS, Kirchendenken (wie vorige Anm. ) S. 173ff.; in der Ausgabe PELLENS (wie vorige Anm. ) S. 84 ff. und BöHMER, Kirche und Staat (wie vorige Anm. ) S. 457ff. sowie PELLENS, Die Texte (wie vorige Anm. ) S. 40ff. und H. BÖHMER (NIGH Libelli de fite 3) S. 659,15ff. 45 Marsilius von Padua, Defensor Pacis Dictio II c. 28 S 4, hg. von R. SCHOLZ (MGH Fontes iur. Germ. ant. 7,1932) S. 531,27 ff. Die Kritik geht vom ersten Clemensbrief aus (S. 531,15 ff. ), wird aber dann auf ille pseudoisidorischen Clemensdekretalen ausgedehnt: Quod autem inducebatur de Clementis epistola, que intitulaturAd lacobum fratrcm Domini, non re ipio tamquam cerium; nam epistolam feisse Clementis valde suspectum est propter plura in ipsa contents... Quis enim discipulos, qui lerosolymis erant, melius instrucre poterai de vita Christi et apostolorum, quis de ritu ecrksiastico plus nosse debuit, an apostolus auf successor apostoli, nemo est qui dubitet. Propter quod ipse (d. h. die Clemensbriefe an Jakobus) sunt cum apocrifis computande. Marsilius hat sich offenbar nicht mit Gratians Dekret begnügt, sondern den Sachverhalt an einem Pseudoisidor-Exemplar geprüft. Über die Vorlagen des Marsilius vgl. C. W. PREVI- Tt-ORTON, The Authors Cited in the Defensor Pacis (Essays in History Presented to R. L. Poole, hg. von H. W. C. DAZES, 1927) S. 407ff., bes. S. 414. Diese Stelle in den Übersetzungen von H. KUSCH, Marsilius von Padua, Der Verteidiger des Friedens 2 (Leipziger Übersetzungen und Abhandlungen zum Mittelalter, Reihe A, Bd. 2,2,1958) S. 959 und A. GErLRTH, Marsilius of Padua, The Defender of Peace 2 (1956) S. 373f.

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94 HORST FUHRMANN

hätte nämlich die Jünger, die in Jerusalem lebten, über das Wirken Christi und der Apostel besser unterrichten können:... der Apostel oder ein Nachfolger des Apostels?... Deshalb sind diese (Clemens-)Briefe unter die Fälschungen zu rechnen. «

Aus recht verschiedenen Gründen und vom 12. Jahrhundert an in zunehmendem Maße begegnete man dem ganzen Komplex der Clemensbriefe, was die Autorschaft des Petrusnach- folgers betraf, mit Skepsis, und der Regensburger Inkluse Honorius Augustodunensis verzeich- net in einer Art Literaturkatalog die Werke des Clemens mit den Worten46: Clemens... scripsit... Itinerarium Petri et Disputationem Petri et Appionis, et multa alia, quae inter

apocrypha numerantur. Aber auch er läßt an anderer Stelle sogar die anrüchigen Rekognitionen (itinerarium Petri) unbeanstandet durchgehen. Ihn interessierte die Stimmigkeit des Inhalts mehr als die formale Sauberkeit, und nicht viel anders war es mit der Interessenlage des Magister Gratian bestellt, der fast 15% seiner rund 400 Pseudoisidorkapitel in seinem Dekret den

pseudoisidorischen Clemensdekretalen entnahm". Es ist auffällig - demonstriert an dem freilich kleinen Beispiel der pseudoisidorischen

Clemensdekretalen -, wie wenig ein formaler kritischer Einwand verfolgt und zu einem den Rechtsinhalt berührenden Beweis erweitert wurde. Dementsprechend sind Fälschungen, die in das Gefüge kirchlicher Rechtsquellen an förderlicher Stelle eingebaut waren, trotz ihres

apokryphen Charakters respektiert worden, und für die Pseudoisidorkapitel des Decretum Gratiani ist die Frage nach dem Fälschungsursprung ohnehin letztlich unangemessen. Einige Dekretisten haben denn auch über bekannt verdächtige Kapitel erklärt: diese seien nachdrück- lich von manchen Vätern für apokryph gehalten worden, »in neuer Zeit aber, da sie von allen aufgenommen worden waren, erachtet man sie von höchster Autorität« ". Die Einbeziehung in die Tradition läßt bewußt die Frage einer unechten Herkunft zurücktreten.

»Apokryph« wäre hier mit der alleinigen Umschreibung »unechten Ursprungs« verkürzt wiedergegeben; es nimmt die Bedeutung von »unwirksam« (weil irrgläubig) und von der Kirche nicht aufgenommen an", so daß die bemerkenswerte Gleichung zustande kommt: rechtgläubi- ge und von der Gesamtkirche aufgenommene Fälschungen sind im Sinne der Traditionsgerech- tigkeit echt und wirksam; von der Glaubens- und Kirchennorm abweichende Schriften sind,

46 De luminaribus ecclesiae I, 15 (MIGNE, PL 172) Sp. 199C, doch 1äßt er II, 17 unter dem Namen Rufins die Rekognitionen unbeanstandet durchgehen. Zur Schrift des Honorius vgl. J. A. ENDRES, Honorius Augustodunensis (1906) S. 69ff. Zur Frage, wo Honorius gewirkt hat, vgl. die Ubersicht von H. FREITAG, Honorius Augustodunensis (Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 4,1982) Sp. 122 ff. mit weiterer Literatur. 47 Beiseite geblieben sind die verstreuten Marginalien in Rechtshandschriften, wo anonyme Benutzer mit Ausdrücken wie apocrifum, mendacium haereticorum o. ä. sich punktuell distanzierten. 48 In der Summa Parisiensis (cd. T. P. McLAUGHLIN, 1952) S. 14 und bei Rufinus, Summa Decretorum (hg. von H. SINGER, 1902) S. 30 findet sich über Zahl und Glaubwürdigkeit der Canones apostolorum zu D. 16 folgender Satz: Vel forte ilia XXXV capitula olim a quibusdam patribus apocrifa habebantur, moderno autem tempore, cum ab omnibus recepta fuerint, pro auctoritate summa observantur. Vgl. B. TIERNEY, . Only the Truth has Authority: The Problem of Reception. in the Decretists and in Johannes de Turrecremata (Law, Church and Authority. Essays in Honor of St. Kuttner, 1977) S. 73. 49 Von den zahlreichen neuen mittellateinischen Wörterbüchern vgl. Mittellateinisches Wörterbuch 1 (1959-1967) s. v. apocryphus (= haereticus, subst. ), und: Lexicon Latinitatis Nederlandicae Medii Aevi 1 (1970-1977) s. v. apocryphus.

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KRITISCHER SINN UND UNKRITISCHE HALTUNG 95

auch bei echtem Ursprung, apokryph. Innerhalb dieses Bedeutungsfeldes konnte Huguccio in seiner Summe zu den Rekognitionen (siehe oben S. 86) bemerken: »Das ist das Werk, das von den Ketzern verfaßt worden ist«'-. Eine Gleichung, die häufig anzutreffen ist.

50 Huguccio, Zu Gratians D. 16 c. 3: Ceementis librum id est qui sub nomine clementis a haereticis composites est (München, Bayer. Staatsbibl. clm 10247, fol. 13'), vgl. das Zitat in: Einfluß und Verbrei- tung 1 (wie Anm. 6) S. 108ff., S. 111 Anm. 151. Diese Einstellung ist frühzeitig begründet worden, vgl. Kapitel 15 des Briefes Leos I. an Turribius von Astorga aus dem Jahr 447 (JK 412; MIGNE, PL 54, Sp. 688), das in der Capitulatio der Zwei-Bücher-Sammlung des Cod. Vat. lat. 3832 mit folgender Rubrik angekündigt wird: Ut quicumqueapocrifa receperit, pro beretico habeatur(hg. von J. BERNHARD, Revue de droit canonique 12,1962, S. 246; der Text: Buch II c. 300, S. 488), vgl. dazu H. MORDEK, Kirchenrecht und Reform im Frankenreich. Die Collectio Vetus Gallica, die älteste systematische Kanonessammlung des fränkischen Gallien (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 1,1975) S. 139f. und 363 f. Unter der Überschrift De scripturis apocrifts steht ein Auszug dieses Kapitels in der Collectio Lipsiensis Tit. 29 c. 1 (un. ), vgl. E. FRIEDBERG, Quinque Compilationes Antiquae nec non Collectio canonum Lipsiensis (1882) S. 196 und entsprechend in der angereicherten Ur-Bambergensis, W. DEETERS, Die Bambergensisgruppe der Dekreralensammlungen des 12. Jhs. (Diss. Bonn 1954) S. 20 und 150f. (30 C). Leo I. aber hatte noch gewarnt: Quamvis enim sirrt in illis quaedam quae videantur speciem habere psetatis, numquam tarnen vacua sunt venenis (MIGNE, PL 54, Sp. 688B).