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Ausflug in die Unendlichkeit

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Nr. 32Ausflug in die UnendlichkeitSie sind zur Einsamkeit verdammt - auf einer Welt ohne Sterne ...von Clark Darlton

Die von Perry Rhodan geleitete Dritte Macht - jene glückliche Mischung aus menschlicher Energie undarkonidischer Supertechnik - hat in den elf Jahren ihres Bestehens bereits eine wildbewegte Geschichteaufzuweisen, die voller dramatischer Höhepunkte ist.Die jüngsten Geschehnisse jedoch erweckten den Eindruck, daß Perry Rhodan seit seiner Begegnung mit den»Springern« oder »Galaktischen Händlern« auf eine Macht gestoßen ist, die jederzeit gewillt und in der Lageist, die Erde zu vernichten und damit einen möglichen Konkurrenten des interstellaren Handels auszuschalten.Noch hält der von den schweren Kreuzern TERRA und SOLAR SYSTEM im Albireo-System errichteteAbwehrriegel.Aber wie lange noch wird es dauern, bis die Springer merken, daß die Terraner nur ein Ablenkungsmanöververanstalten ...?Perry Rhodan brennt die Zeit auf den Nägeln, aber um eine wirksame Waffe gegen die Springer zu erhalten,muß er wieder den Planeten des ewigen Lebens aufsuchen - und einen AUSFLUG IN DIE UNENDLICHKEITmachen ...

Die Hautpersonen des Romans:Perry Rhodan - Kommandant der STARDUST und Chef der Dritten Macht.Reginald Bull - Ein »berühmter Filmstar« bemüht sich um seine Gunst.Topthor und Grogham - Zwei Händler aus der Sippe der »Überschweren«.„Er“ oder „Es“ - Ein körperloses Wesen, das mitunter sehr »greifbar« sein kann.Kadett Rekens - Er bekommt ein Autogramm.Laar, Regoon, Gorat und Nex - Eine Million Jahre waren sie zur Einsamkeit verdammt - auf einer Welt ohne Sterne.

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Man konnte auf den ersten Blick erkennen, daßkeine menschliche Hand dieses riesige Raumschifferbaut hatte. Es glitt in freiem Fall in einerEntfernung von 15 Lichtstunden um die Sonne undbeobachtete mit Hilfe seiner empfindlichenInstrumente ihre Planeten.

Seine Form erinnerte an eine ungeheure Walze, dievorn abgerundet und hinten stumpf war. Es wardreihundert Meter lang und besaß einen Durchmesservon fünfzig Meter. In regelmäßigen Abständenschimmerte Licht aus runden Luken. Dahinterbewegten sich riesige, quadratische Schatten.

Das fremde Schiff war nicht allein. Sieben weiterebegleiteten es. Die Flotte umkreiste die Sonne - eineFlotte, von Wesen gesteuert, die noch niemals ihrenFuß auf die Erde gesetzt hatten. Und sie sahen auchnicht aus wie Menschen.

Ihre Heimat war das Weltall, nicht ein bestimmterPlanet. Sie lebten in Schiffen und trieben Handel mitallen intelligenten Rassen des Universums. Sieliebten den Frieden nur dann, wenn sie durch ihnprofitieren konnten. Versprach ein Krieg mehrGewinn, dann sorgten sie dafür, daß ein Kriegentstand. Sie waren tolerant und autoritär zugleich,sie besaßen Humor und zeichneten sich gleichzeitig

durch ihre erbarmungslose Härte aus, wenn ihnenjemand bei ihren Geschäften in die Quere kam.

In der Kontrollzentrale des Führungsschiffeswuchtete Kommodore Topthor vor den arbeitendenBildschirmen. Ja, er wuchtete, denn Topthor wognach irdischen Begriffen fast zehn Zentner. Er war sobreit, wie er hoch war - nämlich einen Meter undsechzig Zentimeter. Seine Hautfarbe spielte insGrünliche, aber sein glatter Schädel war haarlos.Dafür trug er nach der Sitte seiner Rasse seinenrötlichen Vollbart.

Die »Galaktischen Händler« waren Artverwandtejener Arkoniden, die 32000 Lichtjahre von der Erdeentfernt ein großes Imperium besaßen, aber zuschwach geworden waren, es zu verwalten. Somitwaren auch die Händler selbständig geworden undschufen sich ihr eigenes Reich. Sie nahmenVerbindung mit allen bewohnten Planeten auf undlebten vom Handel.

Aber Topthor war wiederum kein gewöhnlicherHändler, sondern gehörte zur Sippe der sogenannten»Überschweren«. Vor undenklichen Zeiten, als dieVettern der Arkoniden noch auf Planeten wohnten,lebten sie auf einer Welt mit einer Schwerkraft von2,1 g. Die Folge war gewesen, daß sie im Verlaufvieler Generationen eine anatomische Veränderungdurchgemacht hatten, die ihnen ihre jetzigeKörperform verliehen hatte. Sie waren die

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Außenseiter ihres Volkes, aber galaktisches Denkenverbannte jegliche Diskriminierung. In ihrergerissenen Klugheit hatten die Händler - oder»Springer«, wie sie auch genannt wurden - aus deranatomischen Strukturveränderung ihrer GefährtenKapital geschlagen, wie auch diese selbst. Die»Überschweren« wurden die Wachtruppe derSpringer. Sie lebten davon, ihren Artgenossen aufderen Wunsch hin zu Hilfe zu eilen und notfalls fürsie zu kämpfen.

Diesmal jedoch handelte Topthor auf eigeneInitiative.

Er starrte auf den vordersten Bildschirm. Er zeigteeinen grünblauen Planeten mit allen Anzeichen einerblühenden Zivilisation. Kontinente lagen eingebettetin blaue Meere. Weiße Wolkenbänke lagerten überden Landstrichen und verbargen Einzelheiten.

Das riesige Wesen mit den menschlichanmutenden Gesichtszügen nickte und hieb mit derklobigen Hand auf einen Knopf. Sofort leuchtete einanderer Bildschirm auf. Das Gesicht eines anderenÜberschweren erschien. »Sie wünschen, Topthor?«

»Da unten auf dem Planeten drei dieses Systemsalso soll es sein? Hm, merkwürdig. Und wir erfahrenes erst heute.«

»Sie nennen sich Terraner«, half der andere aus.»Seit einigen Jahren erst kennen sie die Raumfahrt,und schon schicken sie sich an, uns ins Geschäft zupfuschen. Sie unterhalten bereits interstellareHandelsverbindungen.«

»Ich weiß, Grogham. Die Funksprüche unsererBrüder waren ja deutlich genug. Soweit ich michentsinne, haben Origans und Etztak ausführlicheBerichte ausgetauscht, die wir mithören konnten. Siehaben uns zwar nicht um Unterstützung gebeten, aberdie Gesetze verbieten unser Eingreifen keineswegs,wenn es für eine andere Händlergruppe keinenSchaden verursacht.«

Sie unterhielten sich in dem üblichen Interkosrno,das von allen raumfahrenden Völkern des Imperiumsgesprochen wurde. Grogham strich sich über denBart, der ihn älter erscheinen ließ, als er inWirklichkeit sein mochte.

»Die letzten Berichte besagen, daß Origans undEtztak genug damit zu tun haben, diesenBeauftragten des Terraners Perry Rhodan zu fangen,der sich auf einem Eisplaneten, etwa dreihundertLichtjahre von hier, verschanzt hat. Warum solltenwir in der Zwischenzeit nicht mal hier nachsehen -denn schließlich ist dieser Planet drei ja die Ursacheder ganzen Aufregung. Vielleicht können wir einGeschäft machen.«

Topthor wurde von einer Sekunde zur andereneiskalt.

»Hier wird kein Geschäft gemacht, Grogham. Hiernicht! Sie scheinen nicht begriffen zu haben, daß uns

zum erstenmal eine ernsthafte Konkurrenz entstandenist. Dieser Rhodan hat im Verlauf von einemJahrzehnt aus einem rückständigen Planeten eineinterstellare Macht geschaffen. Seine Schiffe greifenuns an. Er hat uns, den Springern, damit den Kriegerklärt. Und warum? Nur weil wir versuchten, ihmein wenig in die Karten zu gucken.«

»Nicht wir«, verbesserte Grogham pedantisch,»sondern Origans. Er kaperte mehrere SchiffeRhodans, um die Leute auszuhorchen. Wenn Sie dasals einen freundlichen Akt bezeichnen wollen ...«

»Ruhe!« brüllte Topthor - und wenn der zehnZentner schwere Koloß brüllte, erzitterten selbst dieBildschirme weit entfernter Schiffe. So war es keinWunder, daß Grogham erschrak. Schließlich war ernur Kommandant eines Schiffes, das zu TopthorsHandels- und Kampfflotte gehörte. »Was meinen Sie,was mich diese Kleinigkeiten interessieren? GlaubenSie, ich habe den weiten Flug unternommen, ummich in die Angelegenheiten anderer Händlersippenzu mischen oder ihnen gar zu helfen? Wenn es dabeietwas zu verdienen gibt, meinetwegen, aber bisherhaben weder Origans noch Etztak um Hilfe gebeten.Und bezahlt wird nur verlangte Hilfe.« Groghamschien ratlos. »Warum kamen wir dann, Topthor? Ichhabe noch niemals erlebt, daß Sie etwas grundlosgetan haben ...«

»Sehr gut beobachtet«, lobte Topthorgeschmeichelt. »Ich tue niemals etwas umsonst. Soauch diesmal nicht. Ich habe die Meldungen unsererinzwischen ausgeschalteten Spionage-Roboter undder Station auf denn Mond Titan genau verfolgt.Rhodan wird mit Etztak nicht fertig, wenn dieser aufden Gedanken kommen sollte, uns oder andereKampfeinheiten anzufordern - womit er zögert, weiles Geld kostet. Also plant Rhodan, sich selbst dienotwendigen Waffen zu beschaffen, um insbesondereEtztak niederzuringen. Und wo will er sich diebeschaffen?«

Grogham wußte es nicht. »Aber ich weiß es!«triumphierte der Kommandant der Flotte. »Zwarspricht man nur mit einer gewissen Skepsis von demPlaneten des ewigen Lebens, man raunt von seinerExistenz, aber niemand weiß, ob die Sage einenrealen Hintergrund besitzt. Ich bin gewohnt, jederSage einige Tropfen Wahrheit zuzutrauen also auchdieser.«

»Der Planet des ewigen Lebens?« murmelteGrogham ungläubig. »Ich hörte davon. Er sollirgendwo in den Weiten des Kosmos seineunberechenbare Bahn ziehen, aber niemand fand ihn.Ein schönes Märchen ...«

»Kein Märchen!« brüllte Topthor wütend.»Glauben Sie, dieser Rhodan würde einem Phantomnachjagen, wenn es um seine Existenz geht? Ich habeganz zuverlässige Informationen, daß er weiß, wo

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dieser sagenhafte Planet ist. Er kennt seine Position.Und er will ihn aufsuchen, um sich neue Waffen zuholen. Wenn ihm das gelingt, sind wir unsereVorrangstellung in der Milchstraße los. Wenn wirihm jedoch zuvorkommen, machen wir das Geschäftunseres Lebens,«

»Weiß Etztak von Rhodans Vorhaben?«»Natürlich weiß er es, aber er versucht auf andere

Weise, an die Informationen heranzukommen. Ihmscheint es wichtiger, jenen kleinen AngestelltenRhodans, einen gewissen Tifflor, zu fangen, der sichirgendwo auf einem Eisplaneten versteckt hält. Nun,ich bin klüger als Etztak.«

Grogham widersprach nicht. »Etztak und seineTaktiken interessieren uns im Augenblick nicht«,fuhr Topthor fort. »Wir haben nur ein einziges Ziel:Perry Rhodan zu überwachen, dieses erstaunlicheIndividuum, dem es gelang, den Arkoniden ihrestreng gehüteten Geheimnisse abzunehmen. Erimponiert mir, dieser kleine Terraner. Aber ich darfmich nicht von Gefühlen leiten lassen, dennimmerhin ist das Endziel dieses Terraners, unsereMacht zu brechen. Und das, Grogham, darf ihm nichtgelingen. Wenn im Imperium der Arkoniden wiedereinmal Ordnung herrscht, machen nicht mehr wirallein die Geschäfte - und mit dem Ausbeuten neuentdeckter Welten ist es dann ganz vorbei.«

»Wann, sagen die Meldungen, wird er starten?«»Wer? Rhodan? Das ist es ja - wir wissen es nicht.

Die Berichte sind schon alt - relativ alt. Sie brachenab, als Rhodans Großaktion unsere Relais-Stationen -besser, die von Etztak - außer Betrieb setzte. Wirhörten nur, daß Rhodan den Versuch unternehmenwill, den Planeten des ewigen Lebens aufzusuchen -und nun kommt das Wichtige an dieser Sache. Er willihn noch einmal aufsuchen. Das bedeutet, daß erbereits dort war und somit seine Position kennt.«

Groghams Vollbart zitterte merklich. Seine Augenwurden groß und rund.

»Er war schon dort?« Er atmete schwer. »Bei denGöttern des Universums und bei allen Märkten derGalaxis ...«

»Nicht wahr?« freute sich Topthor. »Das hört sichschon ganz anders an? Wir verfolgen keineverwehende Spur, sondern jagen einer Realität nach.Übrigens«, wechselte er abrupt das Thema, »nochkeine Meldung von den anderen Schiffen?«

»Sie stehen auf der anderen Seite des Systems,dreißig Lichtstunden entfernt. Bisher keineBeobachtung, daß terranische Schiffe gestartetwären. Auch fanden keine Transitionen statt.«

Topthor nickte befriedigt. »Das ist wichtig. DieTransitionen werden Rhodan verraten. Mit unserenRaum-Struktur-Tastern werden wir jede Bewegungdurch die fünfdimensionale Existenzebene bemerkenund errechnen können. Wir werden den Transitionen

einfach folgen, und wenn wir viel Glück haben, ganzin der Nähe rematerialisieren, wo auch Perry Rhodanmit seinen Schiffen in den Normalraumzurückkehrt.«

»Klug ausgedacht«, mußte Grogham zugeben.»Hoffentlich dauert das Warten nicht zu lange.«

»Und wenn es Jahre dauert«, gab Topthor bissigzurück, »es wird sich in jedem Fall lohnen. DerPlanet des ewigen Lebens - was ist er schon gegenein paar verlorene Jahre ...?«

Und wieder einmal blieb Grogham die Antwortschuldig.

Schweigend glitten die acht Schiffe weiter um dieentfernte Sonne und lauerten darauf, daß ein Terranerversuchte, den Planeten Erde und danach dasSonnensystem zu verlassen. Sie bildeten einenRiegel, der nicht durchbrochen werden konnte, ohnedie empfindlichen Ortungsgeräte zu alarmieren.

Ohne es zu wissen, war die Erde zum Mittelpunkteines intergalaktischen Absperrgürtels geworden.

Und dieser Gürtel hatte Zeit zum Warten ...

*

Perry Rhodan aber hatte nicht mehr viel Zeit.Das, was er seit einem Jahrzehnt erfolgreich zu

vermeiden gesucht hatte, war geschehen. Diemächtigsten Spezies des großen Imperiums derArkoniden war auf die Erde aufmerksam geworden.Vorbei war es nun mit der schützenden Isoliertheitund der wohltuenden Anonymität. Ausgerechnet dieSpringer, die Galaktischen Händler, mußten die Erdefinden!

Die erste Schlacht war gewonnen. Alle von denSpringern auf der Erde und im Sonnensystemeingesetzten Spionageroboter waren ausgeschaltetworden. In einem Blitzangriff hatte Rhodan dieFunkstationen auf Titan vernichtet. Aber noch warnichts entschieden. Im fernen System desDoppelsterns Beta-Albireo, 320 Lichtjahre von derErde entfernt, standen die beiden schweren KreuzerTERRA und SOLARSYSTEM im Kampf gegen diebewaffnete Handelsflotte der beidenSpringer-Kommandanten Origans und Etztak. Undauf dem zweiten Planeten des Systems, derurzeitlichen Eiswelt, harrten Julian Tifflor und seineFreunde aus und warteten auf ihre Befreiung. Gucky,der kleine Mausbiber mit seinen erstaunlichenFähigkeiten, war bei ihnen. Vielleicht gelang esihnen, die Springer solange hinzuhalten und vonRhodan abzulenken, bis dieser die notwendigenWaffen besaß, die Eindringlinge ein für allemal zuvertreiben.

Die Gesamtlage war also nicht gerade rosig zunennen, als das mächtige Schlachtschiff, dieachthundert Meter durchmessende Raumkugel

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STARDUST, dem Transitionspunkt entgegenraste.Perry Rhodan war entsprechend nervös.Reginald Bull registrierte das mit entsprechendem

Mißbehagen.»Ich möchte nur wissen, warum du dir solche

Gedanken machst, Chef«, versuchte er seinen Freundaufzuheitern. »Alles läuft prima. Um Gucky und Tiffbrauchen wir uns keine Sorgen zu machen, dieschaffen es schon. Und was Nyssen angeht ...«

»Major Nyssen hat keine leichte Aufgabe«,erinnerte ihn Rhodan ernst. »Die beiden unter seinemKommando stehenden Kreuzer kennen zwar ihrePflicht, aber ich weiß nicht, wie lange sie esaushalten werden, ständig neue Scheinangriffe zufliegen. Und was noch heikler ist: Wann werdendiese Springer, die ja schließlich eine intelligente Artzu nennen sind, endlich merken, daß wir sie nurhinhalten wollen?«

»Warum heißen sie eigentlich Springer? Sie sehendoch genauso aus wie wir.«

»Sie besitzen keine eigentliche Heimat, sondernspringen mit ihren Handelsschiffen vonSonnensystem zu Sonnensystem. Man nennt sie auchHändler, aber ich finde, Springer paßt besser zuihnen, weil es ihre Heimatlosigkeit betont.«

Bully sah auf den Bildschirm. Der RiesenplanetJupiter glitt seitlich aus dem Blickfeld. DieSTARDUST raste mit annähernderLichtgeschwindigkeit auf den jenseits der Plutobahnbefindlichen Transitionspunkt zu.

»Wie lange wird es dauern?« fragte er.Rhodan zog die Stirn kraus. »Du hast ein

unnachahmliches Talent dafür, die schwierigstenProbleme in einfachen Fragen auszudrücken, meinFreund. Wie lange wird es dauern - das ist ja dasVerrückte an der ganzen Sache! Ich fürchte, ich kanndir im Augenblick kleine Frage nicht beantworten.Du wirst dich entsinnen, daß wir schon einmal aufdem Planeten des ewigen Lebens weilten, und als wirdann zur Erde zurückkehrten, waren über vier Jahrevergangen. Planet Wanderer, das künstliche Gebildeeines Überwesens, existiert in einer anderenZeitebene. Wir müssen aber hin, um eine neue Waffezu erhalten, ohne die wir die Springer niemalsvertreiben können. Was geschieht, wenn wir erstnach ein oder zwei Jahren zurückkehren, auch wennwir glauben, nur wenige Tage auf Wanderer geweiltzu haben?«

Ein mattes Grinsen huschte über Bullys breitesGesicht. Seine roten Haarborsten machten nichteinmal den Versuch, sich bei dieser ungeheuerlichenVorstellung protestierend aus ihrem Pomadezwangzu befreien, wie sie es üblicherweise taten.Verächtlich winkte er mit der dicken Hand ab.

»Warum sollte das geschehen? Wir werden eseinfach bitten, die Zeitdifferenz auszugleichen.«

Rhodan sah für einen Augenblick in der Tatverdutzt aus. Dann zuckte er die Achseln.

»Es wird uns was husten, nehme ich an.«Es - das war das unbegreifliche Wesen, dem der

Planet Wanderer gehörte. Die Vereinigung einesuralten Volkes. In ihm lebten MilliardenBewußtseine, die freiwillig auf ihren Körperverzichtet hatten. Zu vergleichen war es nur miteinem Energiewesen, das die Intelligenzkapazitäteines gesamten Sternenvolkes in sich vereinigte. Es -das zuerst unbegreifliche Wunder, das man erst dannzu verstehen begann, wenn man sich der Tatsachebewußt wurde, daß es trotz seiner unendlichenÜberlegenheit Humor besaß.

»Warum sollte es das?« protestierte Bully undblieb diesmal ernst. »Du bist gut mit ihmausgekommen, bei deinem ersten und später zweitenBesuch, der allerdings nur Minuten dauerte. Warumsollte es uns nicht den Gefallen tun, diesen Zeitfaktoreinmal auszuschalten?«

Rhodan drückte halb geistesabwesend auf einenKnopf. Ein kleiner Bildschirm leuchtete auf. DasGesicht eines Mannes erschien. Es gehörte einemFunker. »Sir?«

»Senden Sie einen Hyperfunk-Spruch an MajorNyssen. Standort: System Beta-Albireo, 320Lichtjahre. Koordinaten bekannt. Text verschlüsselt.Wortlaut ...«

Er dachte einige Sekunden nach, dann sprach erweiter:

»An Kreuzer TERRA und SOLARSYSTEM.Unter allen Umständen aushalten und Schiffe nichtgefährden. Die Springer müssen von der Erdeferngehalten werden. Ich gebe Nachricht, sobald ichvon Wanderer zurückkehre. Zeit meiner Abwesenheitunbekannt. Rhodan.«. Der Funker nickte.

»Mit Kreuzimpuls, Sir?«»Selbstverständlich. Und zwar sofort!«Bully sah zu, wie das Gesicht auf dem Schirm

allmählich verschwand und sich in farbige Spiralenverwandelte, die immer dunkler wurden, bis sieeinfach nicht mehr vorhanden waren.

»Hoffentlich schnappt niemand das Signal auf«,murmelte er besorgt. »Und wenn schon«, beruhigteRhodan. »Es schadet nichts, wenn Etztak weiß, daßwir mit unseren Schiffen in Verbindung stehen.Entziffern kann er die Botschaft ohnehin nicht.«

»Daran dachte ich weniger, Chef. Aber wenneinige Schiffe der Springer hier in der Nähe weiltenund so unsere Position anpeilen ...«

Rhodan war um eine Nuance blasser geworden. Erwußte sofort, was Bully meinte. Wenn jemand denTransitionspunkt wußte und sich hinter sie setzte, wares durchaus nicht unmöglich, daß er ihnen folgte. MitHilfe der empfindlichen Ortungsgeräte und derStrukturabtaster war das kein unüberwindliches

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Problem. Aber dann schüttelte er den Kopf.»Wir haben alle automatischen Spionageanlagen

der Springer im Sonnensystem vernichtet. Sie habenkeine Schiffe mehr hier.«

Weder Rhodan noch Bully wußten etwas von derExistenz der sogenannten Überschweren, geschweigedenn davon, daß ausgerechnet diese kampfgewohnteSippe darauf aus war, durch sie den Planeten desewigen Lebens zu entdecken. Zum erstenmal inseinem Leben beging Rhodan den Fehler, einenGegner zu unterschätzen. Sicher, er wußte, daß er mitden herkömmlichen Mitteln die Springer auf keinenFall besiegen konnte, dazu war diese Zivilisation zualt und erfahren. Bei ihren Tauschgeschäften mit fastallen bewohnten Welten dieses Teils der Milchstraßehatten sie es verstanden, sich alle Waffenanzueignen, die es gab. Dagegen kam auch ein PerryRhodan nicht an - noch nicht.

Hinzu kam, daß Rhodan sichtlich nervös war. DieUnsicherheit, welchen Streich ihm dieZeitverschiebung nun wieder spielen könnte, machteihn unruhig und unvorsichtig. Bullys Rat, es um eineNeutralisierung der beiden verschiedenenExistenzebenen zu bitten, war nicht mehr als ein Ratgewesen. Ob es ihrer Bitte Gehör schenken würde,war eine andere Frage.

Ein Summen unterbrach seine düsteren Gedanken.Ein Relais schaltete sich ein und verband die Zentraleautomatisch mit dem Funkraum. Dort lief ebenNyssens Bestätigung ein, ein sekundenlanger Impuls,der entschlüsselt folgende Meldung ergab:

»Botschaft erhalten. Keine Sorge. Wir machen denHändlern zu schaffen. Uns erwischen sie nicht. Wirerwarten die STARDUST bald im System Albireo.Bis dahin halten wir aus. Nyssen.«

Rhodan schien nicht erleichtert. Er dankte derFunkzentrale und schaltete dann den Interkom ein,der seine Stimme in alle Winkel des gigantischenSchiffes dringen ließ. Dann sagte er:

»Kontrollzentrale an Mannschaft! Wir erreichen inzwei Stunden den Transitionspunkt jenseits Pluto.Eine halbe Stunde vor der Transition setzt dieMinutenwarnung ein. Das wäre alles.«

»Noch zwei Stunden!« stöhnte Bully inkomischem Entsetzen. »Und das beiLichtgeschwindigkeit!«

Rhodan lächelte, aber diesmal fehlte seinemLächeln die sonst übliche Beruhigung.

»Das Licht ist eben zu langsam, Bully.«

*

Topthor riß seine massige Gestalt aus dem Sessel,als Grogham ihn rief. Der rote Vollbart seinesGefährten auf dem Bildschirm zitterte vor Erregung.

»Topthor, unsere Geräte haben eine riesige

Raumkugel geortet, die Kurs aus dem System nimmt.Die Maße sind beängstigend ...«

»Dann ist es das Hauptschiff dieses Rhodan«,nickte Topthor, ohne besonders beeindruckt zu sein.»Es ist also soweit! Wie wurde es gefunden?«

»Funkspruch. Die Richtung wurde festgestellt.Beta-Albireo. Er war nicht zu entschlüsseln.Wahrscheinlich eine Nachricht für die dortstationierten Streitkräfte.«

»Soll sich Etztak mit denen herumschlagen,Grogham. Mich interessiert nur Rhodan und seinZiel. Lassen Sie genaue Berechnungen anstellen. Wirfolgen Rhodan in Sicherheitsabstand. Ortungssperreneinschalten, damit er uns nicht bemerkt. Sobald dieerwartete Transition stattfindet, Position und Stärkeder Raumerschütterung berechnen. Wir folgen dannmit der gleichen Sprungintensität. Wenn alles klappt,kommen wir in maximal einem Lichtjahr Entfernungvon Rhodan aus dem fünfdimensionalen Feld wiederheraus. Klar?«

»Alles klar«, bestätigte Grogham und unterbrachdie Verbindung.

Topthor ließ sich wieder in seinem Sessel niederund verfolgte die Geschehnisse auf dem Bildschirm.Zuerst wurde eine winzige Kugel sichtbar, die mitLichtgeschwindigkeit aus dem Sonnensystemherausstrebte. Sie würde die lauernde Flotte desÜberschweren in einer Entfernung von einer halbenLichtstunde passieren. Die Ortungssperren mußtenalso eingeschaltet werden. Damit wurde Topthor undseine kleine Flotte für Rhodans Suchgeräteunsichtbar.

Drei Minuten wurden zu Stunden. DieSTARDUST glitt an den acht walzenförmigenSchiffen vorbei und schoß hinein in den interstellarenRaum. Die Transition konnte nun jeden Augenblickerfolgen.

Topthor ließ auf neuen Kurs gehen. Sie folgtennun der STARDUST in einem genau berechnetenSicherheitsabstand und warteten auf die allesentscheidende - und auch alles verratende Transition.

Sie erfolgte nach ungefähr weiteren zwei Stunden.Auf dem normalen Bildschirm war ein kurzes

Flimmern, und dann verschwand das riesigeKugelschiff, als sei es nie zuvor da gewesen.

Die Strukturabtaster empfingen die Erschütterung,die mit Überlichtgeschwindigkeit durch dasZeit-Raum-Gefüge raste, und maßen sie. DieInstrumente einer unvorstellbaren Technik begannenzu arbeiten. Zehn Minuten später lag das Ergebnisvor. Grogham gab es stolz bekannt.

»Intensität 467 Sprungeinheiten. Richtunggleichbleibend. Entfernung 1602,18 Lichtjahre,minus oder plus 0,661. Ihre Befehle, Kommandant?«

»Transition - sofort!« Die Funksignale rastendurch die acht Schiffe. Relais klickten. Der Antrieb

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summte stärker. Die zwischen Topthor und demTransitionspunkt der STARDUST liegendeEntfernung mußte in die Berechnungen einkalkuliertwerden. Und dann ...

Ein Flimmern dort, wo die acht Schiffe gestandenhatten - und dann nichts mehr.

Die Flotte Topthors hatte den Sprung insUngewisse gewagt.

Die Erschütterung der achtfachen Transition rastedurch das Universum.

*

Als Rhodan die ersten Schmerzen deszurückkehrenden Bewußtseins verspürte, wußte er,daß die Transition gelungen war. Neben ihm stöhnteBully und sah nach, ob alle Gliedmaßen wieder anihrem richtigen Ort saßen. Er befürchtete immerwieder, daß einmal eine Panne passierte und er beider Rematerialisation seine Nase an anderer Stellewiederfand.

»Alles vorhanden?« erkundigte sich Rhodanspöttisch. Er teilte die heimlichen Befürchtungenseines Freundes nicht, dafür hatte er andere Sorgen.»Hoffentlich finden wir Wanderer.«

Das nämlich war das Problem. Der künstlichePlanet des Überwesens war für alle Ortungsgeräteunsichtbar und konnte nicht angepeilt werden. Wennes sich nicht meldete und keine Hinweise auf seineExistenz gab, würde man Wanderer niemals finden -es sei denn durch einen puren Zufall. Und auf denwollte Rhodan sich nicht verlassen.

Wanderer beschrieb eine Bahnellipse von zweiMillionen Jahren Dauer. Er umlief an die dreißigSonnensysteme, die in einer fast geraden Linie lagen.Zwei von ihnen bildeten die Brennpunkte derUmlaufellipse. Und es hatte Rhodan sehr zu denkengegeben, daß ausgerechnet das irdischeSonnensystem einer dieser Brennpunkte war. Um denanderen würde er sich noch bei Gelegenheitkümmern müssen. Er ahnte, daß ihm da eineÜberraschung bevorstand.

Obwohl er wußte, wie sinnlos es sein würde, ließer die übliche Ortungsmaschinerie anlaufen. EinBlick auf den Bildschirm zeigte ihm, daß dieSTARDUST mitten in einem sternenlosen Teil derMilchstraße stand. In, einem Umkreis von fünfzigLichtjahren gab es keine Sonne. Nur in weiter Fernestanden die unzähligen Sterne und leuchteten ruhigund wie abwartend. Sie blinkten nicht und waren wiedie unzähligen Augen eines unsichtbarenUngeheuers.

So war es auch damals gewesen, als Rhodan zumerstenmal den Planeten des ewigen Lebensaufgesucht hatte, um die Zelldusche zu erhalten, dieseinen Alterungsprozeß für die nächsten sechs

Jahrzehnte aufhielt. Nichts hatte darauf hingewiesen,daß in unmittelbarer Nähe ein künstlicher Planetseine Bahn zog, auf dem es lebte. Es, dessen Spurdurch Zeit und Raum Rhodan gefolgt war, um dasGeheimnis der Unsterblichkeit zu finden. Nun, dasGeheimnis selbst war ein solches geblieben, aber eshatte ihm das Geschenk der Lebensverlängerunggegeben, weil er alle Rätsel gelöst hatte. Auch Bullywurde davon betroffen, und er war somit wenigstensfür die kommenden sechzig Jahre die Sorgen los, wieer ein Weißwerden seiner herrlich roten Haarborstenvermeiden könnte.

Und damals hätten sie niemals den Planetenentdeckt, der ihren Augen unsichtbar ganz in derNähe seine Bahn zog, wenn es sich nicht bemerkbargemacht hätte. In einer Halle der STARDUST warplötzlich ein monströses Etwas materialisiert, dasman nur mit Hilfe größten technischen Einsatzesunschädlich machen konnte. Dazu hatte derUnbegreifliche homerisch gelacht, als bedeutete dasalles für ihn nichts anderes als einen Spaß. UndRhodan hatte sehr bald begriffen, daß es in der Tat sowar.

Aber er hatte noch etwas anderes begriffen. Eshatte ihm mit Hilfe eines Fiktiv-Materietransmittersdas Ungeheuer ins Schiff teleportiert. Und genau daswar es, warum er nun nach Wanderer zurückgekehrtwar. Er wollte es bitten, ihm einen solchen FMT zurVerfügung zu stellen - vielleicht sogar zwei. Eskonnte keine vollkommenere Waffe geben.

»Wir werden Wanderer finden«, verscheuchteRhodan Bullys Bedenken. »Ich weiß nur nicht, wielange es dauern wird.« Er entsann sich, wie er damalsmit ihm gesprochen hatte. Eigentlich war es einfreundschaftliches Gespräch gewesen. »AlterFreund«, so hatten sie sich gegenseitig genannt. Eshatte eben Humor. »Gib die dritte Alarmstufe durch.Es ist immerhin möglich, daß wir mit einigen hartenSpaßen empfangen werden.«

Bully nickte und begab sich in die Funkzentrale,um von dort aus alles Nötige zu veranlassen. Rhodanblieb allein in der geräumigen Zentrale zurück. Erstand da und starrte verloren auf den Bildschirm, dernichts anderes als weit entfernte Sterne zeigte. KeineSpur von Wanderer, dem Lebensplaneten, auf dem eshauste und sich seiner Unsterblichkeit wegenunendlich langweilte. »Hallo Darling!«

Es war Rhodan, als träfe ihn der Schlag. Unter denfünfhundert Besatzungsmitgliedern gab es natürlichauch Frauen und Mädchen, aber er konnte sich nichtentsinnen, jemals mit einer von ihnen intimereBeziehungen unterhalten zu haben. Alle sahen in ihmden Kommandanten, den harten, humorvollen, aberauch unnahbaren Kommandanten. Und nun ...

Er fuhr herum und starrte in das Gesicht einerFrau. Irgendwie kam ihm das Gesicht bekannt vor. Er

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mußte es schon einmal irgendwo gesehen haben.»Aber Darling, kennst du mich denn nicht mehr?«Die Stimme war einschmeichelnd und liebkosend,

gleichzeitig klang sie lockend und fordernd. DasGesicht war nicht gerade unschuldig zu nennen, aberes besaß einen gewissen Liebreiz, dem auch Rhodansich nicht verschließen konnte. Aber er wußte ja, daßer keinem wirklichen Menschen gegenüberstand,sondern nur einer geschicktenMaterie-Gedanken-Spiegelung des Unsterblichen.

»Hallo, Madam«, ging er also auf den Scherz desGroßen ein. »Sie kommen im Auftrag meines altenFreundes, nehme ich an. Bitte, nehmen Sie Platz.«

»Aber Darling, seit wann so förmlich?«Sie trat auf ihn zu und legte ihre schlanken Arme

um seinen Nacken. Rhodan spürte die Wärme ihresKörpers und war unfähig, sich zu rühren. Wie erstarrtblieb er stehen und atmete den Duft der schönen Frauein. Sie trug ein Kleid, das nur aus einemsarongähnlichen Umhang zu bestehen schien.»Ähem«, räusperte sich Rhodan ungeschickt. Er hattenicht viel Erfahrung im Umgang mit Frauen, schongar nicht mit Frauen, die überhaupt nicht existierten.Doch war die Nähe dieser körperlichen Erscheinunggenauso real wie damals die des grauenhaftenUngeheuers. Immerhin hatte es seine Taktik geändertund war von Ungeheuern zu Frauen übergegangen.Ein beträchtlicher Sprung - unter Umständen.

»Nun?« machte die Schöne und lächelteverführerisch. »Du gehst wohl nicht oft ins Kino,was?«

»Selten«, gab Rhodan zu und wußte plötzlich, werda aus dem Nichts in seine Zentrale gekommen war.Der Unsterbliche hatte in seiner Erinnerung geforschtund den flüchtigen Eindruck an einen längstvergessenen Film gefunden - und materialisiert.Darum also kam sie ihm so bekannt vor.

»Perry!« sagte sie plötzlich und umarmte Rhodanso stürmisch, daß er keine Bewegung der Abwehrmachen konnte, obwohl er sich das für einen solchenFall fest vorgenommen hatte. »Liebst du micheigentlich noch immer? Nicht wahr, ich habe dirdamals doch sehr gefallen?«

Verdammt, sie existiert nicht in Wirklichkeit,redete Rhodan sich erbittert ein, obwohl er genauwußte, daß sie doch existierte. Nicht die gleichePersönlichkeit, soweit er das beurteilen konnte. Nureine Nachahmung, die aus der Erinnerung herausmaterialisiert worden war. Oder aber - und auch daswar bereits einmal vorgekommen - es holte sich dentatsächlichen Menschen von der Erde - nur seinenGeist. Aber der Geist genügte, ihn ebenfallsmaterialisieren zu lassen. Es hatte sogar schon ganzeMenschengruppen aus der Vergangenheit der Erdegeholt und sie in die Zeitebene des KunstplanetenWanderer versetzt, wo sie so handelten, als seien sie

noch auf der Erde.Aber wie dem auch sei, die Körperwärme der

schönen Filmschauspielerin, deren Namen Rhodannicht einmal wußte, war sehr wirklichkeitsgetreu. Erwehrte sich gegen das merkwürdige Gefühl, das vonihm Besitz zu ergreifen drohte. Mit Aufbietung allerseiner Kräfte stieß er die Frau von sich.

Aber er hatte sich geirrt. Die Schöne hatte Kräfte,mit denen sie selbst einen Preisboxer auf den Rückengelegt hätte. Rhodan vermochte nicht, sie auch nureinen Zentimeter wegzuschieben. Im Gegenteil. Mitihrem zuvorkommendsten Lächeln zog sie ihn nochenger zu sich heran und küßte ihn auf die Lippen.

Das hätte Rhodan eventuell noch verwinden undihm verzeihen können, wenn nicht ausgerechnet indiesem Augenblick Bully in die Zentralezurückgekommen wäre. In seiner Begleitung befandsich Redkens, ein Kadett der Raum-Akademie derDritten Macht. Bei diesem Flug arbeitete er in derNavigationsabteilung der STARDUST.

Bullys Gesicht war zum Malen. Er machte zweioder drei Schritte, ehe sein Gehirn begriff, was seineAugen sahen. Da vorn, dicht bei den Kontrollen,stand sein Freund und Meister Perry Rhodan undwehrte sich mit Händen und Füßen dagegen, vonCleopatra geküßt zu werden. Bully hatte den Filmnatürlich auch gesehen und mehr von ihm behaltenals Rhodan.

»Mensch!« stöhnte er unartikuliert und stützte sichgegen die ovale Wand. »Mensch - die Rallas! Ichwerde verrückt?«

»Wer?« stammelte der junge Kadett und wurdeknallrot im Gesicht. Er war ein eifriger aberhoffnungsloser Verehrer der bekanntenFilmschauspielerin und traute seinen Augen nicht, siehier, mehr als anderthalbtausend Lichtjahre vonHollywood entfernt, in den Armen seinesKommandanten vorzufinden.

Rhodan drehte mühsam den Kopf. Sein hübscherQuälgeist schien sich nicht im geringsten etwasdaraus zu machen, daß sie Zuschauer erhalten hatten.Stürmisch biß die nur zu reale Erscheinung ihremwiderspenstigen Liebhaber in die Ohrläppchen.

Rhodan stieß einen erschrockenen Schrei aus undtrat der weltbekannten Rallas vor die Schienbeine.Aber das schien ihr ebenfalls nichts auszumachen.

»Darling, ich liebe dich«, hauchte sie.Bully traf bald der Schlag. Nur mit Mühe hielt er

sich aufrecht. Mit aufgerissenen Augen starrte er aufdie unglaubliche Szene. Mit keinem Gedankendachte er daran, das erste Lebenszeichen desUnsterblichen vor sich zu sehen. Er sah nur dieschöne Frau in Rhodans Armen.

»Hast du die an Bord geschmuggelt, Chef?« japsteer hilflos. »Davon hättest du mir aber auch etwassagen können!«

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»Vielleicht sollten wir sie besser allein lassen«,sagte Redkens höflich und wandte sich bereits zumGehen, als Rhodans verzweifelter Schrei ihn bannte.

»Unterstehen Sie sich, Kadett Redkens! BefreienSie mich von diesem Weib - aber dalli!«

»Es ist Cleopatra!« verbesserte Redkins völligverstört. »Vielmehr, es ist die göttliche Rallas ...«

»Es ist mir egal, wer sie ist!« tobte Rhodan undversuchte immer noch, sich aus den unnachgiebigenArmen seiner plötzlichen Geliebten herauszuwinden.»Na los, helft mir endlich!«

Redkens begriff kein Wort von dem, was sein Chefsagte. Warum hatte Rhodan sich denn die Rallasmitgenommen, wenn er sie nicht mochte? So etwashätte er Rhodan niemals zugetraut. Immerhin ...

»Na, los schon!« ächzte Bully und setzte sich inBewegung. »Ich begreife zwar überhaupt nichtsmehr, aber vielleicht ist sie verrückt geworden.«

Aber kaum berührte er den Arm der schönenCleopatra, daließ diese Rhodan auch schon los,drehte sich um und sah in Bullys rotes Gesicht.

»Bully, mein geliebtes Bullylein! Komm in meineArme, Geliebter!« Und schon saß Bully in derKlemme. »Hier also treffen wir uns wieder.« Dieroten Lippen des Weltstars preßten sich auf dieseinen und erfüllten somit seinen uralten Wunsch,einmal von der schönen Rallas geküßt zu werden.Wehrlos ließ er alles mit sich geschehen und achtetenicht einmal auf das homerische Gelächter, das inseine Ohren dröhnte. Auch Rhodan, fürs erste vonden Zudringlichkeiten der unverhofften Besucherinbefreit, mußte lachen, als er Bully, in den Armen derRallas regelrecht zerschmelzen sah.

Nur der unglückliche Kadett Redkens mußte sichunter diesen Umständen als vom Schicksalstiefmütterlich behandelt sehen. Er starrteabwechselnd von Rhodan auf das engumschlungenePaar und wußte nicht mehr, was er von der Situationhalten sollte.

Endlich schien der Unsterbliche einzusehen, daß esso nicht weitergehen konnte. Er sorgte dafür, daßCleopatra ihr Opfer freiließ.

Bully stand plötzlich allein und umfing jemand,der nicht mehr vorhanden war. Der Anblick war sokomisch, daß Rhodan nun seinen Zorn völlig vergaßund laut zu lachen begann. Bully öffnete die verzücktgeschlossenen Augen und bemerkte, wie lächerlich ersich benahm. Und das in Gegenwart von Redkins, dergegen die Wand gelehnt stand und immerzustammelte:

»Ein Autogramm! Und ich hätte so gern einAutogramm von ihr gehabt!«

»Halten Sie den Mund, Redkens! Das Weib hätteIhnen niemals ein Autogramm geben können - es warein Geist.«

Redkens war auf der ersten Reise zum

Lebensplaneten noch nicht dabei gewesen, alsowußte er nichts von den merkwürdigen Spaßen desunfaßlichen Wesens.

»Ein Geist? Aber ich kenne doch die Rallas ...«»Es hätte ebensogut auch Kolumbus sein können«,

warf Rhodan ein. »Aber Kolumbus hätte mich sichernicht so erschreckt wie diese ... wie hieß die Dame?«

»Rallas - die göttliche Rallas!« stöhnte Redkensenttäuscht. »Wie ist ein Geist möglich, der einenKörper hat?«

»Es kann alles«, klärte Bully ihn auf, derallmählich seinen Schock überwand und begriff,welcher Illusion er zum Opfer gefallen war. »Esschafft aus unserer Vorstellung heraus materielleIllusionen. Es sind nichts als materialisierteGedanken. Im Unterbewußtsein Rhodans war dieErinnerung an diesen einen Film mit der Rallas - undschon bildete der Unsterbliche die genaue Imitationund materialisierte sie hier im Schiff. Ganz einfach -obwohl ich zugeben muß, im ersten Augenblickdarauf hereingefallen zu sein.«

»War ein ziemlich länger Augenblick«, machte ihnRhodan aufmerksam und verstummte jäh. In seinemGehirn war plötzlich eine Stimme die diesmallautlose telepathische Stimme von ihm, demUnsterblichen.

»He, alter Freund«, sagte es. »Du kommst michbesuchen? Ah, du hast gewichtige Gründe, wie ichsehe. Nun, wir sollten uns ausführlich darüberunterhalten. Behaltet den jetzigen Kurs bei, ebenfallsdie Geschwindigkeit. In genau drei Minuten prallt ihrgegen den Schutzschirm von Wanderer. Bremst.«

Rhodan wartete auf weitere Anweisungen, aber siebleiben aus. Er sah Bully an. »Hast du eben eineStimme gehört?«

»Nein. Du?«Da wußte Rhodan, daß es nur mit ihm allein

gesprochen hatte. Und, so seltsam es auch schien,diesmal schien es Wert darauf zu legen, so schnellwie möglich mit Rhodan zu sprechen. Die exaktePositionsangabe ließ darauf schließen.

»Bremsung«, befahl Rhodan. »Bully, sorge dafür,daß die Mannschaft sich auf eine starke Verzögerunggefaßt macht. Trotz unserer Schwerkraftfelder wirdes einen hübschen Stoß geben. Wir treffen in dreiMinuten auf das Energiefeld von Wanderer. Es wirduns abbremsen. Und dann ...«

Jemand lachte. Es war Redkins. Der junge Kadettstand immer noch gegen die Wand gelehnt. In derHand hielt er eine Postkarte mit einem Foto. Erstarrte darauf und lachte, bis ihm die Tränen kamen.

Bully ging hin und nahm ihm das Foto ab. Er sahnur eine Sekunde darauf, ehe auch er zu lachenbegann. Wortlos reichte er das Foto weiter. Rhodansah eine haarscharfe und farbgetreue Aufnahme derDame, die ihn noch vor Minuten so energisch an

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ihren Busen gedrückt hatte. Darunter stand inzierlicher Handschrift:

»Meinem treuen Verehrer Redkens mit den bestenWünschen, die Rallas.«

*

Die Raumschiffe der Springer waren nacharkonidischem Prinzip konstruiert worden, wenn siesich auch nicht alle glichen. Jeweils die Flaggschiffeder einzelnen Sippenflotte waren mit Strukturtasternausgerüstet, die jede Erschütterung desRaum-Zeit-Gefüges registrierten und anzeigten.Gekoppelt mit diesen Tastern waren die Instrumente,die eine entsprechende Ortung ermöglichten unddamit auch die Entfernung errechneten, welche vonjemand zurückgelegt wurde, der eine solcheStrukturerschütterung hervorrief.

Und so war es weiter kein Wunder, daß Topthormit seiner Flotte keine fünf Lichtstunden vonRhodans STARDUST entfernt in den Normalraumzurückkehrte.

Er mußte die gleiche Feststellung wie Rhodantreffen. In einem Umkreis von fünfzig Lichtjahrengab es keinen Brocken bemerkenswerter Materie -von der STARDUST abgesehen. Topthor starrte mitverkniffenem Gesicht auf den Bildschirm. Von einemanderen Schirm herab blickte ziemlich gelassenGrogham.

»Nun, wo ist der Märchenplanet, Topthor?«Der Anführer der Überschweren ließ sich nicht aus

der Ruhe bringen. Er unterließ es keine Sekunde, dieSTARDUST zu beobachten. Nur nicht aus denAugen und Instrumenten verlieren ...

»Glauben Sie vielleicht, er liegt uns gleich vor derNase? Es wird entsprechende Vorsichtsmaßnahmengeben, und wenn ich mich nicht irre ...« Erunterbrach sich. Auf dem Hauptbildschirm, auf demdie STARDUST zu sehen war, geschah nun etwassehr Merkwürdiges.

Die STARDUST war eine Kugel von achthundertMeter Durchmesser, und die eine Hälfte dieserriesigen Kugel begann zu verschwinden. Es war, alsfände dort, fünf Lichtstunden von ihnen entfernt, eineMondfinsternis statt. Es ging alles sehr schnell. Dieeine Hälfte der STARDUST verschwand im Verlaufvon zwanzig Sekunden, der Rest benötigte bereitseine Minute. Der Prozeß des Verschwindens lief alsodem Ende zu langsamer ab.

Topthor konnte sich den Vorgang nicht erklären.»Verdammt - das war keine normale Transition«,

sagte er ein wenig verstört. »Es fand keineErschütterung des Kontinuums statt. Es warüberhaupt keine Transition. Etwas hat das SchiffRhodans ... gefressen.«

»Gefressen?« stammelte Grogham und wurde blaß.

»Wie meinen Sie das?«Durch das Schiff Topthors raste der Alarm. Die

Flotte setzte zu einer Kurztransition über fünfLichtstunden an. Als sie wieder rematerialisierte, warder Raum um sie herum leer. Die Instrumente zeigtenin einem Umkreis von fünfzig Lichtjahren nichtsmehr an. Es gab also auch keine STARDUST mehr,obwohl das völlig unmöglich war. Materie kannnotfalls unsichtbar gemacht werden, aber man kannsie nicht einfach spurlos verschwinden lassen.Wenigstens nicht ohne eine normale Transition - diezweifellos von den Geräten registriert worden wäre.

Wo also war die STARDUST geblieben?Topthor fand keine Antwort auf seine Frage, und

zum erstenmal stand er vor einem ungelöstenProblem. Praktisch sogar vor einem unlösbaren. Übermehr als anderthalbtausend Lichtjahre hinweg hatteer Rhodan verfolgen können - und nun hatte sichdieser Terraner einfach in Vakuum verwandelt. Dasging keinesfalls mit rechten Dingen zu. Groghammeinte: »Wenn er hier an dieser Stelle verschwundenist, wird er auch wieder zurückkommen. Wir müssennur die Geduld aufbringen, solange zu warten.«

»Das war auch mein Gedanke«, murmelte Topthorungehalten. »Machen wir uns auf lange Wartezeitgefaßt - aber wir haben ja Zeit.«

»Kann ich der Besatzung eine Ruhepausegestatten?« fragte Grogham. Topthor nickte.»Veranlassen Sie die Kapitäne der anderen Schiffe,eine Schlafperiode einzulegen. Ich glaube nicht, daßin den nächsten Stunden etwas geschieht.«

Topthor irrte sich. Aber wie hätte er auch ahnenkönnen, daß den Leuten nicht einmal Zeit blieb - zumEinschlafen ...

2.

Mit gedrosselter Geschwindigkeit raste dieSTARDUST in die energetische Schutzglocke desKunstplaneten Wanderer. Binnen kurzer Zeit fielendie Geschwindigkeitsmesser auf Null.

Trotz aller eingeschalteten Neutralisationsfelderging ein scharfer Ruck durch das Schiff. Alle Leute,die sich nicht festgeschnallt hatten, wurdendurcheinander geworfen. Zum Glück hatte Rhodan inErwartung des Schocks entsprechendeVorsichtsmaßnahmen angeordnet, so, daß niemandverletzt wurde.

Im Verlauf von achtzig Sekunden durchstieß dieSTARDUST den künstlichen Himmel von Wandererund - dann lag der Planet vor ihnen.

Es war eine Welt der Wunder. Sie vereinigte allesauf sich, was auf den bewohnten Welten derMilchstraße gefunden werden konnte. WelligeLandschaften mit sanft dahingleitenden Strömenwechselten mit weiten Meeren, in denen malerische

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Inselgruppen lagen. Die Kontinente waren mitparkartigen Wäldern bedeckt. Dazwischenerstreckten sich riesige Steppen, mit denmerkwürdigsten Tieren bevölkert. Schroffe Gebirgeunterbrachen das Landschaftsbild und vermitteltenAbwechslung. Durch die Luft taumelten urweltlicheDrachenvögel.

Es war eine Welt, die ein Paradies darstellte.Aber es war keine normale Welt. Sie war flach.

Der Planet Wanderer war kein Planet im eigentlichenSinne, sondern eine riesige Scheibe mit einemDurchmesser von 8000 Kilometern. Darüber wölbtesich die Energieglocke, an deren höchster Stelle einekünstliche Atomsonne schien, die der seltsamen WeltWärme, Licht und Leben gab.

Diese Welt war nur dann sichtbar, wenn man sichinnerhalb der Energieglocke aufhielt. Selbst aus dergeringsten Entfernung wurde sie nicht nur unsichtbar,sondern auch nicht existent. Sie befand sich in eineranderen Zeitebene und konnte selbst von denempfindlichsten Instrumenten nicht geortet werden.

Rhodan ließ die Metallplatten vor den Sichtlukenbeiseite gleiten, als er in der Beobachtungskuppel derRaumkugel anlangte, Bully war bei ihm. Erneut vondem unbegreiflichen Wunder des Unsterblichen bisins Tiefste ihrer Seele erschüttert, betrachteten sie dasunter sich vorbeiziehende Bild der Landschaft.»Gefällt es dir, alter Freund?« Die Stimme desUnbegreiflichen war plötzlich fast körperlich spürbarin dem Raum. Es schien, als habe es nicht nurtelepathisch, sondern ganz real zu ihnen gesprochen.Rhodan lächelte gefaßt.

»Es ist ein wunderbarer und friedlicher Planet,alter Freund. Du hast dir ein Paradies geschaffen,um das dich jeder Sterbliche beneiden könnte.«

»Nicht nur die Sterblichen, auch die Unsterblichenbeneiden mich darum«, kicherte es vergnügt. »Duwillst mich besuchen?«

»Ich komme mit einer Bitte zu dir«, bekannteRhodan und sah immer noch hinab auf diemärchenhafte Landschaft. »Du wirst schon wissen,was ich von dir will.«

»Keine Ahnung«, log es. »Woher sollte ich eswissen? Ich schnüffle nicht in den geheimstenGedanken meines Freundes.«

»Gekohlt!« protestierte Bully, der an die Rallasdachte, die man ihm so abrupt wieder weggenommenhatte. »Ich kann beweisen ...«

»Ach, unser Freund Bully«, meinte der unsichtbareSprecher. »Die hübsche Imitation ärgert ihn? Na gut,er soll seine Freude haben. Ich werde sie ihm heuteabend in seine Kabine schmuggeln ...«

»Unterstehen Sie sich!« brüllte Bully erschrocken,der weniger die Rallas als das Gelächter derMannschaft fürchtete. Sein rotes Gesicht war in derTat bemerkenswert blaß geworden. Er wurde jedoch

noch eine Kleinigkeit blasser, als es brüllend lachte.Es war eben überall und würde somit auch Bullyserschrockenes Gesicht sehen können.

»Schöne Frauen sind viel interessanter als Indianeroder Wildwest-Revolverhelden«, sagte die Stimmeamüsiert und spielte damit auf die Spiegelungen an,die beim ersten Besuch Rhodans herhalten mußten,die Terraner von ihrem Ziel abzuhalten. »Übrigens,alter Freund, behalte den Kurs nur bei. Lande wiederbei der Maschinenstadt. Sie hat sich nur unwesentlichverändert, und du wirst die große Halle wiederfinden,in der ich dich erwarte. Homunk wird dich führen.«

Rhodan war erstaunt. »Woher weißt du, daß ichden Roboter so nannte?«

»Aber, alter Freund, Homunk ist doch keinRoboter. Er ist ein Terraner, den ich geschaffen habe- gewissermaßen aus überflüssiger Materie. Er gefielmir, und so ließ ich ihn bestehen. In der Zwischenzeitist er sogar klüger geworden - er freut sich auf denBesuch.«

»Und«, fragte Rhodan, »du hast keineÜberraschungen mehr mit uns vor? Keine Prüfungen,keine Rätsel?«

»Nein, alter Freund. Warum sollte ich? Ich werdenoch früh genug meinen Spaß haben.«

Als die Stimme schwieg, war es Rhodan undBully, als verließe ein Unsichtbarer den Raum.Irgend etwas wich von ihnen. Es zog sich zurück undließ sie allein. Bully atmete auf. »Unheimlich. Ichwerde wohl nie damit fertig werden, daß ein solchesWesen existiert. Es kann zaubern - es hat sich dieLebewesen von anderen Planeten und aus anderenZeiten hierhergeholt. Es ist allmächtig wie ...«

Rhodan schüttelte leicht verweisend den Kopf.»Nein, es ist nicht Gott. Es ist nichts als ein

Wesen, das aus der Verschmelzung eines ganzenVolkes entstanden ist und damit ihr gesamtes Wissenbesitzt. Es aber als Gott zu bezeichnen, wäreBlasphemie. Vielleicht grenzt sein Können an daseines Gottes, aber es hat mehr Humor dabei entstanddieser Humor nur aus der Langeweile. Alle wirklichUnsterblichen haben Langeweile.«

»Mir würde es niemals langweilig werden, undwenn ich zehntausend Jahre lebte«, behauptete Bullyleichtfertig. »Immer wieder werden Ereignisseeintreten, die ablenken und einen vergessen lassen,daß man zuviel Zeit hat, es wird immer wiederAbenteuer geben, die jede Langeweile vertreiben undsomit gegenstandslos werden lassen.«

»Niemals kann ein Sterblicher sich in die Seeleeines wahrhaft Unsterblichen hineindenken, Bully.Ich habe es versucht, glaube mir, wenn ich auchselbst nicht tatsächlich unsterblich geworden bin.Mein Körper benötigt immer wieder dielebensverlängernde Zelldusche - und wenn ich sieeines Tages nicht erhalte, setzt der Alterungsprozeß

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wieder ein. Trotzdem habe ich darüber nachgedacht,wie es ist, niemals zu altern. Im ersten Augenblicküberkam mich ein unsagbar glückliches Gefühl, undich glaubte, keine Sorgen mehr zu kennen. Aber daswar nur im ersten Augenblick. Dann kam mir zuBewußtsein, wie lang eine Ewigkeit ist. Um michherum wird der ewige Wechsel von Geburt und Todstattfinden, ich aber werde bleiben - unverändert undunberührt von den Geschehnissen. Die Menschenwürden in mir einen Halbgott sehen und damitbegänne die unendliche Einsamkeit.«

»Aber du hättest Gefährten, ebenso unsterblich wiedu.«

»Sicher, die hätte ich. Aber würden wir unser nichtüberdrüssig, wenn wir uns ewig sehen müßten?«

Bully gab keine Antwort. Es wäre ihm zu banalvorgekommen, jetzt Rhodan zu versichern, daß erseine Gegenwart für alle Ewigkeit ertragen könnte,ohne sie leid zu werden. Er sah nach unten auf dielangsam dahingleitende Landschaft. Der Antrieb derSTARDUST summte verhalten. Über ihnen war einblaugoldener Himmel, von dem Schein derAtomsonne angestrahlt. Wenn sie erlosch, würdendie künstlichen Sterne einer fremden undunbekannten Galaxis aufleuchten, die vielleicht dieHeimat des Unsterblichen war. Vor Millionen vonJahren mochten die Schiffe seiner vergangenen unddoch noch existierenden Zivilisation den großenAbgrund überquert haben, um hier in der Milchstraßeeine neue Heimat zu finden. Es hatte nie darübergesprochen, aber vielleicht würde eines Tages dasgroße Geheimnis gelüftet werden.

Auch Rhodan sah nun schweigend zu demPlaneten hinab. Sie überflogen gerade einen Ozean,dessen spiegelglatte Fläche zu ihnenheraufschimmerte. Kein Windhauch schien dasWasser zu beunruhigen. Am Horizont tauchten einigeInseln auf.

»Welche Welten mag es sich zum Vorbildgenommen haben?« sann Bully vor sich hin.»manchmal meine ich, eine Spur unserer guten, altenErde wiederzufinden.«

»Zweifellos ist das auch der Fall«, nickte Rhodanund deutete nach vorn. »Jene Inseln dort - sieerinnern mich an die Eilande der Südsee. Und beiunserem ersten Besuch sahen wir eine genaueAbbildung der nordamerikanischen Felsengebirge.«

Plötzlich war seine Stimme wieder in dem Raum.Es mußte der Unterhaltung beigewohnt und jedesWort verstanden haben.

»Du irrst, alter Freund. Es handelt sich niemals umNachbildungen auch die Rallas war keine Imitationim eigentlichen Sinne. Ihr Körper, das ist wahr, bleibauf der Erde, eurem Planeten. Aber ihr Geist erhielthier einen neuen Körper, und somit war sie selbsthier. Der gleiche Gegenstand kann tausendmal

existieren, wenn man ihn in jeweils andereZeitebenen versetzt. Jene Inseln dort - es sind in derTat Inseln von der Erde. Aber sie existieren nichtjetzt und in diesem Augenblick auf der Erde, sondernvor Jahrmillionen. Das wirst du, alter Freund,feststellen können, wenn du sie betrittst. DieVegetation ist nicht die der Gegenwart, sondern dieder Vergangenheit.«

»Du kennst also zwei unterschiedliche Arten derSpiegelung«, erkannte Rhodan. »Die Frau bliebkörperlich auf der Erde zurück, aber jene Inseln dortnicht.«

»Ganz richtig, alter Freund. So ist es. Doch ichlauschte der Unterhaltung von Anfang an - eureDiskussion über die psychologischen Probleme derUnsterblichkeit ist interessant für mich. Obwohl ichsie alle gelöst habe und sämtliche Gründe derLangeweile kenne, werde ich nicht mit ihr fertig.Manchmal möchte ich sterben - und eines Tageswerde ich es auch. Aber dieser Tag ist noch nichtgekommen.« Rhodan lächelte.

»Das klingt ja fast resignierend, alter Freund. Wohast du deinen Humor gelassen?«

»Humor muß nicht immer in Gelächter ausarten.Allein die Tatsache, daß ich deinem Freund Bully dieLebensverlängerung gewährte, zeugt für meinengrenzenlosen Humor. Wie könnte ein Unsterblicherohne Humor diesen komisch aussehenden Terranerlänger existieren lassen als unbedingt von der Naturvorgesehen?«

Etwa die Hälfte von Bullys roten Haarborstenentschloß sich, gegen diese Feststellung zuprotestieren; die andere Hälfte verhielt sich passivund blieb in der gewohnten Lage. Rhodan grinste.

»Wie recht du hast, alter Freund«, sagte er dann.»Aber nun hast du Bully tödlich beleidigt ...«

»Das ist ja das Lustige«, kicherte es. »Wie kannman einen relativ Unsterblichen tödlich beleidigen?«

»Ich sehe daran nichts Lustiges«, entgegnete Bullyverdrossen. »Auch mit der Rallas - möchte wissen,was daran so humorvoll war.«

»Das kannst du niemals wissen, ZweitältesterFreund«, verkündete es zufrieden, »weil du keinenwahren Humor besitzt.« Bully zog ein Gesicht undschwieg. Rhodan sah, daß sie sich dem Kontinentnäherten, auf dem die große Halle stand, in der eshauste. Nicht mehr lange, dann mußte die Stadt inSicht kommen.

»Sie ist noch genau wie früher?« fragte Rhodan,der fest davon überzeugt war, daß der Unsterblicheseine Gedanken unaufhörlich überwachte. »Ich werdesie ohne Schwierigkeiten finden?«

»Was?« kam die Gegenfrage. Rhodan war soverblüfft, daß er einige Sekunden verstreichen ließ,ehe er sagte: »Die Stadt - was sonst?«

»Verzeih«, meinte es begütigend. Rhodan

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vermeinte, ein wenig Spott in der Stimme zuvernehmen. »Ich beobachtete gerade den Untergangeines Sonnensystems - mehr als zweihunderttausendLichtjahre entfernt. Es war vor einer Million Jahrenaus der Galaxis abgetrieben, und die Bewohner deszweiten Planeten versuchten, ihre Welt von derSonne zu lösen, um sie zu einer anderen zu bringen.Ihr Planet trat in den Kernbrand. Nun hat das Systemzwei Sonnen - aber keine Bewohner mehr.«

Atemlos lauschten Rhodan und Bully. Es sprachsehr gelassen und ruhig, als handele es sich um eineerfundene Geschichte - und doch, so wußten sie, warsie alles andere als das.

»Der Untergang dauerte viele Monate, aber ichglitt durch die verschiedenen Zeitebenen, und so liefdas Geschehen in einer nur Sekunden währendenExplosion vor mir ab. Dabei machten sie nur einenwinzigen Fehler. Fast wäre es ihnen gelungen.«

»Was wäre ihnen fast gelungen?« fragte Rhodangespannt.

»Ihren Planeten aus dem System zu lösen. Siebesaßen schon eine künstliche Sonne und einenAntrieb, der ihre ganze Welt ... aber warum darübernachdenken? Es ist geschehen!«

»Und es läßt sich nicht ungeschehen machen?«Für eine Sekunde war Schweigen. Dann:»Warum nicht? Es wäre ein Spaß. Alter Freund ...

siehst du dort vor dir das Gebirge? Erkennst du es?«»Die Alpen«, nickte Rhodan. »Wenigstens sehen

die Berge so aus.«»Es sind die Alpen, alter Freund. Dahinter liegt die

Stadt, die du suchst. Aber nun wollen wir keine Zeitverlieren - für eine Sekunde wird Freund Bully alleinsein ... aber was ist schon eine Sekunde im Lebeneines Sterblichen, geschweige denn im Leben einesfast Unsterblichen? Rhodan, nimm einen tiefenAtemzug. Wenn viele Wochen vergangen sind, wirstdu erst wieder ausatmen können.«

Noch während Rhodan auf den automatischenBordkalender sah und las: 17. August 1982 - 22.53Erdzeit, spürte er, daß er unsichtbar wurde.

Er hörte noch Bullys entsetzten Ausruf:»Perry! Was ist los? Du wirst ja durchsichtig und

...«Dann schwand sein Bewußtsein.

*

Es war alles ganz anders. Das kleine Schiffbenötigte keine regulären Transitionen, um dieungeheuerliche Entfernung von zweihunderttausendLichtjahren zu einem Nichts zusammenschrumpfenzu lassen, sondern es durchflog die ganze Strecke -allerdings mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit.

Es war ein Schiff mit einer fast winzig anmutendenSteuerzentrale, deren Anordnung Rhodan so bekannt

war, als habe er niemals in einer anderen Kabinegesessen. Die Unzahl der Kontrollen schien ihm nichtverwirrend, sondern vielmehr äußerstvertrauenerweckend. Der ovale und im Halbkreisherumreichende Bildschirm schien wie ein offenesFenster zum All, durch das er hindurchblickenkonnte.

Er war allein, aber er fühlte, daß jemand bei ihmwar, jemand, den er nicht sehen konnte. Irgendwo indem kleinen Schiff war der Unsterbliche ...

»Ich bin nicht bei dir«, sagte plötzlich die bekannteStimme, aber diesmal richtig in seinem Innern,»sondern ich bin jetzt du! Verstehst du das, alterFreund? Ich habe deine Gestalt angenommen undexistiere in dir selbst. Gemeinsam werden wir einSonnensystem retten, denn ich weiß, wie sehr du jeneRasse bedauerst, die dort, irgendwo allein imUniversum, unterging - oder untergehen wird, wennwir ihr nicht helfen. Wir werden bereits in zweiTagen auf dem Planeten Barkon II landen - mehr alszwei Monate vor der Katastrophe.«

»Wie ist das alles möglich?« hauchte Rhodan undstarrte hinein in das Gewimmel der fremden Sterne,die in rasender Geschwindigkeit auf der Bildscheibezu wandern begannen. »Was bin ich?«

»Du bist ich, alter Freund. Und umgekehrt. Wie duwillst.«

»Und die STARDUST?«»Keine Sorge. Du wirst sie wiederfinden - und

keine Zeit versäumt haben. Doch jetzt liegt eineAufgabe vor uns, eine Aufgabe, die du selbst gewollthast.«

»Es ist wieder ein Spiel von dir - ein Spiel, dasdeine Langeweile vertreiben soll.«

»Natürlich ist es ein Spiel, aber es wird ein ganzesVolk vor dem Untergang bewahren. Das Spiel mitdem Schicksal ist das schönste Spiel, das mir blieb.«

Rhodan verspürte keine Lust, erneut eineDiskussion über den Sinn des Lebens zu beginnen.Sein nüchterner Verstand fing gerade an, dieTatsache zu verdauen, ohne nach ihrer Entstehung zufragen. Und doch gab es einiges, das er unbedingtwissen wollte.

»Dieses Schiff - wie groß ist es?«»Wie groß? Jedenfalls groß genug, um genügend

Raum, Lebensmittel und Luft für dich zu enthalten.Du benötigst keinen Schutzanzug. Ich hätte dich undmich auch körperlos nach Barkon II bringen können,aber so ist es interessanter und auch besser.«

»Was ist das für ein Antrieb, der uns mit dieserirrsinnigen Geschwindigkeit durch das Universumjagen läßt?«

»Täusche dich nicht, alter Freund. DieGeschwindigkeit ist nur scheinbar so hoch. InWirklichkeit fliegen wir mit einfacherLichtgeschwindigkeit - aber ich habe den normalen

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Ablauf der Zeit geändert, ein Prozeß, der sichjederzeit wieder rückgängig machen läßt. In unseremjetzigen Zustand vergehen pro Stunde etwas mehr als4000 Jahre; da wir mit Lichtgeschwindigkeit fliegen,legen wir in zwei Relativ-Tagen an diezweihunderttausend Lichtjahre zurück.«

»Das ist Irrsinn!«»Im Gegenteil, es ist völlig normal. Man muß nur

die Zeit beherrschen, um auch Herrscher über denRaum sein zu können.«

»Aber wenn soviel Zeit - draußen im Raum -vergeht, gibt es jene Sonne Barkon nicht mehr, biswir dort sind. Das ist doch logisch, oder auch wiedernicht?«

»Es wäre logisch, wenn wir nicht schon in derSekunde der Abreise zweihunderttausend Jahre in dieVergangenheit gestürzt wären. Sogar noch gute zweiMonate mehr, um den rechten Zeitpunktabzupassen.«

»Es ist ungeheuerlich«, gab Rhodan zu und fühlte,wie ihn ein Schauer überlief. »Wüßte ich nicht, daßdu bei mir bist, ich würde mich fürchten, richtigfürchten.«

»Betrachte das Universum«, sagte die Stimme desUnsterblichen in ihm jetzt. »Du wirst es vielleichtniemals mehr in dieser Form sehen. Wir legen in derSekunde viel mehr als ein Lichtjahr zurück - das isteine unfaßbare Geschwindigkeit. Selbst wenn wirjetzt auf einen Planeten oder eine Sonne treffenwürden, wir spürten es nicht. Nicht nur wir, sondernauch die Materie da draußen bewegt sich - von unsaus gesehen mit rasender Geschwindigkeit.Außerdem wäre die Wahrscheinlichkeit, einenWeltkörper zu treffen, geringer als die, mit einemungezielten Pistolenschuß in die Luft eine Mückeherunterzuholen. Viel geringer sogar.«

Rhodan gab keine Antwort. Er befolgte den Ratdes Unsterblichen und nahm das Wunder derkosmischen Schöpfung in sich auf, wie es sich ihmdarbot. Es war wie ein Traum und vielleicht warsogar alles nur ein Traum.

Das Schiff fiel hinein in ein Meer von Sternen. DiePerspektive vermittelte den Eindruck, als ballten sichdie glühenden Sonnen an jenem Punkt, auf den derBug des kleinen Schiffes zeigte, in großer Mengezusammen. Immer wieder entstanden neue Sonnen andiesem Punkt und strebten dann nach allenRichtungen davon, je schneller, desto mehr sie sichvom Zentrum entfernten. Mit einer Geschwindigkeitvon mehr als einem Lichtjahr in der Sekunde glittensie dann seitlich vorbei und kehrten dann alle zueinem anderen Punkt zurück. Dieser zweite Punkt lagin Richtung des Hecks.

Die große Entfernung von diesen wanderndenSternen ließ sie langsamer werden, die einen mehr,die anderen weniger. Aber sie behielten alle ihre

ursprüngliche Farbe. Der bekannte Regenbogeneffekttrat nicht ein.

Der Unsterbliche verhielt sich ruhig. Vielleichtweilte er woanders und durchstreifte das Universumauf seine Art. Für einen Augenblick kam Rhodansich einsam und verlassen vor. Er dachte an dieSTARDUST und ihre Aufgabe. Er dachte an Bully,vor dessen Augen er so plötzlich verschwunden seinmußte. Er dachte an Julian Tifflor, der mit Guckyund einigen Gefährten auf einer fernen Weltausharren mußte, bis er, Rhodan, die versprocheneHilfe brachte. Sie alle vertrauten ihm, ihm, der nunmit einem wunderbaren und nicht zu begreifendemSchiff das All durchkreuzte, um eine unbekannteZivilisation zu warnen, die vielleicht schon gar nichtmehr existierte.

Er schüttelte den Kopf. »Mein guter, alter Freundhat seltsame Einfälle«, murmelte er und sah auf dievorn zwischen den Skalen angebrachte Uhr. Siezeigte irdische Zeit an. Er war nun bereits dreiStunden unterwegs und hatte somit fast 13000Lichtjahre zurückgelegt.

»Dieser stammt von dir, Rhodan«, sagte derUnsterbliche, der also doch nicht »fortgegangen«war. »Ich schilderte dir, daß ein Volk unterging - dusprachst von Rettung. Ich will dir nur beweisen, daßes möglich ist, unter gewissen Voraussetzungen dieZukunft zu beeinflussen. Sicher, es ist ein Spiel, aberes hat einen sehr ernsten Hintergrund. Denn du wirstdieser von dir geretteten Art später noch einmalbegegnen. Vielleicht wirst du bereuen, sie gewarntund damit gerettet zu haben.«

Die Stunden schlichen dahin. Rhodan wareingeschlafen, nachdem er ein wenig gegessen hatte.Als er wieder erwachte, hatte sich das Bild vor ihmgeändert.

Der Bugpunkt war ärmer an Sternen geworden.Nur vereinzelt noch entstanden sie dort, und immerseltener zogen sie dann an dem Schiff vorüber, umhinter dem Heck in ewiger Finsternis unterzutauchen.Finsternis ...?

Erst jetzt fiel es Rhodan auf, daß hinter ihm keineabsolute Finsternis herrschte. Die runde Bildscheibegab nicht den gesamten Raum wieder, sondern nureinen Ausschnitt von etwa siebzig Prozent. Das Hecklag im toten Winkel. Und doch war das, was er jetzterkannte, vollauf genug, ihm einen kalten Schauerden Rücken hinabzujagen.

Er starrte auf das langsam entstehende Bild derMilchstraße.

In etwas weniger als zwölf Stunden hatte er somitdie Randregion der heimatlichen Galaxis durchquertund befand sich nun bereits außerhalb dersternenreichen Gebiete. Das kleine Schiff desUnsterblichen hatte den Sprung in den Abgrundgewagt, in jenen grauenhaften Abgrund der

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Lichtjahrmillionen der zwischen den Milchstraßenklaffte und den niemals eine sterbliche Intelligenzüberwinden konnte. Oder doch ...?

In atemloser Verwunderung starrte er auf das Bild,das sich vor seinen Augen auftat. Deutlich zeichnetesich bereits die typische Form eines Spiralnebels ab,und zwar »von oben« gesehen. Einer der leuchtendenArme barg die heimatliche Sonne, nun schon mehrals 50000 Lichtjahre entfernt. Dabei war dieserSpiralarm nichts als ein winziger Teil der gesamtenGalaxis. Nahe des äußeren Randes der galaktischenLinse leuchteten kleine neblige Wölkchen, diezahlreichen kugelförmigen Sternhaufen. Einer davonbarg das Imperium der Arkoniden.

Rhodan kam plötzlich zu Bewußtsein, wie winzigdas Imperium der Arkoniden im Vergleich zurMilchstraße war. Was aber war die Erde imVergleich zu diesem Imperium? Ein Staubkorn.

Hatte der Unsterbliche ihn etwa mit auf die Reisegenommen, um ihm vor Augen zu führen, wiemikroskopisch klein er selbst, Rhodan, im Vergleichzur kosmischen Schöpfung war?

Fast zusehends wurde das Gebilde des Spiralnebelskleiner und schrumpfte zusammen. Mitvielmillionenfacher Lichtgeschwindigkeit fiel eshinein in das Unendliche. So wenigstens sah es aus.

Rhodan sah wieder nach vorn. Aber dort war nunkein Stern mehr: Der Raum vor dem Bug desSchiffes war so schwarz, wie Rhodan es noch niezuvor gesehen hatte. Es war die absolute Finsternis,in der Licht ein unbekannter Faktor sein mußte. Nuretwas seitlich, links, schimmerte ein winziger,verwaschener Fleck. Man mußte fast zehn Sekundenlang hinsehen, um ihn überhaupt erkennen zukönnen. Eine andere Galaxis, vieleLichtjahrmillionen entfernt!

Weiter rechts noch eine. Verhalten schimmerte siedurch die Dunkelheit - ein kleiner Fleck, der die Glutvieler Milliarden von Sonnen verkörperte, jetzt nurnoch das schwache Leuchten einer erlöschendenKerze.( Auch das Licht der Sterne verliert den Kampfgegen Raum und Zeit, dachte Rhodan erschüttert undschloß die Augen.

Als er wieder erwachte, waren acht Stundenvergangen.

Das Bild des Universums hatte sich nicht geändert.Zwölf oder fünfzehn Milchstraßen schimmerten ausallen Richtungen. Sie waren nicht nähergekommen,wenn Rhodan ihnen auch mit Tausenden vonBillionen Kilometer pro Stunde entgegeneilte. Unddas seit ungezählten Stunden.

»Höre, alter Freund«, flüsterte er ergriffen. »DeinScherz geht zu weit. Du hättest mir den Anblick derUnendlichkeit ersparen sollen.«

»Warum?« In der Stimme des unsichtbarenUnsterblichen klang ein wenig Verwunderung.

»Warum sollst du nicht sehen, was vor dir liegt? Wiralle existieren in dieser Unendlichkeit und sind einTeil von ihr. Warum sollen wir nicht wissen, was wirsind?«

»Es ist zuviel. Mein Verstand weigert sich ...«»Wenn er das tut, dann hat er auch begriffen«,

unterbrach die Stimme. Dann wechselten sie dasThema, ohne den Gesprächsgegenstand fallen zulassen. »Verstehst du nun, warum diese Barkonidenihren Planeten von der Heimatsonne lösen wollen?Begreifst du, daß die grenzenlose Einsamkeit ihrerWelt im Universum sie halb wahnsinnig machenmußte? Wenn sie in den nächtlichen Himmelschauen, sehen sie nichts als ferne Galaxien, die inihren Augen das Symbol freundschaftlichenZusammenlebens sein müssen - und es auch sind.Dort, so glauben sie, sind die bewohnten Welten sichso nah, daß ständige Verbindung zwischen ihnenbesteht. Sie aber, die Barkoniden, sind allein,grenzenlos und unendlich allein.«

Rhodan war plötzlich, als schlüge eine Welleheißen Wassers über ihm zusammen.

Die Barkoniden ...! Wenn man das >B< fortließe...

»Keine Spekulationen!« warnte der Unsterbliche,und es schien Rhodan, als lächelte er dabeiverständnisvoll. »Zufälle sind ein guter Nährbodenfür Gedankenspielereien, aber sie bleiben trotzdemnur Zufälle. Nur in den seltensten Fällen bestehenwirkliche Zusammenhänge.«

»Diesmal nicht?«»Erwartest du wirklich eine Antwort? Frage doch

die Barkoniden selbst - du wirst genügendGelegenheit dazu erhalten.«

Rhodan stellte keine weiteren Fragen mehr.

*

Es fehlten noch fünfzehn Minuten am vollenzweiten Tag. Seit einer Stunde versuchte Rhodanangestrengt, in der totalen Finsternis und zwischenden verwaschenen Flecken der Milchstraßen einenStern zu entdecken.

»In sechzig Sekunden erscheint Barkon auf demBildschirm, alter Freund. Sein Licht ist nur gutachthundert Lichtjahre weit zu sehen.«

Schweigend wartete Rhodan. Und dann, nachgenau sechzig Sekunden, entstand exakt imFluchtpunkt ein winziger Stern, der schnell größerund heller wurde.

»Das ist Barkon, die einsame Sonne. Du wirstverstehen, alter Freund, daß die Bewohner eines soeinsamen Systems keine galaktischenUmgangsformen kennen. Sie wissen zwar aus derÜberlieferung, daß sie nicht die einzigenIntelligenzen des Universums sind, aber sie kommen

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sich zweifellos so vor. Ihre Technik ist hervorragend,aber sie haben die Raumfahrt vernachlässigt, weil sieihnen sinnlos erscheint. Flögen sie mit derGeschwindigkeit des Lichtes, so würden sie bis zumnächsten Stern einhundertfünfzigtausend Jahrebenötigen. Selbst für Unsterbliche wäre das einemehr als langwierige Angelegenheit. Und dieBarkoniden sind alles andere als unsterblich. Ausdiesem Grund haben sie ihr ganzes Wissen nur demeinen Projekt zugewandt, ihren Planeten in eingigantisches Schiff zu verwandeln. Nur so könnensie, wie sie meinen, gemeinsam und im VerlaufTausender von Generationen in die verlorene Galaxiszurückkehren.«

»Ein genialer Plan«, gab Rhodan zu. »Wie sollteich diesen großartigen Technikern helfen können?Und wer werde ich in ihren Augen sein?«

»Du kannst helfen, denn ich bin in dir, alterFreund. Und wegen des Empfanges mache dir keineSorgen. Es gibt kein Volk im ganzen Universum, dassich so sehr nach einem Besuch aus dem Weltraumsehnt wie die Barkoniden. Sie werden dich mitoffenen Armen aufnehmen. Vielleicht werden siesich für das System deines Schiffsantriebesinteressieren, aber wir lenken sie ab. Selbst wenn siemit den Schiffen den Raum und die Zeit überwindenkönnten, so wäre es ihnen unmöglich, den ganzenPlaneten über Lichtjahrtausende hinweg zuevakuieren. Nein, ihnen bleibt in der Tat nur die eineMöglichkeit - und sie haben sie erkannt.«

Wieder verstrichen fünf Minuten. Die SonneBarkon war strahlend hell geworden. Sie leuchtetenun bereits in einer Entfernung von 550 Lichtjahren.In neun Minuten war es soweit.

Rhodan erschrak plötzlich. »Die Verzögerung - siemuß sehr hoch sein ...?«

»Der sich synchron verlangsamende Zeitablaufneutralisiert alle Nebeneffekte«, berichtete derUnsterbliche und lachte. Seit vielen Stunden lachte ernun wieder zum erstenmal. »Du brauchst nichts zutun, alte? Freund - ich tue es für dich. Ich bin froh,ein Mensch sein zu können - ein seltenesVergnügen.«

Diesmal war gutmütiger Spott in der Stimme, aberRhodan achtete nicht darauf. Er bewegte plötzlichseinen rechten Arm, ohne, daß er seinen Muskeln denBefehl dazu gegeben hatte. Die rechte Hand betätigteeinige Kontrollen. Ein Zeiger auf einer runden Skalabegann, sich wie rasend zu drehen. Lämpchenglühten auf und erloschen wieder. Irgendwo imInnern des Schiffes schrillte eine Glocke. UnterRhodans Füßen vibrierte der Boden.

»Deine Augen werden nichts anderes als eineHerabsetzung der Fluggeschwindigkeit registrieren«,bemerkte der Unsterbliche belustigt.

»Beachte Barkon, sonst nichts. Es gibt kein

anderes Bezugssystem mehr.«Der Entfernungsmesser zeigte noch

einhundertfünfzig Lichtjahre an Wenn sie ihreaugenblickliche Geschwindigkeit beibehielten, wärendas etwa noch 130 Sekunden bis Barkon.

Eine weitere Minute blieb alles so, wie es war.Dann setzte die angekündigte Verzögerung ein.

Barkon kam trotzdem immer näher, aber es dauerteimmerhin eine ganze halbe Stunde, ehe das Schiffmit eintausend Sekundenkilometer in das Systemeintauchte.

»Sie werden uns natürlich nicht bemerken, bis wirbei ihnen sind«, prophezeite der Unsterbliche. »Siebesitzen weder Teleskope noch Ortungsgeräte. SeitMillionen Jahren haben sie keinen Stern mehrgesehen.«

Rhodan fiel etwas anderes ein. »Wenn wir nachErdzeit rechneten - welches Datum hätten wir dannjetzt?«

Die Antwort kam prompt und ohneZwischenpause. »Ende Mai 1982.«

»Mai ... da war ich krank. Ich weiß es ganzbestimmt. Ich lag zwar nicht im Hospital, sondern inmeiner Wohnung in Terrania. Eine Art Grippe. Hm,und jetzt haben wir wieder Ende Mai 1982 ...?«

»Immer noch!« betonte der Unsterbliche spöttisch.»Ja, du bist krank und auf der Erde. Aber hast du denbösen Fiebertraum vergessen?«

»Fiebertraum?« Rhodan erschauerte. Ja, er entsannsich. Schweißgebadet war er damals erwacht undhatte in das besorgte Gesicht seiner Freunde Dr.Haggard und Bully gesehen. »Aber ich kann michnicht mehr entsinnen, was ich geträumt habe.«

»Ich könnte es dir sagen, alter Freund. Duträumtest das, was wir jetzt erleben - natürlich inschnellerer Folge und daher verwirrend für deinenGeist. Noch während du träumtest, vergaßest duwieder. Was glaubst du, was Träume sind?«

Rhodan sah weit vor sich den Planeten auftauchen.Die Umrisse seiner Kontinente hoben sich aus denMeeren. Wolkenfetzen verdeckten einen Teil derOberfläche.

»Was sind Träume?« fragte er gespannt.»Ausflüge des Unterbewußtseins, mehr nicht. Eine

Art Erinnerungsvermögen des menschlichen Gehirnsund Loslösung des Geistes vom Körper. Im Schlaf istdas Gehirn nicht mehr an die Materie gebunden unddamit frei von der Fessel des Raumes und der Zeit.Der Mensch kennt nur eine einzige Form derZeitreise - den Traum. Dabei ist der Traum nur einwinziger Grenzbereich zwischen Realität und vagerErinnerung.«

»Du willst damit sagen, daß man das, was manträumt, wirklich erlebt? Das glaube ich nicht.«

»Liegt der Beweis nicht vor dir?« Rhodanschwieg. Er mußte zugeben, die Ausführungen des

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Unsterblichen nicht ganz zu begreifen. Zwar wußteer, daß der Traum des Menschen eine noch nichtvollständig verstandene Erscheinung war und vieleFragen aufwarf, aber die Worte des Unsterblichenhatten neue Perspektiven eröffnet, die soungeheuerlich schienen, daß Rhodan es nicht wagte,darüber nachzudenken. Im Traum, das warunbestreitbar, erhielt der Mensch Fähigkeiten, die ersonst nie besaß. Er bezwang die Schwerkraft undkonnte sich nach Belieben in die Luft erheben, erkonnte die Gedanken anderer Menschen lesen, erkonnte unter Umständen sogar unsichtbar werdenoder Materie teleportieren. Warum konnte er dasalles, wenn keine Veranlassung zu der Annahmebestand, daß er jemals dazu befähigt sein würde?

Hatte er es in fernster Vergangenheit einmalgekonnt?

»Wir werden gleich landen«, unterbrach ihn dieStimme des Unsterblichen. »Die Barkoniden sindeine zusammengeschweißte Rasse im Sinne echtergalaktischer Zivilisation. Sie besitzen eine Hauptstadtund eine Zentralregierung, die infolge ihresgigantischen Projektes in erster Linie ausWissenschaftlern besteht. Das erspart uns eineMenge Arbeit.«

»Habe ich ... haben wir keine Feindseligkeiten zubefürchten?«

»Ich sagte schon, daß wir für sie ein Geschenk desHimmels bedeuten. Du wirst noch nie in deinemLeben einen solchen Empfang erhalten haben,obwohl das paradox erscheint. Schließlich haben wires mit einer Zivilisation zu tun, die noch niemalsKontakt mit anderen hatte - wenigstens nicht in derletzten Million Jahre. Aber sie haben eins, was keineArt des Universums besitzt: eine lückenloseGeschichte mit authentischen Unterlagen. Es gibtFilme in ihren Archiven, die zu einer Zeit gedrehtwurden, als der erste Mensch auf der Erde noch einZukunftstraum der schöpferischen Natur war.«

»Filme - älter als die Menschheit?«»Allein dieser Filme wegen wäre es schade, wenn

diese Spezies unterginge.«Das kleine Schiff tauchte in die Atmosphäre des

Planeten und umkreiste diesen mit mehrfacherSchallgeschwindigkeit. Ausgedehnte Städtewechselten mit weiten Kulturflächen und kleinenMeeren. Glitzernde Verbindungslinien zwischen denStädten verrieten regen Verkehr.

»Ihre Bevölkerungszahl ist gering im Vergleich zuder großen Landfläche ihres Planeten. Das ist einweiterer Grund, warum sie die Entwicklung einerRaumfahrt vernachlässigten. Sie wissen nur zugenau, daß die vier übrigen Planeten ihres Systemsunbewohnbar sind. Und wohin sollten sie sonst? IhreWelt bietet ihnen alles, was sie zum Lebenbenötigen.«

»Und doch wollen sie fort von hier?« Sie tauchtenzum letztenmal in den Planetenschatten undüberflogen die Nachtseite. Barkon II hatte die Größeder Erde und eine ähnliche Atmosphäre. DieGravitation war ein wenig geringer.

»Sieh dir den Himmel an, dann wirst du begreifen,Perry Rhodan.« Und Rhodan sah den Himmel. Eswar nun, da die Atmosphäre auch die letzten,schwachen Lichtstrahlen, die von den fernenMilchstraßen und Spiralnebeln kamen, restlosverschluckte, völlig schwarz geworden. Kein Mondspendete milden Schein. Nicht ein einziger Sternstand am pechschwarzen Firmament. Es war eineNacht, wie man sie auf der Erde selbst beiwolkenverhangenem Himmel nicht kannte. Es war,als habe sich ein undurchsichtiges, schwarzes Tuchum die ganze Welt gelegt und wolle sie ersticken.

Rhodan erschauderte. »Ich glaube«, sagte er leise,»ich beginne zu verstehen.«

Jäh tauchten sie wieder in das Licht der Sonne, diesich rasend schnell im Osten aus dem Meer hob. DerHauptkontinent tauchte am Horizont auf. Einegewaltige Stadt wurde an seiner Küste sichtbar.

»Sie erwarten uns bereits«, kündigte derUnsterbliche an. »Natürlich erfanden sie Fluggerätefür die Atmosphäre. Trotzdem wissen sie, daß wirnicht von ihrer Welt kommen, denn hier gibt es keineGeheimnisse. Wir sind Fremde, und auf dieser Weltkann ein Fremder nur aus dem Weltraum kommen.«

»Wie sehen sie aus?«»Wie wir. Humanoid, wie alle Rassen gleichen

Ursprungs.«Rhodan wollte eine Frage stellen, aber seine Hände

bedienten automatisch die Kontrollen, ohne, daß er esverhindern konnte. Das kleine Raumschiff senktesich und glitt in nur wenigen Metern Höhe über dieleicht gewellte Oberfläche des Ozeans dahin auf dieKüste zu. Hoch oben in der Luft zogen ganzeGruppen wendiger Flugzeuge in Tropfenform ihreKreise. Schiffe mit bunten Wimpeln liefen aus demHafen aus und formierten sich zu einer Parade. DasLandefeld dicht neben der Stadt und direkt am Meerwurde von einer dichten Menschenmenge umsäumt.

»Du darfst dich über nichts wundern«, mahnte derUnsterbliche. »Es ist für sie so, als kehre einverlorener Sohn zurück. Sie besaßen einst Kontaktmit anderen Völkern, aber als die Entfernung zurMilchstraße größer wurde, verloren sie ihn. Und ihreHeimat wollten sie nicht verlassen.« Es war einewinzige Pause bis zu den nächsten Worten. »Nurwenige taten es. Und auf ihre Rückkehr warten dieBarkoniden seit einer Million Jahren ...«

In Rhodans Gehirn überschlugen sich dieGedanken, aber es blieb ihm keine Zeit mehr, sie zuordnen. Das Landefeld schob sich ihm entgegen, under drosselte weiter die Geschwindigkeit. Sanft wie

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eine Feder setzte das Schiff auf. Der Antriebschaltete sich automatisch ab. Das Vibrieren undSummen erstarb.

»Steigen wir aus«, schlug der Unsterbliche vor.Dann lachte er, aber es war ein erwartungsvolles undlautloses Lachen, das sich nur Rhodans Gehirnmitteilte. »Vergiß niemals, daß ich bei dir bin, abervergiß auch niemals, daß niemand davon weiß. Wenndu also mit mir sprechen willst, so muß das künftigohne Worte geschehen. Hast du verstanden, alterFreund?«

Natürlich habe ich verstanden, du noch viel ältererFreund, dachte Rhodan belustigt, obwohl ihm allesandere als froh zumute war.

Ja, so ist es richtig, dachte der Unsterblichezurück. Und nun öffne die Luke. Die Barkonidensprechen Interkosmo - es ist sogar so, daß sie einstdiese vereinfachte Sprache entwickelten, aber dasweiß heute niemand mehr.

Immer mehr begann Rhodan die wahrenZusammenhänge zu ahnen, aber jetzt war in der Tatkeine Zeit, darüber nachzudenken. Er stand auf undging zu der kleinen Luftschleuse, die er nun nichtbenötigte. Die schwere Außenluke schwang auf.Warme und doch frische Luft strömte in seineLungen. Es war eine gute und würzige Luft, die nachErde und Meer roch.

Die Barkoniden hatten inzwischen dieAbsperrungen durchbrochen und liefen aus allenRichtungen auf das Schiff zu. Nur mit Mühe gelanges einem vierrädrigen Motorfahrzeug mit sehreleganter Form, sich einen Weg durch die aufgeregteMenge zu bahnen. Von Militär oder Polizei war imAugenblick nichts zu bemerken.

Der Wagen war offen. In ihm saßen einige Männermit sehr würdigem Aussehen, die sich in nichts voneiner irdischen Empfangsdelegation unterschieden.Sie trugen unterschiedliche Kleidung, die vonvornherein den Gedanken an eine Uniformausschloß. Die Hosen waren sehr eng, die Jackendagegen sehr groß und locker. Einer der Männer trugsogar auf dem Kopf eine Art Zylinder.

Rhodan dachte an den Rat des Unsterblichen undwunderte sich nicht.

Er erwiderte die grüßende Haltung des ältesten derBarkoniden im Wagen, der nun angehalten war. DieZuschauer waren diszipliniert genug, sich soweitzurückzuhalten, daß die vier Männer, die ein hohesAmt bekleiden mußten, ungehindert aussteigenkonnten.

Nur die Ruhe bewahren, empfahl der Unsterblicheund kicherte lautlos. Man wundert sich darüber, daßdu gerade jetzt zu ihnen kommst. Da sind sie endlichbald soweit, selbst die große Reise anzutreten, undschon erhalten sie Besuch aus dem längstentschwundenen Universum.

Rhodan gab keine Antwort. Er sprang mit einemSatz auf den Boden des fremden Planeten hinab undwar für die geringere Schwerkraft dankbar. Mitwenigen Schritten erreichte er die vier Männer, dieihn erwarteten.

»Willkommen auf Barkon, der einsamen Welt«,sagte der Alte mit dem Zylinder. »Sie haben unsgefunden?«

Rhodan gab zu, daß das in der Tat ein rechtmerkwürdiger Empfang war, wenn man bedachte,daß diese Menschen da vor ihm noch niemals einemFremden gegenübergestanden hatten. Ich werdeselbst durch dich sprechen, bedeutete ihm derUnsterbliche, der das Zögern bemerkte. Wunderedich also nicht, wenn du etwas sagst, von dem dukeine Ahnung hast. Gewissermaßen bist du sofreundlich, mir deinen Körper zu leihen, alterFreund.

»Zufall«, sagte Rhodan und staunte, wie glatt dieWorte über seine Lippen kamen, die ihm nicht mehrallein gehörten. »Die Regierung der Milchstraßeschickte mich, euch zu suchen. Meine Mission waralso erfolgreich. Ich habe Barkon gefunden.«

»Wir haben seit mehr als einer Million Jahredarauf gewartet«, erwiderte der Mann im Zylinderund lächelte. Rhodan war es, als träumte er das allesnur - und wenn er ganz ehrlich sein wollte, so war esauch ein Traum - im übertragenen Sinn. »Aber jegrößer unsere Distanz zur Galaxis wurde, destogeringer wurden unsere Hoffnungen, jemals wiedereinen Kontakt mit ihr zu erhalten. Nun ist dasWunder geschehen.«

»Das Wunder liegt in der Beherrschung von Raumund Zeit«, eröffnete ihm Rhodan, ohne seine Wortezu begreifen. »Nur mit diesem Schiff konnte derSprung über den gewaltigen Abgrund gelingen, derzwischen Barkon und unseren Welten liegt.«

Einer der vier Männer - er zeichnete sich durcheinen roten Vollbart aus - trat einen Schritt vor.

»Ich bin Regoon, der Chef-Physiker von Barkonund stellvertretender Regierungschef. Sie müssen mirberichten, worauf das Prinzip Ihres Antriebes bestehtund wie es möglich war ...«

»Unser Gast wird noch genügend Gelegenheithaben, uns aufzuklären«, unterbrach ihn derBarkonide mit dem Zylinder vorwurfsvoll undwandte sich dann an Rhodan: »Regoon ist einungeduldiger Mensch, Fremder. Verzeihen Sie ihmseine voreilige Frage. Übrigens - ich bin Laar,Regierungschef und Atomspezialist.«

»Mein Name ist Rhodan«, sagte Rhodan. Nunhatte der Unsterbliche sich auch noch seinen Namenzugelegt. »Ich werde genau zehn Wochen auf IhrerWelt bleiben. Bis dahin haben wir genügendGelegenheit, unsere Erfahrungen auf allen Gebietender Wissenschaft und der galaktischen Geschichte

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auszutauschen.«Laar warf dem Schiff einen Blick zu, der nur allzu

deutlich seine mühsam gezügelte Neugier verriet.»Wir können es in einen Hangar unterstellen,

damit es ...«»Nicht notwendig«, sagte Rhodan lässig. »Sein

bester Hangar ist der Weltraum.« Er machte eineHandbewegung. Die Luke schloß sich selbsttätig. ImInnern des Schiffes begann der Antrieb zu summen,und dann stieg der schlanke Torpedoleib langsam indie Höhe, gewann an Schnelligkeit und war bald nurnoch ein winziger, silbern schimmernder Fleck amblauen Himmel. »Ich habe es in eine Kreisbahn umBarkon geschickt. In zehn Wochen wird es an dieserStelle wieder landen.«

Wortlos waren die Barkoniden dem Schauspielgefolgt. Lediglich in der gaffenden Menge wurdenAusrufe des Erstaunens hörbar. Laar schlucktemehrmals, ehe er schließlich den Mund aufbekam:

»Eine Fernsteuerung - erstaunlich. Ja, dort oben istIhr Schiff sicher obgleich es das bei uns auchgewesen wäre.«

»Verzeiht, ich schickte es nicht nur der Sicherheitwegen in den Raum, sondern auch aus anderenGründen. Während es diese Welt umkreist, dient esals Meßsatellit und Funkempfänger. Wenn einewichtige Ultrameldung eingeht, landet es automatischund übermittelt die Meldung. Ich stehe so mit dergalaktischen Regierung in Verbindung.«

Regoon hatte seine Enttäuschung überwunden. Erzeigte auf die beiden übrigen Barkoniden, die nunebenfalls aus dem Wagen geklettert waren.

»Dies ist Gorat, unser Astronom. Leider kann ersich nur theoretisch mit dieser sicherlichinteressanten Wissenschaft befassen, denn es gibtkeine genügend großen Teleskope, auch nur eineGalaxis näher in Augenschein nehmen zu können.«

Gorat war erstaunlich klein und dick. Er lächelteverlegen und ein wenig hilflos.

»Ich wäre sehr glücklich, wenn Sie mir über dieSterne erzählen könnten - es ist mein Wunschtraum,einmal einen richtigen Stern zu sehen -, außer Barkonnatürlich.«

»Und das hier«, zeigte Regoon auf den sehr großenund schlanken Barkoniden, »ist Nex, der auf unsererWelt die Wissenschaft des Nexialismus lehrt.«

So war also auch auf dieser einsamsten Welt desUniversums der Gedanke Sieger geblieben, daßumfassendes Wissen günstiger ist als bloßesSpezialistentum, dachte Rhodan, der die Lehre vomNexialismus sehr wohl kannte.

Er begrüßte die beiden Männer. Laar sagte:»Wir hatten Zeit genug, uns auf Ihren Empfang

vorzubereiten. Sie sind mein Gast, Rhodan. Siewerden Gelegenheit erhalten, mit allenWissenschaftlern unserer Welt zu reden, und Sie

werden sich davon überzeugen können, daß wirversucht haben, trotz unserer Abgeschiedenheitwenigstens den geistigen Kontakt mit derVergangenheit nicht zu verlieren. Kommen Sie,bitte.«

Laar warf noch einen letzten Blick hinauf in denHimmel, aber von dem geheimnisvollen Schiff, dasden unverhofften und doch so lange erwartetenBesuch gebracht hatte, war nichts mehr zu sehen.

Rhodan stieg in den Wagen und nahm zwischenLaar und Regoon Platz. Bei sich dachte erangestrengt darüber nach, was wohl geschehenwürde, wenn das Schiff aus irgendwelchen Gründennicht zurückkehrte. Aber schließlich hätte er sichgenausogut Gedanken darüber machen können, waswohl wäre, wenn der Unsterbliche sich nunentschlösse, einfach zu verschwinden. Dann säße er,Rhodan, auf einer unendlich fernen Welt und wäreder unglaublichste Robinson, den es je gegeben hätte.

Du machst dir unnötige Sorgen, sagte da dieStimme in seinem Innern mit leisem Vorwurf. Ichwerde dir gegenüber niemals mein Wort brechen,und ich habe dir versprochen, du wirst keine Zeitverlieren höchstens einen Atemzug. Konzentrieredich ganz auf deine Aufgabe hier. Und glaube mir:Es ist wirklich eine Aufgabe!

Rhodan spürte Beruhigung, als er die Versicherungdes Unsterblichen vernahm. Es gab keinen Zweifelan seinen Worten.

Danke, dachte er.Ihre Fahrt zum Wohnsitz des Präsidenten glich

einem Triumphzug. Die Barkoniden säumten dieprachtvollen Straßen und jubelten dem Besucher ausdem Weltraum zu. Niemand schien heute zu arbeiten,sondern die einmalige Gelegenheit dazu benutzt zuhaben, einen Feiertag einzulegen.

Die Fahrt dauerte fast eine Stunde und ging querdurch die Stadt. Auf einer breiten Ausfallstraße fuhrder Wagen dann, von drei mit Polizei besetztenFahrzeugen begleitet, noch einmal eine halbe Stundedurch herrliche Parks und Wälder, ehe er seineGeschwindigkeit verlangsamte und vor einem Portalanhielt. Als es sich öffnete, wurde der Wohnsitz desRegierungschefs sichtbar.

Rhodan bewunderte den Sinn der Barkoniden fürSchönheit. Das nicht sehr hohe Haus erinnerte aneinen ins Riesenhafte vergrößerten Bungalow. DieVorderfront bestand zum größten Teil aus einemglasähnlichen Material. Es war durchsichtig und ließdie dahinterliegenden Räume gut erkennen. Das Haushatte zwei Stockwerke, aber seine ausladende Breiteließ es niedrig wirken.

Der Wagen fuhr und hielt dann endgültig.»Sie werden sich hier wohl fühlen«, prophezeite

Laar und zeigte auf das Gebäude. »Hier befindet sichdas administrative und wissenschaftliche Zentrum

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von Barkon. Lassen Sie sich nicht von der geringenGröße täuschen. Eine ferngesteuerteTelevisionsanlage verbindet uns mit allen wichtigenPunkten unserer Welt. Von Ihrem Zimmer aus habenSie Gelegenheit, Barkon und seine Geschichte durchdie Jahrhunderttausende kennenzulernen. Es hat sichnicht viel geändert in dieser Zeit, und vielleichtwerden Sie uns sogar als steril bezeichnen. Aber wirhaben nur für ein einziges Ziel gearbeitet und dahermanches andere vernachlässigt.«

»Ich weiß«, sagte Rhodan und achtete nicht auf dieerstaunten Gesichter der vier Männer.

Zehn Minuten später schloß sich hinter ihm dieTür. Er war allein in dem Zimmer, das für zehnWochen seine Heimat sein sollte. Ein wenig verlorenließ er sich in einen Sessel sinken, der direkt an derGlaswand stand. Von hier aus hatte er einenumfassenden Blick auf die Stadt und dasangrenzende Meer. Er seufzte.

Zehn Wochen, alter Freund! Was soll ich zehnWochen auf dieser fremden Welt, wo ich doch keineMinute zu verlieren hätte, mit meinen eigenenAngelegenheiten fertig zu werden? Ist das keineZeitverschwendung?

»Wir können uns laut unterhalten«, entgegnete derUnsterbliche. »Du fühlst dich dann nicht so einsam.Hier hört uns niemand, und es gibt keine heimlichenMikrophone. Zeitverschwendung, meinst du? Duirrst, alter Freund. Bedenke, daß es erst Mai 1982 istund du noch krank im Bett liegst. Deine Begegnungmit den galaktischen Händlern liegt noch weit in derZukunft. Mehr als zehn Wochen. Was also könntestdu versäumen?«

»Ich kann dir darauf keine Antwort geben. Abervielleicht wirst du mir nun endlich verraten, was ichzu tun habe, um Barkon vor dem Untergang zuretten.«

»Darüber mache dir ebenfalls keine Sorgen. Icherledige das für dich. Es ist nur ein Handgriff, mehrnicht. Einen Tag vor unserem Start werden sie unsihre Anlage zeigen, mit der sie Barkon II durch denRaum treiben wollen. Dabei werde ich es tun. EineArt Umpolung, wenn du so willst.«

»Und das ist alles?« wunderte sich Rhodan. »Dasist alles!«

»Und warum müssen wir zehn Wochen hierweilen?«

Der Unsterbliche kicherte. Er schien sich köstlichzu amüsieren.

»Um dir die Geschichte unserer Galaxisvorzuführen. Du kannst nicht schneller sehen, alsauch die Zeit verläuft. Und du wirst dir viele Filmeansehen müssen, fürchte ich.«

»Genügt keine Art Hypnoübertragung imZeitraffertempo?«

»Diesmal nicht, alter Freund.« In der Stimme des

Unsterblichen war ein leichter Vorwurf. »Du bist sogut wie unsterblich, aber du hast noch nicht gelernt,was Geduld ist. Ich glaube, die kommt erst dann,wenn die Langeweile beginnt. Aber wie ich dichkenne, wirst du auch zur Langeweile keine Geduldbesitzen.«

Rhodan sah hinaus in die beginnende Dämmerung.Er fühlte sich auf einmal sehr einsam und allein.

3.

Die ersten beiden Wochen vergingen ohnebesonders bemerkenswerte Ereignisse. Mit Hilfe derschnell installierten Fernsehanlage lernte Rhodan denPlaneten Barkon kennen. Es handelte sich dabei umDirektübertragung aus allen Teilen der friedlichenund paradiesischen Welt.

Am eindrucksvollsten war für Rhodan immerwieder der bloße Anblick des nächtlichenDunkelhimmels. Das konnte er natürlich auch ohnedie Teleanlage haben. Und erst einmal in diesen zweiWochen war die Luft so klar gewesen, daß er genauim Zenit ein schwaches Schimmern gesehen hatte. Eshatte die Form eines ausgefransten Flecks. Dieheimatliche Milchstraße, 200000 Lichtjahre entfernt.Und da er selbst sich jetzt in der relativen Gegenwartaufhielt, war diese Milchstraße, die er schaute, auch200 Jahrtausende jünger als die, die er kannte. Mitseinen bloßen Augen blickte er in die Vergangenheit.

Anfang der dritten Woche besuchte ihn Nex, derNexialist.

»Ich habe die Aufgabe erhalten, Ihnen dieGeschichte Barkons zu zeigen. Wir werden uns zudiesem Zweck in das Große Archiv begeben.«

Jetzt wird es interessant, sagte der Unsterblichelautlos zu Rhodan. Mache dich auf einigeÜberraschungen gefaßt. Vergiß niemals, daß diesesVolk schon existierte, als die Milchstraße noch jungwar.

Ein Wagen brachte sie in die Stadt. Hier kümmertesich niemand um sie. Barkon war in den normalenAlltag zurückgekehrt. Es fiel Rhodan auf, welcherZufall Barkon der Erde so ähnlich machte. Sein Tagdauerte genau 24 Stunden.

Sie bogen in eine Seitenstraße ein, die sichplötzlich senkte und direkt in die Erde führte. DerTunnel war hell erleuchtet, aber er schien kein Endenehmen zu wollen. Erst nach zehn Minuten hielt derWagen an.

»Wir sind jetzt zweihundert Meter unter derOberfläche«, erklärte Nex. »Unsere Filme sind nurhier sicher und können für alle Zeiten unbeschadetaufbewahrt werden. Keine kosmische Strahlungdringt bis in diese Tiefe. Die Luft wird nur danneingelassen, wenn eine Vorführung stattfindet, unddas ist nur dann der Fall, wenn die Regierung alle

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fünfzig Jahre neu gebildet wird. Sonst lagern dieFilme im Vakuum.«

Rhodan gab keine Antwort. Schweigend folgte erdem Barkoniden durch lange Korridore undverschiedene Räume, bis sie in ein nicht sehr großes,aber komfortabel eingerichtetes Zimmer kamen. Eineriesige Schaltanlage bildete die eine Seitenwand.Vorn, über einer Art Bühne, war eine milchigschimmernde Leinwand. Ihr gegenüber dereingelassene Projektor. Zwei Reihen gepolsterterSessel luden zum Sitzen ein.

»Nehmen Sie Platz, Rhodan. Alles ist automatisch,und ich brauche nur den entsprechenden Knopf zudrücken, um das gewünschte Filmmaterial auf denWeg zum Projektor zu bringen. Unser Volk kanntevor einer Million Jahren die Raumfahrt, aber siekonnte uns nicht vor der Katastrophe retten. ImGegenteil. Der gewaltsame Abschied von derheimatlichen Umgebung wurde uns nur schwererdurch das Wissen gemacht, daß einige von unsentfliehen konnten. Ich zeige Ihnen Barkon, zuBeginn des Unglücks - und gleichzeitig am Endeseiner galaktischen Geschichte.«

Es wurde dunkel in dem Zimmer. Vorn auf derProjektionsfläche schien plötzlich die Wandzurückzuweichen und einer Wirklichkeit Raum zugeben, die sich plastisch und in naturgetreuen Farbenden Augen Rhodans darbot.

»Das ist Barkon, von einem sich entfernendenRaumschiff aus gesehen«, erklärte Nex mit einemkaum merklichen Zittern in seiner Stimme. »Siesehen, seit damals hat sich nicht viel geändert - nur,daß es Raumschiffe gab. Jetzt erkennen Sie deutlichden Nachbarplaneten drei, er schiebt sich seitlich insBild. Leider fanden wir in unserem eigenen Systemniemals einen Planeten, der sich zur Besiedlunggeeignet hätte. Aber wir besaßen ein Kolonialreich,ein sehr großes Kolonialreich.«

»In welchem Teil der Milchstraße stand die SonneBarkon?« fragte Rhodan aus einem Impuls heraus,und ohne vom Unsterblichen dazu gezwungen zusein.

»Sie werden es gleich erkennen können. Es istnatürlich unmöglich, in der kurzen, uns zurVerfügung stehenden Zeit alle Filme anzusehen, aberich werde die wichtigsten aussuchen. Bei der allefünfzig Jahre stattfindenden Regierungsvorführungweilen die Auserwählten drei Monate in diesemRaum - von kurzen Unterbrechungen abgesehen.Aber dann kennen sie die Geschichte unsererVergangenheit der Galaxis, von deren Gegenwart wirnichts wissen.«

In dieser Feststellung lag so etwas wie eineAufforderung.

»Wir werden darüber diskutieren«, versprachRhodan. »Ich fürchte jedoch, Sie werden enttäuscht

sein.«»Ihr wunderbares Schiff läßt mich das Gegenteil

vermuten«, lächelte Nex ermutigend. »Doch sehenSie dort - das ist eines unserer letzten Siedlerschiffe.Es bringt Auswanderer zu einem neu entdecktenSystem, in dem intelligentes Leben noch nichtentstanden ist.«

Das riesige Gebilde mochte zwei Kilometer langsein und umkreiste Barkon auf einer Kreisbahn.Kleinere Schiffe kamen von der Oberfläche emporund brachten die Passagiere. Plastikschläuche dientenals sichere Gangway. In gigantische Frachtlukenglitten kleinere Boote und brachten das Gepäck unddie Ausrüstung der Kolonisten. Tief unten drehte sichBarkon unter der geschäftigen Ansammlung derSchiffe weg.

»Das Siedlerschiff brachte den Film mit zurück«,führte Nex aus. »Sie sehen kurze Ausschnittedaraus.«

Bald darauf versank das System Barkon im All.Der Film war mit Zeitraffer aufgenommen worden,und so kam es, daß Rhodan etwas Ähnliches erlebtewie auf seinem Herflug: Die Sterne glitten schnellauf der Fläche an ihm vorbei. Eine gelbe Sonnewurde größer. Sie mußte das Ziel der Expeditionsein. Dann schob sich ein Planet ins Bild, einemittelgroße und von Vegetation überwucherte Welt.Felsige Hochplateaus ragten aus Steppen undUrwäldern empor. Breite Flüsse strömten durchfruchtbare Ebenen, durch die unübersehbare Herdenmerkwürdiger Tiere zogen. Einmal glaubte Rhodanso etwas wie einen Saurier zu sehen, aber er konntesich auch getäuscht haben.

»Auf dieser Welt«, erklärte Nex, »gab es noch keinintelligentes Leben. Aber sie war fruchtbar und vonTieren aller Art bevölkert. Unsere Siedler fanden einParadies. Vom Zeitpunkt ihrer Landung bis zumEntstehen einer Zivilisation vergingen - wenn wir mitden gemachten Erfahrungen rechnen - etwa 10000Jahre.«

»Sie setzten Ihre Auswanderer einfach auf einergeeigneten Welt ab und kümmerten sich dann nichtmehr um sie?« fragte Rhodan erstaunt.

Nex lächelte eigentümlich. »So ist es. Zu Beginnunserer Geschichte bildeten wir abhängige Kolonien,aber das erwies sich später als eine falsche Methode.Die Siedler verließen sich auf ihren Heimatplanetenund auf den Nachschub. Sie besaßen kein echtesInteresse an der Ausnutzung dessen, was die Naturihnen bot. Sie wurden dekadent und faul. Diefreiwillig Schiffbrüchigen hingegen - und das warensie später, denn sie mußten ihr Transportschiffauseinandernehmen, um existieren zu können -fanden eine neue Heimat, die ihnen alles gebenkonnte, was sie zum Leben benötigten. Sie mußtenarbeiten und sich entwickeln. Sicher, auch hier gab es

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Rückschläge, und mehr als einmal mußten wirerleben, daß unsere Nachkommen auf denKolonistenplaneten in die Barbarei zurückfielen. Dasjedoch blieben Ausnahmefälle. In der Regelentwickelten sich leistungsfähige Zivilisationen, diedas Erbe ihrer Väter hüteten, wenn sie auch ihrenUrsprung vergaßen. Denn es gehörte zu unseremPrinzip, den Siedlern keine aufgezeichneten Berichteoder Filme mitzugeben. Nur so war es möglich, siegänzlich unabhängig werden zu lassen.«

»So vergaßen sie, von wo sie stammten?«»Ja. Nur so war es möglich, die Planeten der

Galaxis erfolgreich zu besiedeln und voneinanderunabhängige Völker zu bilden. Oft geschah es erstJahrzehntausende später, daß zwei solcher Völkersich begegneten. Sie wunderten sich vielleichtdarüber, daß sie sich so ähnlich waren, hielten es aberfür eine Notwendigkeit der Evolution.« Wiederlächelte Nex und sah Rhodan von der Seite an.»Nicht wahr. Sie beginnen nun die Wahrheit zuahnen?«

Langsam nickte Rhodan. »Ich glaube schon. Abereine Million Jahre sind eine sehr lange Zeit, findenSie nicht?«

»Sie sind wenig, wenn man mit galaktischenEinheiten mißt und die Kürze des eigenen Lebensvergißt. Einhunderttausend Jahre in der Galaxis sind,auf einen Planeten übertragen, wie einMenschenleben. Also bedeuten diese eine MillionJahre, die wir nun allein sind, ganze zehnGenerationen in der Galaxis. Was aber, so frage ichSie, vermögen zehn Generationen aus einem Planetenzu machen?«

»Manchmal nichts, manchmal sehr viel - daskommt auf die jeweilige Entwicklungsstufe undEigenschaften der Rasse an.«

»Ich fühle Ihren Vorwurf«, nickte Nex und machtesich an den Kontrollen der Projektion zu schaffen.»Sie glauben, wir wären in diesen zehnGenerationen, die für uns Zehntausende waren,stillgestanden. Sie betrachten unsere Zivilisation alseingefroren. Sie wundern sich, daß wir keinenVersuch gemacht haben, unserem grauenhaftenSchicksal der Einsamkeit etwas entgegenzusetzen.Geben Sie es nur ruhig zu.«

»Sie hätten zumindest versuchen sollen, dieVerbindung mit den anderen Welten, die Sie damalshatten, aufrechtzuerhalten. Vielleicht mit Funk.«

Nex drückte auf einen Knopf. »Ich werde Ihnenschon heute etwas zeigen, daß Sie unsereHandlungsweise begreifen läßt - wenn Sie ein Herzbesitzen.«

Wieder dunkelte sich der Raum ab. Vor Rhodanentstand ein Gewimmel von fremdartigenSternbildern, von denen ihm keines vertraut schien.Die Kamera schien im Raum zu schweben, wenn

auch das Bild ein wenig unklar war, als sei zwischendem Beobachter und den Sternen eine Glasscheibe.

»Diese Aufnahmen wurden von unserem größtenObservatorium aus gemacht - vor einer MillionJahren. Die Kamera machte in jedem Jahr zu einembestimmten Zeitpunkt nur eine einzige Aufnahme. InJahren, in denen diese Nacht durch Wolkenverdunkelt wurde, verzichtete man auf dieAufnahme. So kam es, daß im Durchschnitt alle dreiJahre nur eine einzige Aufnahme zustande kam. Siezeigt immer den gleichen Ausschnitt der Milchstraße.Vorerst wenigstens. In jeder Sekunde, die Sie nundort auf die Projektion schauen, vergehen relativetwa fünfzig Jahre. In zwei Sekunden erleben Siealso ein ganzes Menschenalter - einhundert Jahre.Sehen Sie selbst, wie unseren Vorfahren damalszumute gewesen sein muß. Sie erlebten etwas, das siebis in die tiefsten Tiefen ihrer Seele erschütterte unddas bis zum heutigen Tag Grundlage unseresGlaubens und unserer Mentalität geblieben ist.«

Und Rhodan sah. Die Sternbilder begannen sichallmählich zu verschieben - und sie entfernten sich.Immer mehr rückten sie zusammen, das Gewimmelder Sterne wurde dichter - aber auch lichtschwächer.

Und dann wurde der Sichtwinkel so groß, daßRhodan einen Überblick erhielt- und er erkannteplötzlich das, worauf er schaute.

Es war jener Spiralarm, aus dem er selbstgekommen war.

Es dauerte fast zehn Minuten, dann war der Arm inseiner ganzen Größe sichtbar geworden. Kaum nochließen sich die einzelnen Sterne voneinanderunterscheiden. Sie bildeten eine längliche und leichtgekrümmte Wolke, die aus sich heraus leuchtete.Aber dieses Leuchten wurde fast zusehendsschwächer.

»Sehen Sie dort die etwas hellereZusammenballung der Sterne?« fragte Nex undbeugte sich zu Rhodan herab. »An jener Stelle standeinst unsere Sonne Barkon. Sie löste sich ausunerklärlichen Gründen aus dem Gravitationsfeld derrotierenden Milchstraße und glitt aus dem Verbandder Sterne hinaus. Aber nicht etwa in Drehrichtung,sondern genau im rechten Winkel dazu. Wir sind bisheute noch nicht einig geworden, warum dasgeschah. Unaufhaltsam strebte unser ganzes Systemin den fürchterlichen Abgrund hinein, der dieGalaxien trennt. Nichts konnte unsere Trift aufhalten.Doch sehen Sie mit eigenen Augen, was unsereVorfahren sahen. Was sie empfanden - ich weißnicht, ob Sie es nachempfinden können.« Rhodan gabkeine Antwort. Nach einer Stunde war die gesamteMilchstraße sichtbar geworden. Der Spiralarm, derauch die heimatliche Sonne beherbergte, die jetzt indiesem Augenblick eine jungfräuliche Erde beschien,ragte weit hinaus in die ewige Finsternis des

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Sternenabgrundes. Fast in seiner Mitte stand dieSonne, nur dreißigtausend Lichtjahre von derFinsternis getrennt.

Wo stand Arkon? durchfuhr es Rhodanunwillkürlich, doch er hütete sich, die Frage laut zustellen. Aber der Unsterbliche hatte die lautlose Fragegehört: Er antwortete:

Praktisch außerhalb der Galaxis, alter Freund.Keine Vermutungen anstellen, davor warnte ich dich.Die Zeit ist noch nicht gekommen, die großenZusammenhänge erkennen zu dürfen. Du beginnst siezu ahnen, und damit weißt du mehr als alleSterblichen der Milchstraße. Was du jetzt in einerVision erlebst, ist eine Miniaturausgabe dessen, wasein anderer in Jahrmilliarden in noch größeremMaßstab erleben wird. Denke nicht darüber nach,wenn du den Verstand nicht verlieren willst.

Immer weiter glitt die kleiner werdendeMilchstraße in die dunkle Ewigkeit hinein, immerweiter entfernte sich Barkon von ihr. In derNachbarschaft des Spiralnebels gab es keine Sterne.Das schwache Leuchten der Ansammlung vonMilliarden von Sternen löschte das noch schwächereLicht fernerer Spiralnebel aus. Es gab im Universumscheinbar nur diese eine Milchstraße, und dieentfernte sich von Sekunde zu Sekunde - oder vonJahrhundert zu Jahrhundert.

Die große Einsamkeit für die Barkoniden begann.Nex drückte auf einen anderen Knopf.»Ich lasse den Film mit vierhundertfacher

Geschwindigkeit ablaufen. Von nun an repräsentierteine Sekunde 5000 Jahre.«

Der Rest des Filmes dauerte etwas mehr als dreiMinuten.

In diesen drei Minuten fiel die Milchstraße mitrasender Geschwindigkeit in ein schwarzes Loch, daskeine Grenzen kannte. Sie wurde mit jeder Sekundekleiner und lichtschwächer. Immer noch war keinStern zu sehen, und der Himmel wurde finster. Ausder typischen Form des Spiralnebels wurde einverwaschener Fleck, der sich allmählich in derUnendlichkeit verlor. Und dann blieb das Bildstehen. »Das ist unser Himmel, wie er sich heuteunserem Kamerateleskop darbietet, das nicht damitaufhört, alle zwei oder drei Jahre eine Aufnahme zumachen«, erklärte Nex mit belegter Stimme.

Genau in der Mitte der schwarzenProjektionsfläche stand der verwaschene Nebelfleck,klein und unscheinbar. Er war allein, denn dieanderen Spiralnebel waren nicht zu sehen. DieAtmosphäre verschluckte ihr geringes Licht.

»Wir sind allein«, fuhr Nex fort und räusperte sich.»Aber wir wissen, daß unsere Arbeit damals nichtumsonst gewesen ist. Die von uns belebten Planetenhaben ihre eigenen Völker hervorgebracht, die nuneine unvorstellbare Zivilisation entwickelt haben

müssen. Wir, die Barkoniden, sind ihre Stammväter.Und von wo immer Sie, Rhodan, auch herkommenmögen, Sie müssen sich damit abfinden, einNachkomme unserer Kolonisten zu sein - oder einNachkomme jener, die von unseren Kolonisten aufeiner fruchtbaren, aber bisher unbewohnten Weltausgesetzt wurden. Wie groß Ihr Volk auch sein mag,es hatte ihre Existenz nur uns zu verdanken, uns, denStammvätern der Galaxis.«

Rhodan bekämpfte die Erschütterung, die ihn zuübermannen drohte. Er wußte, daß ein gigantischesProblem seine Lösung gefunden hatte, aber wagte esnicht, die Konsequenz daraus voll und ganz zuziehen. Sie war zu ungeheuerlich. Warum aber, sofragte er sich, hatte der Unsterbliche ihm dies allesgezeigt? Warum hatte er ihn mit nach Barkongenommen, dessen Kultur nach menschlichenMaßstäben die Ewigkeit geschaut hatte und mit ihrnicht fertig geworden war?

Auf diese Frage fand er keine Antwort, und derUnsterbliche war anscheinend nicht gewillt, sie ihmzu geben, denn er schwieg.

Das Bild auf der Projektionsfläche erlosch. In demRaum wurde es hell. Nex stand dicht neben Rhodan.In seinen Augen war ein Schimmer jener Traurigkeit,die Bestandteil des Lebens auf Barkon II gewordenwar. Mit einem Zittern in der Stimme sagte er:»Verstehen Sie nun, was Einsamkeit ist, Rhodan? Sieleben unter einem gestirnten Himmel und wissen, daßSie nicht allein im Kosmos sind. Sie wissen, daß Siejederzeit mit anderen in Verbindung treten können,die Ihnen gleichen und die Ihre Freunde sind.«

»Vielleicht überschätzen Sie Ihre Nachkommen,die in der Galaxis zurückblieben«, wandte Rhodanvorsichtig ein. »Bei vielen Kolonisten kann esJahrzehntausende gedauert haben, bis sie dieRaumfahrt wiederentdeckten. Viele entdeckten siemöglicherweise überhaupt nicht mehr wieder undbleiben allein auf ihrer Welt, getrennt und isoliertvon den übrigen Völkern, die ihre Brüder waren.Viele gingen vielleicht unter, ohne zu ahnen, daß sienicht die einzigen Intelligenten des Kosmos waren.«

»Sie entwickeln eine düstere Theorie, an dieniemand von uns glauben möchte. Wir leben ja nur inder Hoffnung, daß unsere Arbeit nicht umsonst war.Allein Ihr Erscheinen beweist uns, daß wir nichtvergeblich gelebt haben.«

»Aber auch ich kann Barkon nicht in dieGemeinschaft der Sterne zurückbringen«, erinnerteRhodan.

Über Nex Gesicht huschte ein Schatten.»Das nicht, aber Sie bringen uns Kunde von jenen

Welten, die einst zu unserem Reich gehörten unddenen wir das Leben gaben. Und Sie werden ihnendie Kunde von uns überbringen. Allein das Wissendarum, daß man uns nicht vergessen hat, vertreibt

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einen Teil unserer unerträglich gewordenenEinsamkeit.« Rhodan nickte. »Ich glaube, daß ich zubegreifen beginne - und ich glaube auch, daß icheuch helfen kann.« Nex zeigte zur Tür. »Wir gehennun. Ich werde Ihnen von nun an die Filme in IhrZimmer projizieren. Heute wollte ich Ihnen nur dieseAnlagen zeigen. In einigen Wochen, wenn Sie unsereVergangenheit kennen, werden Sie uns zeigen, wasinzwischen in der Galaxis geschehen ist.«

»Zeigen?« wunderte sich Rhodan verblüfft. »Wiesollte ich Ihnen das zeigen? Ich brachte kein Materialmit.«

»O doch«, nickte Nex und lächelte. »IhreErinnerung und Ihr Wissen. Wir werden IhreGedanken zu Bildern machen.«

Während der Fahrt zum Wohnsitz Laars sprachensie nicht mehr. Vergeblich versuchte Rhodan, einenAusweg aus der Situation zu finden. Was sollte ertun, um die drohende Gehirnwäsche zu verhindern,denn etwas anderes war es nicht, was sie mit ihmplanten.

Mache dir keine Sorgen, alter Freund, flüsterte derUnsterbliche ihm heimlich zu. Oder kannst du dirvorstellen, daß ich diese Möglichkeit nichtvorausgesehen habe oder nicht von ihr wußte? Naalso! Die Barkoniden werden erstaunt sein, was ihrePionierarbeit für Früchte trug.

Du willst ihnen etwas vorgaukeln, was nichtexistiert?

Ich werde ihnen nur die Zukunft zeigen, entgegnetees.

4.

Bis zur achten Woche lernte Rhodan dieGeschichte der Barkoniden kennen - und damit dieGeschichte der Milchstraße. Er erfuhr, daß dieBarkoniden sich für die Erschaffer der Zivilisation inder Milchstraße hielten, aus der sie ein unerbittlichesSchicksal vertrieben hatte. Sie hatten den Keim desLebens zu den unbewohnten Welten gebracht undfest damit gerechnet, daß ihre Nachkommen das vonihnen begonnene Werk vollendet hatten. Sie hieltensich für das Stammgeschlecht aller humanoidenRassen.

An einem der nächsten Tage brachte man ihn miteinem Wagen zur Stadt. In einem hohen Gebäudeerwarteten ihn die Regierungsmitglieder von BarkonII, darunter auch Laar, Regoon, Nex und Gorat. Eswar ein weiter Saal, in dem komplizierte Geräte undgigantische Schaltanlagen untergebracht waren.Unter einer schimmernden Kuppel aus einemunbekannten Metall stand ein Sessel. Zu diesemwurde Rhodan nun geführt.

»Wir machen es Ihnen einfach«, erklärte Nex,nachdem Rhodan begrüßt worden war. »Eine

ausführliche Schilderung der Entwicklung in derGalaxis möchten wir Ihnen ersparen, da sie zuvielZeit in Anspruch nehmen würde. Sehen Sie dort dieProjektionsfläche? Wir besitzen die Möglichkeit, IhreGedanken zu projizieren. Denken Sie nur, stellen Siesich vor, was geschehen ist - und wir werden esmiterleben können. So wissen wir, was seit unseremKontaktverlust geschehen ist.«

Rhodan setzte sich langsam. Während Nex einesilberne Haube auf sein Haupt drückte und einigeAnschlüsse verband, fragte er lautlos seinenunsichtbaren Begleiter:

Was nun, alter Freund? Sie werden erfahren, daßihr Werk gescheitert ist. Was wurde aus ihremVorhaben, die humanoide Spezies über allebewohnbaren Planeten zu verbreiten? Was istwirklich geschehen, seit sie einsam wurden?

Viel ist geschehen, sehr viel. Aber nicht das, wasdie Barkoniden erwarteten. Der Kontakt zwischenden Welten ging verloren, wenn er überhauptbestand. Das erdachte Reich zerfiel, ehe es entstand.

Was soll ich jetzt überhaupt denken? Ich weißnichts über die Dinge, die im Kosmos vor sichgingen. Sicher, die Arkoniden gaben mir ihr Wissen,aber was ist das schon im Vergleich zu dem, was inWahrheit geschah? Arkon und M-13 sind nur einStäubchen in der Galaxis.

Nicht viel, lautete die Antwort des Unsterblichen.Aber überlasse dich nun ganz mir - ich werde fürdich denken. Und öffne deine Augen, um selbst zuerleben, was - vielleicht einmal geschehen wird. Eskann nur ein grober Überblick sein, mehr nicht. Aberer wird diesen Unglücklichen das Gefühl vermitteln,nicht umsonst in der kosmischen Einöde gelebt zuhaben.

»Sind sie bereit?« fragte Nex und unterbrachRhodans Gedanken.

»Ja ... natürlich. Was habe ich zu tun?«»Denken Sie an Ihre eigene Geschichte und

berichten Sie, was bis heute geschah.«Rhodan nickte und sah, wie die Lichter in dem

Saal erloschen. Die halbrunde Projektionswandbegann zu fluoreszieren. Und dann erkannte er aufder plötzlich schwarz werdenden Fläche einen sichplastisch hervorhebenden Planeten - die Erde.

Es wurde von einem gigantischen Schiff umkreist,das sich dann auf flammenden Feuerstrahlen zurOberfläche hinabsenkte und landete. Menschenstiegen aus und ergriffen Besitz von der neuen undnoch unbewohnten Welt. Erste Siedlungenentstanden.

Rhodan glaubte zu träumen. Der Unsterblichegaukelte ihm und den Barkoniden Dinge vor, dieniemals Wirklichkeit gewesen sein konnten. DieTerraner, Abkömmlinge der verschollenenBarkoniden?

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Wieder die Erde aus Weitsicht. Die Polkappenverschoben sich und wanderten bis zu dengemäßigten Zonen vor. Dann zogen die mächtigenGletscher sich wieder zurück. Die Oberfläche desPlaneten veränderte sich. Riesige Städte entstanden,Städte, wie es sie auf der Erde nicht gab. GewaltigeKuppeldome machten den Mond bewohnbar.Raumschiffe eilten von Planet zu Planet und brachtenSiedler zu Mars und Venus. Aus den Tiefen desinterstellaren Raumes kamen die Frachter andererVölker und landeten auf der Erde, um ihre Warenzum Tausch anzubieten.

Da wußte Rhodan, daß der Unsterbliche denBarkoniden die Geschichte einer möglichen Zukunfterzählte, die diese aber für die Vergangenheit haltenmußten. Er berichtete nichts von den fürchterlichenKriegen, die die Bewohner eines Planeten zerfleischthätten, er schwieg vom Reich der Arkoniden, daskurz vor dem endgültigen Verfall stand, er zeigteihnen nichts von den scheinbar unüberwindlichenKonflikten, die einstmals eng verwandte Rassen zuerbitterten Todfeinden machten.

Der Unsterbliche belog die Barkoniden, um ihnenihre grauenhafte Einsamkeit nicht nochunerträglicher zu machen.

Als mit einem Gesamtüberblick sehr deutlichveranschaulicht wurde, daß die gesamtenhumanoiden Intelligenzen der Milchstraße zu einergroßen Gemeinschaft zusammengeschweißt waren,erlosch das Gedankenbild plötzlich. Langsam undzögernd nur kehrte die Beleuchtung in den Saalzurück.

Rhodan sah sich vorsichtig um. Er blickte in diestill vor sich hinlächelnden Gesichter zufriedenerBarkoniden, die ihr grausames Los vergessen zuhaben schienen. Sie waren es gewesen, die einesolche Entwicklung ermöglicht hatten. Ihr Leben warnicht umsonst gewesen. Jemand hatte ihr Werkfortgeführt und beendet.

Nex stand auf und kam zu Rhodan, um ihm dieHaube abzunehmen.

Seine Stimme schwankte, als er sagte:»Wir danken Ihnen, Rhodan, für den Bericht. Nun

wird es uns leichterfallen, die lange, dunkle Reiseanzutreten.«

Rhodan stand ebenfalls auf. Er sah in die Gesichterder Versammelten.

»Lange, dunkle Reise? Ich verstehe nicht ...«»Morgen werden wir Ihnen unser Geheimnis

enthüllen«, sagte Nex und lächelte wissend. »Unddann, wenn Sie die Theorie anerkennen, werden wirIhnen zeigen, wie weit wir in der Praxis sind.«

Zwanglos unterhielt man sich noch eine Weile,aber niemand sprach mehr von der dunklen Reise.Zwei Stunden später war Rhodan wieder in seinemZimmer.

Als er im Bett lag und draußen vor den Fensterndie lichtlose und finstere Nacht ihre Schatten auf dieWelt legte, sagte er leise:

»Du hast sie belegen, alter Freund. Du hast ihneneine Illusion geboten, die ihnen die Kraft gibt, ihrirrsinniges Unternehmen in die Tat umzusetzen.«

»Ja«, gab der Unsterbliche ebenso leise zurück.»Das habe ich getan. Denn eines Tages, in einerMillion Jahren vielleicht, wird die Rasse derBarkoniden die Galaxis vor dem Untergang retten -sie und ihre Erfahrungen mit der grenzenlosenEinsamkeit des Abgrundes, der zwischen denSpiralnebeln droht. Denn eines Tages werden dieintelligenten Völker der Milchstraße sich ebenfallseinsam fühlen, dann nämlich, wenn sie vor derErkenntnis stehen, daß sie diese Abgründe niemalsüberwinden werden.«

Rhodan gab keine Antwort. So auffassungsfähigsein durch die Hypnoseschulung gegangenes Gehirnauch war, es besaß seine Grenzen.

Und er wußte, daß er sie bereits überschrittenhatte.

*

Es war der 14. August 1982. Tagelang war Rhodanüber das Vorhaben der Barkoniden unterrichtetworden. Nex selbst hatte ihm die technischenEinzelheiten erklärt und immer wieder versichert,daß man bereits seit vielen Generationen mit diesemPlan vertraut sei und die besten Köpfe einer geeintenWelt ihr möglichstes getan hätten, jede Fehlerquelleauszuschalten.

Das Innere von Barkon II war ausgehöhlt worden.Die gesamte Bevölkerung des Planeten fand darinPlatz zu leben und sich weiterzuentwickeln.Unvorstellbare Transportsysteme garantierten dieVerbindung zwischen den einzelnen Wohnzentren.Überall verteilte Atomreaktoren spendeten fürJahrhunderttausende Licht, Wärme und Energie.Lufterzeugungsanlagen würden dieverlorengegangene Atmosphäre ersetzen. Undwährend der vereiste und an der Oberflächeerstorbene Planet seine einsame Bahn durch dasUniversum ziehen würde, konnte das Leben inseinem Innern weitergehen.

Riesige Laboratorien erzeugten alle benötigtenLebensmittel und sonstige Bedarfsgegenstände. DasLeben selbst würde sich nicht von dem auf derOberfläche unterscheiden. Und wenn es Nacht,dunkle und lichtlose Nacht wurde, so geschah das ineigener Regie.

Das Wichtigste jedoch war der Antrieb.Eine unvorstellbare Maschinerie sorgte dafür, daß

der Planet sich aus dem Gravitationsfeld der SonneBarkon löste und mit ständig steigender

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Geschwindigkeit Kurs auf die ferne Milchstraßenahm. Eines Tages, so versicherte Nexzuversichtlich, würde das »Raumschiff Barkon II«mit Lichtgeschwindigkeit durch das Universumziehen.

Rhodan wurde den Gedanken immer noch nichtlos, wie in einem Traum zu leben. Der Unsterblichegab ihm auf diesbezügliche Fragen einfach keineAntwort. Er ignorierte alle Bemerkungen Rhodans.

Und heute, am 14. August, wollte Nex seinemGast diesen einmaligen Antrieb zeigen.

Mit einem Wagen fuhren sie zum Flugplatz, woeine kleine Maschine sie erwartete. Sie besaßTropfenform und keine Schwingen. Rhodan wardavon überzeugt, daß man mit diesem kleinen Schiffohne Schwierigkeiten in den Raum vorstoßen konnte,aber weichen Sinn würde das haben? Selbst beiLichtgeschwindigkeit würde eseinhundertfünfzigtausend Jahre dauern, bis man denersten Stern erreichte.

Nach einem Flug von einer Stunde landeten sie aufeinem flachen Felsplateau, das sich aus derfruchtbaren Ebene erhob. Mehrere Kuppelbauten undhohe Türme verrieten, daß Menschen in dieserEinsamkeit existierten. Rhodan sah genauer hin undkonnte feststellen, daß gewaltige Schuttablagerungendas Plateau vergrößert hatten.

»Hier ist die Einfahrt zum Antrieb, der einmal vondieser Stelle aus wirksam sein wird.« Nex deutetenach unten. »Regoon hat die überlieferten Pläneausgeführt und beendigt. Sie werden ihn untentreffen.«

Unten - das war etwa fünftausend Meter unter derOberfläche.

Rhodan mußte im stillen die unglaubliche Anlagebewundern, die von den Barkoniden im Laufe derJahrhunderte angelegt worden war. Unendlich langeKorridore führten in das Innere des Planeten, inregelmäßigen Abständen durch in die Deckeeingelassene Lampen erleuchtet. SchmaleSchienenstränge verrieten die Art der hier untenüblichen Beförderungsmethode. Ein stetes Vibrierenerfüllte die warme Luft.

Regoon kam ihnen bereits entgegen. Er trug eineenge Kombination, die ihn bei seinen Arbeiten nichtbehinderte.

»Vielleicht sind Sie skeptisch«, sagte er undreichte Rhodan die Hand. »Aber glauben Sie mir, wirwerden es schaffen. Viele Generationen haben andiesem Vorhaben gearbeitet, und wir werden esendlich verwirklichen.«

»Sie erleben nur den Anfang«, entgegnete Rhodanund lächelte. »Erst Ihre und meine Nachkommenwerden wissen, ob es gelungen ist. Wie lange wirdBarkon II benötigen, um in die Galaxiszurückzukehren?«

»Wir haben eine Reisedauer vonzweihunderttausend Jahren errechnet«, gab Regoonzurück. »Gorat ist sich da völlig sicher.«

Zweihunderttausend Jahre! Rhodan erschauerte,als er an die Opferbereitschaft dieser großartigenMenschen dachte. Sie zogen sich in das Innere ihresPlaneten zurück, um ihren fernsten Nachkommen einLeben in der großen galaktischen Gemeinschaft zuermöglichen. Die Terraner waren noch längst nicht soweit. Sie dachten oft nicht einmal an ihre eigenenKinder.

»Sie werden es schaffen«, sagte er und war festdavon überzeugt, daß er recht behalten würde.»Unsere Nachkommen werden sich eines Tages dieHände geben können.«

Die Kontrollanlage des Planetenantriebes erwiessich als eine Maschinerie unvorstellbarerKomplexität. Die Fülle der Schalttafeln undGeneratoren, Meßinstrumente und Außenstationenwar so verwirrend, daß Rhodan es bald aufgab, überihr Funktionieren nachzudenken. Selbst seingeschultes Gehirn konnte nicht auf Anhieb begreifen,was hier, in der Tiefe eines Planeten, vor sich ging.

Stumm schritt er zwischen Nex und Regoon durchdie riesigen Hallen und lauschte den Erklärungen derbeiden Wissenschaftler. Sie zeigten ihm alles undwaren stolz auf ihr Lebenswerk, das eine ganze Weltfür zweihundert Jahrtausende von der Sonneunabhängig machen sollte.

Wenn er, Rhodan, mit der Hilfe des Unsterblichendie Katastrophe verhindern konnte.

Ich weiß, wo der Fehler liegt, sagte in diesemAugenblick die lautlose Stimme in seinem Gehirn.Wir werden gleich an dem Hauptreaktorvorbeikommen. Verlange keine Erklärung, alterFreund. Ich sagte bereits, es ist nur eine falscheSchaltung, die den Zerfallprozeß bis ins Unendlichebeschleunigen würde. Wenn das geschieht, wird dieEnergie in einer Sekunde frei, die für eine Ewigkeitreichen sollte. Du wirst dich angeregt mit den beidenunterhalten und dich nicht wundern, was deine rechteHand tut.

»Sehen Sie, Rhodan, von hier aus wird der Antriebinsofern gesteuert, daß der Atomzerfall reguliertwird«, sagte Regoon in diesem Augenblick.

»Es wird Laars Aufgabe sein, in kurzer Zeit hier zustehen und den Beginn der weiten Reise einzuleiten.Die entsprechenden Vorbereitungen sind bereitsangelaufen.«

»Der Antrieb ist somit fertig?« fragte Rhodan undzeigte mit der linken Hand auf die Anlagen. Regoonund Nex nickten und folgten der Richtung deszeigenden Armes. »Sie sind sicher, daß allesfunktionieren wird?«

»Ganz sicher«, erwiderte Nex und lächelte. Wederer noch Regoon bemerkten, daß Rhodan mit der

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rechten Hand zwei Kabel aus ihrer Halterung lösteund sie vertauschte. »Wir haben alles tausendfachüberprüft. Es ist uns kein Fehler unterlaufen.«

»Das hoffe ich auch«, sagte Rhodan und zog dieKlemmen fest. Er spürte, wie sich der Unsterblichezurückzog. Irgendwie kam er sich allein undverlassen vor, aber es dauerte nur Bruchteile vonSekunden, dann war die lautlose Stimme wieder da.

Geglückt. Ich war in der Zukunft, alter Freund.Die Barkoniden treten ihre Reise an. Sie gehen nichtin der Glut des eigenen Planeten unter.

Wie kann man die Zukunft ändern? Hast du nichtauch gesehen, wie ihr Planet eine Sonne wurde?

Vielleicht wirst du später begreifen, alter Freund.Die Unsterblichkeit - und die Langeweile - lösen alleProbleme.

»Wir werfen nun einen Blick in die isoliertangelegte Energieerzeugungsanlage«, sagte Nex undzeigte auf einen im Fußboden der Halleeingelassenen Runddeckel von fünf MeterDurchmesser. »Das Betreten ist zu gefährlich.«

Er drückte auf einen Knopf, und der Deckel, mehrals zwei Meter dick, schwang langsam auf. Rhodantrat an den Rand der so entstandenen Öffnung undsah hinab in den Abgrund, der sich vor ihm auftat.

Der Schacht erweiterte sich nach unten und endetein einer zweiten Halle, in der mächtigeMetallgehäuse lagerten. Einzelheiten waren nicht zuerkennen. Ein gleichmäßiges Summen drang nachoben und erfüllte die Luft mit einem intensivenVibrieren. Irgendwo war der Geruch nach Ozon.

Die Klappe schloß sich wieder. »Schon morgenbeginnen in allen Teilen von Barkon II dieEvakuierungsmaßnahmen«, sagte Regoon stolz.»Nicht mehr lange, und die Reise des Planetenbeginnt.«

»Und morgen werde ich Abschied von Barkonnehmen«, erwiderte Rhodan. »Ich will den Weltender Milchstraße berichten, daß die Urahnen derMenschheit zurückkehren werden.«

Nex und Regoon lächelten. In ihren Augen warnichts mehr von der gewohnten Traurigkeit zu sehen.Zuversicht und stilles Glück leuchtete in ihnen - unddie Kraft und die Entschlossenheit, den Rest desLebens in absoluter Einsamkeit ausharren zu wollen.

*

Die Fahrt zum Flugfeld glich einem Triumphzug.Tausende von Barkoniden säumten die Straßen undjubelten dem Abgesandten der Galaxis zu. Rhodankonnte keine Anzeichen dafür erkennen, daß allediese Menschen heute zum letztenmal die Sonnesahen, denn noch bevor er dieses System verlassenhatte, würden die Barkoniden in die Tiefe ihrer Welthinabsteigen - um dort unten zu sterben. Erst ihre

fernsten Nachkommen würden eines Tages die neueSonne sehen, die ihrem Planeten wieder Wärme,Licht und Leben spenden würde.

Während der Wagen ausrollte und schließlichanhielt, senkte sich aus dem Blau des Himmels daskleine Schiff herab, mit dem Rhodan gekommen war.Sanft landete es. Selbsttätig öffnete sich die Luke.

Laar stieg zuerst aus dem Wagen. Er reichteRhodan die Hand, um ihm aus dem Wagen zu helfen.Nex, Regoon lind Gorat folgten.

»Wir danken Ihnen für Ihren Besuch, Rhodan. Nunwissen wir, daß unsere Kinder uns nicht vergaßen.Rhodan, grüßen Sie die galaktische Gemeinschaftvon ihren Brüdern.«

»Ich werde sie grüßen«, versprach Rhodan.Als er oben in der Luke stand und sich umdrehte,

um der Menge ein letztes Mal zuzuwinken, stieg derjubelnde Ruf der Massen in die klare und warme Luftdes Planeten empor. Es war wie der befreiteAufschrei einer lange gequälten Kreatur, die plötzlichvon ihren Leiden erlöst wurde.

Rhodan spürte die aufsteigenden Tränen. Abruptwandte er sich um und verschwand im Innern desSchiffes, das Sekunden später mit einer leichtenErschütterung startete und nach einer letzten Schleifesteil in den Himmel emporschoß.

Barkon II fiel zurück in das ewige Schweigen derEinsamkeit Für zwei Tage wiederholte sich dasSchauspiel der Reise in umgekehrter Reihenfolge.Von Stunde zu Stunde wurde die Galaxis größer, bisdas kleine Schiff endlich in das Gewimmel desSpiralarmes eintauchte. Und mit einem Schlagbegriff er, was die Barkoniden meinten, wenn sie vonihrer unerträglichen Einsamkeit sprachen.

»In einer Relativ-Stunde sind wir am Ziel«, sagteder Unsterbliche deutlich vernehmbar. »Vielleichtsagst du mir nun, warum du gekommen bist.«

»Weißt du es nicht?« wunderte sich Rhodan.»Trotzdem sollst du es mir sagen.«»Ich benötige eine ultimate Waffe, um die

Bedrohung meines Heimatplaneten abzuwenden. Diegalaktischen Händler haben die Erde entdeckt - undsie werden nicht die letzten sein.«

»Die Kinder der Barkoniden«, lachte es spöttischund wurde plötzlich sehr ernst. »Sie dürfen nichtenttäuscht werden, wenn sie die Galaxis erreichen -und das kann schneller geschehen, als du ahnst.Vielleicht hilft ihnen jemand, die Zeit zuüberwinden.« Er machte eine Pause, um dieBedeutung seiner Worte einsinken zu lassen. »Einestarke Hand muß die Galaxis einen. Du hast dieseHand, Rhodan. Nur du! Darum werde ich dir dieWaffe geben, die du wünschst. Nur - mißbrauche sieniemals!«

»Du willst sie mir geben?« vergewisserte sichRhodan, der plötzlich mißtrauisch wurde. »Ohne

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Prüfungen, ohne weitere Aufgaben?«»Unser Ausflug war die beste Prüfung. Du hast sie

doch bestanden, oder etwa nicht?«»Mit deiner Hilfe - ich denke schon.« Es kicherte

vergnügt. »Natürlich mit meiner Hilfe, was sonst.Also einen Fiktiv-Transmitter möchtest du. Du willstMaterie teleportieren - wahrscheinlich atomareSprengkörper in die Schiffe deiner Gegner.«

»Du wirst mir helfen?«»Natürlich. Doch nun schlafe, Rhodan. Vor dir

liegt ein zweiter Sprung in die Zeit. Wir wollen dochnicht versäumen, in die Gegenwart zurückzukehren,wo deine Aufgabe dich erwartet. Dein Freund Bullywird sich ohnehin wundern, wo du in dieser einenSekunde gewesen bist ...«

Noch während Rhodan über die Worte desUnsterblichen nachdachte, verspürte er eineunwiderstehliche Müdigkeit. Er sah auf denBildschirm und erkannte das erste Sternbild. Esverschob sich langsam. Dann schlief er ein ...... umsofort wieder zu erwachen.

5.

» ... los? Du wirst ja durchsichtig und ... da bist duja wieder! Versuchst du dich in Teleportation?«

Rhodans Blick fiel auf die Borduhr.17. August 1982 - 22.53 Erdzeit Er hatte nicht

einmal eine volle Sekunde versäumt.»Hallo, Bully«, sagte er mit merkwürdig

gebrochener Stimme. »Teleportation? Nein, nichtganz. Vielleicht ein Scherz unseres großen altenFreundes.« Er sah nach vorn durch die Sichtluke.»Ah, das Gebirge. Gleich sind wir da.«

Bully wollte noch etwas fragen, aber dann schwieger. Auf seiner Stirn stand eine steile Falte. Vielleichtüberlegte er sich, wie Rhodan in diesem Bruchteil derSekunde an ein frisch gewaschenes Hemd gekommenwar. Auch machte die Uniform einen frischgebügelten Eindruck. Aber auf diesem Planeten desewigen Lebens war alles möglich sogar dasUnheimliche.

Die Stadt kam in Sicht. Das Landefeld schiengrößer geworden zu sein. Neue Gebäude erhobensich an seinem Rand. Die Halle stand wie vordem.Der Eingang war geöffnet. Einsam und verlorenstand eine menschliche Gestalt unten am Rand desFeldes und sah zu ihnen herauf.

Homunk - die künstliche Schöpfung desUnsterblichen. Sie verkörperte ihn und galt alsMittler zwischen ihm, dem großen Unsichtbaren, undden Menschen. Mit seinem unbegreiflichen Könnenhatte er aus Materie einen Menschen erschaffen, fürden es keine unbeantworteten Fragen mehr gab. DieSTARDUST landete. Rhodan und Bully verließen alserste das Raumschiff und gingen auf Homunk zu, der

sie lächelnd erwartete.»Willkommen auf Wanderer, dem ewigen

Planeten«, sagte er und reichte den beiden Männerndie Hand. »Diesmal also ist es eine Waffe, die Ihrwünscht. Ein Fiktiv-Materie-Transmitter, wie meinHerr mich wissen ließ. Der Wunsch ist gewährt. Icherhielt den Auftrag, zwei solcher Geräte in dieKampfräume des Schiffes einzubauen. Ihr werdet mirdabei helfen?«

Rhodan war überrascht, wie schnell derUnsterbliche auf sein Verlangen einging. Das paßtenicht zu dem Bild, das er sich von ihm gemacht hatte- wenn man von den zehn Wochen absah, die er nunmit ihm zusammen gewesen war - aber war er daswirklich?

»Ja, wir helfen dabei - selbstverständlich.« Eskostete Rhodan eine ungeheure Anstrengung,Homunk nicht einfach auf die Schulter zu klopfenund »alter Freund« zu ihm zu sagen. Der künstlicheMensch lächelte. »Beginnen wir.« Keine weitereEinleitung, kein Aufenthalt, keine Verzögerung.

Welches Interesse hatte der Unsterbliche daran,keine Zeit zu verlieren - er, der die Zeit beherrschte?

Rhodan hatte für einen Augenblick vergessen, daßes einen sehr skurrilen Humor besaß.

Die Arbeiten begannen sofort. Die fünfzig an Bordder STARDUST untergebrachten Arbeitsroboter derArkoniden schafften die in der großen Hallelagernden Einzelteile der beiden Transmitter an Borddes Schiffes und bauten sie dort unter der AnleitungHomunks ein. Zwei Wochen vergingen. In Rhodanwurde die Sorge immer größer, daß zuviel Zeitversäumt würde. Auch Bully brachte es nicht fertig,seine diesbezüglichen Sorgen zu verheimlichen. ZuBeginn der dritten Woche, die Arbeiten waren immernoch in vollem Gange, zog er Rhodan beiseite. Siestanden auf dem Gipfel eines kleinen Hügels undschauten hinüber zu den nachgebildeten Alpen. Linksschimmerte die weite Fläche eines Meeres. Diekünstliche Sonne stand fast im Zenit, und es warangenehm warm auf der künstlichen Welt.

»Hast du mit ihm schon darüber gesprochen?«fragte Bully.

»Du meinst die Zeit«, entgegnete Rhodan, derwußte, worauf Bully hinauswollte. »Ich habe esmehrmals versucht, erhielt aber keine direkteAntwort. Wir versäumen sie doppelt. Hier sind nunschon mehr als zwei Wochen vergangen. Wenn ichan unsere Erfahrungen denke, ist es möglich, daßdraußen im Raum und auf der Erde Jahre vergehen.Das würde die Katastrophe bedeuten. Was nützen unsdie Superwaffen, wenn wir zu spät kommen, die Erdezu retten?«

»Wir sollten ...«, begann Bully, schwieg aberabrupt. Rhodan bemerkte sein Zögern und folgte demBlick des Freundes, der zum Meer hinabschaute.

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Dort schwebte plötzlich eine farbige Kugel über derschwachen Dünung und kam langsam auf sie zu. Sieschien schwerelos zu sein und die Gesetze derSchwerkraft nicht zu kennen. Unaufhaltsam segeltesie, wie vom Wind getrieben, auf den Hügel zu. Undaus ihr kam dann auch die Stimme des Unsterblichen,laut und deutlich - und mit dem üblichen Spottvermischt.

»Eine sehr eindrucksvolle Gestalt habe ichangenommen, findet ihr nicht? Ich hätte auch alsUngeheuer erscheinen können, aber das ist zuunästhetisch. Die farbige Seifenblase ist schöner.«

»Kann sie auch platzen?« fragte Bully respektlos.»Sie kann!« lachte der Unsterbliche dröhnend und

schien sich köstlich zu amüsieren. »Soll ich mal?«Rhodan wollte die Gelegenheit nicht versäumen.»Nicht!« rief er. »Ich wollte dich etwas fragen.«»Wieder eine Bitte?«»Ja, eine Bitte, alter Freund. Du weißt, in welcher

Situation ich mich befinde. Unsere Gegner sind imVorteil und belagern unser System. Sie habenFreunde von mir in eine Falle gelockt und werden sievernichten, wenn wir nicht rechtzeitig zurückkehren.Deine Welt liegt auf einer anderen Zeitebene als diemeine. Bei meinem ersten Besuch hier vergingen aufihr mehr als vier Jahre. Das darf diesmal nichtgeschehen. Selbst zwei Wochen wären zuviel. Ichmöchte dich bitten ...«

»Genügen zehn Minuten?« fragte der Unsterbliche.Die farbige Kugel schien sich aufzublähen, und nochmehr Farben schimmerten auf ihrer Oberfläche.Rhodan nickte verblüfft.

»Zehn Minuten, ja. Aber wozu?«»Insgesamt zehn Minuten, alter Freund. Überlege,

was du in diesen zehn Minuten alles erlebtest. Duhast einen Ausflug in die Ewigkeit unternommen, dasSchicksal eines Volkes miterlebt - und du hast deinSchiff mit einer wunderbaren Waffe ausrüstenkönnen. Nebenbei, ich habe natürlich noch bessereWaffen hier, aber du hast mich nicht nach ihnengefragt. Ich darf dir nicht helfen, wenn du keineAngaben machen kannst. Später vielleicht ...«

»Homunk machte gestern einige Andeutungen«,entsann sich Bully und wurde ganz aufgeregt. »Aberer beantwortete keine Fragen.«

»Dazu ist er auch nicht berechtigt worden«,kicherte die Kugel, die nun genau über ihnenschwebte. »Aber seine Andeutungen sollten genügen,euch zum Nachdenken anzuregen. Vielleicht könntihr beim nächsten Besuch exaktere Angaben über dasmachen, was ihr von mir haben wollt. Ich helfe euchdann gern. Die Barkoniden sollen nicht enttäuschtwerden, wenn sie heimkehren.«

Bully machte ein erstauntes Gesicht.»Die Barkoniden? Meint er die Arkoniden?«Aus dem Himmel herab dröhnte ein homerisches

Gelächter.»Eine Phantasie hat der junge Freund - köstlich! Er

soll sich nicht den Kopf zerbrechen - er ist zu schöndazu.«

Bully wollte etwas erwidern, aber ein heftigerLuftzug hätte ihn fast zu Boden geworfen. Diebuntschillernde Blase war in der Tat geplatzt. Vonallen Seiten strömte die Luft in das entstandeneVakuum. Dann beruhigte es sich wieder.

»Nun hat er sich den Kopf zerbrochen«, murmelteBully und zog Rhodan mit sich den Abhang hinab.»Wer sind diese Barkoniden?«

»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Rhodanleise und fügte nach einigem Nachdenken hinzu:»Vielleicht ist es sogar nur eine Sage - ich weiß esnicht. Ich werde sie dir bei Gelegenheit erzählen.Doch unsere Hauptsorge sind wir los. Wir werdenkeine Zeit versäumen.«

»Weißt du das sicher?«»Ganz sicher!« nickte Rhodan und schritt kräftiger

aus. Dort unten auf dem weiten Feld stand diewartende STARDUST. Morgen würde die Waffeeinsatzbereit sein.

Homunk war in die Zentrale gekommen.»Mein Herr läßt sagen, daß Sie nun starten können,

Rhodan.«»Er will sich nicht verabschieden?« wunderte sich

Rhodan.»Er tut es durch mich - außerdem ist er hier bei

uns, jetzt, in diesem Augenblick.«Bully sah sich um, konnte aber niemand

entdecken.»Wo?« fragte er, als habe er wieder eine bunte

Kugel erwartet. Homunk lächelte. »In der Gestalteines Menschen eines Ihnen sehr lieben Menschen,Bully«, verriet er, um sofort wieder ernst zu werden.»Mein Herr will, daß ihr in zehn Minuten startet unddie Energieglocke senkrecht durchstoßt. Ihr werdetam gleichen Tag zurückkehren, an dem ihr gestartetseid.«

Rhodan spürte Erleichterung bei der nochmaligenBestätigung.

»Und die Waffe? Funktioniert sie auch?«»Mit Bestimmtheit«, versicherte Homunk.Rhodan schaltete den Interkom ein und gab einige

Befehle an die Waffenzentrale. Dann sah er auf dieUhr. »Wir werden ja sehen«, meinte er. »Mein alterFreund wird nicht ungehalten sein wenn ich eineProbe in seinem Bereich ansetze.« Ein zweiter Blickauf die Uhr. »Wie tief sind die Ozeane?«

Homunk gab sofort Antwort, als habe er die Frageerwartet: »Viertausend Meter.«

»Ausgezeichnet!« Wieder sprach Rhodan mit derWaffenzentrale. Einige Daten. Dann der Befehl:»Fertig? Gut, ich löse aus!«

Er drückte auf einen seitlich angebrachten Knopf,

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der so aussah, als sei er noch niemals benutzt wordenwas auch stimmte.

Einige Sekunden vergingen. Dann entstand weitdraußen auf dem Meer ein gewaltiger Wasserberg,türmte sich zu einem riesigen Kegel auf und fiel dannwieder in sich zusammen. Weiße Dämpfe stiegen inwirbelnden Wolken in den künstlichen Himmelempor. Die Flutwelle lief auf das Ufer zu undüberschwemmte einen großen Teil der Küste.Gleichzeitig begann es zu regnen. Irgendwo lachtejemand. »Gut gemacht, alter Freund. Du verstehst es,mit Waffen umzugehen. Aber ich warne dich einzweites Mal: Deine Überlegenheit darf nur derErhaltung des Friedens dienen sonst wird sich dieWaffe gegen dich selbst richten. Wenn duangegriffen wirst, darfst du den Gegner vernichten.Aber greife niemals selbst an! Ich warne dich, alterFreund. Ich meine es sehr ernst.«

»Deine Sorge ist unberechtigt«, beruhigte Rhodan.»Unsere Macht dient nur dazu, den Traum derBarkoniden zu verwirklichen - darin sind wir unsdoch einig, alter Freund?«

»Völlig! Und nun lebe wohl, Perry Rhodan. Halt,ehe ich es vergesse ich habe Bully etwasversprochen. Er findet es in seiner Kabine.«

Noch einmal lachte der Unsichtbare, dann war esstill. Homunk schritt zur Tür. »Ich wünsche euchalles Gute. Und einen Rat gebe ich euch noch: Sobaldihr den Schutz dieser Welt verlaßt und in die normaleExistenzebene zurückkehrt - seht euch vor! Lebtwohl. Freunde!«

Er war verschwunden, ehe sie ihm eine Antwortgeben konnten. Bully starrte ein Loch in die Luft. »Inmeiner Kabine? Was hat er mir versprochen?«

»Wie soll ich das wissen?« zuckte Rhodan dieAchseln. »Es ist schon eine Ewigkeit her, daß wirhierher kamen. Alles kann ich auch nicht behalten.«

»Ich auch nicht. Zweieinhalb Wochen sind einelange Zeit.«

Rhodan lächelte still vor sich hin. Bully hatte alsoinzwischen siebzehn Tage gelebt. Und er, Rhodan?Dreizehn Wochen? Oder eine ganze Ewigkeit -zweimal 200000 Jahre? Oder nur zehn Minuten?Seine Hand erhob sich und schaltete den Interkomein.

»Achtung, Schiffspersonal! Wir starten in einerMinute! Anschnallen! In genau drei Minutendurchstoßen wir die Energieglocke! Die Zeit beginntzu laufen ... einhundertneunundsiebzig ... einhundert...« Der Roboterzähler übernahm. Bei»einhundertzwanzig« erhob sich die STARDUSTund strebte langsam und majestätisch in denunnatürlich blauen Himmel empor. Die Wolken derUnterwasser-Atomdetonation hatten sich bereitsniedergeschlagen. Hoch oben verschwendete diekünstliche Sonne ihre goldenen Strahlen.

»Ich gehe in die Kabine«, sagte Bully, »und legemich aufs Bett. Rufe mich, wenn die Transitionbevorsteht.«

Rhodan nickte ihm zu. Er blieb allein in derZentrale. Der Pilotensessel bot genügend Schutz,auch die stärkste Erschütterung schadlos zuüberstehen. Mit einer Hand konnte er von hier ausdas riesige Kugelschiff steuern, falls er die Kontrollenicht dem Robot übergab.

Genau zwei Minuten nach dem Start durchstieß dieSTARDUST die über Wanderer liegende Glocke ausEnergie. Die Erschütterung raste durch alle Räumedes Schiffes, wurde aber zum größten Teil durch dieAntigravfelder kompensiert und aufgefangen.

Sekunden vor dem Ereignis glühte die Ruflampeauf. Mittels des Interkom versuchte Bully dieZentrale zu rufen. Rhodan war ärgerlich und reagiertenicht. Er hatte jetzt keine Zeit, sich faule Witzeanzuhören oder sich ablenken zu lassen. DieSituation erforderte seine volle Aufmerksamkeit.Außerdem dachte er an Homunks Warnung, nachdem Durchbruch besonders wachsam zu sein.

Rhodan konnte sich zwar nicht vorstellen, warumder prophezeite Zeitsprung eine Gefahr darstellensollte, aber er dachte nicht daran, die erhalteneWarnung zu ignorieren.

Sein Blick lag auf der Borduhr, die Sekunden vordem Durchstoß unverändert den 3. September 1982-15.47 Erdzeit anzeigte.

Und dann kam die Erschütterung. Sofortverschwand der Planet Wanderer und machte demgewohnten Anblick des Weltraums Platz.

Vor Rhodans Augen rasten die Zahlen der Uhr.Der Bordkalender ordnete sich in die neue Zeitebeneein. Er stand nun auf dem 17. August 1982 - 22.39Uhr Erdzeit.

Vor genau zehneinhalb Minuten waren sie hier ander gleichen Stelle in die Energiekuppel Wandererseingedrungen. Vor sieben Stunden waren sie aus demSol-System aufgebrochen.

In vierzig Minuten würde der Unsterbliche ihn mitsich nehmen - zu einem Ausflug in die Tiefen derAbgründe zwischen den Spiralnebeln. Zu einemAusflug in die Unendlichkeit ...

Rhodan fühlte, wie seine Haare sich sträubten -und in gleicher Sekunde schrillte der Alarm durchsSchiff.

Die automatisch arbeitenden Ortungsgeräte hattenMaterie entdeckt, obwohl es im Umkreis von fünfzigLichtjahren keine Materie geben durfte.

Sekunden später kam die Meldung aus derWaffenzentrale: »Feuerleitstand FMT fertig!«

Noch ehe die Luken sich schlossen, erblickteRhodan die acht walzenförmigen Schiffe derSpringer, die sich entschlossen auf die STARDUSTstürzten, obwohl sie von dem plötzlichen Erscheinen

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des Kugelraumers überrascht worden sein mußten.Sekunden später rasten die elektronischen Impulse

durch die Robotanlagen.Gleichzeitig hörte Rhodan in seinen Ohren ein

dröhnendes Gelächter, und jemand rief vergnügt:»Hallo, alter Freund! Nun probiere deine neue

Waffe aus - es ist ein Heidenspaß ...«Rhodan war anderer Meinung. Er kniff die Augen

zusammen und biß sich auf die Lippen.»Transmitter eins - Aktion!« rief er ins Mikrophon.Die STARDUST wurde in der gleichen Sekunde

zum tödlichsten und gefährlichsten Raumschiff desUniversums.

6.

Topthor glaubte, seinen Augen nicht trauen zudürfen.

Vor wenigen Minuten erst hatte er die Ruhepausebefohlen, da er mit einem längeren AufenthaltRhodans auf dem anscheinend unsichtbaren Planetenrechnete. Dann, wenn die riesige Kugel wiederauftauchte, wollte er sie blitzschnell angreifen undvernichten. Den Planeten des ewigen Lebens dann zufinden, konnte nicht schwer sein.

Und nun tauchte die STARDUST direkt vor seinerNase aus dem Nichts auf, keine elf Minuten,nachdem sie verschwunden war.

Er war sofort hellwach. Mit einem Schlag seinergewaltigen Faust hieb er den Hebel nach unten, derdie Bildverbindung mit den anderen Schiffenaktivierte.

»Alarm! Rhodan ist wieder da! Angreifen undvernichten! Ich kümmere mich um die Koordinatenseines Erscheinungsortes.«

Grogham war auf dem Posten. In kurzen undabgehackten Kommandos befahl er den Angriff undleitete ihn. Fünf der Schiffe schickte er vor, währender selbst mit einem anderen und dem Topthors dieaugenblickliche Position beibehielt. Das rettete ihmund dem Sippenchef das Leben.

Die fünf Schiffe zogen auseinander und bildetenschließlich einen weiten Ring, in dessen Mittelpunktabwartend die STARDUST stand und keine Gesteder Abwehr machte.

»Torpedos!« brüllte Grogham in seinNachrichtengerät. Die Kommandanten der fünfSchlachtschiffe, die schon so oft den anderen Sippender Händler zu Hilfe geeilt waren, nahmen dasKommando auf und handelten entsprechend. Fünfschwere Kampftorpedos mit Fusionsladung verließendie Abschußluken und eilten mit steigenderGeschwindigkeit auf die STARDUST zu.

Gespannt sahen Topthor und Grogham zu, wasgeschehen würde. Sie rechneten natürlich mit einemkraftvollen Abwehrschirm des Terraners, aber sie

hofften beide insgeheim, daß dieser Schirm dieEnergieladung von fünf überschweren Atombombennicht abhalten würde.

Fast gleichzeitig flammten rings um dieSTARDUST fünf grelle Detonationen auf, die füreinen Augenblick die weit entfernten und nurschwach leuchtenden Sterne zum Erlöschen brachten.Als Topthor geblendet die Augen schloß undabwartete, bis die erste Glut nachließ, konnte er sicheines gewissen Stolzes nicht erwehren. Vielleicht warihm nun das gelungen, was Etztak und Origansvergeblich versucht hatten - Rhodan zu vernichten.Aber nicht nur das war der Preis und Lohn seinerMühe gewesen. Zusätzlich hatte er die sagenhafteWelt des ewigen Lebens gefunden - oder doch fastgefunden.

Langsam öffnete er die Augen wieder.Unbeschädigt schwebte die Riesenkugel majestätischinmitten der fünf walzenförmigen Schlachtschiffevon Topthors Sippe der Überschweren. Ihm war, alsschimmere das blanke Arkonitmetall tückisch undherausfordernd. Außer sich vor Wut donnerte er:

»Zwei Torpedos diesmal! Jedes Schiff zweiTorpedos simultan!«

Grogham leitete auch diesen Angriff. Ein Teilseiner Zuversicht war geschwunden, und er begannzu ahnen, daß sie diesmal ihren Gegner gefundenhatten - und nicht nur ihren Gegner, sondern auchzugleich ihren Meister.

Sein Kommando raste über die Sender.Doch Rhodans Schutzschirm hielt auch diese zehn

Detonationen und die damit verbundenenEnergieentladungen aus. Allerdings wurden dieGeneratoren bis zur äußersten Grenze beansprucht.Falls die Händler nun auf den Gedanken kamen, dreiTorpedos simultan abzufeuern, war die STARDUSTverloren.

»Transmitter eins - fertig zum Einsatz!«»Fertig!« kam ruhig und sachlich die Bestätigung.

Die Waffenzentrale wartete. Die Männer hattenVertrauen zu der neuen Waffe - und insbesondere zuRhodan.

Nein, sie versuchten es nicht mehr mit Torpedos,stellte Rhodan in diesem Augenblick fest. Sieversuchten es mit konzentriert gebündelten Strahlen.Auch nicht zu verachten. Aber das hielt der Schirmder STARDUST leicht aus.

Er hatte Zeit, sich um Bully zu kümmern, derinzwischen mit senkrecht zu Berge stehenden Haarenin die Kontrollzentrale gestürmt war.

»Ausgeschlafen?« erkundigte sich Rhodan sanft.Bully wurde ohne jeden Grund fuchsteufelswild.»Was heißt hier ausgeschlafen? Während du

deinen Spaß mit diesen Springgurken hast, muß ich...«

»Womit?« wollte Rhodan aufhorchend wissen.

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»Diese Gurken dort - gehören sie vielleicht nichtden Springern oder Händlern? Na also! Dann ist esauch mein gutes Recht, sie zu nennen, wie es mirbeliebt.«

»Warum bist du so gereizt? Ist dir eine Laus ...?«»Laus!« empörte sich Bully und betrachtete

interessiert auf dem Bildschirm, wie dieHitzestrahlen der fünf Feindschiffe am eigenenSchutzschirm abprallten und in den Weltraumzurückglitten. »Hat sich was mit Laus! Wenn ichdem Unsterblichen noch einmal begegnen sollte,dann werde ich ... hm, eigentlich ist es ja auch meineSchuld.«

Rhodan schüttelte besorgt den Kopf.»Ich fürchte, der letzte Zeitsprung ist dir nicht

bekommen, obwohl du nichts davon bemerkt hast.Oder bist du mit dem Kopf irgendwo angestoßen, alswir Wanderer verließen?«

»Ich bin nirgendwo angestoßen!« schrie Bullyerbost und stampfte mit dem Fuß auf. Seine rotenBorsten zitterten vor Erregung. »Dieser Unsterbliche...«

»Was ist mit mir«, sagte die Stimme von derDecke her. Rhodan und Bully sahen nach oben understarrten. Dicht über ihnen schwebte eine faustgroßeKugel, die erregend in allen möglichen Farbenschillerte und einen weißlichen Schein aussandte.»Dabei habe ich es gut gemeint, Freund Bully.Undank ist der Welten Lohn, so sagt man wohl beieuch. Übrigens, Rhodan, verplempere nicht deinekostbare Zeit mit diesem unreifen Jüngling. DeineGegner planen einen konzentrierten Angriff mit derGravitationsbombe. Er wird deine STARDUST in diefünfte Dimension schleudern ...« Die Kugel erlosch.Während Bully noch fassungslos auf den Fleckstarrte, an dem sie eben gehangen hatte, verwandeltesich Rhodan in eine exakt funktionierendeKampfmaschine. Seine letzten Bedenken schwandendahin, Gravitationsbombe! Die furchtbarste allerbisher bekannten Waffen. Er selbst hatte es nureinmal gewagt, sie einzusetzen. Und nun wollte manihn damit vernichten.

»Waffenzentrale - Transmitter eins - Feuer!«Die Koordinaten stimmten. Haargenau sogar! Eins

der fünf Schiffe blähte sich plötzlich auf, alsdetoniere genau in seinem Zentrum eine Atombombe- was in Wirklichkeit auch geschah. Eine Sonneentstand, und als sie ausglühte und die leuchtendeWolke sich nach allen Seiten ausdehnte, war vondem Schiff nicht mehr die geringste Spur zuentdecken.

Ohne Schwierigkeiten hatte der Fiktiv-Transmitterdie Bombe durch den feindlichen Schutzschirmtransportiert und am Ziel zur Explosion gebracht.

Gegen diese Waffe gab es keine Gegenmittel.Aber Rhodan überwand all seine moralischen

Bedenken. Er wußte, daß es um Sein oder Nichtseinging. Mit diesen Springern war nicht zu spaßen,dabei wußte er nicht einmal, daß er es mit eineranderen Sippe zu tun hatte. »Transmitter zwei -Feuer!« Das zweite Schiff wurde genauso promptvernichtet wie das erste.

»Grauenhaft!« stöhnte Bully. »Welche Waffebesitzen wir da ...«

Rhodan biß die Zähne zusammen und sagtegepreßt in das Mikrophon: »Transmitter eins -Feuer!« Dann:

»Transmitter zwei - Feuer!« Das letzte der fünfangreifenden Schiffe entschloß sich zu einerVerzweiflungsaktion. Mit eingeschalteterBeschleunigung setzte es zum Rammstoß auf dieSTARDUST an. Rhodan konnte es im letztenAugenblick vor einer Kollision vernichten.

Der Gluthauch der Explosion streifte dieEnergieschirme der STARDUST.

Topthor hatte die Geschehnisse mit weitaufgerissenen Augen verfolgt. Er begann zu ahnen,daß etwas Unglaubliches geschehen war. Es mußteRhodan gelungen sein, im Verlauf von knapp zehnMinuten die unheimliche Waffe auf dem Planetendes ewigen Lebens zu erhalten. Obwohl das völligunmöglich schien, mußte es wahr sein. Wie hättensonst die fünf Schiffe in knapp zwei Minutenvernichtet werden können? Mit herkömmlichenWaffen hätte Rhodan das nicht geschafft.

Aber er erkannte auch etwas anderes.Rhodan dachte nicht daran, jemand anzugreifen

oder gar zu vernichten, der seinerseits ihn nichtangriff. Die letzten drei Schiffe waren also sicher.

»Grogham! Fertigmachen zur Transition!Irgendwohin! Zweihundert Lichtjahre. Von dort ausorientieren wir uns! In zwei Minuten! Ich gebeinzwischen Funkspruch an Etztak durch.«

Und nun machte Rhodan einen geringfügigenFehler.

Er kümmerte sich nicht weiter um die dreiverbliebenen Gegner, sondern schaltete dieBeschleunigung der STARDUST ein und raste mitirrsinniger Geschwindigkeit in den Raum hinein,Topthor und seine drei Walzenschiffe weit hinter sichzurücklassend.

»Was ist mit denen?« fragte Bully erstaunt. »Willstdu sie nicht auch ...?«

»Vernichten? Warum? Sie bedeuten keine Gefahrmehr für uns. Es ist jetzt unsere vordringlicheAufgabe, Tiff zu helfen. Vergiß nicht, daß er aufeinem Eisplaneten sitzt, der sehr gut zu einerflammenden Hölle werden kann, wenn Etztak dieGeduld verliert und das Spiel durchschaut, das wirmit ihm treiben. In acht Minuten findet die Transitionstatt. Wir werden im System Beta-Albireomaterialisieren.«

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Bully nickte, um sofort heftig den Kopf zuschütteln.

»Nein, warte noch. Wir können sie doch nichtmitnehmen!«

»Wen - sie?«»Na, Mensch, die Rallas!« Für einen Augenblick

glaubte Rhodan, Bully habe den Verstand verloren.Mit leicht gerunzelter Stirn betrachtete er seinenFreund, der ein ganz verzweifeltes Gesicht machte.

»Die Rallas! Du willst doch damit nicht etwasagen ...?«

»Doch, das will ich! Sie sitzt in meiner Kabine undist zu Tode beleidigt, daß ich mir nichts aus ihrmache. Mein Gott, wenn die Mannschaft das erfährt -und insbesondere dieser Redkens! Ich habe keineruhige Minute mehr in meinem Leben.«

Rhodan vergewisserte sich, daß derNavigationsroboter Transitionspunkt undSprungintensität errechnete und noch gut siebenMinuten Zeit blieben. Dann grinste er schadenfroh.

»Beruhige dich, es ist ja nicht die echte Rallas!«»Was ist da für ein Unterschied? Jeder wird sie

aber für die echte halten müssen - und im Grundegenommen ist sie das ja auch. Was soll ich nur mitihr anfangen?«

»Ignorieren! Wie ich die Spaße des Unsterblichenkenne, wird er sie verschwinden lassen, wenn wir unsnicht um sie kümmern. Behalte sie vorerst in deinerKabine.«

»In meiner Kabine?« Bully machte ein derartentsetztes Gesicht, daß Rhodan laut lachen mußte.»Aber ich kann doch nicht mit einer Frau zusammenin einer Kabine hausen! Nicht, daß ich etwas dagegenhätte, aber unter diesen Umständen ...«

Rhodan sah auf die Uhr. Noch sechs Minuten.»Sie wird im Augenblick der Transition

verschwinden, ganz bestimmt. Der Unsterblicheerlaubt sich nur einen Scherz ...«

Draußen auf dem Gang ertönten Schritte. DasStimmengemurmel war nicht zu überhören. Jemandlachte.

Bully wurde plötzlich sehr blaß. Er sah Rhodaneinen Augenblick verwundert an ehe er mit einementschlossenen Ruck die Tür zur Seite gleiten ließ.

Draußen auf dem Gang stand die Rallas undverteilte Autogramme. Einige Angehörige desFunkpersonals, darunter auch Redkins von derNavigation, drängten sich um den bekannten Star undredeten auf um ein. Insbesondere Redkens verlangtezu wissen, ob die »göttliche Rallas« die ganze Zeit inBullys Kabine zugebracht hätte.

Das war Bully denn doch zuviel. Mit einemwütenden Fauchen sprang er mitten unter diebegeisterten Autogrammjäger und stieß sie mit denFäusten beiseite. Breitbeinig und mit immer nochgesträubten Haaren blieb er vor der Rallas stehen, die

ihn aus unschuldsvollen Augen verzückt betrachtete.»Was fällt Ihnen ein«, zischte Bully wütend,

»meinen guten Ruf zu untergraben. Die Leutemüssen ja glauben, ich hätte Sie heimlich ins Schiffgeschmuggelt, um ... um ...«

»Um was?« erkundigte sich der Filmstar neugierig.Bully verdeckte seine Verlegenheit mit Grobheit.»Sie wissen genau, um was!« brüllte er und trat

Redkins, der zu nahe herangekommen war, auf dieZehen. »Jeder muß das denken!«

»War es denn nicht so?« säuselte die Rallaserrötend. »Haben wir nicht glückliche Stundenverbracht?«

Bullys Gesichtsfarbe wurde zu einer anatomischenSeltenheit. Rhodan konnte sich nicht entsinnen, einso rotes Gesicht gesehen zu haben. Die anderen auchnicht. Unwillkürlich wichen sie zurück, alsbefürchteten sie, Bully könne platzen.

»Wir ... haben ...?« stammelte Bully und fandkeine Worte mehr. Dann aber war er mit seinerBeherrschung am Ende. Mit wutverzerrtem Gesichtrichtete er sich auf, seine Hände schossen vor undumkrallten den Hals der Hollywood-Schönen. »Ichbringe dich um! Du willst die Moral unsererMannschaft untergraben ...«

Er schwieg verdutzt. Mit weit aufgerissenenAugen starrte er in sein eigenes Gesicht, das ihmplötzlich vertraut entgegen grinste. Erstaunte Ausrufewurden laut. Jemand im Hintergrund schrie entsetztauf.

Bully war dabei, seinen exakten Doppelgänger zuerwürgen. Die Rallas war verschwunden; an ihreStelle war ein anderer Bully getreten. Zwei Bullysstanden sich gegenüber. Der echte rot vor Wut undbereit, den anderen umzubringen. Der unechte miteinem lässigen Grinsen, wie man es von Bullygewohnt war.

Rhodan konnte nur mit Mühe das Lachenzurückhalten. Bis zur Transition waren es noch dreiMinuten.

»Nun siehst du wohl ein, daß der Unsterbliche sicheinen Scherz erlaubt hat - und auch die anderenhaben es erlebt. Du bist rehabilitiert, Bully. Dein Rufist wiederhergestellt. Und nun laß deinenDoppelgänger laufen, er kann auch nichts dafür.«

Bully ließ den Hals seines Opfers los und trateinen Schritt zurück. Seine Gesichtsfarbe wurdelangsam wieder normal.

»Wie ist das möglich?« fragte er, in der Stimmeeine unwillkürliche Scheu vor dem Unerklärlichen.»Das da ... bin doch ich! Oder bin ich es nicht?«

»Eine Nachbildung, genau wie diese Rallas oderwie unser guter Freund Homunk. Genausogut hätteich dort stehen können. Kümmern wir uns nicht mehrum die Scherze des Unsterblichen, wir haben jetztWichtigeres zu tun. Bully, hilf mir beim Überprüfen

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der Transitionsdaten. Die anderen auf ihre Stationen!Ja, auch Sie, Redkens! Behalten Sie das Autogrammder Rallas ruhig. Sie können jede Wette daraufeingehen, daß es echt ist.«

Der Kadett starrte abwechselnd auf sein Foto mitUnterschrift und auf das breite grinsende Gesicht desfalschen Bully. Allem Anschein nach konnteRedkens diesem Gesicht nicht die gleiche Verehrungund Liebe entgegenbringen wie vorher der Rallas.Seine Enttäuschung war so offensichtlich, daß Bully,der bereits halb in der Zentrale stand, sich wütendumdrehte und rief:

»Verschwinden Sie, Redkens! Sie könnenschließlich nicht verlangen, daß ich so schön bin wiedie Rallas!«

Redkens schlich verzweifelt hinter dendavoneilenden Funkern her.

Der falsche Bully aber verwandelte sich in eineweiße Leuchtkugel, die mit einem höhnischenKichern verschwand.

»Hoffentlich für immer!« stieß Bully hervor undzog die Tür in die Verschalung. »Ich wäre froh, wennwir schon einige hundert Lichtjahre von hier wegwären.«

»Seit wann kannst du keinen Spaß mehrvertragen?« wunderte sich Rhodan. »Du hast denUnsterblichen ja regelrecht herausgefordert.« Bullysah auf die Instrumente. »Wir haben noch sechzigSekunden. Koordinaten stimmen. Alles stimmt!« Erwarf sich in einen Sessel und lehnte sich zurück. Alser weitersprach, schloß er die Augen. »In zweiMinuten sind wir etwas mehr als 1750 Lichtjahre vonhier entfernt.«

Er schwieg - und Rhodan war ihm dankbar dafür.Jetzt, genau in dieser Sekunde hatte er die Reise

mit dem Unsterblichen angetreten. Er spürte, wieeine Welle des Nichtbegreifens über ihnhinwegspülte und ihn einhüllte. Ihm war für einenAugenblick, als fiele er in einen niemals endendenAbgrund hinein. Haltlos stürzte er. Seine Augenwaren weit geöffnet, aber sie sahen nichts - nurtiefschwarze Finsternis mit einem winzigenverwaschenen Lichtfleck weit voraus. DieMilchstraße! Genau darauf zu stürzte er - mitunvorstellbarer Geschwindigkeit.

Aber es dauerte nur eine einzige Sekunde, dannverschwand die Vision und machte der WirklichkeitPlatz. Vor sich sah er wieder die Kontrollschirme derSTARDUST, die Instrumente und Skalen, die vielenHebel und Zeiger und Knöpfe.

Er lag im Sessel und spürte das Vibrieren desAntriebes. Das war unbestreitbare Wirklichkeit. Dievergangene Sekunde aber ... ja, was war sie dennüberhaupt? Mit Schrecken erkannte Rhodan, daß ersie zweimal erlebt hatte. Nein, eigentlich dreimal.

Einmal über dem Planeten Wanderer, dem

unbegreiflichen Gebilde eines noch unbegreiflicherenWesens.

Einmal in der Unendlichkeit, wo aus dieserSekunde zweierlei wurde: eine Realität von zehnWochen und eine Vision von vierhunderttausendJahren.

Und einmal - jetzt - in einer ganz normalenSekunde.

Welche Sekunde aber war die echte, die wirkliche?Was überhaupt war eine Sekunde, wenn sie keineGültigkeit mehr besaß?

»Noch dreißig Sekunden!« sagte der Robotzählermit seiner metallischen Stimme. »Nochneunundzwanzig ...«

Rhodan schloß die Augen.Noch neunundzwanzig Sekunden - oder noch

neunundzwanzig Ewigkeiten, ganz wie man will.Wieviel Zeit versäumen wir eigentlich, indem wir sieeinteilen wollen?

Und, halb erwartet, kam die Antwort aus demNichts, eine vertraute und wohlbekannte Stimme,lautlos und doch so deutlich vernehmbar:

Eine sehr kluge Frage, alter Freund. Stell dir nureinmal vor, auf der Erde gäbe es weder Tag nochNacht, keine Jahreszeiten und keinen Wechsel derGezeiten. Würde der Mensch überhaupt bemerken,daß er alterte? Würde er nicht sehr überrascht sein,plötzlich den Tod herannahen zu spüren? Würde erüberhaupt wissen, daß es eine Zeit gäbe?

Aber - ist die Zeit nicht etwas durchaus Reales,genau wie der Raum?

Beides ist absolut irreal, alter Freund. Vor dirliegt nun eine Entfernung von mehr als 1750Lichtjahren, eine fast unvorstellbare Entfernung, dieauf deiner Welt noch vor einem guten Jahrzehnt alsunüberwindbar galt. Du wirst diese Entfernung ineiner einzigen Sekunde überwinden. Deine Uhrenwerden dir zeigen, daß in der Tat nur eine einzigeSekunde vergangen ist, wenn du dein Ziel erreichst.Lasse die Zeit aus dem Spiel, und du wirst erkennen,daß die Überwindung des Raumes in der Tat - indieser Form - unmöglich ist. Und doch geschieht es!Hast du darauf eine Antwort?

Der Hyperraum, der Pararaum. Wir nehmenunseren Weg durch die fünfte Dimension ...

Das sind Worte, nichts als Worte. Der Menschspricht diese Worte aus, ohne ihren Sinn jemals zubegreifen. Selbst deinem geschulten Hirn müssen sieunbegreiflich bleiben. Das menschliche Gehirn hateine Vorliebe dafür, abstrakte Begriffe zu prägen. Ichmöchte versuchen, dir einen Begriff der Realität zuvermitteln, aber ich beginne zu ahnen, daß ich dichdamit nur noch mehr verwirren würde. Doch wirhaben noch viel Zeit, bevor du mich verläßt.

Nicht mehr viel, dachte Rhodan und sah auf dieUhr. Sie zeigte unverändert neunundzwanzig

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Sekunden an. Neben ihm im Sessel lag Bully undrührte sich nicht. Sein Gesicht war starr und wie tot.

Alle Zeit der Welt in diesem Zustand, dachte derUnsterbliche zurück. Sieh auf die Uhr - sie steht.Hörst du noch den Robotzähler? Nein, du hörst ihnnicht, weil auch für ihn die Zeit stehengeblieben ist.Oder dein Freund Bully - von deinem Standpunkt ausbetrachtet ist er tot.

Tot?Ja, tot. Denn solange du ihn auch betrachtest, für

ihn vergeht nur der Bruchteil einer TausendstelSekunde. Sein Blut steht in den Adern still. DieSTARDUST verharrt am gleichen Fleck. Es vergehtkeine Zeit mehr - für dich.

Rhodan spürte eine Ahnung des Grauens. Einkühler Hauch, wie aus einem Grab, schien durch dieZentrale zu streifen und ließ ihn erschauern. Er warfeinen Blick auf seine Uhr. Der Sekundenzeiger standstill.

Rhodan bekämpfte die ihn anfallende Panik mitallen Mitteln, aber er konnte nicht verhindern, daß sieihn - wenigstens zum Teil - überwältigte. Mit derHand stieß er Bully an.

Bullys Körper war wie aus Stein. KeinenMillimeter rührte er sich von der Stelle.

»Bully - hörst du mich!«»Es ist sinnlos!« sagte die Stimme des

Unsterblichen aus dem Nichts heraus. »Von deinerWarte aus gesehen ist Bully in der Zeit eingefroren.Er sieht dich neben sich sitzen, und er kann deineblitzschnellen Bewegungen ebenso wenig erkennenwie deine Worte hören. Bedenke, für ihn vergehtkeine Sekunde, während wir beide versuchen, dasProblem der Zeit zu lösen - und vielleichtstundenlang auf dieser Ebene der Zeitlosigkeitweilen.«

»Und ich? Was ist mit mir? Was ist, wenn ich jetztaufstehe und im Schiff herumgehe?«

»Niemand hindert dich daran, alter Freund. Duwirst deinen Platz verlassen - aber in Wirklichkeithast du ihn nur für eine Tausendstel Sekundeverlassen. Deine Bewegungen sind zu schnell, umvon einem menschlichen Auge wahrgenommenwerden zu können.« Rhodan blieb sitzen. »Ichverstehe es nicht - mein Verstand weigert sicheinfach, es als Realität anzuerkennen. Ich kann nichtgleichzeitig in zwei verschiedenen Daseinsebenenexistieren.«

»Natürlich kannst du es. Wenn du vor demTelefilmgerät sitzt, bist du auch gleichzeitig zweimalvorhanden, dazu in verschiedenen Zeitenvorausgesetzt, es wird ein Film gezeigt, auf dem duzu sehen bist.«

»Das ist etwas anderes!« protestierte Rhodan.»Ist es das? Ist es das wirklich, wenn man in

Betracht zieht, daß man von Sekunde zu Sekunde ein

anderer Mensch ist? Die Zellen des Körpers erneuernsich ständig, ebenso wie das Blut. Folglich kann derMensch von dieser Sekunde nicht der gleicheMensch der folgenden Sekunde sein. Es sindverschiedene Menschen. Bringe sie jedoch in dergleichen Sekunde zusammen - und das ist möglich,wenn man Herr über die Zeit ist -, so stehen sichzwar die gleichen, aber nicht dieselben Menschengegenüber.«

»Also würgte Bully sich selbst, nicht einSpiegelbild?« Der Unsterbliche kicherte. »Er hättebeinahe einen Bully umgebracht, der in zehn Minutenexistieren wird. Von da nämlich holte ich ihn.«Rhodan fragte: »Und wenn er ihn getötet hätte, waswäre geschehen?«

Der Unsterbliche ignorierte die Frage. Er war alsonicht bereit, alle Fragen zu beantworten.

»Wir sprachen davon, daß man die Zukunftbeeinflussen kann. Du hast den Beweis erlebt. Ichwill dir in deinem eigenen Interesse einen weiterenBeweis liefern. Aber glaube nicht, daß ich etwasungeschehen machen könnte, was in dieser Sekundegeschieht. Ich will nur, daß du gewarnt bist. Begleitemich in das Schiff Topthors.«

»Wer ist Topthor?«»Der Anführer der Händlersippe, die dich

angegriffen hat. Ein sogenannter Überschwerer.Erschrick nicht, wenn du ihn siehst. Er steht mitseinen verbleibenden drei Schiffen kurz vor derTransition. Aber in dieser Sekunde gibt er seinemFunker den Befehl, einen Funkspruch abzusetzen.Der Empfänger ist ein gewisser Etztak.«

»Etztak - der Springerpatriarch. Was soll das?«»Du weißt genau wie ich, daß Etztak die Geduld

verloren hat. Er will den Planeten, auf dem sich deineFreunde aufhalten, in eine atomare Hölle verwandeln.Wenn er den Funkspruch erhält, wird er nicht mehrlänger zögern, sein Vorhaben zu verwirklichen. Duweißt außerdem, daß er bisher nur deshalb zögerte,weil er immer noch hoffte, wichtige Informationenvon deinen Leuten zu erhalten. Wenn er jedoch dieHyperkommeldung Topthors erhält, wird ihmklarwerden, daß du ihn täuschtest. Er weiß dann, daßdeine Leute auf dem Eisplaneten ihn nur ablenkensollten, damit du ungestört zu dem Planeten desewigen Lebensfliegen konntest, um die neue Waffezu holen. Topthor wird ihm berichten, daß du dieneue Waffe nun hast und wahrscheinlich damitangreifen wirst. Somit ist Etztak gewarnt. DieHändler halten zusammen, wenn es um ihregemeinsamen Interessen geht. Sie gehören nicht zujenen, die ihre eigenen Betten mit Dreckbeschmutzen. Etztak wird die Kampfflotten dergalaktischen Händler zu Hilfe rufen.«

»Ich will keinen Krieg«, stöhnte Rhodanerschrocken. »Auch dann nicht, wenn ich die

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überlegeneren Waffen besitze.«»In beschränktem Umfang läßt er sich nicht mehr

verhindern«, gab die Stimme des Unsterblichenzurück. »Auch darf ich mich nicht in die bestehendenKonflikte der Galaxis einmischen, das verstießegegen die Naturgesetze. Aber ich darf Hinweisegeben. Und wenn du gewarnt bist, so ist das nichtsals ein Hinweis von meiner Seite aus.« Er lachte leiseund ironisch. »Komm mit mir, Rhodan. Du sollstTopthor, deinen künftigen Gegner, kennenlernen.Und wisse, daß er dich nicht sehen kann, so wie duihn auch nicht körperlich berühren kannst. Du bleibsthier in der STARDUST sitzen, aber dein Geist wirddeinen Körper verlassen - für den Bruchteil einerwinzigen Sekunde.«

Ehe Rhodan antworten konnte, geschah etwas sehrMerkwürdiges. Er begann, sich von selbst zuentfernen. Ihm war, als schwebe er unter die Deckeund sehe auf sich hinab. Gleichzeitig so ahnte er, fielsein Körper in die normale Zeitebene zurück,während nur sein Geist in jener weilte, in der die Zeitstillstand. Der Rhodan, auf den er hinab sah,»gefror«. Sein Blick war starr und unveränderlich aufdie Instrumente gerichtet.

Und dann durchdrang Rhodan oder sein Geist - dieWandung der STARDUST. Er schwebte frei imWeltraum. Vergeblich versuchte er, sich selbst zusehen. Er war Nichts. Er war unsichtbar.

Die STARDUST wurde zu einer still im Raumstehenden Kugel, die sich um keinen Zentimetermehr voranbewegte. Sie und alle in ihr weilendenMenschen und Maschinen wurden zu einemwirklichkeitsnahen Foto, das auch nur die tausendstelSekunde eines Lebens wiedergibt.

Und dann wurde die STARDUST schnell kleiner.Bis Rhodan sie nicht mehr sehen konnte.

Vielleicht beginnst du nun zu ahnen, warum meinVolk den Körper aufgab, als es vor der Möglichkeitstand, sich vergeistigen zu können. Der Körper istnur ein Hilfsmittel, mehr nicht. Er ist verwundbarund darum auch sterblich.

Ich würde ihn vermissen, dachte Rhodan zurück.Du bist auch nur ein Mensch, alter Freund. Ich

aber bin mein Volk. Das ist ein gewaltigerUnterschied. In mir leben auch jene fort, die sichgegen die Vergeistigung wehrten. Daher vielleicht -meine Vorliebe dafür, gern in dieser oder jenerGestalt zu erscheinen. Doch da sind wir schon. Diesist Topthors Schiff.

Auch die walzenförmige »Gurke« stand still. Sieexistierte in der gleichen Ebene wie die STARDUST.Es fiel Rhodan schwer, sich vorzustellen, daß in derZwischenzeit nichts geschah. Soviel aber begriff erbereits: Solange er sich auch hier und in diesemZustand aufhielt, er konnte nichts versäumen.

Als er den fast viereckigen Riesen Topthor

erblickte, erschrak er, obwohl der Unsterbliche ihngewarnt hatte. Das Monster war genauso breit unddick wie hoch. Topthor hielt in denüberdimensionalen Händen einen Zettel, den ergerade einem zweiten Überschweren reichte, der ihman Größe und Gewicht nicht nachstand.

Das ist die Nachricht, alter Freund. Lies sie.Rhodan bewegte sich näher an die beiden

Überschweren heran und hätte sie berühren können,wenn er Hände besessen hätte. Durch sein Gehirnschoß die Frage, warum er wohl sehen konnte, dennschließlich besaß er auch keine Augen.

Und er konnte den Zettel und die Schrift daraufsehr deutlich sehen. Es war Interkosmo, dieallgemein übliche Sprache des arkonidischenImperiums. Der Text lautete:

»An Etztak, Patriarch der Sippe von Etztak. Es istPerry Rhodan, dem Terraner, gelungen, eine neueWaffe zu erhalten. Er konnte damit fünf meinerSchiffe vernichten. Keine Gegenwehr möglich. Ichwarne dich, Etztak! Versichere dich unserer Hilfe!Rhodan wird dich angreifen und vernichten. Nur einÜberraschungsschlag kann ihn unschädlich machen.Ich melde mich mit neuer Position und erwarte deinAngebot.

Topthor.Sippe der Überschweren.«Rhodan las die Botschaft zweimal durch und war

sicher, die Worte nicht mehr zu vergessen. Es kamjetzt nur noch darauf an, wie schnell Etztak reagierenwürde. Sicher nicht schnell genug. Die STARDUSTkonnte das System Beta-Albireo mit einem einzigenSprung erreichen allerdings auch Topthor mit seinenSchiffen. Aber bevor der Überschwere in die Kämpfeeingriff, konnten noch Tage vergehen. Etztak war zähund würde wegen des zu erwartenden Preisesverhandeln wollen.

Das allein war Rhodans Chance. Er wich einwenig zurück und betrachtete Topthor genauer. Ja,das Gesicht war das eines Menschen oder Arkoniden.Oder - und Rhodan zuckte zusammen, als er esdachte - das eines Barkoniden. Ein wenig verändert,gewiß. Wahrscheinlich hatte die Art derÜberschweren ständig, auf einem Planeten mitextrem hoher Gravitation gelebt und sichentsprechend verformt. Aber die Abstammung wardeutlich zu erkennen.

Die Gemeinschaft der Galaxis! Rhodan lächeltebitter. Wie gut, daß die Barkoniden nicht wußten,was aus ihrem Reich geworden war. Und bis sie aufihrer weiten Reise durch die Finsternis des leerenRaumes den Rand der Milchstraße erreichten,verging noch viel Zeit. Wieviel konnte sich bis dahinändern ...

»Kehren wir zurück«, mahnte die Stimme desUnsterblichen. Du hast gesehen, welche Botschaft

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dein Gegner erhalten wird. Richte dich danach.Sobald du in die Daseinsebene der STARDUSTzurückgekehrt bist, bleibt dir nicht viel Zeit. Aber duwirst es schaffen.Der körperlose Flug durch den Raum nahm fürRhodans Begriffe nur wenige Sekunden in Anspruch,dann sah er die vertrauten Formen der STARDUSTwieder vor sich auftauchen. Mühelos drang er durchSchutzschirm und Hülle, um sich selbst unverändertund immer noch bewegungslos neben Bully in derZentrale wiederzufinden.Ich danke dir, alter Freund. Wann sehen wir unswieder?In seinem Gehirn war ein lautloses Gelächter.Das Wörtchen >wann< existiert im Sprachgebraucheines Zeitlosen nicht, Rhodan. Aber du kannst gewißsein, daß wir uns wiedersehen. Bis dahin lebe wohl -und hüte dein Erbe.Rhodan spürte, wie etwas von ihm wich, undgleichzeitig war er wieder in seinem Körper.Er öffnete die Augen. Der Zählroboter sagte gerade:» ... achtundzwanzig ...«Also eine Sekunde lang hatte er die Augengeschlossen gehalten - und was war alles geschehen?Viel, sehr viel! Er wußte, daß jetzt, in diesemAugenblick, ein gewisser Topthor eine Nachrichtdurch den Hyperraum an Etztak senden würde. Erwußte, wie diese Nachricht lautete. Und er begann zuahnen, wie manche Geschehnisse zustande kamen,die von den Menschen ahnungslos als »Schicksal«bezeichnet wurden. » ... zwanzig ...« Das waren alsoacht Sekunden gewesen! Acht Ewigkeiten! » ...achtzehn ...« Noch niemals zuvor hatte Rhodan voreiner Transition soviel gedacht wie heute. Noch niewar ihm die Zeit so lange vorgekommen. Und nochniemals zuvor hatte Bully sich so schweigsamverhalten.»Kopf hoch!« versuchte Rhodan den Freundaufzumuntern. »In wenigen Sekunden materialisierenwir vielleicht mitten zwischen den Schiffen Etztaks.Sie werden wie die Wölfe über uns herfallen, um derVernichtung durch unsere neue Waffe zu entgehen.Wir müssen auf dem Posten sein und ...«»Neue Waffe?« knurrte Bully gereizt. »Du sollst dirwieder angewöhnen, logisch zu denken. Woher sollEtztak wissen, daß wir eine neue Waffe besitzen?«Rhodan lächelte nachsichtig. »Ach ja, du hast völligrecht. Woher soll er das wissen. Ich glaube fast, manwird alt. Selbst relativ Unsterbliche können altwerden. Das sieht man an dir!«»Neun!« sagte der Roboter bestimmt.»An mir, wieso?« fragte Bully hastig.»Denke an die Rallas! Ein jüngerer Mann als du hättesich bestimmt nicht über sie aufgeregt, wenn sie auchnur eine Nachbildung war.«» ... vier ...«»Ich habe mich nicht wegen der Frau, sondern der

Leute wegen aufgeregt. Die Disziplin an Bordverlangt ...«»Quatsch!« sagte Rhodan.Bully schwieg.» ... eins ...«, sagte der Zählrobot. Und dann:»Transition!«

*

Die STARDUST verschwand aus dem Universumund glitt hinein in den fünfdimensionalen Raum. Vondieser Sekunde an stand die Zeit für das Schiff undalle, die darin weilten, still.- Gleichzeitig stand sieaber auch für das ganze Universum still, denn selbstauf der fernen Erde verging nur eine einzigeSekunde, während die STARDUST einen Satzausführte, für den selbst das Licht mehr als 1750Jahre benötigte. Allerdings - um ebenfalls nur eineeinzige Sekunde älter dabei zu werden.Die Schmerzen jagten durch Rhodans Körper, als dasBewußtsein zurückkehrte. Er riß mühsam die Augenauf und erkannte auf dem Bildschirm die flammendeDoppelsonne Beta Albireo.In seinem Unterbewußtsein aber war eine Frage -eine Frage, die ihm jemand wahrend des Sprungesgestellt hatte.Was war das für eine Frage gewesen? Und wer hattesie gestellt?Ja, das war es gewesen: Hast du nun begriffen?Es mußte die Stimme des Unsterblichen gewesensein. Hast du nun begriffen? Und Rhodan schüttelteden Kopf und sagte laut:»Nein, ich habe es nicht begriffen, alter Freund. Ichbin nur ein Mensch, und wie sollte ich als Menschdie Struktur der Ewigkeit begreifen? Aber ich dankedir, daß du mir einen Ausflug gönntest, der michahnen ließ, wie man Universen schafft und erhält.«Das Dunkel des Raumes und die flammende Sonnegaben keine Antwort. Lediglich Bully murmelte vonseinem Sitz her undeutlich:»Nicht wahr, du hast das auch. Man beginnt zuphantasieren, wenn man aufwacht. Das ist der einzigeNachteil dieser Transition. Man sollte etwas dagegenunternehmen. Sind wir da?«Rhodan sah in die funkelnden Sterne hinein.»Ja«, entgegnete er geistesabwesend, »man solltewirklich etwas unternehmen. Ja ... und wir sind da.«Und plötzlich war ihm, als habe jemand tief in seinerSeele gelacht. Nicht höhnisch oder voller Spott,sondern ganz sacht und voller Freude.So wie jemand, der lange einsam war - und plötzlicherkennen darf, daß er es nicht mehr ist.

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E N D E

DER AUSFLUG IN DIE UNENDLICHKEIT gab Perry Rhodan einen erschütternden Einblick in fernsteVergangenheit und Zukunft - und bescherte ihm zwei Fiktiv-Transmitter. Diese Fiktiv-Transmitter sindgefährliche Waffen. Sie wurden bereits eingesetzt, und sie müssen auch wieder eingesetzt werden, weilSpringerpatriarch Etztak eine Welt zum Tode verurteilte.

EISWELT IN FLAMMEN

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