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Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode Protokoll Nr. 16/127 Ausschuss für Gesundheit Wortprotokoll 127. Sitzung Berlin, den 01.07.2009, 14:00 Uhr Sitzungsort: Reichstag, SPD-Fraktionssaal 3 S001 Vorsitz: Dr. Martina Bunge, MdB Dr. Hans Georg Faust, MdB (zeitweise) TAGESORDNUNG: Öffentliche Anhörung zum einzigen Tagesordnungspunkt Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Prävention der Glücksspielsucht stärken BT-Drucksache 16/11661

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Deutscher Bundestag16. Wahlperiode

Protokoll Nr. 16/127

Ausschuss für Gesundheit

Wortprotokoll127. Sitzung

Berlin, den 01.07.2009, 14:00 UhrSitzungsort: Reichstag, SPD-Fraktionssaal 3 S001

Vorsitz: Dr. Martina Bunge, MdBDr. Hans Georg Faust, MdB (zeitweise)

TAGESORDNUNG:

Öffentliche Anhörung zum einzigen Tagesordnungspunkt

Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Prävention der Glücksspielsucht stärken

BT-Drucksache 16/11661

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Ausschuss für Gesundheit, 127. Sitzung, 01.07.2009

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Anwesenheitsliste*

Mitglieder des Ausschusses

Ordentliche Mitglieder des Ausschusses Stellv. Mitglieder des Ausschusses

CDU/CSUBauer, Wolf, Dr.Eichhorn, MariaFaust, Hans Georg, Dr.Hennrich, MichaelHüppe, HubertKoschorrek, Rolf, Dr.Scharf, Hermann-JosefSpahn, JensStraubinger, MaxWidmann-Mauz, AnnetteZylajew, Willi

Blumenthal, AntjeBrüning, MonikaJordan, Hans-Heinrich, Dr.Krichbaum, GuntherLuther, Michael, Dr.Meckelburg, WolfgangMichalk, MariaPhilipp, BeatrixScheuer, Andreas, Dr.Schummer, UweZöller, Wolfgang

SPDFriedrich, PeterHovermann, EikeKleiminger, ChristianLauterbach, Karl, Dr.Mattheis, HildeRawert, MechthildReimann, Carola, Dr.Spielmann, Margrit, Dr.Teuchner, JellaVolkmer, Marlies, Dr.Wodarg, Wolfgang, Dr.

Bätzing, SabineBecker, DirkBollmann, GerdFerner, ElkeGleicke, IrisHemker, Reinhold, Dr.Kramme, AnetteKühn-Mengel, HelgaMarks, CarenSchmidt, SilviaSchurer, Ewald

FDPBahr, DanielLanfermann, HeinzSchily, Konrad, Dr.

Ackermann, JensKauch, MichaelParr, Detlef

DIE LINKE.Bunge, Martina, Dr.Seifert, Ilja, Dr.Spieth, Frank

Ernst, KlausHöger, IngeKnoche, Monika

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBender, BirgittScharfenberg, ElisabethTerpe, Harald, Dr.

Haßelmann, BrittaKoczy, UteKurth, Markus

______________________________________*) Der Urschrift des Protokolls ist die Liste der Unterschriften beigefügt.

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Ausschuss für Gesundheit, 127. Sitzung, 01.07.2009

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Bundesregierung

Bundesrat

Fraktionen und Gruppen

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Ausschuss für Gesundheit, 127. Sitzung, 01.07.2009

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Sprechregister Abgeordnete Seite/n Sprechregister Sachverständige Seite/nDie Vorsitzende, Abg. Dr.Martina Bunge (DIE LINKE.)

5, 23 SV Wolfgang Schmidt(Bundesarbeitsgemeinschaft derLandesstellen für Suchtfragen(BAGLS))

5, 20, 22

Abg. Jens Spahn (CDU/CSU) 5, 18, 19 SV Dr. Christoph J. Tolzin 5, 8, 14Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU) 6 SV Armin Koeppe (Deutsche

Hauptstelle für Suchtfragen e.V.(DHS))

6, 7, 11, 13,17, 18, 19, 22

Abg. Maria Eichhorn(CDU/CSU)

7, 19 SV Stefan Bürkle (DeutscherCaritasverband e.V.)

6

Abg. Dr. Carola Reimann (SPD) 8 SVe Ilona Füchtenschnieder(Fachverband Glücksspielsucht (fags)e.V.)

7, 14, 17, 19,20, 21, 22

Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD) 8 SV Prof. Dr. Jobst Böning(Fachbeirat Glücksspielsucht)

8, 9, 10, 11, 15

Abg. Peter Friedrich (SPD) 9, 21, 22 SV Dr. Christian Korsukéwitz(Deutsche Rentenversicherung Bund(DRV))

8, 11

Abg. Dr. Margrit Spielmann(SPD)

10, 20, 21 SV Prof. Dr. Gerhard Meyer (Institutfür Psychologie und Kognitionsforschung(IPK))

9, 17

Abg. Daniel Bahr (Münster)(FDP)

10, 11, 12, 13 SVe Anke Quack(Kompetenzzentrum Verhaltenssucht)

10, 11, 17

Abg. Dr. Martina Bunge (DIELINKE.)

13, 14, 15 SV Thomas Freiherr von Stenglin(Deutsche Spielbanken Interessen-und Arbeitsgemeinschaft (DeSIA))

11, 12, 13, 18,19

Abg. Dr. Harald Terpe(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

15, 16, 17 SV Wolfgang Voß (BundesverbandAutomatenunternehmer e.V. (BA))

12, 13, 18

SV Uwe Christiansen(BundesverbandAutomatenunternehmer e.V. (BA))

12, 13, 21

SV Kai W. Müller(Kompetenzzentrum Verhaltenssucht)

15

SV Prof. Dr. Michael Adams 16SV Prof. Dr. Johannes Dietlein 20SVe Heike Wöllenstein(GKV-Spitzenverband)

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Ausschuss für Gesundheit, 127. Sitzung, 01.07.2009

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Beginn: 14:00 Uhr

Die Vorsitzende, Abg. Dr. Martina Bunge(DIE LINKE.): Meine Damen und Herren, icheröffne die 127. Sitzung des Ausschusses fürGesundheit. Einziger Tagesordnungspunkt istdie öffentliche Anhörung zu dem Antrag derAbgeordneten Dr. Harald Terpe, Kerstin An-dreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN„Prävention der Glücksspielsucht stärken“ aufBT-Drucksache 16/11661. Diese Vorlage habenwir im Ausschuss im März behandelt. DieAnhörung mussten wir auf den heutigen Tagverschieben, weil immer große Gesetzesvorha-ben vorrangig waren. Insofern ist die heutigeBeratung ein Blick in die Zukunft, den wir demneuen Bundestag übergeben, denn es wird einschriftliches Protokoll dazu geben. Ich darf Sieals Sachverständige recht herzlich begrüßen.Ferner begrüße ich die Vertreterinnen undVertreter der Bundesregierung, allen voran denParlamentarischen Staatssekretär, Herrn RolfSchwanitz, und die Drogenbeauftragte derBundesregierung, Frau Sabine Bätzing. Ich be-grüße auch meine Kolleginnen und Kollegen, dieschon eine lange Sitzung am Vormittag hintersich gebracht haben. Ich bitte die Sachverständi-gen, wenn Sie von den Mitgliedern desAusschusses gefragt werden, für Ihre Antwortdie Mikrofone zu benutzen und diese hinterherwieder auszuschalten, da es sonst Probleme mitder Akustik gibt. Sofern ich Sie nicht namentlichanspreche, sollten Sie sich und Ihre Institution zuBeginn Ihres Beitrags vorstellen. Alle Mobilte-lefone sollten von jetzt an ausgeschaltet sein. Dieerste Fragerunde geht an die Fraktion derCDU/CSU.

Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Meine ersteFrage richtet sich an die Arbeitsgemeinschaft derLandesstellen für Suchtfragen und an Herrn Dr.Tolzin. Wie bewerten Sie das bestehende Ange-bot an präventiven und rehabilitativen Maßnah-men im Bereich der Glücksspielsucht? Ergän-zend möchte ich noch die Deutsche Hauptstellefür Suchtfragen und Herrn Dr. Tolzin fragen,welchen Anteil Glücksspielsuchterkrankungenbei Suchterkrankungen insgesamt ausmachenund ob sich eine Tendenz erkennen lässt.

SV Wolfgang Schmidt (Bundesarbeitsgemein-schaft der Landesstellen für Suchtfragen

(BAGLS)): Die Arbeitsgemeinschaft hat einenÜberblick über die Situation in den einzelnenBundesländern, was die Prävention und Bera-tung von pathologischen Glücksspielern und ih-ren Angehörigen angeht. Nach der Verabschie-dung des Staatsvertrages haben sich die Länderangestrengt, um das Versorgungs- und dasHilfsangebot für pathologische Glücksspielerauszubauen. Diese Anstrengungen sind län-derspezifisch sehr unterschiedlich ausgefallen.Es gibt Länder, die sehr viel Geld in die Handgenommen haben, und es gibt andere Länder, dieetwas zögerlicher sind. Bereits nach einem Jahrkönnen wir feststellen, dass überall dort, wo dasAngebot ausgebaut wurde und wo es eine Stellegibt, die explizit für diesen Personenkreiszuständig ist, auch die Nachfrage nach diesemHilfsangebot angestiegen ist. Das kann manschon jetzt sagen. Bei uns besteht jedoch dieSorge, was mit diesen Stellen – die bekanntlichan die Laufzeit des Staatsvertrages gekoppeltsind – passiert, wenn dieser nach vier Jahrenausläuft. Das ist unsere einzige Sorge. UnserFazit lautet daher: Es wurden Angebote ge-schaffen, die auch von den Angehörigen undnicht nur von den Betroffenen genutzt werden.Wir wünschen uns und fordern, dass dieseAngebotspalette nach den vier Jahren, d. h. nach2011, weitergeführt wird.

SV Dr. Christoph J. Tolzin: Hinsichtlich desAngebotes lässt sich feststellen, dass nach wievor die Vereinbarung zur Rehabilitation vonGlücksspielabhängigen aus dem Jahr 2001 gilt,die seinerzeit zwischen den Rentenver-sicherungsträgern und den damaligen Spitzen-verbänden der gesetzlichen Krankenversi-cherung geschlossen wurde. Diese Vereinbarungwird auch gelebt. Es gibt eine Reihe von Reha-bilitationskliniken, wo die stationäre me-dizinische Rehabilitation fokussiert auf pa-thologische Glücksspielsucht – so eine solchevorhanden ist und eine Komorbidität besteht –durchgeführt wird. Weiter lässt sich aus Sicht desMedizinischen Dienstes sagen, dass hinsichtlichder Antragstellung für Rehabilitationsmaß-nahmen oder medizinische Maßnahmen fürPatientinnen und Patienten mit pathologischerGlücksspielsucht eine Stagnation auf relativniedrigem Niveau zu verzeichnen ist. Das magvielfältige Ursachen haben, aber zumindest ist esso, dass dort in den letzten Jahren keine Zu-nahme der Nachfrage festzustellen ist. Das kannauch daran liegen, dass viele Glücksspielsüch-

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tige komorbid sind und dass möglicherweise an-dere Störungsbilder im Vordergrund stehen.Aber es ist jedenfalls keine Zunahme registrier-bar. Man muss natürlich auch sagen, die Störungder Impulskontrolle als eine Diagnose aus demBereich der ICD 10 unterliegt auch der Mög-lichkeit der ambulanten psychotherapeutischenBehandlung. Dies gilt auch für Fälle einer vor-liegenden Komorbidität mit einer anderen Erst-diagnose. Es lassen sich daher auch dazu keinegenauen Zahlen ermitteln. Aber auch hier bestehtdie Tendenz, dass eine deutliche Zunahme nichtzu verzeichnen ist.

SV Armin Koeppe (Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen e.V. (DHS)): Zu den Zahlen derStatistik muss man sagen, dass im Laufe desJahres 2007 5.200 Klienten in ambulante Bera-tungsstellen gekommen sind. Das ist ein Anteilvon 3,1 % nach einem Anteil von 2,6 % im Jahrzuvor. Im Vergleich zu anderen Süchten sind daszwar sehr geringe Zahlen, aber die Steigerung isteindeutig zu sehen. Ebenso sieht das Bild imstationären Bereich aus. Dort sind 1,6 % derKlienten pathologische Glücksspieler, und auchda ist eine konstante Zunahme zu verzeichnen.

Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Meine Fragerichtet sich an die Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen, den Fachverband Glücksspielsuchtund den Deutschen Caritasverband. Bei welcherArt von Glücksspielen sehen Sie das größteSuchtpotenzial? Bitte begründen Sie Ihre Ant-wort und legen Sie dar, welche Gegenmaßnah-men Sie für geeignet halten.

SV Armin Koeppe (Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen e.V. (DHS)): Das größte Sucht-potenzial sehen wir ganz eindeutig bei denGeldgewinnspielgeräten und Spielhallen. Ausdem Bundesmodellprojekt, das ich durchführe,kann ich berichten, dass 85 % der Klienten, diein die Beratungsstellen kommen, ihre Sucht inden Spielhallen erworben haben. Von daher ist esganz eindeutig, dass dieses das größte Problemdarstellt. Welche Gegenmaßnahmen kann es ge-ben? Wir fordern eine Vereinheitlichung in demSinne, dass auch die Geldgewinnspielgeräte inden Glücksspielstaatsvertrag aufgenommenwerden. Wir würden mithin eine Überarbeitungder Gewerbeordnung begrüßen.

SVe Ilona Füchtenschnieder (FachverbandGlücksspielsucht (fags) e.V.)): Aus unserer Sichtmüssen wir dieses bestätigen. Wir haben inNordrhein-Westfalen mehrere Untersuchungendurchgeführt, und zwar Längsschnitt-Unter-suchungen in den Jahren 1997, 2004 und 2007.Gestern habe ich die jüngsten Ergebnisseerhalten. Wir stellen eindeutig fest, dass die Zahlder Glücksspielsüchtigen in den Beratungs-stellen kontinuierlich zunimmt. Im Jahr 2007 gabes mit 166 Fällen schon eine ganze Reiheambulanter Reha-Maßnahmen. Wir haben auchalle Beratungsstellen nach dem Hauptproblemihrer Klienten befragt. In 85 % aller Fälle lag dieUrsache bei den Geldspielautomaten in Gast-stätten und Spielhallen. Auch andere Quellenbzw. Hilfsangebote zeigen, dass dies ein über-einstimmender Befund ist. Bei Hotlines z. B.,deren Telefonnummer auf dem Lottoscheinaufgedruckt ist und wo man annehmen könnte,dass dort vermehrt Lotto- und Sportwetter anru-fen, machen die Automatenspieler den größtenAnteil der Anrufer aus. Wo liegen aus unsererSicht die Ursachen? Es liegt an der Verbreitungder 225.000 Geräte, die sehr niedrigschwellig zuerreichen sind, z. B. in Gaststätten, gastronomi-schen Betrieben, Cafés, Bäckereien usw. AusBayern – dort wurde auch eine Landesstelleeingerichtet – sind gerade Befunde bekannt ge-worden, die besagen, dass der Jugendschutz indiesen Bereichen überhaupt nicht funktioniertund dass diese Geräte keine Unterhaltungsgerätesind, wie es der Gesetzgeber intendiert hat, son-dern dass sich hier ein gewerblicher Glücks-spielmarkt neben dem staatlichen Glücksspieletabliert hat. Aus unserer Sicht wäre es diekonsequenteste und rechtssystematischste Lö-sung, wenn sich der Gesetzgeber für ein be-grenztes und reguliertes Angebot an Glücksspie-len im Rahmen eines staatlichen Monopols ent-scheiden würde. Eine andere Möglichkeit be-stünde darin, den Geräten ihren Glücksspielcha-rakter zu nehmen. In Suchtberatungsstellendürften dann nur noch höchstens 5 % Menschenauftauchen, die Probleme mit derartigen Gerätenhaben.

SV Stefan Bürkle (Deutscher Caritasverbande.V.): Ich kann mich in den wesentlichen Punk-ten meinen Vorrednern anschließen. Was dieFrage der Gegenmaßnahmen angeht, ist schonviel zur Angleichung der Problematik der Auto-matenspieler auf der Ebene des Glücksspiel-staatsvertrages gesagt worden. Ergänzend wären

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hier noch die Bereiche der Verhaltens- bzw.Verhältnisprävention zu erwähnen. Auf demGebiet der Verhältnisprävention wären ins-besondere Schritte im Bereich des Jugend-schutzes bzw. hinsichtlich der Möglichkeiten zurKontrolle der Jugendschutzes, insbesondere derAlterskontrolle, zu nennen. Des Weiteren ist dieEinführung von Spielersperren und derenKontrolle notwendig. Es sind ferner Maßnahmenim Sinne einer Überprüfung der Automaten-dichte erforderlich. Man weiß aus Erfahrungenmit stoffgebundenen Abhängigkeiten, dass dieDichte bzw. die Griffnähe zu Suchtmitteln auto-matisch auch eine Auswirkung auf die Ab-hängigkeitsproblematik hat, die sich in der Folgezeigt. Ferner sind weitergehende Schritte er-forderlich, die beispielweise eine Festlegungenthalten, dass Automatenspiele nur in ganz be-stimmten Bereichen bzw. in dafür vorgesehenenÖrtlichkeiten möglich sind, um sicherzustellen,dass man tatsächlich diese Kontrollmög-lichkeiten hat. Auf der Ebene der Verhaltensprä-vention halte ich es für nötig, dass das, was überden Staatsvertrag an Möglichkeiten zur Schaf-fung von Angeboten zum Spielerschutz angesto-ßen wurde, weiter fortgesetzt wird. Herr Schmidthat dies schon erwähnt. Ich fände es darüber hi-naus enorm wichtig, hier auch den Bereich derFrüherkennung einzubeziehen. Ich glaube, dasses sehr wichtig sein wird, Finanzmittel zurVerfügung zu haben, um Früherkennungsmo-delle bzw. -module auch im Bereich des Spielenszu entwickeln, wie es im Bereich der stoff-gebundenen Süchte bereits üblich ist.

Abg. Maria Eichhorn (CDU/CSU): Es ist ge-rade von den Jugendlichen die Rede gewesen. Indiesem Zusammenhang habe ich Fragen an dieBundesarbeitsgemeinschaft der Landesstellenfür Suchtfragen, den Fachverband Glücksspiel-sucht, die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragenund an Herrn Dr. Tolzin. Können Sie unsInformationen zur Verbreitung von Glücksspiel-sucht speziell unter Jugendlichen geben? Ist hiereventuell ein Anstieg zu verzeichnen, und wel-che Arten von Glücksspielen gefährden Ju-gendliche besonders? Gibt es derzeit Präventionund Therapie für diese Gruppe? Wenn ja, welcheMaßnahmen gibt es? Wenn nein, was kann hiergetan werden, um die Jugendlichen vor derGlücksspielsucht zu bewahren?

SV Wolfgang Schmidt (Bundesarbeitsgemein-schaft der Landesstellen für Suchtfragen(BAGLS)): Bei Jugendlichen ist in den letztenzwei oder drei Jahren ganz besonders das Poker-spiel modern geworden. Es gibt hierfür einestarke Werbung, die von ganz legalen Fern-sehkanälen und von Prominenten ausgeht, die alsWerbe-Ikonen für dieses Spiel auftreten. Das isteine ganz neue Entwicklung, die vor allem fürJugendliche sehr interessant ist. Wenn man sichdie Werbung anschaut, dann ist diese daraufausgerichtet, auch Jugendliche zu erreichen. Esgibt derzeit noch nicht sehr viele dezidiertePräventionsangebote im Glücksspielbereich. Mitder Entwicklung solcher Strategien stehen wirnoch ganz am Anfang. Wie der Caritasverbandschon erwähnt hat, versuchen wir, unsereKonzepte bei den stoffgebundenen Abhängig-keiten, soweit es geht, auf den Bereich Glücks-spiel zu übertragen, aber dort stehen wir wirklichnoch am Beginn.

SVe Ilona Füchtenschnieder (FachverbandGlücksspielsucht (fags) e.V.)): Das kann ich nurunterstützen. Es gab die Hurrelmann-Studie, diefestgestellt hat, dass 3 % der untersuchtenSchülerinnen und Schüler in einem problemati-schen Umfang gespielt haben. Von Sucht willman bei so ganz jungen Menschen noch nichtsprechen. Sucht ist ja eine chronische Erkran-kung. Es geht hier um Pokerspiele, selbst orga-nisierte Kartenspiele, aber auch um Geldspiel-automaten in den zugänglichen Bereichen ingastronomischen Betrieben. Ein Zugang, umJugendlichen Hilfe anzubieten, ist die Schulungder Suchtpräventionsfachkräfte, die wiederumals Multiplikatoren wirken und in die Schulengehen.

SV Armin Koeppe (Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen e.V. (DHS)): Beim letzten Punktschließe ich mich meiner Vorrednerin an. Ausdem Modellprojekt kann ich wiederum berich-ten, dass es Rückmeldungen gab, wonach dasEinstiegsalter bei den Geldspielgeräten bei zehnJahren lag. Andere wichtige Gebiete waren dieBereiche der Wetten und des Pokerspiels. Vordem Hintergrund einer Veranstaltung, an der ichheute teilnahm, möchte ich auch noch dieAnziehungskraft von Internetcafés für jungeMenschen mit Migrationshintergrund hervorhe-ben.

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SV Dr. Christoph J. Tolzin: Einerseits ist dieSituation dadurch gekennzeichnet, dass es ins-gesamt relativ wenige valide Untersuchungen zudem Thema gibt. Es scheint aber nach Rück-sprache mit Kinder- und Jugendpsychiatern und-psychotherapeuten so zu sein, dass für Kinderund Jugendliche die besondere Gefahr in ersterLinie schon mit der Online-Sucht gegeben ist,also mit dem übermäßigen Zeitvertreib vor demComputer und mit dem Durchführen vonComputerspielen. Rein theoretisch dürfen Kin-der und Jugendliche mit Spielautomaten eigent-lich gar nicht in Berührung kommen. Es ist aberin der Tat so, dass das Aufstellen von Spielauto-maten in Restaurants nicht genau kontrolliertwird. Aus medizinischer Sicht wäre es sehrsinnvoll, wenn man dort die Hürde wesentlichhöher legen und den Zugang von Kindern undJugendlichen zu Geldspielautomaten rechtlichdeutlicher einschränken würde, als es jetzt derFall ist. Des Weiteren – hier kann ich aber eben-falls weder mit Studien noch mit validen Datendienen – verdichtet sich schon der Eindruck, dassinnerhalb der Gruppe der Jugendlichen und jun-gen Erwachsenen sicherlich Menschen mit so-zialer Benachteiligung und mit Migrations-hintergrund verstärkt gefährdet zu sein scheinen.Das möchte ich auch unterstreichen.

Abg. Dr. Carola Reimann (SPD): Ich habe eineFrage zum Stand der Suchtforschung. Welchegroßen Studien wurden in den letzten Jahrendurchgeführt? Wie beurteilen Sie die Aussage imvorliegenden Antrag, dass es einer epidemio-logischen Studie bedarf? Die Forschungsinstitutesind teilweise nicht anwesend, vielleicht kanndiese Frage dennoch vom Fachbeirat Glücks-spielsucht beantwortet werden?

SV Prof. Dr. Jobst Böning (Fachbeirat Glücks-spielsucht): Die Frage interessiert uns auch sehr.Wir haben hierzu gerade erst eine Umfragedurchgeführt. In fast allen Bundesländern gibt esForschungsbereiche sowohl in Bezug auf diesozialwissenschaftlichen Grundlagen, dieätiologischen Ursachen, die Risikofaktoren, dieGenetik als auch hinsichtlich der Evaluation vonTherapieprogrammen. Es ist hier etwas Enormesin Gang gekommen. Wir haben als von derMinisterpräsidentenkonferenz berufener unab-hängiger Fachbeirat den Auftrag, Anregungenfür verschiedene Forschungsrichtungen zu ge-ben. Uns lagen bis 2007 keinerlei epidemiologi-

sche Daten vor. Dann kam die erste Studie ausMünchen, die zweite Studie aus Bremen sowieeine Ergänzungsstudie von der BZgA, und esentstand die Frage nach einer gründlichenepidemiologischen Studie. Denn als Politikerwürde ich nicht entscheiden wollen, wenn ichnicht wüsste, wie groß das Problem ist. Da-raufhin haben wir im Fachbeirat ein Designentworfen, doch leider war die Finanzierungnicht zu erreichen. Die bisherigen Studien sindzwar sicher gut gemacht, aber in der Methodikbegrenzt. Es sind jetzt Mittel bewilligt wordenüber einen Rahmen von 1 Mio. Euro für eine Stu-die, die aber nicht mehr den hohen qualitativenAnsprüchen einer umfassenden epidemiologi-schen Studie gerecht werden kann, an der sichalle Bundesländer beteiligen. Das ist immerhinschon ein Fortschritt. Abgesehen davon gibt esauch einzelne Standorte, wo Arbeitsgruppennicht nur universitär tätig sind. Hier läuft in allenBereichen eine Forschungsszene an. Das ist einErfolg des Glücksspielstaatsvertrages, der dieseForschung unter Druck gesetzt hat. Wir habenaber noch längst nicht das Niveau vonVergleichsländern.

Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Meine Fragerichte ich an die Deutsche RentenversicherungBund. Mich interessiert, wie Sie die Mög-lichkeiten der ambulanten und stationären An-gebote der Rehabilitation im Bereich des pa-thologischen Glücksspiels beurteilen, und zwarsowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene.Können Sie bitte auch etwas zu der Zahl derAnträge zur Rehabilitation bei Glücksspielsuchtsagen?

SV Dr. Christian Korsukéwitz (Deutsche Ren-tenversicherung Bund (DRV)): Die Rehabilita-tion kommt erst ganz am Ende der Sucht-entwicklung zum Zuge. Insofern möchte ichnoch einmal betonen, dass die Rentenversiche-rung ein großes Interesse daran hat, dass diePrävention, und zwar auch auf der Verhält-nisebene, d. h. in Bezug auf die Umstände desZugangs, wie es hier vielfach schon ange-sprochen wurde, gestützt wird. Wir habenverhältnismäßig wenige Anträge und Bewil-ligungen aus dem Kreis der Abhängigkeits-erkrankten, die mit dem Befund einer Glücks-spielsucht als erster Diagnose in die Reha-bilitation gehen. Wir haben auch keine ein-deutigen Zahlen dazu, wie groß das Problem der

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Begleiterkrankung, d. h. der Komorbidität, beiden Rehabilitanden ist, die wegen andererSuchterkrankungen oder psychosomatischer Er-krankungen eine solche Maßnahme in Anspruchnehmen. Wir haben fast ausschließlich männli-che Rehabilitanden. Die Männer, die diese ausGründen der Glücksspielsucht in Anspruch neh-men, sind deutlich jünger als die wenigenFrauen. Es ist schon erwähnt worden, dass imMärz 2001 die Empfehlung der Spitzenverbändeder Krankenkassen und der Rentenversiche-rungsträger verabschiedet worden ist. Es kannfestgestellt werden, dass diese Vereinbarungzielführend ist und funktioniert. Aus diesemGrunde sieht die Rentenversicherung im Mo-ment keinen Handlungsbedarf an dieser Stelle.

Abg. Peter Friedrich (SPD): Meine Frage richteich an Herrn Prof. Böning vom FachbeiratGlücksspielsucht und Herrn Prof. Meyer vomInstitut für Psychologie und Kognitionsfor-schung. Mich interessiert, worin der Suchtfaktorder Automaten besteht. Wir haben eine Verord-nung, in der relativ detailgenau geregelt ist, wiedas Spiel ablaufen soll. Es gibt auch Diskussio-nen, was ihre Umsetzung anbetrifft. Wenn aberein so hoher Anteil an Betroffenen in die Bera-tungsstellen kommt, die über das Automaten-spiel in die Spielsucht hineingeraten, danninteressiert mich schon sehr, worin denn die hoheAttraktivität dieser Automaten begründet ist.Liegt es an den Anreizen, an der Ausgestaltungdes Spiels und an der Umsetzung der Glücks-spielverordnung? Wird die jetzige Verordnungdem Grundgedanken der Prävention, der immerwieder betont wird, gerecht? Was ist die Ursachedafür, dass dieses Spiel so stark suchtauslösendwirken kann?

SV Prof. Dr. Gerhard Meyer (Institut für Psy-chologie und Kognitionsforschung (IPK)): DasEntscheidende ist, dass sich die Geldspiel-automaten inzwischen zu Glücksspielautomatenentwickelt haben. Es stehen Vermögenswerte aufdem Spiel. In der Spielverordnung heißt es, dassman mit einem Einsatz von höchstens 20 Centmax. zwei Euro gewinnen darf. Tatsächlich ist esaber so, dass man mit einem Einsatz von zweiEuro 600.000 Punkte gewinnen kann, und600.000 Punkte sind gleichbedeutend mit einemGegenwert von 6.000 Euro. Das heißt, hier hateine Entwicklung stattgefunden, die die Spiel-verordnung mit ihren Vorgaben ausgehebelt hat

und sehr viel höhere Einsätze, Gewinne undVerluste ermöglicht. Das Spiel hat dement-sprechend eine starke psychische Wirkung.Gewinne von beispielsweise 1.000 Euro werdenvom Spieler als stimulierend erlebt. Der Gewinnlöst Glücks- und Euphoriegefühle aus, dieFantasie wird angeregt. Auch ein Flucht-verhalten aus der Realität wird über derartigeGewinne mit Vermögenswert gefördert. Gleich-zeitig sind über diese hohen Gewinne bestimmteCharakteristika eines Suchtverhaltens beiSpielern realisierbar, wie das so genannteChasing-Verhalten, d. h., die Spieler jagen ihrenVerlusten hinterher. Ein Spieler, der 800 Euroverloren hat, kann die Hoffnung haben, imnächsten Spiel mit einem Gewinn aus der Ver-lustzone herauszukommen. Im Vorfeld dieserAnhörung haben wir einen Testspieler losge-schickt, um zu sehen, wie viel Geld mantatsächlich in einer Spielhalle verlieren kann.Darüber gibt es heute übrigens einen Bericht inder Süddeutschen Zeitung. Fakt ist, dass unserTestspieler in einer Spielhalle in 5 Stunden und37 Minuten 1.450 Euro verloren hat. Der Betragentspricht dem durchschnittlichen Nettolohn ei-nes Arbeitnehmers in Deutschland. Das heißt,hier stehen auch hinsichtlich der Verlust-möglichkeiten Vermögenswerte auf dem Spiel.Das führt dazu, dass die Spieler letztendlichihren Verlusten hinterherjagen. Unser Test-spieler hatte die theoretische Möglichkeit,24.000 Euro zu gewinnen. Er hat u. a. an zweiGeräten gespielt, an denen er erst einmal Geld inPunkte umgewandelt hat. Nach einem drei-stündigen Umwandlungsprozess hat er an demersten Gerät in acht Minuten 240 Euro verloren.Er hat an zwei Geräten gleichzeitig gespielt,d. h., er verlor 480 Euro. Das bedeutet, hierwurde eine Größenordnung erreicht, die diesesursprünglich als harmloses Unterhaltungsspielgeplante Spiel als knallhartes Glücksspieldarstellt.

SV Prof. Dr. Jobst Böning (Fachbeirat Glücks-spielsucht): Das Entscheidendste hat mein Kol-lege, Prof. Meyer, noch gar nicht gesagt. Denndurch die neu überarbeitete Spielverordnung istalles noch dramatischer geworden. Die Mindest-spieldauer ist von zwölf auf fünf Sekundenzurückgedreht worden. Durch die Punktum-wandlung des Geldeinsatzes dauert ein Spielaber eigentlich nur noch 2,5 Sekunden. DieProblematik lässt sich auch daran ermessen, dasssich in den letzten drei Jahren die Auslastung der

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Spielgeräte verdoppelt hat und dass die Ent-wicklung der Dichte der Spielgeräte erheblichzugenommen hat. In den Jahren 2000 und 2004waren es noch knapp über 700 Bürger je Gerät.Nach Inkrafttreten der neuen Spielverordnung imJahr 2006 stieg die Gerätedichte dagegenkontinuierlich auf 571 Bürger je Spielgerät an,also auf 571 Bürger vom Säugling bis zum Greis.Das ist eine unglaubliche Dichte. Es ist klar, dassdie Anzahl der aufgestellten Geräte in höchstemMaße korreliert – mit Rangkorrelationen von0,89 bis 0,9, von denen jeder Wissenschaftler nurträumen kann, – mit der Quote der patho-logischen Spieler und Problemspieler. Es ist einealte suchtpolitische Binsenwahrheit, die wir vomAlkohol, vom Tabak und von anderen Produktenkennen, dass die Dichte bzw. die Menge derGeldspielgeräte unabhängig von ihrem hohenGefährdungspotenzial die Spielerquote in dieHöhe treibt.

Abg. Dr. Margrit Spielmann (SPD): Herr Prof.Böning, Sie sagten vorhin, dass die Forschungs-szene anläuft. Mein Wunsch, der in dem Antragnicht zum Ausdruck kommt, wäre, dass dieProblematik, die hier heute besprochen wird, zueiner Angelegenheit z. B. von Pädagogen wird.Ich halte die Schule, die Eltern, die Erziehungund Bildung insgesamt für ein weites Feld, dasauch einer Aufklärung bedarf. Die Lehrer könn-ten hinsichtlich der Aufdeckung, der Charak-teristik oder des Verhaltens zu unseren Partnernwerden. Ich fand bisher niemanden, der sich mitdieser Problematik auseinandergesetzt hat. Ichdenke, auch die Einbeziehung in die Lehrinhaltevon Lehrern gehört dazu. Ich habe mir daseinmal angesehen. Dort wird nur zwei oder dreiStunden lang über Suchtverhalten gesprochen.Ich halte es für unerlässlich, dass man so etwasauch vorantreiben sollte. Sie hatten in Ihremletzten Satz darüber gesprochen, und ich denke,wir liegen dort auf einer Linie. Ich halte es füräußerst wichtig, dass wir die Pädagogen sowiedie Elternhäuser mit in diese Problematikeinbeziehen und die Lehrer sensibilisieren undsie mit entsprechenden Lehrstoffen ausstatten,damit sie zu Partnern im Kampf gegen dieSpielsucht werden. Das KompetenzzentrumVerhaltenssucht möchte ich noch fragen, welcheMaßnahmen es für wirksam hält, um Menschenvor den negativen Folgen der Glücksspielsuchtzu bewahren.

SVe Anke Quack (Kompetenzzentrum Verhal-tenssucht): Welche Maßnahmen halten wir fürbesonders wirksam? Wir sehen in den Regelun-gen des Glücksspielstaatsvertrages die in sichgeschlossenen Sozialkonzepte und Spieler-schutzmaßnahmen, die sichtbar greifen. Wirschauen ebenfalls auf unsere eigene Hotline undmerken, dass immer mehr Betroffene durch dieMitarbeiter der Glücksspielanbieter zu uns oderins Hilfesystem finden. Wir begrüßen es sehr,wenn Mitarbeiter geschult werden, damit sieBetroffene konkret ansprechen, identifizierenund ins Hilfesystem hineinbringen können. DasAuslegen von Informationsmaterialien wird vonuns ebenso befürwortet wie das Angebot vonSelbsttests. Natürlich müsste auch die für Spiel-banken geltende Einlasskontrolle dringend aufSpielhallen ausgedehnt werden, damit der Kin-der- und Jugendschutz dort genauso gewährleis-tet wird.

SV Prof. Dr. Jobst Böning (Fachbeirat Glücks-spielsucht): Das sind Aufgaben im Sinne einesgesellschaftspolitischen Auftrags. Das gilt aberauch für die richtige und gesunde Ernährung, fürBewegung und für intellektuelle Bildung allge-mein. Da muss man allerdings schon fragen,wofür die Schule alles sorgen soll. Was dieElternkompetenz angeht, ist festzustellen, dassdie Eltern bei dem Thema Medien oft überhauptnicht wissen, was ihre Kinder machen. Das istein riesengroßes Problem. Ich unterstütze Sie inim Tenor Ihrer Forderungen. Allerdings scheinenviele Pädagogen inzwischen eine gute Medien-kompetenz zu haben und das eine vom anderenunterscheiden zu können. Das Ganze wird aberdurch einen unheimlich aggressiven Markt derAngebote sowohl hinsichtlich der Medienspieleals auch der Geldspielgeräte konterkariert. Die-ser Wirtschaftszweig ist so stark und so lobby-haft vertreten – auch in bestimmten politischenGremien –, dass man kaum dagegen ankommt.Wir haben beim Tabak bzw. Nikotin 40 Jahregebraucht, um als Kulturstaat aus dieser Eckeherauszukommen. Bei den Geldspielgerätenverhält es sich fast genauso. Ich könnte Ihnendarüber Einzelheiten berichten, die Sie sehrüberraschen würden. Aber so ist es nun einmal,und so läuft lobbygesteuerte Politik, aber derMensch auf der Straße versteht das nicht.

Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Meine ersteFrage geht an den Fachbeirat Glücksspielsucht

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und an die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen.Könnten Sie noch einmal darstellen, wie groß dieGefahr ist, dass ein ab und zu betriebenesGlücksspiel in Sucht umschlägt? Kann man diesnäher beziffern?

SV Prof. Dr. Jobst Böning (Fachbeirat Glücks-spielsucht): Da müssen Sie das Exposé vonHerrn Buehringer lesen, der Ihnen ein Modell derGlücksspielsucht und der Entwicklung vorgelegthat. Das hängt natürlich von Persönlich-keitseigenschaften, aber auch möglicherweise zu50 % von genetischen Einflüssen ab. Dazu ge-hören auch die Schutzfaktoren, die nicht vor-handen sind, sowie andere psychologische Ri-sikofaktoren. Dazu gehört auch ganz entschei-dend der soziale Aufforderungscharakter in derGesellschaft, die die Märkte für solche Geräteanbietet oder diese toleriert. Das Risiko kannman für den Einzelnen nicht beziffern, aber unterdem Strich wird es offenbar immer größer.

Der stellvertretende Vorsitzende, Abg. Dr. HansGeorg Faust (CDU/CSU), übernimmt den Aus-schussvorsitz.

SV Armin Koeppe (Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen e.V. (DHS)): Wie groß ist die Ge-fahr, vom gelegentlichen Spiel süchtig zu wer-den? Das kann ich auch nicht exakt beschreiben.Es gibt keine charakteristische Spielertypologie.Es gibt vielmehr Akademiker, sozial Schwache,Arbeitslose sowie Kinder und Jugendliche, diealle spielsüchtig werden können. Das heißt, eszieht sich durch alle sozialen Schichten. Von da-her kann ich keine genaue Auskunft geben.

Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Nun frageich die Deutsche Rentenversicherung, ob esheute bereits Methoden gibt, mit denen manGlücksspielsüchtige wieder zur Abstinenz füh-ren kann?

SVe Dr. Christiane Korsukéwitz (DeutscheRentenversicherung Bund (DRV)): Herr Bahr,wir haben uns bereits 1999 aus der Problematikheraus mit einer Studie engagiert und haben einpsycho-pathologisches Indikationsmodell entwi-ckelt, das mittlerweile in den zuständigen Reha-bilitationseinrichtungen umgesetzt und in Teilen

evaluiert wird. Dazu gibt es entsprechende Ver-öffentlichungen. Die Frage, ob wir aus unserenSozialversicherungsverläufen heraus im Einzel-fall tatsächlich große Erfolge nachweisenkönnen, kann ich Ihnen nicht beantworten. Aberwir haben aufbauend auf diesen Grundlagen, diepsychotherapeutisch begründet sind, gute Er-gebnisse in Bezug auf die Rehabilitation.

Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Meinenächste Frage stelle ich an das Kompetenzzent-rum Verhaltenssucht. Wie kann die Eigen-verantwortung der Menschen im Hinblick aufeinen verantwortungsbewussten Umgang mitdem Thema Glücksspielsucht aus Sicht desKompetenzzentrums gestärkt werden?

SVe Anke Quack (Kompetenzzentrum Verhal-tenssucht): Die Eigenverantwortung beginnt mitder Aufklärung. Bei Verhaltenssüchten, denkeich, tut eine breite Bevölkerungsaufklärung Not,denn vielen Menschen ist nicht bewusst, dassman beim Glücksspiel oder bei Computerspielenan einer Sucht erkranken kann. Es geht daherauch um eine frühe Aufklärung in den Schulen.Vorhin wurde schon diskutiert, die Aufklärungin den Lehrplan aufzunehmen und die Menschenzu einem verantwortungsvollen Umgang mitdem Glücksspiel zu befähigen, indem ihnen ver-mittelt wird, was es für Gefahren beinhaltenkann.

Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Jetzt frageich die Deutsche Spielbanken Interessen- undArbeitsgemeinschaft, ob es zutrifft, dass Spielerin Spielbanken die Möglichkeit haben, perKreditkarte oder Kundenkarte Bargeld zumSpielen zu erhalten?

SV Thomas Freiherr von Stenglin (DeutscheSpielbanken Interessen- und Arbeitsgemein-schaft (DeSIA)): Es gibt die Möglichkeit, sichvor den Spielbanken an den Kassen per Euro-scheck- oder Geldkarte Geld zu besorgen, nichtjedoch in den Spielbanken bzw. auf denSpielflächen.

Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Ich habenoch eine Frage an die DeSIA. Welche Maßnah-men ergreifen Sie, damit an den Spielen der

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Spielbanken keine alkoholisierten Gäste teilneh-men, die die Konsequenzen des Spielens bzw.ihres Handelns möglicherweise nicht mehrüberblicken können? Haben Sie Kontrollen oderMechanismen, um dies zu verhindern?

SV Thomas Freiherr von Stenglin (DeutscheSpielbanken Interessen- und Arbeitsgemein-schaft (DeSIA)): Wie Sie wissen, unterliegen wirseit 1. Januar 2008 dem Glücksspielstaatsvertrag.Aber auch schon vorher haben wir im Rahmeneiner Selbstverpflichtung – da spreche ich füralle Spielbanken – alle unsere Mitarbeiter geradeauf dieses Phänomen hingewiesen und angewie-sen, diejenigen Spieler, die sichtbar alkoholisiertsind, vom Spiel fernzuhalten und sie gegebenen-falls zu sperren.

Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Auchmeine nächste Frage richtet sich an die DeSIA.Ich habe gelesen, dass Sie die Konkurrenz unddie Gefährlichkeit des gewerblichen Automaten-spiels sehen. Es ist mir jedoch ebenso bekannt,dass es in Spielbanken keine Beschränkung beiEinsätzen, Gewinnen oder Jackpots gibt. Wiepasst das zusammen?

SV Thomas Freiherr von Stenglin (DeutscheSpielbanken Interessen- und Arbeitsgemein-schaft (DeSIA)): Wie Sie wissen, unterliegen wirsehr strengen Kontrollen. Diese lassen sich daranfestmachen, dass wir die Finanzbehörden täglichin unserem Hause haben, die das Spielgeschehenbeobachten. Sie sprechen die hohen Gewinn-und Verlustmöglichkeiten an, aber das macht jagerade das Glücksspiel aus. Denn gerade weil esbeide Möglichkeiten zulässt, ist es starkreglementiert durch die Aufsichten sowie durchunsere eigenen Vorgaben, damit, wenn es zuAuffälligkeiten kommt und es ein problemati-sches Spielverhalten gibt, diese Gäste aus demVerkehr gezogen werden.

Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Meinenächste Frage geht an den Bundesverband Auto-matenunternehmer. Können Sie kurz erläutern,welche Folgen eine Ausweitung der Zugangs-kontrollen auf das gewerbliche Spiel in Bezugauf die Erhebung von Daten haben würde?

SV Wolfgang Voß (Bundesverband Auto-matenunternehmer e. V. (BA)): Generell habenwir nichts dagegen, Zugangskontrollen ein-zuführen. Fachleute sagen uns allerdings, dass esbei der Vielzahl der Objekte, die wir betreiben,unmöglich ist, so etwas durchzuführen. Esbestehen diesbezüglich erhebliche verfassungs-rechtliche Bedenken. Wir sehen Zugangskon-trollen nicht als sinnvoll an und möchten dieseauch nicht haben; denn es würde eine Vielzahlvon Daten gesammelt, und das so genanntePlayer-Tracking, also die Ausnutzung dieserDaten zur gezielten Ansprache von Kunden,wäre damit möglich. Man muss entscheiden, obman das eine oder das andere möchte. Wir sehenerhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, dieauch in Gutachten zum Ausdruck kommen, undnehmen daher eher Abstand von Zugangskon-trollen.

Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Die nächsteFrage richte ich an den Verband der DeutschenAutomatenindustrie und an den BundesverbandAutomatenunternehmer. Welche Maßnahmenhat Ihr jeweiliger Verband bisher getroffen, umden Spielerschutz bzw. Jugendschutz sicherzu-stellen, und wie gewährleisten Sie dessen Ein-haltung?

SV Uwe Christiansen (Verband der DeutschenAutomatenindustrie e. V. (VDAI)): Die Aufstel-lung gewerblicher Geldspielgeräte ist in zahlrei-chen Vorschriften im Detail geregelt, u. a. in derGewerbeordnung, der Spielverordnung, denSpielverwaltungsvorschriften, dem Jugend-schutzgesetz und der Baunutzungsverordnung.Die Einsätze und die Höchstgewinne, der maxi-male Verlust in einer einzelnen Stunde– 80 Euro – und der maximale durchschnittlicheStundenverlust – 33 Euro – sind exakt vorge-schrieben. Tatsächlich liegen wir aber um 15Euro und teilweise sogar noch darunter. Dermaximale Geldgewinn pro Stunde abzüglich derEinsätze darf 500 Euro betragen, und das Spieldarf nur mit Euro-Bargeld erfolgen. Es gibtaußerdem das Verbot von Jackpot-Auslobungen,auch zu rein werblichen Zwecken. Nach einerStunde muss das Geldspielgerät eine fünf-minütige Spielpause einlegen – zum so ge-nannten Abkühlen. Bereits seit 1989 haben wirfreiwillig einen Warnhinweis auf jedemGeldspielgerät, also 200-tausendfach in derBundesrepublik, der darüber informiert, dass

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übermäßiges Spielen keine persönlichen Prob-leme löst. Dort ist auch die Telefonnummer derBZgA angegeben. Die Spieler haben die Mög-lichkeit, 200-tausendmal zu erfahren, wo sieanrufen können. Außerdem verbreiten wirInfomaterial und Plakate in Spielstätten, die aufdie Risiken übermäßigen Spielens hinweisen.Das Spielangebot selbst ist begrenzt. Erlaubtsind in Spielstätten maximal zwölf Geräte auf144 m², jeweils in einer Zweier-Aufstellung unddurch Sichtblenden voneinander getrennt. InGaststätten sind drei Geräte zulässig. Alkohol istin Spielstätten seit 1985 streng verboten. DieEinhaltung der jugendschutzrechtlichen Bestim-mungen – kein Geldspielgerät unter 18 Jahren –wird durch Aufsichtspersonal und diverse Kont-rollen der örtlichen Behörden streng überwachtund ist auch bestätigt worden. Das Personal inSpielstätten wird regelmäßig geschult, auch undgerade im Umgang mit problematischen Spie-lern. Seit September 2008 gibt es ein eigen-ständiges Berufsbild. Zu diesen Ausbildungs-berufen gehört auch die Schulung, wie man mitproblematischem Spielverhalten umgeht.

SV Wolfgang Voß (Bundesverband Automa-tenunternehmer e. V. (BA)): Ich habe nichts zuergänzen.

Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Ich habenoch eine kurze Frage an die Deutsche Spiel-banken Interessen- und Arbeitsgemeinschaftsowie an den Bundesverband Automatenunter-nehmer zu dem Wechselspiel zwischen Spiel-banken und Spielhallenbetreibern. Wo sehen SieÜberschneidungen und die Gefahr, dass man ingemeinsamen Bereichen wildert?

SV Thomas Freiherr von Stenglin (DeutscheSpielbanken Interessen- und Arbeitsgemein-schaft (DeSIA)): Ich weise noch einmal auf denGlücksspielstaatsvertrag hin. Das ist einegesetzliche Rahmenbedingung, an die wir unsebenso halten müssen, wie an die Spielbankge-setze in den verschiedenen Ländern. Es findetdort eigentlich kein Wildern statt, sondern es isteinfach so, dass die Gäste, die möglicherweiseaufgrund ihres problematischen Spielverhaltensgesperrt sind, sich dann eine Alternative suchen.Das ist, glaube ich, landläufig bekannt. DieSpielhallen unterliegen, wie wir gerade gehörthaben, keiner Identitätskontrolle. Insofern konn-

ten wir durch eigene Inaugenscheinnahmefeststellen, dass unsere ehemaligen und nunmehrgesperrten Gäste in Richtung Spielhallen ab-wandern. Das tun nicht alle, aber einige.

SV Uwe Christiansen (Verband der DeutschenAutomatenindustrie e. V. (VDAI)): Die Unter-haltungsautomatenwirtschaft arbeitet schon seit1952 mit münzbetätigten Geldspielgeräten aufgesicherter gewerberechtlicher Grundlage.Glücksspielautomaten in Spielbanken, diesogenannte Slot-Machines, wurden in Deut-schland nach Angaben der Spielbanken insignifikanter Zahl erst ab Mitte der 70er Jahrevereinzelt in Automatensälen der Spielbankenaufgestellt. Verstärkt erfolgte die Aufstellung abAnfang der 80er Jahre, und ein Boom setzte inden 90er Jahren ein. Dies wird bei der Behaup-tung des vermeintlichen Wilderns der Unterhal-tungsautomatenwirtschaft in angestammten Fel-dern von den Spielbanken schlichtweg nichterwähnt. Geldspielgeräte und Slot-Machinessehen äußerlich ähnlich aus. Im Hinblick auf dieSpiele und Spielabläufe sind sie aber völligunterschiedlich. Bei Geldspielgeräten steht dieUnterhaltung im Vordergrund und nicht dieGewinnmöglichkeit. Wir sagen, dass es unter-schiedliche Kundenkreise beim gewerblichenSpiel und beim Spiel in Spielbanken gibt unddass diese zu berücksichtigen sind. Wer denrichtigen Kick haben will, wird wegen der hohenGewinnmöglichkeit in die Spielbank gehen.

Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Ichhabe drei Fragen an die Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen, Herrn Koeppe, an den FachverbandGlücksspielsucht, Frau Füchtenschnieder, und anHerrn Dr. Tolzin. Lotto wird vorrangig vonsozial schwächeren, weniger gebildeten undärmeren Bevölkerungsteilen gespielt. Verhältsich das bei anderen Glücksspielarten ähnlich?Gibt es einen Zusammenhang zwischen Arbeits-losigkeit und Glücksspielsucht? Wenn solcheInformationen nicht vorliegen sollten, wäre esdann nicht sinnvoll, besonders die sozialen De-terminanten der Glücksspielsucht zu untersu-chen?

SV Armin Koeppe (Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen e.V. (DHS)): Sie sagen, Lotto spie-len überwiegend sozial Schwächere. Es ist aberso, dass auch andere Glücksspiele durch die

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Reihe weg von allen Bevölkerungsschichten ge-spielt werden. Genauere Aussagen darübererhoffen wir uns von einer epidemiologischenStudie, mit der die Situation noch einmalkonkreter erfasst werden könnte. Zur Frage einesZusammenhangs zwischen Arbeitslosigkeit undGlücksspielsucht kann ich wiederum auf Er-gebnisse aus dem Modellprojekt zurückgreifen,die besagen, dass nur 44 % der Spielererwerbstätig sind und ein Fünftel aller Spielerarbeitslos ist. Daher kann man schon sagen, dassz. B. die überall zugänglichen Automatenhalleneinen Anreiz für die Annahme bieten, dass manim Bereich der Arbeitslosigkeit doch zumschnellen Geld kommen kann, weil der Ein-stiegsbetrag mit zwei Euro doch relativ klein ist.

SVe Ilona Füchtenschnieder (FachverbandGlücksspielsucht (fags) e.V.): Es ist schon zubeobachten, dass Glücksspiele, die von Anfangan einen höheren Einsatz haben, eher von Men-schen frequentiert werden, die mehr Geld haben.In Spielbanken treffen Sie ein etwas anderesKlientel, zumindest im großen Spiel. Im kleinenSpiel nähert sich das an. Was die Arbeitslosigkeitangeht, sind die Ergebnisse sehr unterschiedlich.In den strukturschwachen Gebieten finden Sie inden Beratungsstellen einen hohen Anteil an Ar-beitslosen, in anderen Gebieten eher nicht. Es istallerdings auch so, dass Menschen, die die Bera-tung aufsuchen, etwas zu verlieren haben undvon daher auch schon viel eher motiviert sind,etwas gegen ihre Sucht zu unternehmen. Si-cherlich ist es so – das kann man bei den meistenErkrankungen beobachten –, dass sozialSchwächere tendenziell eher gefährdet sind.

SV Dr. Christoph J. Tolzin: Insgesamt lässtsich feststellen, dass es keine valide Datenlage zudiesen Fragen gibt. Es gibt einige Anhaltspunkteund Thesen, die sich daraus ableiten lassen. Ichselbst bin als Psychiater und Psychotherapeutbeim MDK tätig und dort lässt sich für diejüngeren Erwachsenen feststellen, dass nach denwenigen Fällen zu urteilen, die in den letztenJahren zur Begutachtung vorgelegen haben, estatsächlich so zu sein scheint, dass die sozialBenachteiligten und auch jüngere Erwachsenemit Migrationshintergrund ein höheres Gefähr-dungspotential aufweisen. Bei der manifestenpathologischen Spielsucht ist das Bild sicherlichsehr unterschiedlich. Denn dort gibt es eineReihe von Persönlichkeitsmerkmalen und Ent-

wicklungssprüngen, die nicht immer mit dersozialen Herkunftsschicht korrelieren. Was IhreFrage nach dem Zusammenhang zwischen Ar-beitslosigkeit und pathologischem Glücksspiel-verhalten anbelangt, ist es – meine Vorrednerinhat dies schon dargestellt – nach den vorlie-genden Einzelaussagen oder kleineren Stich-proben und auch nach der Datenlage beim MDKso, dass es in der Tat eine sehr inhomogeneVerteilung gibt. Es scheint aber so zu sein, dassdas niedrigschwellige Angebot der Glücksspiel-automaten, nicht das der Kasinos, für Menschen,die sich in sozial prekärer Situation befinden,eine hohe Anziehungskraft hat.

Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Meinenächste Frage geht an den Fachverband fürGlücksspielsucht, Frau Füchtenschnieder undHerrn Prof. Böning. Wie beurteilen Sie geradevor dem Hintergrund der Suchtgefahren dieserSpiele, die seit langem bekannt sind, die Tätig-keit der Bundesregierung in Bezug auf die Geld-spielautomaten.

SVe Ilona Füchtenschnieder (FachverbandGlücksspielsucht (fags) e.V.): Das ist ein heiklesThema. Leider ist für die Regulierung diesesBereichs das Wirtschaftsministerium zuständig,und dort ist man traditionell wirtschaftsfreund-lich. Der Suchtaspekt kommt nicht vor. Es be-steht auch eine wirklich sehr enge Verbindung zuden Mitarbeitern der Anbieterseite – auch vonSeiten der Physikalisch-Technischen Bundes-anstalt. Das ist ein ganz schwieriger Bereich. Ichselbst bin seit 22 Jahren auf diesem Gebiet tätig,und wir plädieren seither dafür, dass dieZuständigkeit vom Wirtschaftsministerium aufdas Gesundheitsministerium und das Innen-ministerium übergehen soll, denn Glücksspielesind kein normales Wirtschaftsgut. Es gehen sohohe soziale Schäden davon aus, dass man diesesGut nicht vermarkten kann, wie z. B. Fahr-kartenautomaten oder Freizeitaktivitäten. Manmuss hier viel stärker regulierend eingreifen undwirklich überlegen, ob die vorhandene Regelungnoch zeitgemäß ist. Als ich angefangen habe,war Frau Süssmuth gerade Familienministerin.Sie hat damals auf die Frage, wie es eigentlichkommt, dass sich außerhalb des staatlichenGlücksspielmonopols ein solcher gewerblicherMarkt etabliert hat, geantwortet, dass dies einepolitische Entscheidung gewesen sei, die auf derwirksamen Lobbyarbeit dieser Branche beruhe,

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und so ist die Situation nach wie vor. DieSpielverordnungen ist trotz der Warnungen allerunabhängigen Suchtexperten, also derjenigen,die nicht mit der Branche zusammenarbeiten,leider so ausgestaltet worden, wie sie jetzt ist.

SV Prof. Dr. Jobst Böning (Fachbeirat Glücks-spielsucht): Im Gesetz, im Glücksspielstaatsver-trag bzw. in den Ausführungsbestimmungensteht, dass dieses Feld nicht nur hinsichtlich derjuristischen, sondern auch der gesellschaftlichenKohärenz mit geregelt werden muss. Wir könnenes gar nicht außen vor lassen. Es ist mit gefragtund muss geregelt werden. Der Fachbeirat hat ineiner der ersten Sitzungen gesagt, es musszumindest zu einer Rückführung auf die alteSpielverordnung und zu einer Entschärfung derjetzigen kommen, die das Suchtpotenzial ein-deutig erhöht hat, zumal die Regelung inhaltlichsogar noch unterlaufen worden ist. Es ist eineReihe von gesicherten manipulativen Inhaltenhineingekommen, die selbst die PTB nichtkontrollieren kann. Dies ist ein abenteuerlicherMarkt. Es gab auch schon Strafanzeigen, abersolange nichts bewiesen ist, wird nicht geurteilt.Es wäre zudem rechtlich möglich – das könnteHerr Dietlein als Jurist noch besser sagen –, dassman auf eine einheitliche Regelung, wie diesesSegment der Geldspielautomaten zu handhabenist, verzichtet. Es müsste aber eine individuelleRegelungsstruktur geben, die effizient undwirksam wäre. Unabhängig davon, wie man hiervorgeht, ob man es also ganz abschafft – was fürmich kaum vorstellbar ist –, ob man so etwas wieB-Kasinos etabliert – was auch zu Problemenführt – oder ob man darauf zurückkommt, ausden heutigen Glücksspielgeräten mit hohemSuchtpotential wieder Geldspielgeräte zu ma-chen, hat man im Wirtschaftsministerium keinePartner. Ich erlebe dies auch im Drogen- undSuchtrat. Das Wirtschaftsministerium hat sichaus allen Fragen herausgehalten, obwohl es umAlkohol und Nikotin geht. Jetzt sind sie aufeinmal da und sind mit dabei, alle strategischwichtigen Vorhaben zu blockieren. Das ist derSpannungsbogen: Gesundheitspolitik, Eigenver-antwortung und soziale Verantwortung einerseitsund rein marktwirtschaftlich ausgerichtete, ge-winnorientierte Wirtschaftspolitik andererseits.Diese zwei Dinge vertragen sich nicht, und diebetroffenen Kranken hängen in der Mitte.

Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Dannwürde ich gern das Kompetenzzentrum Verhal-tenssucht, Frau Quack, fragen. Würden Siesagen, dass die Ursachen der Glücksspielsuchteher gesondert zu betrachten sind, oder würdenSie sie in eine Reihe mit den anderen Süchtenstellen, also den stoffungebundenen oder stoff-gebundenen Süchten?

SV Kai W. Müller (Kompetenzzentrum Ver-haltenssucht): Das ist eine gute Frage. Wir sehenanhand von verschiedenen Forschungsdaten und-ergebnissen, dass die Glücksspielsucht oder daspathologische Glücksspiel durchaus mit denstoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungenvergleichbar ist, auch was Risikofaktoren undpersönliche Vulnerabilitäten usw. anbetrifft.Dort gibt es für uns durchaus Parallelen.

Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): HerrMüller, welche Rolle spielen Bewältigungs-strategien und Stressbewältigung bei Süchtenallgemein und bei Glücksspielsucht im Spe-ziellen?

SV Kai W. Müller (KompetenzzentrumVerhaltenssucht): Stress und Stressbewältigungsind in der Psychologie und in der klinischenPsychologie immer sehr wichtige Faktoren.Menschen unterscheiden sich darin, wiestressreagibel und stressvulnerabel sie sind, alsodarin, wie heftig und wie schnell sie aufphysiologischer und psychischer Ebene aufStresssituationen reagieren. Man weiß, dass Per-sonen, die eine sehr geringe Stressreagibilitäts-schwelle haben, die sich leicht in Stress-situationen wiederfinden und auch sehr heftigdarauf reagieren, ein erhöhtes Risiko fürverschiedene psychische Erkrankungen und da-mit auch für Abhängigkeitserkrankungen haben.Da diese Parallelen zwischen pathologischemGlücksspiel und Abhängigkeitserkrankungenstoffgebundener Art so groß sind, ist anzuneh-men, dass das Gleiche auch für das pathologischeGlücksspiel gilt.

Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Meine erste Frage geht an denEinzelsachverständigen Prof. Dr. Adams. Wel-che Maßnahmen sind Ihrer Meinung nachnotwendig, um das große Suchtpotential von

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Geldspielgeräten abzumildern? Wir haben ge-rade gehört, dass es eigentlich Glücksspielgerätesind. Gibt es Gründe, warum der Gesetzgeber imBund bisher untätig geblieben ist?

SV Prof. Dr. Michael Adams: Ich glaube, vielehier im Raum sind sich einig. Wir haben es beiden Geldspielgeräten mit echten Glücks-spielgeräten zu tun. Dort gibt es den Weg, dendie Schweiz gegangen ist. Man könnte sie voll-ständig verbieten. Das wäre eine Möglichkeit, sieist aber unrealistisch; die Branche, Sie haben dieZahlen vor sich liegen, macht immerhin einenUmsatz von 7,7 Mrd. Euro. Davon bleiben inderen Kassen 3,2 Mrd. Euro. Sie hat damitzugleich 130.000 Süchtige „betreut“, denn 56 %ihrer Einnahmen stammen von Suchtkranken.Damit ist im Grunde klar, was man unternehmenkann. Entweder man hört damit auf oder aberman nimmt genau die Parameter, durch die esmit der letzten Verordnung des Wirtschafts-ministeriums zur Verschärfung der Verhältnissegekommen ist, aus diesen Maschinen heraus.Das heißt, man müsste sie wieder zu dem zumachen, was sie vorgeben zu sein, nämlich zuharmlosen Freizeitgeräten. Nach dem, was dieWissenschaft eindeutig sagt, muss die Er-eignisfrequenz, also der Rhythmus, in dem neueSpiele beginnen können, von derzeit 2,5 Se-kunden wieder auf 60 Sekunden verlängertwerden. Damit haben Sie das Suchtpotential umDimensionen verringert. Weiterhin müsstesichergestellt werden, dass die Manipulationen,die an diesen Geräten möglich und in ver-schiedenen Strafverfahren thematisiert wordensind, aber nicht wirklich bewiesen wurden,aufhören. Das heißt, es geht um ein Entschärfendieser Geräte. Wir haben im Fachbeirat, der dieLänder berät, Parameter vorgegeben, die dieseMaschinen wieder harmlos machen würden. DieSituation ist erfreulicherweise nicht auf ein Ge-setz des Deutschen Bundestages, sondern nachmeiner Überzeugung auf einen Missbrauch sei-tens des Verordnungsgebers, des Wirtschaftsmi-nisteriums, zurückzuführen, das seit 2005 einen32%igen Anstieg der Umsätze der Geldspielge-räte ermöglicht hat. Wenn man sich vor Augenhält, dass die Hälfte der Spieler süchtig ist, wirdeinem das Geschäftsmodell schnell klar. Es gehtdarum, die Leute möglichst rasch süchtig zu ma-chen, denn von dort kommt die Hälfte des Ertra-ges. Diese Parameter sind sehr verschärft wor-den, und dies liegt in der Verantwortung des Ver-ordnungsgebers. Dies sollte der Deutsche Bun-

destag in ein Gesetz mit hineinschreiben, damitauf der Ebene des Ministeriums so etwas nichtmehr stattfinden kann.

Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Prof. Adams, Sie haben überdie Gewinnmöglichkeiten gesprochen. KönnenSie auch die gesellschaftlichen Folgekosten be-werten, die durch die Glücksspielsucht entste-hen, und können Sie abschätzen, wie hoch dervon den Geldspielgeräten verursachte Anteil ist?

SV Prof. Dr. Michael Adams: Das ist möglich.Der einfachste Weg ist der, dass man zunächstdie Kosten, die in den Kliniken entstehen und aufdie jeweiligen Träger zukommen, aufaddiert.Was sind die weiteren Kosten? Man darf nichtvergessen, dass Menschen, die süchtig werden,auch als Normalverdiener ausfallen. Das heißt,deren gesamte Einkommenssteuer und Sozial-beiträge werden nicht erzeugt, und stattdessenwerden Gelder der anderen Steuer- und Bei-tragszahler verbraucht. Schließlich sollte mannicht übersehen – und das ist am schwersten zumessen –, wie man das Leid dieser pathologi-schen Spieler beziffert. Wir haben in der Medizinz. B. verschiedene Methoden, mit denen die Le-benserwartung von Krebskranken bewertet wird.Wenn man das zusammennimmt, ergeben sichallein bei den Geldspielgeräten private Verlustedieser Gruppe von 1,8 Mrd. Euro. Der Verlust anLebensqualität dieser Menschen wird auf 3,3Mrd. Euro beziffert. Zusammen mit den externenKosten, den Kosten des Staates und der Trans-fersysteme, belaufen sich die Gesamtkosten auf7,6 Mrd. Euro. Stellt man diese dem Brutto-spielertrag von 3,2 Mrd. Euro gegenüber, siehtman, dass das Ganze ein Verlustgeschäft für unsalle darstellt. Der Gewinn wird dagegen nur indieser Branche verbucht. Deshalb ist zu wün-schen, dass das zurückgedreht wird und dassdiese Maschinen wieder entschärft werden, da-mit diese Kosten nicht mehr entstehen.

Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Meine nächste Frage geht an HerrnProf. Meyer und an das Kompetenzzentrum fürVerhaltenssucht. Die Verbände der Automa-tenindustrie behaupten immer wieder, dass derAnteil der Automatenspieler an den Spiel-süchtigen in Therapieeinrichtungen nur deshalbso hoch ist, weil ihre Maßnahmen zum

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Spielerschutz wirksam geworden sind. Wiebeurteilen Sie als Suchtforscher diese Aussageund die Wirksamkeit freiwilliger Maßnahmender Automatenindustrie, beispielsweise die ein-geprägten Warnhinweise an Automaten?

SV Prof. Dr. Gerhard Meyer (Institut fürPsychologie und Kognitionsforschung (IPK)):Es sind bisher in Deutschland keine Studien zurWirksamkeit derartiger Maßnahmen durchge-führt worden. Die Aussagen sind reine Spekula-tion oder beruhen auf Daten, die derartigeAussagen gar nicht zulassen. Das Institut fürWirtschaftsforschung in München hat in seinemjüngsten Jahresbericht zu den Unterhaltungs-automaten festgehalten, dass 69 % der Anrufer,die sich bei der BZgA über die Telefonhotlinemelden, die auf der Frontscheibe der Automatendargeboten wird, Probleme mit Geldspiel-automaten hatten. Daraus leitet das Institut fürWirtschaftsforschung ab, dass damit die Wirk-samkeit dieser Maßnahmen belegt worden sei.Ich weiß nicht, ob das Institut erwartet hat, dassdort in erster Linie Personen anrufen, dieProbleme in ihrer Ehe haben, und darüber hinausggf. noch ein paar Automatenspieler. Nachmeiner Einschätzung ist es eher verwunderlich,dass nur 69 % der Anrufer Probleme mit Geld-spielautomaten haben. Aus diesen Daten kannman derartige Aussagen nicht ableiten.

SVe Anke Quack (Kompetenzzentrum Ver-haltenssucht): Dem kann ich nur zustimmen undmöchte noch ergänzen, dass freiwillige Maß-nahmen natürlich immer zu begrüßen sind. Wirdenken aber auch, dass gesetzlich verankerteSozialkonzepte, die aufeinander abgestimmt sindund ineinandergreifende Spielerschutzmaßnah-men anbieten und darüber hinaus noch gewisseQualitätsstandards erfüllen, einfach noch eineStufe weitergehen. Nach unseren Erfahrungenmit solchen Maßnahmen ist zu sagen, dass diesezwar auch dokumentiert und evaluiert werden,dass uns aus dem gewerblichen Bereich aberkeinerlei Dokumentationen vorliegen.

Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Die nächste Frage geht an denFachverband Glücksspielsucht und an dieDeutsche Hauptstelle für Suchtfragen. Von derAutomatenindustrie wird immer wieder behaup-tet, die Angabe, dass 80 % der pathologischen

Spieler Probleme mit Geldspielgeräten hätten,sei falsch. Welche Erkenntnisse haben Sie– insbesondere aufgrund des derzeit laufendenBundesmodellprojektes – über das Suchtpoten-zial von Geldspielgeräten?

SVe Ilona Füchtenschnieder (FachverbandGlücksspielsucht (fags) e.V.): Ich musste schonfast einmal eine Unterlassungserklärung unter-zeichnen, weil ich so etwas in einem Interviewgesagt habe. Ich habe die Unterlassungserklä-rung jedoch nicht unterzeichnet, weil es einfachso ist. Sie können fragen, wen Sie wollen. Siekönnen in Kliniken nachfragen, Sie können inSelbsthilfegruppen nachfragen. Es ist einfach so,dass 70 bis 80 % der Klienten, die dort um Hilfenachsuchen, von den Geldspielautomaten ab-hängig sind. Als ich vor 22 Jahren angefangenhabe, waren es sogar noch mehr. Zu dieser Zeitwaren es 90 bis 95 % der Spieler. Inzwischen hatsich der Glücksspielmarkt erweitert. Wir habenjetzt auch Sportwetter, Pokerspieler und durchdie Expansion der Spielbanken auch Kasino-spieler. Den Großteil der Klienten bilden aberdiejenigen, die an Geldspielautomaten spielen,und dies liegt an der hohen Dichte, die die Gerätehaben.

SV Armin Koeppe (Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen e.V. (DHS)): Ich kann das wieder-holen, was ich eingangs schon gesagt habe, dassnämlich nach den Ergebnissen des Mo-dellprojekts – die Hälfte seiner Laufzeit ist be-reits vorbei – immer um die 85 % der Betroffe-nen aus Spielhallen oder Gaststätten stammen.Andere Gruppen, die auch stark vertreten sind,sind Spieler aus dem kleinen Spiel im Kasino-bereich mit 16 %. Im Vergleich zu den 85 % sinddie Werte für letztere allerdings eher gering.

Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Meine nächste Frage zum Jugend-schutz richtet sich nochmals an dieselbenSachverständigen. Es wird behauptet, dass derJugendschutz strikt eingehalten wird. Lassensich stärkere Kontrollen auf diesem Markt über-haupt realisieren?

SVe Ilona Füchtenschnieder (FachverbandGlücksspielsucht (fags) e.V.): Was den Jugend-schutz angeht, ist zu sagen, dass dessen Einhal-

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tung im Bereich der gastronomischen Betriebeüberhaupt nicht zu kontrollieren ist. Ich binPendlerin und sehe am Bahnhof in einer Bäcke-rei sehr häufig Jugendliche, die an Automatenspielen. Das sieht man einfach im Alltag.Zumindest müssten diese Geräte aus sämtlichengastronomischen Betrieben entfernt werden, weilder Jugendschutz an diesen Stellen einfach nichtgewährleistet ist. Im Bereich der Spielhallenmüsste man die Jugendämter und die Ordnungs-ämter fragen, wie häufig Jugendschutzkontrollenstattfinden. Das ist nicht ganz so oft, aber ichdenke, dass dies dort besser geregelt ist als imBereich der gastronomischen Betriebe.

SV Armin Koeppe (Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen e.V. (DHS)): Ich kann dazu nur sa-gen, dass es im Bereich der Gaststätten für dieGastwirte einfach zu schwer ist, darauf zuachten, ob ein kleines Kind vom Onkel eineMünze in die Hand gedrückt bekommen hat undeinfach einmal am Automaten spielt. DieSpielhallen andererseits sind mittlerweile zwarein bisschen heller geworden, aber ursprünglichgab es dort doch ein recht ruhiges, dunkles Am-biente. Außerdem kann man, wenn man sich dieJugendlichen heute ansieht, nicht wirklicherkennen, ob sie noch 16 bzw. 17 oder schon 18bzw. 19 Jahre alt sind. Wenn ich Haare hätte,würde ich vielleicht auch noch als 18- oder17-Jähriger durchgehen. Ob dort diese Kontrol-len der Ordnungsämter, wie das Frau Füchten-schnieder schon gerade gesagt hat, entspre-chende Ergebnisse hervorbringen, ist fraglich.

Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Ich hätte eineFrage an den Bundesverband der Automaten-unternehmer. Wie hat sich der Umsatz derAutomatenaufsteller in den letzten Jahren imVerhältnis zu den staatlich angebotenen Glücks-spielen entwickelt?

SV Wolfgang Voß (Bundesverband Auto-matenunternehmer e.V. (BA)): Das beantworteich gerne. Unsere Umsätze haben sich leichtgesteigert. Das liegt insbesondere daran, dass wirannähernd 80.000 so genannte Fun-Gamesabgebaut haben. Die sind völlig vom Marktverschwunden, und die Umsätze aus diesenGeräten sind stattdessen mit den zusätzlich auf-gestellten Geldspielgeräten – es sind jetzt nichtmehr zehn, sondern zwölf Geräte je Spiel-

hallen-Konzession – erzielt worden. Zu denUmsätzen in den Spielbanken kann ich eigentlichnichts sagen, aber ich höre, dass die Umsätzerückläufig sind. Die Ursachen können vielfältigsein. Ich würde sagen, dass das Ambiente beiunseren Spielhallen exorbitant verbessert unddass sehr viel investiert worden ist. Das zahltsich letztendlich aus. Die Finanzkrise und dieNichtraucherschutzgesetzgebung, die in denSpielbanken genauso gilt wie bei uns, zeigenAuswirkungen. Das heißt, unterm Strich habenwir an und für sich weniger Umsätze, wenn Siedie seinerzeit mit den Fun-Games erzielten Um-sätze mit hinzuzählen.

Die Vorsitzende übernimmt den Ausschussvor-sitz.

Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Ich hätte eineFrage an die Deutsche Spielbanken Interessen-und Arbeitsgemeinschaft. Das Thema hatten wirvorhin schon einmal, doch ich fand die Antwortnicht besonders befriedigend. Im Ausland müs-sen Slot-Machines zugelassen werden. Dies giltin Deutschland auch für gewerbliche Geld-spielgeräte. Das scheint bei Ihnen aber nicht derFall zu sein. Sind Jackpots in Millionenhöhe beiSpielbanken und beim Lotto unter Spieler-schutzgesichtspunkten eigentlich noch zeit-gemäß?

SV Thomas Freiherr von Stenglin (DeutscheSpielbanken Interessen- und Arbeitsgemein-schaft (DeSIA)): Sie fragen nach der Zulassungunserer Automaten. Angesichts der großen Zahlan Automaten, die im gewerblichen Bereichsteht – es sind in Deutschland etwa 220.000Stück gegenüber den etwa 8.000 Automaten, diein den deutschen Kasinos aufgestellt sind –dürfte sich die Frage wohl schon fast von selbstbeantworten, und zwar dahingehend, dass esrelevanter ist, den gewerblichen Bereich zuregeln.

Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Werden IhreGeräte nun zugelassen? Falls ja, nach welchenKriterien geschieht dies? Ich habe Sie außerdemgefragt, ob Millionengewinne im staatlichenSpiel noch zeitgemäß sind.

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SV Thomas Freiherr von Stenglin (DeutscheSpielbanken Interessen- und Arbeitsgemein-schaft (DeSIA)): Sie werden durch dieAufsichtsbehörden zugelassen. Es geht dabeidarum, ob sie den Anforderungen derSpielverordnung entsprechen. Eine Zulassung,wie Sie sie bei den gewerblichen Automatenvermuten, haben wir bei unseren Automatennicht. Sie wissen, dass wir einen Kana-lisierungsauftrag haben. Die Spielbanken sindnicht nur ein Wirtschaftsbetrieb, sondern ebenauch ein ordnungsrechtliches Produkt. Insoferngelangen die Gelder über diesen Kanalisierungs-auftrag zu uns. Allerdings – es ist schon richtigangesprochen worden – sind die Umsätze geradenach Einführung des schon erwähnten Staats-vertrages massiv zurückgegangen.

Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Abschließendhätte ich noch eine Frage an Frau Füchten-schnieder und Herrn Koeppe. Ich hatte bei IhrenStellungnahmen den Eindruck, dass Sie dasgewerbliche Glücksspiel für schlimm halten,während das Spiel im Rahmen des Staatsvertragsfür Sie nicht so schlimm ist. Hierzu hätte ichgerne noch einmal eine Stellungnahme von IhrerSeite, denn irgendwie spielte die Differenzierungimmer eine Rolle.

SVe Ilona Füchtenschnieder (FachverbandGlücksspielsucht (fags) e.V.): Ich finde keines-wegs das eine Glücksspiel besser als das andere.Nach unserer Gesetzeslage dürfen Glücksspielenur im Monopol angeboten werden. Was im ge-werblichen Rahmen erlaubt ist, das sind garkeine Glücksspiele. Aber diese Unterhal-tungsgeräte sind technisch so weiterentwickeltworden, dass sie sich von Glücksspielen nichtmehr unterscheiden. Das ist meine Kritik. Wirhaben ein Staatsmonopol. Das ist Ländersacheund muss aus Gründen des Rechts und derOrdnung überwacht werden. Wenn man sich alsGesellschaft für einen solchen Glücksspielmarktentscheidet, dann dürfen Glücksspiele nur unterdem staatlichen Monopol angeboten werden.

Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Aber dann sinddiese Spiele aus Ihrer Sicht in Ordnung?

SVe Ilona Füchtenschnieder (FachverbandGlücksspielsucht (fags) e.V.): Das ist so eine

Sache. Glücksspiele verursachen hohe gesell-schaftliche Schäden, auch die staatlichen. Darumfinden Sie kaum eine Gesellschaft, die ihreGlücksspiele nicht stark reguliert, und das mussauch gestärkt werden. Leute, die es sich erlaubenkönnen, sollen meinetwegen ihr Geld verspielen,aber nicht Menschen, die spielsüchtig sind.Deshalb müssen wir die Gesetzeslage in beidenBereichen so gestalten, dass man die Menschenso weit wie möglich schützt. Ganz werden wirdas nie lösen können. Wir können es nurregulieren.

SV Armin Koeppe (Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen e.V. (DHS)): Wenn meine Stel-lungnahme den Eindruck erweckt haben sollte,dass ich nur das Spiel in Spielhallen schlechtfinde, so ist dies nicht der Fall. Durchgängighaben alle Glücksspiele ein gewisses Risiko.Durch die Monopolisierung und durch denStaatsvertrag ist es einfach möglich, gewisseSchutzfunktionen durch die Eingangskontrollezu ermöglichen. Dort zeigen sich auch ersteTendenzen, dass sich etwas bewegt und dass sichSpieler sperren lassen können. DieseMöglichkeit besteht in den Spielhallen nicht.

Abg. Maria Eichhorn (CDU/CSU): Ich schließemit meiner Frage an den Glücksspielstaatsver-trag vom 1.1.2008 an. Damit sind einige Berei-che einer erweiterten Regulierung unterzogenworden. Wie wirkt sich der neue Staatsvertragaus Ihrer Sicht auf die Bekämpfung der Glücks-spielsucht aus? Meine Frage geht an dieDeutsche Hauptstelle für Suchtfragen, die Bun-desarbeitsgemeinschaft der Landesstellen gegendie Suchtgefahren und den FachverbandGlücksspielsucht.

SV Armin Koeppe (Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen e.V. (DHS)): Zur Frage der Be-kämpfung kann ich aus dem Projekt heraussagen, dass man aus der Tatsache, dass 85 % derSpieler aus den Spielhallen und nur 15 % aus denanderen Bereichen kommen, ableiten könnte,dass in Deutschland eine gewisse Tendenzabsehbar ist, dass die Schutzmaßnahmen desstaatlichen Monopols, des Staatsvertrages, zu-mindest Wirkung zeigen.

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SV Wolfgang Schmidt (Bundesarbeitsgemein-schaft der Landesstellen für Suchtfragen(BAGLS)): Ich sehe massive Vorteile. Dergrößte ist, dass das Thema durch diese Dis-kussionen um den Staatsvertrag überhaupt in derÖffentlichkeit angekommen ist. Dass wir heutehier sitzen, ist letztendlich auch eine Folgedavon. Das heißt, in der Bevölkerung ist dasThema Glücksspiel wirklich zu einem Themageworden. Für Betroffene hat sich die Situationverbessert, weil wir im Zuge des Staatsvertragesund der ausgebauten Hilfestellungen – jetzt darfich einmal das Bundesland Hessen erwähnen –15 Standorte einrichten konnten, an denen jetztBeratungs-, Hilfs- und Präventionsangebotevorgehalten werden. Diese gab es vorher einfachnicht. Ein weiterer Punkt – er wurde vorhinangesprochen – betrifft den Schulbereich. Auchdort ist das Thema über diese neu eingerichtetenFachstellen angekommen, weil sie mit denSchulen zusammenarbeiten. Ich habe geradeheute in der Zeitung gelesen, dass es inAustralien im Moment einen riesigen Jackpotvon umgerechnet 100 Mio. Euro gibt. Obwohldie Statistiker sagen, die Wahrscheinlichkeit,dass ein Spieler vor dessen Auszahlung stirbt, istgrößer als die Chance eines Gewinns, hindertdies die Leute nicht daran, trotzdem in dieAnnahmestellen zu gehen und zu spielen. Daransieht man, dass wir es beim Glücksspiel ebennicht nur mit rationalen Ebenen zu tun haben,sondern dass – wie beim Suchtgescheheninsgesamt – sehr viel Emotion und Psychologievorhanden ist. Deshalb gehen unsere Leute z. B.in Schulen und besprechen mit den Kindern auchdas Thema Wahrscheinlichkeitsrechnung bzw.die Chance für den Sechser im Lotto. Wirmerken, dass in der Gesellschaft – und dies nichtnur bei Jugendlichen oder Kindern, sondern auchbei Erwachsenen – viele Informationen überdieses Phänomen fehlen. Diese Möglichkeitenhaben wir überhaupt erst erhalten, seitdem es denStaatsvertrag und die Diskussion um ihn gibt.

SVe Ilona Füchtenschnieder (FachverbandGlücksspielsucht (fags) e.V.): Es scheint so zusein, dass ein Teil der süchtigen Spieler nichtmehr ihrem Spiel in Spielbanken nachgeht. DieSpielbanken beklagen große Umsatzverluste seitder Einführung der Sperre, und die Situation hatsich in Kombination mit dem Rauchverbot nochverschärft. Wir stellen in ganz sensiblen Hilfs-angeboten wie der Hotline auch fest, dass dortinzwischen weniger Kasinospieler anrufen. Wir

stellen aber auch eine Wanderbewegung fest,denn diese gesperrten Spieler wandern häufig indie Spielhallen ab. Ich habe gestern mit einemKollegen aus der Schweiz gesprochen, derberichtete, dass Kasinospieler, die in derSchweiz gesperrt sind und grenznah wohnen,zum Spielen eine deutsche Spielhalle aufsuchen.Das ist einfach ein ganz schwieriger Aspekt,denn man muss glaubwürdig sein. Man weiß ausder Präventionsforschung, dass Aufklärungs-kampagnen in der Bevölkerung nur dannankommen und wirksam sind, wenn die ge-setzlichen Rahmenbedingungen dazu passen.Das müssen wir uns hier auch zu eigen machen.Ein weiterer positiver Meilenstein ist darin zusehen, dass suchtrelevante Glücksspiele inDeutschland nicht mehr so leicht zugelassenwerden. Sie haben es vielleicht mitbekommen,dass die Lottogesellschaften in Deutschland„Euro-Million“ einführen wollten, also Jackpotsmit 90 oder 100 Mio. Euro. Der FachbeiratGlücksspielsucht hat empfohlen, dies nicht zutun, weil es einfach mehr Menschen in denGlücksspielmarkt hineinzieht. Es ist eben eineepidemiologische Binsenweisheit, dass je mehrMenschen am Glücksspiel teilnehmen, destomehr Menschen spielen problematisch und destomehr spielen dann auch pathologisch. DieBegrenzung ist das Mittel der Wahl.

Abg. Dr. Margrit Spielmann (SPD): Ichmöchte eine Frage, die Herr Prof. Böning vorhinfast beantwortet hat, jetzt an den Juristen,nämlich an Herrn Prof. Dietlein richten. Trifftdie Einschätzung zu, dass die rechtliche Si-tuation im Bereich der Glücksspielangebotenicht kohärent ist. Falls ja, welchebundesgesetzliche Regelung wäre aus Ihrer Sichtmöglich, um eine kohärente und systematischePrävention der Glücksspielsucht zu gewähr-leisten?

SV Prof. Dr. Johannes Dietlein: Wir haben inder Bundesrepublik Deutschland offensichtlicheine Schieflage zwischen den landesstaatlichenRegulierungen durch den Glücksspielstaatsver-trag einerseits und der Gewerbeordnung an-dererseits. Der Glücksspielstaatsvertrag basiertauf dem Gedanken, dass es sich bei den dortgeregelten Angeboten um eine „an sich“ uner-wünschte Betätigung handelt. Auch Spielbankensind unerwünschte Betätigungen, die lediglichdeshalb zugelassen werden, weil der Spieltrieb in

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der Bevölkerung nicht vollständig zu unterdrü-cken ist. Dementsprechend wird das Angebotauch quantitativ und qualitativ gedeckelt.Daneben stand und steht die Gewerbeordnung,und zwar immer mit der Idee, dass es sich hierum einen Bagatellbereich handelt. § 33h derGewerbeordnung bringt relativ deutlich zumAusdruck, dass die ordnungsrechtlichen Berei-che, die die Länder regulieren, außen vor blei-ben. Was wir derzeit feststellen ist, dass sichdieses gewerberechtliche Segment verselbst-ständigt hat, möglicherweise sogar gegen denGeist der Gewerbeordnung, die den Prä-ventionsgedanken und die Hoheit der Länder fürdas eigentliche Glücksspiel im Blick hat. Na-mentlich die Spielverordnung hat sich verselbst-ständigt. Insofern ist die Idee von Frau Füchten-schnieder aus meiner Sicht konsequent. Entwe-der man führt es zurück in den Bereich desUnterhaltungsspiels oder man bleibt beimGlücksspiel. Dann aber gehört es ins Ordnungs-recht und man muss über Alternativen wie z. B.Monopollösungen nachdenken.

Abg. Dr. Margrit Spielmann (SPD): Ich würdeden GKV-Spitzenverband fragen wollen, wiehoch er die Aufwendungen einschätzt, die nötigsind, um die Glücksspielsucht zu therapieren.

SVe Heike Wöllenstein (GKV-Spitzen-verband): Dazu muss ich leider sagen, dass unskeine validen, belastbaren Zahlen vorliegen. Dashängt auch ganz stark damit zusammen, dassMenschen, die unter einer Glücksspielsuchtleiden, letztlich nicht mit diesem Problem in dieArztpraxis gehen, sondern sie tauchen dortnatürlich eher mit Komorbiditäten auf, und diesewerden statistisch nicht erfasst. Insofern gibt dieamtliche Statistik eigentlich keine Differenzie-rung her.

Abg. Dr. Margrit Spielmann (SPD): Michwürde interessieren, inwieweit entsprechendeHilfsangebote auch von den Verbraucherzentra-len ausgehen bzw. ob man diese überhaupt fre-quentiert, um sich dort Hilfe zu holen.

SVe Ilona Füchtenschnieder (FachverbandGlücksspielsucht (fags) e.V.): Es gibtRandbereiche. Zum Beispiel haben wir ein neuesProblem, dass nämlich viele Menschen online in

Pokerräumen spielen, die in Deutschland keineZulassung haben, und dabei ihr Konto starküberziehen. In diesen Fällen kommt es manch-mal zu Anfragen an die Verbraucherberatungen,was der Spieler in dieser Situation tun kann. Wirempfehlen immer zu stornieren sowie zurück-zubuchen usw. Mit solchen rechtlichen Fragenwenden sich die Menschen an die Verbrau-cherberatungen. Sie melden sich auch, wenn siez. B. ungebetene Anrufe von Glücksspielan-bietern bekommen. Hier gibt es im Momenteinen Fall, bei dem ein Anbieter mit un-terdrückter Rufnummer massenhaft Anrufetätigt. Das sind Fragen für die Verbraucherbera-tungen.

Abg. Peter Friedrich (SPD): Weil es vorhinkurz erwähnt wurde, will ich vorab anmerken –ich vertrete einen Wahlkreis in Grenznähe,nämlich den Wahlkreis Konstanz –, dass wir dortauch das umgekehrte Problem kennen, dass dieschweizerischen Kasinos mit massiver Werbungim deutschen Grenzbereich unterwegs sind, dadort die Auflagen zum Teil andere sind. MeineFrage geht an den VDAI. Wir haben vorhin ei-nige Aussagen u. a. von Prof. Meyer und Prof.Böning gehört, wie die Spielverordnung in denAutomaten umgesetzt wird bzw. dass sie soumgesetzt wird, dass sie in ihrer Wirkung fak-tisch zum Teil ausgehebelt wird. Mich würdeinteressieren, wie denn die Kontrolle bei denvielen Automaten gewährleistet wird, die Sie anden verschiedensten Orten in der ganzen Bun-desrepublik aufstellen. Es gibt zwar klareAuflagen, aber ich frage dennoch, wie denn dieEinhaltung des Jugendschutzes oder der sonsti-gen Auflagen z. B. in Bezug auf die Räum-lichkeiten in der Praxis kontrolliert wird,inwieweit diese Kontrolle beispielsweise durchdie Ordnungsämter oder andere örtlich zustän-dige Stellen erfolgt, wie weitgehend diese Maß-nahmen sind und ob die Einhaltung der Schutz-bestimmungen gewährleistet ist.

SV Uwe Christiansen (Verband der DeutschenAutomatenindustrie e. V. (VDAI)): Hier geht esdarum, dass zunächst einmal eine Zulassungdurch die PTB erfolgt. Über das Regelwerk habeich schon gesprochen. Das ist die Erstzulassungdes Gerätes. Außerdem sieht die Spielverord-nung vor, dass das Gerät alle 24 Monate geprüftund von einem Sachverständigen bestätigt wird,dass die von der PTB kontrollierten Kriterien

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weiterhin eingehalten werden. Bezogen auf dieKontrollen vor Ort ist es die jeweilige Kom-mune, die die Verantwortung trägt. Wir selbsthaben eine Aktion „Rote Karte“ und sind sehrbemüht, schwarze Schafe in unserer Branche aufden rechten Pfad zu führen, denn solche wollenwir auch nicht in unserem Bereich haben. Wennwir diese „Rote Karte“ benutzen, tritt jedochhäufig der Fall ein, dass die Ordnungsbehördendies nicht weiterverfolgen. Wir haben also eingroßes Anliegen, dass das vor Ort korrektabläuft. Wie es in den einzelnen Kommunengehandhabt wird, dazu kann ich jedoch nichtssagen.

Abg. Peter Friedrich (SPD): Ich hätte noch einein die gleiche Richtung gehende Frage an dieDeutsche Hauptstelle für Suchtfragen, an FrauFüchtenschnieder und Herrn Schmidt, nämlichwie sie die Kontrollen vor Ort bewerten, ob sieder Auffassung sind, dass die Überprüfungen imausreichenden Maße stattfinden und ob dann,wenn Spielsüchtige sich an die entsprechendenStellen wenden, aus den dortigen Berichten er-kennbar wird, inwieweit an den Spielautomatenein korrekter Ablauf gewährleistet ist.

SV Armin Koeppe (Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen e.V. (DHS)): Ich kann vonRückmeldungen aus dem Modellprojekt berich-ten, dass einige Beraterinnen versucht haben, mitden Ordnungsämtern zusammenzuarbeiten.Diese leiden aber unter chronischer Arbeitsüber-lastung, weil es in den letzten Jahren eineerhebliche Bautätigkeit gegeben hat und großeEntertainment-Center in ihren Kommunenerrichtet wurden. Die müssen auch alle kontrol-liert werden, und das schaffen die Behörden garnicht mehr. Deshalb denke ich, dass die Kont-rolle dauerhaft nicht gewährleistet werden kann.Zu den im Abstand von 24 Monaten vorge-schriebenen Kontrollen meine ich, dass man inder Zwischenzeit eine ganze Menge mani-pulieren kann.

SVe Ilona Füchtenschnieder (FachverbandGlücksspielsucht (fags) e.V.): Es gibt im Internetdas „Forum Gewerberecht“ und dort tauschensich Polizeibeamte, Mitarbeiter von Ordnungs-ämtern usw. aus. Das empfehle ich einmal zurLektüre. Es ist zum Teil erschreckend. DieOrdnungsämter sind zur Kontrolle nicht in der

Lage – weder personell noch technisch –, dennsie haben neben diesen Pflichten auch nochandere Aufgaben zu erledigen. Es stellt sichbeispielsweise auch die Frage, ob das Gerät, sowie es von der PTB geprüft wurde, tatsächlichbaugleich mit dem Gerät in der Spielhalle ist. DieSoftware zur Kontrolle, die die Sachverständigenhaben, kommt von den Geräteherstellern. Dieursprünglichen Vorhaben, die die PTB einmalgeplant hatte wie z. B. der Einbau vonKontrollmodulen, die wirklich jeden Spielablaufaufzeichnen und abrufbar machen, wurden nichtumgesetzt. Dort gab es anfänglich eine ganz guteIdee von der PTB. Wenn Sie mit Ord-nungsämtern und der Polizei sprechen, stellenSie fest, dass diese überfordert und auch einStück weit alleingelassen sind.

SV Wolfgang Schmidt (Bundesarbeitsgemein-schaft der Landesstellen für Suchtfragen(BAGLS)): Dem kann ich mich eigentlich nuranschließen. Wir haben im Moment mit denOrdnungsämtern im Suchtbereich auf einer ganzanderen Ebene viel zu tun oder hätten gerne mehrmit ihnen zu tun, und zwar was den Jugendschutzbeim Verkauf von Alkoholika angeht. Dortgehen die Standardantworten immer wieder da-hin, dass dafür kein Personal vorhanden sei. Dortmuss ich dann schon dem einen oder anderenBürgermeister vorhalten, dass das Personal zumAufschreiben von Parksündern offenbar dennochvorhanden ist und dass sich die Kommunenfragen lassen müssen, ob ihnen die Einnahmenvon Falschparkern wichtiger sind als derJugendschutz. Aber das ist ein anderes Gleis. Essind dieselben Abteilungen und es wärendieselben Personen, die dann auch noch dieSpielhallen kontrollieren sollen. Das ist völligunmöglich und unrealistisch. Wenn es um dieFrage der Manipulation von Automaten geht– solche Vermutungen tauchen immer wiederauf – geht es auch sehr schnell um möglicheSteuerhinterziehungen. Deshalb ist auch dieSteuerfahndung sehr daran interessiert zu erfah-ren, ob die Automaten das, was in der Kontrollegeprüft wurde, auch tatsächlich machen. Aberauch von der Steuerfahndung erhalten wir immerwieder die Auskunft, dass ihre Bedienstetenüberhaupt nicht das nötige Know-how haben, umdiese Prüfungen sachgerecht durchzuführen.Dies scheitert am Personalmangel und amAusbildungsmangel. Insofern ist das, was aufdem Papier steht, zwar alles schön und gut, aber

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unsere Erfahrungen besagen, dass die Realitäteine andere ist.

Die Vorsitzende, Abg. Dr. Martina Bunge(DIE LINKE.): Damit ist unsere Befragungabgeschlossen. Ich darf Ihnen, die Sie geantwor-tet haben, und auch denen, die nicht gefragtwurden, recht herzlich danken, dass Sie gekom-

men sind und uns für die Beratung derProblematik zur Verfügung standen. Ich bedankemich auch bei den vielen Gästen, die Interessegezeigt haben. Meinen Kolleginnen und Kolle-gen wünsche ich noch einen schönen Arbeitstag.Auf Wiedersehen und einen guten Heimweg!

Sitzungsende: 15.35 Uhr