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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 1 Mietgerichtstag 2013: Entwicklung des Mietrechts in Gesetzgebung und Praxis Arbeitskreis 6: Einführungsvortrag Auswirkungen der „Mietrechtsänderung“ auf Räumungsverfahren und -vollstreckung - Kritische Anmerkungen aus der Sicht von (Prozeßrechts-) Wissenschaft und Praxis - apl. Professor Dr. Nikolaj Fischer, J.W. Goethe-Universität Frankfurt a.M./Universität Kassel * - Begrüßung - I. Einleitung und Rahmen: ZPO-Änderungen im MietRÄndG bei Räumungsverfahren und Räumungsvollstreckung Meine Einführung zu diesem Arbeitskreis beschäftigt sich mit den Auswirkungen der „Mietrechtsänderung“ auf Räumungsverfahren und Räumungsvollstreckung. Ich will mit dieser (etwa vierzigminütigen) Einführung zu einer nachfolgenden Diskussion anregen - und bitte Sie daher, Fragen im Anschluß zu stellen. Bekanntlich enthält das „Mietrechtsänderungsgesetz“ Neuregelungen zum Räumungsverfahren in § 940a Abs. 2 und 3 ZPO-E sowie Modifikationen der Räumungsvollstreckung in den § 885 und § 885a ZPO-E. Meine Eingangsthese lautet wie folgt: Die prozessualen Neuregelungen des „Mietrechtsänderungsgesetzes“ sind nur insoweit brauchbar, als diese (praktisch) vorbereitet sind, wie §§ 885, 885a ZPO-E. Überwiegend handelt es sich aber um dogmatisch unausgereifte Neuschöpfungen, die praktisch mehr schaden als nutzen – ich nenne hier nur § 283a und § 940a ZPO-E. * Der Verfasser lehrt als apl. Professor am Institut für Rechtsvergleichung der Johann Wolfgang Goethe- Universität Frankfurt/M. (vgl. http://www.jura.uni-frankfurt.de/41075263/Fischer) und ist (u.a.) Lehrbeauftragter an der Universität Kassel. Der Stand der Nachweise ist der 20.02.2013. Der Beitrag (hier in Vortragsform) ist meinem verehrten akademischen Lehrer Peter Gilles zu seinem 75. Geburtstag am 06.02.2013 gewidmet. Es gilt das gesprochene Wort.

Auswirkungen der „Mietrechtsänderung“ auf ......Geburtstag am 06.02.2013 gewidmet. Es gilt das gesprochene Wort. MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 2 II. Hinführung: Diskussion

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 1

Mietgerichtstag 2013: Entwicklung des Mietrechts in Gesetzgebung und Praxis

Arbeitskreis 6: Einführungsvortrag

Auswirkungen der „Mietrechtsänderung“

auf Räumungsverfahren und -vollstreckung

- Kritische Anmerkungen aus der Sicht von (Prozeßrechts-) Wissenschaft und Praxis -

apl. Professor Dr. Nikolaj Fischer, J.W. Goethe-Universität Frankfurt a.M./Universität Kassel ∗

- Begrüßung -

I. Einleitung und Rahmen: ZPO-Änderungen im MietRÄndG bei Räumungsverfahren und

Räumungsvollstreckung

Meine Einführung zu diesem Arbeitskreis beschäftigt sich mit den Auswirkungen

der „Mietrechtsänderung“ auf Räumungsverfahren und Räumungsvollstreckung.

Ich will mit dieser (etwa vierzigminütigen) Einführung zu einer nachfolgenden

Diskussion anregen - und bitte Sie daher, Fragen im Anschluß zu stellen.

Bekanntlich enthält das „Mietrechtsänderungsgesetz“ Neuregelungen zum

Räumungsverfahren in § 940a Abs. 2 und 3 ZPO-E sowie Modifikationen der

Räumungsvollstreckung in den § 885 und § 885a ZPO-E.

Meine Eingangsthese lautet wie folgt:

Die prozessualen Neuregelungen des „Mietrechtsänderungsgesetzes“ sind nur

insoweit brauchbar, als diese (praktisch) vorbereitet sind, wie §§ 885, 885a ZPO-E.

Überwiegend handelt es sich aber um dogmatisch unausgereifte Neuschöpfungen,

die praktisch mehr schaden als nutzen – ich nenne hier nur § 283a und § 940a

ZPO-E.

∗ Der Verfasser lehrt als apl. Professor am Institut für Rechtsvergleichung der Johann Wolfgang Goethe-

Universität Frankfurt/M. (vgl. http://www.jura.uni-frankfurt.de/41075263/Fischer) und ist (u.a.) Lehrbeauftragter an der Universität Kassel. Der Stand der Nachweise ist der 20.02.2013. Der Beitrag (hier in Vortragsform) ist meinem verehrten akademischen Lehrer Peter Gilles zu seinem 75. Geburtstag am 06.02.2013 gewidmet. Es gilt das gesprochene Wort.

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II. Hinführung: Diskussion um Notwendigkeit und Ausgestaltung der prozessualen

Neuregelungen des Mietrechtsänderungsgesetzes

Die hier geäußerte Kritik am MietRÄndG1 ist weder neu noch überraschend.

Dies belegt bereits ein Blick auf die - Ihnen bekannte und hier nicht zu

wiederholende - Genese der Reform

und das ganz überwiegend kritische feedback aus Wissenschaft und Praxis2.

Ich darf hierzu insbesondere auf die Mietgerichtstage der beiden Vorjahre3

verweisen

sowie auf die Sachverständigenanhörung vor dem Rechtsausschuß des Deutschen

Bundestages.

Die Genese des MietRÄndG stellt sich in Kürze wie folgt dar:

- Vorstellung eines (nicht als solchen bezeichneten Diskussions-) Entwurfs4 des BMJ im November 20105 mit

der Zielsetzung der Bekämpfung des sog. Mietnomadentums.

1 Das „Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte

Durchsetzung von Räumungstiteln“ (MietRÄndG) wurde am 13.12.2012 vom Deutschen Bundestag in der Fassung der Beschlußvorlage des Rechtsausschusses vom 12.12.2012 beschlossen (sowie am 01.02.2013 vom Deutschen Bundesrat); darin sind nochmals Modifikationen gegenüber den im Rechtsausschuss von den Regierungsfraktionen beschlossenen Änderungen enthalten, vgl. dazu BT-Dr. 17/11894. Dem MietRÄndG liegt der Regierungsentwurf gemäß Kabinettsbeschluß v. 23.05.2012 zugrunde, BT-Dr. 17/10485. Vgl. zum RegE m.w.N. bereits N. Fischer, DGVZ 2012, S. 151 ff.

2 Vgl. zu Bewertungen der Reform (z.T. noch in Gestalt des RefE) Deutscher Mietgerichtstag (e.V., kurz: DMT), NZM 2012, S. 75 ff.; DAV, NZM 2012, S. 105 ff.; Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff.; Fleindl, NZM 2012, S. 57 ff., Streyl, NZM 2012, S. 249 ff.; Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff.; insb. zur Räumungsvollstreckung Schuschke, NZM 2012, S. 209 ff.; Majer, NZM 2012, S. 67 ff., Dötsch, NZM 2012, S. 73 ff.

3 Siehe dazu die Vorträge und Diskussionen auf den Mietgerichtstagen 2011, vgl. http://www.mietgerichtstag.de/mietgerichtstag_2011_13607901.php (Abrufdatum: 31.05.2012) sowie 2012, vgl. http://www.mietgerichtstag.de/mietgerichtstag_2012_14248701.php (Abrufdatum: 31.05.2012); s. zum Änderungsbedarf bzgl. des Gesetzestitels Deutscher Mietgerichtstag, NZM 2012, S. 75 ff., 75.

4 Der Diskussionsentwurf (DiskE) des BMJ vom November 2010 ist weder als solcher gekennzeichnet, noch findet er sich in dem Internetauftritt des BMJ (vgl. nur die „Anmerkungen“ unter: http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Anmerkung_zum_Diskussionsentwurf_Miet_Wohn_Waerme_LV.pdf?__blob=publicationFile; Abrufdatum: 31.05.2012). In der vorläufigen Textfassung fehlt auch ein Hinweis auf das BMJ, vgl. das über http://www.mietgerichtstag.de/materialien_zum_mietraendg.php (für DMT-Mitglieder) abrufbare elektronische Dokument, Abrufdatum: 31.05.2012. Aus Gründen der Bürgerfreundlichkeit sei dem BMJ hier angeraten, daß es zu seiner Veröffentlichungspraxis bzgl. aller

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 3- Es folgte ein erster Referentenentwurf des BMJ vom 11.05.20116 (mit im wesentlichen

gleichbleibender Zielsetzung) als Reaktion von intensiver Kritik von Mieter- und Vermieterseite.7

- Im Jahr 2011 wurde der zweite Referentenentwurf des MietRÄndG (mit Datum vom 25.10.2011)8 vorgestellt,

wobei es inhaltlich keine wesentlichen Änderungen bei den prozessualen Neuregelungen gab.9

- Dies gilt im wesentlichen auch für den Regierungsentwurf vom 18.05.2012, der vom Bundeskabinett am

23.05.2012 beschlossen wurde.10 Eine wesentliche Ausnahme stellt dabei die Sicherungsanordnung gem. §

283a ZPO-E (im RefE: Hinterlegungsanordnung gem. § 302a ZPO-RefE) bei Zahlungsklagen dar.

- Am 27.09.2012 fand die erste Lesung im Deutschen Bundestag statt. Dazu erfolgte eine sehr kritische

Stellungnahme des Deutschen Bundesrates in seiner Sitzung am 06.07.201211. Der Deutsche Bundestag hat das

Gesetzgebungsvorhaben in die Ausschüsse verwiesen.

- Am 15.10.2012 wurde die Sachverständigenanhörung vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages

durchgeführt, in der die Sachverständigen ganz überwiegend Kritik geübt und Änderungsvorschläge

unterbreitet haben.12

- Eine Einigung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages ist nicht erfolgt, vielmehr haben die

Regierungsfraktionen mit ihrer Mehrheit Änderungsanträge beschlossen. Der Deutsche Bundestag hat am

13.12.2012 nach kurzer Aussprache in 2. und 3. Lesung das MietRÄndG in der Fassung der Beschlußvorlage

des Rechtsausschusses vom 12.12.2012 beschlossen.13

- Der Bundesrat hat das Gesetzesvorhaben in seiner Sitzung am 01.02.2013 verabschiedet. Die Neuregelungen

des MietRÄndG werden daher voraussichtlich - je nach Verkündungstermin im BGBl. - Anfang April oder

Anfang Mai 2013 in Kraft treten.14

Gesetzesentwurfsfassungen (im Internet) zurückkehrt. Vgl. zum Vorgehen des BMJ und zum Verhältnis der div. Fassungen Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff., 153.

5 Siehe zu den Reformzielen BT-Dr. 17/10485, S. 1 ff. (bzw. S. 1-3, 20 ff. RegE). Anzumerken ist, daß es Bedenken der Praxis (z.B. des DGVB) bezüglich des „Mietnomadentums“ als gesetzgeberisches Begründungsmuster gibt, vgl. noch zum RefE die Stellungnahme des DGVB v. 24.01.2012 zum Gesetzesvorhaben, S. 2 („Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das ‚Mietnomadentum’ in Relation zu dem Gesamtaufkommen an Zwangsräumungen eine untergeordnete Rolle spielt.“), wenngleich auch der DGVB das Auftreten von schadensintensiven Einzelfällen nicht leugnet. Siehe zu einer Stellungnahme „aus Sicht der gerichtlichen Praxis“ auch Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff. m.w.N.

6 Vgl. S. 1 ff., 17 ff., 25 ff. RegE. 7 Ein erster (interner) Referentenentwurf, datierend vom 11.05.2011, ist ebenfalls an die Öffentlichkeit gelangt

und wurde (wie zuvor der Diskussionsentwurf vom Oktober 2010) kontrovers diskutiert, vgl. m.w.N. z.B. N.

Fischer, WuM 2011, S. 403 ff., 407 f.; Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff. 8 Das BMJ hatte diesen RefE v. 25.10.2011, am 17.11.2011 an die Verbände zur Stellungnahme übermittelt

(http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/RefE_Mietrechtsaenderungsgesetz.pdf?__blob=publicationFile; Abrufdatum: 31.05.2012).

9 S. dazu die Stellungnahme des Deutschen Mietgerichtstages, NZM 2012, S. 75 ff. 10 Der Regierungsentwurf (RegE) v. 18.05.2012 wurde am 23.05.2012 beschlossen (vgl.

http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/RegE_Gesetz_ueber_die_energetische_Modernisierung_von_vermietetem_Wohnraum_und_ueber_die_vereinfachte_Durchsetzung_von_Raeumungstiteln.pdf?__blob=publicationFile; Abrufdatum: 31.05.2012), s. dazu die BMJ-Pressemitteilung (vgl. http://www.bmj.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2012/20120523_Ein_modernes_Mietrecht_fuer_mehr_Klimaschutz.html, Abrufdatum: 31.05.2012.

11 Vgl. nur den Beschluß des Bundesrates, BR-Dr. 313/12. 12 S. http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/archiv/26_MietR__ndG/index.html . 13 Vgl. BT-Dr. 17/11894. Der Rechtsausschuss des Bundesrates hat zur Vorbereitung der Bundesratssitzung am

01.02.2013 eine Stellungnahme zum BT-Beschluß vom 13.12.2012 erarbeitet, siehe BR-Dr. 10/1/13. 14 Siehe zum Inkrafttreten den noch offenen Art. 9 RegE. Hinzuweisen ist auch auf den Entwurf einer

(gesondert, aber zeitnah zum MietRÄndG zu erlassenden) „Verordnung über die Wärmelieferung für

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Gestatten Sie mir zwei grundlegende Anmerkungen an dieser Stelle,

die erste betrifft die Frage der Notwendigkeit der Reform,

die zweite die Geeignetheit und Angemessenheit ihrer Mittel.

Zur ersten Anmerkung:

Mit dem MietRÄndG sollen bekanntlich Vereinbarungen aus dem

Koalitionsvertrag15 realisiert werden.

Bemerkenswert ist, daß die grundsätzliche Notwendigkeit dieser Reform des

Zivilprozeß- und Vollstreckungsrechts bisher weder ausreichend empirisch

erforscht, noch breiter wissenschaftlich diskutiert worden ist.16

Empirische Untersuchungen, die die Notwendigkeit der Gesetzesänderungen

nachweisen würden, gibt es nicht.

Wo es empirische Untersuchungen gibt, besagen sie eher genau das Gegenteil.17

Ich möchte an dieser Stelle aus dem Gutachten von Börstinghaus anläßlich der

(o.g.) Sachverständigenanhörung zitieren:

„Aus Sicht der Praxis gab es und gibt es keine Notwendigkeit für eine

Gesetzesänderung.“18

Mietwohnraum (Mietwohnraum-Wärmelieferverordnung – MietWohn-WärmeLV)“, die bei dem RefE v. 25.10.2011 als Anlage enthalten ist, vgl. S. 17-20 RefE.

15 Vgl. den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP „Wachstum, Bildung, Zusammenhalt“ v. 26.10.2009, S. 109 f. (im Internet: http://www.cdu.de/doc/pdfc/091026-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf): Das sog. Mietnomadentum soll mittels zivilprozessualer Maßnahmen bekämpft werden.

16 Vgl. dazu auch Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Dr. 17/11894, S. 30 (Bericht). 17 Siehe Börstinghaus, Stellungnahme aus amtsrichterlicher Sicht, S. 15 ff. m.w.N. (NZM 2012, S. 697 ff.). 18 So Börstinghaus in seiner „Stellungnahme aus amtsrichterlicher Sicht“, 2012, S. 4.

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Im MietRÄndG wird das rechtstatsächlich kaum erforschte

Phänomen „Mietnomadentum“ aber als gegeben unterstellt.

Dies wird zum Anlaß für weitreichende prozessuale Neuregelungen genommen.19

Das Regelungsziel ist jedoch (überwiegend) weder rechtswissenschaftlich

anzuraten, noch rechtspraktisch geboten, sondern allein rechtspolitisch gesetzt.

Die zweite grundlegende Anmerkung betrifft die Geeignetheit und

Angemessenheit der eingesetzten Mittel.

Zu fragen wäre erstens: Ist das Zivilprozeßrecht die geeignete Rechtsmaterie, um

das Mietnomadentum zu bekämpfen?

Zweitens: Sind die Änderungen selbst zielführend?

Für eine kurze Antwort auf die erste Frage darf ich erneut auf das

Sachverständigengutachten von Börstinghaus verweisen:

Das Strafrecht - und dort § 263 StGB - gewährleistet die sachgerechte Behandlung

von Mietnomaden als (regeltypische) Einmietbetrüger.20

Im Gegensatz dazu ist das Zivilverfahrensrecht regelmäßig das falsche Mittel, um

auf abweichendes Verhalten zu reagieren.

Nunmehr zur Antwort auf die zweite Frage:

Die reformbedingten Änderungen stellen keinesfalls nur Randkorrekturen dar,

sondern greifen erheblich in die Systematik des deutschen Zivilprozeßrechts ein21

19 Siehe BT-Dr. 17/10485, S. 1 ff. (Gesetzentwurf), 7 ff. (Anlage 1: MietRÄndG), 13 ff. (Begründung,

Allgemeiner Teil), S. 17 ff. (Begründung, Besonderer Teil).

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– und weitergehend sogar in die verfassungsmäßigen Rechte des Mieters (und

Verfügungsbeklagten).

Auf beides komme ich später zurück.

Damit bleibt festzuhalten, daß sowohl die Notwendigkeit der Reform,

als auch die Geeignetheit und Angemessenheit ihrer Mittel in Frage stehen.

III. Im Fokus: Räumung und Räumungsvollstreckung gemäß MietRÄndG (E)

Für eine nähere Betrachtung dieser Mittel möchte im folgenden auf drei

Neuerungen des MietRÄndG eingehen:

- erstens auf die einstweilige Verfügung bei Räumung von Wohnraum gegen

Dritte nach § 940a Abs. 2 ZPO-E,

- zweitens auf die einstweilige Verfügung gegen den Mieter bei Verstoß gegen die

Sicherungsanordnung (gem. § 283a ZPO-E) nach § 940a Abs. 3 ZPO-E,

- sowie drittens auf Änderungen der Räumungsvollstreckung in § 885 ZPO-E und

auf die (sog.) Berliner Räumung gemäß § 885a ZPO-E.

1. Räumungsverfügung gem. § 940a ZPO-E

Bei der Regelung der Räumungsverfügung22 gem. § 940a ZPO-E sind zwei Fälle zu differenzieren, zum einen der

Fall der Räumungsverfügung gegen Dritte gem. § 940a Abs. 2 ZPO-E, zum anderen die Räumungsverfügung bei

Mißachtung der Sicherungsanordnung (§ 283a ZPO-E) nach § 940a Abs. 3 ZPO-E.23 Gemäß dem MietRÄndG wird

die bisherige Vorschrift (§ 940a ZPO) zu Abs. 1 der neugefaßten Norm, Abs. 2 ermöglicht die

20 Vgl. Börstinghaus, Stellungnahme aus amtsrichterlicher Sicht, S. 5 f. 21 Siehe auch Börstinghaus, Stellungnahme aus amtsrichterlicher Sicht, S. 6. 22 Vgl. zur Begründung des § 940a Abs. 1 ZPO-E BT-Dr. 17/10485, S. 33, zu Abs. 2 S. 33 f., zu Abs. 3 S. 34 f. 23 Siehe zum Normtext BT-Dr. 17/10485, S. 11 sowie S. 15, 33 f. (Begründung). Vgl. zur Räumungsverfügung

(gem. RefE) Deutscher Mietgerichtstag, NZM 2012, S. 75 ff., 77 f.; DAV, NZM 2012, S. 105 ff., 108 f. (gänzlich ablehnend); Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff., 165 f.; Fleindl, NZM 2012, S. 57 ff., 64 f.; Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 68 f.; Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 251 ff.; Schuschke, NZM 2012, S. 209 ff., 210 f.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 7Räumungsvollstreckung durch ergänzende einstweilige Verfügung, Abs. 3 eröffnet die Räumungsvollstreckung

gegen den Mieter als Vollstreckungsschuldner. § 940a Abs. 4 ZPO-E sieht die Verpflichtung zur (vorherigen)

Anhörung des Vollstreckungsschuldners in den Fällen des Abs. 2 und 3 vor.24

a) Räumungsverfügung gegen Dritte nach § 940a Abs. 2 ZPO-E

Zunächst (und erstens) zu § 940a Abs. 2 ZPO-E:

Diese Norm soll eine einstweilige Räumungsverfügung gegen Personen

ermöglichen, die ohne Kenntnis des Vermieters Besitz (vgl. § 854 BGB) an der

Wohnung erlangt haben.

Notwendig ist dafür, daß gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel

vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluß der

mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt hat.25

Hintergrund für diese Regelung ist der rechtstatsächliche Umstand, daß

Gerichtsvollzieher bei der Räumungsvollstreckung häufig nicht (nur) den Mieter

und Vollstreckungsschuldner antreffen, sondern dem Gläubiger unbekannte Dritte,

die behaupten, ebenfalls Sachbesitz zu haben.26

aa) Mißbrauchsgefahr als Regelungshintergrund

Ohne hier empirische Aussagen zur Häufigkeit dieser Sachverhaltskonstellation treffen zu können (immerhin gehen

nicht nur die Entwurfsverfasser hiervon aus, sondern auch zahlreiche Praktiker der Vollstreckung27), besteht in

diesen Fällen jedenfalls auch ein rechtliches Problem.

Das rechtliche Dilemma ist bekannt:

24 Vgl. zur Reformbegründung BT-Dr. 17/10485, S. 35. 25 Siehe zur Änderung des § 940a Abs. 2 ZPO-E durch BT-Beschluß vom 13.12.2012 nur die

Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 23 sowie S. 34 f. (Begründung der Beschlußempfehlung). Nicht thematisiert wird die Zuständigkeitsfrage: Hier ist mangels einer Spezialregelung und wegen fehlendem Zusammenhang zwischen der Erlangung des Räumungstitels gegen den Mieter und der Räumungsverfügung gegen den Dritten eine Zuständigkeit nach allgemeinen Vorschriften gegeben, §§ 23 Nr. 2a GVG, 29a ZPO (so auch Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.2.a.dd.).

26 Vgl. dazu auch BT-Dr. 17/10485, S. 16, 34. 27 Siehe z.B. Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff., 165; s.a. die Stellungnahme des DGVB v. 24.01.2012, S. 2.

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Da sich der Vollstreckungstitel regelmäßig nur gegen den zuvor

verklagten Schuldner richtet, nicht aber gegen den besitzenden Dritten, ist eine

Räumung ohne Zustimmung dieses Dritten nicht aus dem ursprünglichen Titel

möglich (siehe § 750 Abs. 1 ZPO).28

Vielmehr muß für die Räumungsvollstreckung ein Titel gegen alle Mitbesitzer

vorliegen.29

Das gilt nach der Rechtsprechung des BGH selbst für den Fall, daß der Mieter dem

Dritten den Besitz nur deswegen eingeräumt hat, um die Zwangsräumung zu

vereiteln.30

Diese Problematik will das MietRÄndG dadurch auflösen, daß mit § 940a Abs. 2

ZPO-E die Grundlage für eine einstweilige Räumungsverfügung gegen Dritte

geschaffen wird.

Die Eignung dieser Regelung für den vorgesehenen Zweck ist bereits in Frage

gestellt worden.31

28 Da nach § 750 Abs. 1 ZPO die Vollstreckung nur gegenüber demjenigen betrieben werden darf, der in

Vollstreckungstitel oder -klausel genannt ist (vgl. auch §§ 726, 727 ZPO), sind Mißbrauchsgefahren evident. 29 Die Gesetzesbegründung verweist hier ausdrücklich auf Art. 13 GG sowie darauf, daß „jede

Räumungsvollstreckung das Grundrecht des Mitbesitzers auf Unverletzlichkeit der Wohnung“ tangiere, so BT-Dr. 17/10485, S. 33; vgl. zur Bedeutung des Art. 13 GG für Recht und Praxis der Vollstreckung hier m.w.N. nur N. Fischer, Vollstreckungszugriff als Grundrechtseingriff, 2006, S. 124 ff., 230 ff.

30 Vgl. BGH, Beschluß v. 14.08.2008, Az.: I ZB 39/08, NJW 2008, S. 3287 f. Klüver, DGVZ 2012, S. 116 ff., 118, weist u.a. darauf hin, daß die bevorstehende Reform des Meldewesens (in Ausfüllung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG) von Vorteil für den Vermieter sein könne, s. zur „Mitwirkung des Wohnungsgebers“ den (Regierungs-) „Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG)“ v. 16.11.2011, BT-Dr. 17/7746, dort § 19 Abs. 1 Bundesmeldegesetz-Entwurf (schriftliche Einzugs- bzw. Auszugsbestätigung). Siehe zu dem Gesetzesvorhaben, das zwar am 28.06.2012 - trotz fehlender Beschlußfähigkeit - den Bundestag passiert hat, aber im Bundesrat auf Änderungswünsche gestoßen ist, auch BT-Dr. 17/10158). Vgl. zur Differenz von Meldewohnsitz und Lebensmittelpunkt (mit möglicher Relevanz für Sachherrschaft) § 13 ZPO (Meldung ist diesbzgl. weder erforderlich noch ausreichend).

31 Trotz grds. vorhandener Zustimmung (vgl. z.B. Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 165; s.a. die Stellungnahme des

DGVB v. 24.01.2012, S. 2) überwiegt die Fundamental- und Detailkritik: Schuschke, NZM 2012, S. 209 ff., 210 f.; s.a. Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 69; abwartend Klüver, DGVZ 2012, S. 116 ff., 118; siehe für einen Änderungsvorschlag Deutscher Mietgerichtstag, NZM 2012, S. 75 ff., 77 f.

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So soll die Anhörung des Mieters und des Dritten (gemäß § 940a Abs. 4 ZPO-

E)32 eine Umgehungsgefahr dahingehend begründen, daß diese Kenntnis von der

bevorstehenden Räumung erhalten.

Damit besteht die Gelegenheit, neue, bisher unbekannte Personen zu aktivieren,

um eine Räumung (erneut) zu verhindern.33

Diesbezüglich schlägt z.B. Hinz vor, § 940a Abs. 2 ZPO-E so zu ergänzen, daß im Falle der Weigerung des Dritten,

dem Gerichtsvollzieher seine Personalien mitzuteilen, der Beschluß auch gegen die bei Vollziehung in den

Räumlichkeiten angetroffenen Personen gerichtet werden könne.34 Dies löst zwar das Problem der Umgehung, ist

aber nichts anderes als ein situativer wohnungsbezogener Räumungstitel, der der Systematik des deutschen

Vollstreckungsrechts fremd ist – und auch bleiben sollte.35 Abgesehen von der abstrakt stets vorhandenen Gefahr

des Mißbrauchs zivilprozessualer Normen ist jedoch fraglich, ob die dem Antragsgegner zustehenden Rechtsbehelfe

(vgl. §§ 936, 924, 926, 927 ZPO)36 ausreichen, um auf eine vorherige Anhörung (jedenfalls im Fall des § 940a Abs.

2 ZPO-E37) verzichten zu können. Deutlich wird dabei, daß es hier weniger um eine Korrektur der normierten

Rechtslage als um diejenige der (BGH-) Rechtsprechung geht: Bei gleichbleibendem Wortlaut von §§ 885 Abs. 1,

750 Abs. 1 ZPO wurde nach früherer Judikatur dritten Personen wie Familienangehörigen, nichtehelichen

Lebensgefährten und Untermietern gerade kein (Mit-) Besitz an der Wohnung zugestanden, sofern diese Dritten

nicht selbst (Haupt-) Mietvertragspartei waren.38 Danach benötigte der Vermieter grundsätzlich nur einen Titel

gegen seinen (Haupt-) Mieter, um gegen diesen die Räumungsvollstreckung betreiben zu können.39

32 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 35, die allg. auf den (verfassungsrechtlichen)

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verweist, ohne zu erwähnen, daß auch über die Gewährung nachträglichen rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) die Rechte der Betroffenen gewahrt werden können, s. zur Kritik an einem (isolierten) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Begründungstopos für die Annahme von Verfassungsrechtswidrigkeit N. Fischer, Vollstreckungszugriff als Grundrechtseingriff, 2006, S. 252 ff.

33 Dazu (noch zum RefE) Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 166; siehe aber auch Fleindl, NZM 2012, S. 57 ff., 65. 34 So Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 165, mit dem Vorschlag, § 940a Abs. 2 ZPO-RefE um einen zweiten Satz

wie folgt zu ergänzen: „Verweigert der Dritte gegenüber dem Gerichtsvollzieher die Mitteilung seiner Personalien, so darf der Beschluss auch gegen die bei Vollziehung in den Räumlichkeiten angetroffenen Personen gerichtet werden.“ Krit. bzgl. der Umgehungsgefahr Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.2.a.gg.

35 Vgl. zu der Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 33 f. („Die Alternative, einen ‚wohnungsbezogenen’ Räumungstitel vorzusehen, widerspricht den Grundsätzen des deutschen Vollstreckungsrechts.“) nur die fast wortgleiche Äußerung des Verf. auf der Podiumsdiskussion des Dortmunder Mietgerichtstages 2007 (vgl. N.

Fischer, DGVZ 2010, S. 113 ff., 121, dort Fn. 75, wonach ein „wohnungsbezogener“ Vollstreckungstitel de lege lata nicht mit der Systematik des deutschen Vollstreckungsrechts vereinbar ist). Vgl. abw. Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 69 f. (Titel gegen namentlich unbekannte Besitznachfolger bei „Hausbesetzungen“).

36 Siehe auch die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 35. 37 So der Vorschlag von Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 166, der die Anhörung auf die Fälle des § 940a Abs. 3

ZPO-RefE beschränken möchte und für verbleibende Mißbrauchsgefahren auf § 242 BGB verweist. 38 Siehe z.B. OLG Hamm, Beschl. v. 13.03.1956, Az.: 15 W 589/55, NJW 1956, S. 1681 ff.; OLG

Frankfurt/M., Beschl. v. 19.06.1969, Az.: 6 W 132/69, MDR 1969, S. 852 f., 853; vgl. zum (damaligen) Streitstand auch BGH, Beschl. v. 25.06.2004, Az.: IXa ZB 29/04, NJW 2004, S. 3041 f., 3042; s.a. m.w.N. auch Zöller, 27. Aufl., Stöber zu § 885 ZPO, Rn. 5 ff.; Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 68.

39 So die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 34.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 10

Der Widerstreit zwischen Umgehungsgefahr und

Gehörsgewährleistung durch eine Anhörungspflicht wirft aber bereits die Frage

nach der grundsätzlichen Eignung der Norm für den verfolgten Zweck auf.

bb) Tatbestand des § 940a Abs. 2 ZPO-E

Dieser Eindruck wird durch die Tatbestandsmerkmale von § 940a Abs. 2 ZPO-E

noch verstärkt.

Bekanntlich stellt § 940a Abs. 1 ZPO-E keine eigene Verfügungsart dar, sondern

eine Einschränkung des § 940 ZPO.40

Dagegen erweitert § 940a Abs. 2 ZPO-E den Anwendungsbereich des § 940 ZPO

durch neue, eigene Voraussetzungen41.

Umstritten ist bereits, ob es sich dabei um eine „eigenständige Verfügungsnorm“

(so Zehelein)42 handelt

oder eine „gesetzlich geregelte Leistungsverfügung“ (so Streyl)43.

Ohne den Streit um die dogmatische Einordnung hier bereits entscheiden zu

wollen, ist jedenfalls festzuhalten, daß in gesetzessystematischer Hinsicht mit §

940a Abs. 2 ZPO-E keine reine Zusatzregelung zu § 940 ZPO geschaffen wird.

Evident ist jedenfalls, daß § 940a Abs. 2 ZPO-E nicht ohne weiteres in die

bekannte Systematik des einstweiligen Rechtsschutzes (mit Verfügungsanspruch

und Verfügungsgrund) eingeordnet werden kann.

40 Vgl. z.B. Zöller, 27. Aufl., Vollkommer zu § 940a ZPO, Rn. 2 m.w.N. 41 Siehe m.w.N. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 253 f. („geschriebene“ und „ungeschriebene“ Bedingungen). 42 Dies wird damit begründet, daß § 940 Abs. 2 ZPO-E weder die möglichen Tatbestandsvoraussetzungen eines

Verfügungsanspruchs gem. § 940 ZPO limitiert, sondern selbst Voraussetzungen schafft, die von denjenigen des materiellen Rechts unabhängig sind, so Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 424; s.a. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 253 („einzige und typisierte Bedingungen“).

43 So Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 253.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 11Dies gilt entgegen den argumentativen Bemühungen des BMJ in der Gesetzesbegründung.44 So bleibt nach

Wortlaut und Systematik offen, ob es sich hier um eine besondere gesetzliche Ausprägung der Leistungsverfügung

handelt45, eine spezielle Ausprägung der Regelungsverfügung (§ 940 ZPO), oder eine eigene, neue Verfügungsart46

neben Leistungs-, Regelungs- und Sicherungsverfügung (§ 935 ZPO) geschaffen werden soll.

Dies liegt darin begründet, daß die Regelung für den Erlaß einer einstweiligen

Räumungsverfügung auf eigene Tatbestandsmerkmale abstellt.

Gemäß dem Wortlaut der Norm lauten diese wie folgt: Vollstreckbarer Räumungstitel gegen den Mieter, Besitz des

Dritten an Wohnraum, Unkenntnis des Vermieters als Antragsteller von Besitzerlangung bis zum Schluß der

mündlichen Verhandlung.47

Es handelt sich dabei um die Verbindung einer einstweiligen

Rechtsschutzmaßnahme mit einem eigenständigen („materiellen“) Tatbestand.

In der Systematik des einstweiligen Rechtsschutzes stellt eine solche Verbindung

eine Ausnahmeerscheinung dar48 - von den Regelungen in §§ 300, 301 FamFG49

einmal abgesehen.

Von besonderer Bedeutung ist auch, daß der Tatbestand des § 940a Abs. 2 ZPO-E

nicht mit den (Herausgabe-) Vorschriften des materiellen Rechts harmoniert.

44 Vgl. BT-Dr. 17/10485, S. 34. 45 So (zum RefE) z.B. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 253 („gesetzlich geregelte Leistungsverfügung“). 46 Vgl. hierfür Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 423. 47 Unklar ist, ob es sich dabei um Voraussetzungen des Verfügungsanspruchs iSv. §§ 940, 936, 916 ZPO

handelt. Vgl. zur Änderung des § 940a Abs. 2 ZPO-E durch BT-Beschluß vom 13.12.2012 nur die Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 23 sowie S. 34 f. (Begründung der Beschlußempfehlung).

48 So treffend Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 423; s.a. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 252, der weiterhin auf die Kriterien von Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund abstellt („für § 940a II ZPO-E gilt nichts anderes“).

49 Nach § 300 Abs. 1 S. 1 („Einstweilige Anordnung“) des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, kurz: FamFG, kann das Gericht durch einstweilige Anordnung einen vorläufigen Betreuer bestellen oder einen vorläufigen Einwilligungsvorbehalt anordnen, wenn die Gründe gemäß Abs. 1 S. 1 Nr. 1-4 vorliegen (vgl. nur Nr. 1: „dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht“). Gemäß § 301 Abs. 1 S. 1 FamFG kann das Gericht bei Gefahr im Verzug eine einstweilige Anordnung nach § 300 bereits vor Anhörung des Betroffenen sowie vor Anhörung und Bestellung des Verfahrenspflegers erlassen, wobei nach § 301 Abs. 1 S. 2 FamFG diese Verfahrenshandlungen unverzüglich nachzuholen sind.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 12

So sind die Tatbestandsvoraussetzungen (des § 940a Abs. 2 ZPO-E) nicht mit

den Voraussetzungen der materiellen Herausgabeansprüche aus § 546 (Abs. 1

BGB) und § 985 BGB identisch oder auch nur kompatibel.50

Ich möchte hier nur zwei Beispiele nennen:

Der Tatbestand des § 940a Abs. 2 ZPO-E knüpft an die Räumung an, nicht aber an

einen Herausgabeanspruch gem. § 546 Abs. 1 BGB, der materiell-rechtlich ein

(beendetes und zuvor bestehendes) Mietverhältnis voraussetzt.

Auch der Herausgabeanspruch gem. § 861 Abs. 1 BGB ist nicht zwingend vorausgesetzt, da dieser eine verbotene

Eigenmacht gemäß § 858 Abs. 1 BGB sowie eine Entziehung des unmittelbaren Besitzes voraussetzt, so daß bereits

die Anwendbarkeit gegenüber dem mittelbaren Besitzer fraglich erscheint.

Auch § 985 BGB braucht nicht erfüllt zu sein, da diese Anspruchsgrundlage die

Eigentümerstellung erfordert, die bei dem Vermieter und Räumungsgläubiger

gerade nicht gegeben sein muß.

Der Herausgabeanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB paßt insoweit nicht, als die danach geforderte

Rechtswidrigkeit der Verletzungshandlung sich nicht per se aus der Kenntnislosigkeit des Vermieters ergibt.

Das Zwischenfazit ist ebenso klar wie kurios:

Der Inhaber eines Räumungstitels gegen den Mieter erhält über § 940a Abs. 2

ZPO-E einen weiteren Räumungstitel gegen eine dritte Person im Wege des

Eilrechtsschutzes, ohne daß diese materiell-rechtlich zur Herausgabe verpflichtet

sein muß.51

Doch die Tatbestandsmerkmale (des § 940a Abs. 2 ZPO-E) weisen noch weitere

Ungereimtheiten auf.52

50 Vielmehr harmoniert die Norm nicht mit den (Herausgabe-) Vorschriften des materiellen Rechts, vgl. §§ 546

Abs. 1; 861 Abs. 1; 985; 1004 Abs. 1; 823 Abs. 1 und Abs. 2; 812 Abs. 1 S. 1 2. Var. BGB. Siehe dazu insb. Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 423; s.a. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 252.

51 So auch Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 423, s.a. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 252 (der im Rahmen des Verfügungsanspruchs zunächst keine grds. Probleme sieht, aber immerhin darauf hinweist, daß „der Herausgabeanspruch ein Minus zum Räumungsanspruch“ darstellt).

52 Vgl. m.w.N. auch Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 424; Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 251 ff.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 13Zunächst knüpft die Neuregelung tatbestandlich an einen „Räumungstitel“ (anstelle einer „Herausgabe“) gegen

eine Person an, ohne den Berechtigten bezüglich des Titels zu nennen.53

Problematisch ist z.B. die Anknüpfung an „den Mieter“:

Nach § 940a Abs. 2 ZPO-E ist das Vorliegen eines Räumungstitels gegen „den Mieter“ gefordert.

Tatbestandlich unklar ist hierbei, ob bei Mietermehrheit ein Titel gegen alle Mieter

bestehen muß.

Dafür könnte sprechen, daß nach Sinn und Zweck der Norm die

Räumungsvereitelung durch Besitzeinräumung an einen Dritten verhindert werden

soll.

Wenn bei Mietermehrheit bereits nicht alle Mieter zur Räumung verurteilt sind,

besteht für eine Räumungsverfügung kein Bedürfnis, da es noch besitzberechtigte

Mieter gibt.54

Außerdem ist offen, ob mit dem „Mieter“ iSd. Norm auch Untermieter gemeint sind. Dafür könnte sprechen, daß

auch durch besitzbegründende Untervermietungen die Räumung der Wohnung vereitelt werden kann. Wären auch

die Untermieter erfaßt, müsste gegen diese ein Räumungstitel vorliegen, und zwar ungeachtet der u.U. fehlenden

Berechtigung des Hauptmieters zur Untervermietung (siehe § 540 Abs. 1 BGB) und der fehlenden Kenntnis des

Vermieters von der Besitzbegründung bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung. 55 In solchen Fällen wäre aber

Sinn und Zweck der Norm ebenfalls verfehlt. Daher ist anzuraten, statt an „den Mieter“ in § 940a Abs. 2 ZPO-E an

„alle Hauptmieter“ anzuknüpfen. Zudem sollte zusätzlich geregelt werden, daß der Vermieter von dem

Untermietverhältnis keine Kenntnis gehabt haben darf.56

53 Siehe zur Differenzierung m.w.N. auch Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 251, 252 f. 54 Vgl. dazu auch Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 424; abw. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 253. 55 Siehe zur Änderung des § 940a Abs. 2 ZPO-E durch BT-Beschluß vom 13.12.2012 nur die

Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 23 sowie S. 34 f. (Begründung der Beschlußempfehlung). Dies wird damit begründet, daß der für die Kenntnis des Vermieters maßgebliche Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung nicht nur in der Gesetzesbegründung Eingang finden soll, sondern auch im Gesetzestext selbst. So soll der „erleichterte Weg zu einem Räumungstitel“ nur dann gerechtfertigt sein, wenn „der Vermieter mangels Kenntnis nicht schon das Hauptsacheverfahren auf den Mitbesitzer erstrecken konnte“ (so S. 35).

56 Vgl. zur Problematik Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 424; N. Fischer, DGVZ 2012, S. 151 ff., 155; s. zur Notwendigkeit eines fehlenden Besitzrechts des Dritten Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 254 f.; s.a. Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.2.a.ee. (mit dem zutreffenden Hinweis auf die nötige fehlende Besitzkenntnis).

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 14

Angesichts dieser dogmatischen Unklarheiten stellt sich die Frage, ob das

Regelungsanliegen nicht anderweitig besser (d.h. systemkonformer) hätte

umgesetzt werden können.

An dieser Stelle darf ich auf einen bereits vorliegenden Vorschlag verweisen, der

das Regelungsvorbild des § 93 ZVG (iVm. § 869 ZPO)57 aufgreift:

Danach kann aus dem Zuschlagsbeschluß in der Zwangsversteigerung die

Zwangsvollstreckung auf Räumung und Herausgabe gegen den

Grundstücksbesitzer stattfinden.

Wenn man eine solche Räumungsmöglichkeit gegenüber Dritten auch außerhalb

der Zwangsversteigerung schaffen würde, wäre die problematische Neuregelung

des § 940a Abs. 2 ZPO-E obsolet.

In einem solchen Fall sollte zugleich eine Möglichkeit für Dritte geschaffen

werden, dem Räumungsrechtsstreit zwischen Vermieter und Mieter beizutreten,

um sich bereits im Räumungsprozeß als Streithelfer des Mieters beteiligen zu

können.

Anzuraten ist zudem, zusätzlich in § 765a ZPO zu regeln, daß auch Belange dieser Personen der Räumung

(zumindest temporär) entgegenstehen können; als Regelungsvorbild könnte insoweit § 758a Abs. 3 S. 2 ZPO dienen

(„Unbillige Härten gegenüber Mitgewahrsamsinhabern sind zu vermeiden.“).58

Besonderheiten sind auch bei dem Verfügungsgrund festzustellen.59

57 § 93 Abs. 1 S. 1 ZVG lautet: „Aus dem Beschlusse, durch welchen der Zuschlag erteilt wird, findet gegen

den Besitzer des Grundstücks oder einer mitversteigerten Sache die Zwangsvollstreckung auf Räumung und Herausgabe statt.“

58 Siehe zu diesem Vorschlag bereits Schuschke, NZM 2005, S. 681 ff., 686; s.a. N. Fischer, DGVZ 2007, S. 111 ff., 120; N. Fischer, DGVZ 2010, S. 113 ff., 120 f.; jeweils m.w.N.

59 Vgl. dazu auch Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 424.

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Fraglich ist, ob ein solcher (Verfügungsgrund iSv. §§ 940, 936, 917, 918 ZPO als Grund für eine

Eilentscheidung) bei § 940a Abs. 2 ZPO-E überhaupt noch erforderlich ist, wenn allein

der Normtatbestand für den Erlaß der Räumungsverfügung maßgebend sein soll.60

Aufgrund der Autonomie dieses Tatbestandes ist insbesondere keine Beschränkung des richterlichen

Prüfungsumfangs wie bei § 940 ZPO zu erkennen, da insoweit verschiedene Voraussetzungen bestehen.61 Entgegen

der Gesetzesbegründung könnte daraus der Verzicht auf das (dogmatische) Erfordernis eines Verfügungsgrundes

geschlossen werden.62

cc) Rechtsfolge des § 940a Abs. 2 ZPO-E

Fraglich ist schließlich auch, ob und welche zusätzlichen Anforderungen die

Rechtsprechungspraxis ausbilden wird, um das auf der Rechtsfolgenseite der Norm

angelegte Ermessen („darf angeordnet werden“) auszufüllen.63

Ausweislich der - insoweit schweigenden - Gesetzesbegründung64 und der

bisherigen Stellungnahmen65 sind die Kriterien der Ermessensausübung (wenn man

ein solches Ermessen überhaupt annehmen will) bisher völlig offen.

b) Räumungsverfügung bei Mißachtung der Sicherungsanordnung (§ 283a ZPO-E) nach § 940a

Abs. 3 ZPO-E

aa) Mißachtungssanktion als Regelungsanlaß

Ich komme nunmehr zur zweiten Räumungsverfügung.

60 Siehe die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 33 f.; vgl. (noch) zu § 940a Abs. 3 ZPO-RefE m.w.N.

Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 264 f. 61 Vgl. Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 424. 62 Siehe die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 34 („der erleichterte Weg zu einem Räumungstitel mit

Hilfe der einstweiligen Verfügung ist gerechtfertigt“); s. dagegen Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 253 f. („typisierte Bedingungen“ als „anderer Grund“ iSv. § 940 ZPO).

63 Vgl. dazu nur den Hinweis von Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 255, auf den begrenzten Rechtszug in einstweiligen Verfügungsverfahren (siehe § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO). Krit. bzgl. einer Ermessensausübung Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.2.a.ee.

64 Siehe die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 33 f., 34 („kann angeordnet werden“). 65 Vgl. etwa Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 423 f., 423 („Möglichkeit...positiv normiert“); dagegen Streyl,

NZM 2012, S. 249 ff., 253, der als „ungeschriebene Bedingung“ des § 940a Abs. 2 ZPO-(Ref)E fordert, daß es „dem Vermieter nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen ist, den Besitzer im Räumungsprozeß gegen den Mieter mit zu verklagen.“ Dabei kritisiert Streyl (a.a.O., S. 253 f.) den Zeitpunkt der letzten mdl. Verhandlung als einerseits zu weit (wegen der Möglichkeit der Mieterbefragung) und anderseits als zu eng (wegen der Möglichkeit der Prozeßverzögerung) und stellt auf eine „Einzelfallbetrachtung“ ab.

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Diese ist in § 940a Abs. 3 ZPO-E geregelt66 und kann bei Mißachtung der

Sicherungsanordnung nach § 283a ZPO-E ergehen.

Das MietRÄndG sieht in § 283a ZPO-E die Möglichkeit vor, eine sog. Sicherungsanordnung als

Sicherungsmaßnahme beim Prozeßgericht zu beantragen.67 Die Sicherungsanordnung (iSv. § 283a ZPO-E) ist vom

Prozeßgericht dann anzuordnen, wenn „eine Räumungsklage mit einer Zahlungsklage aus demselben

Rechtsverhältnis verbunden“ wird. Dies ist bezogen auf „die Geldforderungen, die nach Rechtshängigkeit der Klage

fällig geworden sind“.68 Diese Regelung ist ausweislich ihres Wortlautes und der Entwurfsbegründung ausdrücklich

auf die Wohnraummiete (§ 549 BGB) beschränkt. Fraglich ist daher auch eine Anwendung des § 940a Abs. 3 ZPO-

E bei der Gewerberaummiete69 unter den strengen Prämissen der (derzeitigen) OLG-Rechtsprechung70.

Ausweislich der Gesetzesbegründung soll das „Instrument der

Sicherungsanordnung“ dazu dienen, „den tatsächlichen Wert des Titels über die

nach Rechtshängigkeit fällig werdenden und bis zum Urteil auflaufenden

Forderungen nach deren Fälligkeit zu sichern“71.

Nach der Intention des BMJ soll diese Bestimmung den wirtschaftlichen Schaden

des Vermieters bei späterer Zahlungsunfähigkeit des Mieters begrenzen.

66 Das gilt (ausweislich des Wortlautes) dann, wenn Räumungsklage wegen Zahlungsverzuges erhoben ist.

Siehe dagegen die Begründung zu § 940a Abs. 3 ZPO-E, die ausdrücklich auf Verfügungsanspruch („Anspruch auf Räumung der Wohnung“) und Verfügungsgrund („Verstoß gegen die Sicherungsanordnung“) abstellt, BT-Dr. 17/10485, S. 34 f.

67 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 2, 10, 15, 27 ff.; vgl. zur Hinterlegungsanordnung gem. § 302a ZPO-RefE Deutscher Mietgerichtstag, NZM 2012, S. 75 ff., 77 (auch zur systematischen Fehlstellung der Norm); DAV, NZM 2012, S. 105 ff., 108 (gänzlich ablehnend); Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff., 162 f.; Fleindl, NZM 2012, S. 57 ff., 63 f.; Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 256 ff.; Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 420 ff. Kaum thematisiert wird die Zuständigkeitsfrage: Hier ist sinnvollerweise das Gericht zuständig, das auch die Sicherungsanordnung erlassen hat (d.h. das örtlich und sachlich für die Räumungs- und Zahlungsklage zuständige Gericht). Dafür spricht nicht nur der tatbestandliche Zusammenhang zwischen beiden Normen, sondern auch die (neue) Regelungssystematik von § 283a Abs. 1 ZPO-E, da die Sicherungsanordnung auf Räumungssachen beschränkt worden ist (s.a. Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.1.b.aa., 2.b.bb.).

68 Siehe zur Änderung von § 283a Abs. 1 ZPO-E durch BT-Beschluß vom 13.12.2012 nur die Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 19 sowie S. 33 f. (Begründung der Beschlußempfehlung).

69 Vgl. (z.T. zum RefE) Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 163; s.a. Hinz, in seiner „Stellungnahme“ im Rahmen der Sachverständigenanhörung, 2012, S. 47; Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 268; krit. bzgl. § 940a Abs. 3 ZPO-E Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.1.b.bb.

70 Siehe für die Judikatur bzgl. der (engen) Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Räumungsverfügung in Gewerberaummietsachen z.B. OLG Hamm NJW-RR 1990, S. 1236 f., 1236; s.a. Zöller, 27. Aufl., Vollkommer zu § 940 ZPO, Rn. 8 m.w.N.

71 So die Gesetzesbegründung BT-Dr. 17/10485, S. 27 (zu § 283a ZPO-E). Diese verweist auch darauf, daß „gerade bei einer Klage auf künftige Leistung gemäß § 259 ZPO“ solche Sicherungsmaßnahmen „notwendig“ seien (S. 27); s.a. S. 34 f. (zu § 940a Abs. 3 ZPO-E). Vgl. zur Rechtshängigkeit §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO sowie zur Rückwirkung der Zustellung § 167 ZPO.

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Hier wird an die Fälle gedacht, bei denen mißbräuchlich auf (vermeintliche)

Mängel und die Minderung nach § 536 BGB abgestellt wird

- und dem Vermieter durch die spätere Zahlungsunfähigkeit des die Miete

zurückhaltenden Schuldners ein Schaden entsteht.72

§ 940a Abs. 3 ZPO-E ist jedoch bereits intensiv kritisiert worden, gerade im

Hinblick auf Tauglichkeit und Angemessenheit.73

Insbesondere stellt sich hier die Grundsatzfrage, ob der Gesetzgeber mit der

Räumungsvollstreckung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nicht in

unverhältnismäßiger Weise in die (verfassungsmäßigen) Rechte des Mieters

eingreift.

Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß die Folgen des § 940a Abs. 3 ZPO-E im

Gegensatz zu denen des § 283a ZPO-E irreversibel sind.

Im Ergebnis erhält der Vermieter die Möglichkeit, einen Räumungstitel gegen den

Mieter allein im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu erlangen und zwar

unter eindeutiger Vorwegnahme der Hauptsache.74

Dies ist insbesondere unter verfassungsrechtlichem Aspekt zu hinterfragen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen „Räumungsvollstreckungs-

Entscheidungen“75 die Rechte des Mieters aus Art. 13 (Abs. 1 GG) und Art. 14

(Abs. 1) GG betont

72 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 2, 15, 27 f. 73 Siehe insb. Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff., 162 f.; s.a. Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 424 ff.

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und dabei auch die Bedeutung einer verfassungsrechtskonformen

Verfahrensgestaltung hervorgehoben.

Insbesondere diese verfassungsrechtlichen Anforderungen gilt es bei einer

Abwägung des Räumungsinteresses des Vermieters gegenüber dem Besitzinteresse

des Mieters zu berücksichtigen.

Nach den Erkenntnissen aus den „Unterlassungsvollstreckungsentscheidungen“76

des Bundesverfassungsgerichts bestehen jedenfalls verfassungsrechtliche

Bedenken,

wenn bereits ein schuldloser Verstoß gegen eine gerichtliche Anordnung zu

gravierenden Sanktionen für den Vollstreckungsschuldner führen kann (hier der

Verlust des Sachbesitzes des Mieters an der Wohnung, vgl. Artt. 13, 14 GG).

Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen können grundsätzlich auch für einen

schuldlosen Verstoß gegen die Sicherungsanordnung herangezogen werden.

Entgegen dem kurzen Hinweis in der Gesetzesbegründung77 ist eine solche

verfassungsdeterminierte Interessenabwägung gerade nicht zu erkennen.

Vielmehr wird in der Tatbestandskonstellation des § 940a Abs. 3 ZPO-E den

Vermieterinteressen stets der Vorrang eingeräumt.

Nach der Intention des BMJ setzt sich der Mieter bei Nichtbefolgung der

Sicherungsanordnung einem „erhöhten Verdacht der Verzögerungsabsicht“ aus.78

74 So auch Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 424; s.a. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 253 (Abzielen auf „eine

endgültige Regelung bzw. Befriedigung des Vermieters“). 75 Siehe BVerfGE 52, 214 ff.; 89, 1 ff.; s. dazu hier nur N. Fischer, Vollstreckungszugriff als

Grundrechtseingriff, 2006, S. 115 ff. m.w.N. 76 Vgl. BVerfGE 20, 323 ff.; 58, 159 ff.; 84, 82 ff.; dazu m.w.N. N. Fischer, Vollstreckungszugriff als

Grundrechtseingriff, 2006, S. 140 ff.; s.a. S. 230 ff. (zu Art. 13 GG), S. 232 ff. (zu Art. 14 GG). 77 Siehe BT-Dr. 17/10485, S. 34 f.

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Dies ist jedoch für eine Interessenabwägung, die stets auch verfassungsrechtlichen

Anforderungen genügen muß, nicht ausreichend.

Insbesondere reicht der Verdacht selbst bereits für die Räumungsverfügung aus, ohne daß dieser Verdacht noch

erfolgreich ausgeräumt werden kann. Dies liegt darin begründet, daß die Mißachtung der Sicherungsanordnung nach

§ 940a Abs. 3 ZPO-E tatbestandlich ausreicht, wenn Räumungsklage wegen Zahlungsverzuges erhoben worden ist.

Auch die systematische Verweisung auf § 283a ZPO-E hilft hier nicht weiter, da diese Norm (in ihrer letzten

Fassung) voraussetzt, daß eine Räumungsklage mit einer Zahlungsklage aus demselben Rechtsverhältnis verbunden

wird. Die Erhebung einer Räumungsklage wegen Zahlungsverzuges ist aber bereits Tatbestandsvoraussetzung für §

940a Abs. 3 ZPO-E. Auch das Zusammenspiel dieser beiden Normen (§ 283a ZPO-E und § 940a Abs. 3 ZPO-E)

führt also nicht dazu, daß der auf dem Mieter liegende Verdacht noch ausgeräumt werden kann.

Zusätzlich wirft gerade die gewählte Verfahrensgestaltung durch das Instrument

des einstweiligen Rechtsschutzes Probleme auf:79

Die Räumungsverfügung stellt sich gerade nicht als nur temporäre (Regelungs-

oder) Sicherungsmaßnahme dar.

Sie führt vielmehr bereits zur Räumung außerhalb des vom Gesetzgeber

vorgesehenen Klageverfahrens und ohne dessen verfahrensmäßige Sicherungen in

Gestalt des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) im Rahmen einer mündlichen

Verhandlung (§§ 128 Abs. 1, 279 ZPO).

Im Gegensatz zum RefE, bei dem die Hinterlegungsanordnung zudem nicht angreifbar war (§ 302a Abs. 7 ZPO-

RefE), hat das MietRÄndG (seit dem RegE) immerhin eine Kontrollmöglichkeit bezüglich der Sicherungsanordnung

durch sofortige Beschwerde vorgesehen (vgl. § 283a Abs. 1 S. 4 ZPO-E und § 567 Abs. 1 ZPO).80

Ausweislich der Gesetzesbegründung81 hat sich zwar auch das BMJ Gedanken um

das Problem des eingeschränkten Mieterrechtsschutzes gemacht.

78 So die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 34. 79 Siehe Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 424, der auf Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 103 Abs. 1 GG hinweist. 80 Vgl. zu § 302a Abs. 7 ZPO-RefE S. 45 f. RefE; vgl. zur Kritik daran z.B. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 266

f.; s. zu § 283a Abs. 1 S. 4 ZPO-RegE S. 43 RegE (zur Notwendigkeit einer Überprüfung) sowie BT-Dr. 17/10485, S. 29 f.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 20

Diesbezüglich verweist die Begründung auf die nach § 940a Abs. 4 ZPO-E

gebotene Anhörung, die mündlich, aber auch schriftlich erfolgen kann.

Eine solche Anhörung gewährleistet aber nicht in gleicher Weise wie eine

mündliche Verhandlung ein der Eingriffsschwere angemessenes rechtliches Gehör

für den Mieter.

Dagegen sprechen auch die fehlenden direkten Klärungs- und

Vergleichsmöglichkeiten.82

Jedoch könnte der Mieter die verfahrensrechtlichen Defizite des Eilverfahrens

durch Einlegung eines Widerspruchs beheben, da dieser zur mündlichen

Verhandlung führt (vgl. §§ 924, 925, 936 ZPO).

Fraglich ist auch, ob der Mieter durch einen parallelen Antrag auf einstweilige

Einstellung der Zwangsvollstreckung (gemäß §§ 924 Abs. 3 S. 2, 936, 707 Abs. 1

S. 1 ZPO) tatsächlich hinreichend geschützt ist, wie die Gesetzesbegründung

annimmt83.

Dagegen spricht, daß die Vollziehung der Räumungsverfügung durch den

Widerspruch nicht gehemmt wird (§§ 924 Abs. 3 S. 1, 936 ZPO),

und die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung vom Ermessen des

Gerichts abhängig ist (vgl. §§ 924 Abs. 3 S. 2, 936, 707 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Dessen Interessenabwägung wird aber von den Wertungen des

Reformgesetzgebers beeinflußt werden.

81 Siehe BT-Dr. 17/10485, S. 35. 82 Vgl. Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 426; s. zu aus Art. 103 Abs. 1 GG abgeleiteten Anhörungspflichten nur

Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 16. Aufl., S. 523 (s.a. S. 526 zur Form der Anhörung).

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 21Ob die ebenfalls von der Gesetzesbegründung genannte Möglichkeit des § 939 ZPO („Aufhebung gegen

Sicherheitsleistung“) aufgrund der geringen praktischen Anwendung dieser Norm weiterhelfen wird, ist fraglich.84

Deutlich wird jedenfalls, daß der Mieter Rechtsbehelfe einlegen muß, um die ihn

vor Räumung schützenden Vorschriften geltend machen zu können

– der materielle Mieterschutz wird also prozessual geschwächt.

Weiterhin argumentiert die Gesetzesbegründung wenig überzeugend (u.a.) damit,

daß der Anreiz, „den Zivilprozeß als Instrument zu mißbrauchen“, gemindert

werden soll.85

Dieser Argumentationstopos weist letztlich auf das jedem (rechtsstaatlichen)

Gerichtsverfahren immanente Problem der Gewährung von „Justizkredit“ hin.

Geradezu verräterisch ist die Gesetzesbegründung, soweit sie die „besonderen

Belastungen“ des Gläubigers (nur) mit „Liquiditätsschwierigkeiten“

und dem „Risiko der Insolvenz am Ende eines längeren Gerichtsverfahrens“

identifiziert86.

Es ist mehr als fraglich, ob dieses allgemeine Risiko eines jeden (klagenden)

Gläubigers weitgehende Eingriffe in den effektiven Rechtsschutz eines Beklagten

(hier des Mieters, dem der Verlust der Wohnung als Lebensmittelpunkt droht)

verfassungsrechtlich rechtfertigen kann.

Zu hinterfragen ist ebenfalls die behauptete Sonderstellung des klagenden

Vermieters, etwa im Vergleich zu einem Werkunternehmer (vgl. §§ 631 ff. BGB).

83 Siehe BT-Dr. 17/10485, S. 35. 84 Vgl. zur Begründung des § 940a Abs. 4 ZPO-E BT-Dr. 17/10485, S. 35; dazu krit. Zehelein, WuM 2012, S.

418 ff., 426. 85 So die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 15. 86 Siehe BT-Dr. 17/10485, S. 28; Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 261; Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.1.b.bb.

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Diesem droht bei einem Baumängelprozeß ebenfalls die Gefahr einer langen

Verfahrensdauer mit teuren und langwierigen Sachverständigenbegutachtungen.87

Umgekehrt ist auch der beklagte Mieter oft darauf angewiesen, seine

Mängeleinreden prozessual zu klären, so daß das Risiko und die Unwägbarkeit des

Verfahrensausgangs auch ihn trifft.

Daher sind selbst angesichts der Leistungspflicht des Vermieters (nach § 535 Abs.

1 BGB) hier keine derart weitgehenden verfahrensrechtlichen Privilegierungen (zu

dessen Gunsten) gerechtfertigt.

Vielmehr können und müssen diese Fragen letztlich auch mit dem Hinweis auf die (freiwillige) Auswahl des

Vertragspartners nach der Devise „Trau, schau, wem“ beantwortet werden.

bb) Tatbestand des § 940a Abs. 3 ZPO-E

Weiterhin werfen auch der Anwendungsbereich sowie die

Tatbestandsvoraussetzungen des § 940a Abs. 3 ZPO-E Fragen und Probleme auf.88

Notwendig, aber auch ausreichend für die Räumungsverfügung ist, daß eine

Räumungsklage erhoben und eine Sicherungsanordnung (nach § 283a ZPO-E)

mißachtet wurde.

Voraussetzung für die Sicherungsanordnung (in ihrer letzten Fassung) wiederum

ist, daß „eine Räumungsklage mit einer Zahlungsklage aus demselben

Rechtsverhältnis verbunden“ wird.89

87 Vgl. Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 424 f.; s.a. Artz, Stellungnahme, 2012, S. 8 f. 88 Eine weitere Besonderheit des § 940a Abs. 3 ZPO-E gegenüber dem regulären Räumungsverfahren liegt

gerade in der Kürze der Tatbestandsvoraussetzungen. Siehe dazu Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 425. 89 Vgl. zur Änderung von § 283a Abs. 1 ZPO-E durch BT-Beschluß vom 13.12.2012 nur die

Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 19 sowie S. 33 f. (Begründung der Beschlußempfehlung). Hier ist angesichts der Limitierung des § 283a ZPO-E auf Räumungssachen zu fordern, daß beide Ansprüche in demselben Verfahren geltend gemacht werden (und

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Ein Zuwachs an normativer Klarheit wird mit dieser tatbestandlichen

Doppelung im Rahmen der beiden Normen (§§ 940a Abs. 3, 283a ZPO-E) jedoch

nicht erreicht.

Gemäß der Begründung des Rechtsausschusses wird durch die Änderung von §

283a Abs. 1 ZPO-E der Anwendungsbereich der Sicherungsanordnung auf

Räumungssachen beschränkt.

Danach soll die Norm nur für Geldforderungen anwendbar sein, die aus demselben

Rechtsverhältnis herrühren, wegen dessen Nichterfüllung die Räumung betrieben

wird.

Damit ist (zunächst und probeweise) die Limitierung der Anwendung auf den

Bereich des Miet- und Pachtrechts bezweckt,

da nur dort die Schutzbedürftigkeit des Klägers gesehen wird.90

Bedarf für eine Sicherungsanordnung wegen Forderungen, die während der Rechtshängigkeit fällig geworden sind,

wird bei Unterhaltsleistungen nicht gesehen, da diesbezüglich eine einstweilige Anordnung gemäß §§ 246 ff.

FamFG beantragt werden könne.91 Sieht man die Voraussetzungen von § 283a Abs. 1 ZPO-E und § 940a Abs. 3

ZPO in einem systematischen Zusammenhang (was § 940a Abs. 3 ZPO-E erfordert), ist die tatbestandliche

Doppelung jedenfalls für die Räumungsverfügung nach § 940a Abs. 3 ZPO letztlich entbehrlich.92

Auch hier kann die behauptete Sonderstellung des klagenden Vermieters, etwa im

Vergleich zu einem Werkunternehmer, bezweifelt werden.

Der Anwendungsbereich von § 283a ZPO-E bereitet jedoch auch nach den letzten

Wortlautänderungen Probleme.

nicht nur in einem zeitlichen Zusammenhang) und die Räumungsklage auf den Verzug mit den Leistungen aus der Zahlungsklage gestützt wird (s.a. Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.1.b.bb.).

90 So die Begründung (S. 33 f.) zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 4; s.a. S. 30 (Sicherungsanordnung als Systembruch).

91 Siehe dazu die Begründung zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 34.

92 Ungeachtet dessen weist die Begründung zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 34, auf die Möglichkeit der Räumung im Wege der einstweiligen Verfügung hin.

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Zunächst fällt auf, daß das Tatbestandsmerkmal der „wiederkehrenden Leistung“

(iSv. § 258 ZPO) in § 283a ZPO-E nicht vorkommt, obwohl die

Gesetzesbegründung darauf abstellt.93

Gemäß § 283a Abs. 1 S. 1 ZPO-E soll die Sicherungsanordnung bezüglich solcher

Geldforderungen ergehen, die „nach Rechtshängigkeit der Klage fällig geworden“

sind (vgl. zur Fälligkeit § 556b Abs. 1 BGB).

Nach S. 1 Nr. 1 der Norm muß sich „die Klage auf diese Forderungen“ beziehen.

Ausgehend vom Wortlaut wären nur Klagen auf künftige Leistung nach § 259 ZPO

(„Klage wegen Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung“) sowie Klageerweiterungen

vom Anwendungsbereich erfaßt.

Das ist aber gerade nicht die Intention des BMJ.94

Die Gesetzesbegründung zielt vielmehr darauf ab, daß mit § 283a ZPO-E die

während des Räumungsverfahrens auflaufenden Mietzahlungen gesichert werden

sollen.95

Dies spiegelt der Gesetzeswortlaut aber gerade nicht wider.

Danach kann die Sicherungsanordnung nur dann ergehen, wenn die (Zahlungs-) Klage auf die nach

Rechtshängigkeit fällig werdenden Forderungen erhoben wurde.96

93 Vgl. die Gesetzesbegründung BT-Dr. 17/10485, S. 28 („wiederkehrende Zahlungsleistungen“). Vgl. zu

diesem Widerspruch und der fehlenden Anwendbarkeit des § 258 ZPO auf Mietzahlungen wegen der Abhängigkeit von der Gebrauchsgewährungspflicht Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 420; s.a. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., S. 257 f.; grds. Henssler, NJW 1989, S. 138 ff. m.w.N.

94 Ausweislich der Gesetzesbegründung soll § 283a ZPO-E bei Klagen auf künftige Leistung und dabei „vor allem“ auf wiederkehrende Leistungen anwendbar sein, s. BT-Dr. 17/10485, S. 28.

95 Vgl. BT-Dr. 17/10485, S. 27 f. (S. 27: „Das neue Instrument der Sicherungsanordnung soll den tatsächlichen Wert des Titels über die nach Rechtshängigkeit fällig werdenden und bis zum Urteil auflaufenden Forderungen nach deren Fälligkeit sichern.“); s.a. Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 420 (zu § 546a BGB).

96 Auf diesen Widerspruch hat insbesondere Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 420, hingewiesen.

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Damit wird der Anwendungsbereich von § 283a ZPO-E auf die klageweise

Geltendmachung künftiger Geldforderungen begrenzt.97

Abgesehen von diesem Widerspruch (zwischen Wortlaut und Begründung des

Gesetzes) werfen auch die weiteren Tatbestandsmerkmale von § 283a ZPO-E

Fragen auf.

Eine Sicherungsanordnung soll (nach § 283a Abs. 1 S. 1 ZPO-E) zum einen bei

„hoher Erfolgsaussicht” der Klage erlassen werden können,

zum anderen ist für die Anordnung erforderlich, daß diese bei „Abwägung der

beiderseitigen Interessen“ „zur Abwendung besonderer Nachteile” für den Kläger

gerechtfertigt ist.

Auslegungsprobleme bereitet dabei vor allem das - bisher prozessual unbekannte -

Tatbestandsmerkmal der „hohen Aussicht auf Erfolg“ (§ 283a Abs. 1 S. 1 Nr. 1

ZPO-E) - etwa im Gegensatz zur „hinreichenden Erfolgsaussicht“ iSv. § 114 S. 1 ZPO.

Dieses Tatbestandsmerkmal soll nach dem Willen der Gesetzesverfasser vorliegen,

wenn die (rechtshängige) Klage nach einer prognostischen Würdigung (ganz oder

teilweise) Erfolg haben wird.

Danach soll das Gericht eine Prognose (vgl. dazu auch §§ 91a Abs. 1 S. 1, 114 S. 1

ZPO) zum Verfahrensausgang treffen „nach dem Vortrag der Parteien und

eventuellen Beweisergebnissen“.

97 Unklar ist damit, ob der Vermieter für die Sicherungsanordnung nach § 283a ZPO-E zugleich stets

(streitwert- und risikoerhöhend) Klage auf künftige Leistung erheben muß – oder ob dies angesichts der Gesetzesbegründung entbehrlich ist. Dazu Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 420, der insoweit maßgeblich auf den Wortlaut abstellt; s.a. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 257 f. („offener Tatbestand“) sowie S. 259 (Notwendigkeit der Klageerhebung gem. §§ 257 ff. ZPO).

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 26Dabei habe es „seine Einschätzung zur Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen

Rechtsfragen, zum Maß der verbleibenden Unklarheiten und gegebenenfalls zum Beweiswert noch nicht

ausgeschöpfter Beweisangebote“ zugrunde zu legen.98 Soweit dabei auch eine Orientierung am Maßstab des § 286

ZPO erfolgen soll, ist letztlich ein Beweismaß gefordert, das zwar die Anforderungen des Vollbeweises

unterschreitet, jedoch diejenigen einer der Glaubhaftmachung iSv. § 294 ZPO überschreitet (arg. ex § 283a Abs. 1 S.

2 ZPO-E).99

Dies impliziert die Notwendigkeit, für die „hohen Erfolgsaussichten“ (iSv. § 283a

Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO-E) eine große Wahrscheinlichkeit (für den Hauptprozeß) zu

fordern, daß die (vom Mieter) behaupteten Mietmängel nicht vorliegen.

Dies zwingt den Richter aber zu einer sehr frühzeitigen Prognose bezüglich der

möglichen Beweisergebnisse

– und führt damit zu einer Wahl zwischen Scylla und Charybdis.100

Entweder das Gericht billigt dem (klagenden) Vermieter im Wege der

Vorwegnahme der Beweiswürdigung (vgl. §§ 279 Abs. 3, 370 ZPO) zu, daß seine

Zahlungsansprüche durchgreifen

oder es stellt (zu) hohe prognostische Anforderungen an den Klageerfolg.

In beiden Fällen ist ein Ablehnungsgesuch wegen einer Befangenheitsbesorgnis (§

42 ZPO) nicht unwahrscheinlich.

Abgesehen davon (prozeßleitungserschwerende Wirkung) wird die

Sicherungsanordnung gerade in denjenigen Fällen nicht greifen, in denen der

Mieter substantiiert Mängel darlegt.

98 So BT-Dr. 17/10485, S. 28; s.a. m.w.N. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 259 f.; Fleindl, NZM 2012, S. 57 ff.,

64; Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 259; Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.1.b.bb. (Bezug zur Geldforderung). 99 Vgl. dazu insb. Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff., 162; s.a. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 259 („wird die hohe

Aussicht auf Erfolg dem Vollbeweis nahe kommen müssen“). 100 So auch Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff., 162; s.a. die Stellungnahme des DAV, NZM 2012, S. 105 ff., 108.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 27

In diesen Fällen ist eine Prognose über das voraussichtliche Beweisergebnis

kaum sinnvoll möglich.101

Es bleiben also für eine erfolgreiche Beantragung der Sicherungsanordnung im

wesentlichen Zweifelsfälle (unsubstantiierten Mängelvortrags), in denen das

Gericht auch die Hauptsache rasch entscheiden könnte.102

Daher wäre gerade in einer Beratungssituation sorgsam abzuwägen, ob ein Antrag

auf Erlaß einer Sicherungsanordnung überhaupt ratsam ist, um rasch zu einer

Entscheidung zu kommen.103 Dies gilt ganz abgesehen von der Gefahr unsystematischer bis willkürlicher

Entscheidungen zum Vorliegen der „hohen Erfolgsaussicht“104.

Neben den Tatbestandsmerkmalen des § 283a ZPO-E bereitet auch die

Formulierung des Tatbestandes von § 940a Abs. 3 ZPO-E dogmatische und

praktische Probleme:

Der Wortlaut dieser Norm führt dazu, daß die Prüfung einer

zahlungsverzugsbedingten Kündigung selbst nicht mehr stattfindet

101 Vgl. m.w.N. Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff., 163; s.a. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 259; Zehelein, vor. WuM

2013, sub II.1.b.bb. (zu verbleibenden Fällen rechtlicher Würdigung). 102 Siehe aber die Gesetzesbegründung des RefE, die allgemein zur Rechtfertigung der Hinterlegungsanordnung

ausführt, daß die „verfügbaren prozessualen Instrumente (...) diese Rechtsschutzlücke“ nicht ausfüllen würden, S. 42 RefE. Dieser Argumentationstopos weist nicht nur auf die Differenz von (theoretischem) Anspruch und (prozessualer) Rechtsverwirklichung hin, sondern auf das jedem (rechtsstaatlichen) Gerichtsverfahren immanente Problem der Gewährung von „Justizkredit“ (s. zu den „besonderen Belastungen“ des Gläubigers S. 43 RegE sowie BT-Dr. 17/10485, S. 28). Siehe krit. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 267; Fleindl, NZM 2012, S. 57 ff., 67.

103 Es verwundert daher nicht, daß der erste Versuch aus dem Jahr 2006 (vgl. BT-Dr. 16/511) eine Art der Hinterlegungsanordnung einzuführen, gescheitert ist: Der (Bundesrats-) „Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz – FoSiG) enthielt in Art. 3 Nr. 5 eine „vorläufige Zahlungsanordnung“ nach § 302a ZPO-E, die bezwecken sollte, die Forderungen des Werkunternehmers effektiv zu sichern (vgl. BT-Dr. 16/511, S. 13). Bemerkenswert ist dabei, daß die „hohe Erfolgsaussicht“ ausweislich des damaligen § 302a Abs. 1 Nr. 1 ZPO-E ebenfalls Tatbestandsmerkmal war. In dem zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Forderungssicherungsgesetz vom 23.10.2008 (BGBl. I 2022) war diese vorläufige Zahlungsanordnung nicht mehr enthalten. Vgl. zur damaligen Kritik auch die BRAK-Stellungnahme Nr. 32/2004 vom September 2004, die die „hohe Erfolgsaussicht“ kritisiert hat (vgl. S. 2: „Die Vorabentscheidung (...) ist dementsprechend ein nicht in die Systematik zivilprozessualer Entscheidungen integrierbarer Fremdkörper“, s.a. S. 11: „kein Raum für eine hinreichend abgesicherte ‚Prognoseentscheidung’“); s.a. Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 421.

104 Siehe demgegenüber die diesbezüglich positivere Stellungnahme des DGVB v. 24.01.2012, S. 2.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 28(Vorliegen von Kündigungserklärung und Kündigungsgrund samt Interessenabwägung, vgl. § 543

Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 3 BGB). Selbst der Verweis auf die prozessuale Systematik des Eilrechtsschutzes gemäß der

Gesetzesbegründung, die auf Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund verweist (vgl. §§ 935, 936, 917, 916

ZPO),105 geht fehl: Trotz der (Regelungs-) Nähe zu § 940a Abs. 1 ZPO-E handelt es sich strenggenommen nicht um

eine Regelung gem. § 935 ZPO oder nach § 940 ZPO, sondern um einen auch prozessual völlig eigenständigen

Tatbestand, der tatbestandlich nicht das Bestehen eines materiellen Räumungsanspruches voraussetzt (s.o.). Dem

entspricht aber nicht die Gesetzesbegründung, wonach der Verfügungsanspruch der Anspruch auf Räumung der

Wohnung sein soll.106 Eine konsequente Fortschreibung dieser Überlegung wäre es daher, das Bestehen des

Räumungsanspruchs explizit im Tatbestand des § 940a Abs. 3 ZPO-E zu regeln.107 Die Prüfung, ob dieser Anspruch

besteht, ist nach Sinn und Zweck von § 940a Abs. 3 ZPO-E aber gerade nicht intendiert: Die Räumungsverfügung

bezieht sich tatbestandlich auf die Sicherungsanordnung nach § 283a ZPO-E. § 283a ZPO-E wiederum soll dazu

dienen, die Zahlungsansprüche des Vermieters zu sichern, und zwar bis zu deren gerichtlicher Klärung im

Hauptsacheverfahren. Dies begründet einen dogmatischen Widerspruch, wenn gemäß der Gesetzesbegründung die

Räumungsverfügung nach § 940a Abs. 3 ZPO-E nur erlassen werden kann, wenn der Räumungsanspruch als

Verfügungsanspruch vorliegt. Für die Dauer der Prüfung dieses Räumungsanspruchs wurde gerade die

Sicherungsanordnung (zur Absicherung des Klägers) geschaffen. Angesichts dessen würde der Anwendungsbereich

der Räumungsverfügung bei Zahlungsausfall des Mieters stets leer laufen: Das Gericht könnte bei einem Verstoß

gegen die Sicherungsanordnung zwar den Verfügungsgrund bejahen, müsste jedoch den Verfügungsanspruch erst

noch prüfen – und dazu das Hauptsacheverfahren zu Ende führen.108 Fraglich ist auch, wie eine Prüfung im

einstweiligen Rechtsschutzverfahren aussehen soll, da in den typischen Mietmängelfällen die Glaubhaftmachung

nicht weiterführt. Vielmehr hilft hier häufig nur eine Entscheidung nach Einholung eines

Sachverständigengutachtens weiter. Positiv ist hervorzuheben, daß die rechtsstaatlich problematische - und auch von den Sachverständigen gerügte -

verschuldensunabhängige Regelung zu Ordnungshaft und Ordnungsgeld bei einem Verstoß gegen die

Sicherungsanordnung in den letzten Beratungen auf Vorschlag des Rechtssausschusses gestrichen wurde.109 Dies ist

zu begrüßen, da diese Regelung ein Verstoß gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur

Unterlassungsvollstreckung gewesen wäre. Danach erfordert die Verhängung von Ordnungshaft und Ordnungsgeld

Verschulden.110

Nach dem Wortlaut von § 940a Abs. 3 ZPO-E kommt es darauf an, daß eine Räumungsklage erhoben wurde, darauf

eine Sicherungsanordnung erfolgte, der der Mieter nicht Folge geleistet hat.

105 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 34. 106 Siehe BT-Dr. 17/10485, S. 34. 107 Vgl. hierzu Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 425; s.a. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 265 (zur Notwendigkeit

eines Verfügungsanspruchs). 108 Darauf weist treffend Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 425, hin. 109 Siehe dazu die Beschlußempfehlung und Begründung des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr.

17/11894, S. 4 f., 34. 110 Vgl. BVerfGE 20, 323 ff.; 58, 159 ff.; 84, 82 ff.; s. m.w.N. hier nur N. Fischer, Vollstreckungszugriff als

Grundrechtseingriff, 2006, S. 140 ff.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 29

Tatbestandlich ist für § 940a Abs. 3 ZPO-E nicht relevant, ob das

Mietverhältnis beendet wurde oder der Mieter kündigungserheblich in Verzug

geraten ist.111

Der Wortlaut der Norm (§ 940a Abs. 3 ZPO-E) erlaubt zudem keine

Differenzierung zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung wegen

Zahlungsverzuges

(vgl. das Tatbestandsmerkmal „Räumungsklage wegen Zahlungsverzuges“). Somit wäre hier auch eine Räumung

wegen Kündigung aufgrund eines Zahlungsrückstandes im Umfang knapp über einer Monatsmiete (vgl. §§ 543 Abs.

2 S. 1 Nr. 3, 569 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 BGB) möglich.112

Die mieterschützenden, da kündigungseinschränkenden Vorschriften der §§ 543,

569 BGB kommen damit nicht mehr zum Tragen.

Von besonderer Bedeutung ist dies für § 543 Abs. 2 S. 2 BGB und für die sog. Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 (S.

1) BGB (vorherige Befriedigung des Vermieters).

Die (genannten) mietrechtlichen Schutzvorschriften würden auf diese Weise

umgangen.113

Daher führt § 940a Abs. 3 ZPO-E zu einem systematischen Widerspruch zwischen

dem verbesserten Rechtsschutz für den Vermieter und dem sozialen Mietrecht des

BGB.

111 Es stellt sich daher die Frage nach einer Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 940a Abs. 3 ZPO-E

zur Wahrung mieterschützender Regelungen (vgl. §§ 543, 569 BGB). Vgl. m.w.N. Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 425 f.; sowie (zum RefE) Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 163

112 Siehe zur Kritik (noch zum RefE) Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 163; s.a. die insoweit uneinheitliche Stellungnahme des Deutschen Mietgerichtstages, NZM 2012, S. 75 ff., 78. Teilweise wird hier eine Differenzierung zwischen ordentlicher (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und außerordentlicher Kündigung angesichts des insoweit indifferenten Gesetzeswortlauts abgelehnt (so Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.2.b.cc.); a.A. (noch zum RefE) Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff., 163 (mit dem Verweis auf die Unverhältnismäßigkeit einer Räumungsverfügung wegen ordentlicher Kündigung); Hinz, NZM 2012, S. 777 ff., 793; s.a. Artz, in seiner „Stellungnahme“ im Rahmen der Sachverständigenanhörung, 2012, S. 10 (zu § 543 BGB).

113 Vgl. Artz, Stellungnahme, 2012, S. 10; s.a. Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 425 f.; abw. die „Anmerkungen zum Gesetzentwurf“ von Haus&Grund v. 08.10.2012, S. 9 (Regelung soll nur bei „Betrugsfällen“ greifen);

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 30

Zwar könnte die nachträgliche Heilungsmöglichkeit (vgl. §§ 543 Abs.

2 S. 2, 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) unter § 927 ZPO („Aufhebung wegen veränderter

Umstände“) fallen,

jedoch sind die Räumungsfolgen regelmäßig nicht mehr ohne weiteres rückgängig

zu machen. Der Schutz vor fristloser Kündigung wegen kündigungsirrelevantem (bzw. geheiltem) Verzug wird

dadurch aber ausgehebelt.

Ein Vorschlag aus der Praxis lautet daher, daß der Anwendungsbereich von § 940a

Abs. 3 ZPO-E (entgegen dem Wortlaut) auf die Fälle der Räumung aufgrund

außerordentlicher fristloser Kündigung wegen Zahlungsverzuges (gem. § 543 Abs.

2 S. 1 Nr. 3 BGB) beschränkt wird.114

Angesichts dieser zahlreichen Unwägbarkeiten sowohl im Tatbestand der

Sicherungsanordnung als auch der (darauf bezogenen) Räumungsverfügung kann

man (mit Zehelein) die Frage stellen,

ob der Gesetzgeber seine Pflicht, die wesentlichen Anforderungen an eine solche

Eingriffsregelung im Gesetz selbst zu bestimmen, hinreichend beachtet hat.115

cc) Rechtsfolge des § 940a Abs. 3 ZPO-E

Fragen wirft schließlich auch die Rechtsfolge von § 940a Abs. 3 ZPO-E auf (vgl. den

Wortlaut der Norm: „darf…angeordnet werden“).

Fraglich ist insbesondere die Zulässigkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache, die

als solcher jeder Räumungsverfügung immanent ist.116

s.a. Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.1.b.cc. (zum Wegfall der Sicherungsanordnung bzw. Hindernis für die Räumungsverfügung bei Wahrung der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB, sub II.2.b.cc.).

114 So (noch zum RefE) Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 163; s.a. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 265; a.A. Zehelein, vor. WuM 2013, sub II.2.b.cc.

115 Dazu Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 425. 116 Vgl. die Begründung, BT-Dr. 17/10485, S. 35 („den Mieter aus der Wohnung zu zwingen, bevor über seine

Räumungsklage in der Hauptsache entschieden ist“); s.a. (zum RefE) Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 267 f.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 31

Zu überlegen ist, ob der Verstoß gegen die Sicherungsanordnung ausreichen

soll, einen Räumungstitel im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu gewähren

und auf das für einen Räumungstitel grundsätzlich vorgesehene

Hauptsacheverfahren zu verzichten (vgl. dazu den Rechtsgedanken aus § 940a ZPO).117

Es stellt sich angesichts der Gewährleistungen von Art. 13 (Abs. 1 GG) und Art. 14

(Abs. 1) GG die Frage nach einer verhältnismäßigen Einschränkung der

grundrechtlich geschützten Rechtsposition des Mieters.

Insbesondere angesichts der mieterschützenden Rechtsprechung des

Bundesverfassungsgerichts zur Räumungsvollstreckung118

würde ich die Frage der Verhältnismäßigkeit (von § 940a Abs. 3 ZPO-E) hier

verneinen wollen.

2. Vereinfachte Räumungsvollstreckung, §§ 885, 885a ZPO-E

Ich möchte nunmehr - als dritten Aspekt - auf Änderungen der

Räumungsvollstreckung eingehen (wie in §§ 885, 885a ZPO-E geregelt).

Die Vereinfachung der künftigen Durchsetzung von Räumungstiteln soll zum

einen durch Änderungen bei der „klassischen“ Räumungsvollstreckung gemäß §

885 ZPO (vgl. dort Abs. 2-5), zum anderen durch die gesetzliche Regelung der

„Berliner Räumung“ (in § 885a ZPO-E) erfolgen.119

117 Siehe dazu auch die vergleichsweise dürftige Begründung zu § 940a Abs. 3 ZPO-E, die im wesentlichen auf

den „Verstoß gegen die Sicherungsanordnung“ sowie den „erhöhten Verdacht der Verzögerungsabsicht“ des Mieters abstellt, BT-Dr. 17/10485, S. 34 f.

118 Vgl. zur Rechtsprechung des BVerfG zu Artt. 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG (siehe insb. BVerfGE 81, 1 ff.) hier nur N. Fischer, Vollstreckungszugriff als Grundrechtseingriff, 2006, S. 124 ff. m.w.N. Vgl. zu verfassungsrechtlichen Bedenken auch m.w.N. Streyl, NZM 2012, S. 249 ff., 266 f.; Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., S. 424.

119 Weiterhin ungeregelt in diesem Zusammenhang bleibt das schwierige Thema des Umgangs mit Tieren, die in einer zu räumenden Wohnung vorgefunden werden und die Vollstreckungspraxis vor große Probleme stellen, vgl. dazu m.w.N. Schuschke, NZM 2012, S. 209 ff., 212; Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 72.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 32

Bekanntlich werden die (derzeitigen) Regelungen der Räumungsvollstreckung

(von Wohnraum) bereits seit einiger Zeit in Rechtswissenschaft120, Rechtspraxis121

und Rechtspolitik diskutiert.

Dies betrifft insbesondere die Kosten der Vollstreckung, die zu oft dem Vermieter

zur Last fallen (siehe § 13 Abs. 1 Nr. 1 GvKostG).

Nach der Systematik des geltenden § 885 ZPO muß der Gerichtsvollzieher den Mieter als Vollstreckungsschuldner

aus dem Besitz der Wohnung setzen und den Vollstreckungsgläubiger in den Besitz einweisen (§ 885 Abs. 1 S. 1

ZPO). Dabei sind die beweglichen Sachen des Mieters aus der zu räumenden Wohnung zu entfernen (§ 885 Abs. 2

ZPO). Ist eine Herausgabe dieser Gegenstände an den Mieter oder dessen Angehörige nicht möglich, ist eine

(kostenintensive) Verwahrung angezeigt (§ 885 Abs. 3 ZPO). Eine öffentliche Versteigerung ist erst nach Ablauf

von zwei Monaten möglich, vgl. § 885 Abs. 4 ZPO.

Zu praktischen Erleichterungen für den (Vollstreckungs-) Gläubiger hat jedoch die

Rechtsprechung des BGH geführt.

Die sog. Berliner Räumung ist bekanntlich höchstrichterrechtlich anerkannt

worden.

Diese Rechtsprechungslinie zur sog. Berliner Räumung findet sich in verschiedenen BGH-Entscheidungen –

insbesondere ist hier der Beschluß vom 16.07.2009122 zu nennen. Danach kann der Gläubiger die

Räumungsvollstreckung (gemäß § 885 ZPO) auf eine Herausgabe der Wohnung beschränken, wobei er an

sämtlichen in den Räumen befindlichen Gegenständen ein Vermieterpfandrecht (§§ 562 ff. BGB) geltend macht.123

120 Siehe z.B. N. Fischer, WuM 2011, S. 403 ff.; ders., DGVZ 2007, S. 111 ff., 120 f.; ders., FS Blank, 2006, S.

491 ff.; jeweils m.w.N. 121 Vgl. etwa die Stellungnahme des DGVB v. 24.01.2012, S. 2 ff. 122 Az.: I ZB 80/05, NJW-RR 2009, S. 1384 f.; s. dazu ausführlich N. Fischer, WuM 2011, S. 403 ff. m.w.N. 123 Flatow (NJW 2006, S. 1396 ff., 1397) hat im Jahr 2006 (zutreffend) darauf hingewiesen, daß es sich bei dem

„Berliner Modell“ (s. Schuschke, NJW 2006, S. 284 ff. m.w.N.) nicht um einen Fall einer „beschränkten“, sondern einer „erweiterten“ Räumung handelt, da dieses dazu führe, daß der Vollstreckungsgläubiger im Zuge der Vollstreckung in den Besitz (§ 854 Abs. 1 BGB) aller Sachen in der Wohnung des Vollstreckungsschuldners gelange, unabhängig davon, ob diese unpfändbar (vgl. § 562 Abs. 1 S. 2 BGB) sind. Vgl. zu weiteren Kostensenkungsmodellen m.w.N. Hippler, in Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hg.), Handbuch des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 662 ff.; Schwieren, DGVZ 2011, S. 41 ff.; zur Wohnungsräumung nach dem FamFG (seit dem 01.09.2009) Schuschke, NZM 2010, S. 137 ff. m.w.N.

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Ungeachtet dessen geht das BMJ von einem diesbezüglichen Regelungsbedarf

aus, wenn es die vorgeschlagenen Neuregelungen damit begründet, die „Berliner

Räumung“ auf eine gesetzliche Grundlage stellen zu wollen.124

a) Änderungen der „herkömmlichen“ Räumungsvollstreckung gem. § 885 Abs. 2-5 ZPO-E

Eine Neuerung bei § 885 ZPO-E betrifft dessen Abs. 2: Nach § 885 Abs. 2 ZPO-E wird der Personenkreis, der zur

Annahme des aus der Schuldnerwohnung zu entfernenden Mobiliars berechtigt ist, dahingehend ausgeweitet, daß

sämtliche erwachsenen ständigen Mitbewohner des Mieters umfaßt sind.125

Für die Detailänderungen der herkömmlichen Räumungsvollstreckung gemäß §

885 ZPO sei an dieser Stelle nur die sog. Vernichtungsbefugnis des

Gerichtsvollziehers hervorgehoben:

Diese wird in § 885 Abs. 3 ZPO-E geregelt und ermöglicht (in S. 2: „sollen

unverzüglich vernichtet werden“) eine unverzügliche Vernichtung von

beweglichen Schuldnersachen, an deren Aufbewahrung „offensichtlich“ kein

Interesse besteht.

Daneben sorgt S. 1 für eine Erweiterung der Verwahrungsmöglichkeiten des Gerichtsvollziehers.126 Bezüglich des

„offensichtlichen Fehlens eines Aufbewahrungsinteresses“ sieht die Gesetzesbegründung immerhin vor, daß ein

solches Fehlen „nur unter engen Voraussetzungen“ angenommen werden soll, so z.B. bei „gewöhnlichem Abfall

und Unrat“127. Die Entwurfsbegründung sieht eine Ausnahme von der Vernichtungsbefugnis z.B. dann als gegeben

an, wenn der Schuldner im Vorfeld der Räumung sein Interesse an Aushändigung dieser Sachen „substantiiert

dargelegt hat“128.

Kein Fall des offensichtlichen Fehlens des Aufbewahrungsinteresses soll hingegen

bei solchen wertlosen oder gebrauchsunfähigen Sachen vorliegen,

124 Siehe die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 2 f., 15, 31. Dabei sollen jedoch nur die „positiven

Aspekte rechtssicher im Gesetz“ verankert werden (vgl. S. 15), was nahe legt, daß es auch negative Aspekte geben mag. Vgl. zu den Neuregelungen der §§ 885, 885a ZPO-E auch (bezogen auf den RefE) Deutscher Mietgerichtstag, NZM 2012, S. 75 ff., 78; Hinz, ZMR 2012, S. 153 ff., 163 ff.; Fleindl, NZM 2012, S. 57 ff., 65 f.; Schuschke, NZM 2012, S. 209 ff., 213 ff.; Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 69; Zehelein, WuM 2012, S. 418 ff., 422 f.; s. zu § 885a Abs. 2 ZPO-RefE Dötsch, NZM 2012, S. 73 ff.

125 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 30, mit dem Hinweis auf die Anpassung der Rechtslage an die gesellschaftliche Entwicklung; s.a. die insoweit zustimmende Stellungnahme des DGVB v. 24.01.2012, S. 3 (zum RefE).

126 Siehe BT-Dr. 17/10485, S. 30. Siehe (noch zum RefE) Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 71 (Überflüssigkeit der Regelung).

127 So BT-Dr. 17/10485, S. 30.

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„deren weitere Verwertung durch den Schuldner bei Betrachtung durch einen

objektiven Dritten nicht von vorneherein ausgeschlossen werden kann“129.

Diese Sachen sollen vom Gerichtsvollzieher „im Zweifel“ in Verwahrung genommen werden, wenn nicht „konkrete

Anhaltspunkte“ dafür bestehen, daß der Vollstreckungsschuldner diese nicht mehr behalten will.130

Diese Differenzierung mag auf den ersten Blick die Schuldnerinteressen wahren.

Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, daß dies für die

Vollstreckungspraxis schwierige Abgrenzungsfragen aufwerfen kann.131

Fraglich ist z.B., wer mit letzter Sicherheit beurteilen kann, ob ein alter, teilweise defekter Fernseher vom Schuldner

nach Räumung noch verwendet werden wird.132 Die Neuregelung des § 885 Abs. 4 ZPO-E (im Wortlaut von § 885

Abs. 4 ZPO-RefE abweichend) knüpft an § 885 Abs. 4 S. 1 ZPO an und sieht eine Verkürzung der

Aufbewahrungsfrist für den Gerichtsvollzieher vor: Danach muß der Vollstreckungsschuldner seine Sachen binnen

Monatsfrist nach Räumung abfordern (vgl. S. 1) und nach S. 2 binnen einer Frist von zwei Monaten nach der

Räumung die Kosten tragen (vgl. § 788 Abs. 1 S. 1 ZPO zur Kostenlast des Vollstreckungsschuldners einerseits, § 4

Abs. 1 S. 1 GvKostG zur Vorschußpflicht des Vollstreckungsgläubigers andererseits). Wird nur eine von beiden

Voraussetzungen nicht erfüllt, veräußert der Gerichtsvollzieher die Sachen und hinterlegt den Erlös. Zugleich wird

in § 885 Abs. 4 S. 3 ZPO-E (vgl. zuvor § 885 Abs. 4 S. 1 2. Hs. ZPO-RefE) klargestellt, daß die Verwertung des

Schuldnermobiliars gemäß den Bestimmungen der Pfandverwertung (vgl. §§ 806, 814, 817 ZPO) erfolgen kann,

was bisher umstritten war.133 In § 885 Abs. 5 ZPO-E findet sich im wesentlichen die Regelung des § 885 Abs. 3 S. 2

ZPO zur (ungeschmälerten) Herausgabepflicht für unpfändbare und wertlose Schuldnersachen.134

128 BT-Dr. 17/10485, S. 30. 129 So BT-Dr. 17/10485, S. 30. Problematisch ist daher insbesondere die Vernichtung von persönlichen Papieren

oder Geschäftsunterlagen des Vollstreckungsschuldners (vgl. dazu S. 33 sowie § 257 Abs. 1 HGB und § 147 AO). Siehe zum RefE auch die Stellungnahme des DGVB vom 24.01.2012, S. 4, der auch eine Vernichtungsmöglichkeit für persönliche Unterlagen vorschlägt. Siehe auch Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 72.

130 Vgl. BT-Dr. 17/10485, S. 30. 131 Zu Recht wird diese Regelung daher vom DGVB als „ungenau und haftungsträchtig“ bezeichnet. Berechtigt

ist auch die Frage, ob hier an den Sachzustand oder an das Schuldnerverhalten angeknüpft werden soll, vgl. (zum RefE) die Stellungnahme des DGVB v. 24.01.2012, S. 3.

132 Immerhin entlastet die Reformbegründung den Gerichtsvollzieher davon, eine „aufwändige und kostenintensive Entsorgung von sehr großen Mengen Mülls“ oder von Altlasten auf dem herauszugebenden Grundstück vornehmen zu müssen, vgl. BT-Dr. 17/10485, S. 30. Angesichts des umfangreichen Änderungen stellt sich jedoch die Frage, warum nicht auch dieser Aspekt Eingang in die gesetzlichen Änderungen gefunden hat. Beachtlich ist daher der Vorschlag des DGVB zu einer Zweifelsregelung in § 885 Abs. 3 ZPO (vgl. die Stellungnahme vom 24.01.2012, S. 4): „Bei beweglichen Sachen, die erhebliche Verschmutzungen oder Insekten- oder Ungezieferbefall aufweisen und aufgrund ihres Zustandes nicht lagerfähig sind, oder unbrauchbar oder stark beschädigt sind, ist davon auszugehen, dass der Schuldner kein Interesse an einer Einlagerung hat. Diese Sachen sollen unverzüglich vernichtet werden.“

133 Siehe (auch zum Streitstand m.w.N.) die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 30 f. (vgl. zum RefE S. 47 f. RefE). Klarstellend wird darauf hingewiesen, daß die Liquidation des Räumungsgutes dadurch nicht zur Pfandverwertung wird; insbesondere die Vollstreckungsschutzbestimmungen der §§ 803 Abs. 2, 811, 812, 813a, 813b, 816, 817a ZPO finden keine Anwendung. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis, daß „Härten“ zu Lasten des Vollstreckungsschuldners, z.B. eine Veräußerung während eines

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Zu Recht ist bereits die geplante Verkürzung der Aufbewahrungsfrist des § 885

Abs. 4 S. 1 ZPO kritisiert worden.

Diese (vgl. § 885 Abs. 4 S. 1 ZPO-E) stellt - obwohl als „moderate Verkürzung“135

bezeichnet - eine Halbierung der bisherigen Frist dar

(vgl. die Zweimonatsfrist in der bisherigen Fassung des § 885 Abs. 4 S. 1 ZPO).136

Die Vollstreckungspraxis kennt die vielfältigen Schwierigkeiten des Schuldners,

rasch eine neue Wohnung und einen Umzug bezüglich der geräumten Gegenstände

zu organisieren.

Daher besteht die Gefahr, daß aufgrund der Verkürzung der Aufbewahrungsfrist in

vielen Fällen eine Mobiliarvernichtung eintritt –

mit der weiteren Folge einer Neuanschaffung auf Kosten der Allgemeinheit.137

Angesichts der schwierigen Abwägung zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen sowie denjenigen der

Allgemeinheit ist aber auch die Frage zu stellen, warum diese Gefahr auf Kosten des Gläubigers gelöst werden

soll.138 Gänzlich ungeklärt bleibt das Problem des Mobiliars von Dritten, zumal hier auch kein Vermieterpfandrecht

gem. § 562 BGB besteht.139

b) Anerkennung und Regulierung der „Berliner Räumung“ in § 885a ZPO-E

Die Neuregelung des § 885a ZPO-E („Beschränkter Vollstreckungsauftrag“) stellt

die „Berliner Räumung“ - jedenfalls zum Teil - auf eine gesetzliche Grundlage.140

Krankenhausaufenthaltes desselben, zu vermeiden seien, so BT-Dr. 17/10485, S. 31. Siehe zur nötigen Flexibilität für die Verwertung durch den Gerichtsvollzieher zur Kostenminimierung die Stellungnahme des DGVB v. 24.01.2012, S. 5 (zum RefE).

134 Der DGVB weist in seiner Stellungnahme v. 24.01.2012, S. 5 f., darauf hin, daß eine vom Schuldner u.U. gewünschte Teilherausgabe („das blaue Sofa“) gerade im Hinblick auf den Lageraufwand problematisch ist.

135 Vgl. BT-Dr. 17/10485, S. 31; s.a. die Kritik des DGVB in seiner Stellungnahme v. 24.01.2012, S. 5 („ist zu kurz bemessen“), s. dazu auch den Hinweis des DGVB auf die Relevanz der Vernichtungskosten gegenüber den Kosten zusätzlicher Lagerungszeit.

136 Siehe z.B. Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 164; s.a. N. Fischer, WuM 2011, S. 403 ff., 408, dort Fn. 64. 137 So auch die Stellungnahme des DGVB v. 24.01.2012, S. 5 (mit dem Hinweis auf die Lasten der Kommunen

durch Gewährung von Sozialhilfeleistungen). 138 So auch Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 164. 139 Darauf weist insbesondere Schuschke, NZM 2012, S. 209 ff., 212, hin. 140 Siehe die Gesetzesbegründung, BT-Dr. 17/10485, S. 2 f., 15, 31.

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Danach hat der Vermieter und Vollstreckungsgläubiger künftig die

Möglichkeit, eine auf die bloße Besitzverschaffung beschränkte Räumung

durchzuführen.

Da in § 885a ZPO-E nicht auf die gleichzeitige Geltendmachung des

Vermieterpfandrechts (vgl. §§ 562 ff. BGB) abgestellt wird, weicht die Regelung

insoweit von der richterrechtlich anerkannten „Berliner Räumung“ ab141

- und beschränkt sich daher auf die „zwangsweise Durchsetzung des

Herausgabeverlangens“142.

Ungeachtet dessen begründet die Gesetzesbegründung den Regelungsvorschlag mehrfach mit dem Hinweis, daß

„die in der Praxis entwickelte sog. Berliner Räumung (...) auf eine gesetzliche Grundlage gestellt“143 wird.144

Mehrere Aspekte von § 885a ZPO verdienen eine nähere Betrachtung.

Allein aus Zeitgründen kann ich Ihnen hier nur einige wesentliche Probleme

benennen, auch für die anschließende Diskussion.

Fraglich ist zunächst, inwieweit die obligatorische Mobiliar-Dokumentation durch

den Gerichtsvollzieher (gem. § 885a Abs. 2 ZPO-E) sachgerecht ist.

Danach hat der Gerichtsvollzieher in dem Protokoll (§ 762 ZPO) die „frei

ersichtlichen“ beweglichen Sachen zu dokumentieren, die er bei der Vornahme der

Vollstreckungshandlung vorfindet (§ 885a Abs. 2 S. 1 ZPO-E).

141 § 885a Abs. 1 ZPO-E lautet: „Der Vollstreckungsauftrag kann auf die Maßnahmen nach § 885 Abs. 1

beschränkt werden.“ (vgl. BT-Dr. 17/10485, S. 11, zur Begr. S. 31 ff.). Dennoch weist auch die Gesetzesbegründung darauf hin, daß diese vereinfachte Räumung von der Konstruktion der „Berliner Räumung“ abweicht, soweit gerade nicht erforderlich ist, daß der Gläubiger sein Vermieterpfandrecht an dem in die Räume eingebrachten Schuldnermobiliar geltend macht, vgl. BT-Dr. 17/10485, S. 31. Siehe (noch zum RefE) auch die DGVB-Stellungnahme v. 24.01.2012, S. 6; Dötsch, NZM 2012, S. 73 ff., 73; Fleindl, NZM 2012, S. 57 ff., 66.

142 So BT-Dr. 17/10485, S. 31. 143 Vgl. dazu BT-Dr. 17/10485, S. 2 f., 15, 31.; s. zum RefE v. 11.05.2011 bereits N. Fischer, WuM 2011, S. 403

ff., 407 m.w.N. 144 Dabei führt die Gesetzesbegründung die (o.g.) Entscheidungen des BGH v. 17.11.2005 (BGH NJW 2006, S.

848 f.) und v. 16.07.2009 (BGH NJW-RR 2009, S. 1384 f.) ausdrücklich an, siehe BT-Dr. 17/10485, S. 15.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 37Nach § 885a Abs. 2 S. 2 ZPO-E kann er bei der Dokumentation auch Bildaufnahmen in elektronischer

Form erzeugen.

Zutreffend ist, daß eine „hoheitliche“ Aufzeichnung (vgl. § 762 ZPO iVm. § 180

Nr. 6 S. 3 GVGA)145 grundsätzlich geeignet ist, spätere Streitigkeiten zwischen den

Vollstreckungsparteien über Vorhandensein und Zustand von Schuldnermobiliar

zu verhindern oder wenigstens einzudämmen.146

Problematisch ist jedoch die praktische Handhabung dieser Vorschrift für den

Gerichtsvollzieher.

Positiv ist aber, daß das MietRÄndG (in Abweichung von dessen RefE) die Dokumentationspflicht auf das „frei

ersichtliche“ Schuldnermobiliar beschränkt hat:147 So sieht bereits die Gesetzesbegründung vor, daß die „dem

Gerichtsvollzieher anvertraute Tatsachenfeststellung“ nicht die „Anforderungen an eine vollständige

Inventarisierung erfüllen“ müsse, sondern lediglich „einen zuverlässigen Überblick über den zur Zeit der Räumung

vorhandenen wesentlichen Bestand und Zustand der beweglichen Sachen des Schuldners zu bieten“ habe148.

Abgesehen von der wenig trennscharfen Abgrenzung gegenüber einer

Inventarisierung (als vollständige Bestandserfassung) bleibt dem

Gerichtsvollzieher die schwierige Beurteilung der Frage der Wesentlichkeit des

Bestandes überlassen.

145 Siehe dazu auch die diesbezüglichen Änderungen (bzgl. Anlage Kostenverzeichnis sowie GvKostG) gemäß

Beschlußfassung und Begründung des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 35. 146 Vgl. dazu auch die Begründung, BT-Dr. 17/10485, S. 31 f.; s.a. dazu die entsprechenden Anpassungen im

GvKostG: Art. 7 Nr. 2 des MietRÄndG sieht die Einfügung einer Nr. 241 im Kostenverzeichnis vor (Pauschalgebührerhöhung bei Dokumentation mit elektronischen Bildaufzeichnungsmitteln), siehe dazu BT-Dr. 17/10485, S. 32, 35.

147 Siehe zur Abweichung BT-Dr. 17/10485, S. 31 (S. 48 RegE, S. 49 RefE); zur Kritik (zum RefE) die DGVB-Stellungnahme v. 24.01.2012, S. 6 f. (samt Hinweis auf die Dokumentationsverantwortung des Vollstreckungsgläubigers); s.a. Schuschke, NZM 2012, S. 209 ff., 213; Dötsch, NZM 2012, S. 73 ff., 74 (auch im Hinblick auf die Amtshaftung gem. Art. 34 GG, § 839 BGB); zust. Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 70.

148 So BT-Dr. 17/10485, S. 31 (so auch S. 49 RefE). Vgl. noch zum RefE die Kritik des DGVB in seiner Stellungnahme v. 24.01.2012, S. 7, mit dem Hinweis auf die unklare Reichweite der Dokumentationspflicht (Erstreckung auf den Inhalt von Schränken und Schubladen?); s. zu einer „Tatsachenfeststellung“ unter Bezugnahme auf rechtsvergleichende Erwägungen S. 9 f. der DGVB-Stellungnahme.

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Immerhin führt die Beschränkung auf „frei ersichtliche bewegliche Sachen“

dazu, daß der Inhalt von Schränken und Schubladen nicht erfaßt sein dürfte.149

Auch die (analoge oder digitale) Bildanfertigung durch den Gerichtsvollzieher kann Probleme aufwerfen, da die

Bilder ausweislich der Gesetzesbegründung „gewährleisten“ sollen, daß sich das Gericht in einem späteren Prozeß

„einen Eindruck vom Bestand und Zustand der vom Schuldner in die Räume eingebrachten Gegenstand verschaffen

kann“150 (vgl. § 371 ZPO). Die (legislatorischen) Anforderungen an den Gerichtsvollzieher sind dabei keine

geringen, wenn gefordert wird, daß „das Protokoll einschließlich der Bilder“ (vgl. § 760 ZPO für den Anspruch auf

eine Protokollabschrift) „in den Büroräumen des Gerichtsvollziehers unter Verwendung geeigneter, den üblichen

Standards der Datensicherheit und des Datenschutzes entsprechender elektronischer Speichermedien zu verwahren“

ist.151 § 885a Abs. 3 und 4 ZPO-E regeln das weitere Verfahren zur Aufbewahrung und Verwertung der im

Vollstreckungstermin vorgefundenen Schuldnersachen.

Von großer praktischer Bedeutung ist weiterhin die Befugnis des

Vollstreckungsgläubigers gemäß § 885a Abs. 3 S. 1 ZPO-E, das Schuldnermobiliar

sofort im Anschluß an die Herausgabevollstreckung aus der Wohnung zu entfernen

und an einem anderen (z.B. privaten Lager-) Ort zu verwahren,

etwa um eine rasche Neuvermietung zu ermöglichen.152

Dies ist zu begrüßen, da bei der bisherigen „Berliner Räumung“ unklar war, nach

welchen Vorschriften die Aufbewahrung und Verwertung des Schuldnermobiliars

zu erfolgen hat.153 Ein weiteres Problem ist die sog. Vernichtungsbefugnis des Gläubigers:

§ 885a Abs. 3 S. 2 ZPO-E gewährt (insoweit parallel zu § 885 Abs. 3 S. 2 ZPO-E, abgesehen von der dortigen

„Soll“-Regelung) die Befugnis des Gläubigers, Schuldnersachen, an deren Aufbewahrung „offensichtlich kein

Interesse“ besteht, jederzeit vernichten zu können. Damit stellen sich die zuvor genannten Abgrenzungsprobleme im

Rahmen von § 885 Abs. 3 S. 2 ZPO-E auch bei § 885a Abs. 3 S. 2 ZPO-E.154

149 Man denke hier auch an die praktisch nicht seltenen Fälle der späteren Behauptung des

Vollstreckungsschuldners, daß (versteckte) Wertgegenstände (z.B. Bargeld, Schmuck) im Zuge der Räumung übersehen worden und abhandengekommen seien.

150 So BT-Dr. 17/10485, S. 32. 151 BT-Dr. 17/10485, S. 32. Vgl. (zum RefE) die Warnung des DGVB in seiner Stellungnahme v. 24.01.2012, S.

7, bezüglich der möglichen Verlagerung des Haftungsrisikos vom Vollstreckungsgläubiger auf den Staat. 152 Vgl. noch zu § 885a Abs. 3 und 4 ZPO-RefE die DGVB-Stellungnahme v. 24.01.2012, S. 8. 153 Während der BGH auf §§ 1215, 1257 BGB abgestellt hat (vgl. BGH NJW 2006, S. 848 f., 849), wird auch

eine analoge Anwendung von § 885 Abs. 4 ZPO erwogen, vgl. dazu BT-Dr. 17/10485, S. 32. Siehe auch Flatow, NJW 2006, S. 1396 ff., 1398, sowie die verfassungsrechtlichen Bedenken von Schuschke, NZM 2012, S. 209 ff., 213.

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Eine wesentliche (und zu diskutierende) Neuerung ist außerdem die

Haftungserleichterung des § 885a Abs. 3 S. 3 ZPO-E.155

Diese Privilegierung (§ 885a Abs. 3 S. 3 ZPO-E) sieht eine Haftung nur für

Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit vor,

wenn der Gläubiger nach Abs. 3 S. 1 (Wegschaffung und Verwahrung von

beweglichen Sachen, die nicht Gegenstand der Vollstreckung sind) und S. 2

(jederzeitige Vernichtung von Sachen, an denen offensichtlich kein Interesse

besteht) vorgeht. Dies wird seitens des BMJ mit einer Parallele zum Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB) und

dessen Rechtsfolge gemäß § 300 Abs. 1 BGB begründet.156 Hiermit ist eine Verbesserung des Rechtsstellung des

Vollstreckungsgläubigers verbunden, da der Vermieter bei Verletzung seiner Aufbewahrungspflichten gemäß §§

280 Abs. 1, 241 BGB sowie nach § 823 Abs. 1 BGB grundsätzlich für jede Fahrlässigkeit haftet.157

Es stellt sich die Frage nach der grundsätzlichen Angemessenheit dieser

Haftungsprivilegierung.

Dagegen könnte sprechen, daß diese den Vermieter unter Umständen zu

vorschnellen Maßnahmen verleitet, wie einer raschen Beseitigung des Mobiliars

mit der weiteren unerwünschten Folge von Wiederanschaffungskosten.

Diese fallen der Allgemeinheit zur Last.158

Außerdem ist die Reformbegründung selbst nicht hinreichend kohärent: Das MietRÄndG sieht - im Gegensatz zur

richterrechtlichen „Berliner Räumung“ (s.o.) - ein Wahlrecht des Gläubigers zwischen den Varianten der Räumung

154 Korrespondierend dazu verweist die Gesetzesbegründung auf diejenige zu § 885 Abs. 3 S. 2 ZPO-E, vgl. BT-

Dr. 17/10485, S. 30, 32. Siehe krit. zu § 885a Abs. 3 S. 1 ZPO-RefE Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 71 m.w.N. 155 Vgl. dazu auch Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 164; N. Fischer, WuM 2011, S. 403 ff., 408 (dort Fn. 64). 156 Siehe BT-Dr. 17/10485, S. 32 f. (mit dem Fall, daß der Vollstreckungsgläubiger trotz mitgeteiltem

Räumungstermin (vgl. § 181 GVGA) keine geräumte Wohnung vorfindet. Dort (S. 33) findet sich auch der Hinweis darauf, daß die Haftungsprivilegierung nicht anwendbar ist auf Voraussetzungen und Durchführung des Selbsthilfeverkaufs gem. § 885a Abs. 4 ZPO-E; s.a. die Kritik von Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 71.

157 Vgl. nur BGH NJW 2006, S. 848 f. 158 Siehe Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 164, der darauf hinweist, daß die rasche Geltendmachung bzgl. der ihm

wichtigen Sachen im Interesse des Mieters ist. Vgl. dagegen die DGVB-Stellungnahme v. 24.01.2012, S. 8 (zu kurze Aufbewahrungsfrist). Man denke auch an eine Herausgabeverweigerung bzgl. unpfändbarer Schuldnersachen, die eine verbotene Eigenmacht darstellt (s.a. § 231 BGB), Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 71.

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MGT2013_Beitrag_Räumung_NFischer 40vor (siehe dazu § 885a Abs. 1 ZPO-E)159, so daß der Vollstreckungsläubiger die jeweiligen Vor- und

Nachteile abwägen können soll. Hierbei wird jedoch der Eindruck erweckt, daß nur die „klassische“

Räumungsvollstreckung nach § 885 ZPO vor Haftungsrisiken schützt160, obwohl das MietRÄndG gerade eine

Haftungsprivilegierung in § 885a Abs. 3 S. 3 ZPO-E vorsieht.

Dafür spricht jedoch, daß die Interessenlage mit der des Annahmeverzuges (§§ 293

ff. BGB) vergleichbar ist, wird dem Vollstreckungsschuldner doch der

Räumungstermin rechtzeitig mitgeteilt.

Weiterhin regelt § 885a Abs. 4 ZPO-E das weitere Verfahren zur Aufbewahrung und Verwertung des

Schuldnermobiliars.161 Nach dessen S. 1 hat der Vollstreckungsgläubiger die beweglichen Sachen einen Monat zu

verwahren, danach darf er diese verwerten. S. 2 ordnet die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die

Hinterlegung, die Versteigerung und den Verkauf nach den §§ 372 ff. BGB an (mit Ausnahmen betreffend der

Kosten und der Notwendigkeit einer Versteigerungsandrohung, siehe dazu § 885a Abs. 4 S. 3 ZPO-E). Praktisch

wird wegen regelmäßig fehlender Hinterlegungsfähigkeit daher vor allem die öffentliche Versteigerung (durch den

Gerichtsvollzieher) gem. § 383 BGB in Betracht kommen. Danach sollen nicht verwertbare Sachen vernichtet

werden, vgl. § 885a Abs. 4 S. 4 ZPO-E.162 Dies ist nach den Beratungen im Rechtsausschuß geändert worden, so

daß nunmehr eine Vernichtungsmöglichkeit besteht („kann“ statt „soll“).163

Statuiert wird in diesem Zusammenhang (in § 885a Abs. 6 ZPO-E) auch eine Hinweispflicht des Gerichtsvollziehers

auf die Vorschriften zur ordnungsgemäßen Sonderung, Verwahrung und Liquidierung.164 Schließlich bestimmt §

885a Abs. 7 ZPO-E, daß die insoweit anfallenden Kosten als solche der Zwangsvollstreckung gem. § 788 Abs. 1 S.

1 ZPO gelten und damit vom Vollstreckungsschuldner zu tragen sind.165 Dies ist auch grundsätzlich sachgerecht und

konsequent im Hinblick auf die neue Vollstreckungsmöglichkeit des § 885a ZPO-E, da dies dem Gläubiger

(mangels eines gesonderten Vollstreckungstitels) eine Beitreibung der ihm entstandenen Kosten erleichtert, selbst

wenn mit § 885a ZPO-E letztlich Elemente einer „privaten Vollstreckung“ geschaffen werden.166

159 Vgl. BT-Dr. 17/10485, S. 15, 31. 160 Siehe BT-Dr. 17/10485, S. 15 („Der Vermieter kann so vor Erteilung des Vollstreckungsauftrags die Vorteile

einer vereinfachten Räumung (Kostenersparnis) gegen die Vorteile der ‚klassischen Räumung’ (Besitzverschaffung an den leeren Räumen und Meidung von Obhuts- und gegebenenfalls Schadensersatzpflichten) abwägen.“) sowie S. 33, u.a. mit dem Hinweis auf das Vorbild des § 300 Abs. 1 BGB beim Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB).

161 Vgl. BT-Dr. 17/10485, S. 33, auch mit dem Verweis auf § 885 Abs. 4 S. 4 ZPO-E. Siehe (zum RefE) auch Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 71 (Frist von einem Monat akzeptabel). Wichtig ist hier auch der Hinweis, daß persönliche Papiere oder Geschäftsunterlagen von der Vernichtung auszunehmen sind.

162 Dazu BT-Dr. 17/10485, S. 33. 163 Vgl. die Beschlußempfehlung und Begründung des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 5,

34 (mit dem Hinweis, daß dies bzgl. des Schuldnereigentums „grundrechtsschonender“ sei). 164 Siehe BT-Dr. 17/10485, S. 33 (auch mit dem Hinweis auf die „Warnfunktion“ für den

Vollstreckungsschuldner). 165 Vgl. BT-Dr. 17/10485, S. 33. 166 Siehe auch Deutscher Mietgerichtstag, NZM 2012, S. 75 ff., 78 („Privatisierung der Vollstreckung“).

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Schließlich ist nach den letzten Beratungen des Rechtsausschusses nicht

nur die Vernichtungsbefugnis gemäß § 885a Abs. 4 S. 4 ZPO-E („kann“ statt „soll“)

geändert worden,

sondern auch der zuvor kritisierte167 Umstand, daß im (Entwurf des) MietRÄndG

eine Herausgabepflicht für unpfändbare und wertlose Sachen bisher gefehlt hat.168

Um die damit verbundenen Ungleichheiten und Härten zu vermeiden, ist bereits vorgeschlagen worden, § 885a

ZPO-E um eine neue Regelung zu ergänzen, die dem Inhalt des § 885 Abs. 5 ZPO-E entspricht.169 Nunmehr ist nach

den Beratungen im Rechtsausschuß § 885a ZPO-E durch eine dem § 885 Abs. 5 ZPO-E entsprechende Regelung

ergänzt worden (vgl. bisher § 885 Abs. 3 S. 2 ZPO). Damit wird die Pflicht des Vollstreckungsgläubigers zur

jederzeitigen Herausgabe der unpfändbaren Schuldnersachen zum Ausdruck gebracht.170 Gemäß § 885 Abs. 5 ZPO-

E sind unpfändbare Sachen und solche Sachen, bei denen ein Verwertungserlös nicht zu erwarten ist, auf Verlangen

des Vollstreckungsschuldners „jederzeit ohne weiteres“ vom Gerichtsvollzieher herauszugeben. Dies hat zur Folge,

daß gegenüber dem Vollstreckungsschuldner Zurückbehaltungsansprüche nicht mit Erfolg geltend gemacht werden

können.171 Aufgrund des Fehlens einer solchen Regelung bei § 885a ZPO-E kann daher angenommen werden, daß

der Vollstreckungsgläubiger gegenüber dem Herausgabeanspruch des Vollstreckungsschuldners (Mieters) bezüglich

des unpfändbaren Mobiliars ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 Abs. 1 BGB geltend machen kann, das z.B. auf

Kostenerstattung, Mietzahlung (siehe § 535 Abs. 2 BGB), Schadensersatz oder Nutzungsentschädigung (vgl. § 546a

Abs. 1 BGB) gestützt werden kann.172

IV. Fazit: „Prozessuale Mietrechtsreform“ 2013 - Nach der Reform ist vor der Reform?

Für mein abschließendes Fazit komme ich zurück auf die Eingangsthese.

Die prozessualen Neuregelungen des „Mietrechtsänderungsgesetzes“ sind nur

soweit brauchbar, als diese (praktisch) vorbereitet sind, wie die Neuregelungen in

§§ 885, 885a ZPO-E.

167 Vgl. Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 164 f.; Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 71 f. 168 Siehe dazu Beschlußempfehlung und Begründung des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S.

5, 34 (mit dem Hinweis, daß dies bzgl. des Schuldnereigentums „grundrechtsschonender“ sei). 169 Vgl. den Vorschlag von Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 165, betreffend einen neuen Abs. 5 von § 885a ZPO-

RefE („Der Gläubiger hat dem Schuldner auf dessen Verlangen unpfändbare Sachen und solche Sachen, bei denen ein Verwertungserlös nicht zu erwarten ist, jederzeit ohne weiteres herauszugeben.“).

170 Dementsprechend handelt es sich bei den Anpassungen in § 885a Abs. 6 und 7 ZPO-E um rein redaktionelle Folgeänderungen, vgl. die Begründung des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 34.

171 Vgl. Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 164; s.a. Zöller, 27. Aufl., Stöber zu 885 ZPO, Rn. 22 m.w.N. 172 Zutreffend ist hier auch der Hinweis von Hinz, ZMR 2011, S. 153 ff., 165, daß dies den Mieter, dem bereits

wegen Zahlungsrückständen gekündigt wurde, unangemessen hart treffen kann. Vgl. auch Majer, NZM 2012, S. 67 ff., 72 (kein Zurückbehaltungsrecht bei unpfändbaren Sachen).

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Positiv ist auch die Einführung eines Beschleunigungsgebotes für

Räumungssachen in § 272 Abs. 4 ZPO-E.173

Damit ist der Rechtsausschuß im wesentlichem dem Vorschlag von Börstinghaus im Rahmen der

Sachverständigenanhörung gefolgt.174

Überwiegend handelt es sich jedoch um dogmatisch unausgereifte Neuregelungen,

die praktisch mehr schaden als nutzen.

Dies gilt insbesondere für § 940a (ZPO-E) und § 283a ZPO-E.

Wie meine Einführung skizziert hat, werfen gerade diese Neuregelungen unter

Vernachlässigung zivilprozessualer Systematik und verfahrensrechtspolitischer

Kohärenz viele neue Probleme auf.

Hinsichtlich der Sicherungsanordnung (§ 283a ZPO-E) möchte ich nur an die

damaligen Einwände der BRAK zu der „vorläufigen Zahlungsanordnung“ (im

Entwurf des Forderungssicherungsgesetzes)175 erinnern.

Diese Einwände sind auch heute noch beachtlich.

173 § 272 Abs. 3 ZPO wird danach folgender Absatz 4 angefügt: „Räumungssachen sind vorrangig und

beschleunigt durchzuführen.“ Siehe dazu die Beschlußfassung und Begründung des Rechtsausschusses v. 12.12.2012, BT-Dr. 17/11894, S. 4, 33; s.a. § 155 FamFG („Vorrang- und Beschleunigungsgebot“ für bestimmte Kindschaftssachen); dazu Börstinghaus, Stellungnahme aus amtsrichterlicher Sicht, 2012, S. 27.

174 Vgl. Börstinghaus in seiner „Stellungnahme aus amtsrichterlicher Sicht“, 2012, S. 3, 26 f.; s.a. Deutscher Mietgerichtstag, NZM 2012, S. 75 ff., 78.

175 Der (Bundesrats-) „Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz – FoSiG) enthielt in Art. 3 Nr. 5 eine „vorläufige Zahlungsanordnung“ nach § 302a ZPO-E, die bezwecken sollte, die Forderungen des Werkunternehmers effektiv zu sichern (vgl. BT-Dr. 16/511, S. 13). In dem zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Forderungssicherungsgesetz vom 23.10.2008 (BGBl. I 2022) war diese vorläufige Zahlungsanordnung nicht mehr enthalten. Vgl. zur (damaligen) Kritik die BRAK-Stellungnahme Nr. 32/2004 v. September 2004, die die „hohe Erfolgsaussicht“ problematisiert hat (S. 2, 11).

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Es ist folglich nicht das erste Mal, daß der Gesetzgeber annimmt, die

prozessuale Realität durch Regelungen zum (vermeintlichen) Gläubigerschutz

verbessern zu können.

Bei § 940a Abs. 2 und 3 ZPO-E fehlt es jeweils an Tauglichkeit und

Angemessenheit der Regelungen, von handwerklichen Schwächen ganz zu

schweigen.

Ich schlage daher vor, § 283a (ZPO-E) und § 940a Abs. 2-4 ZPO-E zu streichen.176

Stattdessen sollte eine an § 93 ZVG orientierte Regelung zur

Vollstreckungsmöglichkeit gegen Dritte eingeführt werden.

Zum Abschluß möchte ich auf das Generalthema des diesjährigen

Mietgerichtstages zurückgreifen:

Bei der Entwicklung des Mietrechts sollten Erfahrungen der Praxis und Lehren der

Wissenschaft beachtet werden, bevor Gesetzgebung Neuregelungen schafft.

Die hier kritisierten zivilprozessualen Neuerungen des MietRÄndG enthalten viel

Gutes und viel Neues - nur das Gute ist nicht neu und das Neue ist nicht gut.

Weniger und besser durchdachte Gesetze, gerade im Bereich des Miet- und

Mietprozeßrechts, sind daher das Gebot der Stunde.

Wird dies mißachtet, dann gilt folgendes:

Nach der „Mietrechtsänderung“ ist vor der (nächsten) ZPO-Reform!

- Ich hoffe auf eine angeregte Diskussion – und danke für Ihre Aufmerksamkeit. - (Finis)

176 Vgl. den BR-Vorschlag, siehe BT-Dr. 17/10485, S. 38 ff., 41.