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B ULLETTE DIE BULLEREI-GAZETTE JUBILÄUMSAUSGABE Sommer 2019 Schutzgebühr 3 Euro Wie konnte das bloß passieren? 1 0 JAHRE B ULLEREI

B ULLETTEJUBILÄUMSAUSGABE - bullerei.com · Elias Jennifer Lukas Katharina Rebecca Louisa-Madlen Finn-Erik Lisa Rita Yannik Tom Nicole Frank #ausderreihe Soraia Moritz Claudia &

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BULLETTED I E B U L L E R E I - G A Z E T T E J U B I L Ä U M S A U S G A B E

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Wie konnte das bloß passieren?

10 JAHRE BULLEREI

2

Hier spricht der Gast: „Großzügig bot man uns im noch halb leeren Restaurant einen alten Schultisch aus der Grundschule an. Für drei Erwachsene. Nein Danke!“ (Yelp, 12.2.2010)

D I E L E U D E

„Wer bei uns

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arbeiten will,

muss intelligent

und frech sein.

Weil dumm und frech:

Das wäre fatal!“

Tom Rossner, Betriebsleiter

3M O I N S E N

Hier spricht der Gast: „Wenn nicht bald bahnbrechende Veränderungen stattfinden, wird es dieses Restaurant nicht mehr lange geben!“ (TripAdvisor, 21.3.2010)

Eine Bulette macht satt, auch emotional – ein Gericht, das einen in den Arm nimmt. Eine Bulette will nicht mehr sein als sie ist – ein ehrliches, authentisches Gericht. Eine Bulette sagt jedem am Tisch: „Sei Du selbst, greif kräftig zu!“

Und so könnten wir uns keinen besseren Namen vorstellen für die Jubi-läumszeitschrift unserer Bullerei als eben diesen: „Bullette“.

Als wir vor zehn Jahren die Bullerei eröffnet haben, hatten wir kein

Konzept. Wir wussten nur: Wir wollen einen Ort für jeden, ohne Schwellenangst. Unseren Lieblingsladen. Den Laden, in dem wir selber gerne Gäste wären.

Woran erkennt man ein gutes Restaurant? Daran, dass man sich dort wohl fühlt, ganz banal. Ein gutes Restaurant ist ein Zuhause auf Zeit. Für uns beide ist die Bullerei längst Heimat.

Wir wünschen Euch viel Spaß mit der Geschichte unseres Lieblingsrestaurants.

Ran an die „Bullette“!

Tim Mälzer & Patrick Rüther

E

Gruß aus der

„Als wir vor zehn Jahren die Bullerei eröffnet haben, hatten wir kein Konzept. Wir wussten nur: Wir wollen einen Ort für jeden, ohne Schwellenangst.“

Das ist gebongt! Das Restaurant der Bullerei eröffnete am 1. Juli 2009, das Deli schon ein paar Tage früher, und so stammt der erste Bon von dort. Heute hängt er gerahmt über der Eingangstür zu den Büros im ersten Stock.

KÜCHE

4 J A N E E , I S ‘ K L A R

Konzerte gab es bislang in der Bullerei. Darunter: The BossHoss, Sasha, Udo Lindenberg, Max Mutzke, H-Blockx, Rea Garvey u. v. m.28

BURRATA serv

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2009: 12 Köche · 2019: 27 Köche

7200

350ZIGARETTEN

Schachteln

hat Tim Mälzer seit Eröffnung

geraucht.

davon hat er selbst bezahlt.

0

Die Gästebewertung: 1.„Location: rustikal-gemüt-lich. Service: Locker, aber unaufmerksam. Nahrung: Portion übersichtlich, Soße wässrig, Rhabarberschorle bestand ausschließlich aus Wasser. Fazit: Kann ja noch werden. Muss aber nicht.“Yelp, 6.7.2009

Weine lagern

im Keller der Bullerei. (Die Bullerei hat keinen

Keller.)

Hier spricht der Gast: „Teuer, laut, das Essen bestenfalls mittelmäßig, Ambiente-Bierzelt ohne Blaskappelle und nich' lustig. Ohne Promibonus gäb' es einen Mc Donalds mehr.“ (OpenTable, 6.7.2015)

5I N S I D E B U L L E R E I

Hier spricht der Gast: „Mein Steak hier war härter als das Leben... und deshalb einmal und nie wieder!“ (Tripadvisor, 11.2.2016)

Farbeier flogen 2010 an

die Fassade.

Portionen Rinderfilet kommen pro Jahr auf den Tisch. Das sind fast 2,5 Tonnen.

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55Euro gibt der

Gast im Schnitt aus.

60Sitzplätze

gibt es im Deli.

140Sitzplätze gibt es im

Restaurant.mal im Monat

trifft sich unser Service-

Team zur Lagebesprechung.

30IMPRESSUMHERAUSGEBERBullerei GmbH & Co. KGGeschäftsführer: Tim Mälzer & Patrick Rüther

PROJEKTLEITUNGAnja Laukemper & Tom Rossner [email protected]

ART DIREKTION & GESTALTUNGThomas Elmenhorst · thomaselmenhorst.de Anja Laukemper · anjalaukemper.de

BILDERStefan Armbruster (S. 17) · stefanarmbruster.com Matthias Haupt (S. 17) · matthiashaupt.de Norman Konrad (S. 1, 8, 10, 11, 24) · normankonrad.de Frank Meyer · jumpallintheair.de Philipp Rathmer (S. 2) · philipprathmer.com ILLUSTRATIONEN Rocket & Wink · rocketwink.com

REDAKTION & TEXTETobias Becker · tobias-becker.org

LEKTORAT Dörte Brilling · brilling.de

KÜNSTLERBETREUUNG KONZERTE Salome Agyekum [email protected]

LITHOGRAFIEMegs Litho · megs-litho.de Michael Eggers & Georg Schreiyäck

DRUCKv. Stern’sche Druckerei · vonsternschedruckerei.de

6

Hier spricht der Gast: “How can everyone give this place a good rating? Sorry. The food lacks good conception and basic cooking knowledge. Service is friendly but unprofessional, and the visitors are either

R A U S C H - E S S A Y

Wo sind die Wilden, die Maßlosen, die Unver-nünftigen? Wo, zum Himmel, sind die Sünder?

Das Leben leben, es mal krachen lassen – auch dafür ist ein Restaurant doch da.

Konfetti! Party! Karneval!Stattdessen schmieren Menschen sich zu

Hause Halbfettmargarine aufs Brot und wenn sie ausgehen, bestellen sie Kaffee ohne Koffein. Mit Hafermilch, versteht sich. Sie gehen in Kneipen ohne Kippengeruch und trinken Bier ohne Al-kohol. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie Sex ohne Anfassen haben wollen.

Das sei doch Quatsch, sagen Sie? Völlig über-trieben? Dann überlegen Sie mal, wann Sie das letzte Mal auf einer Party waren, auf der niemand gerade Diät hielt; auf der niemand verkündete, temporär auf Alkohol zu verzichten, auf Zucker, auf Fett; auf der sich niemand gerade das Rau-chen abgewöhnte. Verzicht ist zur Modetugend unserer Zeit geworden: Vegetarismus, Veganis-mus, radikal regionale Küche, das Rauchverbot, die Trends des sogenannten Clean Eating, dazu die Selbstvermessung und Selbstoptimierung per Smartphone-App.

Die Wiener Gesundheitspsychologin Hanni Rützler hat mal die Frage aufgeworfen, wer dem guten Leben eigentlich mehr schade: die Ernäh-rungsindustrie oder die Ernährungsfundamen-talisten? Sie machten Essen zur neuen Religion, sie erzeugten wahnsinnig viel Druck. „Wir bli-cken lustfeindlich auf unsere Nahrung“, moser-te Rützler in einem Interview. Und tatsächlich stehen immer mehr Stoffe unter Generalverdacht: Nikotin und Alkohol sowieso, Fett und Zucker auch, Fleisch schon länger und immer häufiger auch Eier und Kuhmilch, Gluten und Laktose, der Geschmacksverstärker Glutamat.

Schon immer ging es um Distinktion, wenn es um Essen ging, schon immer waren Lebensmittel auch Statussymbole, an denen sich Bildung, Ein-kommen, Weltanschauung ablesen ließen. Aber wer heute ins Restaurant geht, will immer seltener seinen guten Geschmack unter Beweis stellen – und immer häufiger seine überlegene Moral.

Natürlich ist es unappetitlich, wie wir Tiere in der industriellen Fleischproduktion behandeln. Und klar, übermäßiger Fleischkonsum beschleu-nigt den Klimawandel. Alkoholismus und Ketten-rauchen, Übergewicht und Bluthochdruck sind

gesellschaftliche Probleme, keine Frage. Auch volkswirtschaftlich sind sie eine Belastung. Aber der gesamte Ernährungsdiskurs verläuft heute moralistisch, fad und oberlehrerhaft. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral, dichtete einst Bertolt Brecht. Heute hat man den Ein-druck, manch einer fresse sich an der Moral satt.

Kaum eine Religion kommt ohne Essensre-geln aus, die Regeln stiften Identität, grenzen die eigene Gruppe von anderen Gruppen ab, die Gläubigen von den Ungläubigen. Heute ist das Essen selbst die neue Religion, die Religion der säkularen Gesellschaft.

Ein bekannter Smoothiehersteller trägt einen Heiligenschein im Label, „Innocent“ nennt er sich, unschuldig. Genau darum geht es heute oft, wenn es um Ernährung geht: Unschuld, Un-beflecktheit, Reinheit. Clean Eating.

Orthorexia nervosa heißt ein neues psycho-logisches Phänomen: das übermäßige Bemühen, sich richtig zu ernähren. Manche Experten sprechen gar schon von einer neuen Form der Essstörung, den Besser-Essern. Nicht selten setzen die Besser-Esser auf sogenanntes Free-From-Food. Je kürzer die Zutatenliste, desto besser.

Der Mensch ist, was er isst, sagte der Philo-soph Ludwig Feuerbach. Das war im 19. Jahrhun-dert. Heute ist der Mensch, was er nicht isst.

Das bestverkaufte Sachbuch des Jahres 2018 heißt: „Der Ernährungskompass“, geschrieben von Bas Kast. Ein vielsagender Titel. Offenbar verlieren viele Menschen heute die Orientierung, sobald sie einen Supermarkt betreten. Offenbar brauchen sie jemanden, der ihnen zeigt, wo es langgeht, der sie zwischen den vollgestopften Regalen an die Hand nimmt und ihnen den Ein-kaufswagen füllt.

Spotten lässt sich darüber leicht, aber mit dem Problem dahinter kämpfen viele: der Überfluss, die Qual der Wahl.

„Viele von uns schaffen es noch nicht, sich in dem Schlaraffenland zurechtzufinden, in dem sie leben“, sagt die Gesundheitspsychologin Rützler. Die vollen Supermärkte mögen ein altes Traum-bild sein, „aber im Moment sorgen sie eher für Stress als für Freude.“ Wer sich Ernährungsver-bote auferlegt, reduziert diesen Stress.

WO

DIEDie Lebensmittelauswahl unserer Großeltern

war regional und saisonal, ob sie wollten oder nicht. Wer heute will, kann Steaks aus Argenti-nien essen und dazu Wein aus Australien trinken, kann sich zum Nachtisch frische Erdbeeren servieren lassen, selbst mitten im Winter. Hinzu kommt, dass in der säkularen Gesellschaft religiöse Essensgebote weggefallen sind. Das Paradox: Wir haben alle Fesseln gesprengt, also legen wir uns selbst neue Fesseln an. Und so kommt es, dass die Sünde heute ein Imagepro-blem hat. Der moderne Mensch sehnt sich nach Orientierung, nach neuen Regeln und strengen Verboten. Die Sünde braucht einen PR-Berater.

HIMMELZUM

SIND

7K R A C H E N L A S S E N

tourists with backpacks who want an autograph of the chef, or people that look like they had just gotten out of a swimming pool.” (TripAdvisor, 30.7.2009)

So jemanden wie den Philosophen Robert Pfaller. Seit Jahren predigt dieser, dass es unver-nünftig ist, immer vernünftig zu sein. „Wir mäßi-gen uns maßlos“, warnt er. „Das ist das Merkmal unserer Epoche, ihr Krankheitssymptom. Die Leute werden dazu angehalten, ihr Leben als Sparguthaben zu betrachten und eifersüchtig darauf zu achten, dass ihnen niemand etwas ab-knapst. Das ist eine Vorsicht gegenüber dem Le-ben, die das Leben selber tötet. Sie führt zu einer vorzeitigen Leichenstarre.“

Um es mit einem Liedtext der Hamburger Band Tocotronic zu sagen: „Pure Vernunft darf niemals siegen.“

Pfaller behauptet, dass alle Dinge, die uns Ge-nuss bereiten, auch eine Gefahr bergen, ein Prob-lem. Mehr noch, dass diese Dinge uns Genuss bereiten, eben weil sie ein Problem bergen: der Champagner den hohen Preis, die Sahnetorte die Kalorien, die Zigaretten den Teer. „Das problema-tisch Lustvolle bricht die ökonomische Logik des Haushaltens – die Vernunft“, sagt Pfaller. „Die unvernünftige Verausgabung beschert uns einen Triumph.“

Es ist eine radikale Philosophie, die besagt,dass der Genuss das Leben verkürzt, aber es

auch verbessert, Qualität statt Quantität. „Wir sollten nicht den Tod fürchten, sondern das schlechte Leben“, sagt Pfaller.

Der Feuilletonist Peter Richter hat schon vor Jahren in einem klugen Büchlein für eine Kultur des Trinkens gestritten – und gegen das, was sich kultiviertes Trinken nennt: das Gläschen guten Rotweins, das gesund sein soll fürs Herz. „Nur so viel zu trinken, dass es keine Wirkung tut: Das ist von allen Varianten die mit Abstand erbärmlichs-te“, schrieb Richter. „Wer nur mal nippt, trinkt nicht.“

Beim Weintrinken geht es eben nicht um Gesundheit, im Gegenteil, es geht nicht mal in erster Linie um den Geschmack. Der tiefere Sinn des Weins ist, dass er wirkt. Jede Party braucht jemanden, der das Maß des Vernünftigen für einen Abend durchbricht. Jemanden, der zu laut lacht, zu derbe Zoten reißt, zu viel trinkt. Denn Alkohol, so hat das Richter formuliert, „ist das Gleitgel für die Worte.“

Wer nun zusammenzuckt und meint, Pfaller und Richter redeten dem Alkoholismus das Wort, der sei beruhigt. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen, heißt es im Sprichwort. Umgekehrt gilt dasselbe: ohne Fest keine Feier. Das Fest ist die Ausnahme im Alltag, die Unterbrechung der Regel, Karneval.

Wer hingegen jeden Tag schon morgens Champagner trinkt, drei Stück Sahnetorte in sich reinstopft und Kette raucht, der erlebt keinen Triumph, im Gegenteil. Er ist ein armer Tropf. •

?SÜNDER

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Hier spricht der Gast: „Eigentlich könnte das Lokal von den Weight Watchers empfohlen werden.“ (Yelp, 14.1.2013)

I N T E R V I E W

9W I E B I D D E ?

Hier spricht der Gast: „Vorfreude war groß - Enttäuschung war größer!“ (Tripadvisor, 27.3.2016)

„Wir brauchen Struktur,

PAT R I C K , T I M , S E I T Z E H N JA H R E N F Ü H RTI H R G E M E I N S A M D I E B U LL E R E I . KÖ N N T I H RE U R E A U F G A B E N T E I LU N G B E S C H R E I B E N ?TIM:Darf ich zuerst antworten?PATRICK:Du antwortest immer zuerst.TIM:Ich mache alles, er kassiert ab.PATRICK:Erfolg besteht zu 10 Prozent aus Inspiration und zu 90 Prozent aus Transpiration. Tim ist maxi-mal für die Inspiration zuständig. Ich bin für die Transpiration zuständig und halte mich daneben für echt inspirierend.TIM:Lasst uns ein ernsthaftes Gespräch führen, bitte!PATRICK:Das wird nichts mit Dir. Aber ich kann es ja mal versuchen.S E I D I H R M I T E I N A N D E R B E F R E U N D E T ?PATRICK:Wir sind keine besten Freunde.TIM:Wir sind keine Freunde.P R I VAT H A BT I H R N O C H N I E E I N B I E RZ U S A M M E N G E T R U N K E N , H E I S ST E S .PATRICK:Selten.TIM:Nie.PATRICK:Wir haben schon häufiger zusammen was getrun-ken, aber Tim ist kein Biertrinker.TIM:Patrick, wir beide waren privat noch nie alleine was trinken. Kein Bier, kein Wein, nichts.PATRICK:Doch, aber da sind wir uns in die Haare geraten. In der Daniela Bar am Schulterblatt, gegenüber der Roten Flora.TIM:Wie lange ist das denn her? Gab‘s da die Bullerei überhaupt schon?PATRICK:Es war kurz vor Eröffnung.TIM:Da war ich in der Hochphase meines Saufens, da kann ich mich nicht mehr dran erinnern.PATRICK:Man darf in diesem Interview nur die Hälfte glau-

DIGGA!Tim Mälzer und Patrick Rüther ziehen Bilanz nach zehn gemeinsamen Jahren in der Bullerei. Die Zutaten des Gesprächs: Bier, Wein, Eierlikör und obendrauf ein paar Fragen.

ben. Und zwar meine Hälfte der Antworten. Als Freunde betrachte ich in meinem Leben vielleicht fünf Leute, da gehört Tim nicht dazu, das stimmt. Aber wir sind Kumpels, würde ich sagen. Geschäftspartner wäre zu nüchtern. Dafür haben wir zu viele Dinge gemeinsam durchgestanden.U N D W I E T E I L E N D I E S E G E S C H Ä F TS PA RT N E RN U N I H R E A R B E I T A U F ? PA S ST D I E S E S B I LD : BA U C H U N D H I R N ?PATRICK:Quatsch.TIM:Doch, da ist schon was dran.G A S U N D B R E M S E ?PATRICK:Wenn Tim den Laden hier alleine gemacht hätte, hätte er den Laden nach einem Dreivierteljahr gegen die Wand gefahren.TIM:Ohne Patrick liefe ich Gefahr, längst pleite zu sein, aber ohne mich hätte Patrick gar kein Geld, das er verwalten könnte.PATRICK:Auf die Fragen bekommst Du von Tim keine ernsthafte Antwort, vergiss es.WAS WÄRE DENN EINE ERNSTHAFTE ANTWORT?PATRICK:Tim ist bereit, für seinen Bauch mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Ich bin da etwas zöger-licher. Aber wenn wir wirklich Body und Brain wären, wäre alles viel einfacher, als es ist. Ich will auch ein bisschen Body sein, ich mache auch gern Scheiße, ich bin auch oft genug besoffen zur Arbeit gekommen.D U W E H R ST D I C H DAG E G E N , A LS S P I E S S E RH I N G E ST E LLT Z U W E R D E N .PATRICK:Ich wehre mich dagegen, der Optimierer zu sein. Ich habe mal Jura studiert, aber ich arbeite be-wusst nicht als Jurist, weil ich keinen Bock habe auf diesen Piesel-Scheiß. Das Problem: Neben einem so chaotischen Typen wie Tim ist man automatisch der Spießer. Der Optimierer. Derje-nige, der sagt: „Digga, wir brauchen Struktur!“TIM:Ich verrate jetzt mal was: Ich betreibe seit zehn Jahren ein Spiel. Ich liebe es, Dich auf die Palme zu bringen.PATRICK:Das klappt ja auch jedes Mal, Du Arsch.

TIM:100 Leute von den 100 Leuten hier wissen, wer ich bin. 20 wissen, wer Patrick ist.PATRICK:10.I H R F Ü H RT G LE I C H B E R E C H T I GT E I N E N L A D E N , A B E R N AC H A U S S E N W I R K T E S M A N C H M A L S O, A LS O B E S A LL E I N T I M S L A D E N S E I , D E R L A D E N D E S F E R N S E H STA R S . I ST DA S E I N P R O B LE M Z W I S C H E N E U C H ?TIM:Wir haben Eheberatung gemacht.PATRICK:Es hat ein paar Mal geknirscht, ja. Jemand ande-res mit meinem Intellekt und meinen Möglich-keiten hätte das nicht so lange mitgemacht. Aber letztlich sind wir schon ein geiles Team.TIM:Unsere Partnerschaft ist anstrengend, mühselig, aber ich weiß genau, warum ich an ihr festhalte.PATRICK:Tim hat genauso Glück mit mir wie ich mit ihm.W E N N I H R S O W E I T E R S Ä U S E LT,B E ST E LL E I C H D R E I B I E R .W I E H A BT I H R E U C H K E N N E N G E LE R N T ?PATRICK:Ich muss mal ein bisschen überlegen, wie ich das erzähle, ohne dass das eine Angebergeschichte wird. Für Angebergeschichten ist Tim zuständig. Ich hab' vor dem Rechtsreferendariat eine Zeit lang in Kapstadt gelebt, um noch meinen Master of Law zu machen.TIM:Der feine Herr Jurist.PATRICK:Ich hab da mehr gelebt als gelernt, bin vor allem viel Essen gegangen. Das ist 19 Jahre her. In Kapstadt gab es damals geile Produkte und eine entspannte Art der Gastronomie. First-Class- Essen, aber die Kellner jung, cool, supernett. Und die Gäste in kurzer Hose und Flip-Flops. Das gab es in Hamburg noch nicht. Hier gab es entweder geiles Essen in spießigem Ambiente oder geile Läden mit maximal mittelmäßiger Karte.TIM:Bis auf das Weiße Haus, das Restaurant, das ich damals an der Elbe hatte. PATRICK:Exakt. Tim hat dort die Art der Gastronomie ge-boten, die ich aus Kapstadt kannte. Anfangs war er noch kein Fernsehkoch.

10

Hier spricht der Gast: „Leider saß mein Freund einem überdimensionalen, in allen Farben blinkenden Bullenkopf gegenüber, so dass es ihm schwer fiel, sich auf mich bzw. aufs Essen zu konzentrieren. (TripAdvisor, 14.1.2015)

E R N S T H A F T ?

„Wenn Tim den Laden hier alleine gemacht

hätte, hätte er ihn nach einem Dreivierteljahr

gegen die Wand gefahren.“

W I E S E I D I H R I N S G E S P R ÄC H G E KO M M E N ?PATRICK:Ja, wie kommt man mit Tim ins Gespräch? Indem er dummen Kram schnackt.TIM: Patrick ist klischee-cool. Schanzen-Mainstream. Meine Coolness ist selbst entwickelt, meine Coolness muss ich lauter kommunizieren als Patrick. Ich stehe auf lautere Musik, buntere Farben, dickere Karren.PATRICK: Zurück in Deutschland, hab' ich an der Elbe den ersten Beachclub Hamburgs eröffnet, den Ham-burg City Beach Club. Geplant hatte ich das als kleines, improvisiertes Projekt für eine Saison, ein Projekt mit Freunden, um den Kopf freizube-kommen, bevor das Referendariat dann endgültig startet. Aber es war 2003, der Jahrhundertsom-mer, die heißeste Phase aller Zeiten in Hamburg, sechs Wochen durchgehend 30 Grad. Nach einer Woche brauchten wir einen Türsteher. 1000 Gäs-te am Tag. Das war magic, mit Fackeln überall, die Riesencontainerschiffe direkt vor der Nase, geil. Ich kriege heute noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Am Ende habe ich den Beachclub noch ein Jahr gemacht und noch ein Jahr und noch ein Jahr.U N D B I ST Z U M F E I E R A B E N D DA N N I M M E RR Ü B E R Z U T I M ?PATRICK:Entweder ich zu ihm oder er zu mir. Damals war er noch kein Fernsehkoch. Schon im Win-ter 2004 haben wir dann das erste Mal darüber gesprochen, ob wir nicht zusammen eine Gastro machen sollen. In Amsterdam gab es ein geiles Konzept, den Supperclub: Essen im Liegen, drum rum DJs, Modenschauen, richtig geil. Das hat uns inspiriert, das hätten wir gerne so ähnlich in einer Kirche in Eimsbüttel umgesetzt, die als Kirche aufgegeben werden sollte. Wir mussten tausend Kirchenleute überzeugen, dass so eine Nutzung keine Sünde ist: dekadentes Essen im Liegen, dazu der Lautsprecher Tim Mälzer. Und wir haben das tatsächlich geschafft. Aber am Ende ist es an den Nachbarn gescheitert. Die hatten Angst vor Lärm.N AC H W E LC H E N K R I T E R I E N H A BT I H R E I N E LO CAT I O N G E S U C H T ?PATRICK:Das Gebäude sollte etwas Besonderes sein. Charakter haben.TIM:Eine Geschichte. Wir waren nie auf der Suche nach einem klassischen Restaurant. Wir haben eine Location gesucht, keinen Standort.PATRICK:Ich kannte irgendwann jede Location in Ham-burg, die in Frage kam. Ich bin überall langge-radelt, ich hab mit allen geschnackt. Das Sea-ways-Terminal, der Ratsherrnkeller, das Haus der Patriotischen Gesellschaft, verrückte Hallen im Oberhafen – aus irgendwelchen Gründen hat es sich immer zerschlagen. Das war keine geile Zeit für mich damals. Es war lange unklar: Wo geht die Reise hin? Zumal Tim einen Burn-out hatte. Er war ein erlebnisorientierter junger Mann, der sich die Hörner abstößt. Darauf die gesamte berufliche Zukunft zu setzen: das war schon riskant.DA S S I H R I N D E R S C H A N Z E G E L A N D E T S E I D, WA R Z U FA L L?PATRICK:Absolut. Wir waren beide keine Schanzentypen damals. Aber ich hab beim Rumradeln die Fläche gesehen – und die war geil. Total zugewuchert, aber geil. Und die wäre in einem anderen Stadt-teil nicht weniger geil gewesen. Im Gegenteil: Es war klar, dass es ein Problemchen werden könnte, mit so einem großen Laden in die Schanze zu gehen.FA R B B E U T E L F LO G E N A N D I E FA S S A D E . K U R Z N AC H E R Ö F F N U N G K A M E N A N E I N E M

S A M STAG A B E N D 2 0 S C H WA R Z V E R M U M M T E A U TO N O M E I N S R E STA U R A N T, M I T M E G A F O N E N U N D P L A K AT E N .TIM:Ich war fein raus, weil ich credible war. Patrick war damals das Enfant terrible, der Herr Jurist.PATRICK:Bist Du bescheuert?TIM:Es ging damals wirklich hoch her im Viertel.PATRICK:Wegen des Fernsehpromis Tim Mälzer. Damals war er noch bekannter als ich.TIM:Wir sind in den Anfangstagen nach Feierabend immer noch rüber in die Dual Bar und haben da bis 4 Uhr morgens gesoffen. Die Bar gibt es leider nicht mehr. Es war eine geile Zeit, aber auch schmerzhaft. Es gab total viele doofe Momente: die Bullerei zu eröffnen, stolz darauf zu sein – und gleichzeitig zu wissen, manche Menschen hassen uns dafür.WA S WA R D E N N N U N DA S P R O B LE M ?TIM:Gentrifizierung. Die Menschen hatten Angst, was mit dem Viertel passiert. Gentrifizierung ist ein schleichender, diffuser Prozess. Eine wabbelige Geschichte, schwer greifbar, schwer angreif-bar auch. Und da war ich als Person erstmals ein konkreter Gegner hier im Viertel. Kein ominöser Investor, der anonym bleibt. Sondern ein Fern-sehmensch, dessen Fresse jeder kennt. Im Nach-hinein sind wir für die Kritik dankbar. Wir haben dazu gelernt, unser Weltbild wurde geschärft.PATRICK: Die Kritik hat dazu beigetragen, dass wir hier im großen Maßstab soziale Dinge tun. Über die reden wir nicht, damit es nicht aussieht wie Greenwashing. Aber hätten wir unseren Laden in Eppendorf eröffnet, würden wir heute vielleicht weniger machen.TIM:Wir haben genug Fingerspitzengefühl, um nicht alles rauszuposaunen, was wir tun. Das würde einigen hier schief reinfahren. Denn natürlich ist Gentrifizierung ein Problem in der Schanze, natürlich haben auch wir unbewusst einen Teil dazu beigetragen. Aber es hätte viel schlimmer kommen können für das Viertel. Wir sind das kleinere Übel, wir sind nicht aggressiv und wir sind semi-intelligent.W I E S E I D I H R A U F D E N N A M E N B U L L E R E I G E -KO M M E N ?TIM: Ich wollte den Laden so nennen, wie das hier früher hieß: Die alte Halle der Kälber und Versandschweine. Oder knapp: „Versand-schwein“.PATRICK:Ich fand das zu hart. Ethik, Tiere, Leben. Ich wollte es Laib und Seele nennen.TIM:So was Pseudointellektuelles! Ich hab im Strahl gekotzt. Das ist wie der Friseur „Vier Haares- zeiten“. Fuck off.

PATRICK:Mea Culpa. TIM:Unser gemeinsamer Favorit war lange „Die Farm“. Der Name sollte unser Nachhaltigkeitsideal trans-portieren. Da war Patrick damals sehr weit vorne.L E T Z T L I C H H AT B U L L E R E I DA S R E N N E N G E -M AC H T, E I N E D R E I FAC H E A N S P I E LU N G : A U F D I E LO CAT I O N , A U F T I M S S P I T Z N A M E N K Ü C H E N -B U LL E , A U F D E N S C H I M P F - U N D S P OT T N A M E NB U LL E R E I F Ü R P O LI Z E I . WA S WA R E U R E V I S I O N F Ü R DA S R E STA U R A N T.PATRICK:Wir wollten unseren Lieblingsladen machen. Den Laden, in dem wir selber gerne Gäste wären.TIM:Das klingt unfassbar beschissen, aber das bringt es auf den Punkt.U N D W I E S A H E U E R KO N Z E PT A U S ?PATRICK:Wir hatten kein Konzept. Wir sind beide „all in“ gegangen, mit all unserer Kohle, hatten aber kei-nen klaren Plan. Total irre.TIM: Wir haben sehr schnell nach Eröffnung einen Preis gewonnen für das beste neue Gastronomie- konzept. Den Preisstiftern haben wir gesagt: Danke. Aber welches Konzept? Wenn ihr uns das erklären könnt, machen wir eine Kette draus.PATRICK:Wir wussten nur: Wir wollen einen Ort für jeden, ohne Schwellenangst. Hier kannst Du Deine Eltern zum Hochzeitstag hinschicken, aber auch eine rustikale Flensburger Handwerkerinnung auf Jahresausflug.S E I D I H R DA F Ü R N I C H T Z U T E U E R ?PATRICK:Wir sind nicht günstig. Aber gemessen an dem Aufwand, den wir fahren, sind wir günstig. Wir haben nur gelernte Köche, wir bereiten alles frisch zu, wir stecken sehr viel Geld in die Ein-richtung. Was mich ärgert: Manche Gäste sehen das nicht. W E N N H I E R Ü B E R A LL W E I S S E T I S C H D E C K E NL I E G E N U N D D I E K E LL N E R E I N JAC K E T TT R AG E N W Ü R D E N , WÄ R E DA S A N D E R S ?PATRICK:Exakt. Der Rotweintrinker mit dickem Bauch aus Wanne Eickel sieht nicht, dass der Tisch mit den Farbklecksen viel teurer ist als der Tisch mit Decke in seinem Restaurant zu Hause. Er kann die Codes nicht lesen. Vom Aufwand her sind wir ein Fine-Dining-Restaurant, aber wir sind locker. Genau darum geht es uns. Auch Michelin und Gault Millau verstehen das nicht.STÖ RT D I C H DA S ?PATRICK:Ein klares Jein. Ich halte nicht viel von Gault Millau und Guide Michelin, weil sie oftmals die alte Welt verkörpern. Aber ich finde es schade, dass diese Leute nicht zu schätzen wissen, wel-chen Aufwand wir hier betreiben. Wir könnten es uns viel leichter machen, wenn wir uns auf Tims Promibonus ausruhen würden.WA S H AT S I C H S E I T E U R E R E R Ö F F N U N G 2 00 9 I N D E R B R A N C H E V E R Ä N D E RT ? WA R E N B E -W E RT U N G S - U N D B U C H U N G S P O RTA L E W I E YE LP, T R I PA DV I S O R , O P E N TA B LE DA M A LS S C H O N S O W I C H T I G W I E H E U T E ?PATRICK:Bei weitem nicht. Wer heute mit weniger als vier Sternen bewertet ist, den finden die Gäste nicht mehr. Das Ranking ist lebensnotwendig. L E ST I H R J E D E E I N Z E LN E K R I T I K Ü B E R E U C H ?PATRICK:Ich hab das mal getan, aber heute nicht mehr, ich rege mich zu sehr auf. Wobei wir uns mit der Bullerei natürlich in einer etwas anderen Situ-ation befinden als die Konkurrenz. Für uns sind die Portale nicht ganz so wichtig, weil wir noch in der analogen Medienwelt verankert sind.TIM:Unser Tripadvisor bin ich. N U T Z T I H R A U F R E I S E N S E L B ST T R I PA DV I S O R , U M R E STA U R A N TS A U S Z U S U C H E N ?TIM:Im „Kitchen impossible“-Team haben wir uns vor zwei Jahren darauf geeinigt, nie in einem Laden zu reservieren, der unter den Top 25 bei Tripad-visor steht. WA R U M N I C H T ?PATRICK:Schau Dir die Top-Läden in Hamburg an. Die Hälfte kennt kein Mensch. Tripadvisor hat seinen

Patrick

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Hier spricht der Gast: „Das Ambiente ist spartanisch und sogar beleidigend billig (im Bistro: Möbel vom Sperrmüll, offensichtlich...).“ (Yelp, 4.7.2012)

„Ohne Patrick wäre ich längst pleite, Algorithmus nicht im Griff.TIM:Wenn da auf Platz drei in Hamburg ein Restaurant steht, von dem wir als Profis noch nie etwas gehört haben, stimmt etwas nicht.D R E H E N W I R D E N S P I E S S D O C H M A L U M : I H R R E Z E N S I E RT D I E G Ä ST E . W E LC H E R T YP STÖ RT E U C H ?TIM:Ich mag keine Gäste, die reinkommen und sich sagen: „So, Tim Mälzer, jetzt testen wir Dich mal.“ Wer den Laden scheiße finden will, wird ihn scheiße finden. Wer mitmacht, wird einen gu-ten Abend haben. Das ist wie bei einem Konzert. Man muss ein bisschen mitwippen. Und wenn einem Mitwippen nicht im Blut liegt, muss man sich halt einen ansaufen dafür. Dann wird es gut. Für einen selbst, für die Besucher neben einem, für die Leute vorne auf der Bühne.PATRICK:Ich mag keine Angeber. Arrogante Typen, die das Personal von oben herab behandeln und besser-wisserisch überall ein Haar in der Suppe finden.TIM:Schwarzes Sakko, weißes Oberhemd, Dreier- BMW, bisschen viel Koks in der Nase, die Lippen der Ehefrau ein bisschen zu dick. Die Klientel sorgt für geile Umsätze, aber die wollen wir hier nicht haben. Wir wollen gutes Geld verdienen, aber wir wollen authentisch und glaubwürdig dabei sein.PATRICK:Wir verdienen hier gutes Geld, aber wir könnten sicher mehr verdienen, wenn wir eine „Moët & Chandon“-Lounge einrichten würden und eine „Beck's“-Ecke. Das kommt für uns nicht in Frage.TIM:Wir beherrschen dieses Spiel auch einfach nicht. Das Grill Royal in Berlin ist ein Laden, der unse-rem nicht unähnlich ist. Aber die verkaufen pro Woche sicher 150 Flaschen Champagner. Wenn wir Glück haben, verkaufen wir die im Jahr.PATRICK:In den Anfangsmonaten hat Tim die Musik immer extra laut gedreht, damit die ganzen Schnösel sich nicht wohlfühlen bei uns.TIM:Wir hatten am Anfang die übliche Posse hier. Kein Wunder, es kamen ja einige Komponenten zusammen: ein spektakulärer Raum, ein Fernseh-koch, der Ex-Betreiber des hippen Beachclubs. Zu dieser Posse gehörte der Junior einer Reede-rei, ein Pfosten vor Gottes Gnaden, immer geile Weiber am Start, klar, aber dumm wie Schiffer-scheiße. An einem Abend streckte er mir die Hand entgegen und sagte: „Ich bin jetzt schon zum fünften Mal hier, aber Du hast mir noch nie persönlich 'Guten Tag' gesagt.“ Ich hab die Hand angeschaut, dann ihn und habe gesagt: „Frag Dich mal, warum.“ Dann hab ich mich umgedreht und bin gegangen.DA S WA R M U T I G .TIM:Das war vielleicht auch dumm, sicher war es grenzwertig. Wir haben sehr straighte Ansagen gemacht zu der Zeit. Ich erinnere mich noch an den Abend, an dem ein bekannter Hamburger Architekt nebst Investor hier war. Die Hütte war bumsvoll, Samstagabend viertel vor acht. Aber die beiden wollten den besten Tisch. „Es wird doch wohl möglich sein, uns an einen guten Tisch zu setzen! Wissen Sie denn nicht, wer wir sind?“ „Ich weiß, wer ich bin. Ich bin Koch, kein Tischler.“D I E N A M E N S O L L I C H V E R M U T L I C H N I C H T S C H R E I B E N .PATRICK:Die kommen eh nie wieder.TIM:Das ist die Stärke der Bullerei. Wir sind im posi-tivsten Sinne des Wortes Mainstream, unsere Gäste sind angenehm durchschnittlich.PATRICK:Die Menschen da draußen verstehen nicht, wenn Du sagst, wir seien Mainstream. Unsere Ein-richtung, unsere Mitarbeiter, unsere Produkte: All das ist das Gegenteil von Mainstream. Aber wir machen nicht auf dicke Hose. Wir haben der Presse zum Beispiel noch nie erlaubt, hier abends Fotos zu machen. Egal, wer hier war. Boris Be-cker. Jogi Löw. Til Schweiger.W I E S O N I C H T ?PATRICK:Wir finden es assig. Wir wollen nicht, dass die Promis hier heimlich abgeschossen werden, aber

erst recht wollen wir nicht, dass sie sich hier ge-zielt abschießen lassen. Das stört andere Gäste.E R N ST H A F T ? DA S R E STA U R A N T E I N E S P R O M I KO C H S , DA S P R O M I S N I C H T H O F I E RT ?PATRICK:Wir behandeln Prominente gut, genauso gut wie alle anderen Gäste, aber wir bieten ihnen keine Plattform, sich als prominent zu inszenie-ren. Manche Promis mögen gerade das. Philipp Seymour Hoffmann, Gott hab ihn selig, war vier Abende hintereinander hier, als er in Hamburg gedreht hat. Der wollte am Rand sitzen, der woll-te nicht, dass die „Bild“ ihn fotografiert. So etwas schätzen wir. Justin Bieber hingegen hat vorher gesagt, er wolle unauffällig am Rand sitzen, aber dann ist er mit Limousinen und fünf Leibwäch-tern und einem Riesenaufwand eingeritten, damit auch wirklich jeder sieht, dass er da ist.LASST UNS EINEN HAMBURGER GESINNUNGS-TEST MACHEN: ST. PAULI ODER HSV?PATRICK:Pauli.TIM:HSV.PATRICK:Pauli steht für Weltoffenheit, Kreativität, Vielfalt, der HSV doch eher für alte Bräsigkeit und dicke Bäuche, Zigarren und Rotwein.TIM:Ich mag St. Pauli, die Stimmung im Stadion und im Stadtteil, auch die Haltung des Vereins. Aber das erste Stadion, in dem ich als kleiner Junge mit meinem Vater war, war das Volksparkstadion. Der HSV war damals der Verein, für den man war hier im Norden. Der coole Verein. Nur weil das jetzt anders ist, lasse ich mir das nicht ausreden. Ich bin kein Wendehals.PATRICK:Es gibt keinen HSV-Fan mit dreistelligem IQ, der erst als Erwachsener HSV-Fan geworden ist. Zumindest nicht in den letzten fünf Jahren.TIM:Ich bin HSV-Fan, weil es Spaß macht, damit Menschen wie Patrick zu provozieren.PATRICK:Im tiefsten Inneren würde Tim viel eher zu Pauli passen, aber das kann er nicht, weil er das Proletenimage pflegen muss. Aus der Assi-Num-mer kommt er nicht raus.TIM:Großes Stadion, dickes Konto. Wir sind die Bayern der zweiten Liga.A LST E R O D E R E LB E ?PATRICK:Elbe. Die Elbe ist viel rougher, die Hafencontai-ner, die Kräne, der weite Blick. Meeresduft und Möwen.TIM:Elbe.PATRICK: Tim sagt Elbe, hat aber ein Restaurant an der Alster.I H R H A BT B E I D E N O C H E I N Z W E I T E S R E STA U R A N T I N H A M B U R G :

T I M „ D I E G U T E B OTS C H A F T “ A N D E R A LST E R , PAT R I C K DA S „ Ü B E R Q U E LL “ A M H A F E N . W I E S O M AC H T I H R D I E R E STA U R A N TS A LLE I N E ?TIM:Es gehört zu einer guten Partnerschaft dazu, dem anderen Freiräume zu lassen. Das stabilisiert die Beziehung. Aber es ist nicht so geil, wie ich gedacht hatte. Das Regulativ fehlt, das Nervige fehlt. Das muss ich ehrlich sagen.PATRICK:Da ist auf eine Art was dran.TIM:Ich investiere das Geld manchmal ohne Sinn und Verstand.WA S U N T E R S C H E I D E T D I E G U T E B OTS C H A F TVO N D E R B U L L E R E I ?TIM:Tatsächlich die Alster. In der Guten Botschaft re-belliere ich gegen das Bild, das die Öffentlichkeit von mir hat. Meine Sehnsucht ist: mehr Anerkennung in der gehobenen Liga.WA S K A N N ST D U I M Ü B E R Q U E LL M AC H E N ,WA S H I E R N I C H T G I N G E , PAT R I C K ?TIM:Den Chef spielen.PATRICK:Mich vernünftig und erwachsen mit meinem Geschäftspartner unterhalten.TIM:Patricks Sehnsucht ist: mehr Credibility in der roughen Szene. Credibility habe ich, weil ich ein Assi bin. Deshalb muss ich im ÜberQuell nicht mitmischen.K A N N ST D U KO C H E N , PAT R I C K ?PATRICK:Ja, aber ich mach's super selten.TIM:Patrick lebt in einem Ottolenghi-Haya-Molcho-Haushalt, Karotten mit Kreuzkümmel, ein bisschen Couscous. Wenn Du bei ihm zum Essen eingeladen bist: Iss was vorher!PATRICK:Tim war genau ein Mal bei mir zu Hause.TIM:Lass mich das so beschreiben: Patrick ist Agavendicksaft, ich bin Zucker.PATRICK:Auf eine Art mag das stimmen. Das ist der Unterschied zwischen Pauli und HSV, Agavendicksaft und Industriezucker.TIM: Ich hab einen der wenigen Hamburger Haushalte, in dem es noch eine Zuckerdose gibt, auf der auch Zucker drauf steht.W E N N I H R E S S E N G E H T : G E H T I H R DA N NS C H O N M A L I N D I E R E STA U R A N TS D E R A N D E R E N H A M B U R G E R F E R N S E H KÖ C H E ?PATRICK:Ich gucke keine Kochsendung im Fernsehen, aber die Restaurants der meisten Hamburger Fernsehköche sind top.TIM:Ich finde, dass Hamburg die Stadt mit den geilsten Fernsehköchen ist. Tarik Rose, Fabio Haebel, Patrick Gebhardt, Stefan Henssler, Christian Rach.W I E W I R D S I C H D I E B U LL E R E I I N D E N N ÄC H ST E N Z E H N JA H R E N V E R Ä N D E R N ? WA S H A BT I H R VO R ?PATRICK:Auch wir werden uns dagegen wehren müssen, ein etablierter Laden zu werden. Wir sind beide älter geworden, wir haben beide Familie. Es wird nicht einfach.TIM:Wir sind keine Rookies mehr, aber die Flamme ist noch da. Wir haben es gerade erst geschafft, das beste Gericht der Bullerei-Geschichte zu kreieren, im zehnten Jahr! Ein Ei, darüber Kar-toffelpüree mit Butterbröseln, darüber warme Mayonnaise, darüber ein bisschen Kaviar für die Salzigkeit. Sensationell! „Russisches Ei“ heißt es. Das fickt Deinen Gaumen. •

aber ohne mich hätte Patrick gar kein Geld, das er verwalten könnte.“

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Hier spricht der Gast: „Die schwache Bewertung des Restaurants leitet sich aus Folgendem ab: Tim Mälzer war auch da. Auf einer Skala von 1—10 würde ich seine Arroganz mit 12 bewerten.“ (OpenTable, 2.12.2016)

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Patrick Rüther gurkte mal wieder mit dem Rad durch Hamburg, als er auf die Backsteinhallen im Schan-zenviertel stieß: ein Stück denkmalgeschützter Indus-triearchitektur, altehrwür-dig, aber auch mächtig ma-rode, die Mauern besprüht, die Scheiben eingeschlagen, drumrum Gestrüpp. „Ein geiles Areal“, sagt Patrick. Ein Areal im Dornröschen-schlaf.

Früher einmal war hier Vieh gehandelt worden, waren hier Schweine und Kälber begutachtet und verkauft worden, bevor sie

AREAL!“

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„Ein geiles

Ein Gebäude mit Geschichte sollte es sein – für ein Restaurant mit Charakter. Eine Location, kein Standort.

Die erste Idee: Das Restaurant sollte „Halle für Kälber und Versand-schweine“ heißen.

durch einen Tunnel unter der Lagerstraße hindurch zum Schlachthof geführt wurden. Drei Hallen hatten auf dem Gelände gestanden, eine musste irgendwann einer LKW-Waschanlage weichen, die beiden an-deren wuchsen zu einem Riesenkomplex zusammen, 180 Meter lang, 60 Meter breit, 7 Meter hoch.

Jahrelang war unklar, was mit den Hallen gesche-hen könnte, eine Option war ein überdachter Wochen-markt, eine andere Option hieß Abriss. Nun atmet das Areal wieder, hell, luftig, großzügig. Eine Treppe führt zur Schanzenstraße hinab und ins lebendige Schanzenviertel hinein.

Der Architekt Giorgio Gullotta hat die beiden großen Hallen voneinan-der getrennt, hat Mauern abgebrochen und Teile der

Dächer abgetragen, hat alle kleineren Um- und Anbau-ten entfernt – und so Innen-höfe geschaffen. Schanzen-höfe heißt das Areal heute.

Die Bullerei war der ers-te Mieter, bezog 2009 den 1000 Quadratmeter großen Kopfbau, andere Mieter folgten: ein Musikkinder-garten, die Galerie Kappich & Piel, die Fernsehpro-duktionsfirma TeraVolt, die Kaffeerösterei Elbgold, die Ratsherrn Brauerei.

In der Bullerei erinnert noch manches an die alte Funktion der Gebäude: die Tische, die aus den Dach-balken einer alten Räucher-kate gezimmert wurden; die Toilettentüren, die auch als Stalltüren ihren Dienst tun könnten; die Betontröge, die als Waschtische montiert sind. 380 Quadratmeter ist der Hauptraum des Restau-rants groß, mit einer ein-

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Hier spricht der Gast: „Bedenkt man, dass die Norddeutschen bis vor gar nicht allzu langer Zeit überhaupt nicht kochen konnten, ist die Bullerei natürlich eine kleine Überraschung.“ (TripAdvisor, 21.11.2016)

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sehbaren Küche als Herz-stück. 140 Quadratmeter umfasst das Bistro nebenan, „Deli“ genannt. Es hat den Charme einer alten Bauern-stube: ein rustikaler Tresen, abgestoßene Kacheln an den Wänden, die Tische mit Farbresten bekleckst, die Stühle zusammengesucht aus Schulen, Kantinen, Behörden, an den Decken Fabriklampen.

„Halle für Kälber und Versandschweine“ hieß der Gebäudeteil einmal, in dem heute die Bullerei residiert. Tim Mälzer hatte die Idee, auch das Restaurant so zu nennen: „Halle für Kälber und Versandschweine“. Ziemlich sperrig, ziemlich martialisch auch. Und die Kurzvariante „Versand-schwein“?

Vegetarier wären wohl keine gekommen. •

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Hier spricht der Gast: „Empfang – gut aussehende Dame mit wenig Dienstleistungswillen. Trotz Bestellung für 21.00 Uhr war der Tisch erst nach 21.30 Uhr frei ...“ (OpenTable, 26.8.2015)

M U S S M A N N I C H T W I S S E N

A H N E N G A L E R I E

Philipp Rathmer, ein gefragter Mode- und Werbefotograf, lichtet einmal im Jahr die Mitarbeiter der Bullerei ab. Seine Fotos werden an die Wand rund um das Fenster zur Küche geballert: ohne Rahmen, ganz pur und ungeschützt. Etwa alle zwei Jahre müssen die Fotos neu aus-gedruckt werden. Die fettige Luft lässt sie gelb werden. Zu sehen sind übrigens aktuelle, aber auch ehema-lige Mitarbeiter, darunter manche, die es zu Küchenruhm gebracht haben: Sven Wolf führt heute ein Sterne-Restaurant in Kassel, Tho-mas Imbusch eins in Hamburg.

B I E N E N

Heimat, das war einmal Natur, das war das Dorf in Abgrenzung von der Stadt, heute ist in manchen Städ-ten mehr Natur als in den Dörfern und wohl auch mehr Heimat, heute macht sich die Stadt zum Land: Bio-läden, Bauernmärkte, Kräutergärten –und immer häufiger auch Bienen-stöcke. Die Bullerei hat drei auf dem Dach. Weil das Dachfenster der Bullerei zu klein war, mussten sie per Kran nach oben gehievt werden. Dort stellen die Majas und Willies nun Bullerei-Honig her.

BISZABullerei von

D R E S S C O D E

Ein Restaurantkritiker, der vor dem Bullerei-Dinner einen Clown ge-frühstückt hatte, empfahl seinen Le-sern mal, nicht im Holzfällerhemd in die Bullerei zu gehen. „Sonst könnte man mit dem Servicepersonal ver-wechselt werden.“

F E R N S E H E N

Neben dem Restaurant und dem Deli verfügt die Bullerei über das Studio, eine Mietlocation für Partys, Kon-zerte, Fotoshootings, etwa 110 Qua- dratmeter groß. Im Studio wurden und werden etliche Fernsehshows aufgezeichnet: in den Anfangstagen

der Bullerei die ARD-Sendung „Tim Mälzer kocht“, zuletzt der „Knife Fight Club“ für Vox. Binnen einer Stunde mussten zwei Spitzenköche aus drei Zutaten etwas zaubern. In der Kocharena hautnah bei ihnen: rund 100 Zuschauer und eine Jury, bestehend aus Tim Mälzer und dem Berliner Sternekoch Tim Raue. Ein gut abgeschmecktes, würzig-schar-fes Format. Seit Januar kocht Tim Mälzer nicht mal mehr im Fernse-hen selbst, er lässt kochen: Mälzer produziert mit seiner Firma „tibool Media“ die werktägliche Show „es-sen & trinken – Für jeden Tag“. Im Studio der Bullerei kreieren zwei Teams Alltagsgerichte zum Nach-kochen: die Schweizer Chefköchin

Meta Hiltebrand mit Küchenmeister Ludwig Heer und die Konditoren-weltmeisterin Andrea Schirmaier-Huber mit Kochspezialist Ronny Loll. Das Motto: „schnell, einfach, lecker“, ausgestrahlt auf RTL Plus.

G A U N E R , Ä H : G Ä ST E

Die Bullerei serviert Fleisch auf ei-nem Brett mit einem eingelassenen Magnet. Das ist praktisch für den Gast, weil das Steakmesser nicht runterrutscht, aber auch praktisch für die Bullerei. Warum? Weil das Steakmesser eher da bleibt, wo es hingehört. „Am Anfang wurde bei uns wahnsinnig viel geklaut“, sagt Tim Mälzer. Messer, Teller, Gläser. Alles. Im ersten Jahr ging Besteck und Geschirr für 70000 Euro ver-loren. „Ich war schon bei guten Freunden zu Hause eingeladen und hab zufällig die Gläser mit dem Bullerei-Logo im Schrank entdeckt. Alles Gauner!“

H O R ST

Das Fleisch kommt in der Bullerei in einem Einkaufswagen an die Tische. Die Idee dazu hatte Horst. Horst war ein Landstreicher, ein Typ mit Rauschebart, der auf dem Gelände der Bullerei schlief und sich drinnen wusch. Er bekam zwei Essen am Tag und dazu Getränke, er saß fast täglich am Tresen. Ein Stammgast, wenn man so will. Horst war eine Nervensäge, die sich schon mal über die Qualität des Essens beschwer-te, Horst war ein Sexist, „ein biss-chen wie Tim halt“, sagt Patrick. Horst war ein guter Typ, ein Unikat, „definitiv ein fester Bestandteil der Bullerei-Crew“, sagt wieder Patrick. Horst fegte die Terrasse, sammel-te Kippen auf dem Gelände ein, im Winter befeuerte er die Feuertonne vor dem Deli. Und einmal: Da lie-ferte der Landstreicher Horst den Geistesblitz für den Tranchierwagen. Eines Morgens, vor etwa eineinhalb Jahren, lag Horst dann tot auf einer Toilette. Rest in Peace, Horst.

J O K E S

Hamburger gehen zum Lachen in die Küche: „Brüllerei“ heißt ein Co-medy-Format, das Sebastian Merget und Andre Kramer im Studio der Bullerei organisieren. Mehr als zehn Liveshows gab es bislang, zu den Gästen zählte schon Atze Schröder.

K I C K E R

In den Anfangsjahren der Bullerei standen manche Mitarbeiter täglich fünf Stunden am Kicker, am Flipper, am Spielautomaten, erinnert sich Patrick Rüther, der sein Büro im Raum neben Kicker, Flipper, Spiel-automat hatte. „Wenn das so weiter- gegangen wäre, wären wir heute pleite“, sagt Patrick. „Wenn das damals nicht so losgegangen wäre, hätten wir heute nicht den Team-spirit, für den uns alle loben“, sagt Tim. Was nichts daran ändert, dass Kicker, Flipper, Spielautomat inzwi-schen im Lager verschwunden sind.

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„Weißt Du, was der geilste Drink ist in der Bullerei?“, fragt Patrick und antwortet sich selbst: „Der hausge-machte Eierlikör“. „Alles, was coole Leute scheiße finden, finden wir in-teressant“, sagt Tim. „Der Eierlikör ist unser Signature-Drink.“ „Warum featuren wir den nicht noch viel mehr?“, fragt Patrick. Unser Tipp für den Anfang: ein neuer Name für die Karte: „Bullereierlikör.“

M E T T B R ÖTC H E N

Was kochen Köche eigentlich für sich, während sie kochen? Meist nichts, weil die Zeit fehlt und oft auch der Appetit auf die exquisiten Sachen, die sie vor der Nase haben.Vielleicht ist ja der Spruch falsch,

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Was Sie schon immer über die Bullerei wissen wollten - und sich nicht zu fragen trauten.

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Hier spricht der Gast: „If u wanna see the local bourgoisy in a noisy environment, go here!“ (OpenTable, 7.11.2013)

dass das Auge mitisst, vielleicht isst die Nase mit, und die Köche sind schon vom Kochen satt. Wobei das mittwochs und freitags nicht gilt, mittwochs und freitags beliefert Michi Wagner die Bullerei, Ham-burgs bester Metzger. Er bringt stets auch etwas Mett fürs Küchenteam mit. Während die Köche die Gäste draußen à la carte versorgen, essen sie drinnen Mettbrötchen.

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Die Bullerei kauft alle zwei bis drei Monate ein ganzes Schwein, fast jeden Monat ein ganzes Rind. Das Küchenteam verwertet die Tiere „from nose to tail“, von der Nase bis zum Schwanz. Unterstützt von Metz-ger Michi Wagner macht das Team sogar selbst Wurst.

P R O M I B O N U S

„Wird Tim auch da sein?“ Das ist die Frage, die Mitarbeiter der Reservie-rungshotline am häufigsten hören. Ihre Antwort: „Wenn Tim in Ham-burg ist, ist er auch in der Bulle-rei, wenn er in Hamburg ist, ist er immer da.“ Was weniger daran liegt, dass Tim Mälzer sein Büro oben im Gebäude hat (böse Zungen behaup-ten, dass er den Weg dahin alleine gar nicht finden würde), sondern daran, dass er fast alle seine Ham-burger Termine, Meetings, Inter-views unten im Gastraum ansetzt. „Tim mag es, von Gästen angespro-chen zu werden“, sagt Bullerei-Be-triebsleiter Tom Roßner. „Und wenn es mal einen komplizierten Tisch geben sollte, geht Tim hin und be-sänftigt alle.“ Man könnte sagen, Mälzer ist sein bester Kellner.

Ü B E R Q U E LL

Heimat ist da, wo einem das Bier schmeckt. Das ist die Regel, auf die man sich in Deutschland bis heute einigen kann. Bier ist das lokal-patriotische Produkt schlechthin, Folklore in Flaschen. Bis vor einigen Jahren war daher völlig klar, wie ein Bieretikett auszusehen hat: ein lokales Hoheitszeichen, eine Jahres-

zahl und ein paar Worte in Fraktur-schrift, drumrum vielleicht noch ein wenig Eichenlaub in Silber oder Gold. Je traditioneller, desto besser. Doch seitdem der Craft-Beer-Hype deutsche Großstädte im Griff hat, wandelt sich das Bild. Die Namen der neuen deutschen Biere sind oft wortverspielt, gerne mit einem internationalen Touch, die Etiketten sind bunt, schrill, ironisch, erinnern manchmal mehr an einen Cartoon als an ein Stadtwappen. Man könnte auch sagen, sie sehen aus wie der Gastraum der Bullerei. Und so ist es vielleicht kein Zufall, dass Bulle-rei-Mitinhaber Patrick Rüther eine zweite Leidenschaft pflegt: Craft Beer. Craft ist der englische Begriff für Handwerk, Craft Beer ist ein Bier aus einer Kleinbrauerei. Seit zwei Jahren betreibt Rüther das ÜberQuell am Hamburger Hafen, in dem fünf Biere gebraut werden, jedes anders, jedes besonders. Das Craft Beer von ÜberQuell steht selbstverständlich auch auf der Bul-lerei-Karte. Heimat gestern: Das war das deutsche Reinheitsgebot, ein abgestecktes Revier. Heimat heute: Das ist Craft Beer, ein bunter, viel-fältiger, kreativer Kosmos.

R E S E RV I E R U N G E N

Montags bis freitags sitzen zwei Menschen von 10 bis 18 Uhr an der Telefonhotline der Bullerei, um Re-servierungswünsche anzunehmen. Die persönliche Note, der Plausch, die Plauderei ist Teil des Konzepts –am Abend selbst, aber auch schon davor. Reservierungen nimmt die Bullerei für maximal drei Monate im Voraus an, manche Tische wer-den pro Abend zwei Mal vergeben, Frühschicht und Spätschicht. Das erste Seating, so nennt das der Fachmann, ist um 18 Uhr. Nun könn-te man meinen: 140 Plätze, doppelt gebucht, einmal um 18 Uhr und einmal um 20.30 Uhr – das macht 280 Gäste an einem idealen Abend. Aber die Rechnung geht nicht auf: 140 Gäste gleichzeitig – das würde jede Küche überfordern und jeden Zapfhahn überlaufen lassen. Das Reservierungssystem für eine Wirt-schaft ist eine kleine Wissenschaft.Umso ärgerlicher ist es, wenn Gäste ihre Reservierung verfallen lassen, ohne vorher abzusagen. Die soge-nannten No-Shows sind weltweit ein wachsendes Phänomen. „Das ist ein Riesenproblem für Leute mit einem kleinen Laden“, sagt Patrick Rüther.„Gute Restaurants in den USA und auch in Südafrika sind daher längst dazu übergegangen, bei der Reservierung die Kreditkarte zu

ziehen. Dry aged beef ist besonders zart und sensationell aromatisch, ein Produkt mit Charakter, Manufakturware.

W E I H N AC H TS LE S E R E I

Seit drei Jahren organisiert die Bullerei jedes Jahr im Dezember eine Lesung im Bullerei-Studio –

ein Benefiz-Abend, erfunden und moderiert von Sebastian Merget. Aufgetreten sind u. a. schon Katrin Bauerfeind, Jorge Gonzalez, Steffen Hallaschka, Carolin Kebekus, Nova Meierhenrich, Sky Du Mont, DJ Mousse T, Uwe Ochsenknecht, Ronja von Rönne und Thees Uhlmann.

X AV I E R N A I D O O

Kitty Daisy & Lewis, Flo Mega & The Ruffcats, Sasha und Selig, Mo-ses Pelham und Samy Deluxe, Roger Cicero und Gentleman, Udo Linden-berg, Olli Dittrich, Thees Uhlmann, die H-Blockx: Sie alle und noch vie-le mehr waren in den vergangenen zehn Jahren da, live und unplugged im Restaurant der Bullerei. Der allererste, der auftrat, hieß Xavier Naidoo. Er begründete eine kleine Tradition. Der Deal seither: Die Mu-siker bekommen Essen und Trinken frei, aber keine Gage. Es geht um den Lagerfeuer-Moment, um die Klassenfahrt-Stimmung, den Spirit. Blues-Brothers-Style. Die Bullerei verkauft keine Tickets für die Kon-zerte. Wer an dem Abend im Res-taurant sitzt und isst, wird vielleicht überrascht, weshalb die Musiker stets erst nach dem Dessert begin-nen. Am Ende des Abends sind viele Musiker rotzevoll, bräsig und breit im Kopf, manch einer soll schon vier Lieder gleichzeitig gesungen ha-ben, behauptet Tim. Und die Gäste? Singen meist mit – auf den teuren Paul-Smith-Polstern stehend.

Z E I T U N G E N

Zum Start der Bullerei 2009 be-richteten viele Journalisten. Unsere Lieblingsüberschrift: „Tim Mälzers neuer Stall“ (Welt am Sonntag).

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belasten.“ Wer bis 24 Stunden vor seinem Termin absagt, bekommt das Geld zurück. Die anderen nicht. „In Deutschland traut sich das noch fast niemand.“ Die Bullerei ist groß und auch bekannt genug, um mit dem Phänomen umgehen zu können. Sie leistet sich zudem den Luxus, jeden Kunden am Vorabend der Reser-vierung noch mal anzurufen: Steht sein Plan noch? Braucht er einen Tipp für die Anfahrt? Und dennoch tauchen an manchen Abenden 15 bis 20 Personen nicht auf, an anderen bis zu 40. Es ist die moderne Form der Zechprellerei.

S P E R R H O L Z D E C K E

Die Decke des Restaurants erstrahlt in Sperrholz-Optik. Was in Berlin vermutlich als Konzept verkauft würde, als pur und clean, nachhaltig und ökologisch, shabby chic, das nennt der nüchterne Hanseat beim Namen: „Die Decke sollte eigentlich gestrichen werden, aber das haben wir vor Eröffnung nicht rechtzeitig hinbekommen“, sagt Betriebsleiter Tom Roßner. Um nach Eröffnung noch mal einen Anlauf zu starten, ist der Hanseat hingegen zu ge-schäftstüchtig: Alle Tische müssten raus, ein Hubwagen rein. Dann doch lieber pur und clean, nachhaltig und ökologisch, shabby chic.

T R O C K E N S C H R A N K

Die besten Steaks liefert Rind-fleisch, das trocken am Knochen gereift ist: sogenanntes „dry aged beef.“ Der englische Ausdruck täuscht: Dry aging ist kein modi-sches Marketing-Chichi, das Ver-fahren hat eine lange Tradition. Dry aging ist alte Metzgerkunst. Früher hängten die Metzger das Fleisch am Knochen auf und ließen es wochen-lang an der Luft reifen, heute hängt Fleisch für gewöhnlich vakuumver-packt in einer Kältekammer, kosten-optimierte Massenware. Das geht schneller, das produziert weniger Abfall, aber es produziert auch weniger Geschmack. Im Kamin-zimmer der Bullerei steht daher ein Trockenschrank, in dem Fleisch bei 17 Grad langsam vor sich hinreift. Unten im Schrank liegen Salzsteine, die Feuchtigkeit aus dem Fleisch

Hier spricht der Gast: „Der Kartoffelbrei kam mutmaßlich von Pfanni, der Krautsalat erinnerte mich an Reisen in die DDR in den 80iger Jahren.“ (Yelp, 9.11.2010)

H E R R U H L M A N N G E H T A U S

Drei kulinarische Punks testen die

Bullerei, allen voran der Musiker und Schriftsteller Thees Uhlmann.

Unser Rezept für den Abend ist schon mal per-fekt: Mich begleiten die beiden Böden, Timo Bodenstein und Michael Bodenmüller.

Ein Traum, den ich immer noch habe: Mit beiden nach Bayern in den Urlaub zu fahren, um dort ein Bild von ihnen vor dem Ortsschild von „Bodenmais“ zu machen.

Michael Bodenmüller war mein erster Mit-bewohner in Hamburg. Wir zogen zusammen in eine Zwei-Zimmer-Parterrewohnung in der Oe-verseestrasse, Schalke 04 wurde Europacup-Sie-ger, und Tim Mälzer war noch nicht im Fernse-hen. Die Älteren unter uns mögen sich erinnern. Der andere Boden ist Timo Bodenstein, ein alter Freund aus Hemmoor. Unsere Eltern waren Kol-legen, später wurden auch wir es. Er war Schlag-zeuger bei unserer Band „Tomte“, spielt jetzt bei der Band „St. Emmi“. Außerdem ist er gelernter Koch – genial für eine Gastrokritik.

Zieh dich warm an „Bullerei“. Hier kommt die dreigliedrige Speerspitze der kulinarischen Punks.

Ich koche selber ganz gern, besonders für andere. Wenn ich nur für mich allein koche, scheint es, als würde ich jegliches Können ver-lieren. Neulich wollte ich mir Curryreis kochen, mit Bananen, Nüssen, Zwiebeln und so Krams. Es war völlig geschmacksneutral und gleich-zeitig höllisch scharf. Vielleicht ist Umami die fünfte Geschmacksrichtung, ich habe am Tag des Curryreises die sechste erfunden und sie heißt „sinnlos“!

Ich vermisse die alten Dinge. Ich vermisse Dénes Törzs im Abendprogramm des NDR, weil er auch schon einem Achtjährigen beibringen konnte, was elegant, vornehm und gebildet ist. Ich vermisse „Am Abend vorgelesen“ mit Hans Joachim Kulenkampff. Und ich vermisse es, in Restaurants nett begrüßt zu werden.

„Tim hatte mir einen Tisch reserviert“, sage ich am Eingang der Bullerei. „Auf den Namen Uhlmann!“ Die beiden Damen gucken in ihren

Computer, suchen meinen Namen, finden ihn nicht, schauen sich an und sagen: „Der Tim halt! Dann kommt mal mit!“ Wenn man in einem Res-taurant schon in den ersten 20 Sekunden eine flache Hierarchie spürt, ist das ein gutes Zeichen. Da kann man als Gast loslassen, da braucht man keine Angst zu haben, dass man wie Zuhause die ganze Zeit angeschrien wird. Wir bekom-men einen Eckplatz, die Bank ist weich und hart gleichzeitig. Hier kann man für viele Stunden verweilen, auch wenn man seine Thrombose-strümpfe vergessen hat. Der erste Blick fällt auf die riesige Kunst in der Bullerei. Ich meine “rie-sig“ nicht als Bewertungskriterium, sondern als Größenangabe. Was Wenige wissen: Tim Mälzer ist Kunst-Aficionado. Ich selbst sah ihn mal in der Millerntor Gallery, als er wie von Sinnen auf ein Werk bot, das aus einem in ein Holzbrett geschla-genen Nagel bestand, der Titel: „Phalanx des öst-lichen Wendekreises“. „Find ich geil!“, sagte Tim. „Muss ich haben!“ In der Bullerei starren wir auf ein vier mal vier Meter großes Einhorn. Ich hatte in den letzten neun Jahren wegen meiner Tochter sehr viel mit Einhörnern zu tun. Ich weiß, dass die eleganten muskulösen Einhörner Einhörner heißen, und die dicken, niedlichen Unicorns. Ich weiß, dass sie Regenbögen kotzen und kleine Pakete kacken. Deswegen möchte ICH so etwas nicht beim Essen sehen. Aber die Bullerei ist eben nicht für mich da, sondern für alle Men-schen. Gleich fällt meinen Begleitern und mir ein imaginäres Telefongespräch zwischen zwei Bay-ern ein: „Du, Alois! Servus. I woa am Wuchenend in Hamburg, beim Mälzer Tim. Woist was innam Restoro drinna steht? A Ainhorn! Doch, wo ich’s doch soog. A richtiges Ainhorn. No ja halt nicht a echtes, aber ans aus, jo, was war dis glaich? Plastik oder Porzellan. Des worra Wahnsinn. Des musst du dir mal beim Seppl Fritz inna Wirts-stuben vorstellen beim Doppelkopf. Des wärra Wohnsinn.“ Und so was finde ich schön. Wir bestellen das Überraschungsmenü und bekom-

men als erstes Brot, dessen Kruste so hart und dick ist, dass man damit Scheiben einschmeißen könnte. Der Teig ist so sauer und luftig, dass es Sauerteigbrot sein muss. Ein guter Satz für eine Restaurantkritik. Das Brot schmeckt herrlich und wie vor 150 Jahren. Dazu gibt es eine Salsa, die grün ist. Das haben wir sofort herausgeschmeckt. Ich trinke ein Bier, weil ich aufgeregt bin, die beiden anderen trinken Wasser, weil sie ihre Geschmacksknospen nicht aufregen wollen. Wir bekommen einen Gruß aus der Küche. „Die sollen nicht grüßen, die sollen kochen“, sage ich em-pört. Timo, der Koch, sagt, dass das ganz normal ist, wenn die Leute in der Küche nett sind. Es ist ein Spargelsüppchen, fast schaumähnlich, auf dessen Oberfläche ein Öl schwimmt, dessen Na-men ich vergessen habe. Leute, die keine Suppen mögen, sollten sich sowieso einer psychologi-schen Untersuchung unterziehen. Meine Mei-nung. Dann kommt ein Lachs, der es offensicht-lich nicht zum Laichen und Sterben nach Hause geschafft hat, sondern dankenswerterweise auf unsere Teller. Zitronesk gebeizt teilt er den Teller zu beiden Seiten in jeweils einen kleinen See aus Buttermilchschaum und Pinienkern-Basilikum-creme. „Alter, die Kloppies aus der Küche haben ein Stück Rhabarber unter dem Lachs vergessen! Mann, Mann, Mann!“ „Bei mir auch!“ „Und bei mir auch!“ „Hmm, vielleicht doch kein Zufall!“ Super hat das geschmeckt. Einfach toll. Sogar der Kerbelstrauch, der obendrauf lag, wurde mitge-gessen. Der nächste Gang ist ein lauwarmer Pak Choi Salat mit Aioli-Eiern und gerösteten, ge-crumbelten Pekannüssen. Dazu muss es natürlich einen Weißwein geben. Man denkt ja immer, dass Gemüse nur halb so gut ist, wie es im Endeffekt wirklich ist. Aber das hier ist richtig gut. Die Aio-li ist so stark, dass danach an Knutschen nicht zu denken wäre. Der Pak Choi ist so sanft gegart, als würde man auf Seide kauen. Und gebratene Nüs-se findet eh jeder geil. Deswegen gibt es Firmen wie „Chio“ oder „Ültje“. Dann kommt der Gang, den man sich meinetwegen sparen kann. Je älter ich werde, desto weniger Freude habe ich, wenn im TV Menschen auf die eine oder andere Art und Weise umgebracht werden. Ich verdamme nicht, dass es das gibt. Ich möchte das nur nicht mehr sehen. Und irgendwie empfinde ich beim Fleischessen dasselbe. Aber es schmeckt na-türlich wunderbar, das Rindfleisch ist perfekt gebraten und gegart. Die Bedienung macht einen Fehler, denn sie sagt, dass Ofenkartoffeln dabei sind. Sind es aber gar nicht. Es sind angebrate-ne Grießnockerln! Wir freuen uns wahnsinnig, dass wir etwas rausgeschmeckt haben. Vielleicht war das auch einfach Absicht, das Kalkül: die Kritiker mit einem Erfolgserlebnis besänftigen. Der Nachtisch heißt „Schokoladen-Mousse-Eis an Chorizo-Marmelade“. Nein, ich habe mich nicht verschrieben. Schokolade mit spanischer Wurst. Wahnsinnig witzig, wenn man das isst und denkt: „Sowas mache ich Zuhause jetzt auch mal.“ Macht man eh nicht, aber es schmeckt so harmonisch und wild zusammen, als ob es schon immer so geplant war. Timo, der Koch, sagt, dass ein guter Service fast 50 Prozent zu einem gelun-genen Abend beiträgt. Wenn das Essen nur bei 80 Prozent wäre, dann wären wir bei der Bullerei unterm Strich also bei 130 Prozent. So gut ist das da. Wir hatten acht verschiedene Oberinnen und Ober und alle waren kompetent-freundlich, un-devot bemüht.

Man sagt ja gerne mal: „Friede den Hütten und Krieg den Palästen!“ Tim Mälzer hat es mit seinem Team geschafft, einen leistbaren Palast für Leute zu bauen, die sonst viel Angst um ihre Hütte haben. Und ich finde das, gerade in diesen Zeiten, wunderbar und wichtig. Happy Birthday, alter Freund. •

16

17B U L L E R Y

Hier spricht der Gast: „Achtung: Folgende Bewertung bezieht sich nur auf die Treppe vor dem Restaurant. Diese ist sehr sehr rutschig, wenn‘s regnet. Passt auf eure Schienbeine auf.“ (Google, 12.11.2017)

ÄNGTHE

Was

denn da?

Eine grell blinkende Kuckucksuhr, ein Hirschge-weih, gekreuzte Piratenknochen und Gewehre, dazu die Leuchtschrift „What the fuck is Hei-mat?“: Der Künstler Stefan Strumbel, geboren in Offenburg im Schwarzwald, trieb sich früher in der Graffitiszene rum, besprühte Wände und Züge, heute stellt er uns in seinen Werken immer wieder diese Frage.

Wo sind wir zu Hause, verwurzelt und gut aufgehoben? Was, zur Hölle, kann das überhaupt noch sein: Heimat?

Es ist eine Frage, die für viele von uns gar nicht mehr so einfach zu beantworten ist in unserer globalisierten, durchdigitalisierten, dauermobilen Gegenwart. Man könnte sagen, es ist die Leitfrage der Bullerei. Die Frage, die das Team jeden Abend anspornt.

Die Antwort: Ein gutes Restaurant macht satt, körperlich und emotional, ein gutes Restaurant stiftet Gemeinschaft. Essen ist Heimat auf dem Teller.

Dass Strumbels Werk in der Bullerei hei-misch werden konnte, ist im übrigen das Ergeb-nis einer Schnapsidee: „Im Suff hab ich mich mit Stefan Strumbel auf eine Summe geeinigt“, erzählt Tim Mälzer. „Ich dachte, wir reden über den Kaufpreis, er dachte, über die Leihgebühr.“ Mälzer zog Strumbel lange damit auf, bezichtigte ihn im Scherz eines schlechten Geschäftsgeba-rens, bis Strumbel eines Tages mit einem LKW auf dem Hof stand und fragte: „Wo soll ich das Scheiß-Ding hinhängen?“

Strumbel fuhr die Uhr mit einem Gabel-stapler rein, stellte nur eine einzige Bedingung: Wenn Mälzer die Uhr jemals weiterverkauft, machen sie halbe-halbe. •

GraffitiDie Graffitis vom Hamburger Künstler

Elmar Lause sind seit der Eröffnung der Bullerei fester Bestandteil des Restaurants und

befinden sich an nahezu allen Servanten.

SchweineDie Arbeit „Schweinerei in großer Schale XXL“ stammt von der Keramikbildhauerin

Belinda Berger. Sie lebt und arbeitet in Westerstede in Niedersachsen.

Sieben Todsünden Habgier, Hochmut, Neid, Trägheit, Völlerei,

Wollust & Zorn: Das große Wandgemälde der Hamburger Illustratorin Marei Schweitzer ist im Kaminzimmer der Bullerei zu sehen.

„Ich dachte, wir reden über den Kaufpreis,

er dachte, über die

Leihgebühr.“ Tim Mälzer

18

Hier spricht der Gast: „Mit heißen Temperaturen kann weder die Küche noch der Service umgehen.“ (OpenTable, 3.7.2015)

H Y P E R , H Y P E R

B ÄCK ER EI

BOL ZER EI

KONZERTE

RONC A LLI IN DA HOUSE

BRÜLLEREI

MENSCHEN, EINHÖRNER,

SENSATIONEN

SOMMERMÄRCHEN

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S ILV ES TER

E S K Ö N N T E E T W A S L A U T E R W E R D E N

Hier spricht der Gast: „Essen ist indiskutabel. Besitzer Melzer kam vorbei, erklärte die schleche Qualität des Steaks damit, dass es 'an der Kuh liegt'. Nie wieder Bullerei!“ (Tripadvisor, 30.9.2014)

Seit zehn Jahren gibt es eigentlich immer was zu feiern in der Bullerei: Sommerfeste, Geburtstage, Silvesterpartys. Und wenn es was zu feiern gibt in der Bullerei, ist eigentlich immer Buzz-T am Start, Hamburger DJ und Blogger. „Buzz-T ist der Soundtrack der Bullerei“, sagt Tim, „die Bullerei klingt wie er.“ Für die Bullette hat Sebastian Heit alias Buzz-T nun eine Playlist zusammengestellt.

MIXTAPE

FORGET ME NOTS Patrice Rushen

ICH ROLLE MIT MEIM BESTEN – BABOS REMIX

Haftbefehl, Marteria

MEIN DING – MTV UNPLUGGEDUdo Lindenberg

AUGENBLINGSeeed

THAT LADYThe Isley Brothers

UPSIDE DOWNDiana Ross

CREEPRadiohead

NEVER LEAVE YOU (UH, OOOH)Lumidee

ALLES ENDET (ABER NIE DIE MUSIK)Casper

WORKRihanna, Drake

I NEED A DOLLARAloe Black

KIDS (2 FINGER AN DEN KOPF)Marteria

& JAY-Z SINGT UNS EIN LIEDThees Uhlmann, Casper

HAUS AM SEEPeter Fox

I DON’T CARE AS LONG AS YOU SINGBeatsteaks

HUMBLE.Kendrick Lamar

LONELY BOYThe Black Keys

SENORITA Justin Timberlake

LOCKED OUT OF HEAVENBruno Mars

HAPPY Pharrell Williams

6.000.000 EURO ARSCHFlo Mega

Jetzt anhörenauf Spotify:

W EIHN A C H T SLE SER EI

BÖL L ER EI

W UNDER L A ND

LESER EI

SILV ES TER ME X IC A N A !

UDO!

JUBIL ÄUMSFEIER

20

Zutaten für 4 Leute

Hier spricht der Gast: „Fazit: zu teuer, Essen nicht gut, aber wenn man einen gestressten Tim Mälzer sehen will, der hin und her läuft, sollte man hingehen.“ (Yelp, 12.2.2010)

J U B I L Ä U M S M E N Ü

DAS

1 K i l o R i n d e r h ü f t e2 5 0 G r a m m Ke t c h u p1 2 5 G r a m m g e t r o c k n e t eTo m a t e n7 5 G r a m m S e n f m i t t e l s c h a r f2 5 M i l l i l i t e r Ka p e r n fo n d1 0 G r a m m Ka p e r n 1 S c h a l o t t e 4 C o r n i c h o n s6 H a l m e S c h n i t t l a u c hS a l zS c hw a r z e r P fe ffe r

1 . Die getrockneten Tomaten einweichen. 2. Die eingeweichten Tomaten auf ein Sieb gießen, um sie von der Flüssigkeit zu trennen. 3. Tomaten, Ketchup, Kapernfond und Senf mit einem Stabmixer mixen. 4. Alles mit Salz und Pfeffer abschmecken – fertig ist die Tatarsoße.5. Die Rinderhüfte von allen Sehnen befreien und je nach Geschmack mit einem Messer fein würfeln oder durch einen Fleischwolf drehen. 6. Die Schalotten und Cornichons in feine Würfel schneiden. 7. Den Schnittlauch fein schneiden. 8. Fleisch, Schalotten, Cornichons und Schnittlauch mit der zuvor gemixten Tatarsoße vermengen. 9. Alles noch mal mit Salz und Pfeffer abschmecken.

MENÜ

„Wenn es ein Produkt gibt, das für die Bullerei steht,

dann ist es das Entrecote. Was machen wir Geiles mit dem

Fleisch? Nichts. Wir nehmen geiles Fleisch, wir grillen es,

wir salzen es, wir legen es auf ein Brett – Yippieah!“

Tim Mälzer

BEEF TATAR

Die beliebtesten Gerichte der BullereiEntrecôte: 8000 Portionen pro JahrBeef Tatar: 6000 PortionenSchokoladenkuchen: 5000 Portionen

21S O S C H W E R I S T D A S G A R N I C H T

Hier spricht der Gast: „Einziger Höhepunkt hier: die Polenta-Pommes mit selbstgemachtem Ketchup, lecker, aber nur ein hauchdünnes Glimmen am Ende des dunklen Bullerei-Tunnels.“ (Yelp, 8.10.2014)

300 G r a m m B u t t e r300 G r a m m d u n k l e K u ve r t ü r e3 30 G r a m m Zu c ke r5 0 G r a m m Ka k a o p u l ve r1 ,5 E s s l ö f fe l S p e i s e s t ä r ke1 Te e l ö ffe l B a c k p u l ve r2 G r a m m Va n i l l e8 E i e r

1 . Butter und Kuvertüre in eine Schale geben und auf einem heißen Wasserbad schmelzen. 2. Zucker, Speisestärke, Kakaopulver, Backpulver und Vanille vermischen. 3. Die geschmolzene Butter und Kuvertüre mit den Eiern verrühren und unter die trockenen Zutaten mixen.4. In eine gefettete Backform füllen. 5. Backofen auf 125 Grad vorheizen (Umluft). Den Kuchen 35 Minuten lang backen.

ENTRECÔTE SCHOKO-KUCHEN

1 , 2 K i l o E n t r e c o t e Ö l z u m A n b r a t e nS a l z , s c hw a r z e r P fe ffe r

1 . Das Entrecote bei dem Fleischer Ihres Vertrauens kaufen und in 4 gleich große Steaks schneiden lassen. 2. Eine Pfanne auf den Herd stellen und auf mittlerer Stufe heiß werden lassen. 3. Das Öl in die Pfanne geben. 4. Die Steaks von links anbraten. Dann von rechts.5. Die Steaks vor dem Anrichten kurz ruhen lassen. Dabei beide Sei-ten mit Salz und Pfeffer würzen.

M a i s ko l b e n4 M a i s ko l b e n g e g a r t1 K i l o fe s t ko c h e n d e Ka r t o ffe l n2 5 0 G r a m m B u t t e r1 G e m ü s e z w i e b e lS a l z , s c hw a r z e r P fe ffe r, Zu c ke r, M u s k a t

1 . Die Gemüsezwiebel in feine Wür-fel schneiden und in etwas Butter goldbraun rösten.2. Die restliche Butter köcheln, bis sich die Molke und das Fett trennen und man eine goldbraun geklärte Butter hat. 3. Die Kartoffeln gar kochen und an-schließend stampfen. 4. Die Kartoffeln mit den gerösteten Zwiebeln und der geklärten Butter vermischen. 5. Alles mit Salz, Pfeffer und Muskat abschmecken.

6. Die Maiskolben in einer Pfanne mit etwas Butter anbraten, mit Salz und Zucker abschmecken.

R ö m e r s a l a t 2 R ö m e r s a l a t h e r z e n300 M i l l i l i t e r We i ß we i n e s s i g300 M i l l i l i t e r Wa s s e r300 G r a m m Zu c ke r300 M i l l i l i t e r O r a n g e n s a f t1 Zwe i g R o s m a r i n1 5 0 M i l l i l i t e r P f l a n z e n ö l

1 . Den Römersalat waschen und in feine Streifen schneiden. 2. Essig, Wasser und Zucker in einem Topf auf den Herd stellen und um die Hälfte einkochen. 3. Orangensaft ebenfalls in einem Topf auf dem Herd um die Hälfte einkochen. 4. Die Blätter vom Rosmarinzweig zupfen. 5. Das Essig-Zuckerwasser mit dem Orangensaft und den Blättern vom Rosmarinzweig vermischen.6. Das Öl langsam einlaufen lassen und die Flüssigkeit mit einen Stab-mixer zu einer Vinaigrette hochzie-hen, bis sie dick wird.

B B Q - S a u c e2 5 0 G r a m m r o t e Zw i e b e l n60 G r a m m K n o l l e n s e l l e r i e1 2 5 G r a m m To m a t e n m a r k60 G r a m m b r a u n e r Zu c ke r3 5 0 M i l l i l i t e r G e f l ü g e l fo n d1 2 5 M i l l i l i t e r Ke t j a p M a n i sP f l a n z e n ö l , S a l z , s c hw a r z e r P fe ffe r

1 . Die Zwiebeln und den Sellerie in grobe Würfel schneiden und mit etwas Öl in einem Topf anschwitzen. 2. Während des Anschwitzens mit etwas Salz und Pfeffer würzen. 3 . Das Tomatenmark hinzugeben und mit anrösten. 4. Den braunen Zucker dazugeben und karamellisieren lassen. 5. Mit dem Geflügelfond und dem Ketjap Manis ablöschen und köcheln lassen, bis das Gemüse weich ist. 6. Alles mit einem Stabmixer mixen und mit Salz und Pfeffer abschmecken.

M I T K A RTO F F E L R Ö ST Z W I E B E LSTA M P F, G E B U T T E RT E M M A I S KO LB E N , B B Q - S A U C E U N D R Ö M E R S A L AT M I T R O S M A R I N - O R A N G E N - V I N A I G R E T T E

22

Hier spricht der Gast: „Wenn man beim Anruf im Restaurant schon geduzt wird, dann vergeht mir persönlich die Lust und die Neugier! Danke, aber nein danke...“ (Tripadvisor, 26.11.2016)

A L T E R ! 1 0 J A H R E !

CHRONIK

5 Jahre Bullerei!1 Tag Party auf den Schanzenhöfen: 5000 Besucher, DJs & Livemusik

Halloween-PartyBestes Mitarbeiter-Outfit: Dagmar

Rot/weiß Der erste mit Bullerei gebrandete Wein vom WeingutMetzger ist da!

3. 7. 2012Bullerei wird 3

3.11.2014Rolling Pin - Leaders of the

Year: Tim und Patrick „Gastronomen des Jahres“.

22. 9. 2015Circus Roncalli in der Bullerei

10. 9. 2013Bullerei gewinnt den

Hamburger Gründer-preis 2013 in der

Kategorie „Aufsteiger“.

1. 7. 2009Eröffnung der Bullerei

18. 5. 2012

5. 7. 2014

30. 10. 2018

What happens in the Bullerei stays in the Bullerei. Bis jetzt.

1. 7. 2019Bullerei wird 10

3. 10. 2016Kicken für den guten Zweck! Die erste „Bolzerei“ startet: „Placebo Kickers Hamburg e.V.“ gegen die „Bullerei Allstars“.

7. 12. 2009

22. 2. 2010Nach 236 Tagen schließt die Bullerei

zum 1. Mal. Der Grund: Die Weihnachtsfeier der Mitarbeiter

11. 6. 2010 Fußball WM startet mit

Public Viewing Event: Live & Lecker

26. 11. 2012Leaders Of The Year

Award 2012 als bester Arbeitgeber in

Deutschland

23. 5. 2012Fizzz Award Gewinner 2012 für das beste Gastro-Team

15. 12. 2011

2. 9. 2015

Och, ist der süß!Der erste Bullerei Sommerblütenhonig.Mehr als 50.000 Bienen leben auf dem Dach der Bullerei.

Sommerfest!Die Mitarbeiterfeste der Bullerei sind legendär. Helbing fehlt nie!

1.3.2015DANKE für 30.000 FacebookLikes18. 1. 2016

25. 3. 2018

Der SchweinekopfBislang erfolgreichster Facebook-Post. #Shitstorm

GeheimkonzertMit Sasha, supported by Nicolas Gomez und Nico Suave

Erstes Konzert Die Söhne Mannheims rocken die Bullerei.

23N E U E S A U S D E M I N T E R N E T Z

Hier spricht der Gast: „Beim Henssler ist‘s günstiger und leckerer!“ (Google, 3.1.2018)

Was vor fünf Jahren der Burger war, das ist heute die „Poke Bowl“: das Trendgericht, das die Großstädte erobert. Das mag an den gesunden Grundzutaten liegen, roh marinier-ter Fisch, Gemüse, Früchte, Reis. Noch mehr aber liegt es an der bonbonbunten Gute-Laune-Sur-fer-Optik, nach der sich auf Insta- gram alle verzehren. Der Hashtag #pokebowl liefert etwa eine halbe Million Treffer.

Poke Bowls, ursprünglich behei-matet auf Hawaii, sind das Heimatge-richt der Generation, die im Internet zu Hause ist.

Das „ZEITmagazin“ hat neulich die These aufgestellt, dass Instagram die Ästhetik der Zehnerjahre präge, so wie MTV einst die Ästhetik der Achtzigerjahre geprägt habe.

Anders als auf Twitter oder Facebook pöbelt auf Instagram fast niemand. Instagram ist die Inter-netplattform, auf der sich alle lieb haben, das plüschige Social Net-work. Man könnte auch sagen: ein PR-Paradies.

In Hotels lassen sich Innenar-chitekten längst kleine Gimmicks einfallen, die online viele Likes bekommen könnten: eine neckische Stickerei im Kopfkissen zum Bei-spiel, „let´s spend the night toge-ther“. In Restaurants entwickeln Köche ein Bewusstsein dafür, dass der Teller, den sie rausschicken, möglicherweise nicht nur von zwei, drei, vier Personen gesehen wird, sondern von vielen Tausend.

Sie servieren ihre Gerichte auf Etageren, Holzbrettern, Steinplat-ten, sie bestreuen sie mit Blüten, mancherorts lassen sie sich sogar Gerichte einfallen, nur weil sie ins- tagrammable sind: neue Poke Bowls eben, regenbogenfarbige Drinks oder Burger, bei denen zwei Avoca-

dohälften das Burgerbrötchen erset-zen. Der Koch als Grafikdesigner.

Für das Phänomen hat sich der Begriff „Foodporn“ eingebürgert: Essensbilder, die Lust machen auf mehr, die den Blick fesseln wie sonst nur Sexszenen. Rund 200 Millionen Beiträge auf Instagram tragen

den Hashtag.Von dem Phänomen profitieren

auch Gastronomen wie der tür-kische Steakhousekettenbesitzer Nusret Gökce. Sein Fleisch schnei-det er bevorzugt mit dem Krumm-säbel, seine Steaks überzieht er für Kunden wie FC-Bayern-Star Franck Ribéry schon mal mit Blattgold. Eine Bling-Bling-Küche, für die ihm die „Süddeutsche Zeitung“ einen hüb-schen Titel verlieh: „Kim Kardashian der Steakküche“.

Nun ging es in der Gastronomie schon immer ums Weitererzählen, schon immer war Mundpropaganda das wirkungsvollste Marketing, aber die Dimension ist heute eine andere.

Es gibt Menschen, die beobachtet haben wollen, dass neue Restaurants und Cafés heller eingerichtet sind als ältere. Manche Gastronomen gehen so weit, ihr gesamtes Be-leuchtungskonzept für Instagram zu optimieren, sie rücken nicht den Gast ins rechte Licht, sondern das Gericht. Andere bieten ihren Gästen an, sich Stativ und LED-Licht aus-zuleihen, das Restaurant als Foto-studio.

Soziologen wie Andreas Reckwitz, der gerade mit dem renommierten Leibniz-Preis ausgezeichnet wurde, diagnostizieren einen Profilierungs-zwang in unserer Gesellschaft: eine Gier nach einzigartigen Dingen und außeralltäglichen Erlebnissen, eine Sehnsucht nach der Aura des Be-sonderen. Wir buchen immer häufi-ger kein Zimmer in einer Hotelkette, sondern eine Privatwohnung via Airbnb; wir trinken Craft Beer statt Krombacher; wir leben unser Leben nicht, sondern führen es auf, Schau-spieler unserer selbst.

Der spätmoderne Mensch ist originalitätssüchtig, das Paradox: Wenn jeder originell sein will, wird Originalität früher oder später un-originell. So wie in Pornos immer dasselbe geschieht – kennste einen, kennste alle –, so gleichen sich auch viele der Bilder unter dem Hashtag Foodporn.

Und natürlich könnte man nun noch eine Weile so weitermachen, sich reinsteigern in Kulturpessimis-mus und Modernekritik, könnte unken, dass die gute alte ehrliche Heimatküche es bald schwer haben wird, weil Eintopf nun mal nicht so fotogen ist wie Poke Bowl. Aber Ins- tagram hat wie wohl kein Medium zuvor dabei geholfen, Essen und Kochen und die Kunst des Gastge-berseins aufzuwerten, ein Booster für die Branche.

Essen ist seit jeher ein soziales Phänomen. Logisch, dass viele es heute nicht mehr nur mit Partner und Familie teilen wollen, sondern mit allen, die ihnen auf Instagram folgen.

Essen stiftet Gemeinschaft. Es entscheidet darüber, wer dazugehört und wer nicht. Es schließt die einen

ein – und die anderen aus, ähnlich wie Kleidung. „Identität geht durch den Magen“, heißt ein kluges Buch der Frankfurter Romanistin Christi-ne Ott. Man kann es noch einfacher sagen: Speisen machen Leute.

„UNSERE FOTOWAND BIN ICH“

W I E S I E H T E I N G E R I C H T A U S , DA M I T E S I N STATA U G L I C H I ST ?TIM MÄL ZER: Einer der bekann-testen Teller ist die zerbrochene Zitronentarte, Titel: „Oops, I drop-ped the lemon tarte.“ Die Story dahinter: Dem Souschef des italie-nischen Dreisternekochs Massimo Bottura soll beim Anrichten der Kuchen runtergefallen sein, so dass die Soße rumspritzte wie auf einem Jackson-Pollock-Gemälde. Farbe! Opulenz! Dazu diese Story! Das hat auf der ganzen Welt beeinflusst, wie Köche anrichten. Seitdem klatscht jeder die Soße auf den Teller.H AT I N STAG R A M W I R K LI C H D I E S E M AC H T ?Wie viele Menschen kanntest Du, die gut im Kunstunterricht waren? Wie viele vermeintliche Teller-Ak-robaten gibt es heute? Das ist der Einfluss von Instagram, einer ko-piert den anderen. In meinen Augen war jeder Küchentrend in den letz-ten Jahren ein Visualtrend. Die neue Klarheit, die Tröpfchenanrichte – das war alles visuell. Um Geschmack ging es kaum.D E R D U R C H G E ST YLT E L A D E N , D I E D U R C H G E ST YLT E N K E LL N E R : D I E B U LL E R E I W I R K T W I E G E M AC H T F Ü R I N STAG R A M .Die Bullerei gibt es seit 2009, Ins- tagram seit 2010. Instagram wirkt wie gemacht für die Bullerei. Im Ernst: Die Bullerei liefert sehr viele Fotomotive, aber nicht aus Kalkül, die Bullerei ist authentisch. Agen-turen raten Gastronomen heute ja gerne, eine Selfiewand zu schaffen, vor der sich Gäste gerne fotografie-ren. Unsere Fotowand bin ich. ST E FA N ST R U M B E LS H E I M AT U H R Z I E H T S I C H E R A U C H .Das stimmt. Ich würde wetten, dass die Uhr das meist fotografierte Gastro-Objekt in Deutschland ist.E S S E N I N STAG R A M - I N F LU E N C E R G R AT I S B E I E U C H ?Nein, nein, nein.W I R K LI C H N I C H T ?Na gut, wir haben da mal eine schwache Phase gehabt, aber wir mögen das nicht. Unser Essen lässt sich nicht gut fotografieren, unser Essen schafft Bilder im Kopf. Ich sage unseren Leuten immer: In dem Moment, in dem wir das Essen servieren, muss der Gast schon die Hälfte des Geschmacks im Kopf haben. Das Holzbrett. Darauf ein großes Special Cut vom Rind. Dazu das Senfei in der Dose. Wir sind emotional stark, wir ficken deinen Kopf. •

BUL

LERE

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Der Koch als Grafikdesigner: Instagram revolutioniert die Gastronomie

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Hier spricht der Gast: „Es ist übertrieben, diesen Laden schlecht zu machen, nur weil man Mälzer oder die Touris (die hier hauptsächlich verkehren) nicht leiden mag.“ (Yelp, 22.4.2015)

T S C H Ü S S

BOLOSpaghetti

Tim Mälzers persönliches Katerrezept

Großes Jubiläumspreisrätsel:

YEssgewohnheiten dienen häufig dazu, Fremden eine Identität zuzuschreiben, sie zu beleidigen: die Deutschen als „Krauts“ oder „Kar-toffeln“, die Franzosen als „Frogs“, die Italiener als „Spaghettifresser“.

Die Logik dahinter: Der Mensch ist, was er isst.

In Deutschland ist heute kaum ein Gericht so beliebt wie Spaghetti Bo-lognese, ein Gericht mit Kosenamen: Spaghetti Bolo. Man könnte sagen, die Deutschen sind heute selbst Spa-ghettifresser.

„Spaghetti Bolo ist für mich das perfekte Gericht“, sagt Tim Mälzer in seinem aktuellen Kochbuch, „Neue Heimat“. Seine Eltern gingen sonntags immer zum Jazz-Früh-schoppen in die Fabrik, ein Veran-staltungszentrum in Hamburg-Al-tona. Der kleine Tim kam mit und verkrümelte sich in die Bastelecke. Mittags kam er raus und aß ... Spa-ghetti Bolo. „Wenn ich in Altona an der Fabrik vorbeifahre, habe ich noch heute den Geschmack der Bolo auf der Zunge.“

„The

DA after“

Schreibt Eure Antwort bis zum 28.9.19 an [email protected] und gewinnt mit etwas Glück einen der tollen Preise. Die Gewinne werden verlost, die Gewinner per E-Mail benach-richtigt! Der Rechtsweg muss draußen bleiben. Arme Wurst.

Wie viele Portionen Burrata serviert die BULLEREI pro Jahr?

1 . PREIS: Ein Abendessen für zwei in der BULLEREI, in den coolen Konfetti-Anzügen von Tim und Patrick!

2. – 8. PREIS: Ein von Tim signiertes Kochbuch!

9.– 15. PREIS: Eine Kiste ÜberQuell Craft-Beer. Handgebraut von Patrick!

16.–25. PREIS: Eine Jutetasche „Who the fuck is Tim Mälzer“ mit kleiner Überraschung drin!

GEWINNE! GEWINNE!

GEWINNE!

Das Gericht kann in ihm Erinne-rungen erzeugen wie nur wenige andere. Es macht ihn emotional satt. Man könnte sagen, es nimmt ihn in den Arm.

Als Mälzer vor vielen Jahren mal verkatert zum Dienst musste, lange vor Gründung der Bullerei, setzte er daher parallel zu einem exquisi-ten À-la-Carte-Menü für die Gäste einen Riesentopf Bolo für sich selbst auf. „Am Ende des Abends habe ich auch den Gästen noch einen Teller rausgebracht, zum Dessert. Ich hatte vorher vier Gänge serviert, aber die Emotionen kamen erst bei der Bolo“, erinnert er sich.

Seither ist Spaghetti Bolo für Mäl-zer das Kateressen schlechthin.

Die Bullerei serviert jedes Jahr etwa 10 Tonnen, eines der bestver-kauften Gerichte. Seit dem ersten Tag steht es auf der Karte des Deli. Wer mag, kann darin ein Indiz dafür sehen, dass das Schanzenviertel ein Feierviertel ist.

Auf ein rauschendes Jubiläum! Und einen entspannten Tag danach.

1 . Gemüsezwiebel und Knoblauch schälen und würfeln. Möhren schä-len, mit Staudensellerie in Würfel schneiden. Rinderbeinscheiben, Schweinenacken und Lammschul-ter rundherum salzen. Olivenöl in einem Bräter erhitzen. Fleisch darin von allen Seiten kräftig anbraten, herausnehmen und beiseitestellen.2. Gemüse im Bratfett anbraten. Tomatenmark zugeben und kurz mitbraten. Mit Weißwein ablöschen, einkochen lassen. Mit Rinderbrühe und passierten Tomaten auffüllen.3. Fleisch zurück in den Bräter legen. Lorbeerblätter zugeben und alles zugedeckt 2 Stunden garen. 4. Nach Ende der Garzeit das Fleisch aus dem Bräter nehmen. Die Soße mit Pfeffer und Oregano wür-zen. Petersilie hacken und untermi-schen. Milch zugeben, Soße aufko-chen und 5 Minuten kochen lassen. Fleisch mit zwei Gabeln in Stücke zupfen und eventuell klein schnei-den. Knochen, Fett und Sehnen dabei entfernen. Fleisch zurück in den Bräter geben und bei schwacher Hitze weiterschmoren.5. Nudeln in reichlich kochendem Salzwasser nach Packungsanwei-sung garen, abgießen, abtropfen lassen und mit dem Ragout mischen. Parmesankäse darüber hobeln.

Zu t a t e n ( f ü r 6 — 8 Pe r s o n e n )

1 G e m ü s e z w i e b e l4 K n o b l a u c h z e h e n 2 M ö h r e n2 S t a n g e n S t a u d e n s e l l e r i e800 G r a m m R i n d e r b e i n s c h e i b e n600 G r a m m S c hwe i n e n a c ke n a mS t ü c k ( o h n e K n o c h e n )4 00 G r a m m L a m m s c h u l t e r( m i t K n o c h e n )S a l z4 E s s l ö ffe l O l i ve n ö l2 E s s l ö ffe l To m a t e n m a r k300 M i l l i l i t e r We i ß we i n600 M i l l i l i t e r R i n d e r b r ü h e1 D o s e p a s s i e r t e To m a t e n ( 4 00 G r a m m )3 Lo r b e e r b l ä t t e rS c hw a r z e r P fe ffe r a u s d e r M ü h l e1 — 2 E s s l ö ffe l g e t r o c k n e t e r O r e g a n o1 B u n d Pe t e r s i l i e1 5 0 M i l l i l i t e r Vo l l m i l c h600 G r a m m Pa p p a r d e l l e2 00 G r a m m Pa r m e s a n