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Hochschule Neubrandenburg University of Applied Sciences Bachelorthesis Zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts (B.A.) Im Studiengang Soziale Arbeit Nutzungsmöglichkeiten der Gewaltfreien Kommunikation nach M. Rosenberg. Eine Betrachtung des selbstfürsorgerischen Potenzials dieses Konzeptes. Vorgelegt von: Isabel Creutzburg Sommersemester 2020 Erstprüferin: Prof. Dr. phil. habil. Barbara Bräutigam Zweitprüferin: Dipl.-Soz.-Päd. Kristine Waack URN: urn:nbn:de:gbv:519-thesis2020-0500-8 Neubrandenburg, den 28. Juli 2020

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Hochschule Neubrandenburg

University of Applied Sciences

Bachelorthesis

Zur Erlangung des akademischen Grades

Bachelor of Arts (B.A.)

Im Studiengang Soziale Arbeit

Nutzungsmöglichkeiten der Gewaltfreien Kommunikation nach

M. Rosenberg. Eine Betrachtung des selbstfürsorgerischen Potenzials

dieses Konzeptes.

Vorgelegt von:

Isabel Creutzburg

Sommersemester 2020

Erstprüferin: Prof. Dr. phil. habil. Barbara Bräutigam

Zweitprüferin: Dipl.-Soz.-Päd. Kristine Waack

URN: urn:nbn:de:gbv:519-thesis2020-0500-8

Neubrandenburg, den 28. Juli 2020

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung ......................................................................................................................................... 1

1. Die GFK als Methode zur zwischenmenschlichen Konfliktbewältigung .................................. 3

1.1. Grundhaltung und Menschenbild der GFK ....................................................................... 5

1.2. Die vier Schritte der GFK ................................................................................................... 7

1.2.1. Beobachten ................................................................................................................ 8

1.2.2. Gefühle wahrnehmen und ausdrücken ..................................................................... 9

1.2.3. Bedürfnisse .............................................................................................................. 10

1.2.4. Bitten ....................................................................................................................... 11

2. Professionalität in der Sozialen Arbeit ................................................................................... 12

2.1. Sozialarbeiter*innen als Werkzeug in professionellen Beziehungen ............................. 13

2.2. Sozialarbeiter*innen als potenziell Burn- Out- Gefährdete ........................................... 15

2.2.1. Begriffsklärung und Phasen des Burnout ................................................................ 15

2.2.2. Inwiefern sind Sozialarbeitende von Burnout gefährdet? ...................................... 17

2.2.3. Bestehende Ansätze der Prävention ....................................................................... 19

3. Professionelles Handeln mithilfe der GFK als Möglichkeit zur Selbstfürsorge ...................... 21

3.1. Voraussetzungen in der GFK für Professionalität ........................................................... 21

3.1.1. Präsenz ..................................................................................................................... 21

3.1.2. Akzeptanz ................................................................................................................ 22

3.1.3. Empathie .................................................................................................................. 23

3.1.4. Authentizität ............................................................................................................ 24

3.2. Anwendung der GFK im professionellen Alltag als Sozialarbeitender ........................... 25

3.3. Beschränkungen der GFK ................................................................................................ 29

4. Fazit ........................................................................................................................................ 31

5. Quellenverzeichnis ................................................................................................................. 37

6. Eidesstattliche Erklärung ........................................................................................................ 39

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1

Einleitung

Sieh die Schönheit in mir,

Such das Beste in mir.

Das ist es, wie ich wirklich bin

Und was ich wirklich sein möchte.

Es mag ein wenig dauern.

Es mag schwer zu entdecken sein.

Aber sieh die Schönheit in mir.

Sieh die Schönheit in mir,

Heute und jeden Tag:

Kannst du das Wagnis eingehen,

Kannst du einen Weg finden,

In allem, was ich tue

Mich durchscheinen zu sehen

Und meine Schönheit wahrzunehmen?

(Leitner 2020, Internetquelle)

Liedtexte tragen das Potenzial in sich, mit wenig Text tiefgründige und inspirierende Aussagen

treffen zu können. Dieses Lied von Kathy und Red Grammer diente Marshall B. Rosenberg, dem

Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, als Anschauungsmaterial bei seinen öffentlichen

Auftritten. Seiner Meinung nach spiegelt gerade dieser Text die Botschaft wider, die jeder

einzelne Mensch beim Kommunizieren aussendet (ebd.). Damit befindet sich diese

Bachelorarbeit auch schon direkt beim tieferen Kern der Gewaltfreien Kommunikation:

Rosenberg sieht in jedem Menschen das Potenzial, das Gute im Gegenüber zu suchen und zu

finden und aus dieser Haltung heraus zu agieren.

Soziale Arbeit ist eine Profession, die ausgeübt in der Praxis einen hohen Anteil an

Kommunikation mit Klient*innen voraussetzt und erwartet. Bewusstes, empathisches

Interagieren in Gesprächen fällt nicht jedem Sozialarbeitenden gleichermaßen leicht, darüber

hinaus lassen sich Konfliktsituationen im Alltag kaum vermeiden. Davon ausgehend bietet die

Gewaltfreie Kommunikation (im Folgenden abgekürzt mit GFK) eine in die Praxis übertragbare

und grundsätzlich leicht vollziehbare Methode, um konfliktbehafteten Gesprächen

wertschätzend und lösungsorientiert gerecht zu werden.

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2

Doch was muss in der Persönlichkeit, dem Denken und Handeln einer Person – oder eines

professionell Sozialarbeitenden – angestoßen werden, um über einen längerfristigen Zeitraum

gewaltfrei zu kommunizieren? Es gibt einen Unterschied darin, ob man die GFK als direkte

Methode zur Kurzzeitintervention betrachtet, oder sie als Haltung in die eigene Persönlichkeit

integriert. Das Potenzial dieser verinnerlichten gewaltfreien Grundhaltung anderen und auch sich

selbst gegenüber soll in dieser Arbeit betrachtet werden.

Einer der charakteristischsten Sätze, die angehende Sozialarbeitende verlauten lassen, ist der

folgende: „Ich will etwas mit Menschen machen“. Dadurch wird schon deutlich, worauf der Fokus

der Sozialen Arbeit liegt: Auf den Klient*innen. Um sie dreht sich das gesamte

Sozialarbeiterdasein, sie sind der Grund dafür, dass es überhaupt Beschäftigungsmöglichkeiten

in diesem Beruf gibt. Dementsprechend liegt es auf der Hand, ihnen einen großen Schwerpunkt

beruflicher Bemühungen zukommen zu lassen.

Mit Blick auf die Gefahr, in sozialen Berufen vermehrt an Burnout zu erkranken, soll diese

Bachelorarbeit einen Beitrag dazu leisten, die Bedeutung der Selbstreflexion auf Basis der GFK

als selbstfürsorgliches Medium zu beleuchten. Die GFK ist weitestgehend in der Literatur als

Methode zur Arbeit mit anderen Menschen bekannt, diese Arbeit soll jedoch auf den Blickwinkel

der Wichtigkeit der Anwendung auf sich selbst aufmerksam machen. Daher beschäftigt sich diese

Bachelorthesis mit folgender Forschungsfrage: Inwiefern kann die gewaltfreie Kommunikation zu

einer professionellen Selbstfürsorge beitragen? Anhand einer Literaturrecherche wird ein

Versuch angestellt, möglichst tiefgründig auf diese Frage einzugehen.

Den Einstieg der Bachelorarbeit bildet eine genaue Betrachtung des Konzeptes der GFK, hier wird

neben der vier- Schritte- Methode auch auf das Menschenbild und die damit verbundene

Grundhaltung dargestellt. Da Sozialarbeitende die Klient*innen als direkte Gegenüber haben,

und ständig in der Notwendigkeit stehen, über professionellen Einsatz von Persönlichkeit zu

reflektieren, wird das Thema Professionalität in der Sozialen Arbeit betrachtet. In diesem Kapitel

wird auch auf Risikofaktoren eingegangen, die Sozialarbeitende im Unterschied zu anderen

Berufsfeldern vermehrt betreffen können. Einen Schwerpunkt räumt die Arbeit der Recherche

ein, wie eine Verbindung zwischen der GFK und Selbstfürsorge gezogen werden kann. Dazu wird

analysiert, wie professionelles Handeln in der GFK vonstattengeht und wie das auf die Praxis

Sozialarbeitender übertragbar und anwendbar gemacht werden kann.

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1. Die GFK als Methode zur zwischenmenschlichen

Konfliktbewältigung

„Was ich in meinem Leben will, ist Einfühlsamkeit, ein Fluss zwischen mir und anderen, der auf

gegenseitigem Geben von Herzen beruht.“

Marshall B. Rosenberg

Ein Kind, dass in der Schulzeit mit verbaler und körperlicher Gewalt konfrontiert wird. Ein junger

Mensch, der sich mit dem Wesen des Menschen beschäftigt, und den folgende Fragen

umtreiben: „Was geschieht genau, wenn wir die Verbindung zu unserer einfühlsamen Natur

verlieren und uns schließlich gewalttätig und ausbeuterisch verhalten? Und umgekehrt, was

macht es manchen Menschen möglich, selbst unter den schwierigsten Bedingungen mit ihrem

einfühlsamen Wesen in Kontakt zu bleiben?“ (Rosenberg 2016, S.17)

Als Reaktion auf persönlich erlebte Gewalt forschte Marshall Rosenberg zu diesen Fragen,

publizierte seine Ergebnisse und gab seine Erfahrungen zum Konzept der gewaltfreien

Kommunikation als Begründer des Center for Nonviolent Communication (CNVC) weiter.

In der Praxis der Sozialarbeitenden ist sein Name und seine Vier- Schritte- Methode zu einer

gewaltfreien Konfliktlösung mit dem Ziel eines empathischen Beziehungsaufbaus hinreichend

bekannt, an Universitäten und Hochschulen finden Kurse dazu statt, im Berufsleben kann dem

Professionellen das Konzept in Weiterbildungen begegnen. Der Titel des in über 30 Sprachen

übersetzten und über 1 Million verkauften Buches „Gewaltfreie Kommunikation- Eine Sprache

des Lebens“ impliziert jedoch eine größere Bedeutsamkeit als reine Konfliktlösung. Rosenberg

spricht davon, eine Art der Kommunikation gefunden zu haben, die uns und unseren

Mitmenschen in Kontakt mit unserem/seinem einfühlsamen Selbst bringt und in der man von

Herzen gibt (Rosenberg 2016, S. 18).

Das bedeutet auf der anderen Seite, dass der Mensch ohne diesen Kontakt gewaltvoll

kommuniziert. Doch was meinen gewaltvoll und gewaltfrei im Sinne Rosenbergs?

Gewaltvolle Kommunikation, auch als Wolfssprache bezeichnet, kennzeichnet sich durch

Kommunikation, die dazu beiträgt, gewalttätiges Verhalten anderen und uns selbst gegenüber

zu befördern. Im Sinne von Ghandi spricht Rosenberg von „lebensentfremdender“

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Kommunikation. Durch den Gebrauch von Worten besteht die Möglichkeit, zu verletzen und Leid

zu verursachen. Varianten möglicher lebensentfremdender Sprache soll der nächste Abschnitt

stark verkürzt darlegen, deswegen an dieser Stelle der Hinweis auf Rosenbergs Grundlagenwerk

zur vertiefenden Literatur.

Die erste Variante, von der Rosenberg spricht, besteht in moralischen Urteilen. Diese geben wir1

dann ab, wenn andere mit unseren eigenen Werten nicht übereinstimmen, wir ihnen dann ein

entsprechendes Fehlverhalten zuschreiben und uns moralisch über sie stellen und verurteilen.

Das Urteil über den anderen wird sichtbar in Schuldzuweisungen, Beleidigungen, Niedermachen,

in Schubladen stecken, Kritik und Diagnosen stellen (Rosenberg 2016, S. 29). Eine weitere Form

von gewaltvoller Kommunikation besteht im Anstellen von Vergleichen, diese blockiert die

Einfühlsamkeit zu uns und anderen. Weiterhin ist es gewaltvoll, wenn wir die Verantwortung für

unsere Gedanken und Gefühle nicht selbst übernehmen, sondern anderen zuschieben. Das kleine

Wörtchen „müssen“ spielt hier eine entscheidende Rolle, wenn wir uns in der Lage befinden, zu

glauben, wir müssten Dinge tun, weil uns andere sie auferlegen, Mitmenschen, die Gesellschaft,

Gesetze. Dass wir selbst frei sind, uns für oder gegen Dinge zu entscheiden, verbalisieren wir

dagegen seltener. Weitere Formen der Wolfssprache sind Belohnungen und Bestrafungen, diese

beruhen auf einem persönlichen, subjektiven Wertesystem und dem Gedanken, dass bestimmte

Handlungen bestimmte Reaktionen verdienen (ebd., S. 32ff.).

Es gibt mehrere Bezeichnungen für gewaltfreie Kommunikation, sie wird als Giraffensprache oder

Sprache des Herzens bezeichnet. Die Giraffe gilt als das Säugetier mit dem größten Herzen und

steht für Weitblick und einer Verbindung. Rosenberg verwendete Giraffe und Wolf gern als

Handpuppen, um den Unterschied von gewaltfrei und gewaltvoll bildlich darzustellen.

Gewaltfreiheit bedeutet in der GFK, dass die Bedürfnisse aller beteiligten Personen Beachtung

finden (Schillert 2017, S. 123). Indem man lernt, mit sich selbst gewaltfrei umzugehen, können

innere Einstellungen und Beziehungsdynamiken transformiert werden und Widerstand, Abwehr

und Gewalttätigkeit werden zu einem großen Teil reduziert. Das natürliche Einfühlungsvermögen

des Menschen kommt zum Vorschein, wenn der Fokus der Aufmerksamkeit auf aktiven inneren

(mich selbst betreffenden) und äußeren (meinen Mitmenschen betreffenden) Beobachtungen,

Gefühlen und Bedürfnissen liegt. Die GFK legt einen Schwerpunkt auf das Zuhören, sie schenkt

1 das „wir“ ist als unpersönlicher Ausdruck zu verstehen, der alle Menschen miteinschließt, da niemand über die perfekte Kommunikation verfügt

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mir und dem Gegenüber eine einfühlsame und wertschätzende Aufmerksamkeit (Rosenberg

2016, S. 18f.).

Das hinduistische Prinzip des Ahimsa, an dem sich Mahatma Ghandi und in diesem Sinne auch

Rosenberg orientierten und inspirieren ließen, kann auch simpel als Gewaltfreiheit verstanden

werden. Zusammengefasst geht es darum, in einen bewussten Zustand sich selbst und der

Umwelt gegenüber zu gelangen (Rosenberg 2016, S. 10ff.). Im Sinne Ghandis geht Rosenberg

davon aus, dass das Wesen des Menschen grundsätzlich einfühlsam ist, und dass, wenn die

Gewalt im Herzen des Einzelnen weicht, er zu seiner ursprünglichen Wesensart zurückkehren

kann (ebd., S. 18).

Welche Annahmen über das Wesen des Menschen bestehen in Rosenbergs Denkweise darüber

hinaus? Da diese die Basis für das Konzept der GFK bilden und sie prägen, beschäftigt sich der

folgende Abschnitt mit dem Menschenbild der gewaltfreien Kommunikation.

1.1. Grundhaltung und Menschenbild der GFK

Menschenbilder lassen sich als Versuch verstehen, philosophische, psychologische, soziologische

und ethische Annahmen über die Natur des Menschen (sein Wesen also) und seine Ziele

anzustellen (Schneider 2009, S. 27).

Die GFK bietet eine Antwort auf Rosenbergs Untersuchung, woher gewaltvolles Verhalten beim

Menschen kommt. Sie sagt, dass Menschen grundsätzlich einfühlsam geschaffen sind, Rosenberg

formuliert es folgendermaßen: „Es liegt in unserer Natur, einfühlsames Geben und Nehmen zu

genießen“ (Rosenberg 2016, S. 36). Oder, wie er im Interview mit Gabriele Seils sagt: „Ich glaube

wirklich, dass wir Menschen eigentlich nichts mehr genießen, als zum Wohlergehen anderer

Menschen beizutragen“ (Rosenberg 2018, S.9). Oftmals passiert es im Verlauf der frühen

Erziehung und der Sozialisation, dass Menschen lernen, ihre Gefühle und Bedürfnisse als

nichtgewollt und daher als falsch oder böse zu begreifen. Infolgedessen verinnerlicht sich, dass

diese Gefühle, Bedürfnisse nicht da sein dürfen, und der Mensch stellt sich die Frage, ob mit ihm

etwas nicht stimmt. Er befindet sich in der Lage, nicht mit seinem Inneren in Kontakt zu sein, da

der Zugang blockiert ist. Laut Rosenberg sind wir angehalten, diesen Kontakt wiederherzustellen,

und begegnen unserem Gegenüber dann auf eine andere Weise – nicht mehr

lebensentfremdend, sondern empathisch. Für ihn liegt die Ursache der Gewalt in der Art und

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Weise, „wie wir gelernt haben zu denken, zu kommunizieren und mit Macht umzugehen“

(Rosenberg 2018, S.10).

Rosenbergs Entwicklung der GFK prägten die Theorien der Bedürfnisse von Abraham Maslow und

Manfred Max- Neef, genauer soll die Arbeit an dieser Stelle nicht ins Detail gehen. Was aber eine

Erwähnung wert ist, Rosenberg ließ sich von seinem Professor Carl Rogers und dessen

klientenzentrierter Gesprächsführung inspirieren und baute darauf auf. Insofern finden sich

Parallelen zwischen dem Menschenbild der GFK und dem der klientenzentrierten

Gesprächsführung. Rogers vertritt die Ansicht (und stellt sich damit den damals gängigen

Annahmen der Psychoanalyse nach Freud kritisch entgegen), dass der Mensch von seinem

Wesen her eigentlich sozial, konstruktiv und vertrauenswürdig angelegt ist (Höger 2012 S. 25).

Höger hat zusammengefasst und verschriftlicht, wie Rogers im Rahmen der Patienten-

Therapeuten- Interaktionen zu seinen Annahmen zur ursprünglichen Wesensart des Menschen

gelangt:

„Und diese bestehe darin, ein grundsätzlich vertrauenswürdiges Mitglied der Spezies Mensch

zu sein, dessen tiefste Tendenzen letztlich in Richtung Entwicklung, Differenzierung,

kooperativer Beziehungen gehen, dessen Leben sich grundsätzlich von Abhängigkeit weg und

in Richtung auf Unabhängigkeit bewege und dessen Impulse ein komplexes und wechselndes

Muster der Selbstregulation bilden. Sein ganzer Charakter strebe letztlich dahin, sich selbst

ebenso wie andere zu bewahren und zu fördern.“ (ebd., S. 25)

Höger beschreibt, dass Rogers die Meinung vertritt, alle nicht- sozialen Handlungsweisen seien

auf Abwehrprozesse zurückzuführen. Wenn eine Person jedoch Zugang zum gesamten

Spektrum des Erlebens hätte, und sich daraus eine Balance aller Regungen einstelle, würde sich

das Handeln in eine positive Richtung entwickeln (ebd., S. 25f.). Das Menschenbild Rogers ist

also eines, dass den Menschen als soziales, den Mitmenschen im Blick habendes, nach

Veränderung und Entwicklung strebendes, selbstbestimmtes, und im Grunde positiv und

konstruktiv ausgerichtetes Wesen betrachtet. Ausgehend von diesen Grundannahmen

entstand mit Rosenbergs GFK ein ähnliches Bild über die Natur des Menschen:

o Jedes Handeln des Menschen ist ein Versuch, Bedürfnisse zu erfüllen. Da Bedürfnisse

dem Leben dienen, ist die Intention hinter dem Handeln grundsätzlich als positiv und

konstruktiv zu verstehen, selbst wenn das Verhalten an sich gewaltvoll ist.

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o Als soziale Wesen sind Menschen an einer guten, sicheren, vertrauensvollen

Verbindung zum Gegenüber interessiert. Es ist ihnen ein Bedürfnis, einen Beitrag zum

Leben anderer zu leisten.

o Unerfüllte Bedürfnisse und ein Mangel an Strategien, diese zu erfüllen, sind eine

Ursache für gewaltvolles Verhalten.

o Menschen handeln für sich und die Erfüllung ihrer Bedürfnisse und nicht gegen andere.

o Menschen sind in der Lage, sich ihr gesamtes Leben zu entwickeln und lernen zu

können. Bestimmte Rollen und Verhaltensweisen werden gerade in gelingenden

Beziehungen überwunden und entwickelt.

o Menschen tun immer das, was sie zu diesem Zeitpunkt als das Beste erachten. Sie geben

ihr Bestes.

(Bendler/Heise 2018, S. 200)

1.2. Die vier Schritte der GFK

Ausgehend von diesem Menschenbild wird das Potenzial ersichtlich, unsere

Kommunikationsfähigkeiten zu erweitern und somit den Fokus der Aufmerksamkeit konstruktiv

zu verschieben. Rosenberg erklärt, dass es sich bei der GFK nicht um eine Neuheit handelt, es sei

vielmehr eine Erinnerung an eine frühere zwischenmenschliche Kommunikation, die uns

abhandengekommen ist.2 Er regt an, dass Menschen darauf angewiesen seien, sich zu helfen, zu

diesem ursprünglichen Wissen zurückzukehren (Rosenberg 2016, S.18). Wie schon angedeutet,

geht es in der GFK darum, die Art des Zuhörens und die Sprache zu transformieren. Besondere

Bedeutung hat bei Rosenberg auch das Thema Herzenshaltung. Für ihn ist GFK nicht unbedingt

eine Methode, um gewisse Ziele zu erreichen, sondern ein Hilfsmittel zu einer veränderten

Grundeinstellung. Die GFK lädt ein, das Gegenüber und sich selbst als wertvoll, konstruktiv, sozial,

einzigartig wahrzunehmen und ihm im Sinne des Menschenbildes wertschätzend und respektvoll

zu begegnen. Insofern kann die GFK auch ohne gesprochene Worte angewendet werden.

Rosenberg unterteilt die GFK in zwei Teile: Sie kann gelingen, wenn mithilfe der vier

2 Spezifiziert wird dieses Thema von ihm leider nicht, interessant wäre an dieser Stelle, inwiefern früher anders kommuniziert wurde, was er genau mit früher meint und wieso er von einer so radikalen Änderung des alltäglichen Wesens des Menschen ausgeht.

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Komponenten ehrlich ausgesprochen wird, was gerade in einem lebendig ist, sowie wenn mit

ihnen aktives Zuhören stattfindet (Rosenberg 2016, S. 22).

Um mit der GFK als Sprache, Prozess und Haltung vertraut zu werden (und an späterer Stelle die

Erkenntnisse mit dem Thema Selbstfürsorge zu verbinden) werden im Folgenden die vier

Komponenten der Umsetzung betrachtet.

1.2.1. Beobachten

Beobachten. Ein unscheinbares Wort, doch mit großer Bedeutung für die GFK. Dieser erste Schritt

legt allen zukünftigen Nutzern und Interessierten nahe, eine klare Trennung zwischen

Beobachtung und Bewertung vorzunehmen. Die Aussage darüber, was gehört, gesehen, berührt

wird, also eine neutrale Situationsbeschreibung, bringt dem Gegenüber Klarheit. Anhand dessen

darf auch eine Bewertung vorgenommen werden, wenn sie sich klar auf einen Zeitpunkt und eine

vorher beschriebene Handlung bezieht. Wenn eine Bewertung vermischt mit beziehungsweise

separat von einer Beobachtung vorgenommen wird, ergibt sich nach Rosenberg die

Schwierigkeit, dass das Gegenüber nicht versteht, was ich ihm sagen möchte. Es hört

beispielsweise Kritik und empfindet meine Aussage, hinter der ursprünglich ein Bedürfnis steckt,

als Angriff, den es abwehren muss (Rosenberg 2016, S. 38). Damit ist der persönliche Kontakt auf

Augenhöhe blockiert.

Bewertung bedeutet, dass eine subjektive Meinung, eine Interpretation miteinfließt. Alle Reize,

mit denen der Mensch konfrontiert ist, werden durch das Gehirn gefiltert, sodass sich auf dieser

Basis eine Realität konstruiert wird. Bendler und Heise sind der Ansicht, die Aktivität dieser Filter

sei von körperlicher Verfassung, vorhandenen Emotionen, bestehenden Erfahrungen ähnlicher

Situation und anderem abhängig (Bendler/Heise 2018, S. 30).

„Die Tatsachen sind weder gut noch schlecht, wir machen sie erst dazu.“

(William Shakespeare, zit. nach Bendler/Heise 2018, S. 29)

Vereinfacht gesagt, zwei Personen können die gleichen Beobachtungen machen und dabei doch

unterschiedliche Interpretationen vornehmen. Es werden dementsprechend unterschiedliche

Bedürfnisse und Gefühle angesprochen und in der Folge sind beide Handlungen unterschiedlich.

Aus dieser Ausführung resultiert, dass die individuelle Wirklichkeit von der des Mitmenschen

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abweichen kann. Konflikten, die auf Meinungsverschiedenheiten beider Parteien beruhen, kann

die Spannung genommen werden, indem beide Wahrnehmungen so stehengelassen werden

können (Bendler/Heise 2018, S. 31f.). Verantwortung fängt dort an, wo jemand erkennt, dass

seine Gefühle nicht anderen Menschen oder Situationen zuzuschreiben sind, sondern auf

eigenen Interpretationen beruhen.

1.2.2. Gefühle wahrnehmen und ausdrücken

Der zweite Schritt der GFK beschäftigt sich mit Gefühlen, die eine Situation auslöst. Bendler und

Heise zufolge, kommen in unserer Gesellschaft das Wahrnehmen und Zeigen von Gefühlen im

Alltag selten vor. Stattdessen wird die professionelle, sachliche Maske aufgesetzt und man zeigt

sich unverwundbar (2018, S. 34ff.). Rosenberg bezeichnet diesen Zustand als „außenorientiert“

leben (Rosenberg 2016, S. 48), dem Denken wird mehr Raum gegeben als dem Fühlen. Das bleibt

jedoch nicht ohne Konsequenzen, denn ein Abgetrennt- sein von Gefühlen schließt mit ein, dass

das Bewusstsein für eigene Bedürfnisse ebenfalls fehlt. Erst wenn der Zugang zu Gefühlen und

Bedürfnissen geschaffen wurde, kann ein Mensch wirklich authentisch und lebendig für sich

selbst und andere sorgen. Grundsätzlich gilt: Gefühle sind weder gut noch schlecht, sie zeigen

schlichtweg an, dass in einem Menschen etwas lebendig ist, dass Beachtung erfordert. Durch das

Fühlen dessen entsteht der Kontakt mit dem Bedürfnis und der Mensch kann erkennen, was er

in einer bestimmten Situation braucht. In der Praxis kann die Frage „Wie fühle ich mich, wenn

ich das denke?“ in Verbindung mit der Ausbildung eines differenzierten Gefühlswortschatzes ein

erster Schritt zur ehrlichen und verantwortungsvollen Selbstreflexion sein. Die Gefahr in

abgelehnten und nicht ausgedrückten Gefühlen besteht darin, dass sie häufig in körperlichen

Symptomen (Verspannungen, Magenprobleme, …) Ausdruck finden, der Mensch dann aber nicht

erkennt, was da in ihm Beachtung verlangt. Wenn Menschen keinen Zugang zu Gefühlen haben,

kann dieser durch Wahrnehmen von Körpersignalen wieder erfahrbar gemacht werden.

Kreisenden Gedanken wird entgegengewirkt, da das Wahrnehmen von Körpersignalen und

Gefühlen in der Gegenwart, im Jetzt stattfindet (Bendler/Heise 2018, S. 34ff.). Ausführungen

über den sprachlichen Ausdruck von echten und unechten Gefühlen finden sich in Rosenbergs

Standardwerk, diese Arbeit plant nicht, darauf einzugehen.

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1.2.3. Bedürfnisse

Das Zentrum der GFK besteht im Erkennen und Akzeptieren von Bedürfnissen. Arten der

Kommunikation, aus denen Trennungen, Konflikte und Missverständnisse resultieren, liegen laut

dem Verständnis der GFK unbefriedigte Bedürfnisse und ein Mangel an Strategien zur

Bedürfnisbefriedigung zugrunde. Eine Entfremdung von Bedürfnissen äußert sich in Urteilen,

Diagnosen, Kritik und Interpretationen (Rosenberg 2016, S. 70). Bedürfnisse sind der Punkt in der

GFK, der eine Gemeinsamkeit zwischen Menschen darstellt und worüber eine

zwischenmenschliche Verbindung entsteht. Bendler und Heise unterscheiden zwischen

Bedürfnissen des Körpers (Luft, Nahrung, Wasser, Bewegung, Ruhe, Unterkunft, Kleidung…),

Bedürfnissen, die der Mensch zur individuellen Entfaltung benötigt (Autonomie, Sinn,

Kreativität…) und sozialen Bedürfnissen (Zugehörigkeit, Vertrauen, Körperkontakt…) (2018, S.

42). Angenehme Gefühle zeigen uns an, dass unsere Bedürfnisse erfüllt sind, während

schmerzhafte Gefühle einen Mangel anzeigen, ein Bedürfnis verlangt hier nach Erfüllung. Ebenso

wie Gefühle sind auch Bedürfnisse nicht gut oder schlecht, richtig oder falsch, sie existieren

einfach. Der Mensch ist nicht imstande, diese Bedürfnisse zu steuern und bei dauerhafter

Unterdrückung, muss er mit körperlichen und seelischen Konsequenzen rechnen.

„In ihren Bedürfnissen sind alle Menschen gleich. Sie beschreiben also eine Ebene, auf der

gegenseitiges Verständnis, unabhängig von kulturellen Hintergründen, Alter oder Geschlecht

möglich ist.“ (Bendler/Heise 2018, S. 21)

Die GFK sagt, dass alle Menschen in ihren Bedürfnissen gleich sind. Dennoch gibt es die

unterschiedlichsten Strategien, für eine Erfüllung zu sorgen, auf gleiche Bedürfnisse folgt

verschiedenes Verhalten. Mit diesem Gedanken erklärt sich auch, dass einem Bedürfnis hinter

gewaltvollem Handeln empathisch begegnet werden kann, während die Handlung an sich nicht

wertgeschätzt werden muss, um eine Verbindung aufzubauen (ebd., S.43). Konflikte beziehen

sich auf eine Strategieebene, nicht auf die Bedürfnisebene. Je mehr Strategien zur Verfügung

stehen, desto eher kann das Bedürfnis erfüllt werden. Dennoch müssen Bedürfnisse nicht immer

sofort erfüllt werden, wenn das Bedürfnis im Prozess der Einfühlung beachtet und

wahrgenommen wird, kann sich innerlicher Frieden auch ohne eine Erfüllung durch konkrete

Handlungen einstellen (ebd., S. 44f). Um den Bedürfnissen bei sich und anderen auf die Spur zu

kommen, empfiehlt Rosenberg, sich mit den folgenden Fragen auseinanderzusetzen: „Was ist

lebendig in dir?“ und „Was würde dein Leben bereichern?“ (Rosenberg 2018, S. 27). Mit dem

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Fokus auf die Bedürfnisse und damit verbundenen Gefühlen soll immer mehr das Erkennen der

eigenen Selbstverantwortung gesteigert werden. Im Kontakt mit negativen Äußerungen nennt

Rosenberg vier Möglichkeiten, mit denen reagiert werden kann:

o Das Urteil des Gegenübers akzeptieren und sich selbst Schuld zuschreiben.

o Dem Gegenüber die Schuld zuschreiben.

o Eigene Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen und ausdrücken.

o Die Gefühle und Bedürfnisse des Gegenübers wahrnehmen.

Laut Rosenberg ist das, was jemand anderes sagt oder tut niemals eine Ursache von (unseren)

Gefühlen, höchstens ein Auslöser. Wir selbst treffen die Entscheidung – anhand von Erwartungen

und Bedürfnissen – Gesagtes/Getanes auf eine bestimmte Art und Weise aufzunehmen

(Rosenberg 2016, S. 59).

1.2.4. Bitten

Auf eine geäußerte Beobachtung, angesprochene Gefühle und Bedürfnisse kann im letzten

Schritt der GFK eine Bitte folgen, die bewirken soll, dass meine Bedürfnisse Erfüllung finden.

Rosenberg gibt Hinweise dazu, wie eine Bitte am geeignetsten formuliert werden kann und was

es von Seiten des Bittenden benötigt, um dem Gegenüber seine Freiwilligkeit bei der Erfüllung

bewusst zu machen, dennoch aber seine Bereitschaft zu erhöhen. An erster Stelle nennt er das

Prinzip der positiven Handlungssprache, was schlicht bedeutet, um etwas zu bitten, was man

möchte, und nicht darum was man nicht möchte (Rosenberg 2016, S. 75). Dem anderen

gegenüber ist es eine Hilfe, so präzise und genau wie mögliche gewünschte Handlungen zu

spezifizieren, mit Blick auf die Tatsache, dass das gewünschte Verhalten auch umsetzbar sein

muss. Vage, abstrakte und zweideutige Aussagen sind hier also fehl am Platz und sollten

möglichst vermieden werden (ebd., S. 77). Weiterhin sollte sich der*die Bittende – bevor er*sie

seine*ihre Bitte an das Gegenüber heranträgt – darüber im Klaren sein, welches Bedürfnis

Befriedigung verlangt und wie genau das am besten umgesetzt werden kann. Der Bittsteller trägt

selbst die Verantwortung für seine Bedürfnisse. Von Mitmenschen zu erwarten, dass sie wissen,

was man will bevor man es selbst weiß, ist nicht im Sinne der GFK. Laut Rosenberg steigt die

Wahrscheinlichkeit, dass andere unsere Bedürfnisse erfüllen, je bewusster wir uns darüber sind,

was wir von Anderen bekommen möchten (ebd., S. 81). Eine Bitte muss nicht zwangsläufig auf

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ein bestimmtes Handeln/Tun beschränkt sein, vielmehr lädt die GFK dazu ein, um Offenheit,

Ehrlichkeit oder auch eine Wortwiedergabe zu bitten. Das kann sich beispielsweise als hilfreich

für den Kommunikationsablauf erweisen, wenn die Bitte als Forderung verstanden wurde. Im

Gegensatz zu einer Forderung macht eine Bitte aus, dass sie ein Nein ertragen kann. Der Zuhörer

ist frei, für sich selbst die Wahl zu treffen, das Leben des anderen zu bereichern, oder aber auch

zu entscheiden, es nicht zu tun, wenn eigene Bedürfnisse im Widerspruch dazu stehen.

Forderungen dagegen ziehen Konsequenzen wie Bestrafung und Beschuldigung nach sich, wenn

ihnen nicht Folge geleistet wird, sie lassen folgende Reaktionsoptionen offen: Rebellion oder

Unterwerfung (Rosenberg 2016, S. 85). Relevant für den Bittenden ist an dieser Stelle, dass er

sich seiner Verantwortung bewusstwird, für sich selbst zu sorgen und eine Bedürfnisbefriedigung

nicht vom Ja des Mitmenschen abhängig zu machen. Beim Stellen von Forderungen gilt, sie nicht

als Bitten zu tarnen, sondern als das auszusprechen was sie sind, damit der andere sie besser

einordnen kann (Bendler/Heise 2018, S. 51). Die GFK ist kein Mittel, um Verhaltensänderung zu

erzwingen, Menschen verändern zu wollen sowie Macht auszuüben. Sie verfolgt stets das Ziel,

„Beziehungen aufzubauen, deren Basis Offenheit und Mitgefühl ist“ (Rosenberg 2016, S. 87) und

die Bedürfnisse aller Beteiligten zu erfüllen. Im Bitten kann Verbindung entstehen, wenn sich der

Bittende öffnet, den anderen teilhaben lässt an seinem Inneren und ihm die Chance gibt, zu

seinem Leben etwas beizutragen. Der GFK nach sind Menschen grundsätzlich bereit, Bitten zu

erfüllen und das Leben anderer zu bereichern, unter der Vorrausetzung, dass sie sich frei

entscheiden können.

2. Professionalität in der Sozialen Arbeit

Der Professionalitätsbegriff ist in der Lehre der Sozialen Arbeit aus meiner Sicht nicht vollständig

fassbar. Immer wieder stellen es Autoren wie beispielsweise Maja Heiner, Silvia Staub-

Bernasconi, Silke Birgitta Gahleitner oder Roland Becker- Lenz an, Professionalität zu erforschen,

beschreiben und einzuordnen. Die Diskussion einer Definition oder Methoden möchte ich ganz

bewusst aus dieser Arbeit ausklammern. Stattdessen gibt die Arbeit einen Einblick in Aussagen

der Fachliteratur zum Einsatz der eigenen Person als Professionelle*r und welche

Herausforderungen dabei bestehen. Des Weiteren stellt dieses Kapitel eine Verbindung zwischen

dem Beruf der Sozialarbeit und der Burnout-Problematik her.

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2.1. Sozialarbeiter*innen als Werkzeug in professionellen Beziehungen

Als Sozialarbeitende haben wir in unserer Praxis vermehrt mit ganz unterschiedlichen Aufträgen

anderer an unser Berufsfeld und an uns selbst als Person zu tun. Welche Anforderungen und

Aufgaben das im Einzelnen sind, ist zwar vom spezifischen Arbeitsfeld abhängig, grundsätzlich

betrifft das sogenannte Tripelmandat aber jeden Sozialarbeiter/jede Sozialarbeiterin.

Silvia Staub- Bernasconi beschreibt das Hauptmerkmal von Professionalität als „die Forderung,

sich aufgrund wissenschaftlicher und berufsethischer Basis ein eigenes Bild der Problemsituation

zu machen und – davon ausgehend – einen selbstbestimmten Auftrag zu formulieren, der sowohl

die Sichtweisen und Interessen der Problembetroffenen als auch diejenigen der (in)direkten

Auftraggeber des Sozialwesens mitberücksichtigt“ (Staub- Bernasconi, zit. nach Mahler 2018, S.

68). In Ergänzung und Erweiterung zum doppelten Mandat der Sozialen Arbeit nach Böhnisch

und Lösch bietet das Professionalitätsmandat oder auch das selbstbestimmte

Fachlichkeitsmandat eine dritte Handlungsperspektive und zeigt eine weitere, individuellere

Ebene der Professionalität auf. Zu dem Fokus auf Aufträge, die sich in der Sozialarbeit hinsichtlich

Bedürftigkeit der Klientel und staatlicher Aufsicht ergeben, wird nun auch das fachlich ethische

Professionsverständnis des Sozialarbeiters/der Sozialarbeiterin hinzugefügt. Für Mahler

bedeutet dieses dritte Mandat konkret, dass in dem professionellen Wissen und Werten einer

Institution oder Helfenden eine weitere Verpflichtung Beachtung finden muss. Dieses Wissen

beinhaltet zum Beispiel Aspekte wie Menschenrechte, Liebe, Transparenz etc., die dann mit in

die Arbeit integriert werden (Mahler 2018, S. 67ff.).

Professionalität meint nach Mahler „einen Grad von personaler Identifikation mit dem

beruflichen Handeln (ebd., S. 55)“. Dieser geht über inhaltliche/prozedurale Kompetenzen hinaus

und meint ein persönliches, verantwortungsbewusstes Einstehen für das berufliche Handeln.

Als professionell Sozialarbeitende bringen wir unsere Biografie, unser Wesen und unseren

Charakter stets mit. Es geht in der Beziehungsgestaltung mit Klienten nicht darum, eine Rolle

oder leere Hülle mit methodischem Vorgehen zu spielen oder sich zu verstellen. Professionalität

nach Mahler besteht darin, eine berufliche Rolle so zu interpretieren, dass man sich als Person

nicht für das Gegenüber verändert oder gar verbiegt und dennoch für ihn handelt (Mahler 2018,

S. 73). Die Herausgeber des Werkes „Wann sind wir gut genug“ betonen, wie wir als ganze

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Personen, mit unserem gesamten Selbst in Arbeitsbeziehungen involviert sind. Wir „wirken

Kraft“ unserer „Person“ (Gahleitner/Reichel/Schigl/Leitner 2014, S.8). Oder wie Poulsen es

formuliert: „Der Beruf verlangt Empathiefähigkeit, Engagement und Interesse am Menschen und

die eigene Persönlichkeit kann als wichtigstes Instrument angesehen werden.“ (Poulsen 2009,

S.14). Die Persönlichkeit wird als Werkzeug eingesetzt, als Ressource in der täglichen Arbeit.

Wolfgang Schmidtbauer, für seine Werke über das Helfersyndrom bekannt, macht ebenfalls die

Persönlichkeit als wichtigstes Instrument in sozialen Berufen aus. Grenzen ihrer „Belastbarkeit

und Flexibilität“ seien zugleich Handlungsbegrenzungen (Schmidbauer 1977, S. 7). Der

Sozialarbeitende bewegt sich ständig in einem Spannungsfeld zwischen „sich interessiert und

engagiert einlassen auf die Lebenswelt der Klientel und sich abgrenzen und distanzieren können“

(Poulsen 2009, S.14). Soziale Arbeit erfordert stetige Selbstreflexion, anders formuliert eine

fortlaufende und immer wieder bewusstwerdende Erkenntnis über das Selbst. Welche Stärken

und Schwächen habe ich im Beruf und privat? Welche Bedürfnisse sind in mir lebendig? Wo sind

meine Grenzen? Die oben genannten Autoren deuten auch an, dass ein Auftrag an

Sozialarbeitende sei, für sich selbst zu sorgen. Zu einem späteren Zeitpunkt wird die Arbeit hier

noch näher ins Detail gehen. Silke Gahleitner bezeichnet die Soziale Arbeit als

„Beziehungsprofession“, sie schrieb sogar ein Werk mit genau diesem Titel. In ihrer

Untersuchung von Beziehungsgestaltung in psychosozialen Arbeitsfeldern entwickelte sie fünf

Aspekte, die ihrer Meinung nach Voraussetzungen für eine professionelle Beziehungsgestaltung

sind.

o Neben einer reflexiven und fachlich fundierten Beziehungsgestaltung sorgen gerade

Authentizität, emotionale Tragfähigkeit und persönliche Prägung der Beziehung für

Gelingen.

o Die Wirksamkeit der professionellen Beziehungsgestaltung wird von Seiten der

Klient*innen her mit dem persönlichen Anteil in der Beziehung in Verbindung gebracht.

Vertrauen wird durch eine Nähe- Distanz- Regulierung möglich.

o Veränderungsprozesse erwachsen aus dieser persönlich geprägten Beziehungsgestaltung

zwischen Helfer und Klient.

o Vertrauen wird auf anderen Umgebungs- und Institutionsnetzwerkebenen generiert.

o Schrittweise Entwicklung eines vertrauensvollen, professionellen Umgebungsmilieus, um

dem Klienten für sein späteres Leben zu befähigen und den Abschied zu gestalten.

(Gahleitner 2017, S. 286f)

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Hervorzuheben sei hier, dass die individuelle Persönlichkeit des Sozialarbeitenden eine große

Bedeutung für die Wirksamkeit der Beziehung und somit die Basis eines gelingenden

Arbeitsprozesses darstellt. Gahleitner hat ihre Analyse zwar im Kontext des psychosozialen

Arbeitsfeldes durchgeführt, dennoch müssen tragfähige Beziehungen auch in anderen

Arbeitsfeldern aufgebaut werden.

2.2. Sozialarbeiter*innen als potenziell Burn- Out- Gefährdete

Nachdem jetzt geklärt wurde, dass es eine Bereicherung sein kann, die Persönlichkeit der

Professionellen in die Arbeit zu integrieren, betrachtet das nächste Kapitel das immer wieder neu

relevante Thema sozialer Berufe: Burnout. Relevant deshalb, weil eine angemessene

Selbstreflexion, Selbstaufarbeitung und Bewusstheit für Nähe- Distanz- Regulierung in der

Sozialen Arbeit potenziell eine Herausforderung (oder möglicherweise sogar Überforderung) für

Sozialarbeitende darstellt, und hiermit untersucht werden soll, ob dies Burnout- Problematiken

beeinflusst oder befördert. Diese Arbeit soll an späterer Stelle einen Beitrag dazu leisten, dem

Thema Burnout mithilfe der GFK selbstfürsorgerisch zu begegnen. Das Kapitel wird eine

Begriffsklärung vornehmen, auf Risikofaktoren eingehen, die Sozialarbeitende betreffen können

sowie bestehende Präventionsansätze einer Betrachtung unterziehen.

2.2.1. Begriffsklärung und Phasen des Burnout

Aus dem Englischen kommend bezeichnet Burnout wörtlich einen Zustand des Ausbrennens,

erstmals in der Form verwendet und geprägt wurde der Begriff von Herbert J. Freudenberger im

Jahr 1974. Er erkannte bei sich selbst und anderen Helfern einen „Energieverschleiß durch

Überarbeitung“ im Zusammenhang mit physischem und psychischem Leistungsabbau

(Elsässer/Sauer 2013, S. 3). Popularität bei der breiten Bevölkerung bekam der Begriff durch

Gebrauch in anderen Kontexten, wie ausgebrannten Gebäuden, erloschenen Öl- Lampen oder

dem Abfahren eines Reifens. Somit wurde das Burnout in seiner symptomatischen Bedeutung

greifbarer und verständlicher (ebd. S. 4). Fengler definiert das Burn- Out als schleichend

beginnende oder plötzliche Erschöpfung geistlicher, körperlicher und emotionaler Art (Fengler

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1996, S. 104). Elsässer und Sauer zufolge sei eine Definition nicht klar fassbar, sie sprechen vom

Burnout als „generalisierten Kommunikationsmedium“, Menschen seien frei darin, den Begriff

individuell zu verwenden (Elsässer/Sauer 2013, S.4). Die International Classification of Diseases

(ICD-10) ordnet Burnout nicht als Krankheit ein, sondern als Störung. Unter der Nummer Z73.0

wird es als Erschöpfungssyndrom aufgeführt (DIMDI 2019).

Wolfgang Schmidbauer klassifiziert und beschreibt drei unterschiedliche Phasen, die eine Person

mit Burnout durchläuft. Die erste Phase beschreibt eine ständige Überaktivität die Arbeit

betreffend. Der*die Betroffene engagiert sich pausenlos, meint, er handle vorbildlich und

perfekt, verzichtet auf eigene Bedürfnisse wie beispielsweise Erholung. Die eigene

Vollkommenheit betonend und rivalisierendes Verhalten zeigend, macht sich die Person

tendenziell unbeliebt. Der Moment, wo die Leistungsfassade nicht mehr aufrechterhalten

werden kann, läutet die Einbruchsphase ein. Die Betroffenen werden mit ihren eigenen

überhöhten Ansprüchen unsanft konfrontiert, erste Anzeichen dafür sind chronische Müdigkeit

und eine Unlust, die Arbeit anzutreten. Die Arbeit wird zunehmend als Zumutung

wahrgenommen, Distanz eingenommen wo es geht, und Vorteile für sich selbst werden gesucht

und vermehrt genutzt (zum Beispiel krankfeiern). Versagen und Belastungen des Arbeitsalltags

führen zu Aggressionen, die entweder gegen die eigene Person gerichtet werden oder gegen

Kollegen und Klienten. Der Betroffene fühlt sich benachteiligt und verharrt in einem Zustand der

Passivität; statt aktiv Verbesserungen des Arbeitsklimas herbeizuführen, bleibt er in der

Opferrolle. Während der dritten Phase schwindet die Leistungsfähigkeit, die Bereitschaft sowie

das Engagement, sich für die Arbeit gewinnbringend einzusetzen. Körperliche Leiden sorgen für

einen erhöhten Krankheitsstand. Das Risiko für Alkohol- /Drogenmissbrauch steigt und die

Lebensfähigkeit wird immer weiter beeinträchtigt, sogar im nichtberuflichen Umfeld. Betroffene

ziehen sich aus Beziehungen zurück und kämpfen nicht um deren Erhaltung, sie vereinsamen auf

diese Art und Weise (Schmidbauer 2002, S. 15ff.).

Es gibt nach Schmidbauer eine Burnout- Entwicklung, die uns häufiger begegnet: Das sogenannte

„kompensierte Burnout“. Hierbei handelt es sich um den innerlichen Ausstieg aus dem Beruf, der

aber um der entstehenden Schwierigkeiten willen verborgen wird. Das Engagement wird so

niedrig wie möglich gehalten, wobei Dienste schon noch nach Vorschrift ausgeführt werden.

Auch andere Mitarbeitende laufen Gefahr, sich „anzustecken“, wenn sie die Leistungen des

anderen kompensieren und sich dadurch überlasten (ebd. S. 17f.).

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2.2.2. Inwiefern sind Sozialarbeitende von Burnout gefährdet?

Nachdem nun ausgearbeitet wurde, wie sich ein Prozess des Ausbrennens gestalten kann, stellt

sich dennoch die Frage, welche Faktoren ein Burnout beeinflussen, es befördern oder

verursachen. Die Autorinnen Elsässer und Sauer nennen zum einen den sozial-, arbeits- und

organisationspsychologischen Ansatz, der Beachtung finden muss. Diese personenexternen

Faktoren beinhalten die Arbeit betreffende Missstände wie beispielsweise berufliche

Veränderungen, hohe Belastung in Verbindung mit wenig Wertschätzung, ungünstige

Rahmenbedingungen, schlechte Teamarbeit, Über- oder Unterforderung und ähnliches. All diese

Faktoren können potenziell zu einem inneren Ausstieg aus der Arbeit beitragen und

schlimmstenfalls zum Burnout führen. Weiterhin nennen die Autorinnen soziologisch-

sozialwissenschaftliche Ursachen, so zum Beispiel Werte und Normen, die sich durch den

Gesellschaftswandel verändern (Elsässer/Sauer 2013, S. 20f.).

Zudem nennen die Autorinnen den persönlichkeitszentrierten Ansatz, der sich wie schon im Titel

ersichtlich mit der Persönlichkeit in Bezug auf Burnout auseinandersetzt. Eigenschaften, die das

Individuum besitzt, die Belastbarkeit betreffend, bestimmte Persönlichkeitsstrukturen, innere

Ängste und Wünsche können bei einigen Menschen zum Burnout beitragen, sie müssen aber

nicht zwangsläufig etwas damit zu tun haben. Wenn sich Ideale des Einzelnen nicht mit der

tatsächlichen Realität decken und zu hohe Erwartungen an sich selbst bestehen und in der Arbeit

verfolgt werden, kann das ein Grund sein, dass langfristig Bedürfnisse und

Körperwahrnehmungen nichtbeachtet werden, was wiederum ins Burnout führen kann (ebd., S.

21f.).

Auf der Suche nach Gründen für eine Burnout- Entstehung können die Komponenten beider

Ansätze in Verbindung miteinander herangezogen werden. Die Ursachen oder Risikofaktoren

stehen im Zusammenhang, und entfalten gerade im Zusammenspiel ihre destruktive Kraft. Die

Kraft der Bedürfnisse, die uns Menschen ja eigentlich anzeigt, was wir brauchen und dass eine

Erfüllung vonnöten wäre, geht in einer Leistungsgesellschaft, wie wir sie haben, immer mehr

verloren. Genauer gesagt, die Bedürfnisse bleiben erhalten, sie werden nur nicht mehr

wahrgenommen und verdrängt, um effektiv zu sein. Oder wie es Elsässer und Sauer formulieren:

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„Um Burnout wahrnehmen zu können und zu verhindern ist es wichtig, dass man sich mit den

eigenen Bedürfnissen auseinandersetzt und reflektiert, was man an der eigenen Arbeits- und

Lebensweise ändern sollte, um nicht in den Strudel des Burnout- Prozesses hineingerissen zu

werden.“ (Elsässer/Sauer 2013, S. 31)

Schon im Kindergarten und in der Grundschule kommen Menschen mit dem Ideal unserer

Gesellschaft, der oder die Beste zu sein und Höchstleistungen zu erbringen, in Kontakt. Das

Wissen um die Bedeutung der eigenen Bedürfnisse ist heutzutage weniger verbreitet. Das geht

im Falle des drohenden Burnout soweit, dass Symptomatiken (vom Betroffenen und von der

Gesellschaft) nicht ernst genommen werden, bis zu dem Punkt, an dem körperliche

Beeinträchtigungen die Lebens- und Leistungsqualität maßgeblich beeinflussen.

Um den Zusammenhang zwischen Burnout und dem Berufsfeld der Sozialen Arbeit noch

eindeutiger am Beispiel eines persönlichen Erfahrungsberichtes herzustellen, interviewten

Elsässer und Sauer eine Sozialarbeiterin exemplarisch auf narrative Art und Weise. Da die

Ergebnisse dieses Interviews einen Einblick geben, inwiefern Sozialarbeitende betroffen sein

können, fasst die Arbeit die Hauptaussagen der interviewten Professionellen aus ihrer

Perspektive an dieser Stelle zusammen.

o Für die Betroffene besteht ein Zusammenhang zwischen Burnout und der Arbeit.

o Sozialarbeitende wollen Menschen helfen, identifizieren sich oftmals mit ihrer Arbeit.

o Der empfundene Auftrag Menschen gegenüber, Identifikation, sowie innere Leitbilder

Sozialarbeitender stehen möglicherweise im Widerspruch zu den Rahmenbedingungen,

in denen sie arbeiten.

o Die Ökonomisierung schreitet voran, es resultieren zahlreiche Sparmaßnahmen,

Sozialarbeitende arbeiten oft nicht auf klare Ziele hin.

o Viel Engagement wird mit wenig Lohn vergütet.

o Teilzeitjobs, befristete Stellen und Projekte mit unsicherer finanzieller Absicherung bieten

keine sichere, beständige Struktur.

o Es besteht eine Diskrepanz zwischen der Arbeitsplatzbeschreibung und dem, was

letztendlich an Einsatz gefordert wird.

o Druck und Belastung durch zu viel Arbeit und dabei zu wenig zur Verfügung stehende Zeit

-> Überforderung der Einzelperson.

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o Mangelnde Körperwahrnehmung sorgt dafür, dass erste Warnsignale nicht beachtet

werden.

o Durch ein Funktionieren der Sozialarbeitenden werden Krisen nicht als solche erkannt

und Unterstützung bleibt aus.

o Ein Burnout findet erst bei körperlichen Symptomen Beachtung.

o Prävention ist möglich, wird aber eher von wenigen Einzelpersonen in Anspruch

genommen.

o Einrichtungen könnten Rahmenbedingungen ändern, sowie durch Supervision/Coaching

unterstützen und etwas zur Prävention beitragen.

(Elsässer/Sauer 2013, S. 38ff.)

Diese subjektive Wahrnehmung der interviewten Sozialarbeiterin haben Elsässer und Sauer noch

bestätigt und erweitert. Ihrer Meinung nach sind Sozialarbeitende menschenorientiert,

emotional feinfühlig und schenken ihren Klient*innen Wertschätzung. Sie wünschen sich diese

Wertschätzung dennoch auch von ihrem Umfeld, wobei hier die Praxis tendenziell so aussieht,

dass für hohe Leistungen Wertschätzung ausbleibt. Innere Leitbilder können in der Praxis häufig

aufgrund von mangelnder Ressourcen (Zeit, Geld, …) nicht nachverfolgt werden. Infolge der

Ökonomisierung können Sozialarbeitende ihren Klienten nicht mehr die Zeit widmen, die die

Arbeit, die Klienten selbst und möglicherweise auch der innere Anspruch verlangt. Besonders bei

Berufseinsteigern stellt dies eine Gefahr da, wenn persönliche Grenzen überschritten werden

(ebd., S. 55). Es ist festzuhalten, dass sich Burnout als Prozess vollzieht, wenn sich viele

Risikofaktoren häufen, Überforderung sich einstellt und Bedürfnisse und Grenzen der

Sozialarbeitenden von ihnen selbst oder anderen übergangen werden. Schlechte

Rahmenbedingungen und personelle Voraussetzungen sind in Verbindung miteinander zu

nennen. Trotz allem sind Sozialarbeitende der Burnout- Gefahr nicht hilflos ausgeliefert. Was für

Schritte können konkret unternommen werden, um sich davor zu wappnen?

2.2.3. Bestehende Ansätze der Prävention

Sisolefsky, Rana und Herzberg zufolge bestehen in der Literatur zwei Ansätze der Prävention, die

sich gegenüberstehen. Beide haben das Ziel, dass Professionelle lernen, achtsamer mit sich zu

sein. Der erste Ansatz sieht Stress als Auslöser des Burnouts und zielt darauf ab, Mittel und Wege

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für eine Stressverringerung zu finden, um auf diese Weise Burnout zu verhindern. Der zweite

Ansatz beschäftigt sich mit der Bedeutung von persönlichen Wertvorstellungen und

Glaubenssätzen, da diese in Verbindung mit individuellen Persönlichkeitseigenschaften zu

Burnout führen (Sisolefsky/Rana/ Herzberg 2017, S.14). Poulsen wiederum verfolgt noch eine

andere Herangehensweise zur Prävention. Sie setzt einen großen Schwerpunkt auf die

Sensibilisierung und das Bewusstsein für die Krankheit während der Ausbildung angehender

Sozialarbeitenden. Sie sollen sich Reflexions- und Evaluationsfähigkeiten aneignen, um eigene

Handlungen, Gefühle, Arbeitsstrukturen einer kritischen Betrachtung zu unterziehen

(Elsässer/Sauer 2013, S.60). In einer Untersuchung, welche Faktoren dazu beitragen, dass

Sozialarbeiter eben nicht an Burnout erkranken, hat Poulsen acht relevante Punkte

herauskristallisiert:

o „1. Selbsterkenntnis – Bewusstheit/ Bewusstsein – innere Klarheit

o 2. Grenzen erkennen und setzen können, Nein sagen

o 3. Gelassenheit und Optimismus

o 4. Hobbies, Ausgleich, Sport, Bewegung

o 5. Gute Kollegen, ein gutes Team

o 6. Um Hilfestellung bitten können

o 7. Soziale Netzwerke – Familie, Freunde

o 8. Humor, Spaß und Freude“

(Poulsen 2009, S. 127)

All diese Punkte gilt es im Blick zu haben und stets zu reflektieren, wie die Balance zwischen

Arbeit, Familie und Freizeit ausgeprägt ist. Für Elsässer und Sauer gehört die Reflexion essentiell

zur Professionalität eines Sozialarbeitenden, denn „man handelt nur dann professionell, wenn

man reflektiert handelt und bewusste Entscheidungen treffen kann“ (Elsässer/Sauer 2013, S.56).

Da Burnout von drei unterschiedlichen Ebenen beeinflusst werden kann, müsste auch an eben

diesen angesetzt werden. Individuell, gesellschaftlich sowie institutionell- arbeitsorganisatorisch

müssten Maßnahmen ergriffen werden. In der Praxis bedeutet das Selbstmanagement – also

Ressourceneinteilung – beim Individuum, Gesundheitsmanagement von Seiten des Staates sowie

Erkenntnis und Reaktion auf Belastungen von Führungskräften in Einrichtungen und ihren

Mitarbeitern (ebd., S. 67). Wichtig ist, Burnout als reell existierendes Problem wahrzunehmen,

das weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen kann.

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3. Professionelles Handeln mithilfe der GFK als Möglichkeit zur

Selbstfürsorge

Die gewaltfreie Kommunikation ist ein Konzept, dass zum einen auf die zwischenmenschliche

Interaktion ausgerichtet ist, zum anderen aber auch den Kontakt mit sich und die Fähigkeit zur

Selbstreflexion herausfordert, wenn sie nicht sogar darauf angewiesen ist. Selbstfürsorge ist ein

Thema, unter dem sich die meisten Sozialarbeitenden etwas vorstellen können, sind sie doch oft

an dem Punkt der Überbelastung. Doch gibt es eine Verbindung zwischen der GFK und

Selbstfürsorge? Wie sieht Professionalität in der GFK aus, und inwiefern besteht darin eine

Ressource, die man als Sozialarbeitender, der*die erstmal nicht viel mit GFK zu tun hat,

gewinnbringend nutzen kann?

3.1. Voraussetzungen in der GFK für Professionalität

Im Menschenbild der GFK nach Rosenberg hat sich herauskristallisiert, dass der Mensch vom

Wesen her kooperativ ist, vertrauensvolle Beziehungen eingeht und das Leben anderer gern

bereichert. In der GFK wird in professionellen Beziehungen wie im privaten Umfeld angestrebt,

Begegnungen auf Augenhöhe zu haben. Die GFK versteht sich also nicht als Methode, das

Gegenüber in irgendetwas hinein zu manövrieren (wobei diese Gefahr generell schon besteht),

sondern als Grundhaltung zu einem verantwortungsbewussten Miteinander. Ihr Ziel ist die

Verbindung zu eigenen Bedürfnissen und denen des Gegenübers (Bendler/Heise 2018, S. 56).

Bendler und Heise zufolge spielen für diese Art der Beziehungsgestaltung vor allem Präsenz,

Akzeptanz, Empathie und Authentizität eine Rolle. Inwiefern können diese Qualitäten eine

Bereicherung der Professionalität Sozialarbeitender darstellen?

3.1.1. Präsenz

Im Sinne von Bendler und Heise lässt sich unter Präsenz das bewusste Wahrnehmen von inneren

und äußeren Vorgängen verstehen. Sie bildet eine Grundvoraussetzung, ein Fundament, auf dem

die anderen oben benannten beziehungsherstellenden Qualitäten gründen und aufbauen. Sie

bedeutet geistige Wachheit, vollkommene Anwesenheit im Moment, gleichzeitiges

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„Leerwerden“ der „Empfangskanäle“ (2018, S. 58). Rosenberg beschreibt Präsenz mit der

Einzigartigkeit jedes Augenblickes, der immer wieder neu Beachtung erwartet. Die Situation

„erwartet Präsenz, Verantwortung; sie erwartet – dich“ (Rosenberg 2011, S. 113). Das Kreisen in

der eigenen Gedankenwelt bewirkt, dass ich mich vom Gegenüber entferne. Um innere

Monologe zu stoppen ist der erste Schritt, sich dieser Gedanken, die beim Zuhören entstehen,

bewusst zu werden.

„Doch wenn es mir gelang, all die inneren Bewegungen zu beobachten, ohne darauf einzusteigen

und mir den Kontrollverlust zu erlauben, entfaltete der Einfühlungsprozess eine ganz neue

Dynamik. Jetzt trat der Zustand ein, in dem ich wirklich zum Begleiter wurde, der den Weg nicht

kennt und ihn gemeinsam mit dem Gegenüber entdeckt.“ (Bendler/Heise 2018, S. 59)

Auf Grundlage der Verbindung zu uns selbst, sind wir offen für das Gegenüber und empfangen,

ohne zu überlegen, was wir über das Gesagte denken und was es vielleicht im Vorfeld für

Lösungsansätze geben mag. Bendler und Heise zufolge ist es schwer, mit anderen in Kontakt zu

kommen, wenn der Kontakt zu sich selbst fehlt. Beim Wahrnehmen innerer Vorgänge können wir

folgende Ebenen betrachten: Gedanken, Gefühle und Körperfunktionen (ebd. S.60). Und diese

Betrachtung geschieht aus einer Distanz heraus, die Bendler und Heise den „inneren Beobachter“

nennen und mit der man verfolgt, aus der Identifikation mit den Wahrnehmungen auszusteigen

und ganz beim Gegenüber zu sein.

3.1.2. Akzeptanz

Die zweite Qualität, die gelingende Beziehungen ausmacht, ist die Akzeptanz. Sie umfasst die

Anerkennung und Berechtigung des gegenwärtigen Ausdruckes bei uns selbst und beim

Gegenüber. Das So- Sein eines Menschen in einem bestimmten Augenblick wird durch Akzeptanz

sichtbar (ebd., S. 63). Rogers zufolge beinhaltet Akzeptanz, dass dem Individuum

uneingeschränkter Selbstwert zugesprochen wird, er also ungeachtet seiner Emotionen,

Verhaltensweisen und Einstellungen wertvoll ist und ihm akzeptierend – also respektvoll und

warmherzig – begegnet wird (Rogers 1973, S. 47). Um an dieser Stelle das Menschenbild der GFK

aufzugreifen, dieses besagt, dass Menschen sich nach Verbindung und Liebe sehnen, in ihren

Bedürfnissen einander gleichen und auf dieser Ebene ein Verständnis hergestellt werden kann,

unabhängig davon, ob man das Verhalten billigt. Im Sinne der Akzeptanz wird einem Menschen

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also in jeder Lage Menschlichkeit zugesprochen, was nicht bedeutet, man dürfe sich von

Handlungen – Strategien zur Bedürfnisbefriedigung – der Person nicht distanzieren. Akzeptanz

nach Bendler und Heise ist ein Zustand, in der sämtliche Bewertung unterlassen werden, eine

Haltung, in der die Situation genommen wird, wie sie ist (Bendler/Heise 2018, S. 64).

Voraussetzung einer äußeren Akzeptanz3 ist zuallererst die Akzeptanz des eigenen inneren Vor-

Sich- Gehens, eingeschlossen der inneren Ängste, die Professionelle mitbringen. Der Mensch

verfügt über verschiedene Möglichkeiten, auf ein Gefühl zu reagieren: Widerstand leisten,

Ablehnen und Verdrängen, Festhalten, oder bewertungsfrei Wahrnehmen. Letzteres ist der

Ansatz der GFK, alles in uns selbst darf da sein und Raum einnehmen. In diesem Bewusstsein

begegnen wir auch unseren Mitmenschen: Wir treffen die Entscheidung, mit ihnen ohne eigene

Vorstellungen, Erwartungen, Meinungen, Interpretationen in Beziehung zu treten und ihre

Lebenswelten als für sie sinnvoll anzuerkennen (Bendler/Heise 2018, S. 66).

„Du bist ok und willkommen mit all dem, was sich in dir in diesem Moment zeigt“ (ebd., S. 67).

Das ist die Einstellung der GFK, mit der wir zuallererst uns selbst und dann dem Gegenüber

begegnen sollten. In Bezug auf die Professionalität eines Sozialarbeitenden bedeutet das, für

seine eigenen Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse Verantwortung zu übernehmen und in der

Lage zu sein, sie angemessen zu reflektieren. Nicht nur das, was von außen an Eindrücken

herangetragen wird, sondern auch, was wir als Person damit verbinden beziehungsweise was wir

während Gesprächen denken, gilt es kritisch zu hinterfragen.

3.1.3. Empathie

Bendler und Heise zufolge ist Empathie als Fähigkeit, die Gefühle anderer in einem mitschwingen

zu lassen, zu verstehen. Die Autoren differenzieren zwischen Mitleid und Mitgefühl, in beiden

Fällen schwingen wir emotional mit, dennoch unterscheiden sie sich in der Art und Weise, wie

wir unseren Mitmenschen begegnen. Mitleid entsteht, wenn eigener, nicht gefühlter Schmerz

auf den anderen projiziert wird. Gefangen im eigenen Schmerz können wir für uns nicht sorgen

und somit auch für andere nicht mehr da sein (Bendler/Heise 2018, S. 69). Dadurch verlassen wir

als Professionelle die Augenhöhe mit unserem Gegenüber und nehmen einen Standpunkt ein, in

3 Bendler und Heise verwenden den Begriff der äußeren Akzeptanz. Gemeint ist damit die Akzeptanz, die dem äußeren Umfeld entgegengebracht wird.

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dem wir besser wissen, was für ihn gut ist. Strategien der Verdrängung eigener unerwünschter

Gefühle sind zum Beispiel Ratschläge geben oder Trösten, sie dienen der Abwehr und resultieren

nicht aus einer Verbindung mit dem Gegenüber. In ebendiesen Situationen der Verdrängung

unerwünschter Gefühle benötigt es Selbstmitgefühl, Präsenz, und die Erkenntnis, dass der

andere für seine Gefühle verantwortlich ist, wie ich für meine eigenen. Um uns das

Selbstmitgefühl zu geben, können wir erstens die vier Schritte der GFK bei uns anwenden und

zweitens die Situation verlassen. Bendler und Heise sehen dies durchaus als professionelle

Reaktionen an (2018, S.103).

Mitgefühl ist dagegen ein Zustand, in dem der Professionelle mit sich selbst im Kontakt ist. Er/Sie

lässt sich auf das Gefühl und den Ausdruck des Gegenübers ein, geht in die Begegnung, macht

sich berührbar – und somit verletzbar. Der Anspruch, etwas an der Situation oder an den

Empfindungen zu verändern, wird losgelassen und stattdessen der Fokus auf aktuell lebendige

Gefühle und Bedürfnisse gerichtet (Bendler/Heise 2018, S.70). Die Situation wird ohne

Veränderungsbedürfnis akzeptiert, der andere wird in seinen Fähigkeiten der Bewältigung

ermutigt und bleibt in seiner Verantwortung. Die Beziehung auf Augenhöhe wird somit im

Klienten- Professionellen- Verhältnis möglich gemacht. Ob wirkliche Augenhöhe in einer

professionellen Beziehung überhaupt entstehen kann, möchte ich an dieser Stelle kritisch

hinterfragen. Schließlich ist es allein dadurch, dass Sozialarbeitende über mehr Wissen, Erfahrung

verfügen und in gewisser Form auch Distanz als professionell angesehen wird, fraglich, ob es

möglich ist, dass kein Machtgefälle entsteht. Beziehungsweise ist hier die Frage, ob sich

Machtgefälle und Beziehung auf Augenhöhe zwingend ausschließen.

3.1.4. Authentizität

Authentizität oder Echtheit tritt ein, wenn das innere Erleben wahrgenommen und kommuniziert

wird. Es steht im Widerspruch dazu, sich zu verstellen, Rollen zu spielen oder sich hinter

professionellen Fassaden zu verstecken und dabei eine hohe eigene Energiekapazität zu

verbrauchen. Wenn keine Übereinstimmung zwischen verbalen und nonverbalen Botschaften

besteht, nehmen Klienten die Diskrepanz wahr und Professionelle verlieren an Glaubwürdigkeit.

Die Vertrauensbasis kann dann eingeschränkt sein. Wird dagegen jedoch ehrlich kommuniziert,

können ein konstruktives Miteinander und Lebendigkeit entstehen. Professionelle, die sich mit

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Gefühlen verletzbar machen, eigenen Werten und Einstellungen Raum geben, zeigen sich in ihrer

Menschlichkeit und fördern eine vertrauensvolle, gleichwertige Beziehung. Laut Bendler und

Heise schützt Authentizität uns selbst, und in dem Zuge auch unsere Mitmenschen und Klienten

(2018, S. 74). Sie weisen dennoch darauf hin, dass keineswegs der Auftrag besteht, sich als

Professioneller permanent zu offenbaren (ebd., S. 76,123). Es geht zwar um ein Miteinander, in

dem Persönliches ausgedrückt werden darf, aber Professionelle haben Klient*innen gegenüber

die Verpflichtung, abzuwägen und zu prüfen, was für ihren Prozess hilfreich und angemessen ist

(ebd., S. 76). Sie sind in ihrer Klarheit gefragt, dem Gegenüber den „Auftrag und die Grenzen

desselben zu kommunizieren“ (Bendler/Heise 2018, S. 120).

3.2. Anwendung der GFK im professionellen Alltag als Sozialarbeitender

Die in Kapitel 3.1. benannten Qualitäten gelingender Beziehungsgestaltung haben schon ihren

Teil zu einem professionellen Verständnis der GfK beigetragen. Dieses Unterkapitel soll wichtige

Prinzipien der GFK mit dem Thema Professionalität in Verbindung bringen und Anregungen

geben, den Beruf der Sozialen Arbeit von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten.

Professionelle Rollen werden stets durch die Einzigartigkeit der Persönlichkeit das was sie sind.

Jeder Mensch füllt diese Rolle anders aus. Die GFK geht davon aus, dass die damit verbundene

Lebendigkeit die Soziale Arbeit nicht nur bereichert, sondern Gelingen sichert. Bendler und Heise

machen darauf aufmerksam, dass Lebendigkeit mit dem Zeigen von Verletzlichkeit und

Unvollkommenheit einhergeht, und dass so in Beziehungen auch die Einzigartigkeit des Einzelnen

zum Ausdruck kommt. Daher geben sie die Empfehlung, als Professionelle*r offen und berührbar

zu sein und mit einer gewissen Verletzlichkeit in die Beziehungen zu gehen (Bendler/Heise 2018,

S. 116 f.).

Das Thema Nähe und Distanz ist mit eines der am meisten diskutierten Themen die

Professionalität betreffend. Rosenberg sieht Distanz tendenziell als trennend und von Starrheit

geprägt an: „Anstatt uns auf „professionelle“ Beziehungen zurückzuziehen, die durch emotionale

Distanziertheit, Diagnosen und Hierarchie gekennzeichnet sind, können wir – indem wir uns die

Fähigkeiten und das Bewusstsein der GFK aneignen – andere Menschen in Begegnungen

unterstützen, die lebendig, offen und gleichwertig von beiden Seiten getragen werden“

(Rosenberg 2011, S. 198). Die Ansicht Bendlers und Heises darüber orientiert sich an Rosenbergs

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Meinung, stellt aber dennoch Distanz als professionell in Beziehungen dar. Professionelle sollten

sich der Möglichkeit bewusst sein, sich selbst und andere durch Distanz schützen zu können, und

Raum in emotional engen Situationen zu schaffen. Laut Bendler und Heise sind Nähe und Distanz

keine konkurrierenden Widersprüche, sondern deren Herstellung ist ein stetiger Prozess, der

ausbalanciert werden will. Professionelle dürfen und müssen sich die Frage, wieviel Abstand

ihnen guttut, stellen (Bendler/Heise 2018, S. 123 f.).

Das folgende Zitat macht zusammenfassend deutlich, wie die Autoren einen Fokus auf die

authentische Ganzheitlichkeit von Professionellen legen.

„Wenn wir uns als Menschen vollständig in unsere Berufung begeben, dann werden wir dort auch

mit unseren Schwächen, Fehlern und unserem Scheitern konfrontiert. Eine professionelle

Haltung impliziert nach meinem Verständnis keinen Perfektionismus, sondern vielmehr einen

bewussten Umgang mit Kompetenz, Mandat und den eigenen Grenzen“ (ebd., S. 124).

In einer professionellen Rolle ist man als Person sichtbar. Um also vom Gegenüber als authentisch

und echt erlebt zu werden, müssen die innere Einstellung und wie sich diese nach außen

ausdrückt, in Verbindung miteinander stehen.

Bendler und Heise appellieren ans Bewusstwerden über die Wichtigkeit der eigenen

„Schattenthemen“, also der ungelösten persönlichen Thematiken, die man gern verstecken,

verdrängen will oder ablehnt. Die beiden Autoren vertreten die These, dass bei einer

Aufarbeitung und Heilung dieser Themen die Professionellen auch nach außen anders wirken

und handeln, sie sind dann nicht mehr in der Not, mit professioneller Distanz den Problemen des

Klienten zu begegnen und können erkennen, was bestimmte als problematisch empfundene

Verhaltensweisen mit ihnen selbst zu tun haben (ebd., S. 104ff.). Die professionellen

Beziehungen sind „getragen vom Vertrauen in uns selbst und in die Ressourcen der Menschen,

mit denen wir arbeiten“ (ebd., S. 106). Auf diese Art und Weise wird dem Gegenüber seine Würde

und Souveränität zugesprochen.

Nach Bendler und Heise ist es für Sozialarbeitende lohnenswert, mit sich in Kontakt zu sein und

eigenes Erleben und Verhalten immer wieder neu zu hinterfragen und zu reflektieren, um

Klarheit über Rollen und Motive zu erlangen (ebd., S. 109f.). Professionelle tun gut daran, für ihr

inneres Erleben Verantwortung zu übernehmen und somit aktiv gegen die Opferrolle zu wirken.

Mit dem Gebrauch von lebensentfremdenden Kommunikationsmustern leugnen Professionelle

schnell ihre Verantwortung, einige verbreitete Beispiele sind:

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o „das musste ich tun“

o „Befehl von oben“

o „So sind die Gesetze“ (Rosenberg 2018, S. 39)

Es hat Konsequenzen für Klient*innen und die Professionellen selbst, wenn Handeln die

persönlichen Werten nicht berücksichtigt, und dem „authentischen Ausdruck nicht gerecht wird“

(Bendler/Heise 2018, S. 143). Anders gesagt, Professionelle werden ermutigt, sich für Dinge

bewusst zu entscheiden, statt passiv zu bleiben und sich vielleicht unwillig Vorgaben zu beugen.

Auch in Bezug auf die Verantwortlichkeit, die Professionelle Klienten gegenüber empfinden

können, geben Bendler und Heise ihren Lesern etwas mit auf den Weg: Ihrer Meinung nach

bedeutet eine Verantwortungsübernahme von Seiten der Professionellen, dass die

Selbstverantwortung der Klienten infrage gestellt wird. Es besteht die Möglichkeit, dass die

Menschen, mit denen gearbeitet wird und für die Verantwortung übernommen wird, Vertrauen

in sich verlieren, zu wissen, was für sie gut ist. Sie verlieren den Zugang zu ihren Bedürfnissen

(2018, S. 144). Als Sozialarbeitende, die die Klient*innen zu Selbstverantwortung und

Selbstwirksamkeit befähigen wollen – ganz im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe – halten wir uns in

diesem Spannungsfeld stets auf und müssen uns selbst und der Klient*innen zuliebe Position

beziehen.

Als Realität bezeichnen beide Autoren die bestehende Ökonomisierung des sozialen

Arbeitsfeldes. Sie betonen, dass Sozialarbeitende dazu eine Haltung finden müssen. „Wollen wir

als Menschenrechtsprofession nachhaltig für die Menschen in unserer Gesellschaft eintreten,

reicht es nicht aus, uns darauf zu beschränken, das System zu stabilisieren, indem wir uns immer

nur mit den Symptomen befassen und dadurch Schlimmeres verhindern“ (ebd., S. 192). Die

Soziale Arbeit ist eine Profession, die sich mit Teilen der Gesellschaft auseinandersetzt, die in

irgendeiner Form benachteiligt oder ausgeschlossen sind, die so wie sie sind nicht genügen. Laut

Bendler und Heise nimmt sie in dieser Funktion selbst einen Platz am Rande der Gesellschaft ein.

Mithilfe des Kapitels 2.2. wurde deutlich gemacht, mit welchen äußeren Umständen

Sozialarbeitende konfrontiert sind, und wie ausgeliefert die Soziale Arbeit dem System oft zu sein

scheint, sei es Rahmenbedingungen wie das Finanzielle, kurzfristige und unsichere

Anstellungsverträge, Zeitdruck, oder ungenügenden Schutz und Präventionsvorsorge bei

Fachkräften betreffend. Mithilfe der GFK kann ein Weg aufgezeigt werden, aus dem

ökonomischen Druck auszusteigen und vermehrt die zwischenmenschlichen Beziehungen in den

Blick zu nehmen. Die Soziale Arbeit muss sich in der Verantwortung sehen, proaktiv und

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gestaltend tätig zu werden (ebd., S. 192f.). Was bedeutet das jetzt aber für Praktiker in Bezug auf

die gewaltfreie Kommunikation?

Im Sinne der GFK ist zuallererst der Fokus auf das eigene Innenleben, das Wahr- und

Ernstnehmen eigener Bedürfnisse zu nennen. Es gibt ein christliches Gebot im

Markusevangelium der Bibel, das besagt: „Liebe deine Mitmenschen wie dich selbst!“ (Die Bibel:

Markus 12, 31). Dieses neutestamentliche Gebot ist neben „Du sollst den Herrn, deinen Gott,

lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit deinem ganzen Verstand und mit aller deiner

Kraft!“4 das wichtigste, das im Christentum Beachtung finden sollte. Dort steht nicht, liebe deinen

Nächsten aus eigener Kraft und mache dich kaputt für ihn, sodass du irgendwann völlig

ausgebrannt bist. Und dort steht auch nicht, nimm dich selbst und dein Wohlergehen wichtiger

als das deiner Mitmenschen. Aber was die Bibelstelle meint ist, dass es wichtig für unsere

Gesundheit ist, uns selbst nicht zu gering zu achten, uns um uns selbst und unser Innenleben zu

kümmern, und gleichzeitig – vielleicht auch als Folge daraus – für unsere Mitmenschen da zu

sein. Wenn wir beispielsweise aus der Position eines Helfersyndroms heraus helfen, weil die

Notwendigkeit zur Selbstüberhöhung besteht, sind wir nicht beim anderen, sondern bei uns

selbst und können im Beruf Schaden anrichten. Ich verstehe diese Bibelstelle und auch das

Konzept der gewaltfreien Kommunikation so, dass ein Zustand des Gleichgewichts zwischen

Selbstwahrnehmung und Helfen da sein muss, um langfristig mit Freude und Motivation als

professionell Sozialarbeitender tätig zu sein.

Die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation impliziert nach Bendler und Heise, dass

Sozialarbeitende lernen müssen, sich selbst ernst zu nehmen. Um Authentizität zu erlangen,

muss der Fokus auf Bedürfnisse als voraussetzendes Kriterium gelegt sein. Im Gleichklang mit

unserem Inneren sind wir frei, unseren Mitmenschen aus einer freigiebigen, Aufmerksamkeit

schenkenden, empathischen Haltung auf Augenhöhe zu begegnen. Der Weg dahin ist gepflastert

mit Selbstreflexion und bewusster Selbstbegegnung. Zuerst dürfen wir als Professionelle lernen,

uns selbst zu vertrauen und „immer mehr zu dem finden, was uns wirklich ausmacht“

(Bendler/Heise 2018, S. 195). Anschließend oder daraus resultierend gestehen wir genau das

auch unseren Klient*innen zu (ebd., S. 195). Als Professionelle profitieren wir von der

Achtsamkeit, wie sie sich die GFK vorstellt, in einer neuen Art der Lebendigkeit, Intensität in

Begegnungen und Lebensfreude. Wir erlernen das Prinzip der Selbstverantwortung für unser

4 Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der alleinige Herr. Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit deinem ganzen Verstand und mit aller deiner Kraft! (Markus 12, 29b-30)

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Leben und Handeln. Sind wir dazu fähig, sind wir auch erst in der Lage, Klient*innen dazu zu

befähigen, ein Leben zu führen, „in dem sie glücklich sind, sich frei entfalten und ihre

Möglichkeiten voll ausschöpfen können“ (ebd., S. 197f.).

Die Aufgabe, die Bendler und Heise an Sozialarbeitende formulieren, liegt also darin, einen Weg

zu finden, für sich und somit andere gut zu sorgen. Sie legen den Fokus auf das Thema innere

Arbeit, und betonen, dass Soziale Arbeit für die Fachkräfte eben nicht nur im bekannten „Ich

möchte etwas mit Menschen machen“ besteht, sondern in erster Linie die Bereitschaft zur Arbeit

an sich selbst voraussetzt.

3.3. Beschränkungen der GFK

Im Gespräch mit Gabriele Seils beantwortete Rosenberg die Frage, was ihn so sicher mache, dass

die gewaltfreie Kommunikation funktioniere, mit folgender Antwort: „ich habe es ausprobiert“

(Rosenberg 2018, S. 5). Das lässt sich nicht bestreiten, er hat sich und dem Konzept einen Weg

zur Popularität geschaffen, sodass es viele Menschen weltweit täglich einsetzen. Dennoch soll

die Arbeit an dieser Stelle auf einige Stolperstellen aufmerksam machen, die beim Erlernen der

GFK entstehen können, sowie kritisch zu betrachtende Punkte anreißen.

Die Basis für die GFK bildet sich auf der Grundlage, dass Individuen herausfinden, was sie

brauchen und was sie wollen, und einen Zugang zu sich selbst schaffen. Laut Rosenberg

resultieren also Konflikte und gewaltvolles Verhalten darin, dass die meisten Menschen dieses

eben nicht wissen (ebd., S. 16). Diesen Zugang gilt es also zu finden und beizubehalten. Die GFK

ist als Haltung, als Lebenseinstellung zu verstehen, die dem Leben dient und auf Prozesse

ausgerichtet ist. Sie ist etwas, wofür man sich in jedem Moment im Alltag neu entscheiden kann,

und was immer wieder neu herausfordernd sein kann. „In jedem Moment haben wir das

Potenzial, dem Leben zu dienen oder es zu zerstören“ (ebd., S. 35). Dies bedeutet, dass die

Anwendung der GFK auf der Bereitschaft, sich selbst oder dem anderen etwas Gutes zu tun

beruht, und diese muss immer aus einer freien Entscheidung heraus getroffen werden.

Kruse benennt einige Punkte genauer, bei denen die GFK Gefahr laufen kann, nicht in ihrer

ursprünglich gedachten Haltung verstanden zu werden und demnach inkorrekt angewendet zu

werden. An erster Stelle macht sie hier auf den Punkt der Augenhöhe aufmerksam: Wird die GFK

aus überlegenen oder unterlegenen hierarchischen Positionen angewendet, entspricht das nicht

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mehr der Grundhaltung der Gleichwertigkeit des Gegenübers. Emotionale Abhängigkeiten,

Manipulation, Rollenverfestigung können daraus folgen, was nicht im Sinne der GFK ist. Eine

weitere Grenze sieht Kruse in der Verantwortungsübernahme für die Gefühle anderer. In erster

Linie sollen wir mithilfe der GFK lernen, für unsere Gefühle und Bedürfnisse Verantwortung zu

übernehmen und können dann aus dieser Haltung heraus anderen genau dasselbe zustehen. Wir

werden zu Ermutigern, Zuhörern, zu Menschen in deren Gegenwart man einfach Sein darf und

sich entfalten darf. Eine weitere Schwierigkeit sieht Kruse in der Starrheit von Wortvorgaben in

der GFK. Die Verfolgung der vier Schritte mag für den Anfang sicher hilfreich sein, klingt aber im

Endeffekt gestelzt, als würde man ein Konzept runterrattern und führt nicht unbedingt zu

authentisch freien Begegnungen. Als letztes kritisiert sie die Kategorisierung Rosenbergs in

Wolfs- und Giraffensprache. In einer solchen Unterscheidung befürchtet sie, die eine Art zu

kommunizieren könnte als schlecht, die andere als gut gewertet werden und somit Gefühle wie

Wut oder Ärger als schlecht angesehen werden, und in den Verruf kommen, nicht gefühlt werden

zu dürfen (Kruse 2020, Internetquelle).

Eine Frage, die bei der GFK in Verbindung mit der Professionalität Sozialarbeitender immer

wieder aufkommt, ist die nach der Distanz. Laut Martin Buber findet Heilung in Situationen statt,

wo „zwei authentische menschliche Wesen eine authentische Begegnung haben“ (Rosenberg

2018, S. 56). Gordon befasst sich ebenfalls mit Konfliktpotenzialen in Bezug auf Kommunikation

sowie mit Möglichkeiten der echten Begegnung. Er bedenkt die Bedeutung des Themas „Sich-

Geliebt- Fühlen“, als dass es ihm für die menschliche Entwicklung und Heilung unschätzbar

wichtig erscheint: „Es kann Wachstum von Seele und Körper fördern und ist wahrscheinlich die

wirksamste uns bekannte therapeutische Kraft zur Heilung sowohl psychologischer als auch

physischer Schäden“ (Gordon 2012, S. 53).

Das steht im Kontrast zu einem Arbeits- und Begegnungsfeld, in dem ein Professioneller

distanziert mit einem Patienten arbeitet. Mit Implizieren der Methodik der GFK verabschiedet

sich der Professionelle von Machtgefällen, Hierarchien und lässt sich auf eine Beziehung auf

Augenhöhe ein, wobei er sich verletzbar macht. Das funktioniert nicht einfach so aus gutem

Willen heraus, sondern bedeutet harte Arbeit an sich selbst und ein ständiges Erspüren der

eigenen Wahrnehmung, um persönliche Grenzen nicht zu überschreiten. Wie jedoch schon in

Kapitel 3.2. erwähnt, ist das Setzen von Grenzen in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen, es

gilt, eine individuelle, auf den Professionellen angepasste Regulierung zwischen Nähe und

Distanz herzustellen.

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Mit Bezug auf die Frage, mit wem man überhaupt nach dem Konzept der GFK ins Gespräch

kommen kann, gibt es hier einige Punkte, die es in weiteren wissenschaftlichen Arbeiten zu

klären bedarf. Erstens, inwieweit sind Kinder ab welchem Alter empfänglich, gewaltfrei zu

kommunizieren? Zweitens, wenn GFK als Grundhaltung verstanden werden kann, die nicht in

jedem Fall Worte benötigt, kann sie dann nicht auch bei Menschen verwendet werden, die nicht

mehr in der Lage sind, verbal zu reagieren? Ist die Grundhaltung der GFK auf Gegenseitigkeit

angewiesen?

Als eher rahmenbedingte Beschränkung der Anwendung der GFK soll an dieser Stelle noch auf

unsere kapitalistische Gesellschaftsform hingewiesen werden. In einer ökonomisierten

Arbeitswelt wirkt die Haltung der GFK wie ein Idealbild, dass nach derzeitigen Maßstäben

unmöglich von jedem umgesetzt werden kann. Selbstverständlich gibt es eine große Menge an

GFK- Trainings- Möglichkeiten und Einrichtungen, wo sie praktiziert wird. Dennoch glaube ich,

dass Sozialarbeitende, deren Einrichtungen mit der GFK an sich nichts zu tun haben, ihren

Mitarbeitern nicht die Zeit einräumen können, um im Sinne der Selbstfürsorge mithilfe der GFK

während der Arbeitszeit in sich hinein zu spüren, wie es ihnen geht und was sie brauchen. Hier

müsste ein ganz neues Bewusstsein auf institutioneller und staatlicher Ebene dafür stattfinden,

dass Professionelle am wirksamsten handeln können, wenn sie sich selbst im Blick haben und

wertschätzend mit sich selbst umgehen.

4. Fazit

Die GFK ist eine in vier Schritten anwendbare Methode, mit der Professionelle und Nicht-

Professionelle anderen in Konflikten und herausfordernden Gesprächen wertschätzend und

empathisch begegnen können. Obwohl die vier Schritte bestehend aus Beobachtung, Gefühle

und Bedürfnisse wahrnehmen und ausdrücken sowie Bitten äußern grundsätzlich leicht

nachzuvollziehen sind, gestaltet sich die Anwendbarkeit in der Praxis doch nicht

herausforderungsfrei. Ausgehend von einem humanistischen, klientenzentrierten Menschenbild

besteht die Wirksamkeit der GFK nicht in der Anwendung der vier Schritte allein, sondern in der

Verinnerlichung der GFK als Grundhaltung. Diese beinhaltet, den Menschen als ebenbürtiges

Gegenüber mit Bedürfnissen zu betrachten, das nach seinen Möglichkeiten versucht ist, diese zu

befriedigen. Innerhalb dieser Möglichkeiten bedeutet, dass dieser Mensch Fehler macht und

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Regungen folgt, die anderen auch schaden können. Dies tut er nach der GFK jedoch nicht

zwangsläufig aus bösem Willen, sondern es fehlen schlichtweg Strategien, diese Bedürfnisse auf

eine andere, für sich und andere wohltuendere Weise zu befriedigen. Die GFK als Grundhaltung

zu verstehen bedeutet für Professionelle also, diese Sichtweise zu verinnerlichen und jedem

Menschen mit dem gleichen Respekt für seine Menschlichkeit zu begegnen sowie die

Erwartungshaltung und Hoffnung zu haben, dass jeder Mensch zum Tun von Gutem fähig ist und

das Leben anderer gerne bereichern würde, wenn er könnte.

Die Bachelorarbeit beleuchtet das Thema Professionalität in der Sozialen Arbeit, als dass sie

versucht, Augenmerk auf die Persönlichkeit als wichtigstes Werkzeug eines Professionellen/einer

Professionellen zu legen. Sozialarbeiter*innen arbeiten in einem Arbeitsfeld, dass in der Praxis

auf Kommunikation und Austausch beruht, also Face-to-face- Interaktion. Das Gegenüber

profitiert in seinem Lern-, Veränderungs- und Weiterentwicklungsprozess von der Authentizität

des Sozialarbeitenden. Als Sozialarbeitende sollten wir im Blick behalten, dass wir uns als Person

immer mitbringen, unsere Charaktereigenschaften, Eigenarten, Fehler und Geschichten sowie

unsere Ressourcen. Es geht nicht darum, eine möglichst professionelle Maske aufzusetzen und

so erzwungene Distanz zu wahren, sondern eine stabile Basis für tragfähige Beziehungen zu

schaffen.

Weiterhin stellt diese Arbeit einen Zusammenhang zwischen der Burnout- Problematik und

fehlender Selbstwahrnehmung insofern her, dass innere Klarheit und Wahrnehmungsfähigkeit

etwas zur Prävention beitragen können. Zusammenfassend kann zu diesem Unterkapitel gesagt

werden, dass Burnout von dem Zusammenspiel von personenexternen Faktoren – also

Rahmenbedingungen – und personeninternen Faktoren – persönlichen, inneren

Vorrausetzungen – beeinflusst wird. Jeder Professionelle/jede Professionelle hat seine/ihre

individuellen Herausforderungen, wo er/sie in die Gefahr geraten kann, anfällig für Burnout zu

sein. Ein Ansatz von Poulsen besteht darin, zukünftige Sozialarbeitende in ihrer Ausbildung mit

dem Thema Burnout zu konfrontieren und sie in ihrer Reflexions- und Evaluationsfähigkeit für

innere Prozesse und damit verbundene Handlungen zu fördern. In der Burnoutprävention gibt es

drei Ebenen, die Beachtung finden müssen: Abgesehen davon, dass das Individuum für sich selbst

Maßnahmen ergreifen kann, liegt hier auch ein Auftrag an die Arbeitgeber und den Staat,

Burnout in seinem schleichenden Prozess als mögliche Gefahr zu begreifen und dem aktiver

entgegenzuwirken.

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Die GFK verfolgt einige Grundprinzipien, die Beziehungen herstellen und fördern. Diese machen

professionelles Handeln in der GFK aus und können potenziell auch auf das Denken und

Verhalten im generellen sozialarbeiterischen Kontext übertragen werden. An erster Stelle ist hier

das Prinzip der Präsenz zu nennen. Zusammengefasst beinhaltet sie das simple Dasein im

Moment, das Sich-auf-den-anderen-Einlassen, ohne sich von eigenen Gedanken ablenken zu

lassen. Innere Vorgänge und Gedanken werden zwar wahrgenommen, aber mit einer gewissen

Distanz akzeptierend betrachtet. Weiterhin ist Akzeptanz als Grundlage für gelingende

Beziehungen zu nennen: Akzeptanz der eigenen (also Professionelle betreffend) und fremden

Person als Mensch mit Bedürfnissen und einem uneingeschränkten Wert. Wir begegnen dem

Gegenüber ohne ihn, seine Gedanken und Gefühle zu bewerten oder zu beurteilen.

Voraussetzung dafür ist der Kontakt und eine liebevolle, sich selbst akzeptierende und wichtig

nehmende Beziehung zu sich selbst. Als nächste Grundlage geht die Bachelorarbeit auf die

Empathie ein. Mitleid gilt hier von Mitgefühl zu unterscheiden, insofern, dass Mitgefühl als

konstruktives emotionales Mitschwingen mit den Gefühlen des Gegenübers zu verstehen ist,

während Mitleid eigene Bedürfnisse und Nöte zu bearbeiten versucht. Professionelle machen

sich im Mitgefühl als Person greifbar und verletzlich und tragen so zu einer Beziehung auf

Augenhöhe bei, in der jeder in der Verantwortung für seine inneren Prozesse bleibt. Zuletzt wird

Authentizität näher beleuchtet. Wenn Professionelle mit ihrem Inneren in Kontakt sind und ihren

Wahrnehmungen in einem professionellen, der Situation angemessenen Rahmen Ausdruck

verleihen, erhöht das die Qualität der Beziehung indem es Vertrauen möglich macht und

Lebendigkeit fördert.

Weitere Anregungen und Ideen für Professionalität Sozialarbeitender sollen an dieser Stelle noch

einmal zusammengefasst werden. Die Position als Sozialarbeiter*in bringt den Einsatz der

eigenen Persönlichkeit mit, in dem Offenlegen eigener Schwächen und Menschlichkeit liegt eine

Ressource für die Beziehungsgestaltung. Dementsprechend darf die Sorge um sich selbst im

Beruf einen festen Platz einnehmen. Und ja, auch wenn ein Potenzial darin liegt, Klient*innen auf

einer persönlichen, offenen Ebene zu begegnen bedeutet Selbstfürsorge dennoch, dass

Wahrnehmen und Setzen von Grenzen ausdrücklich erlaubt und gewollt ist. Sozialarbeitende

müssen lernen, eine Regulierung zwischen Nähe und Distanz zu finden, die nicht aus persönlicher

Not heraus motiviert ist, sondern eine konstruktive und Wachstum schaffende Beziehung

hervorbringt. Wenn das bedeutet, sich zuerst mit der eigenen Persönlichkeit und bestehenden

inneren Nöten auseinandersetzen zu müssen, um als Resultat daraus ein angemessenes

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Gegenüber für Klientel zu sein, ist das eine professionelle Erkenntnis, die Respekt und

Wertschätzung verdient. Die GFK kann helfen, mithilfe der vier-Schritte- Methodik mehr zu sich

zu finden, und liebevoller mit sich umzugehen. Mit ihrer wertschätzenden, nicht- wertenden,

ehrlichen und bedürfnisorientierten Grundhaltung inspiriert und fordert sie heraus, als

Professionelle*r bei sich selbst anzufangen. Sie fordert aber auch die Sozialarbeit heraus, aktiver

für sich im bestehenden Gesellschaftssystem einzutreten und sich Gehör als unersetzliches

Berufsfeld zu verschaffen. Hinter einer Opferhaltung kann man sich zwar gut verstecken, doch

Veränderung – beispielsweise die ungünstigen Arbeitsbedingungen betreffend – kann erst durch

Verantwortungsübernahme für eigene Belange geschehen.

Zu Beginn dieser Bachelorarbeit wurde folgende Forschungsfrage formuliert: Inwiefern kann die

gewaltfreie Kommunikation zu einer professionellen Selbstfürsorge beitragen?

o Indem sie darauf aufmerksam macht, dass Selbstfürsorge zu professionellem Handeln

dazugehört.

o Indem sie darauf aufmerksam macht, dass mit dem Einsatz der Person als Werkzeug auch

Zeigen von Schwächen, Verletzlichkeit und Grenzen einhergehen darf.

o Und diesen vielleicht unliebsamen Persönlichkeitsanteilen darf im Kontakt mit sich selbst

Beachtung und Wertschätzung geschenkt werden.

o Die GFK lenkt den Fokus der Professionellen als allererstes auf ihr eigenes Innenleben. Sie

sollen sich mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen vertraut machen, sie als Teil von sich

akzeptieren, der ihnen über ihr Wohlbefinden und ihre Lebendigkeit Aufschluss gibt.

o Eigene Gedanken dürfen wertungsfrei einer Beobachtung unterzogen werden, Gefühle

und Bedürfnisse wahrgenommen und kommuniziert werden, sowie es darf überlegt

werden, was gebraucht wird, um diesen gerecht zu werden.

o Mit dieser aktiven Haltung, auf sich zu achten und für sich die Verantwortung zu

übernehmen leistet die GFK einen Beitrag, dem individuellen Burnout entgegenzuwirken.

o Wenn Professionelle die vier- Schritte Methode bei sich selbst anwenden, können sie als

Resultat daraus ihrer Umgebung ebenfalls Authentizität, Empathie, Präsenz, und

Akzeptanz entgegenbringen.

o Auch die Grundhaltung der GFK, dass jedem Menschen ein bedingungsloser Wert

zugesprochen wird, kann der Selbsthilfe dienlich sein, indem sie dazu einlädt, einfach man

selbst zu sein oder immer mehr man selbst zu werden. Professionelle werden ermutigt,

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verfestigte Rollenbilder und Distanz neu zu überdenken sowie einen individuellen Weg

für sich selbst zu finden.

o Die GFK ist darauf ausgelegt, an die Lebendigkeit des Einzelnen zu appellieren und das

Potenzial, das Beste in sich selbst und anderen zu sehen.

o Professionell selbstfürsorglich wirkt die GFK indem sie darlegt, was für Folgen

Unauthentisch-Sein und mangelnder Kontakt zu sich mit sich bringen kann und dem

entgegengesetzt, wie viele und welche Vorteile die GFK für die Beziehungsgestaltung in

einem professionellen Klient*innen- Professionellen- Verhältnis haben kann.

Mit dieser Bachelorarbeit sollen Sozialarbeitende ermutigt werden, ihrem Innenleben einen

größeren Teil ihrer Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Arbeit ist als reine Literaturarbeit

konzipiert, da sich kaum Literatur finden ließ, die den Zusammenhang zwischen Burn-Out,

Selbstfürsorge und GFK innerhalb eines Werkes verdeutlicht, ist die Arbeit anhand eines roten

Fadens aufgebaut, der diese Verbindungen darstellen soll. Die Kapitel bauen aufeinander auf,

möglicherweise wird eine Spannung aufrechterhalten, die nicht jeden Schritt meiner

Vorgehensweise sofort transparent macht.

Marshall Rosenberg hatte als Begründer der GFK alle Freiheiten, die vier- Schritte- Methodik und

Ansichten anhand seines Verständnisses von Menschen aufzubauen. Die Bachelorarbeit geht auf

genau dieses Menschenbild ein, beschäftigt sich aber nicht näher mit einer Überprüfung dieses

Verständnisses beziehungsweise mit abweichenden Vorstellungen anderer Professioneller. Denn

die Ansicht, dass Menschen grundsätzlich gut sind und nur aus einem Strategiemangel heraus

Böses tun, kann durchaus kritisch betrachtet, wenn nicht sogar angezweifelt werden. Des

Weiteren wäre es aus meiner Sicht interessant, zu untersuchen, ob eine Beziehung auf

Augenhöhe und ein professionelles Machtgefälle in jedem Fall unvereinbar sind. Darüber hinaus

gibt es kaum Literatur zu Grenzen der Anwendung der GFK, das mag an der fehlenden

wissenschaftlichen Grundlage Rosenbergs liegen, auch hier könnte man zukünftig

weiterforschen.

Das folgende Zitat von Deepak Chopra möchte ich ganz bewusst als Schlusswort setzen. Es kann

Inspiration und Ermutigung darstellen, die Bedeutung der GFK auch im professionellen

Arbeitsalltag immer mehr einzubeziehen, ebenso wie es zu kritischem Denken hinsichtlich

professionellen Beziehungen anregen kann.

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„Marshall Rosenberg gibt uns äußerst effektive Werkzeuge an die Hand, mit denen wir

Gesundheit und Beziehungen stärken können. Die Gewaltfreie Kommunikation verbindet Seele

mit Seele und läßt viel Heilung geschehen. Es ist das fehlende Element in unseren Handlungen.“

(Rosenberg 2011, S. 230)

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5. Quellenverzeichnis

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2018.

Die Bibel: Neues Testament. Psalmen. Sprüche. Neue Genfer Übersetzung. Romanel-sur-

Lausanne &Stuttgart 2018, 3. Auflage.

DIMDI- Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information: ICD-10-WHO

Version 2019. Kapitel XXI. Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur

Inanspruchnahme des Gesundheitssystems führen (Z00-Z99). Köln 2018. URL:

https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-

suche/htmlgm2019/block-z70-z76.htm#Z73 [Stand 16.07.2020]

Elsässer, Jeanette/Sauer, Karin E.: Burnout in sozialen Berufen. Öffentliche Wahrnehmung,

persönliche Betroffenheit, professioneller Umgang. Freiburg 2013.

Fengler, Jörg: Helfen macht müde. Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher

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Gahleitner, Silke Birgitta: Soziale Arbeit als Beziehungsprofession. Bindung, Beziehung und

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Gahleitner, Silke Birgitta/Reichel, René/Schigl, Brigitte/Leitner, Anton (Hrsg.): Wann sind wir gut

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Gordon, Thomas: Familienkonferenz. Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind.

München 2012.

Höger, Diether: Die Entwicklung des Klientenzentrierten Konzepts. In: Eckert, Jochen/Biermann-

Ratjen, Eva- Maria/Höger, Diether (Hrsg.): Gesprächspsychotherapie. Lehrbuch. Heidelberg

2012, S. 15-32.

Kruse, Ulla: Missverständnisse im Umgang mit der gewaltfreien Kommunikation. URL:

https://www.erwachte-kommunikation.de/gfk-kritik.html [Stand 09.07.2020]

Leitner, Barbara: Die Lange Nacht über Gewaltfreie KommunikationEine Sprache der

Verbindung. URL: https://www.deutschlandfunk.de/die-lange-nacht-ueber-gewaltfreie-

kommunikation-eine.704.de.html?dram:article_id=383060 [Stand 16.07.2020]

Mahler, Roland: Christliche Soziale Arbeit: Menschenbild, Spiritualität, Methoden. Stuttgart

2018.

Poulsen, Imhild: Burnoutprävention im Berufsfeld Soziale Arbeit. Perspektiven zur

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Rogers, Carl R.: Entwicklung der Persönlichkeit. Psychotherapie aus der Sicht eines

Therapeuten. Stuttgart 1973.

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Rosenberg, Marshall B.: Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. Paderborn

2011.

Rosenberg, Marshall B.: Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. Paderborn

2016, 12. Auflage.

Rosenberg, Marshall B.: Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation: Ein Gespräch mit

Gabriele Seils. Freiburg im Breisgau 2018.

Schillert, Hilde Alegría: Frei Reden – Friedvoll Leben: Ein Weg zu Authentizität, Charisma und

Beziehungsfähigkeit. Hamburg 2017.

Schmidbauer, Wolfgang: Die hilflosen Helfer. Über die seelische Problematik der helfenden

Berufe. Reinbek bei Hamburg 1992.

Schmidbauer, Wolfgang: Helfersyndrom und Burnout- Gefahr. München Jena 2002.

Schneider, Maria: Das Modell der „Gewaltfreien Kommunikation“ nach Marshall Rosenberg –

Anwendungen in der Sozialen Arbeit. [Diplomarbeit] Neubrandenburg 2009.

Sisolefsky, Franziska/Rana, Madiha/Herzberg, Phillip Yorck: Persönlichkeit, Burnout und Work

Engagement. Eine Einführung für Psychotherapeuten und Angehörige gefährdeter

Berufsgruppen. Wiesbaden 2017.

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6. Eidesstattliche Erklärung

Hiermit erkläre ich, Isabel Creutzburg, an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit

selbstständig und nur unter Zuhilfenahme der ausgewiesenen Hilfsmittel angefertigt habe.

Sämtliche Stellen der Arbeit, die im Wortlaut oder dem Sinn nach anderen gedruckten oder im

Internet verfügbaren Werke entnommen sind, habe ich durch genaue Quellenangaben

kenntlich gemacht.

Neubrandenburg, den 28.07.2020 Isabel Creutzburg