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BANAle Bücher 3 LITERATUR-SEMINAR SS 2015

BANAle B cher 3 Es wurden Beispiele aus den drei Bereichen Lyrik, Prosa und Drama und deren typi- sche Vertreter ausgewählt, vorgestellt und mit Blick auf die gesellschaftspolitische

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BANAle Bücher 3

LITERATUR-SEMINAR SS 2015

Einleitung

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KAPITEL 1

Das dritte BANAle Bücher-Buch ist da !Die Ergebnisse des Sommersemesters 2015 sind hier zusammengefasst und sollen nicht nur einen allgemeinen Überblick über die Seminararbeit geben, sie sollen darüber hinaus auch dieses Mal wieder den Leser mit Interesse in das weite Feld der Literatur führen.

Ging es in den beiden vorangegangenen Büchern vor allem um spezielle Aspekte oder aber auch besondere Genres der Literatur, zu denen sowohl Autoren als auch deren Werke vorgestellt wurden, geht es in dem dritten Band um Vergleiche zwischen zwei unterschiedlichen Literaturen, bei denen die politischen Hintergrundinformationen zum Verständnis eine wichtig Rolle spielen.

Die vielen anregenden Diskussionen in den einzelnen Sitzungen können leider nicht in dem Maße hier vermittelt werden, wie sie jeweils stattgefunden haben, aber sie haben zu einem großen Teil zum besseren Verständnis des nicht immer einfachen literarischen Themas und dem damit verbundenen politischen Fragestellungen beigetragen.

Es ging dabei vorrangig um die deutschsprachige Literatur nach 1945, und zwar um den Vergleich der Literatur in den beiden deutschen Staaten BRD und DDR. Ja, und da Literatur selten unpolitisch betrachtet werden kann, nahm natürlich die Politik un-ter dem vergleichenden Gesichtspunkt eine maßgebliche Rolle ein. Sowohl in dem ei-nen als auch in dem anderen Staatsgebilde nahmen die politischen Entscheidungsträ-ger mehr oder weniger Einfluss auf die Schriftsteller und damit auf die Literatur.

Literatur ist immer eingebettet in soziale, gesellschaftliche und politische Bedingungs-geflechte und spiegelt damit die jeweiligen Machtverhältnisse wider.

Nach 1945 bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 war der Weg Deutsch-lands nach allen Seiten theoretisch offen. Im Seminar wurde aus einer Distanz von 70 Jahren die Etablierung der Machtverhältnisse und die sich relativ unabhängig von ei-nander entwickelnden literarischen Strömungen in dieser Zeit mit großem Interesse betrachtet.

Es wurden Beispiele aus den drei Bereichen Lyrik, Prosa und Drama und deren typi-sche Vertreter ausgewählt, vorgestellt und mit Blick auf die gesellschaftspolitische Situ-ation diskutiert.

Die 13 Termine, die im letzten Semester zur Verfügung standen, wurden so aufgeteilt, dass pro Thema zwei bis drei Sitzungen angesetzt und die politischen und ebenso die literarischen Themen nach Dekaden aufgeteilt wurden. Eine Ausnahme bildete die Zeit direkt nach Beendigung des Krieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staa-ten.

Im Folgenden hier eine kurze Auflistung der in den Kapiteln 2 - 6 enthalte-nen Themen:

Kapitel 2 --> 1945 -1949

Allgemeiner Überblick über die Situation nach der bedingungslosen Kapitulation bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten -

Literatur der Stunde Null, Trümmer-, Kahlschlag- oder Kriegsliteratur -

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Wolfgang Borchert, Victor Klemperer -

Äußere Emigration versus Innere Emigration -

Paul Celan: Todesfuge -

Heinz Rein: Finale Berlin -

Kapitel 3 --> 1950 - 1960

Allgemeiner Überblick über die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen 1950 - 1960 -

Gruppe 47 und Bitterfelder Weg -

Zur Literatur der Bundesrepublik und der DDR 1950 - 1960 -

Gedanken zur deutschsprachigen Literatur 1950 - 1960 (Johannes R. Becher, Werner Mittenzwei, Hermann Glaser, Hans Mayer) -

Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus -

Uwe Johnson: Ingrid Babendererde - Reifeprüfung 1953 -

Alfred Andersch: Sansibar oder der letzte Grund -

Dieter Noll: Die Abenteuer des Werner Holt -

Kapitel 4 --> 1960 -1970

Weltpolitische Ereignisse in dieser Dekade -

Politische und gesellschaftliche Ereignisse in der BRD -

Politische und gesellschaftliche Ereignisse in der DDR -

Auflösung der Gruppe 47 -

Gründung der Dortmunder Gruppe 61 -

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2. Bitterfelder Konferenz -

Ankunftsliteratur  -

Brigitte Reimann: Ankunft im Alltag -

Christa Wolf: Der geteilte Himmel -

Erik Neutsch: Spur der Steine -

Siegfried Lenz: Deutschstunde -

Max von der Grün: Zwei Briefe Pospischiel -

Hermann Kant: Die Aula -

Kapitel 5 --> 1970 - 1980

Weltpolitische Ereignisse in den 1970er Jahren -

Politische und gesellschaftliche Ereignisse in der BRD -

Gesellschaftspolitische Ereignisse in der DDR -

Literaturrichtungen BRD (Neue Innerlichkeit, Neue Subjektivität) -

Literaturrichtung in der DDR (Liberalisierung, Kritik am Sozialismus)

Christa Wolf: Kein Ort. Nirgends -

Heinrich Böll: Die verlorene Ehre der Katharina Blum -

Rolf Hochhuth: Juristen -

Kapitel 6 --> 1980 - 1990

Weltpolitische Ereignisse in den 80er Jahren -

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Politische und gesellschaftliche Ereignisse in der DDR -Patrick Süßkind: Das Parfüm -Christoph Hein: Horns Ende -Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts -

Durch die Erinnerungen an politische, gesellschaftliche und soziale Begebenheiten und das Kennenlernen bzw. Wiederlesen der Literatur aus der Zeit von 1945 bis 1990 konnten durchaus auch Parallelen zu unseren heutigen sehr aktuellen Problemen ge-zogen werden und es stellte sich die Frage, welchen Nutzen bringt die Beschäftigung mit der Literatur. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat es immer wieder irgendwo auf unserem Planeten Kriege gegeben und gibt es in verstärktem Maße immer noch. Es sterben weiterhin täglich unschuldige Menschen in Kriegshandlungen, es sind unvorstellbar viele Menschen auf der Flucht. Der Nutzen der Beschäftigung mit der in diesem Semester vorliegenden Literatur liegt offensichtlich darin, dass wir die Vergangenheit erinnern und gegen das Verges-sen lesen, dass uns durch die Auseinandersetzung mit der Literatur die Zusammen-hänge der letzten 70 Jahre klarer werden und dadurch die Gegenwart vielleicht verständlicher wird.

Am 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation (VE-Day: Victory Europe Day), zeigte sich erst einmal das unermessliche Ausmaß dieses entsetzlichen Krieges bzw. dieser mörderischen Naziherrschaft: 55 Millionen Tote, 12 Millionen Deutsche in Gefangenschaft, 11 Millionen Flüchtlinge von Ost nach West, ca. 400 Millionen Kubik-meter Trümmer.

Das Ende des Krieges bedeutete die Befreiung vom Faschismus, aber man musste sich auch mit einem Leben nach dem Zusammenbruch aller materiellen und vor allem auch aller ideellen Werte auseinandersetzen. Es gab kaum noch vollständige Familien. Die Frauen sorgten für die Existenzgrundlagen (Wohnraum, Lebensmittel), sie arbeite-ten als sogenannte Trümmerfrauen beim Räumen der Ruinen und beim Wiederaufbau und versuchten ein möglichst normales Leben zu führen. Die in die zerstörte Heimat aus Krieg und Gefangenschaft zurückkehrenden Männer waren erschöpft, demorali-

1945 -1949

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KAPITEL 2

siert, z.T. verroht durch die Nazizeit und den Kriegsdienst. In einer kurzen Geschichte erzählt Wolfgang Borchert von einem hungrigen Kriegsheimkehrer, der einen anderen wegen eines Brotes erschlägt und auf die mahnenden Worte des Richters mit Un-verständnis reagiert. Er kann nach all dem Töten im Krieg nicht begreifen, dass man nun nicht mehr töten darf.

Nach dem Zusammenbruch des sogenannten Dritten Reiches und nach der Kapitulati-on war Deutschland zwar vom Faschismus befreit, aber nicht von der Last dieser Zeit. Deutschland war besiegt, zerstört, die Zukunft war ungewiss. Es war die Stunde Null vor dem Neubeginn.

Aber zum Leidwesen vieler gab es nicht die sprachliche Stunde Null, die es hätte geben sollen, die es aber nicht geben konnte, denn die Sprache der Nazis hatte sich tief den Sprachduktus eingeprägt.

In sehr beeindruckender Weise ist das von Viktor Klemperer in seinem Buch LTI (Lingua Tertii Imperii) Sprache des Dritten Reiches dargestellt worden. LTI – Notizbuch eines Philologen, erschien 1947. Der Titel ist als Parodie auf die unge-zählten Kürzel aus der Sprache der Zeit des Nationalsozialismus zu sehen.

Klemperer kommt zum Ergebnis, dass die Sprache in der Zeit des Nationalsozialismus die Menschen weniger durch einzelne Reden, Flugblätter oder Ähnliches beeinflusst habe als durch die stereotype Wiederholung der immer wieder gleichen mit nationalso-zialistischen Vorstellungen besetzten Begriffe.

„Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“

Wenn einer lange für heldenhaft und tugendvoll das Wort fanatisch benutzt, glaubt er schließlich wirklich, ein Fanatiker sei ein tugendhafter Held. Die Worte "fanatisch" und "Fanatismus" sind nicht vom "Dritten Reich" erfunden, es hat sie nur in ihrem Wert verändert, so wie viele andere Worte und Begriffe in ihrer Wertung und damit auch Bedeutung einen anderen Stellenwert bekommen haben.

Wertfreie technische und sachliche Ausdrücke dienten oft als Euphemismus: „Endlö-sung statt Ermordung“, „im Feld geblieben oder gefallen statt im Krieg getötet“ usw. Begriffe wie Schutzhaft, Volkshygiene, Volkskörper, Rasse wurden semantisch neu be-setzt

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Trümmer-, Kahlschlag- oder Kriegs-literatur: Literatur der Stunde NullEs muss von einer Stunde Null, von dem literarischen Kahlschlag gesprochen werden. Bücher waren verbrannt, Schriftsteller geächtet, verjagt, totgeschwiegen worden. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte man auf die Kunst und Literatur zurückgreifen, die es schon davor gegeben hatte, man hatte eine kulturelle Kontinuität, man konnte anknüpfen.Das war nicht mehr gegeben nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Autoren der Trümmerliteratur waren zum Großtei l d ie jenigen, die aus der Gefangenschaft , den KZs oder aus dem Exi l zurückkamen.

Johannes R. Becher (1891 - 1958)Auferstanden aus Ruinen 1949, Heimatlich 1947

Johannes R. Becher hielt sich auch nach 1945 an seine gewohnte Art des Dichtens, ein Neuanfang im Sinne eines Bruchs mit alten Tradition fand bei ihm nicht statt. Die Inhalte seiner in dieser Zeit entstandenen Lyrikbände (Heimkehr 1946 / Volk im Dunkeln wandelnd 1948) beziehen sich auf Deutschland und zeichnen sich durch die Auseinandersetzung mit der "Heimat" aus. Themen wie Abschied und Wiederkehr, Schuld und Sühne, Aufbau und Verantwortung hat er in ihnen verarbeitet. Sie sind oft sehr pathetisch, in fast religiös anmutender  Art geschrieben. „Heimatlich“, in der typischen Sonett-Form (14 metrisch gegliederten Verszeilen, die in vier kurze Stro-phen eingeteilt sind: zwei Quartette und zwei sich daran anschließende Terzette), bringt zum Ausdruck, wie schwer das Exil auf ihm gelastet hatte und wie entsetzt er über die Auswirkungen des Krieges war. In „Auferstanden aus Ruinen“ (Nationalhym-ne der DDR, Vertonung Hanns Eisler) ruft er eindringlich zur demokratischen und antifaschistischen Erneuerung und zur Einheit auf.

Stephan Hermlin (1915 - 1997)Die Asche von Birkenau 1949

Die Ermordung der Juden wird zwar nicht explizit benannt, geht aber aus dem Titel hervor. Sehr eindringlich will er die Erinnerung an diese schrecklichen Verbrechen bewahren und warnt vor dem all zu schnellen Vergessen. Auch wird verklausuliert auf die Gründung eines antifaschistischen Staates hingewiesen, der die Mörder nicht entkommen lässt und Hoffnung auf Frieden signalisiert. Simon Wiesenthal hat diese Gedicht als eines der am eindrücklichsten Birkenau präsentierende Gedichte empfun-den.

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Günter Eich (1907 - 1972)Inventur 1945

Günter Eich zeigte sehr konsequent das Bemühen um einen Neuanfang im Sinne der Trümmerliteratur durch seine knappe und schmucklose Ausdrucksweise.  In seinem Gedicht "Inventur", dem Inbegriff der Kahlschlag-Poesie, stellt er die erbärmliche Si-tuation der Heimkehrer, Kriegsgefangenen, Überlebenden dar. Es sind die Habselig-keiten, die einem noch geblieben sind und aufgezählt werden. Die Beschränktheit der eigenen materiellen Existenz erfordert die äußerste Verknappung in der Sprache.

Paul Celan (1920 - 1970)Todesfuge 1945 / 1948

Das Gedicht entstand zwischen 1944 und 1945 noch im Arbeitslager, angelehnt an die Form der musikalischen Fuge: mehrstimmig, Wiederholung der Motive, parado-xe Metaphern. Es thematisiert die Ermordung der Juden in den KZs, ohne dieses konkret zu benennen. Die einzelnen Abschnitte des Gedichtes werden durch das Leit-motiv „Schwarz Milch der Frühe“ (Oxymoron) zusammengehalten. Die Leben spen-dende Milch wird durch das Adjektiv ins Gegenteil verkehrt und zur Milch des Todes und damit zur Metapher des Holocaust. Die Mehrstimmigkeit ist in der Gegenüberstellung im „Wir“ der Opfer und dem „Er“ des Täters zu sehen. Das „goldene Haar Margaretes“ steht für die im Deutschtum an-gesiedelte Frauengestalt. „Das aschene Haar Sulamiths“ steht für die jüdischen Op-fer.

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Wolfdietrich Schnurre (1920 - 1989)Das Begräbnis 1946

Die Kurzgeschichte „Das Begräbnis“ ist ein typisches Beispiel der Trümmerliteratur. Der Erzählstil ist lakonisch, sachlich, ohne jegliche Emotion. Die Sätze sind paratak-tisch angeordnet und die zahlreichen Zeilenumbrüche vermitteln den Eindruck eines Textfragmentes. Die Sätze sind durchgängige in der Präsensform und durchweg um-gangssprachlich im Ausdruck.„Von keinem geliebt, von keinem gehasst, starb heute nach langem, mit himmlicher Geduld ertragenem Leiden: Gott“ Es geht um das Begräbnis Gottes, dessen Ableben kaum Beachtung findet und wenn, dann gleichgültig und schnodderig kommentiert wird. Selbst der Pfarrer kann sich an den Namen des Verstorbenen nicht mehr erin-nern: „n gewisser Klott oder Gott oder so ähnlich.“ Schnurre: „Mit den Gasöfen in den Konzentrationslagern ist für mich die Machtlosig-keit Gottes bewiesen.“ Nach den Erfahrungen des Krieges habe er tabula rasa ge-macht und Gott kurzerhand zu Grabe getragen

Wolfgang Borchert (1921 - 1947)Die Hundeblume 1946

Ein junger Gefangener entdeckt beim täglichen Hofgang eine Hundeblume (Löwen-zahn) auf dem Gefängnishof, die zum Objekt seiner Sehnsucht in seinem tristen All-tag wird. Sehr eindrucksvoll wird geschildert, wie der Gefangene versucht, die Blume zu pflücken, wie es zur Manie bei ihm wird und welch Glück ihn durchströmt, als er sie dann endlich in seiner Zelle in seinen Trinkbecher stellen kann. Denn durch ihre Form und Farbe verkörpert die Blume das Leben und die Freiheit. In dieser Geschichte werden autobiografische Erinnerungen an seine eigenen Inhaf-tierungen in einem Militärgefängnis, mehrfach wegen Wehrzersetzung, verarbeitet. Geschrieben hat Borchert die Geschichte während eines Krankenhausaufenthalts, als er schon schwer krank war.

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Heinz Rein: Finale BerlinRoman Mit einem Nachwort von Fritz J. RaddatzSchöffling & Co., 760 Seiten. Gebunden, € 24,95  

Erzählt wird die Geschichte der kleinen Widerstandsgruppe „Berolina“, die in den letz-ten Kriegstagen versucht, den Volkssturm von dem mörderischen Unterfangen abzu-halten, durch Straßenkämpfe die Rote Armee in Berlin zu bekämpfen.Es ist die Geschichte des Deserteurs Joachim Lassehn, eines Musikstudenten, der un-ter der Nazi-Ideologie - Schule, HJ, Arbeitsdienst, Wehrmacht - aufgewachsen ist und durch Zufall an dieses Gruppe gerät und durch sie ein politisches Denken erlangt.Der Kopf der Gruppe ist der Friedrichshainer Arzt Dr. Böttcher, der Deserteuren und Untergetauchten medizinisch und durch seine Kontakte hilft. Der untergetauchte Gewerkschaftler Wiegand, der Lokomotiven, die den Nachschub an die Front bringen sollen, mit Sabotageaktionen fahruntüchtig macht. Dann noch seine Frau, die, bis man ihrem Mann auf die Schliche kam, das gemeinsame Haus in Eichwalde hütet und dann ebenfalls untertauchen muss.Schließlich spielt die Kneipe von Otto Klose und er selbst natürlich auch eine wesentli-che Rolle, denn hier laufen alle Fäden der Berolina zusammen.

Klappentext des Buches:April 1945, die letzten Tage der Reichshauptstadt Berlin: Während die Bomben fal-len, verteidigt das letzte militärische Aufgebot die Nazi-Herrschaft. In den Flücht-lingskolonnen und unter den sich auflösenden deutschen Heereseinheiten fahnden Sicherheitsdienst und Gestapo immer noch nach Juden, Oppositionellen und Deser-teuren. Das Misstrauen der Menschen untereinander ist groß: Jeder könnte ein Ver-räter sein.Inmitten des Chaos sucht der junge Soldat Joachim Lassehn verzweifelt ein Ver-steck. Friedrich Wiegand, ein im KZ gefolterter Gewerkschafter, versucht durch Sa-botageakte das Kriegsende zu beschleunigen. Der Arzt Walter Böttcher hilft Unterge-tauchten, in der Illegalität zu überleben. Und die Kneipe von Oskar Klose ist der kon-spirative Treffpunkt einer kleinen Widerstandsgruppe, der die SS auf der Spur ist.

In seinem großen Roman FINALE BERLIN, einem der ersten Bestseller der Nach-kriegszeit, verfolgt Heinz Rein das packende Schicksal einer kleinen Widerstands-

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Äußere Emigration versus Innere Emigration

Es gab heftige Kontroversen zwischen den Schriftstellern, die im Exil waren (Thomas u. Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Alfred Döblin, Anna Seghers, Franz Werfel, Berthold Brecht, Friedrich Wolf, Stefan Zweig, Johannes R. Becher, Arnold Zweig u.a.)und denen, die (wie sie sagten) in der sogenannten Inneren Emigration gewesen wa-ren (Werner Bergengruen, Hans Carossa, Ricarda Huch, Gertrud von Le Fort, Ernst Wiechert, Walter von Molo, Frank Thiess u.a.). Frank Thiess nahm nach dem Krieg die Rolle des Repräsentanten der Inneren Emigra-tion ein und war deren Sprachrohr. Er war der Meinung, dass es in allen Regierungs-formen dunkle Phasen gegeben habe und dass diese wie „Naturkatastrophen“ zu akzep-tieren seien. Mit entsprechenden Durchhalteparolen begründete er seine „Innere Emi-gration“, die er für die moralisch redlichere Form hielt. Zum Eklat zwischen den beiden Gruppen kam es dann durch Walter von Molo, der sich durch das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Hitler und durch seinen Jubel beim Anschluss Österreichs auszeichnete. Er forderte alle Exilschriftsteller auf, nach Deutschland zurückzukommen. In einem offenen, pathetischen Brief an Thomas Mann im August 1945 schrieb er über „die von Gram durchleuchteten Gesichter“ der Menschen in Deutschland, die, obwohl sie alles verloren hätten, „vernünftige Menschen geblieben (seien), ... , ohne Anma-ßung, deutsche Menschen...“.Thomas Mann lässt in seiner Antwort keinen Zweifel daran, dass Deutschland ihm sehr fremd geworden sei und dass im Dritten Reich entstandene Literatur mit „Blut und Schande“ bedeckt sei.

Was wurde nun in den vier Besatzungszonen verlegt?

Die deutsche Bevölkerung, die Heimkehrer aus Krieg und aus Gefangenschaft hatten zwölf Jahre lang die verdrängten und verleugneten Schriftsteller, die in der Emigrati-on waren oder deren Bücher verbrannt wurden, vergessen. Bei den Werken von Tho-mas Mann, Heinrich Mann, Alfred Döblin, Berthold Brecht, Stefan Zweig, Hermann Hesse u.a. waren nur einzelne Werke dem deutschen Publikum bekannt.

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Feuchtwanger, Hermann Kesten, Jakob Wassermann waren weitestgehend unbe-kannt. Anna Seghers und Arnold Zweig wohnten in der sowjetischen Zone, wo sie zur Pflichtlektüre erklärt wurden, in den anderen Zonen kannte kaum jemand sie.Auf Initiative von Hans Werner Richter wurde am 10. September 1947 in München dieGruppe 47 ins Leben gerufen, da die literarische Zeitschrift „Der Ruf“, von Richter und Alfred Andersch 1946 gegründet, von der amerikanischen Militäradministration wegen sozialistischer Tendenzen verboten worden war. Die Gruppe verstand sich, wie schon vorher die Zeitschrift, als Sammelbecken junger Literaten. Dazu gehörten u.a. Heinrich Böll, Günther Eich, Martin Walser, Ingeborg Bachmann, Wolfdietrich Schnurre und noch viele andere. Obwohl die Bedeutung der Gruppe für die deutsche Nachkriegsliteratur sehr groß war, war sie in den späten vierziger Jahren kaum be-kannt.In der russischen Zone wurde unter Walter Ulbricht Johannes R. Becher beauftragt, den Aufbau der Kulturarbeit zu übernehmen. Mit ihm kamen aus dem russischen E-xil Friedrich Wolf, ein in der Vergangenheit schon sehr anerkannter Schriftsteller und Dramatiker, der politische Lyriker und Liedermacher Erich Weinert, der einstige Arbeiterschriftsteller Willi Bredel und Wolfgang Leonhardt, ein junger Publizist.Erich Kästner wurde als Kulturredakteur in der amerikanischen Zone von Hans Habe eingesetzt. In der amerikanischen Zone sprach man von der Reeducation. In der so-wjetischen Zone sprach man von einer demokratischen Erneuerung Die Engländer waren eher indifferent in Fragen der Umerziehung. Churchill als er-klärter Feind des Kommunismus und Sozialismus ging es eher darum, möglichst schnell eine funktionierende Medienlandschaft nach althergebrachter und bewährter Art wieder aufzubauen. Dafür braucht er erfahrene Journalisten und Publizisten aus Deutschland. Es wurden Lizenzen an diejenigen vergeben, die durch das Dritte Reich möglichst wenig belastet waren.In der französischen Zone war Alfred Döblin als französische Offizier zur Umerzie-hung im kulturellen Bereich eingesetzt worden, wobei es den Franzosen vor allem da-rum ging, die französische Kultur nach Deutschland zu bringen.Am 4. Juli 1945 wurde im Haus des Rundfunks in Berlin der Kulturbund zur demo-kratischen Erneuerung Deutschlands gegründet. Es sollte eine gesamtdeutsche Ein-richtung werden. Johannes R. Becher wurde erster Präsident.

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Die erste Zeit nach dem Krieg stand in allen 4 Zonen unter der Prämisse des „Ver-suchs eines antifaschistischen Neubeginns“. Becher reiste unermüdlich durch die 4 Zonen und konnte Anfang 1947 schon 93 000 Mitglieder in ganz Deutschland zäh-len. Er wollte den Kulturbund als gesamtdeutsche Organisation positionieren, wo-mit er aber sehr schnell zwischen die Fronten des inzwischen bestehenden „Kalten Krieges“ geriet. Von westlicher Seite wurde er als sowjetische Marionette betrachtet und der Bund in den Westzonen verboten, worauf es zu einem zweiten Kulturbund in Frankfurt am Main kam und sich die literarische Spaltung andeutete.

Am 23. Mai 1949 wurde in den drei westlichen Zonen die Bundesrepublik Deutsch-land und am 7. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik auf dem Gebiet der Sowjetischen Zone gegründet.

Durch die Teilung Deutschlands in BRD und DDR entstanden auch zwei unterschied-liche deutschsprachige Literaturen, die sich relativ bald auch als solche manifestier-ten.

Die 50er Jahre sind gekennzeichnet durch Berührungsängste und -verbote. In der BRD besagt die Hallstein-Doktrin, dass Bonn alle diplomatischen Beziehungen zu den Staaten abbrechen würde, die Beziehungen zur DDR anknüpfen. Die DDR-Losung hin-gegen besagt: Alle Deutsche an einen Tisch!

Alt-Nazis sitzen in der jungen Bundesrepublik, in Justiz, Verwaltung, Ministerien, Uni-versitäten, Verfassungsschutz, überall.

In der DDR werden Reformen durchgeführt:

Unter dem Stichwort „Junkerland in Bauernhand“ erfolgt die erste Bodenreform.

Unter dem Stichwort „Enteignung der Naziaktivisten und Kriegsverbrecher“ werden große Industriebetriebe enteignet und verstaatlicht.

1950 -1960

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KAPITEL 3

BRD

Hauptstadt: Bonn

Bundeskanzler: Konrad Adenauer

Bundespräsident: Theodor Heuss

Wirtschaft: Ludwig Erhard

• Hilfe der USA: Marshallplan bis 1952

• Kapitalismus/Soziale Marktwirtschaft

• 1952: Bau des Hansaviertels

• 1954: Das Wunder von Bern

• 1955: geht der einmillionste VW vom Band

DDR

Hauptstadt: östlicher Teil Berlins

Staatspräsident: Wilhelm Piek

Ministerpräsident: Otto Grotewohl

Generalsekretär der SED: Walter Ulbricht

• Reparationskosten an die SU bis 1954

• Sozialismus/Planwirtschaft

• 1952: Bau der Stalinallee

• 17. Juni 1953

• 1957: Trabant geht mit 500 Stück in Pro-duktion

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1951 schreibt Berthold Brecht, dem 1948 die Einreise nach Deutschland durch die A-merikaner verweigert wurde und der 1950 mit österreichischem Pass aus der Schweiz nach Ostberlin kam:

Wenn sich durch besondere Umstände in einem Teil eines Landes eine neue Gesell-schaftsordnung bildet, während der andere in der alten verharrt, muss eine scharfe Feindschaft dieser beiden Teile des Landes erwartet werden. Beide werden sich be-droht fühlen, und sie werden einander barbarisch nennen.

Schriften zur Politik und GesellschaftWerksausgabe Suhrkamp Bd 20, S. 317

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Aufbauliteratur/Realistischer Sozialismus in der DDRZeitkritische Literatur in der BRD

Viele junge Autoren der DDR wandten sich dem Sozialismus zu, um den Faschismus endgültig auszulöschen. Die Literatur der DDR spielte beim Aufbau des Sozialismus von Anfang an eine gro-ße Rolle: Darstellung positiver Helden.

Die Literatur der BRD war geprägt von kritischen Beiträgen zu ak-tuellen Themen der Zeit - wie die verdrängte Faschismus-Aufar-beitung, die atomare Bedrohung oder der rasche technologische Fortschritt. Kritische Auseinandersetzungen mit der jüngsten Ver-gangenheit fehlten.

Uwe Johnson: Ingrid Babendererde/Reifeprüfung 1953Die Protagonistin des Romans Ingrid Babendererde muss sich nicht nur auf die schu-lische Reifeprüfung vorbereiten, sondern auch zu der Kampagne der staatlichen Insti-tutionen der DDR gegen die evangelische »Junge Gemeinde« Stellung beziehen. Sie nutzt ihre Rede dazu, die »Junge Gemeinde« unter Hinweis auf die Verfassung der DDR zu verteidigen und den Direktor der Schule wegen seines Vorgehens gegen das Äußere einer Mitschülerin zu kritisieren, und wird aus der Schule ausgeschlossen. Da-raufhin entschließen sie und ihr Freund in den Westen zu gehen, in eine »Lebenswei-se«, die sie »für die falsche erachten«.

Wolfgang Koeppen: Das TreibhausDer sozialistische Abgeordnete Keetenheuve weiß keinen Ausweg aus der als korrupt empfundenen, restaurativen Nachkriegspolitik der Bundesrepublik, kämpft gegen Wiederbewaffnung und predigt in einem Treibhaus der Korruption und Intrigen tau-ben Ohren. Der einsame Mahner, den niemand ernst nimmt, zerbricht an dem unlös-baren Widerspruch von Idealismus und Realität und nimmt sich schließlich das Le-ben.

Dieter Noll: Die Abenteuer des Werner HoltDer Roman schildert den Weg junger Männer der Abiturienten-Generation, die, hung-rig nach Abenteuern und männlicher Bewährung, begeistert in den Krieg zogen. Nach endlosen Nächten der Erschöpfung, Angst am Flakgeschütz und erniedrigendem Drill erleben sie im Inferno der Rückzugsschlachten ihre völlige Desillusionierung und den moralischen Zusammenbruch.

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Alfred Andersch: Sansibar oder der letzte GrundIm Herbst 1937 kommen der kommunistische Funktionär Gregor mit einem Auftrag zu illegaler politischer Arbeit und die Jüdin Judith, die auf der Flucht ist, in die kleine Ostsee-Hafenstadt Rerik. In diesem Ort verbindet sich ihr Schicksal mit dem des Fi-schers Knudsen und dessen Schiffsjungen sowie dem Schicksal des Pfarrers Helander, der die von den Nazis als „entartete Kunst“ bedrohte Holzskulptur „Lesender Kloster-schüler“ von Knudsen retten lassen will. Gregor, Knudsen und der Junge bewerkstelli-gen die Rettung Judiths und der Holzskulptur nach Schweden, nehmen jedoch selbst die Gelegenheit zur Flucht nicht wahr. Der todkranke Helander widersetzt sich der Ver-haftung und lässt sich erschießen.

Bruno Apitz: Nackt unter WölfenEin Kind im Konzentrationslager Buchenwald, ein dreijähriger Junge, eingeschleust von einem Neuzugang aus Auschwitz. Wenn die SS davon erfährt, ist ihm der Tod ge-wiss. Und auch denjenigen, die sein Leben bewahrten. Mehr noch: Die SS könnte auf die Spur des geheimen internationalen Lager-Komitees gebracht werden, das durch ei-nen Aufstand der Liquidierung aller zuvorkommen will. Denn das ist der Plan der La-gerleitung: Die näherrückenden Amerikaner sollen in Buchenwald keine lebende Seele vorfinden. Aller Vernunft zum Trotz verbergen die Häftlinge den Jungen bis zu dem Tag, an dem sie das Lagertor stürmen.

Heinrich Böll: Das Brot der frühen JahreWalter Fendrich, der sich in der Nachkriegszeit planlos und kurzfristig als Banklehr-ling, Verkäufer und Tischlerlehrling versuchte, erhält eines Tages einen Brief seines Va-ters, der ihn bittet, die Tochter eines Kollegen vom Bahnhof abzuholen. Das Zusam-mentreffen mit der zwanzigjährigen Hedwig, die er zuletzt nur flüchtig als Kind gese-hen hatte, wird für Walter zur schicksalhaften Begegnung.Eine ungewöhnliche Liebes-geschichte in kleinbürgerlichen Schauplätzen der Hungerjahre und der Wirtschaftsblü-te.

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Günter Grass: Die BlechtrommelAnfang der 50er Jahre schreibt in einer Heil- und Pflegeanstalt ein Behinderter des Jahrgangs 1924 die Geschichte seines Lebens und seiner Familie vom Beginn des Jahr-hunderts bis in das Deutschland Adenauers. Oskar Matzerath hat alles gesehen und ge-hört, nichts ist ihm entgangen, denn er war ein hellhöriger Säugling, dessen geistige Entwicklung bereits bei der Geburt abgeschlossen war. Der Außenseiter, der trommelt und Glas zersingen lassen kann, erweist sich dabei als der einzige Gesunde in einer Welt des Scheins, der Lüge und des Verbrechens.

Martin Walser: Ehen in PhilippsburgIn lose verknüpften Episoden hält Martin Walser der bundesdeutschen Wirtschafts-wundergesellschaft den Spiegel vor. Eine Gesellschaft, die sich nach dem Zweiten Welt-krieg gerade erst wieder im Aufbau befand, beginnt bereits wieder moralisch zu verfal-len. In den gehobenen Kreisen von Philippsburg dreht sich alles um Karriere, Anse-hen, Einfluss und Wohlstand. Leidenschaft ist nicht einmal in den Seitensprüngen der angesehenen Ärzte und Rechtsanwälte zu spüren. Während ein erfolgloser, unange-passter Schriftsteller durch Suizid endet, wird ein ehrgeiziger Parvenü in den exklusivs-ten Club der Stadt aufgenommen.

Erwin Strittmatter: TinkoMit tiefem Misstrauen betrachtet Tinko den fremden Mann, der eines Tages als "Heim-kehrer" im Dorf auftaucht und zu dem er Vater sagen soll. Tinko ist hin- und hergeris-sen zwischen den Geboten seines eigensinnigen Großvaters und den Träumen von ei-ner neuen Zeit, die der Heimkehrer mitbrachte. Mit diesem Roman von 1955 hat Stritt-matter auf unverwechselbare Weise die Wirren und Hoffnungen der Nachkriegszeit festgehalten.

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Gedanken zur Literatur der DDR und der BRD Werner Mittenzwei (Die Intellektuellen)Der sozialistische Realismus … verlangt vom Künstler die wahrhafte, historisch-korrek-te Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung. Hierbei muss sich die … Aufgabe verbinden, die Werktätigen im Geiste des Sozialismus zu wandeln und zu erziehen.Die beiden deutschen Staaten instrumentalisierten diesen Begriff jeweils auf ihre Wei-se als Leitbild oder als Feindbild. Handhabte ihn die eine Seite als die fortschrittlichste Methode, galt er für die andere als automatische Richtschnur, als kunstfeindlich.

Hermann Glaser (Deutsche Kultur: Literarischer Eskapismus)Studenten wurden 1959 nach ihren Lieblingsautoren befragt:… die neuen Akteure hätten weder Tradition noch Routine. Lediglich Böll gelänge es, … , obwohl er an manchen Problemen der Zeit nicht vorbeigehe, baue er doch immer eine Distanz ein; Gegenwart und Vergangenheit würden bei ihm fast grenzenlos ver-schwimmen. Ein anderer der jüngeren Schriftsteller, der die Zeit wirklich scharf unter die Lupe nahm, Wolfgang Koeppen, wurde von keinem einzigen der jungen Leser … benannt.… Demgegenüber schoss der Innerlichkeitskult üppig aus dem Kraut. Betont abendlän-disch, vor allem christlich, … politische Fragwürdigkeiten des Nationalsozialismus ge-schickt überspielend. …

Hans Mayer (Die umerzogene Literatur)Die Konvergenz zwischen den offiziellen politischen Konzepten in Bonn und in Ostber-lin ist erstaunlich. Die Kulturpolitik der Deutschen Demokratischen Republik geht aus vom ideologisch unvereinbaren Kontrast zwischen einer kapitalistischen und eine „re-al existierenden“ sozialistischen Literatur. Die bundesrepublikanische These lautet, wenn man sich amtlicherseits überhaupt die Mühe macht, über dergleichen nachzu-denken: es gäbe nur eine deutsche Literatur, und das sei die freie, unzensuriert west-deutsche, einschließlich der „bei uns“ gedruckten und rezensierten Autoren von drü-ben.

1960 - 1970

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KAPITEL 4

Der Mensch erobert den Weltraum, aber daheim auf der Erde häufen sich die Probleme. Die 60er Jahre sind eine Zeit des Umbruchs und der großen Konflikte. Die Jugend rebelliert überall auf der Welt gegen das Establishment und gegen alte Autoritäten. Sie entwickeln einen eigenen Lebensstil. Ost und West stehen sich im sogenannten Kalten Krieg feindlich gegenüber.

Juri Alexejewitsch Gagarin fliegt 1961 in den Weltraum, Apollo 11 landet 1969 auf dem Mond.

Die USA führen seit 1964 Krieg in Vietnam und in China kommt es 1969 zur Kulturrevolution. 1968 wird der Prager Frühling durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes gewaltsam beendet.

Ermordet werden John F. Kennedy 1963, sein Bruder Robert F. Kennedy 1968 und der schwarze Bürgerrechtler Malcolm X 1965. Che Guevara wird in seinem Versteck aufgespürt und 1967 getötet.

BRD

Bundeskanzler: Konrad Adenauer (1963)

Ludwig Erhard bis 1966

Kurt Georg Kiesinger

(große Koalition 66 - 69)

1960 - 68 Anwerbeabkommen

1961 Erste türkische Gastarbeiter

1962 Spiegelaffäre / Notstandsgesetze

1963 ZDF / Kennedy in Berlin

1963 - 65 1. Auschwitzprozess

1964 Gründung der NPD

1965 - 66 2. Auschwitzprozess

1966 - 69 Apo

1967 Schah von Persien / B. Ohnesorg

1967 - 68 3. Auschwitzprozess

1968 Studentenunruhen

„Unter den Talaren Muff von 1000 Jah-ren“

DDR

Wilhelm Pieck stirbt 1960

Generalsekretär des ZK der SED:

Walter Ulbricht (1960 bis zum Tod 1973)

Ministerpräsident: Otto Grotewohl (bis zum Tod 1964)

Vorsitzender des Ministerrates:

Willi Stoph ab 1960

1961 Bau der Mauer

1962 Einführung der Wehrpflicht (1955 BRD)

1964 Wehrpflicht ohne Waffe (Bausolda-ten)

1965 11. Plenum des ZK

1967 Staatsbürgerschaft der DDR

1969 20 Jahre DDR (Fernsehturm/Welt-zeituhr)

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Siegfried Lenz: Deutschstunde

Siggi Jepsen, Insasse einer Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche, soll im Deutschunter-richt einen Aufsatz über das Thema "Die Freuden der Pflicht" schreiben. Nicht, dass ihm nichts dazu einfiele - das Thema ist ihm vertraut wie keinem sonst: sein Vater, der "nördlichste Polizei-posten Deutschlands", war den Pflichten seines Amtes so rückhaltlos ergeben, dass er nicht zö-gerte, seinem Jugendfreund, dem international bekannten Maler Nansen, das von den Nazis ü-ber ihn verhängte Malverbot eigenhändig zu überbringen und seine Einhaltung persönlich zu überwachen. Siggi, zu dieser Zeit noch ein Kind, wird Zeuge eines stillen, aber erbitterten Kamp-fes. Sein Vater ist nun einmal sein Vater, aber seine Zuneigung gehört dem Maler und seinen farbglühenden Bildern. Als Siggis Bruder Klaas sich selbst verstümmelt, um nicht weiter Kriegs-dienst leisten zu müssen, wird er von seinen Eltern verstoßen – nur mit Glück und der Hilfe von Nansen kann er den Krieg überleben. Selbst nach Kriegsende kommen Jepsen keine Zwei-fel, im Gegenteil, er beharrt auf der Überzeugung, dass es weiterhin seine Pflicht sei, Nansens Bilder zu vernichten. Als die alte Mühle, in der Siggi einige von Nansens Bildern untergebracht hat, in Flammen aufgeht, nimmt Siggi an, sein Vater habe das Bilderversteck entdeckt und in Brand gesetzt. Siggi steigert sich nun in den Wahn hinein, Nansens Bilder vor seinem Vater „ret-ten“ zu müssen. Er wird so zum Kunstdieb, was schließlich zu seiner Verhaftung und der Einlie-ferung in die Besserungsanstalt führt.

Max von der Grün: Zwei Briefe an Pospischiel

Paul Pospischiel ist in der Schaltzentrale eines Dortmunder Kraftwerkes tätig. Er muss nicht mehr unter Tage schuften und ist ein gefragter Spezialist. Eines Tages erreicht ihn ein Brief sei-ner Mutter, der einen schwerwiegenden Konflikt auslöst. Sie hat den Mann entdeckt, der vor Jahrzehnten den Vater von Pospischiel ins KZ brachte. Die Mutter verlangt Rechenschaft von diesem Mann und Pospischiel soll ihn zur Rede stellen. Aber als er Sonderurlaub beantragt, be-kommt er diesen nicht genehmigt. So fährt Pospischiel auf eigene Verantwortung. Als er zurück-kehrt, findet er die Kündigung vor. Er hat seinen Arbeitsplatz ohne Zustimmung der Werkslei-tung verlassen - wenn auch aus guten Gründen und für nur wenige Tage . . . Doch nicht nur das führt dazu, dass Pospischiel an seinem bisherigen Leben zu zweifeln beginnt …

DDR: Bitterfelder Konferenz: Arbeiterfest-spiele, Ankunftsliteratur / BRD: Dokumentar-theater, Straßen- und Agitationstheater, Poli-tisierung der Literatur

Charakteristisch für die so genannte Ankunftsliteratur ist die Gestal-tung des Sozialismus: Der Protagonist gerät mit der sozialistischen Lebenswirklichkeit in einen heftigen Konflikt, wendet sich aber schließlich doch wieder der kritisch beschriebenen Gesellschaft und ist im Sozialismus angekommen.

Gründung der Dortmunder Gruppe 61 um Günter WallraffDie politische Literatur der 60er Jahre hatte ein formal auffallendes Kennzeichen: den Dokumentarismus. Authentische Dokumente wur-den in der Literatur durch Montage von Zeitungsartikeln, Inter-views, Protokollen und anderen realen Produkten hergestellt.

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Brigitte Reimann: Ankunft im Alltag

Gleich nach dem Abitur gehen Curt, Nikolaus und Recha für ein Jahr in einen Großbetrieb, in ei-ne für sie fremde, aufregende Welt. Ein bisschen Trotz ist dabei im Spiel, viel Idealismus und noch mehr Abenteuerlust. Wie schwierig es werden wird, sich zu behaupten, ahnt keiner, und dass die beiden jungen Männer sich in Recha verlieben, macht es nicht leichter. Sie wollen vor dem Studium für ein Jahr in einem Industriebetrieb arbeiten. Auf die Schwierigkeiten, denen sie sich unvermutet gegenübersehen, reagiert jeder anders. Nikolaus handelt zielstrebig und ruhig, Recha ist begeisterungsfähig und streitbar, und Curt entpuppt sich als Zyniker. Als sich beide Jun-gen in Recha verlieben, muss sie sich entscheiden. Der Roman rief vor allem unter Jugendlichen, die ihre Probleme wiedererkannten, erregte Diskussionen hervor, und sein Titel wurde zum Kenn-wort für eine ganze Literaturströmung, die „Ankunftsliteratur“. Es sollte ein Buch werden, in dem endlich einmal die wirklichen Probleme in einem Großbetrieb zur Sprache kamen: schlechte Ar-beitsbedingungen, Schlampereien, bornierte Funktionäre, dürftige Wohnverhältnisse der Arbei-ter. Vor allem aber wollte sie über Leute berichten, die sich nicht kleinkriegen ließen und all die-sen Widrigkeiten zum Trotz mehr als das Nötige taten.

Christa Wolf: Der geteilte Himmel

Ende August 1961: In einem kleinen Krankenhauszimmer erwacht Rita Seidel aus ihrer Ohn-macht. Und mit dem Erwachen wird auch die Vergangenheit wieder lebendig. Da ist die Erinne-rung an den Betriebsunfall und vor allem die Erinnerung an Manfred Herrfurth. Rita und Man-fred, grundverschieden – sie vom Lande, er aus der Stadt, sie schwärmerisch, er technisch-ratio-nal –, begegnen sich beim Dorftanz und werden ein Paar. Sie leben dann gemeinsam bei seinen Eltern in Halle, Manfred arbeitet als Chemiker und Rita besucht das Lehrerseminar und arbeitet als Teil ihrer Ausbildung in einer Sozialistischen Brigade des Waggonbauwerks Ammendorf. Zwei Jahre sind vergangen, seit sie ihm in die Stadt folgte, um an seiner Seite und mit ihm gemeinsam ein glückliches Leben zu beginnen. Er verliert den Glauben an das sozialistische Wirtschaftssys-tem, nachdem eine seiner Entwicklungen von den Wirtschaftsfunktionären der DDR abgelehnt wird. Deshalb geht er über Berlin (Ost) in den Westen. Rita reist ihm nach und versucht, ihn zur Rückkehr zu bewegen, doch er will bleiben. Rita aber fühlt sich im Westen fremd und fährt nach Halle zurück. Kurz darauf wird die Berliner Mauer gebaut und trennt die beiden endgültig.

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Erik Neutsch: Spur der Steine

Auf der Industrie-Baustelle Schkona in der DDR arbeiten unter anderem der Zimmermann Han-nes Balla, die Ingenieurin Katrin Klee und der Parteisekretär Werner Horvath, die Hauptcharakte-re dieses Romans, aber bei weitem nicht die einzigen in diesem Panoramawerk, dass sich nicht nur der Thematik des industriellen Bauens widmet, sondern auch die Problematiken der Kollekti-vierung der Landwirtschaft beleuchtet. Erzählt wird vor allem die Geschichte eines Rebellen, die des Zimmermanns Hannes Balla, der wie ein Glückssucher durchs Land zieht und alles an sich bindet, was ihm begegnet: Geld, Frauen, Macht – und der alles abwehrt, was sein Leben stören könnte: Recht und Ordnung und selbst die großen Gefühle wie eine aufkeimende Liebe. Balla wird zum Urtyp von Menschen im Aufbruch, die vor allem den Herrschenden nicht geheuer sind. Hannes Balla ist alles andere als überzeugt vom Arbeiter-und Bauern-Staat, den Parteiparolen steht er skeptisch gegenüber, Parteikomissaren misstraut er rundweg. Werner Horvath, verheira-tet, ist zwar ein hervorragender Parteisekretär und überzeugter Kommunist, beginnt jedoch eine folgenschwere Affäre mit Katrin Klee, die er vor der Partei verheimlicht.

Hermann Kant: Die Aula

Robert Iswall, der plötzlich eine Abschiedsrede halten soll, weil die Arbeiter- und Bauernfakultät geschlossen wird, kramt in Erinnerungen. Hinter den Anekdoten aus der Studentenzeit in den fünfziger Jahren machen sich bald beunruhigende Fragen bemerkbar. Unversehens werden seine persönlichen Reminiszenzen zur Geschichte einer ganzen Generation, die kritisch zurückblicken muss, wenn sie weiterkommen will. Der Humor und die Ironie, mit denen die „Lebenserinnerun-gen eines jungen Mannes“ erzählt werden, haben den Roman zu seinem großen anhaltenden Er-folg geführt. Hermann Kants Roman „Die Aula“, in 15 Sprachen übersetzt, zählt zu den Klassi-kern der DDR-Literatur und gehört zu den Büchern, die man kennen muss: Ein „Geschichts- und Geschichtenbuch“ über die Anfänge des anderen deutschen Staates, ohne die man sein Ende nicht zu verstehen vermag

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Entwicklung des Theaters in dieser Dekade

Bundesrepublik: Die Bandbreite des Theaters in der Bundesrepublik wuchs. Typisch für die 60er Jahre wurde vor allem das Dokumentartheater. Die Stücke waren politisch und vom Zeitgeschehen geprägt. Histo-rische Dokumente wie Briefe, Akten oder Protokolle dienten dabei als Quellen. Sätze und Dialoge z. B. aus Gerichtsverhandlungen wurden von den Autoren direkt übernommen.Rolf Hochhuth: Der Stellvertreter, Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer, Peter Weiss: Die Ermittlung

Deutsche Demokratische Republik:Der Mauerbau 1961 bedeutete auch für das Theater der DDR eine Entwicklungsnormalisierung und -stabilisierung. Es zeichneten sich 4 wesentliche Tendenzen in der Dramatik ab: • Versuch, die Schwierigkeiten beim Aufbau des Sozialismus vorzuführen; systemimmanente Kritik • Ausweichen vor der unmittelbaren DDR-Wirklichkeit; mythisch orientierte Utopien. Beispiele: Peter Hacks, Heiner Müller• Schilderungen des Subjektiven im Kollektivismus. Beispiel: Ulrich Plenzdorf

Peter Weiss: Die Ermittlung

Ein Theaterstück des Dramatikers Peter Weiss von 1965, er thematisiert den ersten Frankfurter Auschwitzprozess von 1963–1965 mit den Mitteln des dokumentarischen Theaters. Es wurde am 19. Oktober 1965 im Rahmen einer Ring-Uraufführung an fünfzehn west- und ostdeutschen Thea-tern sowie von der Royal Shakespeare Company, London, uraufgeführt. Weiss selbst nahm als Zuschauer am Auschwitzprozess teil und entwickelte sein Stück aus den Protokollen Bernd Naumanns.Die Ermittlung trägt den Untertitel „Oratorium in elf Gesängen“. Diese Gesänge sind nach thema-tischen Schwerpunkten gereiht und zeigen den Weg der Opfer von der Rampe bei der Ankunft in Auschwitz bis zum Feuerofen, so dass von immer grausameren Facetten der anonymen Massen-vernichtung berichtet wird.Die Zeugen klären den Zuschauer über die Gräueltaten im Konzentrationslager auf. Weiss stellt die Aussagen von Tätern, Zeugen und Richtern einander so gegenüber, dass Widersprüche in den Aussagen der Täter aufgedeckt werden.

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Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer

Das Schauspiel von Heinar Kipphardt setzt sich kritisch mit den Untersuchungen gegen amerika-nische Wissenschaftler in der McCarthy-Ära auseinander. Die Uraufführung als Fernsehinszenie-rung fand 1964 statt.Julius  Robert Oppenheimer ist einer der bedeutendsten Atomphysiker Amerikas, einer der Vä-ter der Atombombe. Er wird einer pazifistisch-kommunistischen Gesinnung verdächtigt und muss sich und seine Arbeit von einem amerikanischen Untersuchungsausschuss rechtfertigen. da-rüber hinaus wird ihm vorgeworfen, den Bau der Wasserstoffbombe verzögert zu haben. Des-halb muss er sich den mehr als vier Wochen dauernden Verhören unterziehen. In den Verhören, die Heinar Kipphardt auf der Grundlage von historischen Dokumenten schrieb, entsteht das Bild eines Wissenschaftlers, der die sozialen Folgen seiner Forschung bedenkt und dadurch in einen Konflikt mit dem Staat gerät.

Heiner Müller: Die Lohndrücker

Die Hauptfigur des Dramas „Der Lohndrücker“ ist Balke, dessen historisches Vorbild der Ostberli-ner Arbeiter Hans Garbe ist. Hans Garbe konnte unter anderem einen mehrmonatigen Produkti-onsausfall verhindern, indem er Schäden an Brennöfen reparierte, während diese weiter liefen. Ebenso wie Garbe ist Balke ein eifriger Arbeiter, der sein Soll in wesentlich kürzerer Zeit erreicht, somit regelmäßig Überleistungen erbringt und dafür ausgezeichnet wird. Ganz zum Leidwesen seiner Mitarbeiter, die der Meinung sind, er sei ihnen in den Rücken gefallen und ihn deshalb als „Lohndrücker“ beschimpfen, ihm drohen und ihn verprügeln.Mit seinem stark ausgeprägten sozialistischen Bewusstsein setzt sich Balke stets für die Erfüllung des Plans ein und verschlechtert dadurch auch seine Lebenssituation.In der ersten Szene wird auf der Straße ein Plakat mit dem Text "SED - Partei des Aufbaus" an ei-ne Trümmerwand geklebt. Ein junger Mann bleibt vor dem Plakat stehen und blickt sich um. Dann reißt er das Plakat ab und geht pfeifend weiter. Ihm folgen drei müde Arbeiter, die unbe-kümmert über das am Boden liegende Plakat laufen.Diese mutige Darbietung mildert der Autor allerdings durch einen Kunstgriff, indem er sein Stück in den Jahren 1948/49 spielen lässt. Die Partei-Instanzen konnten daher das Gefühl ha-ben, die hier kritisierten Mängel des Alltags seien inzwischen längst behoben.

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Peter Hacks: Der Frieden: Nach Aristophanes. Eine Komödie

Eine dreiviertel Stunde lang dauerte der Schlussapplaus bei der Premiere von Peter Hacks' Fas-sung des 'Frieden' von Aristophanes am 14. Oktober 1962 im Deutschen Theater Berlin. Die Be-geisterung der Zuschauer über diese aussergewöhnliche Inszenierung war so gross, dass sich der eiserne Vorhang 15 Mal wieder heben musste.

Es ist Krieg. Es ist Krieg. Oh Götter es ist Krieg. Ich alter Mann sah seinen Anfang nie und wär ich jung, so säh ich nie sein Ende.So beginnt das Theaterstück Der Friede von Aristophanes 420 v. Chr. in der Nachdichtung von Peter Hacks.Inhalt: Die Götter lieben den Krieg, denn im Frieden braucht man sie nicht.Zwischen den griechischen Städte tobt schon lange der Krieg, so dass die Alten seinen Anfang und die Kinder sein Ende nicht sehen. Ein riesengroßer Mistkäfer, auf dem das Bäuerchen Trygai-os zum Olymp fliegt, soll Rettung schaffen, in dem er den eingesperrten Frieden befreit. Die Men-schen sind so sehr an den Krieg gewöhnt, dass sie vorerst mit dem Frieden nichts anfangen kön-nen und Trygaios einiges unternehmen muss, bis er den Frieden endlich durchsetztAristophanes hat die Komödie Der Frieden während des Athenisch-Spartanischen Krieges ge-schrieben.„Peter Hacks' pralle Nachdichtung hatte 1962 Premiere, im Kalten Krieg. Diese Umstände ma-chen den Mistkäfer zur wichtigsten Figur des Stücks, denn nur ein solcherart vom Dreck genähr-tes Zugtier kann in schmutzigen Zeiten einen Komödien-Frieden auf die Bühne zerren. […] Nur vordergründig steckt die Komödie in der spaßigen Unfähigkeit der kleinen Leute, mit dem gro-ßen, schönen Frieden umzugehen – da geht es um die bittere Einsicht, wie viel lieber der Mensch es sich im Chaos gemütlich macht, als mit der Vernunft zu leben.“

Während sich die Situation der Ostpolitik in der Bundesrepublik entspannt, wird die Nation durch den RAF-Terror, dem „Deutschen Herbst“, schwer erschüttert.

Algerien, Irak, Katar, Kuwait, Libyen, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate beschließen nach dem Ende des Jom-Kippur-Krieges Druck auf die westli-chen Länder auszuüben, indem sie ihre Erdölproduktion um 25 Prozent zu senken. So soll die Freigabe der durch Israel besetzten Gebiete erreicht werden.

Nixon muss nach dem Watergate-Skandal 1974 zurücktreten und 1975 wird der Viet-nam-Krieg beendet. Das seit 1954 geteilte Land ist wiedervereint, aber die Bilanz ist furchtbar: 1,5 Millionen Menschen haben ihr Leben verloren, ganze Landstriche sind wegen des Einsatzes chemischer Waffen verseucht.

1976 ereignet sich in Norditalien der größte Chemieunfall in der Geschichte Europas - die Seveso-Katastrophe.

1979: Islamische Revolution im Iran, der Schah muss das Land verlassen und Ayatol-lah Khomeini kehrt aus seinem Pariser Exil zurück.

1979: Sowjetischer Einmarsch in Afghanistan

1970 - 1980

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KAPITEL 5

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DDR

1971 löste Erich Honecker, der die DDR nachhaltig verändern sollte, Walter Ul-bricht als Generalsekretär des ZK ab. In den nächsten Jahren veränderte sich so-wohl die wirtschaftliche und politische Landschaft der DDR.

1973 - Erste Journalisten aus der Bundes-republik werden in der DDD akkreditiert

1973 - DDR-Bürger dürfen mit westli-chen Devisen im Intershop einkaufen

1974 - Das Nationalitätenkennzeichen „D“ wird durch „DDR“ ersetzt

1974 - In Bonn und Ost-Berlin werden die „Ständigen Vertretungen“ eröffnet

1976 - Ausbürgerung von Wolf Biermann

1977 - Genussmittel dürfen in größerem Maße aus der BRD eingeführt werden

1977 - 10.000 VW-Golf dürfen in die DDR geliefert werden

1978 - Sigmund Jähn ist der erste Deut-sche im Weltraum

1978 - Wehrkundeunterricht wird als Pflichtfach an den Schulen der DDR ein-geführt

BRD

"Entspannung durch Annäherung" lau-tet das Motto der sozialliberalen Außen-politik, die zum Ziel hat, das Verhältnis mit den sozialistischen Staaten DDR, Po-len und Sowjetunion zu normalisieren.

1970 - Kniefall von Warschau

1971 - Willy Brandt -Friedensnobelpreis

1972 - Grundlagenvertrag

1972 - Attentat bei den Olympischen Spielen in München

1972 - Fußball - Europameister

1973 - Fahrverbote u. Tempolimit durch Ölkrise

1974 - Guillaum-Affaire, Brandt muss zurücktreten

1974 - Weltmeister im eigenen Land

1977 - Entführung des Arbeitgeberpräsi-denten Schleyer, Entführung der Luft-hansamachine „Landshut“ nach Soma-lia

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BRD: Neuer Subjektivität oder Neuer In-nerlichkeit / DDR: Liberalisierung und Rückzug in die InnerlichkeitDie nach den Biermann-Protesten einsetzenden Repressalien gegen Schriftsteller und Künstler bestimmten das Kulturklima in der DDR. Viele Schriftsteller zogen sich in die Innerlichkeit zurück. Politische und zeitgeschichtliche Themen spielten kaum noch eine Rolle. Der beginnende Terrorismus in der BRD und das Scheitern der 1968er-Bewegung führte zu einer Wende nach innen und einer Distanzierung vom politischen Geschehen, d.h. eine stärkere Zu-wendung zur eigenen Identität und Individualität – dem eige-nen Ich.

Irmtraut Morgener: Hochzeit in Konstantinopel Ein früher Klassiker der FrauenbewegungBele H. ist Taxifahrerin, Straßenbahnschaffnerin und Laborantin von Beruf, vor allem aber hat sie eine Reise unternommen nicht nach Konstantinopel sondern an die Adria. Und Bele und Paul machen Flitterwochen, obwohl sie noch gar nicht verheiratet sind. Dort in zwanzig und einer Ur-laubsnacht wird eine Hochzeit gefeiert, die nie stattfinden wird. Bele erzählt ihrem Verlobten A-bend für Abend Geschichten, von abenteuerlichen Rollerfahrten, nächtlichen Flügen im Himmel-bett oder anderen Streifzügen der Fantasie. Die Geschichten dieser Nächte erzählt sie Paul, ei-nem nüchternen Atomphysiker, dem sie aber mit ihren Erzählungen nicht die Poesie der Wirk-lichkeit näher bringen kann. Sie versucht ihn mit Geschichten von der Liebe zur Liebe zur Verfüh-ren, doch während Pauls physikalische Experimente glücken, ist es nicht ausgeschlossen, dass Be-le H.s großes Lebens- und Liebesexperiment scheitert. Am Ende der Reise landet Bele vor allem bei sich selbst.

Heinrich Böll: Die verlorene Ehre der Katharina Blum Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann ist eine 1974 erschienene Erzählung von Heinrich BöllKatharina Blum ist eine junge hübsche Haushälterin, die sich eine kleine Eigentumswohnung und einen Volkswagen leisten kann. Sie hat ein heiter-bescheidenes Wesen und wird, weil sie Zu-dringlichkeiten der Männer verabscheut, in ihrer Umgebung die »Nonne« genannt. Diese Frau verliebt sich spontan in einen jungen Mann, einen von der Polizei gesuchten radikalen Rechtsbre-cher. Sie verhilft ihm zur Flucht und gerät in den Mittelpunkt der Sensationsmache einer großen Boulevardzeitung. Die Situation eskaliert, als der Journalist Werner Tötges in ihre Wohnung kommt

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Brigitte Schwaiger: Wie kommt das Salz ins Meer "Die Frau braucht einen Mann und es geht uns gut. Er wird auf der Leiter immer höher und hö-her steigen, ich werde die Leiter festhalten, damit sie nicht umkippt. Wir werden Kinder haben, aber nur eigene, denn bei Adoption, sagt er, weiß man nicht, was für Erbmaterial da ins Haus kommt. Eine Frau ohne Mann, was ist das schon? Er ist stärker."Von ihren Eltern gedrängt, stimmt die namenlose Erzählerin der Ehe mit dem Diplomingenieur Rolf zu. Denn Rolf ist ein anständiger Mann, mit soliden Werten und einer glänzenden Berufsaus-sicht. Gutbürgerlich ist er, und das ist für ihre Familie das Wichtigste. Doch die junge Frau, die die Ehe als Fluchtmöglichkeit vor dem spießigen Elternhaus gesehen hat, muss bald erkennen, dass sie mit Rolf nicht glücklich werden kann, denn er ist genau wie ihre Eltern. Das enge Korsett ihrer Rolle als Ehefrau, die ständigen Maßregelungen ihres Mannes treiben sie Schritt für Schritt in Verzweiflung und Depression

Christa Wolf: Kein Ort. Nirgends Im Juni 1804 sind Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist zu einer Teegesellschaft in Winkel am Rhein eingeladen – eine fiktive Begegnung: Christa Wolf lässt die empfindsamen Dich-ter, beides Außenseiter, aufeinandertreffen, lässt sie nachdenken über fehlende Freiräume, über das nicht lebbare Leben und zeigt die Parallelen zu ihrer eigenen Gegenwart. 1979 erschienen, bringt das Buch uns zwei Menschen nahe, die an dem System, in dem sie stecken, zu verzweifeln drohen und die doch wissen: »Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, be-stimmt.« Längst ist der Titel dieses modernen Klassikers zum geflügelten Wort geworden: In ›Kein Ort. Nirgends‹ erzählt Christa Wolf vom Lebensgefühl derjenigen, die mit dem Rücken zur Wand stehen, und entwirft gleichzeitig die Vision eines Daseins, in dem die Grenzen zwischen den Einzelnen, den Geschlechtern, zwischen Realität und Utopie überschritten sind.

Stefan Heym: 5 Tage im Juni Der überzeugte Kommunist Witte muss feststellen, dass seine Mitstreiter von einst jetzt alle Prob-leme mit Wörtern wie Parteibeschluss und Klassenfeind aus der Welt reden wollen und längst sei-ne Ideale verraten haben. Die Geschehnisse um den 17. Juni 1953, unter Beifügung authentischer Dokumente, erzählt aus der Perspektive derer, die das Geschehen mitgetragen und mitverantwor-tet haben.1974 erschien der Roman, zunächst nur im Westen. Ost-Berlin hatte zu viele Änderungen am Text gefordert. Die Geschichte rund um den Gewerkschafter und Genossen Witte war nicht be-quem. Der will in dem Buch keinen „Freibrief für all die Feiglinge, Dummköpfe, Schönfärber und Beamtenseelen, an denen es bei uns in der Partei nicht mangelt“. Und nicht hinnehmen, dass die Vertreter der führenden Klasse „stellvertretend nur noch sich selbst vertreten“.

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Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W. Die neuen Leiden des jungen W. ist ein Montageroman und Bühnenstück und zieht Parallelen zwischen Goethes Werther und Edgar Wibeau als siebzehnjährigem Ostdeutschen in der damali-gen DDR. Edgar Wibeau wurde von seinem Vater verlassen, als er fünf Jahre alt war. Nach dem Tod Edgars mit 17 Jahren befragt sein Vater Personen, die seinem Sohn nahestanden, um ihn im Nachhinein kennenzulernen.Edgar wächst bei seiner Mutter als Musterschüler auf. Nach einem Streit mit seinem Lehrmeister Flemming verschwindet er mit seinem Freund Willi aus seinem Heimatort, der fiktiven Kleinstadt Mittenberg, und geht nach Berlin. Willi zieht es jedoch bald wieder nach Mittenberg zurück. Edgar bleibt allein in Berlin, wo er in einer verlassenen Gartenlaube neben einem Kinder-garten unterkommt. In diesem Kindergarten arbeitet die 20-jährige Charlie, in die er sich bald verliebt. Der einzige, mit dem Edgar Kontakt hält, ist sein Jugendfreund Willi. Diesem schickt er regelmäßig Tonbänder mit Zitaten aus Goethes Werther, die seine eigene Lage beschreiben. Nach-dem der junge Rebell an einer Kunsthochschule nicht aufgenommen worden war, nimmt er eine Arbeit als Anstreicher auf. Um seinen Arbeitskollegen etwas zu beweisen, versucht er, ein „nebel-loses Farbspritzgerät“ zu entwickeln, von dem man auf der Arbeit immer wieder spricht. Beim ers-ten Versuch, die selbstgebaute Maschine in Betrieb zu nehmen, wird Edgar durch einen Strom-schlag getötet.

Botho Strauß: Groß und Klein Lotte, eine in Scheidung lebende, arbeitslose Grafikerin Mitte dreißig, ist auf der Suche nach ih-rem Mann, nach Freunden, nach einem Halt, nach Verständigung. In zehn Episoden, die Bibelzi-tate ebenso enthalten wie Anklänge an die Philosophiegeschichte, durchwandert sie die bundes-deutsche Arbeits-, Familien- und Freizeitwelt. Die Zeitgenossen, denen sie begegnet, erweisen sich jedoch als wenig zugänglich. Ob in einer Ferienanlage, vor dem verschlossenen Eingang ei-nes Wohnsilos, an der Bushaltestelle oder im Wartezimmer eines Arztes: überall trifft die fast ver-zweifelt anpassungswillige Frau auf abweisende Menschen, die ihre eigene Vereinsamung und in-nere Leere durch Alkohol oder Fernsehkonsum zu betäuben versuchen, sich hinter Sprechanla-gen, Diktiergeräten oder Telefonen verschanzen. Trotzdem gibt Lotte, die sich ständig einmischt, weil sie es gut meint, und immer wieder ausgeschlossen wird, nicht auf, weil ihr Glaube, doch noch irgendwann und irgendwo auf einen Rest Menschlichkeit zu treffen, unerschütterlich ist – bis sie sich selbst mehr und mehr abhanden zu kom-men droht.

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Rolf Hochhuth: Juristen Vater Heilmayer zog es vor, als Soldat so rasch wie möglich Feldrichter zu werden und lieber Sol-daten und Offiziere zu verfolgen, oft genug auch hinzurichten, die nicht kampflustig waren. Nach dem Krieg ließ es sich „Widerständlertum“ von Juristenkollegen aus der Nazizeit beschei-nigen. Dass es überhaupt möglich war, Deutsche, die deutsche Soldaten umgebracht hatten, als in der Bundesrepublik höchstbestallte Richter und Staatsanwälte für sich in den Zeugenstand treten zu lassen, geht zurück auf das totale Desinteresse der Allliierten an solchen Kriegsverbre-chen, die von Deutschen "nur" an Deutschen verübt worden waren... Dieses Desinteresse wirkt weiter und hat zum Beispiel dazu geführt, dass noch 30 Jahre nach Hitlers Tod kein Mensch — er wäre denn selber für Hitler Militärjurist gewesen — je ein Buch ü-ber jene Menschengruppe verfasst hat, die ohne Übertreibung als die furchtbarsten Militärjuris-ten der gesamten Weltgeschichte bezeichnet werden müssen, weil sie etwa 30000 eigene Solda-ten in den Tod schickten, davon 16000 durch Hinrichtungen, die teilweise noch mit dem Hand-beil vollzogen wurden, so in Dresden, so in Konstanz; die anderen durch Abkommandierungen in Strafkompanien oder indem man Soldaten, die straffällig geworden waren [...] einen Urias-Brief an die Front mitgab, der die zwei Buchstaben: "R.U." enthielt; das hieß: "Rückkehr uner-wünscht"...

1980 - 1990

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KAPITEL 6

1980: Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan /Boykott der Olympischen Spiele in Moskau / Erster Golfkrieg / Tod Titos / Erster PC (Tischrechner)in den USA durch IBM1981: Attentat auf den Papst1982: Falklandkrieg1983: Nato-Doppelbeschluss / Tödliche Seuche: AIDS - die rätselhafte Krank-heit1984: Hungerkatastrophe in Äthiopien1985: Michail Gorbatschow wird Generalsekretär der KPdSU / „Perestroika“ (Umgestaltung) und „Glasnost“ (Offenheit) als Maximen1986: Tschernobyl1987: Mathias Rust landet mit seiner Cessna auf dem Roten Platz in Moskau1989: George H. W. Bush wird Präsident / Kein himmlischer Frieden in Pe-king (Tian’anmen-Platz) / Ungarn öffnet den Eisernen Vorhang

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BRD

1981: Nach der Räumung von besetzten Häu-sern in West-Berlin wird der Demonstrant Rattey von einem Bus überrollt und stirbt.

1982: Ein Misstrauensvotum beendet die Ära von Helmut Schmidt (SPD). Nachfolger Helmut Kohl (CDU) .

1983: Das Hamburger Magazin „Stern“ prä-sentiert die angeblichen Tagebücher von A-dolf Hitler.

1987: Der erste deutsche Windenergiepark wird eingeweiht.

1987: Der schleswig-holsteinische CDU-Poli-tiker Uwe Barschel wird tot in der Badewan-ne seines Genfer Hotelzimmers gefunden.

1989: Die deutschen Tennis-Lieblinge Steffi Graf und Boris Becker gewinnen beide in Wimbledon.

1989: Alle DDR-Flüchtlinge, die in den deut-schen Botschaften in Prag und Warschau Zu-flucht gesucht hatten, dürfen sofort in die Bundesrepublik ausreisen.

9. November 1989: Die Mauer fällt. Die DDR öffnet die Grenzübergänge zur Bundesrepub-lik. Tausende Menschen passieren noch am selben Tag die innerdeutsche Grenze.

DDR

1980: Honecker Besuch in der BRD

1981: Friedensbewegung der Evangelischen Jugend. Motto: "Schwerter zu Pflugscharen"

1983: Das Mobilmachungsgesetz erlaubt nun auch die Einberufung von Frauen im Ernst-fall.

1983: F.J. Strauß Besuch in der DDR

1986: Unterzeichnung eines Kulturabkom-mens zwischen der DDR und der BRD

1987: Volkskammer beschließt die Abschaf-fung der Todesstrafe

1988: Verbot der Zeitschrift "Sputnik"

1988: Erstmaliger Abzug sowjetischer Atomra-keten in Bischofswerda und Waren

1988: Bis September sind fast 6300 DDR Bür-ger in die BRD geflüchtet

1989: Leipziger Montagsdemos ( 5000 -> 20000 Menschen )

1989: Beide Berliner Bürgermeister treffen sich an dem über Nacht geschaffenen Mauer-durchbruch am Potsdamer Platz

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In den 1980er Jahren gab es in der DDR-Litera-tur ähnliche Entwicklungen wie in der BRD-Lite-ratur. Vor der Wiedervereinigung gab es bereits eine Annäherung beider deutscher Literaturen.

Ausgleichstendenzen in der BRDUntergrundliteratur in der DDR

Christoph Hein: Horns Ende

In acht Kapiteln kommen Einwohner des kleinen Örtchens Guldenberg zu Wort. Es geht dabei nicht explizit um das Titelthema Horns Ende, sondern mehr um die Sorgen und Nöte der einzel-nen Protagonisten, aber vor allem auch um das Erinnern des jeweiligen Erzählers selbst. Es geht um die patriarchalischen Strukturen, um die demütigende und fortdauernde Unterdrü-ckung der Söhne, um Denunziation und die in dieser Gesellschaft unbewältigte Vergangenheit und es geht auch um die Deformation der Geschlechterbeziehung.Das Buch erschien 1985. Es spielt auf drei Zeitebenen: „Tatzeit“ 1957, die aktuelle „Erzählzeit" achtziger Jahre, die verdrängten Jahre vor 1945.

Christoph Hein (1944), Dramaturg an der Volksbühne Berlin unter der Leitung Benno Besson, seit 1980 freier Schriftsteller

Patrick Süskind: Das Parfum

Der Roman erzählt das Leben des Jean-Baptiste Grenouille. Er wird zum Mörder an jungen Frau-en, um deren Duft sich anzueignen und dadurch zum größten Parfümeur seiner Zeit zu werden. Er hat selber keinen Eigengeruch, besitzt aber (sozusagen den „absoluten Geruchssinn“) die au-ßergewöhnliche Fähigkeit, Gerüche zu erfassen, zu speichern und dann zu neuen Duftkompositio-nen zusammenzustellen.Süskinds Roman wird der Postmoderne zugeordnet und weist verschiedenen Genres auf: Bildungs- u. Entwicklungsroman, Kriminalroman, Künstlerroman, historischer Roman.Das Buch erschien 1985, wurde in 48 Sprachen übersetzt und weltweit wurden über 20 Millionen Exemplare verkauft.

Patrick Süskind (1949), Schriftsteller und Drehbuchautor

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EUGEN RUGE Roman einer Familie

Rowohlt Verlag

Copyright 1.9.2011

432 Seiten

ISBN 9783498057862

In Zeiten des abnehmenden LichtsRoman einer Familie 

Von den Jahren des Exils bis ins Wendejahr 89 und darüber hinaus reicht diese wechselvolle Geschichte einer deutschen Familie. Sie führt von Mexi-ko über Sibirien bis in die neu gegründete DDR, führt über die Gipfel und durch die Abgründe des 20. Jahrhunderts. So entsteht ein weites Panora-ma, ein großer Deutschlandroman, der, ungeheuer menschlich und ko-misch, Geschichte als Familiengeschichte erlebbar macht.(Klappentext)

«Ein pulsierendes, vibrierendes, aufregend lebendiges Werk von enormer gestalterischer Phantasie, außergewöhnlich mitfühlend und vor allem von scharfem und erhellendem Witz … Es zeigt uns, dass aus den Trümmern des Ostblocks etwas erwachsen ist, das die Kraft hat zu überdauern: die Kunst dieses Buchs, das die Mauer eingerissen hat zwischen dem russi-schen Epos und dem großen amerikanischen Roman.» (The New York Times)

Als krönenden Abschluss des Semesters hat uns Beate Burkhardt am 8.7.2015 diesen Roman vorgestellt. Aus ihrer „Insider-Sicht“, Eugen Ruge und sie waren in der Grundschule Klassenkameraden und sie kannte die Protagonisten des Romans persönlich, konnte sie uns einen ganz besonde-ren Eindruck vermitteln. Voller Empathie verband sie eigene Erinnerun-gen mit dem Gelesenen und hat uns mit zum Teil persönlichen Fotos und erklärenden Grafiken in einer PowerPoint-Präsentation (eine Folien-Abbil-dung daraus siehe unten) das Buch ans Herz gelegt.Ihr perfektes Handout (siehe nächste Seite) rundete ihren hervorragenden Vortrag ab.

1. Hauptsächlich Handelnde Personen

1. Großvater: Wilhelm Powileit 2. Großmutter: Charlotte Powileit, geschiedene Umnitzer 3. 1. Sohn: Werner Umnitzer 4. 2. Sohn Kurt Umnitzer(Vater) 5. Irina Umnitzer, geborene Petrowna, Kurts Frau ( Mutter) 6. Alexander Umnitzer (Sohn von Kurt und Irina) 7. Nadjeshda Iwanowna (Mutter von Irina) 8. Markus Umnitzer (Alexanders Sohn)

2. Aufbau des Romans

⎯ 4 Generationen ⎯ Zeitsprünge in den Kapiteln (1952-2001) ⎯ Keine lineare Struktur ⎯ Verschiedene Erzählerebenen (Perspektivwechsel der Personen) ⎯ Gipfel des Roman-Geschehens ist der 90. Geburtstag von Wilhelm ⎯ Starke Episode ist die Mexiko-Reise von Alexander (Suche nach der familiären Vergangenheit)

3. Anlass zum Schreiben

⎯ Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte ⎯ im Nachlass seines Vaters findet der Autor u. a. Aufzeichnungen aus dem sibirischen Arbeitslager ⎯ eigene Krebsdiagnose 2001 ( später unbestätigt) ⎯ Rückschau auf das eigene Leben (geschichtliche Zusammenhänge, eigenes Versagen, eigene Ansprüche an sich und besonders an Frauen, Anerkennung, Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz)

4. Anliegen des Autors

⎯ Mikrokosmos der eigenen Familie wird zum Spiegel der großen Lebensgeschichte (alle sind irgendwie Flüchtlinge: Weimarer Republik, 2.Weltkrieg, Nachkriegszeit, Vor-Wende-Zeit) ⎯ Bewusstsein schaffen für die Zusammenhänge des Lebens und die Identitäten der Personen ⎯ Kurt macht Lager nicht zu seinem Lebensthema (keine Opferrolle) ⎯ Durch das Hineingehen in die Figuren und das Einnehmen derer Perspektiven in der Erzähl- und Denk-weise, werden die handelnden Personen für den Leser authentisch ⎯ Der Leser bekommt keine globalen Bewertungen des Autors vorgesetzt, weder zur Zeitgeschichte noch zu den Charakteren der handelnden Personen (Empathie mit jeder Figur scheint möglich) ⎯ die vertikale Betrachtungsweise sind der Generationswechsel, Lebensgeschichten, Zeitgeschichte (Zitat des Autors: „Die horizontal Betrachtungsweise liegt heutzutage bei Facebook… Wirklichkeit wird heute durch Medien hergestellt.“)

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Literatur

© Ursula Focali Die Texte sind nur für den internen Gebrauch der BANA-Studierenden bestimmt

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-Die im Seminar vorgestellten Romane und Theaterstücke werden hier nicht mehr auf-geführt.

-Bei den Inhaltsangaben der einzelnen Bücher wurden zum Teil die Klappentexte origi-nal oder in veränderter Form verwendet.

-Die Angaben zum Zeitgeschehen der jeweiligen Dekaden wurden zum größten Teil ü-ber das Internet recherchiert

-Best, Otto F.: Handbuch der literarischen Fachbegriffe / Fischer Verlag 1998-Blecken, Gudrun: Lyrik der Nachkriegszeit (1945-1960) / Bange Verlag 2009-Glaser, Hermann: Deutsche Kultur 1945-2000 / Ullstein 1999-Kopfermann, Thomas: Lyrik der Nachkriegszeit 1945-1960 / Klett 2012-Lindenhahn, Reinhard: Literatur nach 1945 / Cornelsen 2008-Mayer, Hans: Deutsche Literatur 1945-1985 / Siedler 1998-Mayer, Hans: Der Turm von Babel / Suhrkamp 1991-Mittenzwei, Werner: Die Intellektuellen, Literatur und Politik in Ostdeutschland, 1945-2000 /Aufbau 2003

-Rein, Heinz: Die neue Literatur / Verlag Bruno Henschel 1950