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BAND 51 - Hans und Franz · 2016-05-12 · INHALT Der vorliegende Roman spielt Ende der 40er-Jahre des 19. Jahrhunderts und ist der erste Teil des von Karl May in den Jahren 1882/1883

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S C H LO S S

RO D R I G A N D A

K A R L M A Y ’ S

G E S A M M E L T E W E R K E

BAND 51

K A R L - M A Y - V E R L A G

B A M B E R G R A D E B E U L•

R O M A N

V O N

K A R L M A Y

Page 3: BAND 51 - Hans und Franz · 2016-05-12 · INHALT Der vorliegende Roman spielt Ende der 40er-Jahre des 19. Jahrhunderts und ist der erste Teil des von Karl May in den Jahren 1882/1883

INHALT

Der vorliegende Roman spielt Ende der 40er-Jahre des 19. Jahrhunderts und ist der erste Teil des von Karl May in den Jahren 1882/1883 geschriebenen ersten Münch-meyer-Romans ‚Das Waldröschen‘ (Bd. 51 - 55 und 77 der Ges. Werke). Über die Enstehungsgeschichte, den Werdegang und die Geschicke der fünf Münch-meyer-Romane indet man Näheres in Bd. 34 der Ges. Werke, „ICH“, und in den Sonderbänden „Karl-May-Bibliograie 1913-1945“ und „Der geschlifene Diamant“.

Herausgegeben von Dr. Euchar Albrecht Schmid© 1951 Karl-May-Verlag, Bamberg

Alle Urheber- und Verlagsrechte vorbehaltenDeckelbild: Carl Lindeberg

ISBN (eBook-Ausgabe in pdf ) 978-3-7802-1751-6

1.2.3.4.5.6.7.8.9.

10.11.12.13.14.15.16.17.18.

Von den Komantschen verfolgtDie Hacienda del EriñaDer Schatz der MixtekasAm Teich der KrokodileDer Schwarze HirschPablo CortejoEine SchurkentatDer falsche ErbeDoktor SternauGasparino CortejoWas der Bettler erzähltEin misglückter AnschlagAlfred de LautrevilleNeue Schlingen‚Pohon Upas!‘Die ZigeunerIm GefängnisAm Leuchtturm von Mont St. Michel

5316177

107139164180208220245267300326360403443496

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1. Von den Komantschen verfolgt

Es war im Herbst 1847.Auf dem Rio Grande del Norte schwamm langsam

ein leichtes Kanu flussabwärts. Es war aus langenBaumrindenstücken gebaut, die mit Pech und Moosverbunden waren, und trug zwei Männer verschiede-ner Rasse. Der eine führte das Steuer und der anderesaß sorglos im Bug, damit beschäftigt, aus Papier, Pul-ver und Kugeln Patronen für seine schwere Doppel-flinte zu drehen.

Der Steuerer hatte die scharfen, kühnen Züge unddas durchdringende Auge eines Indianers; und auchohnedies hätte man an seiner Kleidung sofort gesehen,dass er zur roten Rasse gehörte. Er trug nämlich einwildledernes Jagdhemd mit ausgefransten Nähten, einPaar Leggins, deren Seitennähte mit Kopfhaaren dervon ihm erlegten Feinde geschmückt waren, undMokassins, die doppelte Sohlen zeigten. Um seinenHals hing eine Schnur aus den Zähnen des GrauenBären und sein Haupthaar war in einen hohen Schopfgeflochten, aus dem drei Adlerfedern hervorragten, einsicheres Zeichen, dass er ein Häuptling war. Nebenihm im Boot lag ein fein gegerbtes Büffelfell, das ihmals Mantel diente. In seinem Gürtel steckten ein blin-kender Tomahawk, ein zweischneidiges Skalpmesserund der Pulver- und Kugelbeutel. Auf dem Büffelfellruhte eine lange Doppelflinte, in deren Schaft manviele eingeschnittene Kerben bemerkte, die die Zahlder bereits erlegten Feinde bezeichnen sollten. An derBärenzahnschnur war das Kalumet befestigt und außer-dem ragten aus dem Gürtel die Kolben von zweiRevolvern hervor. Die bei den Indianern so seltenen

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Waffen ließen erkennen, dass er mit der Zivilisation inBerührung gekommen war.

Das Steuer in der Rechten, schien er seinem Beglei-ter zuzuschauen und sich um weiter nichts zu beküm-mern. Ein aufmerksamer Beobachter aber hättebemerkt, dass er dennoch unter den tief gesenktenWimpern hervor die Ufer des Flusses scharf mit demverschleierten Blick beobachtete, der dem Jäger eigenist, der in jedem Augenblick einen Angriff erwartenkann.

Der andere, der im Vorderteil saß, war ein Weißer. Erwar lang und schlank, aber ungemein kräftig gebaut undtrug einen blonden Vollbart, der ihn gut kleidete. Aucher hatte Lederhosen an, die in den hoch heraufgezoge-nen Schäften schwerer Aufschlagstiefel steckten. Eineblaue Weste und ein ebensolches Jagdhemd bedecktenseinen Oberkörper. Der Hals war frei und auf dem Kopfsaß einer jener breitkrempigen Filzhüte, die man im Fer-nen Westen häufig zu sehen bekommt; er hatte Farbeund Form verloren.

Die Männer mochten beide im gleichen Alter von viel-leicht achtundzwanzig Jahren sein. Sie trugen anstatt derSporen scharfe Fersenstacheln, ein Beweis, dass sie berit-ten gewesen waren, ehe sie sich das Kanu bauten, umden Rio Grande hinabzufahren.

Während sie vom Wasser des Flusses abwärts getra-gen wurden, vernahmen sie plötzlich das Wiehern einesPferdes. Die Wirkung dieses Lautes folgte blitzschnell,denn noch war er nicht verklungen, da lagen die beidenMänner auf dem Boden des Kanus, sodass sie von außennicht gesehen werden konnten.

„Schli – ein Pferd!“, flüsterte der Indianer in derMundart der Jicarilla-Apatschen.

„Es steht weiter abwärts“, meinte der Weiße.„Es hat uns gewittert. Wer mag der Reiter sein?“„Ein Indianer nicht und ein weißer Jäger auch nicht“,

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sagte der Präriejäger. „Ein erfahrener Mann lässt seinPferd nicht so laut wiehern. Rudern wir ans Ufer, steigenwir aus und schleichen hin!“

„Und das Kanu bleibt liegen?“, fragte der Indianer.„Wenn es nun Feinde sind, die uns ans Ufer locken undtöten wollen?“

„Pshaw, wir haben auch Waffen!“„So mag wenigstens mein weißer Bruder das Boot

bewachen, während ich die Gegend untersuche.“„Einverstanden.“Die Männer lenkten das Kanu ans Ufer. Der India-

ner stieg aus, während der Weiße mit der Rifle in derHand sitzen blieb, um seine Rückkehr zu erwarten.Nach einigen Minuten sah er ihn in aufrechter Stellungkommen, ein Zeichen, dass keine Gefahr vorhandensei.

„Nun?“, fragte der Trapper.„Ein weißer Mann schläft dort hinter dem Busch.“„Ah! – Ein Jäger?“„Er hat nur ein Messer.“„Ist weiter niemand in der Nähe?“„Ich habe niemand gesehen.“„So wollen wir hin!“Der Weiße sprang aus dem Fahrzeug und band dieses

fest. Dann ergriff er seine schwere Rifle, zog die beidenRevolver, die auch er besaß, halb hervor, um kampfbe-reit zu sein, und folgte dem Indianer. Sie erreichten balddie Stelle, wo der Schläfer lag. Neben ihm stand einPferd angebunden, das auf mexikanische Weise gesatteltwar.

Der Mann trug die nach unten weiter werdendenmexikanischen Hosen, ein weißes Hemd und eine kurze,nach Husarenart um die Schultern hängende blaueJacke. Hemd und Hose wurden durch ein gelbes Tuchzusammengehalten, das er wie einen Gürtel um die Hüf-ten gewunden hatte. In diesem Gürtel steckte außer

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einem Messer keine einzige Waffe. Der gelbe Sombrero1

lag über seinem Gesicht, um dieses gegen die warmenStrahlen der Sonne zu schützen. Der Mann schlief sofest, dass er das Nahen der beiden anderen gar nichthörte.

„Hallo, Bursche, wach auf!“, rief der Weiße, ihn amArm schüttelnd.

Der Schläfer erwachte, sprang empor und zog dasMesser.

„Verdammt, was wollt ihr?“, rief er schlaftrunken.„Zunächst nur wissen, wer du bist.“„Wer seid ihr denn?“„Hm, mir scheint, du hast Angst vor dem roten Mann

da. Ist nicht nötig, alter Junge. Ich bin ein deutscherTrapper namens Unger und dieser hier ist Shosh-in-liett,der Häuptling der Jicarilla-Apatschen.“

„Shosh-in-liett?“, rief der Fremde. „Oh, dann habe ichkeine Sorge, denn der große Krieger der Apatschen istein Freund der Weißen.“

Shosh-in-liett heißt zu deutsch ‚Bärenherz‘.„Nun, und du?“, fragte Unger.„Ich heiße Domenico und bin Vaquero2“, antwortete

der Mann.„Wo?“„Jenseits des Flusses beim Grafen de Rodriganda.“„Und wie kommst du herüber?“„Ascuas – potztausend, sagt mir lieber, wie ich hinü-

berkomme! Ich werde von Komantschen verfolgt.“1

Schattenspender, Hut. Der Ton liegt auf dem „e“. Mit ganz wenigenAusnahmen werden alle spanischen Ausdrücke, die auf einenSelbstlaut enden, auf der vorletzten Silbe, und die auf einen Mitlautenden, auf der letzten Silbe betont. Worte, die auf der drittletztenSilbe betont werden, sind selten. Beispiele: cabállo = Pferd, cabal-léro = Herr, caballería = Reiterei; Worte, die nicht nach diesenRegeln betont werden, erhalten das Betonungszeichen (´), dieanderen nicht. (Sprich also: Kortécho [= Cortejo], Mescaléro,Arbellés, Ciboléro. Schreibung ohne Zeichen.)

2 Sprich: Wakéro (= Rinderhirt)

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„Das scheint sich nicht zu reimen. Du wirst vonKomantschen verfolgt und legst dich in aller Gemüts-ruhe schlafen.“

„Der Teufel schlafe nicht, wenn man so müde ist!“„Wo trafst du auf die Komantschen?“„Grad im Norden von hier, dem Rio Pecos zu. Wir

waren fünfzehn Männer und zwei Frauen, sie aber zähl-ten über sechzig.“

„Habt ihr gekämpft?“„Ja. Die Roten überfielen uns, ohne dass wir von ihrer

Gegenwart etwas ahnten. Darum machten sie die Mehr-zahl von uns nieder und nahmen die Frauen gefangen.Ich weiß nicht, wie viele noch außer mir entkommensind.“

„Wo kamt ihr her und wohin wolltet ihr?“Der Vaquero war nicht gesprächig und ließ sich jedes

Wort abkaufen, er erwiderte:„Wir waren zum Fort Guadalupe geritten, um die bei-

den Damen abzuholen, die dort zu Besuch gewesenwaren.“

„Aber der Rio Pecos liegt doch nicht auf dieser Stre-cke.“

„Bevor wir den Heimweg zu unserer Hacienda ein-schlugen, unternahmen wir einen kleinen Jagdausflugdem Rio Pecos zu. Da erfolgte der Überfall.“

„Wer sind die Damen?“„Señorita1 Emma Arbellez und Karja, die Indianerin.“„Wer ist Señorita Arbellez?“„Die Tochter unseres Pächters Pedro Arbellez.“„Und Karja?“„Die Indianerin ist die Schwester von Tecalto, dem

großen Häuptling der Mixtekas.“Da horchte Bärenherz auf.„Die Schwester von Tecalto?“, fragte er. „Er ist mein

Freund. Wir haben die Friedenspfeife miteinander1

Sprich: Senjorita; Señor = Senjor

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geraucht. Die Schwester seines Herzens soll nicht gefan-gen bleiben! Gehen meine weißen Freunde mit, sie zubefreien?“

„Ihr habt doch keine Pferde“, versetzte Domenico.Der Indianer warf ihm einen geringschätzigen Blick

zu. „Bärenherz hat ein Pferd, wenn er eins braucht. Ineiner Stunde wird er den Hunden der Komantschen einsgenommen haben.“

„Das wäre stark!“„Nein, das versteht sich von selbst“, versicherte

Unger.„Wann seid ihr gestern überfallen worden?“„Am Abend.“„Und wie lange hast du geschlafen?“„Wohl kaum eine Viertelstunde.“„So werden die Komantschen bald hier sein.“„Valgame dios – Gott steh mir bei!“„Du bist ein Vaquero und kennst die Gebräuche der

Roten nicht. Was für eine Absicht haben sie deiner Mei-nung nach mit den Damen? Haben sie die beiden wegeneines Lösegeldes gefangen genommen?“

„Sicherlich nicht. Sie werden sie mitnehmen, um sie zuihren Weibern zu machen, denn beide sind sehr schön.“

„Ich habe gehört, dass die Mädchen der Mixtekaswegen ihrer Schönheit berühmt sind. Wenn also dieKomantschen die beiden Damen nicht wieder herausge-ben wollen, so werden sie darnach trachten, dass manderen Aufenthaltsort nicht entdecken kann; sie müssenihre Spur verbergen. Infolgedessen dürfen sie also auchkeinen von euch entkommen lassen, und darum habensie sich gewiss aufgemacht, um dich zu verfolgen, damitdu keine Kunde heimtragen kannst.“

„Das leuchtet mir leider ein“, nickte der Mexikanerverdrießlich.

„Die Komantschen waren zu Pferd?“„Ja.“

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„Sie werden dich also auch zu Pferd verfolgen. Siewerden auf deiner Spur reiten und Pferde haben, wennsie hier ankommen.“

„Verdammt, das ist leicht anzunehmen, obgleich ichnicht daran gedacht habe!“

„Ja, einen sonderlichen Scharfsinn scheinst du nichtzu besitzen. Dachtest du dir denn nicht, dass man dichverfolgen würde? Warum legst du dich da zum Schlafen?“

„Ich war zu müde.“„Du musstest wenigstens erst über den Fluss gehen.“„Er ist zu breit und das Pferd war zu angegriffen.“„Danke Gott, dass wir keine Komantschen sind! Du

wärst hier eingeschlafen und im Paradies ohne Kopfhauterwacht. Hast du Hunger?“

„Ja.“„So komm mit zum Boot! Führe aber zunächst dein

Pferd weiter hinter die Büsche, damit man es von wei-tem nicht sehen kann!“

Das Gespräch war zuletzt nur von Unger und demVaquero geführt worden. Bärenherz hatte sich zum Kanuzurückbegeben, wo er ruhend auf der Büffelhaut lag.Der Vaquero erhielt Fleisch, Wasser gab es im Fluss, sowar für alles gesorgt.

Nachdem er sich satt gegessen hatte, fragte ihn Ungernach seinen näheren Verhältnissen und erfuhr, dass erauf einer der Besitzungen des Grafen Fernando de Rodri-ganda angestellt sei, die zerstreut zwischen dem RioGrande del Norte, dem Grenzfluss zwischen Mexiko undTexas, und den Kordilleren von Coahuila lagen.

Als einige Zeit vergangen war, verließ Unger das Boot,um das etwas erhöhte Ufer zu erklettern und Ausguck zuhalten. Er hatte die Höhe kaum erreicht, als er einen Rufder Überraschung ausstieß.

„Ola – holla, sie kommen! Bald hätten wir die rechteZeit versäumt.“

Bärenherz stand im Nu bei ihm.

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„Sechs Reiter!“, sagte er.„Kommen auf jeden drei!“ Der deutsche Trapper

schien nicht damit zu rechnen, dass der Vaquero aucheinen der Feinde bewältigen könnte.

„Wer nimmt das Pferd?“, fragte Bärenherz.„Ich“, erwiderte der Deutsche.Der Indianer nickte und sagte dann: „Von diesen

Komantschen darf keiner zu Pferd entkommen!“Unger bejahte und wandte sich an den Vaquero:„Du hast nur dein Messer? So kannst du uns bei dieser

Sache nichts nützen. Du bleibst im Kanu liegen, ichnehme einstweilen dein Pferd.“

„Aber wenn es erschossen wird!“, sagte der Mannängstlich.

„Dummheit, so bekommen wir sechs andere dafür!“Der Mexikaner musste dieser Anordnung Folge leis-

ten. Er versteckte sich im Boot, während die beidenanderen sich zu dem Ort begaben, wo sie ihn gefundenhatten, sich neben das hinter den Büschen des Ufers ver-steckte Pferd stellten und warteten.

Die Reiter, die Unger zuerst als sechs dunkle Punkte inder Ferne erkannt hatte, kamen schnell näher. Man konnteschon ihre Bekleidung und Bewaffnung erkennen.

„Ja, es sind die Hunde der Komantschen“, stellteBärenherz fest.

„Wir schießen sie in die Schulter. Die beiden letztenmüssen zuerst daran glauben, die vordersten bleiben unsdann gewiss.“

„Ich nehme den letzten“, erklärte der Apatsche.„Gut!“Die Komantschen waren inzwischen auf einen halben

Kilometer herangekommen. Sie ritten noch immer imschnellsten Galopp. In einer Minute mussten sie sich imBereich der Büchsen befinden.

„Diese Komantschen haben kein Hirn, sie vermögennicht zu denken!“

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„Sie könnten doch wenigstens vermuten, dass derVaquero hier versteckt ist und auf sie wartet. Aber jeden-falls meinen sie, dass er sofort über den Stromgeschwommen ist.“

„Uff!“Mit dieser Aufforderung zur Aufmerksamkeit erhob

der Apatsche seine Büchse. Unger tat dasselbe. Gleichdarauf krachten zwei Schüsse und noch zwei, und vierder Komantschen stürzten von den Pferden. Im nächstenAugenblick saß der Trapper auf dem Pferd des Vaqueround brach mit ihm durch die Büsche. Die beiden übriggebliebenen Komantschen stutzten. Sie hatten gar nichtZeit, ihre Tiere zu wenden, so war der Deutsche schonbei ihnen. Sie erhoben ihre Tomahawks zum tödlichenSchlag. Er aber hielt den Revolver bereit, drückte zwei-mal ab und auch die zwei stürzten von den Pferden.

Die für indianische Begriffe unerheblich verwundetenKrieger waren rasch gefesselt. Dieser Sieg war in weni-ger als zwei Minuten errungen. Die Pferde wurdenmühelos gefangen.

Jetzt kam Domenico herbei, der vom Kanu aus allesbeobachtet hatte.

„Ascuas!“, meinte er, „das war ein Sieg!“„Pah!“, lachte der Deutsche. „Sechs Komantschen,

was ist das weiter! Was nun? Brechen wir sofort auf?“„Ja“, erwiderte der Indianer. „Die Schwester meines

Freundes soll nicht vergebens auf Hilfe warten.“„Nehmen wir den Vaquero mit?“Bärenherz musterte diesen und entgegnete. „Tu, was

du willst!“„Ich gehe mit“, erklärte der Mexikaner.„Ich glaube nicht, dass wir dich brauchen können“,

meinte Unger, „denn ein Held bist du nicht.“„Ich hatte ja keine Waffen.“„Aber bei dem gestrigen Überfall bist du doch auch

geflohen.“

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„Nur, um Hilfe herbeizuholen.“„Ach so! Wirst du den Platz wieder finden können,

wo ihr überfallen wurdet?“„Ja.“„So magst du uns begleiten.“„Darf ich mir von den Waffen der Indianer nehmen?“„Gewiss. Nimm dir auch ein Pferd von ihnen! Das

deine lassen wir frei, es ist zu sehr abgetrieben undwürde uns nur hinderlich sein.“

Man lockerte einem der Roten die Fesseln, damit ersich befreien konnte. Er mochte dann zusehen, wie ermit seinen Gefährten weiterkam. Die Gewehre wurdenmitgenommen. Die drei besten Pferde wurden dann be-stiegen, die übrigen freigelassen und der kleine Zugsetzte sich in Bewegung.

Es ging nach Norden, immer dem Rio Pecos zu. DerWeg führte zunächst durch offene Prärie, dann erhobsich eine Sierra vor ihnen, deren Berge bewaldet waren.Sie ritten durch Täler und Schluchten und gelangtengegen Abend auf eine Höhe, von der aus man eine kleineSavanne überblicken konnte.

„Uff!“, rief der Apatsche, der voranritt. „Sieh!“ Erstreckte die Hand aus und deutete hinab.

Dort lagerte ein Trupp Indianer, in dessen Mitte mandie Gefangenen erblickte. Der Deutsche nahm ein klei-nes Fernrohr aus der Tasche, stellte es, hob es an dasAuge und spähte hindurch.

„Was sieht mein weißer Bruder?“, fragte Bärenherz.„Neunundvierzig Komantschen und sechs Gefan-

gene.“„Sind die Frauen dabei?“„Ja, zwei. Wir werden sie am Abend befreien.“Der Indianer nickte.„Diese neunundvierzig Komantschen vermögen nicht

hundert Wachen aufzustellen“, fuhr der Trapper fort.„Dennoch wollen wir uns verbergen. Es könnten außer-

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dem noch andere Vaqueros entkommen sein. Die hatman gewiss auch verfolgt, und wenn die Verfolgerzurückkehren, würden sie uns leicht entdecken. Haltedie Pferde!“, wandte er sich an Domenico.

„Wir beide wollen zunächst dafür sorgen, dass unsereFährte verwischt wird.“

Unger kehrte mit Bärenherz eine Strecke des Weges,den sie gekommen waren, zurück, um die Hufspurenunsichtbar zu machen. Dann wurde im dichtestenGebüsch der Anhöhe ein Versteck ausgesucht, worin siesich mit ihren Tieren verbargen.

Die Sonne ging unter und es wurde Abend. Die fins-tere Nacht brach an und noch regte sich nichts in demVersteck. Die beste Zeit zum Überfall war kurz nach Mit-ternacht.

„Nun, hast du dir überlegt, wie es zu machen ist?“,fragte der Deutsche den Apatschen.

„Ja“, erklärte der Rote. „Mein Bruder kann eine Wacheüberwältigen, ohne dass sie einen Laut von sich gibt. Wirschleichen hinzu, beseitigen die Wachen, schneiden dieFesseln der Gefangenen durch und entfliehen mitihnen.“

„So wird es Zeit, denn das Anschleichen ist langwie-rig.“

„Aber Domenico bleibt zurück?“, fragte der Häupt-ling.

„Ja, er muss die Pferde halten.“„Wo erwartet er uns?“„Da, wo wir die Komantschen zuerst erblickten. Wir

müssen dort vorüber, da wir doch jedenfalls zum RioGrande zurückkehren.“

Die beiden mutigen Männer ergriffen ihre Gewehreund schritten davon, nachdem sie dem Vaquero die nöti-gen Anweisungen erteilt hatten.

Unten im Tal brannte ein einziges Wachfeuer, runddarum lagen die schlafenden Komantschen und bei