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1 © Historisches Museum Basel, 2020 hmb.ch BARFÜSSERKIRCHE 21. August 2020 bis 28. März 2021 Basel 1933–1945 Dossier für Lehrpersonen

Basel 1933–1945 Dossier für Lehrpersonen - HMB€¦ · hmb.ch˜˚˛˝˙ˆˇ˘˝˙ ˙˚ ˙ ˚ ˙ ˚ 1 BARFÜSSERKIRCHE 21. August 2020 bis 28. März 2021 Basel 1933–1945 Dossier

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  • 1© Historisches Museum Basel, 2020hmb.ch

    BARFÜSSERKIRCHE 21. August 2020 bis 28. März 2021

    Basel 1933–1945

    Dossier für Lehrpersonen

  • © Historisches Museum Basel, Version Juli 2020

    Cover: Grenzzaun zwischen Deutschland und der Schweiz, vermutlich im Rotengraben in Riehen, zwischen 1942 und 1945. Dokumentationsstelle der Gemeinde Riehen, RIE B.1. 10133-00, Foto: Adrian Stückelberger.

  • 3© Historisches Museum Basel, 2020

    Vorwort

    Liebe Lehrpersonen

    Im Mai 2020 jährten sich die Kapitulation Deutschlands und das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa zum 75. Mal. Zu diesem Anlass zeigt das Historische Museum Basel die Sonderausstel-lung ‹Grenzfälle – Basel 1933–1945›. Die Ausstellung eröffnet einen neuen Blick auf eine vielschichtige und manchmal wider-sprüchlich erscheinende Zeit.

    Wie reagierten Baslerinnen und Basler, Schweizer Be-

    hörden und lokale Unternehmen auf die nationalsozia-

    listische Diktatur? Wie verhielten sie sich zu einem

    Regime, das Millionen von Menschen verfolgte und er-

    mordete? Auf diese Fragen gibt es weder einfache

    noch pauschale Antworten. Um sie zu beantworten,

    muss man in die Tiefe gehen, den Einzelfall betrachten

    und ganz genau hinsehen. Nur so lassen sich konkrete

    Haltungen, Entscheide und Handlungen einzelner Indi-

    viduen erkennen.

    Diesem Grundsatz folgend wendet sich die Aus-

    stellung ‹Grenzfälle – Basel 1933–1945› den Geschich-

    ten und Schicksalen einzelner Menschen zu und macht

    diese anhand von eindrücklichen Objekten und Zeit-

    dokumenten greifbar. Themen wie Flucht, Wirtschafts-

    interessen, Opportunismus und Nationalstolz werden als

    gelebte Realitäten erschlossen und können im Hinblick

    auf Motive und Handlungsspielräume befragt werden.

    Damit erschliesst die Ausstellung ein Feld, auf dem

    die Zeit des Nationalsozialismus neu betrachtet werden

    kann. Gerade in unserer Gegenwart, in der antidemo-

    kratische Ideologien und die Verfolgung von Minder-

    heiten überall auf der Welt wieder erstarken, ist eine

    differenzierte Beschäftigung mit den Fragen, «was ist

    da genau geschehen und wie war das nur möglich?»

    und «welche Rolle spielte die Schweiz dabei?», unum-

    gänglich. Dafür will die Ausstellung ‹Grenzfälle – Basel

    1933–1945› eine Plattform bieten. Sie soll die Besuche-

    rinnen und Besucher auch dazu animieren, das eigene

    Tun und Handeln zu reflektieren und zu verstehen, wie

    fragil Menschenrechte, Solidarität und demokratische

    Freiheiten sind.

    Es ist uns ein besonderes Anliegen, möglichst viele

    junge Menschen in diese Ausstellung zu bringen und zu

    einer Auseinandersetzung mit der Thematik zu motivie-

    ren. In diesem Sinne möchten wir Sie als Lehrperson

    dazu einladen, uns mit Ihrer Klasse zu besuchen. Das

    vorliegende Dossier soll Sie dabei unterstützen, diesen

    Besuch optimal vorzubereiten und ihn zu einem wert-

    vollen Bildungserlebnis werden zu lassen.

    Basel, im Juli 2020

    Dr. Marc Fehlmann, Direktor

    Patrick Moser und Alexandra Heini,

    Ausstellungskurator und Assistenzkuratorin

  • 4© Historisches Museum Basel, 2020

    Zielgruppe Das Dossier richtet sich an Lehrpersonen der Sekundar-

    stufen I und II.

    InhaltDas Dossier ist im Hinblick auf einen Besuch der Aus-

    stellung im Rahmen des Schulunterrichts konzipiert

    und soll Ihnen als Lehrperson ermöglichen, sich einen

    Überblick über Thematik und Aufbau der Ausstellung

    zu verschaffen. Zudem enthält es Anregungen und aus-

    gewählte Materialien, die zur Vorbereitung im Unter-

    richt eingesetzt werden können. Für den Ausstellungs-

    besuch selbst bietet das Historische Museum Basel

    spezifisch für Schulklassen konzipierte Formate an.

    Der erste Teil des Dossiers enthält neben allgemei-

    nen Informationen zur Ausstellung und zum Vermitt-

    lungsangebot einen Überblick über die Thematik und

    den Aufbau der Ausstellung.

    Im zweiten Teil wird anhand von Einführungstexten,

    Bildmaterial und Vertiefungsfragen ein Grundwissen um-

    rissen, dessen Vermittlung im Hinblick auf den Ausstel-

    lungsbesuch empfohlen wird.

    Rückmeldungen Ihre Meinung zum Dossier interessiert uns. Wir freuen

    uns über Ihre Rückmeldungen, die Sie uns jederzeit

    unter [email protected] zukommen lassen

    können.

    Zum Dossier

  • 5© Historisches Museum Basel, 2020

    Lage und Anreise Historisches Museum Basel

    Barfüsserkirche

    Barfüsserplatz 7

    CH – 4001 Basel

    Tram 3, 6, 8, 11, 14, 15, 16, 17 bis Barfüsserplatz

    Tram 10 bis Theater

    Tram 2 bis Bankverein

    Öffnungszeiten Für Schulklassen stehen exklusive Zeitfenster zur Ver-

    fügung. Unser Sekretariat gibt Ihnen gerne Auskunft.

    KontaktHistorisches Museum Basel

    Direktion & Verwaltung

    Steinenberg 4

    Postfach

    CH – 4001 Basel

    Zentralsekretariat: +41 61 205 86 00

    [email protected]

    Websitewww.hmb.ch

    www.grenzfaelle.ch

    BegleitpublikationZur Ausstellung erscheint im Christoph Merian Verlag

    eine Begleitpublikation, die sich an eine breite Leser-

    schaft richtet. Das Verhältnis von Baslerinnen und Bas-

    lern, Schweizer Behörden und lokalen Unternehmen

    zum Nationalsozialismus und zum NS-Staat wird seit

    vielen Jahren intensiv erforscht und diskutiert und be-

    schäftigt die Menschen bis heute. Das reich bebilderte

    Buch versammelt Beiträge von vierzehn Autorinnen und

    Autoren und bietet in kompakter Form Einblicke in den

    aktuellen Wissensstand über die Situation Basels zur

    Zeit des Nationalsozialismus. Die Begleitpublikation ist

    im Museumsshop und im Buchhandel erhältlich.

    Grenzfälle – Basel 1933–1945, hg. von Patrick Moser und Alexandra Heini für das Historische Museum Basel, Christoph Merian Verlag, Basel 2020, fester Einband, 284 Seiten, 19 x 24 x 3 cm, ISBN 978-3-85616-916-9, CHF 39.–

    Die Begleitpublikation wurde gedruckt mit Unterstüt-

    zung der Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel

    Allgemeine Informationen

    Theaterstrasse

    Barfüsserplatz

    Leonhards-kirchplatz

    Kohlen

    berg

    Steinenvorstadt

    Elisabethenstrasse

  • © Historisches Museum Basel, 2020 6

    Ausstellungsbesuch mit WorkshopDer Ausstellungsbesuch dauert 90 Minuten und bietet

    den Schülerinnen und Schülern nach einer Kurzführung

    die Möglichkeit, sich eigenständig und vertieft mit einem

    bestimmten Thema auseinanderzusetzen. In Kleingruppen

    diskutieren sie anhand verschiedener Materialien ein be-

    stimmtes Exponat und teilen das erarbeitete Wissen an-

    schliessend mit der Klasse. Zu diesem Zweck werden vor

    Ort Plakate erstellt, in denen das jeweilige Exponat in

    seinen geschichtlichen Kontext eingebettet und in sei-

    ner Bedeutung verständlich gemacht wird.

    Führungen Eine Führung für Schulklassen dauert 60 Minuten und

    bietet den Schülerinnen und Schülern einen Überblick

    über die verschiedenen Themen der Ausstellung. Dabei

    kommen die unterschiedlichen Facetten dieser Zeit zur

    Sprache: die Flucht in die Schweiz, die jüdische Be-

    völkerung in Basel, die Geistige Landesverteidigung,

    die wirtschaftlichen und ideologischen Verbindungen

    Basels nach Deutschland und der Alltag in Basel zur

    Zeit des Krieges.

    Auf Wunsch bieten wir Ihnen auch Spezialführungen zu

    einem bestimmten Schwerpunkt an.

    Preise Schulen Basel-Stadt sowie Schulen aus dem Tarifver-

    bund Nordwestschweiz: gratis

    Schulen aus anderen Kantonen und Ländern:

    CHF 180.–, zzgl. Eintrittspreis von CHF 5.– pro Person

    (max. CHF 90.–)

    Anmeldung Anmeldungen unter:

    +41 61 205 86 00 / [email protected]

    Beispiel Plakat

    Vermittlungsangebot für Schulklassen

    Das Historische Museum Basel bietet im Rahmen der Ausstellung ‹Grenzfälle – Basel 1933–1945› einen Ausstellungsbesuch mit Work- shop sowie klassische Führungen an.

    Sonderausstellung Grenzfälle

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    Das hat uns am Objekt / Thema überrascht:

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    klar erscheint?

    Gibt es Bedrohungen, die euch Angst machen? Welche sind das und wie sollten wir uns eurer Meinung nach am besten davor schützen?

    Namen:

  • © Historisches Museum Basel, 2020

    Inhaltsverzeichnis

    Die Ausstellung Ausgangslage und Anliegen 9

    Themenbereiche

    - befürworten und ablehnen – Themenbereich Politik 10

    - kaufen und verkaufen – Themenbereich Wirtschaft 11

    - einschliessen und abgrenzen – Themenbereich 12

    Geistige Landesverteidigung

    - vorsorgen und reagieren – Themenbereich Krieg 13

    - abwehren und helfen – Themenbereich Jüdisches Basel 14

    - aussperren und kontrollieren – Themenbereich Flucht 15

    Ausstellungsplan 16

    Materialien zur Vor- und Nachbereitung im Unterricht Allgemeines zu den Materialien

    Bezüge zum Lehrplan 20

    Materialien

    - Nationalsozialismus in Deutschland 21

    - Ideologie 22

    - Regime 24

    - Bevölkerung 26

    - Opfer des Nationalsozialismus 28

    Glossar 31

    Literaturhinweise 32

    Impressum 33

    19

    7

  • 8© Historisches Museum Basel, 2020

  • 9© Historisches Museum Basel, 2020

    Ausgangslage und Anliegen

    Die Notwendigkeit, sich der Zeit des Nationalsozia-

    lismus immer wieder zu erinnern und sich stets aufs

    Neue mit ihr auseinanderzusetzen, wurde gerade in

    jüngster Zeit wieder deutlich. Wir leben in einer Zeit,

    in der Extremismus und ideologisches Denken wieder

    salonfähig sind, in der Antisemitismus und Rassismus

    ihren festen Platz in der Gesellschaft haben und in der

    vermeintlich verbindliche Normen und Werte wie die

    Menschenrechte zur Debatte stehen. Eine Beschäfti-

    gung mit den Themen Nationalsozialismus und Zweiter

    Weltkrieg drängt sich daher nicht nur aufgrund des

    Jahrestags des Kriegsendes auf, sondern auch mit Blick

    auf unsere eigene Lebenswelt. Es ist nicht zuletzt diese

    Feststellung, die hinter dem Vorhaben steht, die Jahre

    der nationalsozialistischen Herrschaft zwischen 1933 und

    1945 mit einem Fokus auf die Stadt Basel neu und für ein

    breites Publikum zu beleuchten.

    Ausgehend von dieser lokalen Perspektive werden

    die vielfältigen Verbindungen zwischen der Schweiz und

    dem nationalsozialistischen Deutschland in ihren ver-

    schiedenen Facetten beleuchtet und in den Kontext

    der neuesten Forschungsergebnisse gestellt. Der Blick

    richtet sich dabei bewusst auf Akteurinnen und Ak-

    teure. Im Zentrum stehen konkrete Individuen, Behör-

    den, Unternehmen und weitere Institutionen. Dieser

    Fokus erleichtert den Schülerinnen und Schülern den

    Bezug zur eigenen Lebenswelt und regt eine Reflexion

    an, die das eigene Sein und Tun in ein Verhältnis zu ge-

    schichtlichen Ereignissen zu setzen vermag.

    Die Ausstellung beginnt mit Spuren in der Gegenwart.

    Gezeigt werden dabei Bilder und Motive aus dem heu-

    tigen Alltag, die bewusst oder unbewusst auf die Zeit

    des Nationalsozialismus Bezug nehmen, in der Tradition

    der betrachteten Zeit stehen oder in ihr ihre Ursprünge

    haben.

    Nach diesem Auftakt folgt eine Auseinandersetzung

    mit dem Nationalsozialismus. In drei Kurzfilmen werden

    das Umfeld, die Entstehung und die Etablierung des

    NS-Regimes erläutert. Zudem werden anhand von Ori-

    ginalobjekten Ideologie, Regime und Bevölkerung als

    zentrale Elemente des Nationalsozialismus erklärt.

    Den Hauptteil der Ausstellung bilden schliesslich

    sechs Themenbereiche, die anhand eindrücklicher Ex-

    ponate und Originaldokumente beleuchtet werden. Die

    Themenbereiche werden auf den folgenden Seiten des

    Dossiers anhand der Einleitungstexte aus der Ausstel-

    lung sowie Bildern ausgewählter Objekte vorgestellt. Bei

    den abgebildeten Objekten handelt es sich ausnahms-

    los um Objekte, die in der Ausstellung zu sehen sind.

    Die Ausstellung

  • 10© Historisches Museum Basel, 2020

    befürworten und ablehnen – Themenbereich Politik

    Die Basler Politik bewegte sich zwischen Alltagsgeschäften, Ausnahme- situationen und Reaktionen auf Nationalsozialismus und Kommu- nismus. In der Stadt gab es eine starke Arbeiterbewegung aus Sozial- demokraten und Kommunisten. Seit 1935 gehörten vier der sieben Regierungsräte der Sozialdemokratischen Partei an. Im Grossen Rat waren die Verhältnisse ausgeglichener.

    Die NSDAP hatte einen Ableger in Basel und es gab rechtsextreme Frontistenorganisationen. Zwischen den Kommunisten und den Nationalsozialisten kam es mehrfach zu gewaltsamen Auseinander- setzungen. Die Behörden beurteilten beide Gruppen als Gefahr für die Neutralität und die Demokratie. Die Kantons- und die Bundespolitik pflegten einen zwiespältigen Umgang mit ihnen: Während sie die Kommunistische Partei und die Frontisten verboten, liessen sie die NSDAP bis Kriegsende gewähren.

    Karte der Hitlerjugend Standort Baselzwischen 1933 und 1945 // Künstler: Jacques Buser-Kobler // HMB, Inv. 2019.417.

    Themenbereiche

  • 11© Historisches Museum Basel, 2020

    kaufen und verkaufen – Themenbereich Wirtschaft

    Deutschland war einer der wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Chemie- und Pharmaunternehmen, Banken und Versicherungen pflegten intensive wirtschaftliche Beziehungen ins Nachbarland. Einige Firmen besassen in Deutschland und in den später besetzten Ge- bieten Tochtergesellschaften und Fabriken. Um ihre Geschäfte nicht zu gefährden, passten sich manche Unternehmen rasch den Vor- gaben der Nationalsozialisten an. Sie handelten mit Raubgold, lieferten Waren an NSDAP und Wehrmacht und widersetzten sich Enteig- nungen nicht. Die Grenznähe machte Basel zum idealen Treffpunkt für Geschäftsverhandlungen.

    Der Bund bereitete sich seit Mitte der 1930er-Jahre auf einen mög- lichen Krieg vor. Mit Kriegsbeginn 1939 änderte sich die Situation grund- legend. Lokale Unternehmen waren von Rohstofflieferungen ab- geschnitten und wurden der Rationierung unterstellt. Seit die Schweiz im Sommer 1940 von den Achsenmächten umgeben war, nahm ihre Abhängigkeit von Deutschland und Italien noch einmal deutlich zu. Ab 1942 ergriffen die Behörden Massnahmen, um eine Wirtschafts- krise und Arbeitslosigkeit nach Kriegsende zu verhindern.

    Neocid-Trix-Spritze (DDT)um 1950 // Hersteller: J.R. Geigy AG // HMB, Inv. 2019.533.

    Verpackungsdose für Calcium-D-Redoxon (Vitamin C)um 1950 // Hersteller: F. Hoffmann-La Roche & Co. AG // Privatbesitz.

    Farbmuster mit Polarrot Gzwischen 1930 und 1950 // Hersteller: J.R. Geigy AG // Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, Inv. 1274.

    Themenbereiche

  • 12© Historisches Museum Basel, 2020

    einschliessen und abgrenzen – Themenbereich Geistige Landesverteidigung

    In den 1930er-Jahren forderten Politiker, Intellektuelle und Journa- listen die Stärkung von Werten und Bräuchen, die als ‹schweizerisch› wahrgenommen wurden. Unter dem Schlagwort der ‹Geistigen Landesverteidigung› entstand eine Bewegung zur Wahrung der Un- abhängigkeit der Schweiz. Was diese Schweiz ausmache, hielt Bundesrat Philipp Etter 1938 programmatisch fest: die gleichzeitige Zugehörigkeit zum deutschen, französischen und italienischen Kulturraum, die föderale Demokratie sowie die Würde und Freiheit des Menschen.

    Einen Höhepunkt fand die Bewegung in der ‹Schweizerischen Landes- ausstellung› 1939 in Zürich, die von über 10 Millionen Menschen besucht wurde. Die ‹Geistige Landesverteidigung› sollte die ganze Bevölkerung über die Parteigrenzen hinweg einbeziehen. Um dies zu erreichen, musste ihr Programm offen und unkonkret bleiben. Ein- bindung hiess jedoch auch Ausgrenzung: Für extreme politische Haltungen, Kritik am Bundesstaat und Ausländer war in diesem Ver-ständnis der Schweiz als Nation kein Platz.

    Rudolf Kappenbergers Trikot der Schweizer Fussballnationalmannschaftum 1942 // Privatbesitz Prof. Dr. Lukas Kappenberger, Lausanne.

    Themenbereiche

  • 13© Historisches Museum Basel, 2020

    Rudolf Kappenbergers Trikot der Schweizer Fussballnationalmannschaftum 1942 // Privatbesitz Prof. Dr. Lukas Kappenberger, Lausanne.

    vorsorgen und reagieren – Themenbereich Krieg

    Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg. Der Bundesrat ordnete umgehend die allgemeine Mobilmachung an. Am nächsten Tag rück- ten über 400’000 Soldaten in den ‹Aktivdienst› ein. Im Mai 1940 begann der deutsche Angriff auf Frankreich. Aus Angst vor einem deutschen Einmarsch verliessen 25’000 Menschen die Stadt Basel. Frankreich kapitulierte bereits einen Monat später. Mit dem Kriegs- eintritt Italiens im selben Jahr war die Schweiz weitgehend von kriegführenden Ländern umschlossen. Die Armee änderte ihre Ver- teidigungsstrategie und zog sich ins Réduit im Alpenraum zurück. Basel sollte nicht mehr militärisch verteidigt werden und war bis Kriegsende eine ‹offene Stadt›.

    Der Krieg in den umliegenden Ländern wirkte sich auf den Alltag der Basler Bevölkerung aus. Prägende Erlebnisse waren die Ratio- nierung, die ‹Anbauschlacht›, der Militärdienst und Momente der Angst. Die Baslerinnen und Basler lebten während des Kriegs zwischen Ausnahmezustand und Normalität.

    Basler Notfallapotheke für den Hausluftschutzzwischen 1935 und 1945 // HMB, Inv. 2007.267.

    Themenbereiche

  • 14© Historisches Museum Basel, 2020

    abwehren und helfen – Themenbereich Jüdisches Basel

    Seit Anfang des 19. Jahrhunderts gab es in Basel wieder eine jüdische Gemeinde. Rechtliche Gleichstellung erhielten Juden allerdings erst ab den 1860er-Jahren. Im frühen 20. Jahrhundert kamen Juden aus Osteuropa in die Stadt. Sie waren arm und wenig integriert, während die schon länger ansässigen Juden der Mittel- und Oberschicht an- gehörten.

    Ende 1933 hatte Basel fast 170’000 Einwohnerinnen und Einwohner. Rund 1,7 Prozent von ihnen waren jüdischen Glaubens. Viele von ihnen lebten ihren Alltag ähnlich wie die christliche Mehrheit. Zugleich waren sie in vielen Bereichen antisemitischen Vorurteilen, Fremden- feindlichkeit und Ausgrenzung ausgesetzt. Mit dem Aufstieg der Na- tionalsozialisten kam die öffentliche Hetze der Frontisten als neue Form der Judenfeindschaft hinzu. Die Israelitische Gemeinde Basel wehrte sich mit juristischen Mitteln dagegen. Gleichzeitig musste sie die Verantwortung für die nach Basel geflüchteten Juden über- nehmen. Sie baute eine eigene Flüchtlingshilfe auf, was eine grosse finanzielle und praktische Belastung war. Hinzu kam die Sorge um Verwandte und die Glaubensgemeinschaft in ganz Europa.

    Porträt des Metzgermeisters Hermann Hess um 1970 // Künstlerin: Rachel Timor // HMB, Inv. 2019.470.

    Themenbereiche

  • 15© Historisches Museum Basel, 2020

    Themenbereiche Themenbereiche

    aussperren und kontrollieren – Themenbereich Flucht

    Basels grüne Grenze und die deutsche Bahnlinie von Lörrach über den Badischen Bahnhof nach Weil waren wichtige Fluchtwege. Die Flucht in die Schweiz setzte bereits Anfang 1933 ein. Bis 1945 kamen rund 296’000 Ausländer ins Land. Juden, Sinti und Roma, politische Gegner, Künstler und andere Gruppen flohen vor Verfol- gung und Ermordung aus NS-Deutschland. Gegen Kriegsende reisten vermehrt Kriegsflüchtlinge ein. Die Betreuung der Flücht- linge übernahmen oft nichtstaatliche Organisationen und private Helfer. Sie unterstützten teilweise auch die Planung und Durch- führung einer legalen oder illegalen Flucht.

    Ein gelungener Grenzübertritt war keine Garantie, in der Schweiz bleiben zu dürfen. Die Schweiz sah sich als Durchgangs- und nicht als Aufnahmeland. Der Umgang mit Flüchtlingen seitens der Be- hörden änderte sich immer wieder. Insgesamt war die Schweizer Flüchtlingspolitik fremden- und judenfeindlich. Im August 1942 wurde die Grenze für Flüchtlinge «nur aus Rassegründen, z.B. Juden» geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Behörden bereits von den Deportationen nach Osteuropa.

    Stacheldraht vom Grenzzaun zwischen Deutschland und der SchweizZwischen 1942 und 1945 // Sammlung Dreiländermuseum Lörrach, Inv. E 1048.

  • 16© Historisches Museum Basel, 2020

    Ausstellungsplan

    2

    3

    5 6 7

    89

    1. Spuren in der Gegenwart

    2. Vitrine – Nationalsozialismus

    3. Kurzfilme – Nationalsozialismus

    4. Einleitungstext

    5. befürworten und ablehnen

    6. kaufen und verkaufen

    7. einschliessen und abgrenzen

    8. teilhaben und nutzen

    9. vorsorgen und reagieren

    10. abwehren und helfen

    11. aussperren und kontrollieren

    12. Abschluss

    Multimediastationen

    Erdgeschoss

    Untergeschoss

    1

  • 17© Historisches Museum Basel, 2020

    Materialien zur Vor- und Nachbereitung im Unterricht

    Schulunterricht in einem Basler Klassenzimmerzwischen 1939 und 1945 // Foto: Foto Hoffmann, Basel // Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1045i 12-35 1.

  • 18© Historisches Museum Basel, 2020

  • 19© Historisches Museum Basel, 2020

    Allgemeines zu den Materialien Um den Schülerinnen und Schülern einen optimalen Ein-

    stieg in die Ausstellung zu ermöglichen, empfiehlt es

    sich, vor dem Besuch die folgenden Themen und Be-

    grifflichkeiten im Unterricht zu behandeln:

    - Der Nationalsozialismus in Deutschland

    - Die Ideologie des Nationalsozialismus

    - Das nationalsozialistische Regime

    - Die Bevölkerung während des Nationalsozialismus

    - Die Opfer des Nationalsozialismus

    Auf den folgenden Seiten findet sich zu jedem dieser

    Themen ein einführender Kurztext, der grundlegendes

    Sachwissen enthält. Die Themen können zudem um eine

    Schweizer- bzw. Basler-Perspektive erweitert werden.

    Auch dazu gibt es Kurztexte, welche die folgenden As-

    pekte einschliessen:

    - Nationalsozialistische Ideologie, Fremdenfeindlichkeit

    und Antisemitismus in der Schweiz

    - Einschränkungen der Schweizer Demokratie unter

    dem Vollmachtenregime

    - Die NSDAP in Basel

    Kursiv gesetzte Begriffe sind im Glossar (S. 30) erläutert.

    Als weitere Ebene finden sich zu den jeweiligen Themen

    schliesslich einige Fragen zur Vertiefung. Diese bieten

    Anknüpfungspunkte an aktuelle Themen wie Rassismus,

    Populismus und Demokratiefeindlichkeit und eignen sich

    für eine reflektierende Nachbereitung des Ausstellungs-

    besuchs besonders gut. Damit die Fragen an die jeweili-

    ge Schulstufe und den Wissensstand angepasst werden

    können, sind sie je nach Komplexitätsgrad in drei Kate-

    gorien gegliedert:

    grundlegend

    weiterführend

    vertiefend

    Die folgenden Materialien sind als Anknüpfungs- und

    Ausgangspunkt für eine Thematisierung der entsprechen-

    den Inhalte im Unterricht und nicht als fertige Arbeits-

    blätter konzipiert. Das hat den Vorteil, dass sie sich

    flexibel an die jeweilige Altersstufe und das eventuell

    vorhandene Vorwissen anpassen und entsprechend ope-

    rationalisieren lassen. Da diese Art der didaktischen Auf-

    arbeitung in der Zusammenstellung bereits mitgedacht

    ist, sollte sie auch ohne grössere Mühe möglich sein.

    Schiefertafeln für die Schule1. Hälfte 20. Jh. // HMB, Inv. 2006.61.1.-2.

    Materialien

  • 20© Historisches Museum Basel, 2020

    Zyklus 3, Lehrplan 21 (7.– 9. Klasse)

    RZG 6.3

    Die Schülerinnen und Schüler können ausgewählte Phä-

    nomene der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts

    analysieren und deren Relevanz für heute erklären.

    RZG 7.1

    Die Schülerinnen und Schüler können sich an ausser-

    schulischen geschichtlichen Bildungsorten zurechtfin-

    den und sie zum Lernen nutzen.

    ERG 1.1

    Die Schülerinnen und Schüler können menschliche

    Grunderfahrungen beschreiben und reflektieren.

    ERG 2.2

    Die Schülerinnen und Schüler können Regeln, Situa-

    tionen und Handlungen hinterfragen, ethisch beurteilen

    und Standpunkte begründet vertreten.

    ERG 3.2

    Die Schülerinnen und Schüler können Rolle und Wirkun-

    gen von Religionen und Religionsgemeinschaften in ge-

    sellschaftlichen Zusammenhängen einschätzen.

    Allgemeiner Rahmenlehrplan

    der Gymnasien Basel-Stadt

    Die Schülerinnen und Schüler können die Entstehungs-

    weisen, Ausformungen und Probleme von (politischer,

    wirtschaftlicher, gesellschaftlicher) Macht und Möglich-

    keiten von Machtbegrenzung (z.B. Rechtsstaatlichkeit,

    Menschenrechte, Demokratie) analysieren.

    (Grundlagenfach Geschichte, 2.2. Historische Prozesse, Ereignisse und Machtstrukturen)

    Bezüge zum Lehrplan

    Materialien

  • 21© Historisches Museum Basel, 2020

    Nationalsozialismus in Deutschland

    Von 1933 bis 1945 herrschte in Deutschland die Nationalsozialis- tische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). An ihrer Spitze stand Adolf Hitler, der am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde. Ab diesem Zeitpunkt baute die NSDAP mit Zustimmung breiter Teile der deutschen Bevölkerung eine Diktatur auf. Ihr Ziel war die Aus- grenzung und später die Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen sowie die Ausdehnung des deutschen Staatsgebiets mit kriege- rischen Mitteln. Nach der Eingliederung Österreichs 1938 begannen die Nationalsozialisten mit dem Angriff auf Polen im September 1939 den Zweiten Weltkrieg. In kurzer Zeit dehnte Deutschland seine Macht über weite Teile Europas aus. Die bedingungslose Kapitu- lation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 beendete nicht nur den Krieg, sondern auch die NS-Herrschaft. Dieser waren Millionen von Menschen zum Opfer gefallen.

    Hakenkreuzfahne der NSDAP Lörrach zwischen 1933 und 1945 // Sammlung Dreiländermuseum Lörrach // Inv. F 0138.

    Materialien

  • 22© Historisches Museum Basel, 2020

    Ideologie

    Der Nationalsozialismus ist eine rassistische, antisemitische, natio- nalistische und antidemokratische Ideologie. Ihr Kern ist die Vor- stellung, dass es verschiedene ‹Menschenrassen› von unterschied- lichem Wert gibt. Die Nationalsozialisten sahen die deutsche ‹Rasse› als allen anderen überlegen an. Damit rechtfertigten sie die Ausgren- zung, Verfolgung und Ermordung von Millionen von Menschen. Ihr Hauptfeindbild waren die Juden. Sie verfolgten aber auch Roma und Sinti, Menschen mit Behinderungen, politische Gegner und Homo- sexuelle. Die Nationalsozialisten wollten eine ‹reine Volksgemeinschaft› schaffen, die sich zum Nationalsozialismus bekennt. An ihrer Spitze stand Adolf Hitler. Er war nicht nur Staatsoberhaupt und oberster Be- fehlshaber, sondern wurde von der NS-Propaganda auch als ‹Führer› und ‹Erlöser› des deutschen Volks dargestellt.

    Sogenannter «Stürmerkasten», indem die antisemitische Hetzzeitung ‹Der Stürmer› aushingwohl 1935 // Deutsches Bundesarchiv, Bild 133-075

    Materialien

  • 23© Historisches Museum Basel, 2020

    Sogenannter «Stürmerkasten», indem die antisemitische Hetzzeitung ‹Der Stürmer› aushingwohl 1935 // Deutsches Bundesarchiv, Bild 133-075

    Im Frühling 1933 entstanden in der Schweiz verschiedene rechts- extreme Gruppen, die rassistische und antisemitische Vorstellungen propagierten. Der Volksbund, der sich den Beinamen ‹National- sozialistische Schweizerische Arbeiterpartei› gab, war auch in Basel aktiv. Er hielt Versammlungen ab, verbreitete eine Zeitung und Flug- blätter mit Hetze und brachte Schmierereien am Lehrhaus der Israelitischen Gemeinde Basel an. Dagegen ging die jüdische Ge- meinschaft erfolgreich juristisch vor. Fremdenfeindlichkeit und Anti- semitismus waren auch in der Politik und bei den Behörden verbreitet. Die Ausländerpolitik verschrieb sich dem Ziel, eine ‹Überfremdung› der Schweiz zu verhindern, obwohl nie deutlich formuliert wurde, was damit gemeint sei. Die Schweiz sah sich als Transitland, nicht als Aufnahmeland. Flüchtlinge waren bestenfalls geduldet und soll- ten möglichst rasch weiterreisen. Wer vorübergehend oder länger bleiben konnte, wurde in der Regel interniert und stand unter stren- ger Kontrolle. Als viele jüdische Menschen aus Deutschland und den besetzten Gebieten flüchten mussten, wurde ihnen die Einreise in die Schweiz besonders erschwert oder sogar verunmöglicht.

    grundlegend weiterführend vertiefend

    NS - Ideologie und Antisemitismus in der Schweiz

    - Gibt es heute noch Menschen, die als minderwertig

    betrachtet werden? Um welche Gruppen handelt es

    sich? Was könnten die Gründe dafür sein?

    - Wie könnte man deiner Ansicht nach am besten ver-

    hindern, dass sich menschenverachtende Ideologien

    wie der Nationalsozialismus verbreiten?

    - Die Annahme, dass es verschiedene menschliche

    ‹Rassen› von unterschiedlichem Wert gibt, ist wissen-

    schaftlich nicht haltbar. Trotzdem gibt es noch heute

    Menschen, die dies glauben. Wie erklärst du dir das?

    - «Alle Menschen sollten das Recht haben, ihre Meinung

    frei zu äussern, auch wenn diese rassistisch oder

    antisemitisch ist!» - was würdest du auf diese Forde-

    rung erwidern?

    Fragen zur Vertiefung

    Materialien

  • 24© Historisches Museum Basel, 2020

    Regime

    Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler gestalteten die Nationalsozialisten Staat und Gesellschaft radikal zur Diktatur um. Andere Parteien, Gewerkschaften und die unabhängige Presse wurden verboten. Politische Gegner und Andersdenkende wurden verhaftet und Juden aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Be- reits ab 1933 errichteten die Nationalsozialisten ein System von Konzentrationslagern. Sie setzten brutale Gewalt ein und verab- schiedeten zahlreiche Gesetze, um den Anschein von Rechtsstaat- lichkeit zu wahren. Ein zentraler Bestandteil der NS-Aussenpolitik war die Aufrüstung der Wehrmacht. Das Regime bereitete sich schon früh auf einen Krieg vor. Osteuropa sollte als neuer ‹Lebensraum› erobert und als Kornkammer des Reichs ausgebeutet werden.

    Fotografie Adolf Hitlers20. April 1937 // Deutsches Bundesarchiv, Bild 183-S33882.

    Materialien

  • 25© Historisches Museum Basel, 2020

    Der schnelle Umbau Deutschlands zur Diktatur und die Erkenntnis, dass das NS-Regime die Wehrmacht für einen neuen Krieg aufrüs- tete, prägten die Schweizer Politik massgeblich. Die Neutralität wurde sehr wichtig – als aussenpolitisches Instrument und als Wert, der den Bürgern vermittelt wurde. Der Schutz dieser Neutralität und der Un- abhängigkeit der Schweiz wurde ab Kriegsbeginn zum Argument für eine Einschränkung der demokratischen Rechte und Prozesse im Land. Der Bundesrat erhielt vom Parlament umfassende Vollmachten und konnte Gesetze ohne dessen Zustimmung verabschieden. Dadurch konnte er während des Kriegs schnell handeln. Allerdings nutzte der Bundesrat diese Befugnisse sehr grosszügig und hatte viel grösseren Einfluss, als es in der Schweizer Verfassung vorgesehen war. Dies bedeutete auch, dass die Kantone in ihrem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt waren.

    - Welche aktuellen Beispiele für die Unterdrückung von

    politisch Andersdenkenden kennst du?

    - Kennst du aktuelle Beispiele oder Situationen, in de-

    nen bestimmte Befugnisse ausserordentlich an den

    Bundesrat übertragen werden? Wieso geschieht dies?

    - Wer sorgt in der Schweiz dafür, dass die Medien und

    die Bevölkerung ihre Meinung frei äussern dürfen?

    - Welche Bedeutung hat die Neutralität im heutigen

    politischen Diskurs?

    Ein Diktator als Nachbar –

    Schweizer Politik während der NS-Diktatur

    Fragen zur Vertiefung

    grundlegend weiterführend vertiefend

    Materialien

  • 26© Historisches Museum Basel, 2020

    Bevölkerung

    Aus der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 ging die NSDAP mit 37,3 Prozent der Stimmen als stärkste Partei hervor. Weite Teile der deutschen Bevölkerung begrüssten ihre Politik auch in den folgenden Jahren oder nahmen diese zumindest hin. Die Nationalsozialisten durch- drangen und kontrollierten mit ihrer Ideologie der ‹Volksgemein- schaft› den Alltag der Deutschen. Massenveranstaltungen und Pro- paganda sollten den Rückhalt des Regimes in der Bevölkerung stärken und aufrechterhalten. Kinder wurden ebenso in das System eingebunden wie Erwachsene. Das Gefühl der Zugehörigkeit zur ‹Volksgemeinschaft› sowie wirtschaftliche und aussenpolitische Erfolge förderten die Zustimmung zum Regime. Manche Deutsche unter- stützten die Nationalsozialisten auch aus Angst vor Strafmassnahmen. Erst nach der Niederlage in der Schlacht von Stalingrad Anfang 1943 nahm die Zustimmung der Bevölkerung zum NS-Staat deutlich ab.

    Hakenkreuzflagge am Turm des Badischen Bahnhofszwischen 1933 und 1935 // Foto: Foto Hoffmann // Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1045i 13-3 1

    Materialien

  • 27© Historisches Museum Basel, 2020

    1933 lebten bis zu 20’000 Deutsche in Basel. Es gab auch eine Ortsgruppe der NSDAP, die Teil der sogenannten Auslandsorganisa- tion war. Sie sollte möglichst viele Deutsche, die nicht in Deutschland lebten, in die ‹Volksgemeinschaft› einbinden. Die NSDAP Basel bot die gleichen Aktivitäten an wie die Mutterpartei in Deutschland. Die Hitlerjugend hielt in den Langen Erlen Übungen ab und organisierte Sommerlager, Frauen konnten kostenlos Haushaltskurse besuchen, und an Feiertagen, z.B. Hitlers Geburtstag, wurden Feste veranstaltet. Zunächst war die Ortsgruppe im Badischen Bahnhof untergebracht, 1941 bezog sie ein grosses Gebäude in der St. Alban-Vorstadt. Das ‹Deutsche Heim› wurde von den Baslern ‹Braunes Haus› genannt, angelehnt an die braunen Hemden der SA. Die Anwesenheit der Nationalsozialisten wurde von der Basler Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt, besonders in den ersten Jahren kam es zu Protestaktionen.

    - Was würde heute wohl passieren, wenn am Badischen

    Bahnhof eine Hakenkreuzfahne aufgehängt würde?

    Wie würdest du darauf reagieren?

    - Existiert in der heutigen Schweiz so etwas wie die Idee

    einer ‹Volksgemeinschaft›? Sind solche Ideen in jedem

    Fall gefährlich?

    - Die NSDAP wurde in der Reichstagswahl von Juli 1932

    zur stärksten Partei. Was könnten die Gründe dafür

    sein, dass eine undemokratische Partei in einer demo-

    kratischen Wahl einen solchen Erfolg erzielt?

    Nationalsozialisten in Basel

    Fragen zur Vertiefung

    grundlegend weiterführend vertiefend

    Materialien

  • 28© Historisches Museum Basel, 2020

    Opfer des Nationalsozialismus

    Die Nationalsozialisten verfolgten hunderttausende Menschen, weil sie sich dem Regime widersetzten oder ihr Verhalten den national- sozialistischen Vorstellungen widersprach. Im Zentrum der NS-Ideo- logie standen jedoch Antisemitismus und Rassismus. Ihnen fielen Millionen von Menschen zum Opfer. Bereits 1933 errichtete das NS- Regime erste Konzentrationslager (KZs). Bis 1935 wurden dort vor allem politische Gegner inhaftiert, misshandelt und zu Tode gequält. Ab 1936 folgten jene Gruppen, die nicht der Vorstellung der ‹deu- tschen Volksgemeinschaft› entsprachen: ‹Asoziale›, kriminelle Wieder- holungstäter, homosexuelle Männer und Zeugen Jehovas. Die Ver- schleppung von deutschen und österreichischen Juden in KZs setzte 1938 ein. Ab 1939 wurde die jüdische Bevölkerung der besetzten Gebiete in sogenannten ‹Ghettos› gesammelt. Zahlreiche Menschen aus den eroberten Gebieten wurden in neu geschaffenen KZs in- haftiert, darunter viele Juden, Roma und Sinti. Im Herbst 1941 setzte die systematische Deportation von Juden in die Vernichtungslager in Osteuropa ein, bevor Anfang 1942 der Massenmord an den Juden und anderen verfolgten Bevölkerungsgruppen begann. Allein in den Vernichtungslagern ermordeten die Nationalsozialisten mehr als drei Millionen Menschen. Die nebenstehenden Zahlen zeigen das Aus- mass der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Die Zahl der jüdi- schen Opfer ist am besten erforscht. Zu den anderen Gruppen finden sich je nach Quelle und Kategorisierung unterschiedliche Angaben.

    Materialien

  • 29© Historisches Museum Basel, 2020

    Jüdinnen und Juden 6 Millionen

    Sowjetische Zivilistinnen und Zivilisten etwa 5,7 Millionen

    Sowjetische Kriegsgefangene etwa 3 Millionen

    Nichtjüdische polnische Zivilistinnen und Zivilisten etwa 1,8 Millionen

    Menschen mit Behinderungen bis zu 250’000

    Roma und Sinti zwischen 220’000 und 500’000

    Kriminelle Wiederholungstäter und sogenannte ‹Asoziale› mindestens 70’000

    QuellenUnited States Holocaust Memorial Museum, Washington, DC. Version vom 4. Februar 2019, Online https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/documenting-numbers-of-victims-of-the-holocaust-and-nazi-persecution.GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, Zürich. Version von 2015, Online https://www.gra.ch/bildung/gra-glossar/begriffe/diskriminierung-und-verfolgung-von-minderheiten/porajmos/.Bundeszentrale für politische Bildung, Version vom 21. Dezember 2016, Online https://www.bpb.de/izpb/239460/homosexuelle.

    Todesopfer des Nationalsozialismus

    Zeugen Jehovas etwa 1’900

    Homosexuelle Männer in KZs zwischen 6’000 und 9’000

    Ein Punkt entspricht 10’000 Menschen.

    Serbische Zivilistinnen und Zivilisten 312’000

    Politische Gegnerinnen und Gegner in Deutschland und Widerstandskämpferinnen und -kämpfer

    unbestimmt

    EinwohnerInnen Schweiz 2020 (Vergleichsgrösse) rund 8,5 Millionen

    Materialien

  • 30© Historisches Museum Basel, 2020

    - Welche aktuellen Beispiele für Rassismus und Anti-

    semitismus kennst du?

    - Was können die Gründe dafür sein, dass eine bestimm-

    te Bevölkerungsgruppe oder Religionsgemeinschaft

    ausgegrenzt wird?

    - Wie sollte man deiner Meinung nach mit Rassismus

    und Antisemitismus umgehen?

    - «Schwarze Menschen tanzen halt einfach besser als

    weisse Menschen.» – Wieso sind auch solche vermeint-

    lich positive Aussagen problematisch?

    - Als sie nach dem Zweiten Weltkrieg angeklagt waren,

    haben viele an den Verbrechen und Massenmorden

    Beteiligte argumentiert, dass sie nur Befehle ausge-

    führt hätten und eine Verweigerung für sie selbst

    höchst gefährlich gewesen wäre. Was hältst du von

    diesem Argument?

    Fragen zur Vertiefung – Opfer des Nationalsozialismus

    grundlegend weiterführend vertiefend

    Materialien

  • antidemokratisch

    Als antidemokratisch werden Bewegungen, Handlungen

    oder Überzeugungen bezeichnet, die gegen die Demo-

    kratie als Herrschaftsform gerichtet sind.

    Antisemitismus

    Als Antisemitismus werden alle Formen von Judenhass,

    pauschaler Judenfeindschaft, Judenfeindlichkeit oder

    Judenverfolgung bezeichnet.

    Deportation

    Als Deportation wird die gewaltsame Verschleppung

    oder Verbannung von Straftätern, politischen Gegnern

    oder ganzen Volksgruppen in weit entfernte Gebiete be-

    zeichnet.

    Diktatur

    Als Diktatur wird eine Herrschaftsform bezeichnet, in der

    eine einzelne Person oder eine Personengruppe sehr weit-

    reichende oder unbeschränkte politische Macht innehat.

    Ideologie

    Als Ideologie wird ein geschlossenes System bestimm-

    ter Meinungen und Überzeugungen bezeichnet.

    Kapitulation

    Als Kapitulation wird das Eingeständnis der Niederlage

    gegenüber einem militärischen Gegner bezeichnet.

    Konzentrationslager

    Als Konzentrationslager werden Arbeits- und Vernich-

    tungslager bezeichnet, in denen Gegner des national-

    sozialistischen Regimes sowie Angehörige der als

    minderwertig erachteten Völker und andere nicht er-

    wünschte Personengruppen in grausamer Weise unter

    menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten

    und teilweise in grosser Zahl ermordet wurden.

    Neutralität

    Als politische Neutralität wird die Haltung von Staaten

    bezeichnet, sich aus Konflikten zwischen anderen Staa-

    ten grundsätzlich herauszuhalten.

    NSDAP

    Die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-

    partei) war eine in der Weimarer Republik gegründete

    politische Partei, deren Programm und Ideologie (der

    Nationalsozialismus) von radikalem Antisemitismus ( )

    und Nationalismus bestimmt war.

    Propaganda

    Als Propaganda wird die systematische Verbreitung poli-

    tischer und weltanschaulicher Ideen und Meinungen be-

    zeichnet, die zum Ziel hat, das allgemeine Bewusstsein

    zu beeinflussen. Davon zu unterscheiden ist die zweite

    Bedeutung des Begriffs im Sinne von Werbung oder Re-

    klame.

    Rassismus

    Als Rassismus wird die Auffassung bezeichnet, wonach

    alle Menschen einer bestimmten ‹Rasse› angehören. Be-

    stimmte ‹Rassen› werden dabei als höherwertig betrach-

    tet, während andere ‹Rassen› als minderwertig gelten.

    Regime

    Als Regime wird die politische Leitung eines Staates

    bezeichnet. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat der Be-

    griff eine negative Färbung und wird oft als Bezeichnung

    für undemokratische Regierungen verwendet.

    Repression

    Als Repression wird die gewaltsame Unterdrückung poli-

    tischer Gegner und Andersdenkender bezeichnet.

    Roma

    Als Roma werden die Angehörigen einer bestimmten Be-

    völkerungsgruppe bezeichnet, deren Gemeinsamkeit die

    Sprache ‹Romanes› ist. Die Roma bilden insgesamt keine

    geschlossene Gemeinschaft, sondern teilen sich in zahl-

    reiche unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen

    Kulturen und Lebensweisen.

    Sinti

    Als Sinti werden die Angehörigen einer Teilgruppe der

    europäischen Roma ( ) bezeichnet, die in Mittel- und

    Westeuropa und im nördlichen Italien leben.

    SA

    Die SA (Sturmabteilung) wurde 1921 innerhalb der

    NSDAP zur Bekämpfung der politischen Gegner gegrün-

    det. Nach Hitlers Machtübernahme war die SA als Hilfs-

    polizei an der Errichtung der ersten Konzentrationslager

    beteiligt.

    Transitland

    Als Transitland wird im Gegensatz zu einem Aufnahme-

    land ein Land bezeichnet, das für Personen aus dem

    Ausland als Durchreiseland dienen und nicht zum dauer-

    haften Wohnort werden soll.

    Zeugen Jehovas

    Bei den Zeugen Jehovas handelt es sich um eine reli-

    giöse Bewegung, die die christliche Religion auf eigene

    Weise interpretiert und sich in Kirchen organisiert.31© Historisches Museum Basel, 2020

    Glossar

  • 32© Historisches Museum Basel, 2020

    nach Erscheinungsjahr

    Grenzfälle – Basel 1933–1945, hg. von Patrick Moser und

    Alexandra Heini für das Historische Museum Basel, Basel

    2020.

    Basel und die Zeit des Nationalsozialismus, Basler Zeit-

    schrift für Geschichte und Altertumskunde, Bd. 119 (2019).

    Gabriel Heim: Diesseits der Grenze. Lebensgeschichten

    aus den Akten der Fremdenpolizei, Basel 2019.

    Guido Koller: Fluchtort Schweiz. Schweizerische Flücht-

    lingspolitik (1933–1945) und ihre Nachgeschichte, Stuttgart

    2018.

    Jakob Tanner: Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert,

    2. Auflage, München 2015.

    Georg Kreis: Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg. 4. Auflage,

    Innsbruck-Wien 2014.

    Lukrezia Seiler und Jean-Claude Wacker: «Fast täglich kamen

    Flüchtlinge». Riehen und Bettingen – zwei Grenzdörfer 1933

    bis 1948, 4. Auflage, Basel 2013.

    Simon Erlanger und Peter-Jakob Kelting (Hg.): Interniert in

    Schweizer Flüchtlingslagern. Tagebuch des jüdischen Au-

    tors Felix Stössinger 1942/43, Basel 2011.

    Noëmi Sibold: Bewegte Zeiten. Zur Geschichte der Juden

    in Basel, 1930er bis 1950er Jahre, Zürich 2010.

    Heiko Haumann, Erik Petry und Julia Richers (Hg.): Orte der

    Erinnerung. Menschen und Schauplätze in der Grenzregion

    Basel 1933–1945, Basel 2008.

    Barbara Bonhage, Peter Gautschi, Jan Hodel und Gregor

    Spuhler: Hinschauen und Nachfragen. Die Schweiz und die

    Zeit des Nationalsozialismus im Licht aktueller Fragen, 2.

    Auflage, Zürich 2006.

    François Bergier u.a.: Die Schweiz, der Nationalsozialismus

    und der Zweite Weltkrieg. Schlussbericht der Unabhängigen

    Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, 2. Auf-

    lage, Zürich 2002.

    Reduit Basel 39/45, hg. von Nadia Guth, Bettina Hunger,

    Marcel Schmid und Thomas Gfeller für das Historisches

    Museum Ba sel, Basel 1989.

    Literaturhinweise

    Projektförderung

    Die Publikation wurde gedruckt mit Unterstützung derBerta Hess-Cohn Stiftung, Basel

    Ausstellung und Publikation wurden realisiert mit Unterstützung von

    Stiftung für das Historische Museum BaselProgramm INTERREG OberrheinArt Mentor Foundation LucerneFreiwillige Akademische Gesellschaft BaselSulger-Stiftung, Basel (über Stiftung HMB)Claire Sturzenegger-Jeanfavre Stiftung, BaselIsaac Dreyfus-Bernheim Stiftung, BaselFachstelle für Rassismusbekämpfung FRBFreiwilliger Museumsverein BaselDr. h.c. Emile Dreyfus-Stiftung, BaselJakob und Werner Wyler-Stiftung, ZürichRuth und Paul Wallach-Stiftung, BaselDr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung, Zürich

    sowie weiteren Förderern, die nicht genannt werden möchten.

    Anhang – Projektförderung 281

    Kanton Basel-Stadt

    Sulger-Stiftung

  • 33© Historisches Museum Basel, 2020

    ImpressumHerausgeber: Historisches Museum Basel

    Konzept und Redaktion: Andreas Schuler

    Texte: Alexandra Heini, Patrick Moser, Andreas Schuler

    Gestaltung: Manuela Frey, Angelina Foos

    Ausstellung und Publikation wurden realisiert

    mit Unterstützung von

    Stiftung für das Historische Museum Basel

    Programm INTERREG Oberrhein

    Art Mentor Foundation Lucerne

    Freiwillige Akademische Gesellschaft Basel

    Sulger-Stiftung, Basel (über Stiftung HMB)

    Dr. h.c. Emile Dreyfus-Stiftung, Basel

    Isaac Dreyfus-Bernheim Stiftung, Basel

    Fachstelle für Rassismusbekämpfung FRB

    Freiwilliger Museumsverein Basel

    Ruth und Paul Wallach Stiftung, Basel

    Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung, Zürich

    sowie weiteren Förderern, die nicht genannt werden möchten.

    Projektförderung

    Die Publikation wurde gedruckt mit Unterstützung derBerta Hess-Cohn Stiftung, Basel

    Ausstellung und Publikation wurden realisiert mit Unterstützung von

    Stiftung für das Historische Museum BaselProgramm INTERREG OberrheinArt Mentor Foundation LucerneFreiwillige Akademische Gesellschaft BaselSulger-Stiftung, Basel (über Stiftung HMB)Claire Sturzenegger-Jeanfavre Stiftung, BaselIsaac Dreyfus-Bernheim Stiftung, BaselFachstelle für Rassismusbekämpfung FRBFreiwilliger Museumsverein BaselDr. h.c. Emile Dreyfus-Stiftung, BaselJakob und Werner Wyler-Stiftung, ZürichRuth und Paul Wallach-Stiftung, BaselDr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung, Zürich

    sowie weiteren Förderern, die nicht genannt werden möchten.

    Anhang – Projektförderung 281

    Kanton Basel-Stadt

    Sulger-Stiftung

  • © Historisches Museum Basel, 2020