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Baudynamik und Zustandsanalyse Eine Einführung in die Baudynamik mit Mathematica ® Das vorliegende Skript wurde im Original mit dem Programmsystem MATHEMATICA ® von WOLFRAM-Research [http://www.wolfram.com] geschrieben und erstmals auf den Webseiten der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden (University of Applied Sciences) [http://www.htw-dresden.de] veröffentlicht. Die Schrift trägt den Charakter eines Arbeitskonzepts, so dass ich für Hinweise und Anregungen aller Art, einschließlich zu Rechtschreibung, Grammatik und Druckbild sehr dankbar bin. Mit meinem Beitrag erhebe ich keinen Anspruch auf irgendeine Vollständigkeit bzw. Allgemeingültigkeit. Ich möchte einzig und allein an exemplarischen Problemstellungen der Baumechanik logisch einfache mathematisch-physikalische Lösungsmethoden zur Diskussion stellen. Mirko Slavik, Dresden 22 Beanspruchungen infolge Erdbeben 22.1 Allgemeine Grundlagen 22.1.1 Als Erdbeben bezeichnet man großräumige Erschütterungen des Erdbodens. Sie haben ihren natürlichen Ursprung im Erdinneren und erfassen u. a. auch einen großen Teil der Erdoberfläche, wodurch es zwangsläufig zu dynamischen Beanspruchungen der gebauten Umwelt kommt. Die bei einem Erdbeben freigesetzte Energie breitet sich in Form elastischer Wellen aus. 22.1.2 Nicht zuletzt das Seebeben vom 11. März 2011 vor der Küste Japans mit seinen verheerenden Auswirkungen für die japanische Gesellschaft [130], verdeutlichten dem Menschen aufs Neue seine Grenzen: Es gibt keine absolute Sicherheit hinsichtlich seiner Bauwerke. Es stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, der fast unbegrenzten Mannigfaltigkeit der natürlichen Prozesse mit immer komplizierteren Rechenverfahren statt mit einer komplexen Berechnungsphilosophie zu begegnen (siehe u. v. a. auch [131] und [59]). Viele in den Normen verankerte Algorithmen werden für den einzelnen Entwurfsinge- nieur zunehmend schwieriger beherrschbar. Ich sehe in der individuellen Aufstellung einfach gegliederter, gut strukturierter Berechnungsverfahren mit einem auf den Gesetzmäßigkeiten komplexer Systeme basierenden Hintergrund, ein konkurrierendes Möglichkeitsfeld, um wieder allgemein ver- ständliche, verifizierbare und validierbare technische Ergebnisse zu erhalten. 22.1.3 Ähnlich vieler anderer Teilgebiete der Ingenieurwissenschaften repräsentiert der Themenkreis der Erdbebenwirkungen auf Bauwerke fast schon ein eigenständiges, hochspezialisiertes Fachgebiet, zu dem eine fast kaum noch zu überschauende Anzahl an Veröffentlichungen existiert. Einen sehr guten, theoretisch fundierten Überblick zur Einwirkungsart “Erdbeben” stellt der Beitrag von RACKWITZ in [103, Abschnitt 10] dar. In derselben Quelle [103] findet man auch eine Arbeit zur Erdbebensicherung der Bauwerke von BACHMANN, die im Gegensatz zu RACKWITZ wesentlich ingenieurpraktischer ausgerichtet ist, so, wie es auch die stets beeindruckend kompakten Ausführungen von PETERSEN [78, Kapitel 13] sind. Weitere wichtige Hinweise und Anregungen können aus [134] und [135] entnommen werden. In [135] findet der interessierte Leser übrigens auch ein ausführliches Kapitel zur Anwendung der aktuellen deutschen Erdbebennorm DIN 4149 (2005). 22.1.4 Auf die Entstehung, die Ausbreitung und die allgemeine Wirkung von Erdbeben wollen wir nur in einer sehr verknappten Form eingehen. Deshalb ist in diesem Absatz eine sich selbst erläuternde Terminologie aufbereitet worden (vgl. hierzu [31] und [103, S. 423 ff]) : Bruchenergie - Von besonderem Interesse für den Menschen ist der Anteil der Bruchenergie, der in Form elastischer Wellen (siehe Erdbebenwellen) vom Erdbebenherd abgestrahlt wird. Bruchfläche (Herdfläche) - Tektonischer Bruch entlang einer Fläche in der Erdkruste; solche Flächen können einige Meter bis einige hundert Kilometer lang und wenige Meter bis einige zehn Kilometer

Baudynamik und Zustandsanalyse - HTW Dresden - … · ... Wissenszweig über den Aufbau und die Veränderungen der Erdkruste; diese ist fest und spröde und ... steten Bewegung

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Baudynamik und ZustandsanalyseEine Einführung in die Baudynamik mit Mathematica ®

Das vorliegende Skript wurde im Original mit dem Programmsystem MATHEMATICA® von WOLFRAM-Research [http://www.wolfram.com] geschrieben und erstmals auf den Webseiten derHochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden (University of Applied Sciences) [http://www.htw-dresden.de] veröffentlicht. Die Schrift trägt den Charakter eines Arbeitskonzepts, so dass ichfür Hinweise und Anregungen aller Art, einschließlich zu Rechtschreibung, Grammatik und Druckbild sehr dankbar bin.Mit meinem Beitrag erhebe ich keinen Anspruch auf irgendeine Vollständigkeit bzw. Allgemeingültigkeit. Ich möchte einzig und allein an exemplarischen Problemstellungen der Baumechaniklogisch einfache mathematisch-physikalische Lösungsmethoden zur Diskussion stellen.

Mirko Slavik, Dresden

◼ 22 Beanspruchungen infolge Erdbeben

◻ 22.1 Allgemeine Grundlagen22.1.1 Als Erdbeben bezeichnet man großräumige Erschütterungen des Erdbodens. Sie haben ihrennatürlichen Ursprung im Erdinneren und erfassen u. a. auch einen großen Teil der Erdoberfläche,wodurch es zwangsläufig zu dynamischen Beanspruchungen der gebauten Umwelt kommt. Die beieinem Erdbeben freigesetzte Energie breitet sich in Form elastischer Wellen aus.

22.1.2 Nicht zuletzt das Seebeben vom 11. März 2011 vor der Küste Japans mit seinen verheerendenAuswirkungen für die japanische Gesellschaft [130], verdeutlichten dem Menschen aufs Neue seineGrenzen: Es gibt keine absolute Sicherheit hinsichtlich seiner Bauwerke. Es stellt sich die Frage, ob essinnvoll ist, der fast unbegrenzten Mannigfaltigkeit der natürlichen Prozesse mit immer komplizierterenRechenverfahren statt mit einer komplexen Berechnungsphilosophie zu begegnen (siehe u. v. a. auch[131] und [59]). Viele in den Normen verankerte Algorithmen werden für den einzelnen Entwurfsinge-nieur zunehmend schwieriger beherrschbar. Ich sehe in der individuellen Aufstellung einfachgegliederter, gut strukturierter Berechnungsverfahren mit einem auf den Gesetzmäßigkeiten komplexerSysteme basierenden Hintergrund, ein konkurrierendes Möglichkeitsfeld, um wieder allgemein ver-ständliche, verifizierbare und validierbare technische Ergebnisse zu erhalten.

22.1.3 Ähnlich vieler anderer Teilgebiete der Ingenieurwissenschaften repräsentiert der Themenkreisder Erdbebenwirkungen auf Bauwerke fast schon ein eigenständiges, hochspezialisiertes Fachgebiet,zu dem eine fast kaum noch zu überschauende Anzahl an Veröffentlichungen existiert. Einen sehrguten, theoretisch fundierten Überblick zur Einwirkungsart “Erdbeben” stellt der Beitrag von RACKWITZin [103, Abschnitt 10] dar. In derselben Quelle [103] findet man auch eine Arbeit zur Erdbebensicherungder Bauwerke von BACHMANN, die im Gegensatz zu RACKWITZ wesentlich ingenieurpraktischerausgerichtet ist, so, wie es auch die stets beeindruckend kompakten Ausführungen von PETERSEN [78,Kapitel 13] sind. Weitere wichtige Hinweise und Anregungen können aus [134] und [135] entnommenwerden. In [135] findet der interessierte Leser übrigens auch ein ausführliches Kapitel zur Anwendungder aktuellen deutschen Erdbebennorm DIN 4149 (2005).

22.1.4 Auf die Entstehung, die Ausbreitung und die allgemeine Wirkung von Erdbeben wollen wir nur ineiner sehr verknappten Form eingehen. Deshalb ist in diesem Absatz eine sich selbst erläuterndeTerminologie aufbereitet worden (vgl. hierzu [31] und [103, S. 423 ff]) :

Bruchenergie - Von besonderem Interesse für den Menschen ist der Anteil der Bruchenergie, der inForm elastischer Wellen (siehe Erdbebenwellen) vom Erdbebenherd abgestrahlt wird.

Bruchfläche (Herdfläche) - Tektonischer Bruch entlang einer Fläche in der Erdkruste; solche Flächenkönnen einige Meter bis einige hundert Kilometer lang und wenige Meter bis einige zehn Kilometer

breit sein; die Brüche bauen die ursprünglich sehr hohen mechanischen Spannungen ab, weshalbman bei einem Beben von einer Art Entspannung (engl. energy release) spricht.

Epizentraldistanz - Abstand zwischen dem Epizentrum und dem Standort eines Bauwerkes, einesBeobachters oder Messpunktes.

Epizentrum - Ort der größten Bewegungen an der Erdoberfläche infolge eines einzelnen Bebens; imEpizentralgebiet (Schüttergebiet) treten makroseismische, d. h., fühlbare bzw. sichtbare Wirkungen(Zerstörungen) auf; je nach Entfernung vom Beobachtungsort unterscheidet man Fern-, Nah-, undVorortbeben.

Erdbeben - Zirka 90% aller Erdbeben sind tektonische oder Dislokationsbeben; kennzeichnend fürsie ist die plötzliche Energieumwandlung, die bei einem Bruch auftritt; hierbei findet ein Wechsel vonder Verformung eines festen Kontinuums (potentielle Energie) in eine Starrkörperverschiebung derBruchteile (kinetische Bruchenergie) statt; die schlagartigen Verschiebungsprozesse treten in derRegel an alten Bruchflächen auf, weshalb die Epizentren mit der Plattentektonik korrelieren; dieErdbebenherde sind folglich verstärkt an den Rändern der Lithosphäretafeln (-platten) lokalisiert;andere Bebenarten sind vulkanische Beben, Einsturzbeben infolge Aushöhlung oder zu hoher Wasser-lasten sowie künstliche Beben (Sprengungen); falls sich ein Bruchvorgang diskontinuierlich über einenlängeren Zeitraum verteilt, spricht man von einem Schwarmbeben; größere Beben besitzen in derRegel mehrere Nachbeben; mitunter verursacht ein Beben an einem anderen Ort ein sogenanntesRelaisbeben; Seebeben können Tsunamis auslösen, die mitunter noch Zerstörungen an bis zumehreren hundert Kilometer entfernten Küstenbereichen anrichten.

Erdbebenwellen (E-Wellen, vgl. hierzu auch den Abschnitt 2.3) - Die bei einem Beben freigesetzteEnergie breitet sich in Form elastischer Wellen aus (siehe Bruchenergie); longitudinale E-wellenpflanzen sich schneller fort als Transversalwellen; bei oberflächennahen Longitudinalwellen beträgt dieFortpflanzungsgeschwindigkeit zirka 5,5 km/s , in Tiefen bis zu 3000 km erreicht sie Werte bis zuetwa 13 km/s; die analogen Werte der Transversal- oder Scherwellen hingegen lauten oberflächen-nah 3,1 km/s bzw. oberflächenfern 7,5 km/s; da die Longitudinawellen einen bestimmten Ort ehererreichen, bezeichnet man sie als Primär-Wellen (P-Wellen), die Transversalwellen hingegen alsSekundär-Wellen (S-Wellen); E-Wellen werden an den sich im Erdinneren befindenden Diskontinuitäts-flächen gebrochen, an der Erdoberfläche hingegen reflektiert, wobei eine P-Welle in eine S-Welleübergehen kann; P-Wellen und S-Wellen bezeichnet man auch als Raumwellen; im Unterschieddazu stehen die besonderen räumlichen Verhaltensmuster der sogenannten Oberflächenwellen, dieentweder LOVE-Wellen (L-Wellen) oder RAYLEIGH-Wellen (R-Wellen) sind; die nach dem britischenPhysiker Augustus E. LOVE (1863 - 1940) benannten L-Wellen kann man sich als in der Oberfläch-enebene schwingende Transversalwellen vorstellen, wobei in den nach unten anschließenden Paral-lelebenen eine exponentielle Verkleinerung der Amplituden auftritt; hingegen setzen sich die R-Wellenaus tangential wirkenden Longitudinalwellen und senkrecht zur Oberfläche schwingenden Transversal-wellen zusammen; die resultierenden Amplituden der R-Wellen nehmen ebenfalls mit der Tiefeexponentiell ab; man kann sie mit den Wasserwellen vergleichen, die beim Hineinfallen eines Steinesins Wasser auftreten; die Wasserteilchen bewegen sich dabei elliptisch und zwar horizontal vorwärtsund zurück, vertikal auf- und abwärts [103].

Geotektonik - Wissenszweig über den Aufbau und die Veränderungen der Erdkruste; diese ist festund spröde und besitzt eine Dicke von ungefähr 5 - 7 km im ozeanischen Bereich und zwischen 30 -50 km unter den Kontinenten, wobei sie eine Stärke von 50 - 60 km in den Gebirgszonen erreichen

2 baudyn_22_erdbeben.nb

kann; die Erdkruste schwimmt auf dem oberen Erdmantel, der als niedrigviskos (fließfähig) angesehenwird; Erdkruste und oberen Erdmantel zusammen bezeichnet man als Lithosphäre; diese besteht aussechs großen und mehreren kleinen Teilplatten (siehe u. a. [31, Bd. 6, S. 491]), die infolge geothermis-cher Strömungen in einer steten Bewegung sind, welche jedoch sehr langsam und in der Regelkontinuierlich ist; zum einen können die Bewegungen als elastische Verformungen, zum anderen alsKriech- und Fließverformungen interpretiert werden.

Herdmechanismus - Tektonischer Mechanismus vor und während eines Bruches; i. R. geht eineelastische Verformung, meistens in Form einer Scherung, in einen inelastischen Zustand über bis eszum Bruch kommt; die im Anschluss infolge des Energieüberschusses stattfindenden Festkörperver-schiebungen äußeren sich entweder in Form von Horizontalverschiebungen oder stellen Abschiebun-gen bzw. Überschiebungen dar; am Ende eines Bebens hat sich ein neuer Gleichgewichtszustandeingestellt; das tektonische Bewegungsspiel beginnt wieder von neuem.

Herdtiefe - Abstand h des Herdes (Mittelpunkt der Herdfläche) von der Erdoberfläche; man unter-scheidet Flachbeben (h ≲ 70 km), mitteltiefe Beben (h ≈ 70 - 300 km) und Tiefbeben (h ≈ 300 - 720km); die gesamte seismische Energie, die durch Beben freigesetzt wird, verteilt sich zu 85% aufFlachbeben, zu 12% auf die mitteltiefen und zu 3% auf die Tiefbeben.

Hypozentraldistanz - Abstand zwischen dem Hypozentrum und dem Standort eines Bauwerkes,eines Beobachters oder Messpunktes.

Hypozentrum (seismische Quelle, Herd) - Erdbebenherd im inneren der Erde; Ursprungsort einesErdbebens; meist der Mittelpunkt einer Bruchfläche.

Isoseisten - Linien, an denen die gleichen Erschütterungsintensitäten zu verzeichnen sind.

Seismik, Seismologie - Wissenschaftszweig, der sich mit der Entstehung und Ausbreitung vonErdbeben beschäftigt; man unterteilt ihn in Makro- und Mikroseismik; ersterer beschäftigt sich mit denglobalen Fragestellungen, wie den geologischen Ursachen und der geographischen Verbreitung vonErdbeben; zur Mikroseismik gehören die lokalen geophysikalischen Probleme, wie die Entstehung undAusbreitung von Erdbebenwellen sowie ihre messtechnische Aufzeichnung.

Tektonik - Zusammenfügung von Teilen.

22.1.5 Um die Auswirkungen einzelner Erdbeben miteinander vergleichen zu können, sind internationalverschiedene Erdbebenskalen entwickelt worden, in denen die Magnitude M eine wichtige Rolle spielt.Sie stellt eine empirische Maßzahl dar. Mit ihrer Einführung wurde es möglich, eine objektiveBeurteilung der Stärke eines Erdbebens auf messtechnischer Basis vorzunehmen. Um sie zu bestim-men, benötigt man genormte Seismometer.

22.1.6 Eine der bekanntesten, aber auch am “wenigsten verstandenen” [135, S. 130] Erdbebenskalenist die RICHTERskala, benannt nach dem amerikanischen Seismologen Charles Francis RICHTER(1900 - 1985). Als maßgebend für die Ermittlung der zur RICHTERskala gehörenden Magnituden wurdeder dekadische Logarithmus der maximalen Amplitude der Erdbebenwellen definiert, die in 100 kmEntfernung vom Epizentrum registriert werden.

22.1.7 Da die Beziehungen die zur Bestimmung der Magnituden der RICHTERskala aufgestellt wordensind, zum einen auf das Jahr 1935 zurückgehen und zum anderen eigentlich nur für lokale Beben inKalifornien gelten, sind im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte weitere Skalen ausgearbeitet worden.

baudyn_22_erdbeben.nb 3

Heute existieren im Prinzip vier gängige Magnitudendefinitionen:

- die Nahbeben-Magnitude M L (engl. local magnitude), - die Oberflächenwellen-Magnitude M S (engl. surface wave magnitude),- die Raumwellen-Magnitude M B (engl. body wave magnitude) und- die Moment-Magnitude MW , die auf dem seismischen Moment (siehe [135, S. 121]) beruht, welches im Gegensatz zu den drei anderen Magnitudendefinitionen eine direkte und somit ursächlich physikalische Verknüpfung mit den lokalen Parametern am Herd beinhaltet.

22.1.8 Die Magnituden stehen im Kontext zur Herdenergie. Die sich in den Erdbebenwellen fort-pflanzende Energie repräsentiert nur einen Teil der am Herd freigesetzten Gesamtenergie. Um eineungefähre Vorstellung von der Größenordnung der Herdenergiebeträge zu erhalten, nutzen wir dieempirische Beziehung für die Oberflächenwellen-Magnitude Ms, die in [103] ausgewiesen worden ist.Die Eingabe der Energiewerte muss in der Dimension [erg] erfolgen (vgl. hierzu [135], wo die Dimen-sion [J] erforderlich ist):

Log[10, W] = 11.8 + 1.5 M S

☺ Versteckte Zelle zur Energiebeziehung bei Verwendung der Magnitude ML.

22.1.9 Wir wählen ein fiktives Beispiel. Wenn die Gesamtenergie am Herd W = 2,7 1024 erg beträgt,erhält man eine Oberflächenwellen-Magnitude der Größe M S ≈ 8,4:

SolveLog[10, W] 11.8 + 1.5 M S /. W 2.7 × 1024, M S

{{MS 8.42091}}

mit W - Herdenergie (Arbeit) in [erg] ≏ 10-7[J] ≏ 10-7[Ws] ≏ 10-7[Nm] ≏ 10-7[ kg m s-2].

22.1.10 Die stärksten Kernwaffen erreichen eine gewichtsäquivalente Sprengkraft von 60 Mt (≏ 6 1010

kg) Trinitrotoluol (TNT) [31, Bd. 11]. Da TNT eine gewichtsspezifische Explosionswärme von 4.5 MJ/kg [31, Bd. 7] besitzt, beträgt deren Detonationsenergie ungefähr 2.7 10 24 erg, was, wie im obigenBeispiel ausgewiesen, einer Oberflächenwellen-Magnitude von M S ≈ 8,4 entspräche.

Convert6 × 1010 Kilogramm 4.5 × 106 Joule / Kilogramm, Erg

2.7 × 1024 Erg

22.1.11 Die Kompatibilität der verschiedenen Magnituden ist erwartungsgemäß begrenzt (siehe hierzuauch die versteckte Zelle nach dem Absatz 22.1.8). In [103] findet man eine interessante Zuordnungder Magnituden M zu verschiedenen Sachverhalten:

M ≈ 1-2 - untere Grenze der Spürbarkeit durch den MenschenM ≈ 5,7 - Beben in der Schwäbischen Alp im Jahre 1978 ≈

4 baudyn_22_erdbeben.nb

≈M ≈ 6 - Beben im Walliser Vispertal 1855M ≈ 7 - stärkste zu erwartende Beben im zentralen AlpenraumM ≈ 8,5 - 9 - stärkste bisher aufgezeichnete Beben (Stand 1996).

Anmerkung: BACHMANN [103, S. 426] hat den obigen Magnituden den Index “s” zugeordnet, wobeies aus dem Kontext heraus aber nicht ganz eindeutig ist, ob er sich tatsächlich auf die Oberflächen-wellen-Magnitude oder auf die Nahbeben-Magnitude ML bezieht. Deshalb haben wir den Indexvorerst weggelassen.

22.1.12 Die Magnitude stellt neben

- dem Frequenzspektrum am Herd und dem am Beobachtungsort,- der Herdtiefe und der Herdentfernung vom Beobachter,- der anstehenden Geologie und Topografie sowie- den örtlichen Bau- und Untergrundverhältnissen

eine der kennzeichnenden Größen der Intensität eines Erdbebens dar [103]. Mit der Intensität wirdsowohl die Wahrnehmbarkeit als auch das Ausmaß der lokalen Schäden eines Erdbebens bewertet. Fürden Begriff der Intensitätsskala findet man auch den Ausdruck der makroseismischen Skala.

22.1.13 In Europa hat sich seit Ende der 1990er Jahre die European Macroseismic Scale (EMS)durchgesetzt. In [135, S. 138] findet man eine Vergleichsübersicht zwischen dieser EMS und andereninternational verwendeten Skalen, wie der modifizierten zwölfteiligen MERCALLIskala (MM), der zehnteili-gen ROSSI-FORELskala (RF) sowie der des japanischen Wetterdienstes (JMA). Außerdem ist in [135,S. 139] eine interessante, vereinfachte Zuordnung angeführt, die zwischen den zwölf Intensitätsstufender EMSskala und den zugehörigen maximalen Beschleunigungswerten eines Erdbebens besteht(siehe Tabelle 22.1.13).

INTENSITÄTSSTUFE Beschreibung Max. Beschleunigungen

in m s²

I nicht spürbar -II kaum spürbar -III schwach spürbar -IV von vielen spürbar < 0.3V stark spürbar < 0.3VI leichte Schäden 0.3 bis 1.0VII Schäden 1.0 bis 2.0VIII starke Schäden 2.0 bis 4.0IX zerstörend 4.0 bis 8.0X vernichtend 8.0 bis 15.0XI Katastrophe > 15.0XII große Katastrophe > 15.0

Tabelle 22.1.13: Kurzbeschreibung der zwölf Intensitätsstufen der EMSskala (gemäß [135, S.139])

22.1.14 Bei der Registrierung von Erdbeben gibt es zwei verschiedene strategische Linien. Zum einenist dies die Ausrichtung der Seismologen, die sich vordergründig für die Maximalwerte und Zeitverläufeder Bodengeschwindigkeiten sowie die Eintreffzeiten und die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten derErdbebenwellen interessieren, um Aussagen zum Herdort, zur Herdfläche, zum Herdmechanismus, zur

baudyn_22_erdbeben.nb 5

Herdenergie u. v. a. m. treffen zu können. Ein etwas anderes Ziel verfolgen die Bauingenieure. IhrInteresse konzentriert sich vorallem auf die Aufzeichnung und die Signalanalyse der Bodenbeschleuni-gungen (Maximalwerte, Zeitverläufe, Zeitdauer, Frequenzinhalte), die als maßgebende physikalischeKenngrößen für die Beurteilung und Bewertung von Schäden angesehen werden.

22.1.15 Die zur Geschwindigkeits- und Beschleunigungsmessung verwendeten Geräte bezeichnet manals Seismographen. Neben der Aufzeichnung der vertikalen Bodenbewegungskomponente, erfolgt eineBestimmung der beiden horizontalen Komponenten, wobei eine orthogonale Registrierung in N-S- undin O-W-Richtung bevorzugt wird.

22.1.16 Bei einem mittelstarken Beben (Intensitätsstufe VII bis VIII der Tabelle 22.1.13) liegen dieSpitzenwerte der physikalischen Kenngrößen Schwingweg, Geschwindigkeit, Beschleunigung gemäß[103, S. 437] in den Größenordnungen:

wmax ≈ 0,1 - 0,3 mvmax ≈ 0,1 - 0,3 m/samax ≈ 1,5 - 3,0 m/s²

22.1.17 BACHMANN weist in [103] noch einige andere spezielle Spitzenwerte, wie z. B. her-vorhebenswerte horizontale Bodenbeschleunigungen aus:

amax, horizontal ≈ 12,5 m/s² - San Fernando 1971 (Kalifornien, Pacoima Damm, M ∼6,5),amax, horizontal ≈ 3,7 m/s² - Friaul (Italien, 1976, M ∼ 6,5, Epizentraldistanz 15 km),amax, horizontal ≈ 0,4 m/s² - Mexico 1985 (M ∼ 8,1), Felsbereich in Mexico-City,amax, horizontal ≈ 6,7 m/s² - dto., Eigenschwingungen im Bereich der sehr weichen

Bodenschichten von Mexico-City.

22.1.18 Die vertikalen Bodenbeschleunigungen betragen in der Regel 1/3 bis 1/1 der horizontalenKomponenten [103]. Allgemein empfiehlt man deshalb:

amax,vertikal ∼2

3amax,horizontal

22.1.19 Der baudynamisch relevante Eigenfrequenzbereich der Bauwerke bewegt sich in einem Spek-trum zwischen f ∼ 0,1 - 30 Hz (vgl. hierzu u. a. auch Bild 24.7.9). Bemerkenswert an den Bodenbewe-gungen ist die Unterschiedlichkeit der dominanten Erregerfrequenzzonen je nachdem ob man sich aufdem Niveau der Kenngröße Beschleunigung, Geschwindigkeit oder Schwingweg befindet.

6 baudyn_22_erdbeben.nb

Kennzeichnungen Frequenz f [Hz] Periodendauer T [s]

Beschleunigung

Kalifornien / Europa / Alpenraumsteife Böden, Fels ∼ 3 bis 10 0.33 bis 0.10mittelsteife Böden ∼ 2 bis 8* 0.50 bis 0.125weiche Böden ∼ 0.5 bis 2.0 2.00 bis 0.50

Mexicosehr weiche Böden ∼ 0.3 bis 0.5 3.33 bis 2.00

Geschwindigkeit ∼ 0.3 bis 2.0* 3.33 bis 0.5

Schwingweg ∼ 0.05 bis 0.3* 20 bis 3.33

Tabelle 22.1.19: Dominante Erregerfrequenzbereiche von Böden bei Erdbeben (gemäß [103]); ( )* - Werte entsprechen den Eckfrequenzen geglätteter Antwortspektren

22.1.20 Für die Dauer eines Bebens existiert nur eine grobe Faustformel. Von ihr können erheblicheAbweichungen auftreten. Sie lautet [103, S. 438]: Je größer die drei wesentlichen EinflussgrößenMagnitude, Epizentraldistanz und dominante Periodendauer der Bodenbewegung sind, desto länger istdie Dauer TDauer eines Bebens. Für Beben der Magnitude M ∼ 6 bis 7 rechnet man mit Werten zwi-schen TDauer ∼ 5 bis 20 s.

◻ 22.2 Wirkungen der Erdbeben auf Baustrukturen am Beispiel eines Einmassenschwingers22.2.1 Die Auswirkungen eines Bebens auf ein Bauwerk an einem beliebigen Standort sind dreidimen-sional, da stets Beschleunigungen in alle drei Raumrichtungen zu verzeichnen sind. Weil die vertikalenKomponenten jedoch oft nur halb so groß wie die horizontalen sind und man kompakte Bauwerkevorrangig auf ihre vertikale Lastabtragung hin konzipiert, ist es in der Regel baupraktisch ausreichend,Gebäude allein hinsichtlich horizontaler Erdbebenlasten zu untersuchen. Bei längsgegliederten Trag-werken und bei horizontal ausgerichteten Kragkonstruktionen spielen allerdings auch die vertikalenseismischen Wirkungen eine nicht unwesentliche Rolle.

22.2.2 Betrachtet man eine Baustruktur als Starrkörper, dann vollzieht dieser dieselben Bewegungenwie der ihn umgebende Boden. In der Realität sind unsere Bauwerke jedoch nachgiebig. Infolge zeitlichveränderlicher äußerer Einwirkungen reagieren sie gemäß ihrer Trägheits- und Steifigkeitscharakteristikmit eigenständigen Relativbewegungen (Schwingungen). Den Baustrukturen immanent sind ihreenergievernichtenden Dämpfungsmechanismen. Bei erdbebengefährteten Strukturen können diesemittels künstlicher Maßnahmen erheblich verstärkt werden.

22.2.3 Die typischen Verläufe der Bodenbeschleunigungen infolge von Erdbeben sind instationär bzw.transient (siehe Bild 22.2.3, vgl. aber auch Absatz 22.2.13). In der Regel ist ein sukzessives Anwach-sen der Amplituden vorhanden. Dem folgt eine mehr oder weniger quasistationäre Phase, bevor eswieder zum allmählichen Abklingen der Amplituden kommt. Am Beginn einer Bebenwirkung treten meisthochfrequente Bodenverschiebungen auf, die mit zunehmender Dauer niederfrequenter werden, wassich am unten ausgewiesenen ROERMONDbeben tendenziell recht gut nachweisen lässt.

baudyn_22_erdbeben.nb 7

Bild 22.2.3: Horizontale Bodenbeschleunigungen in N-S-Richtung des Erdbebens von ROERMOND (NL, 1992, M ∼ 5,9, Messstelle Bergheim) gemäß [135]

Oben: Zeitverlauf der Beschleunigungen Unten: Zugehörige, zu verschiedenen Zeitfenstern normierte Frequenzanalyse

- t = 0 bis t = 44,96s (blau)- t = 0 bis t = 11,24s (rot)

8 baudyn_22_erdbeben.nb

- t = 11,24s bis t = 22,48s (grün) - t = 22,48s bis t = 33,72s (gelb)

- t = 33,72s bis t = 44,96s (schwarz)

☺ Versteckte Zelle zur Generierung des Erdbebenaufschriebs des ROERMONDbebens 1992, Messstation Bergheim aus [135].

22.2.4 Allein die bisherigen Ausführungen deuten bereits darauf hin, dass es aufgrund der enormenVielfalt der Einflussfaktoren sehr schwierig ist, allgemeingültige, normentaugliche Beschleunigungsan-sätze zu formulieren. Als ein zweckmäßiges Berechnungskonzept hat sich bis zum heutigen Tag dasAntwortspektrenverfahren erwiesen, da es eine einfache Handhabbarkeit auszeichnet. Als nachteiligerweist sich jedoch neben anderen baumechanischen Eingrenzungen (siehe Absatz 22.2.11) diezwingend notwendige Gültigkeit des Superpositionsgesetzes, womit man im Falle nichtlinearer Konstella-tionen eigentlich auf andere Berechnungsmethoden ausweichen müsste. Viele Erdbebennormen beinhal-ten Bemessungsspektren, die als Einhüllende verschiedenster Antwortspektren zu verstehen sind,womit dem entwerfenden Ingenieur ein Arbeitsmittel zur Verfügung steht, das hinreichend sichereBemessungen ermöglicht. Die unmittelbaren physikalischen Ursachen, sprich die Bodenbewegungenselbst, treten dem Entwurfsingenieur allerdings nur noch in verschlüsselter Form entgegen.

22.2.5 Der Grundgedanke der Antwortspektrenmethode besteht in der Aufbereitung der maximalenSystemantworten idealisierter Einmassenschwinger auf ein als maßgebend angesehenes Muster-Erdbeben. Die Einmassenschwinger besitzen zwar alle denselben Dämpfungsgrad β, unterschiedensich aber in ihren Eigenfrequenzen. Mit deren sukzessiven Veränderung soll das gesamte Eigenfre-quenzspektrum gängiger Baustrukturen abgedeckt werden. Diese virtuelle Gruppe an Einmassen-schwingern wird stets demselben Eingangssignal (z. B. einer eindimensionalen horizontalenBodenbeschleunigung) ausgesetzt. Mangels eigener Erdbebendaten betrachten wir im Weiteren dieBeschleunigungswerte des ROERMONDbebens (siehe Bild 22.2.3) als unser fiktives Musterbeben.

baudyn_22_erdbeben.nb 9

++m m

a (t)h

k, c k, c

-ah +ah

absz (t)“

z (t)“

Bild 22.2.5: Idealisiertes Einmassenmodell für eine eindimensionale horizontale Erdebenbeanspruchung

22.2.6 Für die horizontale Erdbebenbeanspruchung eines Bauwerkes kann als einfachstes Modell derEinmassenschwinger des Bildes 22.2.5 in Ansatz gebracht werden. Vorausgesetzt die Bodenver-schiebungen werden mit sofortiger Wirkung auf die Punktmasse übertragen, gehorcht er gemäß demd’ALEMBERTschen Prinzip folgender Differenzialgleichung:

m zabs''[t] + c z'[t] + k z[t] = 0

mit zabs''[t] = z''[t] + ah[t] folgt

m z''[t] + c z'[t] + k z[t] = - m ah[t]

und mit den Beziehungen (7.4)

k

m:= ω12 und

c

m:= 2 ωb1 schlussendlich

z''[t] + 2 ωb1 z'[t] + ω12 z[t] = - ah[t] .

Es sind:m - Punktmasse [kg],k - Federsteifigkeit [N/m],c - viskoser Dämpfungskoeffizient [Ns/m],ah ( t ) - horizontale Bodenbeschleunigung [ms-2],z''abs ( t ) - absolute horizontale Beschleunigung des Massepunktes [ms-2],

10 baudyn_22_erdbeben.nb

abs-

z'' ( t ) - relative horizontale Beschleunigung des Massepunktes [ms-2],t - Zeit [s],ω 1 - Eigenkreisfrequenz [s-1],ω b1 - Abklingkonstante [s-1].

22.2.7 Der Term - m ah(t) entspricht der Krafterregung F(t) der DGL (7.1), womit die baumechani-schen Prinzipien und Aussagen der Kapitel 7, 8 und 10 vollständig übertragbar sind. Zur Bestimmungder maximalen Auslenkungen z ( t ) nutzen wir deshalb die Vorgehensweise gemäß dem Algorithmus,der in den Absätzen 7.6 ff. ausgewiesen ist:

Solvezn+1 - 2 zn + zn-1

Δt2+ 2 ωb1

zn+1 - zn-1

2 Δt+ ω12 zn -ah[n], zn+1

z1+n -z-1+n + 2 zn - Δt2 zn ω12 + Δt z-1+n ωb1 - Δt2 ah[n]

1 + Δt ωb1

22.2.8 Als Anwendungsfall dient uns, wie bereits festgestellt, der horizontale Beschleunigungsverlaufdes Bildes 22.2.3. Der gewählte Einmassenschwinger besitzt eine ungedämpfte Eigenfrequenz von f1= 8 Hz. Der Dämpfungsgrad beträgt β = 0,05. Es werden zunächst die relativen horizontalen Ver-schiebungen und Beschleunigungen des Einmassensystems des Bildes 22.2.5 berechnet und aus-gewiesen. Im Anschluss erfolgt die Darstellung des zeitlichen Verlaufes der absoluten Beschleunigungsowie die Hinterlegung der einzelnen Maximalwerte.

baudyn_22_erdbeben.nb 11

{max_z 0.000278977, max_z′′ 0.567211, max_zabs′′ 0.697484}

22.2.9 Im Kontext mit der Antwortspektrenmethode werden für das oben gewählte Musterbeispiel dieSpektren der relativen Verschiebungen und Beschleunigungen sowie der absoluten Beschleunigungenbestimmt. Sie repräsentieren die maximalen Verschiebungen bzw. Beschleunigungen der jeweiligenEinmassenschwinger, deren Eigenfrequenzen im Bereich f1 ∼ 0,0125 Hz ... 12.5 Hz liegen. Der Dämp-fungsgrad und die Erregungsfunktion bleiben unverändert.

12 baudyn_22_erdbeben.nb

Anmerkung: Unter jeder der unten angeführten Darstellungen befindet sich eine nichtgeöffnete Zelle,die die jeweilige Abhängigkeit auf die Perioden T1 statt auf die Eigenfrequenzen f1 bezogen enthält.

baudyn_22_erdbeben.nb 13

22.2.10 Die Mehrzahl der Autoren bezeichnet die spektralen Verläufe der maximalen relativen Ver-schiebungen mit Sd (ω1, β). Der Index d steht für den englischen Begriff displacement. KatalogisierteSpektralverläufe existieren für verschiedene Dämpfungsgrade. Da die Dämpfungen in der Regel relativklein sind, haben sich in der Fachliteratur nachfolgende Näherungsbeziehungen durchgesetzt, die abernur für Dämpfungsgrade β = 0 mittels der Gleichungen (22.2.6) logisch nachvollziehbar sind:

max z (ω1, β) ≏ Sd (ω1, β) ≏1

ω12Sa (ω1, β) ≏

1

ω1Sv (ω1, β)

wobeiS d ( ω1, β ) - Spektrum der relativen Schwingwege eines SDOF in [m],S v ( ω1, β ) - Spektrum der pseudo-relativen Schwinggeschwindigkeiten eines SDOF in [ms-1],S a ( ω1, β ) - Spektrum der pseudo-absoluten Schwingbeschleunigungen eines SDOF in [ms-2].

Anmerkung: SDOF - Simple Degree Of Freedom (≏ Einmassenschwinger)

22.2.11 Ein Vergleich zwischen den Spektren der absoluten und der pseudo-absoluten Beschleunigun-gen ist im Absatz 22.2.9 mit aufbereitet worden. Die Spektren, die meist für Frequenzbereiche von biszu 100 Hz vorliegen, liefern uns keine Angaben, wann die einzelnen Maximalwerte von Schwingweg,-geschwindigkeit und -beschleunigung auftreten. Sie enthalten auch keine Informationen über die Dauerder Beben. Hinsichtlich dieser und anderer Einschränkungen erhebt sich die Frage, ob die Antwortspek-trenmethode anbetracht der dem Entwurfsingenieur heute zur Verfügung stehenden rechentechnischenMöglichkeiten noch zeitgemäß ist.

☺ Versteckte Zelle zu einer Beispielberechnung in [75], wo die Antwortspektrenmethode genutztworden ist.

22.2.12 Da wir jedoch den zu erwartenden Verlauf eines Beben auch künftig nicht voraussagen werden

14 baudyn_22_erdbeben.nb

können, kann ein planender Ingenieur in der Regel nur auf die in der Literatur auffindbaren maßgeben-den Antwortspektren (siehe z. B. [136]) zurückgreifen, die heutzutage auf umfangreichen seismologis-chen Datenbanken basieren.

22.2.13 Ausgehend vom fiktiven Spektrum (Zielspektrum) einer pseudo-relativen (bzw. pseudo-abso-luten) Beschleunigung (vgl. [135]) haben wir in der unten angeführten versteckten Zelle verschiedeneMethoden getestet, um äquivalente Bodenbeschleunigungen zu generieren. Da das Auffinden derartigerspektral-kompatibler Beschleunigungen anhand eines Antwortspektrums außerordentlich vage ist, weiletliche Annahmen getroffen werden müssen für die keine hinreichenden Informationen vorliegen, sindim Folgenden nur einige stellvertretende Teilergebnisse ausgewiesen worden. Es handelt sich dabei umdie spektrale Zielfunktion, den angenommenen Intensitätsverlauf, den imitierten Beschleunigungsverlaufsowie den Vergleich zwischen dem erzielten Antwortspektrum und dem ursprünglich angestrebtenZielspektrum.

baudyn_22_erdbeben.nb 15

☺ Versteckte Zelle zur Imitation eines Bebenverlaufs.

22.2.14 Die obigen Grafiken basieren auf einer Methode, die sich eines FOURIERreihenansatzesbedient, der lognormalverteilte Erregerfrequenzen und gleichverteilte Phasenverschiebungen nutzt. Fastidentische Ergebnisse konnten mit der Vorgehensweise erzielt werden, die wir bei der Imitation vonstochastischen Unebenheiten in den Absätzen 23.2.15 ff. beschreiten. Als spektrale Leistungsdichte-funktion Gah ah(ω) diente uns das fast klassisch zu nennende Kanai-Tajimi-Spektrum (siehe u. a.[5][78][103]).

16 baudyn_22_erdbeben.nb

◻ 22.3 Wirkungen von Erdbeben auf Baustrukturen am Beispiel eines Mehrmassenschwingers22.3.1 Um die prinzipielle Vorgehensweise der Berechnung realer Bauwerke auf Erdbebenaufzuzeigen, ist in [135] ein viergeschossiges Gebäude gewählt worden (Bild 22.3.1). Da diese Modellbil-dung als sehr anschaulich anzusehen ist, wollen auch wir sie als Musterbeispiel verwenden. Der aufmerk-same Leser findet im Weiteren viele Analogien zu den bei den Mehrmassenmodellen der Kapitel 12 bis14 verwendeten Algorithmen.

EI yy,S

EI yy,S

EI yy,S

EI yy,S

z1

z2

z3

z4

4L

L

L

L

EI yy,S

EI yy,S

EI yy,S

EI yy,S

m , 4 EI yy,R

3

m ,3 EI yy,R

2

m , 2 EI yy,R

1

m , 1 EI yy,R

a (t)ha (t)h

Bild 22.3.1: Idealisiertes Mehrmassenmodell gemäß [135]

22.3.2 Das oben ausgewiesene System stellt einen biegesteifen Rahmen dar. Die Deckenelemente(Riegel) besitzen eine sehr hohe Biegesteifigkeit B = EM IMyy = ∞, aber endliche Masse m i. Hingegensind die Stützen zwar biegeweich, jedoch ist ihre Masse gegenüber denen der Riegel vernachlässigbarklein. Es gilt:

IMyy - Flächenmoment 2. Ordnung um die y-Biegeachse [m4]EM - Elastizitätsmodul [N /m²]B = EM IMyy - Biegesteifigkeit [Nm2] (Stützen mit Index “S”, Riegel mit Index “R”)z i (t) - zeitabhängige relative horizontale Verschiebung des i-ten Riegels [m] m i - Einzelmasse des idealisierten i-ten Riegels [kg]k i - Federsteifigkeit der idealisierten i-ten Stütze [kg]c i - viskoser Dämpfungskoeffizient der idealisierten i-ten Stütze [kg]ah (t) - horizontale Bodenbeschleunigung infolge eines Bebens [ms-2]

22.3.3 Da die Stützen einer Stockwerksebene dieselbe Biegesteifigkeit haben sollen, beträgt diehorizontale Querbiegesteifigkeit einer idealisierten Stütze im Falle starrer Decken

ki = 2 kS = 212 EM IM yy,S

L3.

22.3.4 Mittels dem d’ALEMBERTschen Prinzip (vgl. Abschnitt 7.2) erhält man für jeden Rundschnitt umeinen der idealisierten Riegel eine Beziehung, die das jeweilige Kräftegleichgewicht in horizontaler

baudyn_22_erdbeben.nb 17

Richtung (z-Richtung) repräsentiert:

m4 (z4''[t] + ah[t]) + c4 (z4'[t] - z3'[t]) + k4 (z4[t] - z3[t]) = 0

m3 (z3''[t] + ah[t]) + c3 (z3'[t] - z2'[t]) -

c4 (z4'[t] - z3'[t]) + k3 (z3[t] - z2[t]) - k4 (z4[t] - z3[t]) = 0

m2 (z2''[t] + ah[t]) + c2 (z2'[t] - z1'[t]) - c3 (z3'[t] - z2'[t]) +

k2 (z2[t] - z1[t]) - k3 (z3[t] - z2[t]) = 0

m1 (z1''[t] + ah[t]) + c1 z1'[t] -

c2 (z2'[t] - z1'[t]) + k1 z1[t] - k2 (z2[t] - z1[t]) = 0

22.3.5 In Matrizenschreibweise lautet das Gleichungssystem (22.3.4) schließlich:

vekZ =

z1 0 0 00 z2 0 00 0 z3 00 0 0 z4

;

vekZ' =

z1' 0 0 00 z2' 0 00 0 z3' 00 0 0 z4'

;

vekZ'' =

z1'' 0 0 00 z2'' 0 00 0 z3'' 00 0 0 z4''

;

matM =

m1 0 0 00 m2 0 00 0 m3 00 0 0 m4

;

matK =

k1 + k2 -k2 0 0-k2 k2 + k3 -k3 00 -k3 k3 + k4 -k40 0 -k4 k4

;

matC =

c1 + c2 -c2 0 0-c2 c2 + c3 -c3 00 -c3 c3 + c4 -c40 0 -c4 c4

;

vekE =

1111

;

vekC =

c1c3c3c4

;

MatrixForm[matM.vekZ'' + matK.vekZ] MatrixForm[-ah matM.vekE];

MatrixForm[matM.vekZ'' + matC.vekZ' + matK.vekZ] MatrixForm[ -ah matM.vekE];

☺ Versteckte Zelle zum Nachweis der Übereinstimmung der Gleichungen im Absatz 22.3.5 mit

18 baudyn_22_erdbeben.nb

☺denen des Absatzes 22.3.4.

22.3.6 Wir wählen ein Zahlenbeispiel zum Tragwerksmodell des Bildes 22.3.1, bei dem die Deckenkon-struktionen absolut biegesteif sind. Die Geschosshöhen betragen L1 = L2 = L3 = L4 = 4,50 m, dieBiegesteifigkeit der Stützen beläuft sich auf B = 1.8 108 N/m² und die konzentrierten Massen derGeschossdecken lauten m1 = m2 = m3 = m4 = 100 t. Die Bestimmung der ungedämpften Eigenkreisfre-quenzen erfolgt gemäß Absatz 12.13. Mit eingeschlossen ist die Ausweisung der zugehörigen Eigenvek-toren, die im Bild 22.3.6 grafisch dargestellt sind.

In[5]:= B = 1.8 × 108; L = 4.5;

m1 = m2 = m3 = m4 = 100000;

k1 = k2 = k3 = k4 = 212 B

L3;

In[7]:= matM =

m1 0 0 00 m2 0 00 0 m3 00 0 0 m4

; MatrixFormmatK =

k1 + k2 -k2 0 0-k2 k2 + k3 -k3 00 -k3 k3 + k4 -k40 0 -k4 k4

Out[7]//MatrixForm=

9.48148 × 107 -4.74074 × 107 0 0-4.74074 × 107 9.48148 × 107 -4.74074 × 107 0

0 -4.74074 × 107 9.48148 × 107 -4.74074 × 107

0 0 -4.74074 × 107 4.74074 × 107

Out[10]//TableForm=

ω1 7.56177 f1 1.20349 T1 0.830915

ω2 21.7732 f2 3.46532 T2 0.288574

ω3 33.3585 f3 5.30918 T3 0.188353

ω4 40.9203 f4 6.51267 T4 0.153547

Out[11]//TableForm=

vekx[1] {0.228013, 0.428525, 0.57735, 0.656539}

vekx[2] -0.57735, -0.57735, 8.3072 × 10-16, 0.57735

vekx[3] {-0.656539, 0.228013, 0.57735, -0.428525}

vekx[4] {-0.428525, 0.656539, -0.57735, 0.228013}

baudyn_22_erdbeben.nb 19

Out[13]=

t

n

2

0 2 4 6 8 100

5

10

15

20

Horizontalverschiebung

Höhe

in[m

]

21.7732 n-ter Eigenformzustand mit ω [s -1]:

Bild 22.3.6: Grafische Darstellung der Eigenvektoren über die Gebäudehöhe

Anmerkung: Die obige Grafik ist mit der Built-In-Funktion Manipulate des Programmsystems MATHE-MATICA erstellt worden. Somit ist eine anschauliche interaktive Variation der Parameter n und t dervier Eigenformzustände innerhalb dieser Darstellung möglich.

22.3.7 Im nächsten Schritt wird das Gleichungssystem (22.3.4) gemäß der fraktalen Methode umge-wandelt (vgl. hierzu Absatz 13.3.5). Wir nutzen hierfür wieder die zentralen Differenzen des Absatzes6.18. Die Gesamtlösung für die Größen z1[n +1], z2[n +1], z3[n +1] und z4[n + 1] findet man in der sichunten anschließenden ungeöffneten Zelle.

20 baudyn_22_erdbeben.nb

LÖSGLS = FullSimplifySolvem4z4[n + 1] - 2 z4[n] + z4[n - 1]

Δt2+ ah[n] +

c4z4[n + 1] - z4[n - 1]

2 Δt-z3[n + 1] - z3[n - 1]

2 Δt+ k4 (z4[n] - z3[n]) 0 ,

m3z3[n + 1] - 2 z3[n] + z3[n - 1]

Δt2+ ah[n] +

c3z3[n + 1] - z3[n - 1]

2 Δt-z2[n + 1] - z2[n - 1]

2 Δt-

c4z4[n + 1] - z4[n - 1]

2 Δt-z3[n + 1] - z3[n - 1]

2 Δt+

k3 (z3[n] - z2[n]) - k4 (z4[n] - z3[n]) 0 ,

m2z2[n + 1] - 2 z2[n] + z2[n - 1]

Δt2+ ah[n] +

c2z2[n + 1] - z2[n - 1]

2 Δt-z1[n + 1] - z1[n - 1]

2 Δt- c3

z3[n + 1] - z3[n - 1]

2 Δt-

z2[n + 1] - z2[n - 1]

2 Δt+

k2 (z2[n] - z1[n]) - k3 (z3[n] - z2[n]) 0,

m1z1[n + 1] - 2 z1[n] + z1[n - 1]

Δt2+ ah[n] + c1

z1[n + 1] - z1[n - 1]

2 Δt-

c2z2[n + 1] - z2[n - 1]

2 Δt-z1[n + 1] - z1[n - 1]

2 Δt+ k1

z1[n] - k2 (z2[n] - z1[n]) 0 , {z1[n + 1], z2[n + 1], z3[n + 1], z4[n + 1]};

22.3.8 Unter Kenntnis bzw. mittels einer geeigneten Annahme (siehe Absatz 20.5.7) der Startver-schiebungen für die ersten beiden Zeitpunkte t0 = 0 und t1 = Δt können alle weiteren Weggrößenrekursiv berechnet werden. Bezugnehmend auf das Beispiel des Absatzes 22.3.6 betragen dieEingabewerte:

ω1 = 7.56177, ω2 = 21.7732, ω3 = 33.3585, ω4 = 40.9203,

k1 = 4.74074 × 107, k2 = 4.74074 × 107, k3 = 4.74074 × 107, k4 = 4.74074 × 107,

m1 = 105, m2 = 105, m3 = 105, m4 = 105,

β = .05, Δt = .01, maxn = 6000,

t[0] = 0, ah[0] = 0,

z1[0] = 0, z2[0] = 0, z3[0] = 0, z4[0] = 0,

z1[1] = 10-15, z2[1] = 10-15, z3[1] = 10-15, z4[1] = 10-15;

baudyn_22_erdbeben.nb 21

Mindestzeitschrittweite Δtmin: 0.0153547Zeitschrittweite Δt[s]: 0.01Stützpunktanzahl maxn: 6000Masse m1 [kg]: 100000Masse m2 [kg]: 100000Masse m3 [kg]: 100000Masse m4 [kg]: 100000Federkonstante k1 [N/m]: 4.74074 × 107

Federkonstante k2 [N/m]: 4.74074 × 107

Federkonstante k3 [N/m]: 4.74074 × 107

Federkonstante k4 [N/m]: 4.74074 × 107Dämpfungskoeffizient c1 [Ns/m]: 240000.Dämpfungskoeffizient c2 [Ns/m]: 240000.Dämpfungskoeffizient c3 [Ns/m]: 240000.Dämpfungskoeffizient c4 [Ns/m]: 240000.

22.3.9 Die oben angenommenen Dämpfungskoeffizienten stellen eine fiktive Abschätzung dar. Um einesinnvolle Adaptation der Dämpfungsparameter an die Wirklichkeit zu erreichen, bietet sich als eingangbarer Weg, der über die Modalanalyse an (siehe Kapitel 14). Als Anwendungsbeispiel für einetypische Erdbebenerregung nutzen wir wieder den horizontalen Beschleunigungsverlauf des Bildes22.2.3.

22 baudyn_22_erdbeben.nb

baudyn_22_erdbeben.nb 23

☺ Versteckte Zelle mit visueller Darstellung der Erdbebenwirkung am Gebäudemodell des Bildes22.3.1 (vgl. hierzu Bild 22.3.6) .

24 baudyn_22_erdbeben.nb