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BAUERN OHNE LAND Fotos und Text: Christian Müller GALERIE

BAUERN OHNE LAND - gazette.de · den Pistoleros der Großgrundbesitzer. In einigen Fällen teilte ... verlangte nachdrücklich die überfällige Landreform. Der deutsch-stämmige

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BAUERN OHNE LAND

Fotos und Text: Christian Müller

GALERIE

Brasilien ist eines der reichsten und eines der

ärmsten Länder der Welt.

Der Gini-Index, mit dem die Ungleichheit

der Einkommensverteilung gemessen wird,

ist hier höher als irgendwo sonst:

0,6 (doppelt so hoch wie in der

Bundes republik Deutschland).

Zwanzig Großgrundbesitzern Brasiliens gehören zwanzig Millionen Hektar,

ebenso viel wie den 3,3 Millionen Kleinbauern. Am unteren Ende der

Gesellschaft stehen die Landarbeiter ohne Land.

Die Fotos hier sind zwanzig Jahre alt. Viel hat sich seitdem dort nicht verändert:

Die Alten sind gestorben, die Kinder sind erwachsen. Und die Kinder von heute

leben in der gleichen Armut damals wie ihre Eltern.

In den Abendnachrichten ist von Hungerrevolten in Südamerika schon

wieder keine Rede mehr. Die Welt lebt, wie sie lebt, vom Stillhalten dieser Armut.

10 Millionen Hektar werden von den Großgrundbesitzern

nicht einmal genutzt: Das Land wird gehortet, ein Objekt der

Spekulation.

Die historisch bedingte, extrem einseitige Landverteilung und

die Verelendung von Millionen Landarbeitern ohne Land führte

ab 1960 allmählich zu einem Umdenken, auch dank der katholischen

Kirche. Mitgetragen vom II. Vatikanischen Konzil formulierte sich hier

ein neues Denken, die sogenannte Befreiungstheologie. 1984

gründete sich die politische Bewegung der Landlosen, das

Movimento dos trabalhores rurais sem terra.

Diese Landlosen begannen, unbebautes Land zu besetzen.

Nicht selten wurden sie aus den schnell errichteten Camps, der

Acampamentos, gleich wieder vertrieben - von der Polizei oder

den Pistoleros der Großgrundbesitzer. In einigen Fällen teilte

ihnen der Staat aber auch unbewirtschaftetes Land zu;

dort entstanden dann neue Siedlungen, die sogenannten

Assentamentos.

Die Fotos hier wurden an zwei Orten in Südbrasilien

aufgenommen. Das Campo Eré im Bundesstaat Catarina ent-

stand, nachdem eine große Landbesetzung – etwa 10000

Landlose und ihre Familien waren daran beteiligt – von der

Polizei mit Waffengewalt beendet wurde. Auf dem Land eines

benachbarten Bauern fanden immerhin 3000 Menschen eine

vorläufige, ungesicherte Bleibe.

Für das Assentamento Reserva im Bundesstaat Parana wurde

vom Staat ein Stück Land zugeteilt. Das gesamte Wasser für die

600 Bewohner kommt aus einem Loch, kaum größer als ein

Quadratmeter.

Die einzige Hilfe für die trabalhadores rurais sem terra boten

damals die christlichen Kirchen. Im Campo Eré zum Beispiel leb-

ten zwei italienische Franziskanerinnen(Foto), die sich wenigs-

tens um die Kranken und die Neugeborenen kümmerten. Viel

mehr als Aspirin und Milchpulver hatten aber auch sie nicht zu ver-

teilen.

Auch politisch kämpfte die katholische Kirche für diese Armen und

verlangte nachdrücklich die überfällige Landreform. Der deutsch-

stämmige Kardinal Aloisius Lorscheider in Fortaleza

sagte in einem Interview: „Der Kirche ist seit einiger Zeit bewusst

geworden, dass sie einen anderen Auftrag hat als nur ‚geistlich’ zu

predigen, spirituell oder wie immer man das nennen mag. Sie hat

zum Beispiel das Eigentum verteidigt, als ob es sich dabei um ein

absolutes Recht handelte. Mit der Soziallehre ist nun bewusst

geworden, dass es kein absolutes Recht auf Eigentum gibt.“

Damit bezog sich der Kardinal auf die Sozial-Enzyklika Papst

Pauls VI. Populorum Progressio von 1967. Darin forderte die

Kirche, das Recht auf Privateigentum der weltwirtschaftlichen

Gerechtigkeit zwischen reichen und armen Ländern unterzuordnen.

Geschehen ist nichts. Eine Landreform hat in Brasilien nicht

stattgefunden, auch nicht unter dem angeblich linken Präsidenten

Lula de Silva. Das offizielle Rom hat sich aus seinem sozialen

Engagement in Südamerika weitestgehend zurückgezogen.

Bekannte Befreiungstheologen erhielten Rede- und Lehrverbote, so

auch Leonardo Boff, der seitdem ohne den Segen der Kurie

publiziert und 2001 den Alternativen Nobelpreis erhielt.

So bleiben Millionen Landarbeiter ohne Land; ihre Kinder

hungrig und ohne Hoffnung auf ein anderes Leben.

Immerhin: Im Nachbarstaat Paraguay hat nach über 60jähriger

Herrschaft der Colorado-Partei der katholische Ex-Bischof und

Befreiungstheologe Fernando Lugo einen historischen Wahlsieg

errungen.

Zu seinem Programm gehört eine umfassende Land reform.

Siehe auch das InterviewDie Brasilianisierung der Welt mit Professor Dr. Dr. Radermacher

( GAZETTE 10, Sommer 2006) und Zwei gegen die Colorados von Moritz Förster und

Angelica Otazu (GAZETTE 17, Frühjahr 2008).