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Bayerisches Netzwerk Pflege - Angehörigenarbeit - Dokumentation der Fachtagung „Erfolgreiche Angehörigenarbeit“ Erfahrungen und Perspektiven am 25./26. September 2001 in Stein bei Nürnberg

Bayerisches Netzwerk Pflege · Arbeit im Bayerischen Netzwerk Pflege Sabine Tschainer, Diplom-Psychogerontologin, Diplom-Theologin, Institut auf schwung alt, München Zusammenfassung

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Bayerisches Netzwerk Pflege - Angehörigenarbeit -

Dokumentation der Fachtagung

„Erfolgreiche Angehörigenarbeit“ Erfahrungen und Perspektiven

am 25./26. September 2001

in Stein bei Nürnberg

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Inhaltsverzeichnis

Eröffnung und Einführung Seite 04 Gerlinde Dietl, Diplom-Pädagogin, Angehörigenberatung e.V. Nürnberg Meinhard Loibl, Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Grundsatzreferat 1 Wann ist ein Gruppenangebot für pflegende Angehörige erfolg- Seite 08 reich? Prof. Dr: Hartmut Radebold, Lehrinstitut für Alternspsychotherapie, Kassel (anstelle Frau Prof. Dr. Hildegard Bechtler, die kurzfristig er- krankt ist - abgedruckt ist das ursprünglich vorgesehene Referat von Frau Prof. Dr. Bechtler) Grundsatzreferat 2 Pflegebedürftig in der eigenen Häuslichkeit Seite 22 Wohnraumanpassung mit seniorengerechten Technologien Sybille Auner, Diplom-Sozialpädagogin, Institut auf schwung alt, München Workshop 1 Betreuungsgruppen – eine Arbeitsform, um Angehörigen Seite 28 Entlastung zu bieten Barbara Kuhn, Diplom-Sozialpädagogin, Angehörigenberatung e.V. Nürnberg Anlagen: Antragsformular Seite 34 Forum 1 Information und Austausch zu ergänzenden Entlastungsange- Seite 36 boten für pflegende Angehörige, z.B. Urlaubsangebote, Einsatz von Laienhelfern, ... Gerlinde Dietl, Diplom-Pädagogin und Konstanze Pilgrim, Diplom- Sozialpädagogin, Altenpflegerin, Angehörigenberatung e.V. Nürnberg Workshop 2 Chancen und Grenzen des Einsatzes technologischer Unter- Seite 40 stützungsleistungen bei demenzkranken Menschen unter be- sonderer Berücksichtigung ethischer und rechtlicher Frage- stellungen Sybille Auner, Diplom-Sozialpädagogin, Institut auf schwung alt, München

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Grundsatzreferat 3 Wann ist ein Beratungsgespräch erfolgreich? Seite 44 Ulrich Mildenberger, Diplom-Soziologe, Supervisor, Beratungs- stelle für ältere Bürger und ihre Angehörigen, Norderstedt Anlagen: § Standards psychosozialer Beratung von alten Menschen und

Angehörigen Seite 53 § Erfolgkriterien für die Beratung älterer Menschen Seite 55 § Erfolgskriterien für die Beratung von pflegenden Angehörigen

Alterskranker Seite 58 Grundsatzreferat 4 Wie entsteht ein Netzwerk? Seite 61 Beispiele für Zusammenarbeit und Casemanagement in der sozialen Arbeit Prof. Dr. Wolf Rainer Wendt, Leiter des Ausbildungsbereichs Sozial- wesen an der Berufsakademie Stuttgart Charts: 1 – 8 Seite 71 Workshop 3 Gruppenarbeit mit Demenzpatienten in frühen Krankheitsstadien. Seite 79 Eine spezielle Form von Betreuungsgruppenangebot. Dr. Thomas Gunzelmann, Diplom-Psychologe, Seniorenamt Nürnberg Heide Reiser, Diplom-Tanztherapeutin, Klinik für Psychiatrie am Klinikum Nürnberg Nord Workshop 4 Beziehungsaufbau und Vertrauensbildung im Beratungsgespräch Seite 82 Ulrich Mildenberger, Diplom-Soziologe, Supervisor, Beratungsstelle Für ältere Bürger und ihre Angehörigen, Norderstedt Forum 2 Offener Erfahrungsaustausch und Vernetzung der Angehörigen- Seite 83 Arbeit im Bayerischen Netzwerk Pflege Sabine Tschainer, Diplom-Psychogerontologin, Diplom-Theologin, Institut auf schwung alt, München Zusammenfassung der Ergebnisse und Abschluss der Seite 87 Fachtagung Meinhard Loibl, Ministerialrat im Bayerischen Staats- Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen

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Gerlinde Dietl, Diplom Pädagogin, Angehörigenberatung e.V. Nürnberg

Eröffnung und Einführung Sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ich begrüße Sie sehr herzlich zur fünften Fachtagung im Rahmen des Bayerischen Netz-werks Pflege. Mein Name ist Gerlinde Dietl, ich bin Geschäftsführerin der Angehörigenbera-tung e.V. Nürnberg. Ich werde Sie zusammen mit meinen Kolleginnen Frau Barbara Kuhn und Frau Konstanze Pilgrim durch die Fachtagung begleiten. Wir stehen Ihnen für Fragen und Anregungen zur Verfügung. Es freut mich sehr, dass wir bereits zum fünften Mal in enger Zusammenarbeit mit dem Bay-erischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen die Fachta-gung veranstalten dürfen. Herr Meinhard Loibl ist heute hier und wird im Anschluss ein Ein-gangsstatement an uns richten. Herr Loibl und seine Mitarbeiterin Frau Weigand gestalten mit uns die Themen, die Inhalte und den Ablauf der Fachtagung. Dazu sind im Vorfeld viele Telefonate und E-Mails notwendig, bis aus dem ersten Entwurf die endgültige Fachtagung konzipiert ist. Erfolgreich heißt für uns, dass Sie nach den zwei Tagen mit neuen Anregungen und Erfah-rungen nach Hause reisen und hoffentlich auch das Gefühl mitnehmen, dass es in Bayern tatsächlich ein Netzwerk gibt, dass Sie gegebenenfalls auch zu Ihrer Unterstützung nutzen können. Das Thema „Erfolgreiche Angehörigenarbeit – Erfahrungen und Perspektiven“ haben wir gewählt, weil es in Bayern mittlerweile mehr als 50 Fachstellen für Angehörigenarbeit gibt, die im Rahmen des Bayerischen Netzwerks Pflege vielfältige Arbeitsformen in der Beratung, Begleitung und Entlastung pflegender Angehöriger entwickelt haben. Heute sind deshalb auch eine ganze Reihe von Kolleginnen mit Erfahrung hier, sicher aber auch Newcomer. Hier soll der Transfer von Wissen und Erfahrung möglich sein. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen vorangegangener Fachtagungen haben auch einen wesentlichen Anteil an der Gestaltung der Fachtagung. Jedes Jahr fragen wir zum Schluss nach ihren Vorschlägen und Rückmeldungen. In den Themenvorschlägen haben sich zwei Bereiche manifestiert: Einige Teilnehmer und Teilnehmerinnen wollten sich zu konkreten Arbeitsbereichen, wie z.B. Einsatz von Laienhelferinnen austauschen. Andere Teilnehmer wollen lieber über ihre täglichen Anforderungen und ihre individuelle Art der Bewältigung gemeinsam reflektieren mit dem Ziel, eigene Werte und Normen überprüfen zu können. Hin-sichtlich der Organisation wurde gewünscht, dass es mehr Raum für Austausch geben soll und Vorträge und Workshops nicht zeitlich so konzentriert angeboten werden. Daher sind heuer sowohl Workshops und als auch Foren im Programm: • In den Workshops haben die Teilnehmer und Teilnehmerinnen die Möglichkeit, zusam-

men mit den Referenten an einzelnen Themen und Konzepten zu arbeiten. Neben der Vermittlung von Basiswissen können auch Erfahrungen der Teilnehmer und Teilnehme-rinnen zum Ausbau von Fachwissen genutzt werden.

• Die Foren richten sich vor allem an erfahrenere Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die sich mit Kollegen und Kolleginnen austauschen möchten. Die Referentinnen übernehmen hier die Moderatorinnenrolle. Informationsvermittlung steht eher im Hintergrund. Neben dem Erfahrungsaustausch spielt die Reflektion der eigenen Arbeitsweisen eine größere Rolle.

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Organisation Die Teilnehmerzahl ist heuer größer geworden. Bisher waren es 65 Teilnehmer und Teil-nehmerinnen, heuer werden es ca. 80 sein. Wir wollten nicht 18 Interessenten auf der Warte-liste eine Absage erteilen. Ich bitte deshalb um Verständnis, dass wir aus diesem Grund heuer keine Tische im Saal haben. Leider ist die Referentin Frau Prof. Hildegard Bechtler erkrankt. Sie hat uns trotzdem Ihr Ma-nuskript zur Verfügung gestellt. Das werden wir in der Fachtagungsdokumentation veröffent-lichen. Aber es gibt jetzt Veränderungen im Ablauf der Fachtagung: Als Ersatz konnten wir Herrn Prof. Radebold gewinnen. Er wird heute das erste Grundsatzre-ferat vortragen. Frau Auner hält im Anschluss das zweite Grundsatzreferat. Am Nachmittag findet statt des Workshops von Herrn Mildenberger, das Forum 2 Frau Pilgrim und mir statt. Herr Mildenberger hält seinen Vortrag und den Workshop am zweiten Tag der Fachtagung. Alle Änderungen finden Sie als Aushang an den Türen. Sie können damit Ihr Programm be-richtigen. Bitte tragen Sie sich an den beiden Tagen nach den Impulsreferaten in der Kaffeepause für die Workshops und Foren ein. Sie finden die Listen draußen an der Stellwand vor dem Saal. Ihr gewählter Referent bzw. gewählte Referentin ist informiert, wo der Workshop stattfindet. Er oder sie begleiten Sie nach der Kaffeepause in den richtigen Raum. Die Teilnehmerzahl ist jeweils auf 25 beschränkt. Für diejenigen Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die nicht übernachten, besteht die Möglich-keit, am ersten Abend zum Abendessen zu bleiben. Bitte melden Sie sich in diesem Fall bei Frau Pilgrim für das Abendessen an. Ich bitte Sie, das bis heute Mittag zu erledigen, damit wir der Küche Bescheid geben können. Draußen vor dem Saal haben wir einige Materialien für Sie bereitgelegt. Vieles wird uns kos-tenlos zur Verfügung gestellt. Am Nachmittag des zweiten Tages in der Kaffeepause können Sie kostenpflichtige Veröffentlichungen kaufen. Der Tisch wird dann von einer Kollegin be-setzt sein. Neu ist auch die Mitteilungsbox. Immer wenn Ihnen etwas einfällt, können Sie es aufschrei-ben und in die Box geben. Ihre Anregungen fließen in die Gestaltung zukünftiger Fachtagun-gen ein.

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Schlusswort Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die an der Planung und Durchführung beteiligt sind. Herzlichen Dank an - Herrn Loibl und Frau Weigand, - die Mitarbeiterinnen der Angehörigenberatung e.V. Nürnberg, - die Referenten und Referentinnen, - die Leitung der Tagungsstätte, Frau Bader und ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Benjamin Britten hat einmal gesagt: Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Sobald man aufhört, treibt man zurück. Ich wünsche Ihnen, dass das Lernen auf der Fachtagung mehr Spaß macht, als es Anstrengung kostet!

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Meinhard Loibl, Ministerialrat, Bayerisches Sozialministerium für Arbeit und Sozial-ordnung, Familien und Frauen, München Eröffnung der 5. bayerischen Fachtagung Netzwerk Pflege Sehr geehrte Damen und Herren, seit zehn Jahren beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema Angehörigenarbeit, seit fünf Jahren können wir – der Verein Angehörigenberatung e.V. und das Bayerische Sozialminis-terium - jährliche Fachtagungen zu diesem Thema veranstalten. Es war mir bisher möglich, an allen Tagungen teilzunehmen. Ich komme immer wieder gerne nach Stein. Meine Teil-nahme ermöglicht mir Lernen und Austausch. Als Vertreter des Bayerischen Sozialministeri-ums kann ich gewissermaßen im dienstlichen Auftrag Entwicklungen beobachten und auf-greifen. Das Ministerium hat bisher den Aufbau der Angehörigenarbeit in Bayern ideell und finanziell gefördert. Jetzt geht es um eine Philosophie der Weiterentwicklung, die durch die Entwicklungen der häuslichen Pflegesituationen sowie durch solche der rechtlichen und tat-sächlichen Rahmenbedingungen, aber auch durch die Dynamik der Fachstellen selbst gekennzeichnet ist. Das Thema der diesjährigen Fachtagung lautet: „Erfolgreiche Angehörigenarbeit – Erfahrungen und Perspektiven“ Für mich hat Erfolg verschiedene Dimensionen: – Die Dualität der Beziehungen von Pflegeempfänger und Pflegeperson im ambulanten

Bereich, bzw. von pflegenden Angehörigen und pflegebedürftigen Familienmitgliedern. Ambulante Pflege ist tendenziell kostengünstiger sowohl für den Pflegebedürftigen selbst als auch für die Gesellschaft. Pflege in der Familie ist ein Prozess. Was ist zum jeweiligen Zeitpunkt Erfolg in diesem Prozess, bis hin zur Beendigung der häuslichen Pflege? Es geht nicht um Schwarz – Weiß - Malerei, sondern darum, die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen.

– Wer bewertet den Erfolg der Angehörigenarbeit, welche Kriterien gibt es?

– Wie kann man Erfahrungen und Know-how transferieren? Ich erhoffe mir Anregungen, wie ideelle Wege und finanzielle Mittel erschlossen werden können, damit die Arbeit ver-breitert werden kann? Wie legt man so etwas konzeptionell an, wie setzt man es um?

– Welche Vorschläge gibt es für eine dauerhafte finanzielle Absicherung der Angehörigen-arbeit – ist sie möglicherweise in einer Fortschreibung des SGB XI zu berücksichtigen?

Das zweite ganz spannende Thema bei dieser Tagung ist für mich die Wohnraumanpas-sung, denn diese kann ja eine entscheidende Voraussetzung für eine selbstständige Lebens-führung im Alter sein. Zu diesen wichtigen Fragen mit „Technikbezug“ möchte ich auf das an der Universität München (Standort BadTölz) angesiedelte Projekt „generation research pro-gramm“(GRP) hinweisen, das versucht, Grundlagenforschung mit Praxisforschung und Pra-xisentwicklung zu verbinden. Möglicherweise muss das Thema „Gerontechnologie“ auch bei der Tagung im nächsten Jahr noch einmal vertieft werden. Ich finde, dass das Programm der diesjährigen Fachtagung interessant und anregend ist, ich wünsche Ihnen viel Spaß mit den Vorträgen, Workshops und den Foren. Vielen Dank!

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Prof. Dr. Hartmut Radebold, Lehrinstitut für Alternspsychotherapie, Kassel (anstelle von Prof. Dr. Hildegard Bechtler, die kurzfristig erkrankt ist - abgedruckt ist das ursprünglich vorgesehene Referat von Frau Prof. Dr. Bechtler) Gruppenarbeit mit pflegenden Angehörigen 1. Zur Einführung Die Belastungen und Probleme pflegender Angehöriger sind inzwischen durch zahlreiche empirische Studien nachdrücklich belegt worden (etwa Urlaub 1988; Foerstl, Geiger-Kabisch 1995; Adler u. a. 1996; Boche 1999; Wilz u. a. 1999). Die Unterstützung der Pfle-genden ist als unumgänglich notwendig anerkannt, so dass sie weithin zum Basisangebot von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen gehört. Wie die Praxis zeigt, nimmt dabei die Gruppenarbeit eine vorrangige Stellung ein (Urlaub 1989; Haenselt, Bruder 1993; Hirsch 2001). Bislang sind allerdings systematische Erfolgs-kontrollen und Prozessevaluationen nur in geringem Umfang durchgeführt worden (etwa Haenselt, Bruder 1993). Die Frage: „Wann ist ein Gruppenangebot für pflegende Angehöri-ge erfolgreich?“ kann also derzeit auf der Grundlage wissenschaftlicher Studien nur mit Einschränkungen beantwortet werden und die Benennung empirisch begründeter Erfolgs-kriterien ist nur begrenzt möglich. Indessen zeigt der große Fundus an praktischen Erfah-rungen, dass Gruppenangebote für pflegende Angehörige außerordentlich hilfreich sind, ja man kann sagen, dass die Gruppe aufgrund des von allen Gruppenmitgliedern geteilten ähnlichen Erlebens in der Angehörigenpflege geradezu das Unterstützungsinstrument der Wahl ist. Zusätzlich zur Praxis stellen die Erkenntnisse aus der Gruppentherapie mit Er-wachsenen (Tschuschke 1990; Bechtler 1999; König, Lindner 1992) im mittleren und höhe-ren Alter eine wichtige Quelle für die effektive Gestaltung von Gruppenangeboten für pfle-gende Angehörige dar. Ich werde im Folgenden die wesentlichen Probleme und Bedürfnisse pflegender Angehöri-ger im Hinblick auf die Möglichkeiten der Gruppenarbeit kurz skizzieren und dann ausführ-lich die problemorientierten Gesprächsgruppe mit pflegenden Angehörigen darstellen. Die-se Form der Gruppenarbeit scheint mir wie vielen Praktikern in diesem Feld (etwa Boche 1999; Bechtler 2000) die effektivste Auseinandersetzung mit den in der Pflege von körper-lich und psychisch chronisch Kranken entstehenden seelischen Belastungen und Bezie-hungskonflikten zu ermöglichen. Dafür möchte ich einen konzeptuellen Rahmen in seinen theoretischen Grundlagen und seiner praktischen Umsetzung vorstellen und diskutieren. 2. Wesentliche Aspekte der Bedürfnisse und Probleme der pflegenden Angehörigen Die vielfältigen Probleme von pflegenden Angehörigen möchte ich zusammengefasst im folgenden an drei Aspekten zur Gruppenarbeit in Beziehung setzen. 2.1 Bedürfnis nach Information und Entlastung Gegenwärtig kann man annehmen, dass pflegende Angehörige über die ambulanten Pfle-gedienste der Sozialstationen und andere Betreuungs- und Hilfeformen für Alterskranke inzwischen weit gehend informiert sind, und dass sie auch geringere emotionale Barrieren, bei deren Inanspruchnahme zu überwinden haben. Jedoch bedürfen viele Angehörige dar-über hinaus konkreter Hilfestellung bei der Realisierung der Hilfeangebote.

Grundsatzreferat 1

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Weithin fehlt Angehörigen auch das notwendige Wissen über Art, Verlauf und Auswirkun-gen des Krankheitsbildes ihres pflegebedürftigen Elternteils bzw. Ehemanns. Zusätzlich zu Sachinformationen über mögliche zu erwartende Verschlechterungen des Krankheitszu-standes des Pflegebedürftigen benötigen Angehörige meistens Hilfestellung bei deren sub-jektiver Akzeptanz und psychischen Verarbeitung, die in der Gruppe in unterschiedlicher Form gegeben werden kann. 2.2 Unterstützung der Trauerarbeit In der Regel löst die Konfrontation mit eintretenden Verschlechterungen des Zustandes des Pflegebedürftigen bei den Angehörigen Erschrecken, Ängste und Trauer aus. Bei der nun notwendigen Trauerarbeit benötigen Pflegende meist emotionale Hilfestellung, um die zunehmenden Krankheitserscheinungen sowie hirnorganische Defizite und Funktionsaus-fälle, die häufig mit einer Persönlichkeitsveränderung beim Pflegebedürftigen einhergehen, realistisch wahrzunehmen und Schritt für Schritt Abschied zu nehmen vom bisher gewohn-ten Bild des Elternteils oder Partners (Nehen 1997). So muss etwa eine pflegende Ehefrau die Vorstellung vom Partner, der bisher die Führungsrolle innehatte und vorrangig Ent-scheidungen traf, aufgeben. Sie bekommt eine Ahnung davon, was es für sie bedeutet, Verantwortung für sich selbst und den Kranken zu übernehmen, letztlich allein zu stehen. Die pflegende Tochter oder der pflegende Sohn muss sich verabschieden vom Bild der fürsorglichen und zugleich dominierenden Mutter oder des starken beschützenden Vaters und diese in ihrer Gebrechlichkeit und Hilflosigkeit realistisch wahrnehmen. Sie erkennen, dass sie von seiten des Elternteils Zuspruch und Trost wie in früheren Jahren nicht mehr bekommen können, sondern dass sie den Rollenwechsel zur mütterlichen Betreuungsper-son des alten Elternteils nunmehr endgültig vollziehen müssen. 2.3 Hilfe bei der Klärung von langjährigen wieder aufgetauchten Beziehungskonflik-

ten Folgt man den Auffassungen von Bruder (1988, 1990) und Schultze-Jena (1988), so sind es hauptsächlich die in der intensiven Pflegebeziehung reaktivierten, meist langjährig be-stehenden Beziehungskonflikte, die die realistische Wahrnehmung der Angehörigen und ihren angemessenen Umgang mit dem Kranken erschweren. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Feststellung von Familientherapeuten, wonach meist das Kind in der Geschwisterreihe die Pflege eines alten kranken Elternteils übernimmt, das früher die „Sündenbockrolle“ in der Familie innehatte. Offensichtlich ist bei ihm das Verantwortungs-bewusstsein hinsichtlich der Familienprobleme besonders stark ausgeprägt. Zugleich be-steht bei ihm auch der Wunsch, durch die Übernahme der Pflege die lebenslang vermisste Zuwendung der alten Mutter oder die Anerkennung des alten kranken Vaters doch noch zu erhalten. Dabei sind früher erfahrene Zurücksetzungen und Kränkungen meist sehr präsent und schmerzen erneut, wenn die Dankbarkeit des gepflegten Elternteils ausbleibt. Ehefrauen bzw. langjährigen Lebenspartnerinnen werden in der Pflege des Ehemanns bzw. Partners erlebte Einengungen und Kränkungen im Laufe der langjährigen Beziehun-gen bewusst, jetzt aber ohne die Chance einer letztmaligen Klärung oder tendenziellen Wiedergutmachung und Aussöhnung. Nicht selten entsteht daraus Bitterkeit, die die Trau-erarbeit auch nach dem Tod des Partners sehr erschwert. Auf diesem Hintergrund kann sich für die Pflegenden eine außerordentlich brisante affekti-ve „Gemengelage“ ergeben, in der sich die zunehmenden psychischen und physischen

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Belastungen der Pflege mit unverarbeiteten, wieder aufgelebten Beziehungskonflikten in hoch komplexer Weise vermischen. Die Folge ist nicht selten ein Teufelskreis aus auf- kommenden feindseligen Gefühlen dem Kranken gegenüber, die wiederum Versagens- und Schuldgefühle auslösen und denen das Bemühen folgt, noch größer Leistungen und Opfer bis zur eigenen Überforderung zu erbringen. In einzelnen, von vornherein sehr ambi-valenten Beziehungen können daraus, wie wir wissen, auch Gewalthandlungen resultieren (Dieck 1987; Hirsch u. a. 1997). 2.4 Angesichts dieser vielfältigen Konfliktsituationen sollte jede Form der Unterstützung der Pflegenden auf die Entwicklung der sog. „filialen Reife“ abzielen. Dieser von der ameri-kanischen Sozialarbeiterin Margret Blenkner (1965) geprägte Begriff wurde von Bruder (1988) aufgenommen und operationalisiert. Danach umfasst die „filiale Reife“ erwachsener Kinder gegenüber ihren Eltern die folgenden drei Aspekte: ? eine Haltung emotionaler Autonomie, d. h. das Überwinden emotionaler Abhängig-

keit vom Pflegebedürftigen, so dass eigene gefühlmäßige Bedürfnisse zugelassen und denjenigen des Pflegebedürftigen gleichberechtigt gegenübergestellt werden können;

? die Freiheit von Schuldgefühlen gegenüber dem Pflegebedürftigen, die es erlaubt, den pflegerischen Einsatz nicht aus innerem Zwang über die eigenen Kräfte auszuwei-ten, sondern ihn entsprechend den eigenen Möglichkeiten zu begrenzen;

? eine Haltung fürsorglicher Autorität, aufgrund deren Verantwortung für den kranken Elternteil einschließlich notwendiger Entscheidungen auch gegen seinen Willen über-nommen werden kann. Trotzdem bestimmen Empathie und Fürsorglichkeit den Um-gang mit dem Kranken.

An diesen hier kurz beschriebenen, sehr komplexen Problemlagen von pflegenden Ange-hörigen setzt die problemorientierte Gruppenarbeit an. An ihr möchte ich nun allgemeine theoretische Aspekte der Gruppenarbeit und ihrer praktischen Umsetzung darstellen. Da-rüberhinaus gibt es noch andere Formen der Gruppenarbeit, mit unterschiedlicher Zielset-zung und inhaltlicher Ausgestaltung, so etwa die „Pflegekurs-Gruppe“ oder die Selbsthilfe-gruppe pflegender Angehöriger. Auch diese Gruppenangebote sind unter den jeweils ge-gebenen Voraussetzungen und angesichts der vorrangigen Anliegen der Teilnehmer von großem Nutzen für die Betroffenen. Deshalb ist eine Wertung im Sinne von „besser oder schlechter“ nicht angebracht. Denn immer geht es darum, den betroffenen Angehörigen diejenige Form der Gruppenarbeit anzubieten, von der sie am meisten profitieren. Kommen wir also zu den theoretischen Annahmen zur problemorientierten Gruppenarbeit, die auch auf andere Formen von Gruppenangeboten mehr oder weniger zutreffen. 3. Spezifische Wirkfaktoren der Gruppe Zu den am meisten erforschten Aspekten der Gruppentherapie mit Erwachsenen im mittle-ren und höheren Erwachsenenalter gehört die Untersuchung der so genannten „Heilfakto-ren“, d. h. jener spezifischen Faktoren, die eine positive Wirkung auf die Gruppenteilneh-mer und die Lösung ihrer Probleme in der Gruppe haben (Eckert, Biermann-Ratjen, Tön-nies, Wagner 1981; Tschuschke 1990; Eckert 1996; Yalom 1996). Darüber hinaus haben natürlich auch die sog. „unspezifischen Faktoren“ Einfluss auf das Geschehen in der Gruppe, doch sind sie meist nicht explizit zu erfassen. Von den unter-suchten Wirkfaktoren will ich einige exemplarisch für die Gruppenarbeit mit Angehörigen darstellen.

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Der von Yalom (1996) als „Universalität des Leidens“ bezeichnete Wirkfaktor bezieht sich auf die gemeinsame Erfahrung der Gruppenteilnehmer, eine oft über Jahre andauern-de physisch und psychisch äußerst belastende Pflege eines chronisch kranken Angehöri-gen durchzuführen, die das eigene seelische und körperliche Wohlbefinden erheblich be-einträchtigt (Foerstl H., Geiger-Kabisch C. 1995). Als gleichermaßen Betroffene erleben die Gruppenteilnehmer im gegenseitigen Austausch Verständnis und Anteilnahme. Die Erfahrung der einzelnen Teilnehmer in der Gruppe, dass nicht nur sie als einzige sich in der oft ausweglos erscheinenden Pflegesituation befinden, vermittelt ihnen psychische Ent-lastung. So fällt es ihnen leichter, sich in der Gruppe zu öffnen, über ihre Überforderung, ihre Empfindungen von Ärger und Wut, aber auch von Versagen und Schuldgefühlen zu sprechen, denn es ist hier weniger beschämend als gegenüber Nichtbetroffenen. Zugleich bieten die von anderen Gruppenteilnehmern eingebrachten Probleme und Erfahrungen neue Erkenntnisse zur eigenen Problemlösung. So hatte eine Ehefrau, die ihren demenz-kranken Mann zu Hause pflegte, dabei aber völlig überfordert war, lange Zeit jeden Ge-danken an eine Heimunterbringung des Mannes strikt abgelehnt. Ihre Einstellung änderte sich erst, als sie von einer anderen Gruppenteilnehmerin hörte, dass diese ihre schwer pflegebedürftige Mutter in Heimpflege gegeben und dabei erlebt hatte, dass sie nunmehr bei ihren Besuchen mit ihrer Mutter sehr viel entspannter umgehen konnte und das Befin-den der Mutter sich durch den Umzug ins Pflegeheim nicht akut verschlechtert hatte. Nun-mehr war auch sie bereit, der unumgänglichen Heimunterbringung ihres Mannes zuzu-stimmen, und sie konnte sich ihm bei ihren häufigen Besuchen im Pflegeheim intensiver zuwenden als dies bisher unter den Belastungen der häuslichen Pflege möglich war. Die Gruppenkohäsion ist der Wirkfaktor, mit dem Yalom (1996) das in der Gruppe entste-hende Zusammengehörigkeitsgefühl, das „Wir-Gefühl“, kennzeichnet. Es ist nicht nur eine eigenständige „mächtige therapeutische Kraft“ (Yalom 1996, S. 69), sondern stellt auch die Voraussetzung für das Wirksamwerden anderer therapeutischer Faktoren dar. Die Erfah-rung der Zuwendung seitens der Gruppe vermittelt den Teilnehmern narzisstische Bestäti-gung ihres im Laufe der oft langwierigen Pflege beeinträchtigten Selbstwertgefühls. Die von empathischem Verstehen und Akzeptanz geprägte Gruppenatmosphäre ermöglicht ihnen, über bestehende alte Beziehungskonflikte und daraus resultierende negative Gefüh-le, ja vielleicht auch schwer zu kontrollierende Hassimpulse gegenüber dem Kranken zu sprechen, ohne dass sie fürchten müssen, dafür verurteilt zu werden. Auf der Basis der gegenseitigen Toleranz spiegelt die Gruppe dem einzelnen Teilnehmer auch problematische Verhaltensweisen, so etwa eine bislang unaufgelöste enge Bindung an einen alten Elternteil, aus der unrealistische Erwartungen entstehen. Im Schutz der Gruppe können diese Einstellungen hinterfragt Abwehr aufgegeben werden. Dieses Klima der Offenheit und des gegenseitigen Vertrauens stellt sich allerdings nicht „naturwüchsig, d. h. von selbst, in der Gruppe ein, sondern die Leiterin muss bereits bei der Konzipierung und praktischen Vorbereitung der Gruppenarbeit, insbesondere hinsichtlich der Zusam-mensetzung der Gruppe, aber auch bei der Gestaltung ihrer Leiterinnenrolle und der Rah-menbedingungen, die Voraussetzungen dafür schaffen und auch während der Gruppenar-beit auf die Entwicklung der Gruppenkohäsion achten. Interpersonales Lernen, Katharsis und Einsicht sind drei Wirkfaktoren, die in inhaltli-cher Nähe zu einander stehen und die ich deshalb hier gemeinsam beschreiben möchte. Anders als die Einzelberatung, die sich in der Zweier-Beziehung von Ratsuchendem und Beraterin vollzieht, bietet die Gruppe ein Netz vielfältiger Beziehungen, auf die sich der Einzelne mit unterschiedlicher emotionaler Intensität einlassen kann. Sie bietet die Mög-lichkeit, multilaterale, d. h. nach vielen Seiten gerichtete Beziehungen mit den jeweils aus-gelösten Übertragungen einzugehen und neue Einsichten über sich zu gewinnen. Dieses interpersonale Lernen stellt nicht nur einen intellektuellen Vorgang i. S. der Lerntheorie dar,

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sondern schließt eine emotionale Auseinandersetzung entsprechend dem griechischen Begriff der Katharsis, d. h. des „reinigenden“ Abreagierens mit ein, das dem Einzelnen ein besseres Selbstverständnis ermöglicht. Darüber hinaus stellt der soziale Kontext der Gruppe zugleich ein Übungsfeld dar, in dem der Einzelne diese neuen Einsichten ausprobieren und üben kann, um sie auch außerhalb der Gruppe erfolgreich umzusetzen. Wenn auch, wie erwähnt, der Wirkfaktor Informationen (Yalom 1996) in der Gesprächs-gruppe nicht im Vordergrund steht, so erweist er sich auch hier als nützlich. Doch werden gewünschte Informationen nicht in Form umfassender Erklärungen durch die Leiterin ver-mittelt, sondern sie versucht zunächst, mögliche, mit den Fragen nach bestimmten Infor-mationen verbundene Fantasien und mögliche Ängste des betreffenden Teilnehmers zu erkennen und in der Gruppe zu bearbeiten. Dabei regt die Leiterin die Gruppenmitglieder zum gegenseitigen Austausch an und gibt selbst nur punktuell informatorische Hinweise. Der weiter von Yalom (1996) genannte Wirkfaktor „Identifikation“ hat auch für die Ge-sprächsgruppe mit Angehörigen Bedeutung. Sowohl die Gruppenteilnehmer in ihren unter-schiedlichen Lebens- und Pflegesituationen als auch die Leiterin bieten Möglichkeiten für neue zwischenmenschliche Erfahrungen, die der einzelne Teilnehmer für sich nutzen kann. Besonders die Gruppenleiterin stellt mit ihrer Sichtweise von Problemen und ihrer Reaktion auf Verhaltensweisen der Gruppenmitglieder ein Modell dar, mit dem sich die Gruppenteil-nehmer identifizieren können. Ihr Kommunikationsstil wirkt zunehmend prägend auf den Umgang der Gruppenmitglieder miteinander, meist, ohne dass dies verbalisiert wird. Dazu-hin können Gruppenteilnehmer, wie die Erfahrung zeigt, aus dem identifikatorischen Miter-leben von Veränderungen eines Mitgliedes, dessen Problemlage ihrer eigenen ähnlich ist, großen Nutzen ziehen. Dieses Phänomen könnte erklären, warum auch eher zurückhal-tende, schweigsame Teilnehmer sehr viel Gewinn aus der Gruppenarbeit ziehen können. Schließlich möchte ich hier noch auf einen letzten Wirkfaktor eingehen, den Yalom (1996) „Hoffnung wecken“ nennt. Dieser Faktor besteht nicht aus aktivem „Trösten“ oder „Mutzu-sprechen“, sondern er wirkt eher implizit als unausgesprochene Zusage der Gruppenarbeit, dass sich etwas zum Positiven ändern wird. Wenn wir bedenken, dass Angehörige in einer über viele Jahre andauernden und zunehmend belastender werdenden Pflegesituation meist resigniert haben und dass sie anfangs auch im Hinblick auf den Nutzen der Grup-penarbeit skeptisch sind, so wird deutlich, wie wichtig es ist, dass die Gruppe besonders in der Anfangszeit Hoffnung vermittelt. Auch hier wiederum überzeugt das Beispiel anderer Gruppenmitglieder, die bereits deutliche Schritte in Richtung einer positiven Entwicklung gemacht haben, am stärksten. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die bisherigen Erfahrungen die hohe Wirk-samkeit der dargestellten Faktoren sich auch in der Gruppenarbeit mit pflegenden Angehö-rigen bestätigen. Sie gezielt nutzbar zu machen und ihre Wirkung durch die professionellen Interventionen verstärken zu können, würde ich als wichtiges Qualitätsmerkmal der Grup-penarbeit betrachten. Sie belegen darüber hinaus gewisse Vorzüge der Gruppenarbeit ge-genüber der Einzelberatung. 4. Um nun die Wirkungsmöglichkeiten des hochwirksamen Instruments Gruppe voll auszu-schöpfen und die „Verstärkerwirkung der Gruppe“ (Battegay 1999) positiv zu nutzen, ist es nötig, über die einzelnen Wirkfaktoren hinaus auch den sich entwickelnden Gruppen-prozess und die Beziehungsdynamik zu verstehen und gezielt zu beeinflussen. Hilfreich dafür erscheinen im Wesentlichen drei theoretische Perspektiven, die ursprünglich aus der psychoanalytischen Gruppentheorie stammen, die aber, wie erfahrene Gruppentheore-tiker gezeigt haben (Heigl-Evers/Schultze Dierbach 1988), inzwischen von Gruppenthera-peuten unterschiedlicher Schulrichtungen anerkannt und genutzt werden.

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4.1. Die Gruppe als Ganzes - der Einzelne in der Gruppe Konstitutiv für die Gruppenarbeit ist der Basiskonflikt zwischen der Pluralität der Gruppe und der Individualität der Mitglieder, d. h. dass die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen mit den Ansprüchen des Kollektivs der Gruppe in Einklang gebracht werden müssen. Hilf-reich für das Erkennen der unterschiedlichen Ebenen - hier das Kollektiv der Gruppe, dort die Individualität des einzelnen Teilnehmers - ist das Gruppenmodell nach Foulkes (1974). Foulkes versteht die Gruppe als Netzwerk intrapsychischer, interpersonaler und transper-sonaler Beziehungen, in denen der Einzelne als ein Knotenpunkt erscheint. Betont wird hier sowohl der kohäsive Zusammenhang der Gruppe als auch die Profilierung des einzel-nen Mitglieds in seiner Individualität und Besonderheit. So muss sich die Wahrnehmung der Leiterin sowohl auf die Äußerungen und Reaktionsweisen der Gruppe als Ganzes als auch auf die individuellen Bedürfnisse und Verhaltensweisen der einzelnen Mitglieder rich-ten. Dabei ist es günstig, in der Anfangszeit der Gruppenarbeit, wenn die Gruppe Stabilität und Arbeitsfähigkeit entwickeln muss, damit sich ihre spezifischen Wirkfaktoren entfalten können, die Interventionen an die Gruppe als Ganzes zu richten. Zugleich werden individu-elle Reaktionen und Verhaltensweisen der Mitglieder zwar registriert, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt intensiver bearbeitet. Hat die Gruppe dann die nötige Kohäsion, den Zusammenhalt der Teilnehmer erreicht und ist das Vertrauen in ihre therapeutische Potenz gewachsen, nimmt die Arbeit an individuellen Problemen breiteren Raum ein. 4.2. Übertragung und Gegenübertragung in der Gruppenarbeit Diese Begriffe aus der psychoanalytischen Theorie erweisen sich als hilfreich auch für die Gruppenarbeit mit pflegenden Angehörigen, ohne dass es sich hier um ein explizit thera-peutisches Unternehmen handelt. In der Gruppenarbeit meint Übertragung einen meist unbewussten Vorgang, bei dem die Teilnehmer aus früheren und heutigen lebensge-schichtlichen Beziehungen stammende Konflikte, Gefühle und Erwartungen im intensiven Miteinander des dynamischen Gruppenprozesses auf aktuelle Beziehungen, d.h. auf die Gesamtgruppe, auf einzelne Teilnehmer und die Gruppenleiterin übertragen. Eine verzerr-te, nicht realitätsgerechte Wahrnehmung und dazugehörige Verhaltensweisen sind die Fol-ge. Gegenübertragung meint die entsprechenden gefühlsmäßigen Reaktionen auf Seiten der Leiterin, die zum einen ihre eigene Übertragung, d.h. unverarbeitete Gefühle und Kon-flikte gegenüber wichtigen Beziehungspersonen, zum anderen die positiven wie negativen Gefühle, die unabhängig von ihrer Übertragung in ihr durch die Gruppe als Ganzes wie auch durch einzelne Mitglieder hervorgerufen werden können. An praktischen Beispielen lassen sich derartige Vorgänge verdeutlichen, so auf der Beziehungsebene zwischen Ge-samtgruppe und Leiterin: Die Gruppenteilnehmer präsentieren sich, meist der Realität ent-sprechend, als überfordert und erschöpft und erwarten Entlastung, Rat und Hilfe von der Leiterin, wobei sie sich aber nur schwer zu persönlichen Beiträgen zum Gruppengespräch motivieren lassen. Die Gruppenleiterin ihrerseits empfindet die Passivität der Gruppe als schwer erträglich und fühlt sich in ihrer Helferrolle gedrängt, immer neue Themen anzubie-ten, die Gruppe quasi „zu bedienen“. Damit erstirbt jedoch jegliche Dynamik im Gruppen-prozess. Als weiterer Übertragungsaspekt wirkt sich die oftmals in der Arbeit mit Angehörigen zu beobachtende Gefühlskonstellation erschwerend aus, bei der die Gruppenleiterinnen (auch Beraterinnen) sich in ähnlichem Alter wie die pflegenden Angehörigen befinden, zumindest so weit es sich um pflegende Töchter handelt. So haben viele Gruppenleiterinnen Erfah-rungen mit der Hilfebedürftigkeit und den gefühlsmäßigen Ansprüchen ihrer eigenen al-ternden Eltern und sind oft selbst nicht frei von aggressiven Impulsen und daraus resultie-renden Schuldgefühlen. Hier besteht die Gefahr, dass die Gruppenleiterinnen sich in der

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Übertragung unbewusst mit den pflegenden Töchtern identifizieren und sich mit ihnen ge-gen den Pflegebedürftigen verbünden, dem dann die Rolle des alleinigen Problemverursa-chers zugeschoben wird. In der Gruppe verhindert eine solche parteiliche Sichtweise der Leiterin jedoch bei den Teilnehmern eine wirksame Auseinandersetzung mit den eigenen Anteilen an den Pflegeproblemen und lässt letztlich auch den Entwicklungsprozess der Gruppe stagnieren. Doch auch in den Beziehungen zwischen den Gruppenteilnehmerinnen können sich über-tragungsbedingte Störungen auswirken. Wenn die Gruppe überwiegend aus pflegenden Töchtern und beispielsweise nur einer älteren pflegenden Ehefrau besteht, neigen die jün-geren Frauen dazu, Erfahrungen mit der eigenen Mutter auf die ältere Frau zu übertragen und entsprechende Konflikte mit ihr auszutragen. Um hier ihre Haltung der „Allparteilich-keit“ (Stierlin u. a. 1986) oder, wie ich es nenne, der „wohlwollenden Neutralität“ zu bewah-ren, sollte die Gruppenleiterin nicht nur auf die Gefühlsäußerungen der Gruppe und der einzelnen Mitglieder, sondern auch auf ihre eigenen emotionalen Reaktionen achten und diese reflektieren. 4.3. Abwehr und Widerstand im Gruppenprozess Die psychoanalytische Theorie beschreibt eine Reihe psychologischer Abwehrformen, die dazu dazu dienen, uns vor peinlichen Gefühlen, Ängsten, Schuldgefühlen und ähnlichen unangenehmen Empfindungen zu schützen. Sehr bekannt geworden sind Mechanismen wie Verdrängung, Verschiebung, Verleugnung, Identifikation mit dem Aggressor und ähnli-che, die zu habituellen Verhaltensweisen bei Menschen werden können. Im Kollektiv der Gruppe können sich nun daraus, aber auch aus andersartigen Einstellungen und Reaktio-nen der Gruppe als ganzer oder einzelner Mitglieder wie auch der Gruppenleiterin, Wider-standsformen entwickeln, die - wenn sie nicht erkannt werden - die Arbeit an den Proble-men der Teilnehmer wie auch der Entwicklung des Gruppenprozesses beeinträchtigen. Welche von den allgemein für therapeutische Gruppen beschriebenen Widerstandsformen (Heigl-Evers-Heigl 1968) sind nun in Gruppen pflegender Angehöriger zu beobachten? Besonders am Beginn der Gruppenarbeit kann sich ein Widerstand in Form der „Unifikati-on“ zeigen, d. h. die Gruppe verharrt im Zustand der durch ähnliche Leidenserfahrungen erlebten Verbundenheit und „genießt“ quasi das Angenommen- und „Einssein“. Dabei wer-den allerdings die faktischen Unterschiede zwischen den Teilnehmern hinsichtlich Persön-lichkeit, Familienbeziehungen und Krankheitssituation des Pflegebedürftigen geleugnet, um Kränkungen zu vermeiden. Dadurch fehlen aber die aus der Unterschiedlichkeit der Teil-nehmer resultierenden Impulse für den dynamischen Prozess der Gruppe und ihre Arbeit wird gelähmt. Eine für Angehörigengruppen charakteristische und besonders in der Anfangszeit der Gruppenarbeit aufkommende kollektive Widerstandsform ist die bereits erwähnte Einstel-lung vieler Gruppenteilnehmer, nach der alle ihre seelischen Belastungen und Probleme einzig und allein durch den Pflegebedürftigen verursacht seien. Dies geschieht auch, ohne dass es von der Leiterin unbewusst unterstützt wird. Nicht selten wird die Gruppe dann zur „Klagemauer“, an der man seine schlechten Gefühle ablädt, meist jedoch ohne dass sich aber etwas an den Pflegeproblemen ändert. Zu einer hilfreichen Intervention kommt die Leiterin hier, wenn sie die Verschiebung der Probleme auf den Kranken zunächst zulässt, diese jedoch mit zunehmender emotionaler Sicherheit in der Gruppe hinterfragt. Dabei kann die komplexe Beziehungsdynamik zwi-schen Pflegendem und Pflegebedürftigem in ihrer Entwicklung bei einzelnen Teilnehmern aufgerollt und einer Bearbeitung in der Gruppe zugänglich gemacht werden.

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Zum Widerstand werden kann auch das permanente gegenseitige Ratgeben. Dies ge-schieht vor allem dann, wenn sich einzelne Teilnehmer, meist sind es immer dieselben, ständig anderen, in ihren Augen stärker belasteten Gruppenteilnehmern zuwenden und ihnen Ratschläge geben. Da dieses eigentlich altruistische Verhalten jedoch vielfach dazu dient, eigene Probleme zu verdrängen und dadurch zu vermeiden, sich selbst in der Grup-pe zu öffnen, sollte die Gruppenleiterin entsprechend intervenieren. Eine weitere Widerstandsform, die in Gruppen unterschiedlicher Art auftritt, ist das Schweigen Einzelner oder der gesamten Gruppe. Freilich ist nicht jede Form des Schwei-gens als Widerstand aufzufassen, denn es ist ja gerade ein Vorzug der Arbeit in der Grup-pe, dass das einzelne Mitglied den Zeitpunkt und das Ausmaß seines persönlichen Enga-gements selbst bestimmen und vielfach auch schweigend an der Arbeit der Gruppe partizi-pieren kann, ohne dass dadurch der Gruppenprozess beeinträchtigt wird. Widerstandscha-rakter hat das Schweigen allerdings immer dann, wenn beispielsweise latente Spannungen in der Gruppe bestehen, und das Schweigen als zunehmend bedrückend empfunden wird. Nützlich ist hier eine Intervention an die Gesamtgruppe, in der das Verhalten der Gruppe benannt und zugleich mögliche zu Grunde liegende Ängste interpretiert werden, etwa sich etwa zu Beginn der Gruppenarbeit durch eine möglicherweise unpassende Bemerkung vor den anderen „zu blamieren“, andere Gruppenmitglieder durch die eigene Meinung zu ver-letzen oder dergl. Gewöhnlich empfindet die Gruppenleiterin das Schweigen selbst als sehr belastend; würde sie aber diese Situation durch viele eigene Gesprächsbeiträge „zu über-brücken“ versuchen, würde sie sich und der Gruppe die Chance nehmen, einen latenten Gruppenkonflikt zu erkennen und zu bearbeiten. Umgekehrt kann auch permanentes „munteres Plaudern“ der Gruppenteilnehmer, die vielleicht zusätzlich mit Kaffee und Kuchen gut bedient sind, die Auseinandersetzung mit den belastenden Problemen verhindern und zum Widerstand in der Gesprächsgruppe wer-den. Zusammengefasst lassen sich Widerstandsformen als wichtige Erscheinungen im Arbeits-prozess der Gruppe bezeichnen, die - so sie erkannt und in ihrer psycho- und gruppendy-namischen Bedeutung verstanden werden - wichtige Anstöße zur weiteren Entwicklung des einzelnen Teilnehmers wie der Gruppe als ganzer geben. Auch die Kenntnis der beschriebenen Perspektiven Gruppe - einzelner Teilnehmer, Übertragungs- und Gegenübertragungserscheinungen sowie Abwehr- und Widerstands-formen im Gruppenprozess und die Fähigkeit der Leiterin zur Ableitung geeigneter Inter-ventionen erscheinen mir als wesentliches qualitatives Merkmal einer effektiven Gruppen-arbeit. 5. Zur Planung und Vorbereitung einer problemorientierten Gesprächsgruppe mit

pflegenden Angehörigen Wenden wir uns nun den Rahmenbedingungen der Gruppe zu, denn auch sie bestimmen neben dem Gruppenkonzept den Verlauf und das Gelingen der Gruppenarbeit entschei-dend mit. Bei der sorgfältigen Vorbereitung und Planung geht es gewissermaßen um die fachgerechte Konstruktion des „Instruments Gruppe“, das als Medium der Problemlösung eingesetzt wird. Worauf also ist bei der Planung und Vorbereitung einer problemorientierten Gesprächs-gruppe zu achten?

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5.1 Zunächst ist es wichtig, die inhaltliche, institutionelle und zeitliche Einbindung der Gruppenarbeit in das gesamte Unterstützungs- und Behandlungsangebot der jeweiligen Einrichtung sicherzustellen und die Unterstützung und Anerkennung der Leitung sowie aller Mitarbeiter zu erreichen. Die Gruppenarbeit darf keineswegs als „Anhängsel“ zum Leis-tungsangebot der Einrichtung oder gar als „Hobby“ beispielsweise der Sozialarbeiterin gel-ten, die mit den Gruppenmitgliedern jeweils „eine schöne Stunde“ verbringt, während bei-spielsweise die Krankenschwestern sich als diejenigen sehen, die die harte Arbeit in der Pflege leisten müssen. Wird die Gruppenarbeit von der Leitung und allen Mitarbeitern res-pektiert, wird es weniger Hindernisse im Umfeld der Gruppe geben. 5. 2 Überlegungen zur Gruppenleitung Die Gruppenleiterin sollte neben geriatrischen und gerontopsychiatrischen Kenntnissen auch ein umfangreiches Wissen über die Probleme von pflegenden Angehörigen aus der Einzelberatung haben. Darüber hinaus sind Erfahrungen im Umgang mit Gruppen sehr nützlich. Wie deutlich geworden ist, besteht die Aufgabe der Gruppenleiterin vor allem darin, günsti-ge Rahmenbedingungen für die Gruppenarbeit zu schaffen, so dann die Entwicklung des Gruppenprozesses zu initiieren und durch geeignete Interventionen zu unterstützen, wobei sie auftretende Blockierungen erkennt und auflöst. In ihrer Arbeit wird sie die Teilnehmer miteinander ins Gespräch bringen, selbst mehr zuhören und beobachten. Die Durchführung einer Gruppenarbeit durch zwei Leiterinnen wird meist als positiv erlebt. Für sie liegen die Vorteile vor allem in der umfassenderen Wahrnehmung des Gruppenpro-zesses und der möglichen gegenseitigen Unterstützung und Reflexion des gefühlsmäßigen Erlebens in der Gruppe. Zugleich ist die kontinuierliche Durchführung der Gruppenarbeit sichergestellt, auch wenn eine Leiterin fehlen muss. Indessen erfordert die gemeinsame Leitung der Gruppe die verbindliche Einigung auf ein Gruppenkonzept und jeweils vorherige klare Absprachen bezüglich des Vorgehens in den einzelnen Gruppenstunden. Um Rivalitätskonflikte zwischen den Leiterinnen zu vermeiden, ist die Reflexion ihrer Rolle in der Gruppe aufgrund unterschiedlicher Berufszugehörigkeit, Berufserfahrung, Alter und Geschlecht unumgänglich. Konflikte zwischen den Leiterinnen entstehen auch aufgrund der ihnen von der Gruppe entgegengebrachten, meist unter-schiedlichen Rollenvorstellungen, d. h. den spezifischen Übertragungserwartungen. Angesichts dieser für beide Leiterinnen sehr hohen emotionalen Anforderungen in der Gruppenleitung erscheint eine gemeinsame Supervision vor allem beim ersten Durchgang einer Angehörigengruppe unverzichtbar (Hirsch 1993). Sie sollte bereits im Planungsstadi-um der Gruppenarbeit beginnen. 5.3 Auswahl der Teilnehmer der Gesprächsgruppe Wie deutlich geworden ist, setzt die emotionale Auseinandersetzung mit psycho- und be-ziehungsdynamischen Problemen in der Gruppe eine hohe Motivation auf Seiten der Teil-nehmer voraus. Dazu hin ist diese Art von Gruppenarbeit sicherlich nicht für alle pflegen-den Angehörigen geeignet. So ist eine Auswahl der potenziellen Teilnehmer unumgänglich, zum einen mit dem Ziel, für jeden Angehörigen das für ihn am besten geeignete Angebot zu finden, sei es nun eine Gesprächsgruppe oder ein Pflegekurs. Zum anderen sollte eine im Sinne ihrer Arbeitsfähigkeit günstige Zusammensetzung der Gruppe erreicht werden.

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Wie werden nun potenzielle Gruppenteilnehmer gewonnen? Wie die Erfahrung zeigt, berichten pflegende Angehörige oft im Einzelgespräch von schwierigen Beziehungskonflikten oder signalisieren beispielsweise Teilnehmerinnen einer „Pflegekurs-Gruppe“, dass sie sich eine intensivere Auseinandersetzung mit den anste-henden Problemen wünschen. Andererseits treffen Krankenschwestern und Sozialarbeiter immer wieder auf Pflegesituationen, die offensichtlich nicht allein durch äußere Entlastung verbessert werden können. In jedem Fall ist es nützlich, wenn die Leiterin bzw. beide Leiterinnen die jeweils für eine Gruppenarbeit infrage kommenden Angehörigen zu einem Einzelgespräch einladen. Dabei geht es einerseits darum, sich ein Bild von der Persönlichkeit der Pflegenden und des Kranken samt seinen Behinderungen und Einschränkungen sowie der Pflegesituation zu machen und die Motivation für die Gruppenteilnahme einschließlich bestehender Vorbehal-te zu klären. Andererseits können dem an der Gruppe Interessierten Informationen über die Gruppenar-beit, ihre Zielsetzung und Arbeitsweise und den mögliche Nutzen für ihn gegeben und etwa durch die Teilnahme an der Gruppe vielleicht entstehende Schwierigkeiten besprochen werden. Nach Möglichkeit sollte schon jetzt mit dem potenziellen Gruppenmitglied eine ungefähre Zielvorstellung entwickelt werden, auf die in der Gruppe hingearbeitet werden kann. Bei diesem vielleicht aufwendig erscheinenden Klärungsprozess soll es nicht darum gehen, sich sozusagen die „besten“ Gruppenteilnehmer auszusuchen, sondern herauszufinden, von welcher Art der Unterstützung der Betreffende am meisten profitieren kann, sei dies eine Einzelberatung, eine „Kursgruppe“ oder eben eine Gesprächsgruppe. Bei der Auswahl der Teilnehmer stellt sich zugleich die Frage nach der Zusammenset-zung der Gruppe. Nach einer allgemeinen Regel sollte die Gruppe nicht „zu homogen“, aber auch nicht „zu heterogen“ zusammengesetzt sein. Das bedeutet praktisch, dass es zwischen den Teilnehmern gewisse Ähnlichkeiten hinsichtlich Alter, sozialer Schicht, Fami-lienstand, der Pflegesituation etc. geben sollte, damit sie für einander Empathie aufbringen können. Zu vermeiden ist in jedem Fall eine sog. „Außenseiterposition“, bei der ein Mitglied hinsichtlich Alter, Geschlecht oder Lebens- und Pflegesituation von den übrigen stark ab-weicht. In einer Gruppe von pflegenden Töchtern kann es, wie erwähnt, für eine einzelne pflegende Ehefrau nicht leicht sein, von den jüngeren Frauen akzeptiert zu werden, da die-se sich mit ihr als Angehöriger der Generation ihrer Mütter meist nicht identifizieren kön-nen. Ähnlich verhält es sich auch bei einer erheblich jüngeren Teilnehmerin. So ist mir ein Fall bekannt, in dem eine 18jährige Enkeltochter ihre Großmutter pflegte und in eine Grup-pe von älteren Töchtern und Ehefrauen aufgenommen wurde. Sehr schnell wurde sie als Jüngste zum „Küken“ der Gruppe gemacht, das zwar Anerkennung für seine Pflegetätigkeit erhielt, sich im übrigen aber nicht ernstgenommen fühlte. Ebenso könnte ein pflegender Sohn als einziger Mann in der Gruppe sehr viel Sympathie, aber wenig konstruktiv-kritische Resonanz zu spüren bekommen. Für einen pflegenden Partner eines Aids-Kranken wäre es wiederum kaum möglich, in der Gruppe Verständnis für seine besondere Situation und seine spezifischen Konflikte zu finden. In der Gruppe ist also in dieser Hinsicht eine günstige Mischung anzustreben, so dass je-weils mehrere Teilnehmer aus unterschiedlichen Generationen und Geschlechtern sowie Pflegesituationen aufeinander treffen. Als problematisch kann sich auch die Zusammensetzung einer Gruppe erweisen, die vor-wiegend aus sehr belasteten Angehörigen von schwer Demenzkranken besteht und in der

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sich nach und nach eine Stimmung von Hoffnungslosigkeit und Depressivität breit macht, gegen die schwer anzukommen ist. So sollte auch hier auf eine günstige Gruppenzusam-mensetzung geachtet werden, bei der es gleichermaßen Angehörige mit einer positiveren Grundstimmung gibt. 5.4 Teilnehmerzahl der Gruppe Für eine Gesprächsgruppe hat sich eine Zahl von 10 - 12 Teilnehmern bewährt, die das Entstehen des Gruppenzusammenhalts erleichtert, die aber auch beim Fehlen einzelner Mitglieder noch arbeitsfähig bleibt. Bei einer länger dauernden Gruppenarbeit (ein- bis ein-einhalb Jahre) erweist sich eine sog. halb-offene Gruppenform als nützlich, bei der aus-scheidende Teilnehmer durch neu Hinzukommende ersetzt werden können. Dabei bedarf es einer sorgfältigen Bearbeitung sowohl des Ausscheidens des früheren Mitglieds als auch des Eintritts eines ausgewählten neuen, damit sich dieses in die Gruppe integrieren kann. Bei einer zeitlich limitierten Gruppenarbeit empfiehlt sich indes eher eine geschlossene Gruppenform, da die Integration neuer Teilnehmer aufgrund des begrenzten Zeitrahmens sehr erschwert ist. Ungünstig erscheint bei einer problemorientierten Angehörigengruppe eine offene Gruppenform, da sie die Problembearbeitung notwendige Vertrautheit unter den Mitgliedern nicht aufkommen lässt. 5.5 Zeitplanung Schon vor Beginn der Gruppenarbeit sollte die ungefähre Gesamtdauer der Gruppenarbeit, die Häufigkeit und die jeweilige Dauer der einzelnen Gruppentreffen bedacht werden. Nach den vorliegenden Erfahrungen werden sowohl bei einer länger dauernden, d.h. etwa ein- oder anderthalbjähriger Laufzeit, als auch bei einer zeitlich limitierten Gruppenarbeit über 6 Monate gute Ergebnisse erzielt. Die Begrenzung der Gruppe etwa auf ein halbes Jahr bei wöchentlichen Treffen kommt den Wünschen von Angehörigen nach einem überschauba-ren Zeitrahmen entgegen. Wichtig ist, dass die Kontinuität der Gruppenarbeit gewahrt wird durch einen wöchentlichen oder höchstens zweiwöchentlichen Abstand der Treffen. Dage-gen wird eine Gruppe, die nur einmal im Monat zusammen kommt, kaum die notwendige Kohäsion zur Entfaltung ihrer Wirksamkeit erreichen. Bei der Wahl des Zeitpunkts für die Gruppenstunden müssten die Möglichkeiten der Angehörigen, Berufstätigkeit etc. berück-sichtigt werden. 5.6 Gruppenraum Auch der Gruppenraum hat einen wesentlichen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit der Grup-pe. So sollte ein Raum gewählt werden, der zuverlässig für die Gesamtdauer der Grup-penarbeit exklusiv für sie zur Verfügung steht, der weder zu groß noch zu klein ist, und der gegen Störungen von außen abgeschirmt werden kann. Die Bestuhlung sollte eine Sitz-ordnung erlauben, bei der jeder mit jedem Blickkontakt hat. Insgesamt sollte der Raum eine angenehme Atmosphäre ausstrahlen, doch sollte auch dabei zum Ausdruck kommen, dass sich die Gruppenarbeit als „Arbeitsgruppe“ versteht.

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5.7 Betreuung der Pflegebedürftigen während der Gruppenarbeit Als günstige Voraussetzung für eine Gruppenarbeit mit den Pflegenden erweist sich ein gleichzeitiges Betreuungsangebot für die Pflegebedürftigen. Damit wird vielen Pflegenden die Teilnahme an der Gruppenarbeit überhaupt erst ermöglicht, die sie sonst aus Sorge um die Pflegebedürftigen hätten ablehnen müssen (Boche 1999). Zusammengefasst lässt sich auch an einer derartigen sorgfältigen Vorbereitung auch der Rahmenbedingungen ein wesentliches Qualitätsmerkmal erkennen. 6. Schlussbemerkungen Vielleicht sind Ihnen beim Lesen verschiedene Gedanken durch den Kopf gegangen wie: „Das geht doch mit unseren Klienten gar nicht“ - „diese Gruppenarbeit ist doch viel zu an-spruchsvoll, die ist in der Praxis einer Sozialstation oder Beratungsstelle doch gar nicht zu machen“ - „das ist doch alles zu therapeutisch, und wir machen keine Therapie“. Diese Gedanken und Vorbehalte sind mir aus vielen Fortbildungen und Supervision sehr bekannt. Ich wollte Ihnen damit auch kein Modell vorstellen, „wie man es richtig macht“ oder Sie zu einer Gruppentherapie mit Angehörigen überreden. Vielmehr wollte ich Ihnen zeigen, dass und wie es möglich ist, pflegenden Angehörigen gezielt das Wichtigste, was sie brauchen, nämlich die emotionale Auseinandersetzung mit den und die Klärung der aus der belasten-den Pflege resultierenden eigenen psychischen Konflikten anzubieten und ihnen, damit auch ein Stück Selbstveränderung und eigene seelische Reifung zu ermöglichen. Sie kön-nen sich dann aus den häufig bestehenden Beziehungskonflikten befreien, sich dem Pfle-gebedürftigen unbelasteter zuwenden und die Pflegesituation so gestalten, wie es für beide Seiten am günstigsten ist.

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Sybille Auner, Diplom-Sozialpädagogin, Institut auf schwung alt, München

Grundsatzreferat 2 Technologieanwendungen bei Demenzerkrankten Chancen für eine möglichst selbstständige Lebensführung der Betroffenen und Entlastung der Pflegenden Aufgrund der demografischen Entwicklung steigt der Anteil der Menschen, die demenziell erkrankt sind und für die Bewältigung ihres Alltages dauerhafte Hilfe und Unterstützung be-nötigen. Diese Entwicklung verändert bereits heute die Rahmenbedingungen für eine be-dürfnisgerechte Versorgung und Betreuung der Betroffenen, insbesondere durch das sich verändernde familiäre Hilfesystem, den heute bereits spürbaren Engpass an qualifizierten Mitarbeitern und das Fehlen entsprechender Finanzierungskonzepte. Vor diesem Hinter-grund kann der Einsatz von Technik die notwendige und wünschenswerte persönliche Betreuung von Demenzkranken nicht ersetzen. Er kann aber helfen, Problemfelder im Be-reich der Sicherheit zu kompensieren, um die zur Verfügung stehenden Ressourcen auf die eigentliche Betreuung, Pflege und Zuwendung zu konzentrieren. Punktuelle Entlastung Die Nachbarn sind in heller Aufregung. Zum zweiten Mal in einem Monat riecht es aus der Wohnung der alten Frau Gruber* nach angebranntem Essen. Als die Mitarbeiterin der Sozi-alstation am Morgen zu Frau Gruber kommt, wird sie bereits im Treppenhaus von den Nach-barn mit der schwierigen Situation konfrontiert. Alle im Haus haben Angst, dass beim nächs-ten Mal mehr passieren könnte und Frau Gruber nicht nur sich selbst, sondern die gesamte Hausgemeinschaft ernstlich gefährdet. Das Team des ambulanten Pflegedienstes und die Angehörigen wissen keinen Rat mehr. Frau Gruber leidet an einer beginnenden Alzheimer-erkrankung und vergisst immer öfter den Herd auszuschalten. Schon vor Wochen wurde deshalb die Sicherung für den Herd herausgedreht. Frau Gruber konnte von da an nicht mehr selbst für sich kochen und bekam deshalb Essen auf Rädern geliefert. Dieses schmeckte ihr aber nicht und sie hatte schnell an Gewicht verloren. Also hat die Tochter die Sicherung wieder hineingedreht. Jetzt drohen die Nachbarn, die Hausverwaltung zu informie-ren und sich gegebenenfalls an das Vormundschaftsgericht zu wenden. Vielleicht könnte man den Sachverhalt ja so abklären und eine Betreuung für die alte Dame einleiten. Situationen, wie eben bei Frau Gruber geschildert, sind Angehörigen von Demenzkranken und den ambulanter und sozialer Dienste vertraut. Immer dann, wenn der mit der Demenz verbundene krankheitsbedingte Verlust von kognitiven Fähigkeiten unmittelbare Auswirkun-gen auf die häusliche Alltagsgestaltung und Sicherheit hat, sind alle Beteiligten schnell in einem großen Gewissenskonflikt; was ist hier höher zu bewerten: das Bedürfnis nach Si-cherheit, im Sinne von Schutz oder das Bedürfnis nach einer möglichst selbstständigen Le-bensführung ohne Entmündigung? Technische Lösungen helfen Demenzkranken, in der eigenen Wohnung sicher zu leben. Da Demenzkranke im Verlauf ihrer Erkrankung Gefahrensituationen immer weniger adäquat einschätzen können und ihnen auch die Krankheitseinsicht immer mehr verloren geht, kom-men sowohl ihre Angehörigen als auch die sie betreuenden und pflegenden professionellen Dienste immer wieder in Situationen, in denen sie für die Erkrankten Entscheidungen treffen müssen, die unmittelbare Auswirkungen auf deren Leben haben. * Name geändert

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Bei manchen Problemstellungen sind technologische Unterstützungsleistungen eine gute Möglichkeit, diese Gefahrenmomente zu eliminieren. So kann z.B. bei Frau Gruber eine Herdüberwachung eingebaut werden, die mittels einer programmierten Zeitschaltuhr die Ein-schaltzeit der Kochplatten überwacht. Dies bedeutet, dass die Sicherung den Herd automa-tisch abschaltet, wenn die vorgegebene Zeit (z.B. 30 Minuten) abgelaufen ist. Zusätzlich zu dieser Lösung kann mit Hilfe einer Hitzewache auch die Wärmeausstrahlung der Kochplatten kontrolliert werden. Im Fall von Frau Gruber würde die Hitzewache den Herd ausschalten, sobald von diesem Gerät eine zu große Hitzeentwicklung registriert wird. Dies passiert z.B. dadurch, dass Frau Gruber die falsche Platte einschaltet oder einen Topf ohne Inhalt auf die Platte stellt. Mit Hilfe dieser technischen Lösungen kann Frau Gruber weiterhin mit größt-möglicher Selbstständigkeit und Sicherheit für sich kochen und ihr geht diese Fähigkeit nicht durch unzureichende Rahmenbedingungen frühzeitig verloren. Hinzu kommt, dass damit sowohl die Tochter als auch die Mitarbeiter der Sozialstation in der Betreuung und Pflege von Frau Gruber entlastet sind und auch ihr soziales Umfeld beruhigt ist. Die Herdsicherung ist nur ein kleines Beispiel, an Hand dessen sehr anschaulich die Chancen aufgezeigt wer-den können, die mit dem Einsatz von technologischen Unterstützungsleistungen im häusli-chen Wohnumfeld dementer Menschen verbunden sind. Problembereich: Sicherung der Eingangstüre Ein weiterer stark nachgefragter Maßnahmenbereich ist die Sicherung der Eingangstüre. Mittlerweile kann auch hier auf eine Vielzahl von Produkten zurückgegriffen werden. Dabei stehen kreative Einzellösungen ebenso zur Verfügung wie standardisierte Produkte. Türsicherung Tabs Es handelt sich hier um ein kleines Basisgerät, in dessen Gehäuse ein Chip steckt. Dieser Chip ist zusätzlich mit einer Kordel verbunden, an deren Ende sich eine Halterung befindet. Nun kann das Gerät selbst sowie die Halterung der Kordel jeweils so am Türrahmen ange-bracht werden, dass die Kordel zwischen den Türstöcken gespannt ist. Wenn jetzt der Er-krankte durch die Türe geht, um z.B. das Haus zu verlassen, wird der Chip, durch das Öff-nen der Türe, von der Kordel aus dem Gerät gezogen und Alarm ausgelöst. Infrarotstrahl Hier wird ein Infrarotmessgerät so am Türrahmen angebracht, dass der Infrarotstrahl die ge-samte Fläche zwischen den Türstöcken erfasst. Wird der Infrarotstrahl unterbrochen, infor-miert ein dadurch ausgelöster Alarm über einen Piepser die Pflegenden. Chip im Schuh Bei dieser Sicherung wird eine Basisstation mit Antenne beispielsweise in die Fußmatte vor der Türe integriert. Gleichzeitig werden die Schuhe mit einem Chip ausgerüstet. Wenn jetzt der Demenzkranke die Wohnung verlassen möchte, erkennt die Basisstation den Sender im Schuh und löst Alarm aus. Bewegungsmatten Hier wird eine Matte vor die Tür gelegt, die auf Gewichtsveränderung reagiert. Sobald eine Gewichtszunahme registriert wird, wird Alarm ausgelöst. Bewegungsmelder Ein Bewegungsmelder wird unmittelbar vor der Eingangstüre angebracht. Sobald dieser eine Bewegung registriert, wird ein Alarm ausgelöst.

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Uhr Bei dieser Sicherung wird, ähnlich wie bei einem drahtlosen Telefon, eine Basisstation in der Wohnung angeschlossen. Die Demenzkranken tragen den Sender der Sicherung, in eine Uhr eingebaut, am Handgelenk. Sobald sich der Sender in der Uhr zu weit von der Basissta-tion entfernt, werden die Pflegenden über einen Piepser informiert. Ab welcher Distanz der Alarm ausgelöst werden soll, kann bis zu einer Entfernung von max. 500 Metern selbst fest-legt werden. Sobald kein Hautkontakt mehr besteht, also wenn die Uhr z.B. abgenommen wird, setzte ebenfalls Alarm ein. Magnetischer Türkontakt Hier wird am Türstock ein Magnetschalter und am Türblatt eine kleine Magnetplatte (Ge-bermagnet) so befestigt, dass bei geschlossener Türe der Gebermagnet den Magnetschal-ter geöffnet hält. Beim Öffnen der Türe schließt sich der Magnetschalter und ein Alarm wird ausgelöst und über eine Funkbox an das Hausnotrufgerät weitergeleitet. Das Hausnotrufge-rät informiert jetzt entweder eine Servicezentrale und/oder direkt über das Telefon die Pfle-genden. Nicht nur technische Maßnahmen zählen Um die für den Einzelfall sinnvollste und angemessenste Lösung finden zu können, ist es aber unabdingbar, auch alternative Maßnahmen der Wohnraumgestaltung zu kennen. Die Eingangstüre kann durch eine gezielte Gestaltung des Wohnumfeldes so in die sie umge-benden Wände eingebunden werden, dass sie von den Demenzkranken als solche nicht mehr wahrgenommen wird und / oder ihren Aufforderungscharakter verliert. Dies kann er-reicht man, indem sie z.B. in der gleichen Farbe gestrichen oder mit der gleichen Tapete tapeziert oder lediglich durch einen schweren Vorhang verdeckt wird. In anderen Situationen kann es wiederum hilfreich sein, die Umgebung vor der Türe unatt-raktiv zu gestalten, in dem Glühbirnen entfernt oder auf den Boden vor der Eingangstüre Querstreifen geklebt werden, die auf die Demenzkranken wie ein Gitter wirken und sie stop-pen lassen. Kleine Maßnahmen mit großer Wirkung Oftmals sind es gerade diese kleinen Maßnahmen, mit deren Hilfe eine große Wirkung er-zielt werden kann und die das Leben der Erkrankten und ihrer Pflegenden erheblich erleich-tern. Durch den Einbau eines Temperaturbegrenzers kann verhindert werden, dass sich Demenzkranke beim Aufdrehen des heißen Wassers verbrühen. Eine Lösung, für deren Verwirklichung lediglich die Mischbatterie ausgewechselt werden muss. Noch einfacher ges-taltet sich der Austausch des Schlosses an der Eingangstüre. Ein neu eingebautes Sicher-heitsschloss gewährt auch in einer akuten Gefahrensituation den uneingeschränkten Zutritt zu der Wohnung der Erkrankten und zwar auch dann, wenn ein Schlüssel von innen im Schloss steckt. Ein größerer Brandschaden kann ganz leicht durch den Einsatz eines Bügel-eisens verhindert werden, das sich bei Bewegungsstillstand automatisch abschaltet. Gleich-zeitig kann ein Rauchmelder eingebaut werden, der über ein Hausnotrufgerät mit einer Ser-vicezentrale verbunden ist. In einer akuten Gefahrensituation ertönt dann nicht nur eine Sire-ne, welche die Erkrankten erschreckt und unter Umständen in Panik versetzt, sondern es wird auch ein Alarm ausgelöst, der von einer besetzten Zentrale entgegengenommen wird. Von dieser Zentrale aus werden dann alle weiteren notwendigen Schritte eingeleitet, wie z.B. die Verständigung der Feuerwehr, der Polizei, des Pflegedienstes und / oder Angehörigen.

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Das Hausnotrufgerät als technische Grundausstattung der Vernetzung im häuslichen Bereich Zur Gewährleistung eines sinnvollen Einsatzes von Technik im häuslichen Wohnumfeld De-menzkranker ist es, insbesondere im Bereich der Sicherheitstechnologie, unabdingbar, dass durch den Alarm, welchen die Geräte auslösen, auch immer eine Bezugsperson und / oder Servicezentrale informiert wird. Eine gute Lösung stellt das Hausnotrufgerät dar. Es besteht aus einer Basisstation und einem Funksender, der als Armband, Kette oder Clip getragen wird. In einem Notfall (z.B. nach einem Sturz) kann die verletzte Person den Funksender aktivieren. Der so ausgelöste Notruf wird über die Basisstation (max. Reichweite 250 Meter) an eine Servicezentrale, Freunde oder Bekannte weitergegeben. Diese können dann durch eine in die Basisstation zusätzlich eingebaute so genannte Sprachplatine mit dem Verletzten Kontakt aufnehmen. Da Demenzkranke in den seltensten Fällen im Notfall wirklich selbstständig einen Alarm aus-lösen können, sollte die Technik des Hausnotrufgerätes als eine Art technische Grundaus-stattung zur Vernetzung im häuslichen Bereich angesehen werden, über die andere wichtige Techniken, wie z.B. Sturz-Detektoren, Rauchmelder oder eine Aktivitätskontrolle mit Hilfe von Türmagnetkontakten geschaltet werden. Dabei muss es sich nicht unbedingt um die technischen Produkte eines einzigen Herstellers handeln. Viele Hausnotrufgeräte können mit den Produkten (Herdsicherungen u.v.m.) anderer Hersteller kombiniert werden. Welche Chancen im Einzelfall damit verbunden sind, lässt sich am Beispiel des Fall Detek-tors, einem Gerät, das sturzähnliche Aktivitäten von echten Stürzen unterscheiden kann, anschaulich darstellen. Hier ist der Sensor in ein kleines und schmales Clipgehäuse einge-baut, welches am Gürtel, Rock-, Hosenbund oder Ähnlichem festgeklemmt wird. Der Sensor erkennt nun, ob und wann jemand gestürzt ist und ob ein Aufprall oder Stoß die Folge der Positionsveränderung ist. In diesem Fall löst der Sturz-Detektor über das Hausnotrufgerät direkt in der Servicezentrale Alarm aus, ohne dass die Verletzten dafür eine Taste drücken müssen. Sicherlich wird sich der verstärkte und veränderte Einsatz von Hausnotrufgeräten im häusli-chen Wohnumfeld Demenzkranker mittelfristig sowohl auf die Konzeption der Servicezentra-len als auch der ambulanten Pflegedienste auswirken und die Entwicklung neuer Lösungen und Leistungspakete notwendig machen. Um die damit verbunden Chancen möglichst bald für alle Beteiligten nutzen zu können, sind alle Verantwortlichen und in der Altenhilfe Tätigen aufgerufen, sich möglichst bald mit dieser, für sie oftmals noch neuen, Thematik auseinander zu setzen. Als ein Beispiel sei hier das HiPer- (High-precision person tracking) System genannt, das auf Industriestandards wie GPS (global positioning system) und GSM (global system for mobile communication) basiert. In einer Notsituation haben die Nutzer die Möglichkeit, über das Drücken einer Nottaste einen Alarm auszulösen und den eigenen Standort dadurch bekannt zu geben. Sowohl der Alarm selbst als auch die Standortdaten gehen daraufhin bei einer unabhängigen Servicezentrale ein, die nun eine Sprechverbindung zu dem Nutzer / der Nut-zerin aufbauen und / oder mittels einer GPS-Anlage und eines speziellen EDV-Systems den genauen Aufenthaltsort des Gerätes in einem Umkreis von ca. 10 Meter bestimmen kann. Umgekehrt kann der Aufenthaltsort auch auf Wunsch von Dritten, z.B. Angehörigen, be-stimmt werden, ohne das ein Alarm ausgelöst wurde und / oder der Nutzer angerufen wer-den. Erste vereinzelte Pilotprojekte von Anbietern der Hausnotrufzentralen starten in diesem Be-reich im Februar 2002. Dabei werden Geräte genutzt, die in der Bedienung anwenderfreund-lich und mit nur zwei Tasten ausgestattet sind. Vorteil hierbei ist, dass – ähnlich wie beim Hausnotrufgerät – sowohl das Gerät selber als auch die Dienstleistung einer in der Altenhilfe erfahrenen Servicezentrale für einen monatlichen Grundpreis gemietet werden können.

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Finanzierung momentan leider noch äußerst schwierig Leider gestaltet sich die Finanzierung technologischer Lösungen noch als äußerst kompli-ziert. Nicht selten können die Betroffenen und deren Angehörige auf keine öffentlichen Zu-schüsse zurückgreifen. Sobald allerdings eine Pflegestufe vorhanden ist, besteht die Mög-lichkeit, über den § 40 (4) des Pflegeversicherungsgesetzes, einen Teil der Kosten erstattet zu bekommen. So bezuschusst die Pflegekasse in diesem Zusammenhang Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes bis zu einem Betrag von maximal 5 000 DM. Voraussetzung dafür ist u.a., dass den Versicherten dadurch eine möglichst selbstständige Lebensführung ermöglicht wird. Da dies beim Einsatz technologischer Unterstützungsleis-tungen im häuslichen Wohnumfeld Demenz–Erkrankter in der Regel immer der Fall ist, soll-ten sich die Betroffenen und deren Angehörige nicht entmutigen lassen und immer einen entsprechenden Antrag bei den Pflegekassen stellen. Aber Vorsicht: jede Maßnahme darf immer erst nach der Genehmigung durch die Pflegekasse umgesetzt werden und die Versi-cherten müssen einen Eigenanteil von 10% entrichten. Besonderheiten des Beratungsprozesses Nicht nur die Frage der Finanzierung der einzelnen Maßnahmen gilt es zu diskutieren, son-dern auch die Frage nach einer adäquaten Finanzierung der Beratungsleistung sowie die Frage nach der im Einzelfall hierfür konkret zur Verfügung stehenden Zeit. Hinzu kommt die Notwendigkeit einer adäquaten Qualifizierung der Berater in den spezifischen Fachdiensten der Gerontopsychiatrie und Wohnberatung / Wohnungsanpassung sowie der Mitarbeiter in den ambulanten Pflegediensten, denn die Besonderheiten, die sich aus dem Krankheitsbild der Demenz für den Beratungsprozess ableiten lassen, stellen an das Wissen aller Beteilig-ten hohe Anforderungen. Welche Lösung auch immer im Einzelfall angedacht wird, es ist unabdingbar, dass die Bera-ter sich dieser Besonderheiten bewusst sind und sie in ihrer Arbeit berücksichtigen. So sind die Angehörigen der Betroffenen die wichtigsten Ansprechpartner für die Berater. Oft betreu-en und pflegen sie die Kranken 24 Stunden am Tag und kennen deren Tagesablauf, ihre Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Reaktionen meist sehr genau. Das bedeutet aber auch, dass die Pflege und Betreuung von Demenzkranken sehr belastend ist und häufig Maß-nahmen erforderlich sind, welche die Angehörigen entlasten und somit helfen, die häusliche Pflegesituation aufrecht zu erhalten. Schon getrennte Schlafzimmer oder das Schaffen von Ruhezonen für die Angehörigen können hier eine kleine Maßnahme mit großer Wirkung dar-stellen. Hinzu kommt, dass - anders als in der stationären Versorgung Demenzkranker - durch den Einsatz von Technik im häuslichen Wohnumfeld eine vertraute Umgebung gezielt verändert wird. Daher muss in regelmäßigen Abständen überprüft werden, wie sich die Lösung auf die Lebensumstände der Betroffenen auswirkt. Lösungen können nur unter der Beteiligung aller, die in das Versorgungsnetz um die Kran-ken herum eingebunden sind, angedacht werden. In der Regel werden Fachberatungen, wie z.B. Wohnberatungsstellen, von anderen Diensten zu einer ganz spezifischen Thematik kon-taktiert. Da diese Dienste die Situation der Betroffenen und ihrer Angehörigen sehr genau kennen, wäre es fatal, ohne deren Einbeziehung nach einer geeigneten Lösung zu suchen. Des weiteren gestaltet es sich als schwierig, die Bedürfnisse der Betroffenen zu erfassen. Aber auch wenn mit dem Fortschreiten der Krankheit die Krankheitseinsicht immer mehr ver-loren geht, müssen sich die Berater mit der Sichtweise der Erkrankten bzgl. einer bestimm-ten Situation auseinander setzen. Dabei gilt es zu respektieren, dass sich die Betroffenen in ihrer eigenen Welt bewegen und wir sie nicht mit unserer Realität konfrontieren können. Erste Erfahrungen

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Wie die einzelnen aufgezeigten Maßnahmenbereiche anschaulich darstellen, sind die Nut-zungsmöglichkeiten sehr vielfältig und oftmals auch nicht besonders visionär. Erste Erfah-rungen mit dem Einsatz der oben beschriebenen Technologien werden bereits seit mehreren Jahren im Rahmen - noch vereinzelter - Modellprojekte gesammelt, die insbesondere im skandinavischen Raum durchgeführt werden. Auch darf man nicht vergessen, dass die er-wähnten Technologien in der Regel schon zur Verfügung stehen und in anderen Zusam-menhängen bereits genutzt werden. Das bedeutet einerseits, dass die alten Menschen künf-tig über immer größere technische Vorerfahrungen verfügen werden, andererseits, gilt es von Seiten der Pflegenden und Betreuenden, sich mit den hier bereits real existierenden Entwicklungen und Veränderungen vertraut zu machen und möglichst vorurteilsfrei ausein-ander zusetzen. Gerade im häuslichen Wohnumfeld stellt die Nutzung moderner Technolo-gien im Bereich der Sicherheit - im Sinne von Schutz - eine große Chance dar.

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Barbara Kuhn, Diplom-Sozialpädagogin, Angehörigenberatung e.V. Nürnberg

Workshop 1 Betreuungsgruppen – eine Arbeitsform um Angehörigen Entlastung zu bieten Laut einer Schätzung der Deutschen Alzheimer Gesellschaft gibt es in Deutschland etwa 100 Betreuungsgruppen, ca. 80 davon allein in Baden-Württemberg, die restlichen ca. 20 in den übrigen Bundesländern. Betreuungsgruppen sind Gruppen für demenzkranke Menschen. Sie entlasten pflegende Angehörige, indem sie Demenzkranke stundenweise im Rahmen einer solchen Gruppe sozi-al betreuen. Ziel des workshops über Betreuungsgruppen war es einerseits, anhand der Betreuungs-gruppen der Angehörigenberatung e.V. Nürnberg Basisinformationen zur Arbeit mit Betreu-ungsgruppen zu vermitteln, andererseits Erfahrungen der workshop-Teilnehmer/innen mit einzubeziehen. Im folgenden Bericht gebe ich anhand verschiedener Stichpunkte eine Zusammenfassung der im workshop angesprochenen Themen. Ziele einer Betreuungsgruppe ? Pflegende Angehörige von Demenzkranken sollen stundenweise entlastet werden.

? Die Kranken sollen Freude erleben, sie sollen sich in der Gemeinschaft der Gruppe wohl-

fühlen, ihr Selbstvertrauen soll gestärkt werden.

? Durch kleine Aktivitäten sollen die noch vorhandenen alltagspraktischen Kompetenzen und sozialen Fähigkeiten der kranken Menschen gefördert werden.

? Betreuungsgruppen bringen Abwechslung in den Alltag und können bestehende oder drohende Isolierungen des Kranken aufbrechen helfen.

Abgrenzung zur Tagespflege Im Gegensatz zur Tagespflege handelt es sich bei den Betreuungsgruppen um ein nie-derschwelliges Angebot. Unbürokratisch (d.h. keine Verträge, keine regelmäßige Teilnahme-verpflichtung) und kurzfristig (Anmeldung kurzfristig möglich) können die Angehörigen ihre Demenzkranken betreuen lassen. Eine Betreuungsgruppe kann ein Einstieg für Angehörige sein, ihren Kranken Einrichtungen außer Haus anzuvertrauen. Positive Erfahrungen mit einer Betreuungsgruppe können Ange-hörige auch ermutigen, andere Entlastungsangebote anzunehmen. Gruppenformen Meines Wissens nach gibt es folgende Betreuungsgruppenformen: – Betreuungsgruppen mit Angehörigen – Betreuungsgruppen ohne Angehörige

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Gruppengröße Die Größe der Betreuungsgruppen der Angehörigenberatung e.V. schwanken zwischen drei und zwölf Personen. Ich halte eine Gruppengröße von 4 bis 10 Personen für erstrebenswert. Wer die Betreuungsgruppen im Rahmen des Bayerischen Netzwerks Pflege finanziell för-dern lassen will, muss eine durchschnittliche Gruppengröße von vier Personen nachweisen (siehe auch Punkt Kosten/Finanzierung). Häufigkeit, Dauer und Zeitpunkt der Gruppe Die Angehörigenberatung e.V. Nürnberg bietet zwei Gruppen an. Eine Gruppe findet wöchentlich nachmittags für 3 Stunden statt, die andere Gruppe vierzehntägig nachmittags für 1,5 Stunden. Workshop-Teilnehmer berichten, dass ihre Gruppen zwischen 1,5 und 4 Stunden dauern. Bei der Alzheimer Selbsthilfegruppe in Landshut gibt es drei Mal im Monat für 50,-- DM einen „Betreuungstag“. Er findet von 9.00 – 16.00 Uhr statt und wird von einer Krankenschwester und Ehrenamtlichen durchgeführt. Die Ehrenamtlichen werden von der „Aktion Pflegepart-ner“ zur Verfügung gestellt. Laut den Förderrichtlinien für Betreuungsgruppen der bayerischen Staatsregierung müssen die Gruppen mindestens 14tägig durchgeführt werden. Der Zeitpunkt und die Gruppendauer sind nicht festgelegt. Räumliche Ausstattung Gut sind Räume mit einer wohnlichen Atmosphäre. Je nach angestrebter Gruppengröße (4 bis 10 Teilnehmer) sollte der Raum auch Platz zum sich Bewegen haben. Dafür eignet sich auch ein großer Flur oder ein zweites Zimmer. Wichtig sind der Zugang zu einem Telefon und möglichst eine kleine Küche ( siehe Inhalte der Betreuungsgruppe). Ein behindertenge-rechter Zugang und eine ebensolche Toilette sind wünschenswert. Personal und Betreuungsschlüssel Die Förderrichtlinien fordern eine Fachkraft der Altenpflege oder sozialen Arbeit mög-lichst mit Gruppenerfahrung als Leitung und ehrenamtliche Helfer. Bei der Angehöri-genberatung e.V. werden die Gruppen von einer Sozialpädagogin geleitet, die von zwei bis vier Laienhelfer/innen unterstützt werden. Eine Workshop-Teilnehmerin berichtet, dass in ihrer Betreuungsgruppe eine Ergotherapeutin die Le itung hat. In der Fachdiskussion wird häufig ein Betreuungsschlüssel von 1:1 gefordert. Die Angehörigenberatung hat einen Schlüssel von 2:1 bis 3:1. Kosten/Finanzierung Es fallen Kosten an für Raum, Personal, Bewirtung und Material. Einnahmen lassen sich erwirtschaften über ? Teilnahmegebühren ? Eigenmittel ? Spenden ? Sponsoren.

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Ganz neu ist ab 2001 die Förderung der Betreuungsgruppen durch das Bayerische Netzwerk Pflege. Danach fördert das Bayerische Staatsministerium Betreuungsgruppen nach be-stimmten Richtlinien mit bis zu 2000 € pro Jahr. ( siehe Anlage Nr.: 1 – 3, Kopie eines För-derantrags) Die Adresse für Antragsstellung und Fragen lautet: Bayerisches Landesamt für Ver- sorgung und Familienförderung Postfach 40 11 40 80711 München Ansprechpartner ist Herr Weidacher Tel. 089/ 38 604 – 752 Fax 089/ 38 604 – 735 Die Angehörigenberatung e.V. verlangt 20,-- DM für den dreistündigen Nachmittag plus 3,--DM für die Bewirtung. Die Helferinnen erhalten 15,--DM die Stunde. Finanziell unterstützt wird die Angehörigenberatung von der Alzheimer Gesellschaft Mittelfranken und der Firma novartis. Andere Einrichtungen bezahlen ihre Ehrenamtlichen mit 10,--DM plus Kilometerpauschale. In Landshut werden die Ehrenamtlichen über die Verhinderungspflege finanziert. Beförderung der Gruppenteilnehmer Bei der Angehörigenberatung e.V. bringen die Angehörigen ihre Kranken persönlich in die Gruppe. Eine Frau kommt noch alleine mit dem Taxi. Für manche Angehörige ist die Beför-derung ein zeitliches und/oder finanzielles Problem, für das die Angehörigenberatung manchmal keine Lösung hat. Die Betreuungsgruppe in Stuttgart-Birkach hat sich über Spenden und Sponsoren einen VW-Bus zur Beförderung angeschafft. Gruppenteilnehmer Die Teilnehmer der Betreuungsgruppe der Angehörigenberatung haben mittlere bis schwere Demenzen. Bisher gibt es keinen festen Kriterienkatalog, nach dem die Betroffenen aufge-nommen werden. Am Anfang steht immer der Versuch, ob die Gruppe ein passendes Angebot sein könnte. Deshalb sind auch die Angehörigen eingeladen – wenn sie möchten -, sich das Gruppenge-schehen mit ihren Demenzkranken an einem Nachmittag anzusehen. Danach fällt in der Re-gel eine erste Entscheidung für oder gegen einen weiteren Gruppenbesuch und zwar sowohl seitens des Angehörigen wie seitens der Gruppenleitung. Inhalte der Betreuungsgruppe Die Struktur der Betreuungsgruppen der Angehörigenberatung e.V. besteht aus folgenden Elementen: § Begrüßung § gemeinsames Kaffeetrinken § gemeinsames Singen § individuelle Beschäftigung und/oder Kleingruppenaktivitäten § Verabschiedung.

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Eine gemütliche Kaffeerunde knüpft an Altbekanntes und Bewährtes an. Sie gibt dem De-menzkranken eine gewisse Sicherheit. Die Rituale und Verhaltensweisen einer solchen Runde sind dem Kranken meist noch in Erinnerung und mit angenehmen Gefühlen verbun-den. Die Gespräche sind unverfänglich übers Wetter, die Jahreszeit und den Kuchen und erlauben auch Kranken im fortgeschrittenem Stadium und mit Sprachdefiziten sich im gewis-sen Rahmen zu äußern. Musik gilt als der Königsweg zu Demenzkranken. Darum steht das gemeinsame Singen auf dem Programm. Singen bedeutet vor allem das Singen alter Volkslieder. Viele Berichte und auch meine Erfahrung bestätigen, dass Demenzkranke mit großer Freude und Begeisterung die alten Lieder mitsingen. Auch Schlager und Melodien aus ihrer Jugend bzw. aus vergan-gener Zeit animieren zum Mitsingen. Mit individueller Beschäftigung ist vor allem die persönliche Zuwendung zum Einzelnen ge-meint. Wer die persönlichen Vorlieben eines Demenzkranken kennt, seine Lieblings-Gesprächsthemen oder wichtige Ereignisse aus seinem Leben, kann darüber ins Gespräch kommen oder findet Möglichkeiten der (gemeinsamen) Beschäftigung. Kleingruppenaktivitäten Beispiele: Tisch decken und abräumen, Abspülen, Sitzgymnastik, einfache Sitztänze, Ball- Luftballonspiele, Malen, Brettspiele, Kartenspiele, Betrachten alter Gegenstände, Bücher, Kataloge, Zubereiten kleiner Gerichte. Basteln ist nur bedingt geeignet, vor allem für Men-schen, die auch schon früher gerne bastelten. Generell gilt bei allen Angeboten: ausprobieren! Es ist wichtig, auf den Erhalt des Selbst-wertgefühls der Kranken zu achten und darauf, dass sie weder über- noch unterfordert wer-den. Nicht die Leistung zählt bei den Aktivitäten, vielmehr die sinnliche Wahrnehmung, die Handlungsfreude und das Wohlfühlen. Arbeit mit Angehörigen im Rahmen der Betreuungsgruppen Das Vertrauen des Angehörigen in die Gruppenleitung und die Ehrenamtlichen ist die Basis für die Arbeit mit Demenzkranken. Gespräche mit Angehörigen vor und nach der Gruppe sind wichtig. Sie bieten den Angehöri-gen die Chance, ihre Sorgen und Nöte anzusprechen. Angehörige sind zudem wichtige Informationsquellen über den Demenzkranken, seine mo-mentane Befindlichkeit, seine Beschwerden (Diabetes, Inkontinenz, Verhaltensauffälligkei-ten) und über sein Leben (lebensgeschichtliche Daten des Betroffenen). Betreuungsgruppen sind immer auch Chancen für Angehörige, andere Angehörigen kennen zu lernen. Angehörige fragen oft zuerst, ob es ihrem Kranken in der Gruppe gefallen hat und ob er sich wohlgefühlt hat. Die Betreuungsgruppe als Entlastungsangebot wird erst sekundär wahrgenommen. Darauf ist bei der Werbung für die Betreuungsgruppen zu achten. Sehr gute Erfahrungen haben wir mit unserer Betreuungsgruppe gemacht, die parallel zu einer Gesprächsgruppe für Angehörige von Demenzkranken läuft. Die Angehörigen nehmen sehr gerne das Angebot wahr, die Kranken während der Gesprächsgruppe der Betreuungs-gruppe anzuvertrauen.

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Öffentlichkeitsarbeit Die Frage nach der Öffentlichkeitsarbeit für die Betreuungsgruppe weist in zwei Richtungen. Zum einen ist zu fragen, wie Gruppenteilnehmer zu gewinnen, zum anderen, wie interessier-te Ehrenamtliche zu finden sind. Als sehr wichtig (an der Zahl der Rückmeldungen gemessen) hat sich bei der Angehörigen-beratung die Pressearbeit erwiesen. Artikel in der regionalen Presse zu Themen wie Alzhei-mer, Belastung pflegender Angehörigen, Betreuungsgruppe sowie Hinweise auf die Grup-pentreffen in den Terminkalendern der Zeitungen sind Türöffner für ein erstes Gespräch mit Angehörigen. Für die Betreuungsgruppen haben wir ein eigenes Faltblatt entwickelt, das wir immer wieder verschicken, z.B. an ambulante Dienste, Pflegekassen, Allgemeinärzte, Neurologen, Betreu-ungsvereine, Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbände....Nicht zu unterschätzen ist auch die Mund-zu- Mund-Propaganda. Da wir unsere Laienhelfer vor ihrem Einsatz im Umgang mit Demenzkranken schulen, ma-chen wir für diese Schulung gezielt Werbung (auch durch Anzeigen). Noch ein paar Bestellhinweise: Zum Thema Schulung von Laienhelfern gibt es bei der Angehörigenberatung e.V., Adam-Klein-Str. 6, 90429 Nürnberg, Tel. 0911/ 26 61 26, Fax 0911/ 287 60 80 eine Broschüre mit dem Titel “Für ein paar Stunden Urlaub, die stundenweise Entlastung pflegender Angehöri-ger von Demenzkranken durch freiwillige HelferInnen“ für 6.90 € zu bestellen. (Inhalt: Au f-bau eines HelferInnenkreises, Curriculum zur Schulung, Organisation der Einsätze, Beglei-tung der HelferInnen) Die Broschüre „Betreuungsgruppen für Demenzkranke“ kann bei der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, Friedrichstr. 236, 10969 Berlin für 6 DM bestellt werden. Tel. 030/ 31 50 57 – 33, Fax 030/ 31 50 57 - 35 Hinweis einer Workshop-Teilnehmerin: Seniorentänze im Sitzen, Musik-CD 36505 Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Seniorentanz e.V. Walter Kögler Verlag Stuttgart Fidula Verlag CD 4497 – 56154 Boppard /Rhein + Begleitheft

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Gerlinde Dietl, Diplom-Pädagogin und Konstanze Pilgrim, Diplom-Sozialpädagogin, Altenpflegerin, Angehörigenberatung e.V. Nürnberg

Forum 1 Information und Austausch zu ergänzenden Entlastungsangeboten für pflegende An-gehörige, z.B. Urlaubsangebote, Einsatz von Laienhelfern, ... Das Ziel des Forums war, den oft genannten Wunsch der Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Fachtagungen der vergangenen Jahre aufzunehmen und ihnen die Möglichkeit zum Aus-tausch in strukturierter Art und Weise zu geben Die von den Referentinnen vorgeschlagene Struktur sah folgendermaßen aus: Auf eine Tafel unter den zwei Überschriften Erfahrungen und Informationsbedürfnis konnten die Teilnehme-rinnen und der Teilnehmer die Themen auf Zetteln sammeln, über die sie sich untereinander austauschen, sich gegenseitig informieren oder auch von den Referentinnen Genaueres er-fahren wollten. Um eine gewisse Systematik bei der Behandlung der Themen zu erzielen, hatten die Refe-rentinnen bereits im Vorfeld Kategorien gebildet, die in der folgenden Tabelle ganz links senkrecht angeordnet sind. Diesen Kategorien wurden die Themenwünsche in gemeinsamer Arbeit zugeordnet, wobei bereits Schwerpunkte und Häufungen sichtbar wurden. Kategorien Erfahrungen Informationsbedürfnis Ziel - Freiwilligenkonzepte Zielgruppe - Ehrenamtliche

- Wer die Einsätze in An- spruch nimmt

- Laienhelferseminar

Kosten - Kosten/Finanzierung Finanzierung - Finanzierung - Honorar für ehrenamtliche

Helferinnen - Aufwandsentschädigung - stundenweiser Einsatz in Famili-

en - Ehrenamt/15,- DM pro Stunde - Urlaubsfinanzierung

zeitlicher Aufwand - Zeitaufwand für Begleitung der Ehrenamtlichen

Öffentlichkeitsarbeit - Motivation der pflegenden Angehörigen

- Urlaub: Kontaktorganisation - Ehrenamtliche gewinnen - Ehrenamtliche schulen

Schwierigkeiten - Motivation der LaienhelferInnen - Begriff Laienhelfer

Tipps für Kolleginnen

- Fortbildungen - Demenzprojekt - Austauschtreffen der Ehrenamtlichen - Innenschau

- Haftungsrecht - rechtliche Absicherung der be-

gleiteten Urlaube - Qualität von Angeboten - Schulungsinhalte

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- Projekt Besuchs- und Begleitdienst

- Laienhelfer: Betreuung, Motivation

- Vermittlung von Ehren- amtlichen

Überprüfung des Erfolgs

Sonstiges - Berufsgruppe Die Tabelle soll die beiden Tafeln darstellen, auf denen unter den bereits genannten Über-schriften „Erfahrungen“ und „Informationsbedürfnis“ die von den Teilnehmerinnen und Teil-nehmern gewünschten Gesprächsthemen gesammelt wurden. Diese sind durch Anstriche gekennzeichnet. Etliche Themen wurden mehrfach gewünscht, erscheinen hier in der Tabel-le aber der Übersicht wegen nur einmal. Themen, die den Forumsteilnehmerinnen und -teilnehmern unklar blieben, wurden von denjenigen näher erläutert, die sie einbrachten. In einer ersten Gesprächsrunde konnten die Teilnehmerinnen und der Teilnehmer nun vor-rangig ihre eigenen Erfahrungen einbringen. Hier wurde deutlich, dass es über ganz Bayern verteilt bereits etliche sehr interessante Projekte gibt. So wurden beispielsweise einige Pro-jekte vorgestellt zum Thema „Laienhelfer und Laienhelferinnen“. Aus der Gruppe kam die Anregung, im Anhang Kurzbeschreibungen zu sammeln, die ande-ren Kolleginnen eine Hilfestellung sein können für den Aufbau eigener Angebote. Die Adres-sen der Projekte, die uns Material zusendeten, sind am Ende dieses Artikels aufgeführt. In der zweiten Gesprächsrunde wurden Fragen gesammelt, die teilweise in der Runde von den Teilnehmenden beantwortet wurden, teilweise aber auch von den Referentinnen aufge-griffen wurden. Auch hier ging die Mehrzahl der Fragen in Richtung Laienhilfe. Große Diskussionen entstan-den etwa zum Thema „Aufwandsentschädigung für Ehrenamtliche“. Teilweise herrschte die Meinung, dass ein Ehrenamt unvereinbar sei mit einer Aufwandsentschädigung, teilweise zeigte sich, dass zwar die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Aufwandsentschädigungen für Laienhelferinnen in der Angehörigenarbeit befürworten, dass aber die Träger dies strikt ab-lehnen. Diejenigen, die auf dem Land tätig sind, machten deutlich, dass hier noch viel mehr das traditionelle Ehrenamt – nämlich ohne Aufwandsentschädigung – erwartet würde und zwar sowohl von denjenigen, die diese Hilfe in Anspruch nähmen, als auch von denjenigen, die selbst tätig sein wollten. Die Palette der Möglichkeiten reichte unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die be-reits Erfahrungen mit einem Laienhelferinnenkreis haben, von Fahrtkostenerstattung für die Ehrenamtlichen über Aufwandsentschädigungen in Höhe von DM 5,- bis zu DM 15,-. Teil-weise werden Fahrtkosten zusätzlich erstattet, teilweise sind diese bereits in der Aufwands-entschädigung enthalten. Bei den meisten Einrichtungen können sich die Angehörigen die zu zahlende Aufwandsent-schädigung über die Pflegeversicherung (§ 39 SGB XI) erstatten lassen, in einer Einrichtung kann diese für Patienten, die nicht eingestuft sind, sogar beim Landratsamt (BSHG) bean-tragt werden.

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Ein weiterer Fragenschwerpunkt bezog sich auf die Gewinnung von Ehrenamtlichen. Hierzu gab es einen regen Austausch der vielfältig vorhandenen Erfahrungen. Unter den Forums-Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden ganz unterschiedliche Vorgehensweisen geschil-dert: bei der einen Einrichtung suchte man Interessentinnen vor allem im persönlichen Be-kanntenkreis, bei einer anderen wurde eine gewerbliche Anzeige geschaltet, bei einigen wurde im Gemeindeblatt, in der Presse und/oder in der Öffentlichkeit für das Ehrenamt ge-worben, die meisten kombinierten alle diese Möglichkeiten der Werbung. Immer wieder tauchte auch die Frage nach der Motivation der potenziellen Helfer und Helfe-rinnen auf. Hier wurde das „neue Ehrenamt“ zum Thema mit seinen veränderten Ansprüchen und Bedürfnissen und was das für die „Professionellen“ und deren Tätigkeitsfelder bedeuten kann. Denn sie müssen nicht mehr nur geeignete Ehrenamtliche gewinnen, sondern diese auch begleiten und längerfristig an sich bzw. die jeweilige Organisation binden. Ein Kriterium für das „neue Ehrenamt“ ist, dass die meisten derjenigen, die sich sozial enga-gieren wollen, auch selbst etwas lernen und auf diese Art profitieren wollen. Im Falle der Lai-enhelferinnen und –helfern kann eine Schulung dieses Bedürfnis befriedigen. So wurde auch die Schulung der Freiwilligen, Art und Umfang, kurz angesprochen. Besonderes Interesse fand hier die Frage nach Finanzierungsmöglichkeiten der Schulung. Am Ende des Artikels ist für alle Interessierten die Adresse des Ansprechpartners beim Bayerischen Landesamt für Versorgung und Familienförderung angefügt. Hier können die Förderbedingungen abgerufen werden sowie im Rahmen der Sonderförderung der Fort- und Weiterbildung in den Berei-chen Altenarbeit und –pflege ein Zuschuss zur Finanzierung der Schulung von Laienhelfe-rinnen und –helfern beantragt werden. Leider nur noch am Rande angesprochen werden konnte das Thema „Urlaubsangebote“, da es auch hier interessante Erfahrungen, vor allem aber ein großes Bedürfnis nach Informatio-nen gab. Von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde ein Kooperationsverbund ge-wünscht, damit alle im Netzwerk Tätigen ihre Klientinnen und Klienten auf die Urlaubsange-bote anderer Anbieter hinweisen könnten und von den gemachten Erfahrungen profitieren könnten. Adressen von Einrichtungen, die Laienhelferkreise aufgebaut haben: • Caritas-Diakonie Sozialstation

Demenz-Projekt Erika Haux Hofheimer Str. 63 65719 Hofheim am Taunus Tel.: 06192/69 51

• Diakonische Werk Bad Neustadt

Andres Helm-Koch Hedwig-Fichtel-Str. 1 a 97616 Bad Neustadt Tel.: 09771/63 097-13 Fax: 09771/63 097-29

• Aktion Pflegepartner in Lohr und Umgebung

Diakonisches Werk Lohr Michael Donath Bahnhofstr. 1 97846 Partenstein und:

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• Caritas Sozialstation St. Rochus e.V. Gisela Lambertz Vorstadtstr. 68 97816 Lohr am Main

Adresse beim Bayerischen Landesamt für Versorgung und Familienförderung (zur Abrufung der Förderbedingungen sowie für die Beantragung eines Zuschusses zur Schulung von Lai-enhelferinnen und –helfern im Rahmen der Sonderförderung der Fort- und Weiterbildung in den Bereichen Altenarbeit und –pflege): • Bayerisches Landesamt für Versorgung und Familienförderung

Herr Ulitzsch Postfach 40 11 40 80711 München Tel.: 089/3 86 04-751 Fax: 089/3 86 04-735

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Sybille Auner, Diplom-Sozialpädagogin, Institut auf schwung alt, München

Workshop 2 Chancen und Grenzen des Einsatzes technologischer Unterstützungsleistungen bei demenzkranken Menschen unter ethischer und rechtlicher Fragestellungen Inwieweit diese Veränderungen wünschenswert sind, bis zu welchen Grenzen sie billigend in Kauf genommen, bzw. wann sie nicht mehr akzeptiert werden können, mit diesen Fragestel-lungen müssen sich alle Beteiligten auseinander setzen, um sie dann - im Idealfall - auch miteinander zu diskutieren. Einige der o.g. Lösungen, wie z.B. die Türsicherungssysteme, stellen eine freiheitsentzie-hende Maßnahme dar und bedürfen daher einer richterlichen Genehmigung, sobald sie von professionellen Diensten eingesetzt werden. Gleichzeitig handelt es sich aber hier keinesfalls um eine menschenunwürdige Maßnahme, da sie verschlossene Türen überflüssig machen. Unabhängig von der Lösung, die alle Beteiligten vorziehen: es gilt in jedem Einzelfall aufs Neue zu entscheiden, wie viel Selbst- und Fremdgefährdung wir zulassen und aushalten können, wenn ein Mensch aufgrund seiner Krankheit und dadurch bedingten mangelnden Krankheitseinsicht nicht mehr in der Lage ist, für sich selber zu entscheiden und damit auf die Entscheidungen seines sozialen Umfeldes angewiesen ist. Technologische Unterstützungsleistungen können und sollen nicht als Ersatz für eine per-sönliche Zuwendung betrachtet werden. Sie sind nur dann sinnvoll, wenn sie als zusätzlicher Baustein in das gesamte Versorgungs- und Betreuungskonzept integriert sind. Eine pau-schale Befürwortung des Einsatzes von technologischen Unterstützungsleistungen ist des-halb nicht angebracht, eine pauschale Ablehnung allerdings auch nicht. Es gilt, in einem ge-sellschaftlichen Diskurs aller Beteiligter die Frage zu klären, ob und in welcher Form techno-logische Unterstützungsleistungen dabei helfen können, Demenzkranke zu betreuen und zu versorgen. Die Entscheidung über freiheitsentziehende Maßnahmen muss allerdings auch weiterhin in jedem Einzelfall neu getroffen werden und obliegt damit der Verantwortung der Angehörigen, der gesetzlichen Betreuer sowie den Vormundschaftsgerichten. Fallbeispiel Frau Beier: Frau Beier ist an der Alzheimer–Krankheit erkrankt und lebt zusammen mit ihrer Tochter, Frau Hellwig, in einer 4-Zimmer-Wohnung. Frau Hellwig arbeitet vormittags vier Stunden. Vor einer Woche hat Frau Beier in Hausschu-hen und ohne Jacke die Wohnung verlassen, um ihre Tochter zu suchen. Sie wurde nach einer aufwendigen Suchaktion von einer Polizeistreife nach Hause zurückgebracht und war danach zwei Wochen erkältet. Frau Hellwig ist jetzt beunruhigt und möchte eine zusätzliche Hilfe engagieren, die während ihrer Arbeitszeit die Mutter betreut. Die Kosten hierfür soll ihr Bruder übernehmen. Da sie die Mutter pflegt, sieht sie diese Lösung als gerechten Ausgleich an. Der Sohn, Herr Beier, hat neben der Wohnung seiner Mutter und Schwester eine Arztpraxis und weigert sich, diese Lösung zu unterstützen. Er möchte eine Türsicherung anbringen lassen, die ihn in der Praxis über einen Gong alar-miert, sobald seine Mutter die Wohnung verlässt.

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Überhaupt ist er der Meinung, dass man seine Mutter nicht rund um die Uhr betreuen kann und ein gewisses Risiko von den Kindern getragen werden muss. Wenn die Schwester dazu nicht bereit sei, müsse Frau Beier in ein Pflegeheim umziehen, in dem die Türen abgesperrt seien. In der Gruppe, die diesen Fall diskutierte, waren sich alle einig, dass sowohl die Montage einer Überwachungstechnologie als auch eine zusätzliche Betreuungsperson zu diesem Zeitpunkt die bessere Alternative zum Umzug in ein Altenheim darstellt. In der Diskussion kristallisierte sich schnell heraus, wie wichtig für den Berater / die Beraterin Hintergrundsinformationen sind, die aus der Fallbeschreibung nicht hervorgehen. So z.B. wie belastet ist die Tochter in ihrer Betreuungs- und Pflegesituation wirklich und bringt ihr der Einsatz von Technik die gewünschte Entlastung? Auch war schwer zu erfassen, ob Frau Beier sich durch eine zusätzliche Betreuungsperson stärker in ihrer Lebensgestaltung eingeschränkt fühlen würde, als durch die Anbringung des Gongs, der den Sohn informiert. Es wurden rechtliche Fragen diskutiert z.B. stellt nicht schon die zusätzliche Betreuungsper-son, die Frau Beier davon abhält wegzugehen, ebenso eine freiheitsentziehende Maßnahme dar, wie die Überwachungstechnologie? Des weiteren wurden versicherungsrechtliche Fragen angesprochen, wie z.B. die Haftung der Angehörigen, wenn Frau Beier auf der Straße einen Unfall verursacht (hierzu gibt es eine Broschüre, die über die Alzheimer Gesellschaft bezogen werden kann). Grundsätzlich wurde es als schwierig angesehen, in dieser Situation ohne Einbeziehung der Betroffenen zu entscheiden, welche Lösung für sie die Richtige darstellt. Es entsteht dadurch sehr schnell die Gefahr, die Betroffenen, in diesem Fall Frau Beier, zu entmündigen, in ihren Kompetenzen zu beschneiden und sie zum Objekt in einer abstrakten Diskussion zu degra-dieren. Einige Teilnehmer/-innen sprachen sich deutlich für den Einsatz der technischen Lösung aus, da sie eine große Entlastung für die Angehörigen im Bereich der Sicherheit darstellt. Sie gaben zu bedenken, dass Frau Beier durch eine zusätzliche Betreuungssituation in ihrer selbstständigen Lebensgestaltung entmündigt wird. Hier wurde die Technik als gute Mög-lichkeit angesehen, sowohl den Sicherheitsaspekt zu berücksichtigen als auch Frau Beier weiterhin ihre Selbstständigkeit zu erhalten. Ein wichtiger Aspekt in der Diskussion war die Frage, ob überhaupt gehandelt werden muss, wenn Frau Beier bis jetzt einmal die Wohnung verlassen hat und ob in diesem Zusammen-hang schon von einer Weglaufgefährdung gesprochen werden kann. Hier war sehr schnell das Dilemma der Angehörigen zu erkennen, die immer wieder zum Wohle der Betroffenen Entscheidungen treffen müssen, die für deren Leben unmittelbare Konsequenzen haben. Fallbeispiel Herr Huber: Herr Huber leidet an der Alzheimer-Krankheit. Er lebt alleine und wird täglich von einer guten Freundin, Frau Wunschel, besucht. Seine einzige Angehörige ist Frau Kippe, eine Cousine, die in Hamburg lebt und regelmäßig zu Besuch kommt. Die Cousine wurde von der Alzheimer Gesellschaft an unsere Beratungsstelle verwiesen. Sie will sich über die Möglichkeiten der Herdsicherung informieren.

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Bei einem abklärendem Hausbesuch war Herr Huber sehr abweisend und verließ zweimal den Raum, um die Toilette aufzusuchen. Auf Nachfragen erklärte er, dass er sich noch sel-ber seine Mahlzeiten zubereite und noch nie etwas angebrannt sei. Eine Sicherung würde er nicht brauchen. Schließlich sei mit ihm ja alles in Ordnung. Frau Kippe will die Herdsicherung trotz der Ablehnung von Herrn Huber einbauen lassen. Sie fürchtet um seine Sicherheit und die seiner Nachbarn und möchte bereits präventiv etwas unternehmen. Technisch ist es möglich, eine Sicherung zwischen Herd und Starkstrom einzubauen, die die Stromzufuhr nach einer vorgegeben Zeit unterbricht und für Herrn Huber nicht sichtbar ist. Frau Kippe schlägt vor, den Einbau der Sicherung in vierzehn Tagen durchzuführen, wenn Herr Huber bei ihr in Hamburg ist. Die Freundin, Frau Wunschel, empfindet das als Entmündigung von Herrn Huber und ist strikt dagegen, den Einbau ohne sein Einverständnis vorzunehmen. Auch sieht sie dafür kei-ne Notwendigkeit, da ja noch nichts passiert ist. Ein wichtiger Punkt in der Diskussion dieser Arbeitsgruppe war, ob wirklich davon ausge-gangen werden kann, dass Herr Huber von der heimlichen Veränderung seines Wohnraums nichts bemerkt und was passiert, wenn er realisiert, dass er von wichtigen Bezugspersonen hintergangen worden ist. Für ihn würde das eine Entmündigung und einen großen Vertrau-ensbruch darstellen. Sehr schnell stellte sich heraus, wie schwierig es ist, in diesem Fall eine Entscheidung zu treffen, weil nicht nur Herr Huber durch den Herd gefährdet ist, sondern ebenso sein nach-barschaftliches Umfeld. Ebenso würde die Tatsache, ob es sich bei dem Herd um einen Gas- oder Elektroherd han-delt, im Einzelfall bei der Entscheidung eine große Rolle spielen, da die Gefahrenmomente unterschiedlich bewertet werden. Gleichzeitig wurde die Herdsicherung aber als eine gute Möglichkeit angesehen, um die Umwelt zu beruhigen und Herrn Huber vor Konfrontationen in Problemsituationen zu schüt-zen. Alle Beteiligten fanden es wünschenswert, dass Herde bereits mit einer integrierten Siche-rung produziert werden, die auch für Familien eine große Entlastung darstellen könnten. Der größere Teil der Gruppe, die diesen Fall diskutierte, sprach sich dafür aus, auf den heim-lichen Einsatz einer Herdsicherung momentan noch zu verzichten und die Entwicklung auf-merksam zu beobachten, da die frühe Technisierung als einfache Lösung die darauf folgen-den Probleme nicht beachtet. Diese Entscheidung wurde auf den Fall von Herrn Huber bezogen und alle betonten, wie wichtig es ist, im konkreten Einzelfall die Sachlage ausführlich zu erörtern. Eine generalisie-rende Aussage über den Einsatz von Technik kann nicht getroffen werden. Letztendlich wurden die Ergebnisse der Arbeitsgruppen nochmals im Plenum vorgestellt. Bei der abschließenden Diskussion wurden folgende Aspekte thematisiert: • Um die Betroffenen in die Entscheidung mit einbeziehen zu können, ist es unabdingbar,

den Einsatz von Technik in einen Beratungsprozess einzubinden. Nur so ist gewährt,

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dass die Bedürfnisse und die Sichtweise der Betroffenen vor der Umsetzung einer tech-nischen Lösung ausreichend erfasst und berücksichtigt werden.

• Insbesondere dort, wo die krankheitsbedingten kognitiven Einbußen auch Dritte in ihrer Sicherheit gefährden, ist es für alle Beteiligten höchst problematisch zu entscheiden, ob eine ablehnende Haltung der Betroffenen respektiert werden kann oder ob die Lösung auch nicht gegen ihren Willen umgesetzt werden muss.

• Grundsätzlich stellte sich die Frage, ab wann ein Demenzkranker / eine Demenzkranke entmündigt werden darf oder muss.

• Wen schützt oder wem nützt die Technisierung und welche Interessen werden durch ihren Einsatz gewahrt?

• Wichtigkeit, alternative Lösungen zum Einsatz von Technik aufzuzeigen.

• Dilemma der Berater/-innen, wenn es darum geht, die Risiken abzuschätzen und / oder die Verantwortung für eine eventuelle Entmündigung der Betroffenen zu übernehmen. Daher ist es unabdingbar die Angehörigen und andere soziale Dienste in den Entschei-dungsprozess mit einzubeziehen, damit alle – Angehörige und Berater / Beraterinnen – diese Entscheidung mittragen. Letztendlich wird die Entscheidung jedoch von den Ange-hörigen getroffen, da diese mit den Kranken leben, und der Berater / die Beraterin hat dann lediglich die Aufgabe, sie während dieses Prozesses zu informieren und zu beglei-ten.

• Schwierigkeit, die Betroffenen und ihre Bedürfnisse in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen, insbesondere wo die Einsicht in die Krankheit mit deren Fortschreiten zu-nehmend verloren geht.

• Chancen für die Betroffenen und ihre Angehörigen durch den Einsatz von Technik.

• Über eine Patient/-innenverfügung kann jeder/jede vorab entscheiden, wann bei ihm/ihr im Krankheitsfall Technik eingesetzt werden soll.

• Vormarsch der Technik, die ökonomisch günstiger ist als z.B. eine zusätzliche Bezugs-person und vielerorts bereits ohne entsprechende Beratung eingesetzt wird.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich alle Teilnehmer/-innen der Chancen, Grenzen sowie der ethischen Aspekte bewusst waren, die mit dem Einsatz von Technik ver-bunden sind. Wünschenswert wäre eine Verbesserung der Zusammenarbeit von Entwick-lung, Forschung und Praxis, damit die Technik auch den Bedürfnissen der Betroffenen ge-recht wird und nur dann eingesetzt wird, wenn sie wirklich eine Verbesserung für die Le-benssituation der dementen alten Menschen darstellt. Zur Referentin: Sybille Auner, Diplom-Sozialpädagogin, Organisationsberaterin, auf schwung alt GbR Mün-chen. Frau Auner ist Sprecherin des Arbeitskreises Technologieanwendungen für Demenz-erkrankte der Deutschen Alzheimer Gesellschaft und Mitbetreiberin eines Instituts für Orga-nisationsberatung, Konzeptentwicklung sowie Fort- und Weiterbildung in der Alten- und Ge-sundheitshilfe.

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Ulrich Mildenberger, Diplom-Soziologe, Supervisor, Beratungsstelle für ältere Bürger und ihre Angehörige, Norderstedt Wann ist ein Beratungsgespräch erfolgreich? Alle, die professionell Angehörigenberatung betreiben, kennen gelungene, also erfolgreiche Beratungsgespräche, ebenso wie nicht so gut gelungene. Im Verlaufe meines Vortrages werde ich versuchen, Ihnen einige der aus meiner Sicht wichtigsten Voraussetzungen und Kriterien für erfolgreiche Beratungsgespräche näher zu bringen, was ich durch einige Bei-spiele aus meiner Arbeit in der Beratungsstelle für ältere Bürger und ihre Angehörigen in Norderstedt, Schleswig – Holstein, hoffentlich verdeutlichen kann. Zudem sind viele Gedan-ken dazu, was Beratung erfolgreich werden lässt, in der BAGA entstanden, der Bundesar-beitsgemeinschaft für Alten- und Angehörigenberatung e.V. . Hierbei handelt es sich um den Zusammenschluss von mittlerweile rund 60 Einrichtungen, die in der professionellen Alten- und Angehörigenarbeit tätig sind. Lassen Sie mich vorab einige eher strukturelle Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Alten- und Angehörigenberatung benennen, die Ihnen banal erscheinen mögen, die aber nichts desto trotz nicht unbeachtet bleiben dürfen. Um überhaupt zu beraten, brauchen wir unsere Klienten, das heißt, diese müssen über das Angebot von professioneller Beratung informiert sein. Eine Beratungsstelle bedarf also eines Minimums an Bekanntheit, die sie durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit erlangen kann. Ebenso gehört hierzu der kooperative Kontakt zu anderen Einrichtungen und zu den Multipli-katoren unserer Arbeit – kurz gesagt zu den verschiedenen Institutionen im breit gefächerten Altenhilfesystem. Weiterhin muss eine Beratungsstelle, die erfolgreich beraten möchte, erreichbar sein für älte-re Menschen und pflegende Angehörige. Erreichbar meint dabei folgendes: Erstens erreich-bar mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zweitens ausgestattet mit einem barrierefreien Zugang, drittens mit verlässlichen Öffnungs-, Telefon- und Beratungszeiten, viertens nach Bedarf auch mit der Möglichkeit der aufsuchenden Beratung für den Personenkreis, der nicht in der Lage ist, persönlich in eine Beratungsstelle zu kommen. Eine weitere unbedingte Voraussetzung für erfolgreiche Beratung ist die Zusicherung und Einhaltung von Vertraulichkeit, auf Wunsch auch die von Anonymität. Zwar selten, jedoch immer wieder, erlebe ich Menschen, die sich erst dann auf eine Beratung einlassen können, wenn diese Möglichkeit der Anonymität besteht. Noch dringender und wichtiger ist zudem für die Ratsuchenden das sichere Gefühl, vieles oder sogar alles ausdrücken zu dürfen, ohne dass Dritte davon erfahren. Fortbildung und Supervision erscheinen mir nicht minder wichtige Elemente, um Beratungs-qualität nicht nur zu erhalten sondern auch fortzuentwickeln und damit letztlich auch erfolg-reich beraten zu können, genauso wie idealerweise auch das Vorhandensein eines multipro-fessionellen Teams erfolgreicher Beratung durchaus zuträglich ist. Bevor ich mich näher mit den Qualifikationen eines Beraters befasse, möchte ich ein paar grundsätzliche Überlegungen zum Begriff und zur Abgrenzung von Beratung anstellen.

Grundsatzreferat 3

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Beratung ist ein vielseitiger Begriff, anzutreffen in professionellen und nicht-professionellen Zusammenhängen. Beratung ist sowohl ein Teil von Alltagshandeln als auch von speziali-sierter Tätigkeit. In unserem Alltag beraten wir uns mit Bekannten oder Freunden, mit unse-ren Partnern oder Kindern, um Informationen zu sammeln, um Entscheidungen zu treffen oder um einer Klärung von kleineren oder größeren Problemen näher zu kommen. Professionelle Beratung gibt es ebenfalls in unterschiedlichen Aufgabenfeldern. Wir lassen uns am Fahrkartenschalter nach den besten Verbindungen (preislich und zeitlich) beraten, beim Kauf einer Stereoanlage zu den Vor- und Nachteilen bestimmter Marken, oder wir wäh-len eine Telefonnummer, die uns zusichert „da werden Sie geholfen“. In der professionellen sozialen Arbeit ist Beratung auf einem Kontinuum angesiedelt, be-grenzt durch die beiden Pole Information und Therapie, oder wie es in einem Lexikon der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit benannt wurde, begrenzt durch die Nachfrageaspekte „Mangel an Wissen“ und „Mangel an Entscheidungsfähigkeit“. Professionelle Beratung in der sozialen Arbeit dient also zum einen der Informations- und Wissensvermittlung, zum anderen der Förderung von psychosozialer Kompetenz. Wo auf diesem Kontinuum wir unsere jeweils konkrete Arbeit ansiedeln, ist situations- und personenabhängig, abhängig von der jeweiligen konzeptionellen Ausrichtung unserer Tätigkeit, unserem jeweiligen Selbstverständnis und natürlich den jeweiligen Bedürfnissen unserer Klienten. Zugleich ist unsere Zuordnung auf diesem Kontinuum nie starr, sondern immer fließend. Wesentlich ist somit eine flexible Ver-knüpfung dieser beiden Pole. In dem von der BAGA herausgegebenen Papier zu den Erfolgskriterien für die Beratung älte-rer Menschen heißt es in der Eröffnung in Anlehnung an Jens Bruder: „Wir verstehen Bera-tung vordringlich als einen durch das Gespräch geleisteten Unterstützungsprozess für Men-schen in Belastungs- und Notsituationen. Die Beratung gründet sich auf die Vermittlung von Informationen und Handlungswissen und zielt auf die Verbesserung der Bewältigungsmög-lichkeiten der Beratenen ab.“ Auf einem Wochenendseminar im Rahmen meiner Supervisionsausbildung hat ein Dozent, Thomas Klatetzki, professionelle Beratung als eine Form von Kunst bezeichnet. Wie ange-nehm. Wie schmeichelnd. Wie aufwertend. Aber wenn wir diese selbst lobenden Aspekte außer acht lassen, steckt in dieser Aussage ein enorm wichtiger Gesichtspunkt, nicht nur für die supervisorische oder therapeutische Arbeit: Als Berater ist es wichtig, dass wir unser handwerkliches Können – d.h. unser Fach- und Methodenwissen – mit unseren jeweiligen persönlichen Eigenschaften zu einem eigenen Stil verknüpfen, den wir nicht nur kontinuier-lich weiterentwickeln, sondern den wir in jeweils unterschiedlichen Gewichtungen und Kom-binationen in unseren konkreten Beratungen kreativ zum Tragen kommen lassen. Beratung ist also in diesem Sinne ein kreativer Vorgang, jedoch einer, den wir nicht alleine gestalten, der im Gegenteil mehr oder weniger stark mitgestaltet wird von unseren Klienten. So gesehen ist professionelle Beratung ein Prozess zwischen dem Berater und dem Ratsu-chenden. Als Berater müssen wir uns ebenso auf diesen Prozess einlassen wie unsere Klienten, in dem nicht nur diese ihr Erfahrungs- und Handlungswissen vergrößern, sondern auch wir immer wieder Neues lernen und erfahren – über uns, unsere Klienten, unsere Me-thoden und die Lücken in unserem Wissen. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass Beratung dann erfolgreich sein kann, wenn wir als Berater Beratung als einen kreativen Prozess verstehen, in dessen Verlauf wir unsere fachlichen, methodischen und persönlichen Kompetenzen flexibel miteinan-der verschmelzen lassen. Das bedeutet natürlich nicht, dass dies in jedem Bera-tungsgespräch immer in seinen ganzen Dimensionen zum Tragen kommen muss.

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Herr Meier ruft in der Beratungsstelle an, weil er gehört oder gelesen hat, dass wir ihm bei der Suche nach einem Pflegeheim durch entsprechende Auskünfte helfen können. In diesem Telefonat können wir mit unseren fachlichen Kompetenzen glänzen, indem wir einerseits auf eine von uns herausgegebene Broschüre hinweisen, in der die Norderstedter Alten- und Pflegeheime beschrieben und dargestellt werden. Wir können noch einige weitere Erläute-rungen dazu geben, etwa Hinweise darauf, wie sich die Preise zusammensetzen, welche Anteile von der Pflegeversicherung getragen werden, wodurch sich die einzelnen Einrichtun-gen unterscheiden und vieles mehr. Andererseits können wir unsere fachlichen Kompeten-zen einbringen, indem wir ihm wichtige allgemeine Hinweise dazu geben, wie er denn die „passendste“ Einrichtung findet, welche Fragen er für sich im Vorwege klären sollte, und mit welchen Fragen er bei der Besichtigung verschiedener Einrichtungen stellen könnte. Auf der fachlichen Ebene werden wir ihn gut versorgen können, ein Gefühl von Erfolg haben, genau wie auch er das Gefühl haben wird, gut beraten worden zu sein, wenn wir ihm alle seine Fragen beantwortet haben. Aber das wird nicht immer alles sein können im Sinne von erfolgreicher Beratung. Mit den richtigen Fragen, der Vermittlung eines Gefühls von Anerkennung und Wertschätzung des bisher von ihm Geleisteten, dem Verständnis für ihn und seine persönliche Situation, erfahren wir unter Umständen noch viel mehr von ich. Z.B., dass zwar die Höherstufung seitens des MDK ab-gelehnt wurde, gleichzeitig jedoch der dringende Rat erteilt wurde, baldmöglichst nach einer stationären Versorgungsmöglichkeit für seine Frau zu suchen, was sich im Übrigen mit der Empfehlung des Hausarztes deckt. Und dass der Pflegedienst nicht mehr mit seiner Frau zurecht kommt – oder vielmehr seine Frau nicht mehr mit dem starren und unflexiblen Vor-gehen des Pflegedienstes, den dauernd wechselnden Pflegern und Pflegerinnen und dass sie sich deshalb immer häufiger den Erfordernissen der täglichen Grundpflege widersetzt. Und dass er sich schämt dafür, dass seine Frau die dringende Hilfe ablehnt, wie auch dafür, dass seine Nerven und seine Kräfte nicht mehr ausreichen. Vielleicht hat er all dies noch mit niemandem besprochen und vielleicht kann – bei allem Respekt vor seiner Entscheidung – in aller Ruhe noch einmal über Alternativen nachgedacht werden. Angefangen bei einem Wi-derspruch gegen die MDK-Entscheidung, einem Gespräch mit dem Pflegedienst oder unter Umständen auch einem Wechsel des Pflegedienstes, bis hin zu alternativen Entlastungsan-geboten für ihn und Betreuungsmöglichkeiten für seine Frau. Um erfolgreiche Beratungsgespräche zu führen, benötigen wir eine ganze Reihe von Quali-täten und Fähigkeiten, die in diesem Beispiel kurz angedeutet sind. Neben einer Grundausbildung in einem helfenden Beruf - sei es die Sozialarbeit, Sozialwis-senschaft, Pflege, Psychologie oder Medizin - benötigen Berater in der Alten- und Angehöri-genarbeit weitere fachliche, methodische und persönliche Kompetenzen, die ich im folgen-den z.T. stichwortartig erläutern möchte. Fachliche Kompetenzen Insbesondere grundlegendes Wissen aus den Bereichen – Pflege – Geriatrie und Gerontologie – Gerontopsychiatrie – Sozialwissenschaften – Hilfesysteme – Sozialrechtliches Wissen – Betreuungsrecht

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Methodische Kompetenzen Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten neben den bis in die 50er Jahre hinein dominieren-den Ansätzen der Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie der personenzentrierte Ansatz von Rogers innerhalb der Beratungsszene einen breiten Platz erobert. Die Schlüsselbegriffe Empathie, positive Wertschätzung und Kongruenz haben nicht nur in der Alten- und Angehö-rigenberatung ihren Stellenwert und sind meines Erachtens ein gutes Fundament für das Gelingen von Beratungsgesprächen mit pflegenden Angehörigen. Insbesondere das einfühlende Verstehen, die Empathie, hat hier eine hohe Bedeutung. Als Berater versuchen wir uns dem inneren Bezugssystem unserer Klienten zu nähern, wir ver-suchen die emotionalen Bedeutungen ihrer jeweiligen Situationen zu verstehen, wir versu-chen Dinge so zu sehen, wie sie sie sehen, und nicht zuletzt versuchen wir, ihnen das Ge-fühl zu vermitteln, dass wir sie verstehen. Eine positive Wertschätzung ist wichtig, stellt sie doch die Basis dafür her, jemanden so an-zunehmen und zu akzeptieren, wie er ist, eine notwendige Voraussetzung für eine vertrau-ensvolle Beziehung zwischen Berater und Klient. Kongruenz oder Echtheit meint nichts an-deres, als dass wir als Berater so sein sollten, wie wir sind, dass wir uns im Gespräch geben, wie wir sind, keine Fassade aufrechterhalten. Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz sind hier die variierenden Begriffe, die allerdings nicht um jeden Preis zum Tragen kommen soll-ten. Echtheit bedeutet Ehrlichkeit, aber sie muss hilfreich sein, darf nicht destruktiv sein. Eine pflegende Angehörige berichtet, wie sie – durchaus wohlmeinend – ihrer Schwieger-mutter allabendlich dabei zusieht, wie sie versucht, den Abendbrottisch zu decken. Die unru-hige und hektisch-nervöse Gestik der Schwiegermutter, ihr fragender Blick, was noch fehlen mag und vor allem wo das Fehlende wohl zu finden sei, kommentiert die Schwiegertochter regelmäßig mit den Worten „Du musst dich nur konzentrieren, dann fällt es dir schon wieder ein, sonst such doch einfach die Schränke durch!“ Was sich hier so kühl und fast feindselig anhört, hat neben dem Hinweis auf eine zumindest nicht ganz einfache Schwiegermutter – Schwiegertochterbeziehung noch einen für die Schwiegertochter ganz plausiblen Grund. Sie weiß nämlich, dass die Fähigkeiten ihrer de-menten Schwiegermutter unter Umständen länger erhalten bleiben, wenn sie ihr nicht jede Aktivität abnimmt. Dies ist an sich gut und richtig. Destruktive Ehrlichkeit wäre, der Schwie-gertochter zu sagen, dass ich als Berater gar nicht verstehen kann, dass sie so reagiert und wie katastrophal es unter Umständen für die Schwiegermutter ist, dass sie ihre persönlichen Probleme mit ihr auf diese Weise ausagiert. Hilfreicher ist es, den von der Schwiegertochter gewählten Ansatz „Förderung und Aktivierung“ zu thematisieren und mit ergänzenden Erläu-terungen zum Krankheitsbild in die richtigen Bahnen zu lenken und dann mit ihr über die po-sitiven und negativen Beziehungsanteile zu ihrer Schwiegermutter zu sprechen. Als weitere methodische Kompetenz brauchen wir als Berater die Fähigkeit, das uns Mitge-teilte nicht nur wiederzugeben, sondern wir müssen es auch ordnen und strukturieren kön-nen, genauso wie Zusammenhänge herstellen, Wichtiges von weniger Wichtigem unter-scheiden – insbesondere vor dem emotionalen Bedeutungshintergrund unserer Klienten. Neben fachlichen und methodischen Kompetenzen brauchen wir als Berater persönliche Kompetenzen, um erfolgreich beraten zu können. Einige möchte ich kurz aufführen. Zu-nächst sind eigene Erfahrungen im Umgang mit seelischen Belastungssituationen eine wich-tige Voraussetzung, wie auch Reflexionsfähigkeit und die Bereitschaft, zur Selbsterfahrung, d.h. dem reflektierten Wahrnehmen eigener Gefühle und Befindlichkeiten. Nicht minder wich-tig ist die Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit von mir als Berater. Nicht umsonst

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werden wir in Werbeblöcken doch zuweilen gefragt, ob wir uns wirklich vorstellen können, von dieser bestimmten Person einen Gebrauchtwagen zu kaufen. Wenn hierbei schon Ver-trauen und Zuverlässigkeit eine herausragende Rolle spielen, wie erst dann, wenn es um Partner, Eltern und den Beziehungen zu ihnen geht. Als Berater brauchen wir darüber hinaus die Fähigkeit, uns vorurteilsfrei auf unsere Klienten einzulassen, was oftmals leichter gesagt als getan ist. Hier ist die Reflexionsfähigkeit und vor allem ein Team und eine Supervision recht hilfreich. Natürlich müssen wir in erster Linie auch einfach zuhören können, jedoch gepaart mit der aus unserem Fach- und Methodenwissen sich speisenden zuweilen auch intuitiven Fähig-keit, die richtigen Fragen zu stellen. Zuweilen brauchen wir hier auch die Bereitschaft immer mal wieder Risiken einzugehen. Zuletzt möchte ich noch auf einen Aspekt hinweisen, den wir als omnipotente Berater allzu leicht aus den Augen verlieren: Die Wahrnehmung unserer eigenen aber auch fachlichen Grenzen. Nicht nur dieser Aspekt erfordert eine hohe Kooperationsbereitschaft – mit anderen Fachleuten oder Institutionen. In einem weiteren Schritt hin zu den Kriterien, anhand derer wir den Erfolg unserer Beratung ermessen können, müssen wir uns zunächst mit den Zielen beschäftigen. Ich bin in meinem Handeln erfolgreich, wenn ich meine Ziele erreiche oder ihnen zumindest so nahe wie in dem jeweiligen Fall möglich komme. Was sind die Ziele in der Beratung pflegender Angehö-riger? Welche Ziele wollen wir erreichen? Ist mein Ziel, dass – der Beratene zufrieden ist? – ich, als Berater zufrieden bin? – das Umfeld des Beratenen zufrieden ist? Das allgemeinste Ziel, das wir soeben in Schleswig – Holstein für die flächendeckend neu entstehenden trägerunabhängigen Pflegeberatungsstellen formuliert haben, liegt in der Ent-lastung pflegender Angehöriger und älterer Menschen. Entlastung und Entlastungserleben ist jedoch so vielschichtig und unterschiedlich, dass wir dies ein wenig differenzierter fassen müssen. Wie sehen typische Beratungssituationen aus, anhand derer ich mich der Beant-wortung der Frage, wann ein Beratungsgespräch erfolgreich ist, nähern will. Bei fast jedem Beratungsgespräch wird es zunächst um eine Problemklärung gehen. Klä-rung jetzt nicht im Sinne von Lösung, sondern im Sinne eines Verstehens und einer klaren Formulierung des Problems. Nicht selten erleben pflegende Angehörige sehr allgemeine Gefühle der Unzufriedenheit, Ratlosigkeit oder Überforderung durch die Pflegesituation. Sie sind auf der Suche nach Hilfe, ohne eine genaue Vorstellung und zuweilen auch ohne ein Bewusstsein der zu Grunde lie-genden Problematik zu haben. Eine ausreichende und vor allen Dingen erfolgreiche Bera-tung erfordert somit zunächst eine kompetente und einfühlsame Klärung der sehr unter-schiedlichen und vielschichtigen Problemsituationen. Dazu gehört dann auch, dass wir als Berater uns ein möglichst differenziertes Bild machen, dass wir uns einlassen, dass wir den Angehörigen Raum geben für ihre Sicht der Dinge und für ihre emotionale Situation. Insbesondere für längerfristige Unterstützungen ist ein gründli-ches Kennen lernen der familiären, biografischen und nicht zuletzt emotionalen Verflochten-heit hilfreich.

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Ein Sohn kommt zu einem Beratungsgespräch und erzählt von seinem in einem Pflegeheim lebenden Vater. Er, der Vater, sehe seit geraumer Zeit immer eine Eisenbahn vor seinem Fenster vorbeifahren. Alle Versuche, ihn davon zu überzeugen, dass dort gar keine Eisen-bahn sei, schlugen fehl. Der Sohn hat argumentiert und diskutiert, ist mit dem Vater sogar mehrmals um das Pflegeheim herumgefahren um zu „beweisen“, dass dort keine Schienen seien und somit auch keine Eisenbahn dort sein könne. Genützt hat dies wenig. Zwar konnte der Vater bei solchen Gelegenheiten verstehen und zugeben, dass natürlich ohne Schienen auch keine Eisenbahn möglich sei, aber sobald sie sich wieder in seinem Zimmer befanden, war die Eisenbahn wieder da. Der Sohn wusste nicht mehr weiter. Ähnlich ratlos waren die Pflegeheimmitarbeiter. Diese reagierten sehr unterschiedlich auf den Vater. Einige gingen gar nicht auf die Äußerungen ein, andere sagten sinngemäß „ja, sehe ich auch“, wieder an-dere reagierten mit Realitätskonfrontation im Sinne von „da ist doch gar nichts“. Wo liegt hier das Problem? Wer hat das Problem? Sehr aufschlussreich und erhellend ist das Eintauchen in die Lebensgeschichte des Vaters, die Biografie der Familie. Fast im Voraus erkennbar für einen Außenstehenden kam in einem ausführlichen Beratungsgespräch folgendes zum Vorschein: – Der Vater hat früher bei der Eisenbahn gearbeitet. Er hat gerne und viel gearbeitet, sich

mit seiner Arbeit identifiziert.

– Er ist erst vor wenigen Jahren aus der ehemaligen DDR nach Norddeutschland gekom-men. Schon dort hatte er eine Modelleisenbahn. Nicht irgendeine, sondern von „Märklin“!

– Diese Modelleisenbahn konnte er nicht mitnehmen. Schweren Herzens trennte er sich davon, indem er sie seinem anderen, in Berlin lebenden Sohn schenkte.

– Seit einiger Zeit ist der Kontakt zu diesem Sohn abgebrochen.

– Dieser Sohn war immer der „Lieblingssohn“.

– Der in der Beratungsstelle sitzende Sohn vermutet, der andere habe die Eisenbahn ver-kauft.

Diese ganze emotionale Verwobenheit wurde dem Sohn als Grundlage für die Fantasien und Halluzinationen seines Vaters plötzlich bewusst. Ebenso seine eigene emotionale Verqui-ckung, die sich aus der zeitlebens verspürten Zurücksetzung durch seinen Vater erklärt und die es ihm bislang nicht ermöglichte, auf die emotionalen Mitteilungen und Klärungswünsche des Vaters einzugehen. Ein wesentliches Erfolgskriterium von Beratung ist also ein vertieftes Verständnis für die Um-stände, die zu der aktuellen Situation geführt haben. Oder wie es die BAGA formuliert, wo-nach Beratung erfolgreich ist, wenn sie zur „... Verbesserung des psychodynamischen Ver-ständnisses schwieriger Reaktionsweisen mit veränderter und vertiefter Sicht der Persön-lichkeit des Kranken, manchmal verbunden mit vergrößertem biografischem Wissen über den Kranken“ führt. In den weitaus meisten Beratungsgesprächen sind mehr oder minder große Anteile der In-formationsvermittlung enthalten. Diese liegen hauptsächlich in den Bereichen ♦ Altern in medizinischer, psychologischer und sozialer Hinsicht

♦ gerontopsychiatrische Erkrankungen, insbesondere Demenz und Depression (Sympto-

me, Diagnostik, Verlauf, Pflege, Therapie, Umgang, Tagesstrukturierung, Unter- und Ü-berforderung etc.)

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♦ SGB XI, sowie in Grundzügen auch BSHG und Betreuungsrecht

♦ Hilfs- und Unterstützungsangebote, z.B.

– Möglichkeiten von Diagnostik und Therapie

– ambulante, teilstationäre und stationäre Angebote der professionellen Altenhilfe

– ehrenamtliche Hilfen, Angebote von karitativen und gemeinnützigen Einrichtungen

– finanzielle Hilfen. Erfolgreich ist Beratung dann, wenn es zu einer Zunahme des Wissens auf Seiten der Bera-tenen kommt. Z.B. wenn die Angehörigen die Krankheiten und Einschränkungen der zu Pfle-genden besser verstehen und sich besser darauf einstellen können, weil sie Veränderungen im Miteinander als krankheitsbedingt erkennen können. Oder wenn sie verbesserte Kenntnisse über vorhandene Hilfen erworben haben, wie auch über Wege, diese Hilfen in Anspruch zu nehmen. In einigen Fällen ist die reine Information über entlastende und helfende Angebote nicht aus-reichend; die „Lotsenfunktion“ von Beratung muss hier ergänzt werden durch mehr oder we-niger intensive Anbahnung von Hilfen, indem z.B. Kontakte hergestellt werden zu ambulan-ten oder teilstationären Diensten, zu ehrenamtlichen Kräften, zu Betreuungsgruppen oder zu anderen Fachleuten. Erfolgreich ist Beratung in diesem Zusammenhang, wenn es in der Unterstützungsarbeit gelungen ist, entlastende Hilfen eingebaut zu haben. Intensive Beratung und längerfristige Begleitung pflegender Angehöriger sind immer wieder notwendig, um die gravierenden Veränderungen im familiären Zusammenleben mit seinen extrem belastenden Fassetten zu bearbeiten und auf eine gemeinsame Suche nach entlas-tenden Angeboten, hilfreichen Strategien oder konstruktiven Lösungen zu gehen. Ich stelle immer wieder fest, wie wichtig hier das gemeinsame Suchen ist, wie wichtig zuweilen auch die verbindende Erfahrung von kurzzeitiger gemeinsamer Ratlosigkeit sein kann – immer wieder erstaunt auch uns nicht Vorhersehbares im Verhalten von z.B. Demenzkranken. Er-folgreich ist Beratung also nicht nur, wenn wir als Berater den richtigen Weg, die Lösung, die Erklärung schlechthin haben, sondern auch wenn wir in der Lage sind, mit den Beratenen gemeinsam nach Wegen und Lösungen zu suchen und hierfür auch Gefühle der Ratlosigkeit entstehen lassen können, ohne die Fassade eines perfekten omnipotenten Ratgebers auf-recht erhalten zu müssen. Wiederkehrende Zielbereiche sind im Zusammenhang mit längerfristiger Beratung und Begleitung z.B. die Motivation zur Inanspruchnahme entlastender Angebote. Als tief beeindruckend erlebe ich als Berater immer wieder die Kraft, Hingabe und Ausdauer pflegender Angehöriger. Wie oft aber habe ich auch das deutliche Gefühl, dass es eigentlich schon gar nicht mehr geht oder zumindest nicht mehr lange wird gehen können. Eine Toch-ter hatte sich entschlossen, mit ihrer mittlerweile 70jährigen Mutter wieder zusammenzuzie-hen. Beide sahen den Nutzen und die gegenseitigen Vorteile, freuten sich auf die weitere Intensivierung ihrer Beziehung, die schon immer recht eng und gut war. Zusammen mieteten sie ein Haus mit Garten, das keine von ihnen allein hätte finanzieren können. Es lag im Grü-nen, ca. 30 km außerhalb der Großstadt, in der sie beide vorher gelebt haben. Schon kurz nach dem Umzug entwickelten sich bei der Mutter erste Symptome einer Alzheimer Demenz. Die Tochter machte sich Vorwürfe, die um so größer wurden, je mehr sie merkte, wie schwer der Mutter die Orientierung in der noch unvertrauten Umgebung fiel.

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Sie fühlte sich verantwortlich für diese Entwicklung. Erschwerend kam hinzu, dass sie sich vor dem Zusammenziehen gegenseitige Hilfe versprochen hatten, wenn es mal nicht so recht ginge. Die Tochter war berufstätig, arbeitete in der Stadt. Sie hatte noch eine Schwester, die nicht allzu weit entfernt wohnte, die aber kein so gutes Verhältnis zur Mutter hatte, wie auch die beiden Schwestern ein eher gespanntes Verhältnis zueinander pflegten. Eifersüchtig auf die gute Beziehung, beobachtete die zweite Schwester aus der Distanz, wie die Situation sich allmählich zuspitzte. Die erste Tochter reduzierte ihre Arbeitszeit, um besser für die Mutter sorgen zu können. Trotzdem war ihre Belastung und Anspannung extrem hoch. Ob ihrer permanenten Sorge, ihrer Überlastung und Schuldgefühle, reagierte sie häufiger enttäuscht und wütend, auch zuweilen aggressiv auf ihre Mutter, z.B., wenn das Waschen und Anziehen nicht funktionier-te. In dieser Situation suchte die Tochter die Beratungsstelle auf. In der Schilderung dieser Geschichte mit ihren vielen Fassetten werden die vielen Aufgaben deutlich, die wir als Berater anzugehen haben. Um die Beratung erfolgreich zu gestalten, müssen wir nicht nur über die verschiedenen schon angesprochenen Bereiche informieren, wir müssen über Belastungen, die langsam schwindenden Kräfte genauso reden, wie über die vorhandenen Ressourcen, die Kraftquellen, über die die Angehörigen verfügen, die sie befähigen, all das zu leisten was sie bisher geleistet haben. Ebenfalls müssen wir ein Stück in die Biografie, in die gemeinsame Geschichte eintauchen, um gemeinsam herauszufinden, wie tragfähig die Beziehung ist, um diese große Herausforderung zu bestehen. Und bezogen auf das Beispiel müssen wir gemeinsam herausfinden, wo die Ursachen und Begründungen dafür liegen, dass sich die Tochter nicht die Hilfen und Entlastungen einholt, die sie eigent-lich braucht. Häufig stoßen wir dabei auf ein übergroßes Ausmaß an Schuldgefühlen – nicht genug zu leisten, endlich der gute Partner, die gute Tochter sein zu wollen, schuld an der Situation zu sein, wieder gut machen zu wollen etc. Erfolgreich ist Beratung, wenn die Bereitschaft, familiäre wie auch professionelle Hilfe einzu-fordern und anzunehmen, wächst. Ebenso kann von erfolgreicher Beratung gesprochen werden, wenn die Überlastung formuliert werden kann, gerade im Zusammenhang mit ver-schiedenen Formen der Aggression und Machtausübung. Die verbesserte Fähigkeit, in schwierigen Pflegesituationen besonnen und innerlich distan-ziert zu reagieren, ist ein weiteres Erfolgskriterium, das sich ebenso wie eine Minderung von Schuldgefühlen oftmals ergibt, wenn die Pflegenden wieder vermehrt eigene Bedürfnisse wahrnehmen und lernen, diese gegen die Notwendigkeiten der Pflege abzugrenzen. Beratung ist erfolgreich, wenn es auf Seiten der Angehörigen zu einer wachsenden Akzep-tanz der Krankheit des Pflegebedürftigen kommt. Dies ist zudem eine wichtige Basis für eine zunehmende Wahrnehmungs- und Unterscheidungsfähigkeit der einerseits vorhandenen Defizite und Begrenzungen, andererseits von Ressourcen und Möglichkeiten bei den Pfle-gebedürftigen. In dem geschilderten Beispiel der pflegenden Tochter wird noch anderes deutlich. Es geht auch um Veränderungen in gegenseitigen Erwartungen und Verpflichtungen, wie auch um die Veränderung oder sogar den Abschied von Lebensplanungen. Erfolgreich ist Beratung, wenn sie zu einem klareren Erkennen von Verlusten beiträgt und damit den Trauer- und Abschiedsprozess begleiten kann. In der Folge von längerfristigen Begleitungen erlebe ich immer wieder, dass sich die Angehö-rigen zu wahren Fachleuten entwickeln können, dass sie kreativ neue Lösungen suchen und

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ausprobieren. Vor allem im Austausch der Angehörigen in den angeleiteten Gesprächsgrup-pen kommen diese Qualitäten deutlich zum Vorschein, von dem alle profitieren können. Die Fähigkeit über eigene Erfahrungen zu sprechen, wie auch der Mut, unter schwierigsten Bedingungen mit Fantasie nach Lösungen zu suchen, kann eine Folge erfolgreicher Bera-tung sein. Ich habe jetzt im Wesentlichen die Zufriedenheit unserer Klienten im Auge gehabt und dar-gestellt, wann sich Beratung mit Sicht auf die Pflegenden als erfolgreich ansehen lässt. Aber wir brauchen auch selber ein Gefühl von Zufriedenheit mit unserer Tätigkeit, ein Gefühl von Erfolg. Woran erlebe ich als Berater, dass meine Beratung erfolgreich war? Außer an den oben ausgeführten Kriterien können wir auch an uns erkennen, dass ein er-folgreicher Prozess in Gang gekommen ist. Die für mich zentralsten Kriterien sind zum einen eine wachsende Vertrauensbasis, der sichere Eindruck einer vertrauensvollen und tragfähi-gen Beziehung zum pflegenden Angehörigen. Dies kann sich darin ausdrücken, dass ich mich freue sie/ihn zu sehen, dass ich wach und interessiert im Kontakt bin, dass ich neugie-rig bin, ohne aufdringlich zu sein, dass ich kreativ und mutig bin, dass ich Vertrauen in die Situation und auch in mich habe. Zum anderen erlebe ich es als Erfolg, wenn ich in der Lage bin, mitfühlend für die Belastun-gen der Angehörigen zu sein, ohne mich in deren Last und den manchmal auch großen Lei-den zu verlieren. Dies bedeutet mitfühlend zu sein, ohne den Blick für die Ressourcen und Kompetenzen der Pflegenden zu verlieren. Im BAGA-Papier wird in diesem Zusammenhang von „mittlerer Distanz“ gesprochen. Wenn wir diese einhalten können, erleben wir auch sel-ber ein Gefühl für einen erfolgreichen Unterstützungsprozess. Als letzten Punkt möchte ich noch einige kurze Bemerkungen zum Umfeld der Beratenen und der Beratungsstelle machen. Erfolgreiche Beratung führt in diesem Zusammenhang zu einer größeren Sensibilisierung für die Situation pflegender Angehöriger auf Seiten des Umfeldes, auf Seiten der Gesellschaft. Auch kann Beratung zu einer verbesserten Kooperation und Vernetzung im Altenhilfesystem beitragen und in diesem Sinne erfolgreich sein. Die Erwartung, dass Beratung auch dazu führt, dass die Anzahl der Übersiedlung in stationä-re Einrichtungen weniger hoch ist, mag ein Indikator für erfolgreiche Beratung sein, jedoch kann in einigen Fällen gerade die Beratung dazu führen, dass es zu einer Entscheidung zu stationärer Pflege kommt. Wesentlicher ist in diesem Zusammenhang ein größeres Ausmaß an Selbstbestimmtheit. Anknüpfend an den Anfang meines Vortrages möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass wir uns als Berater immer wieder verdeutlichen, dass wir Teil eines Prozesses sind, den wir zu befördern haben, mit unseren fachlichen, methodischen und nicht zuletzt auch persönlichen Fähigkeiten, mit unserem eigenen Stil. Letztlich geht es darum, pflegende Angehörige zu unterstützen, das zu tun, was für sie unter den gegebenen Umständen möglich ist. Idealerweise entsteht so rückblickend auf die unter Umständen sehr belastende und konfliktreiche Pflege ein Gefühl von versöhnlicher Zufrie-denheit. Und dabei haben sie ein Anrecht auf unsere Begleitung und Unterstützung.

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Ulrich Mildenberger, Diplom-Soziologe, Supervisor, Beratungsstelle für ältere Bürger und ihre Angehörigen, Norderstedt Standards psychosozialer Beratung von alten Menschen und Angehörigen 1. Zielgruppen sind ältere Menschen und Angehörige von älteren Menschen.

Alten- und Angehörigenberatung ist primär klientenorientierte Arbeit.

2. Die Arbeit orientiert sich am psychosozialen Beratungsansatz, das heißt:

– Sie bedient sich auch psycho- und sozialtherapeutischer Methoden und Sichtwei-sen.

– Sie verfolgt vielfältige Zielsetzungen, die von der Weitergabe von Informationen über die Vermittlung praktischer Hilfestellungen bis hin zur psychotherapeutisch o-rientierten Hilfe bei der Bewältigung von emotionalen Problemen und Konflikten rei-chen.

– Die Beratung orientiert sich am Einzelfall, d. h. an der Biografie und den spezifi-schen Lebensumständen des Klienten. Sie setzt je nach Problemsituation unter-schiedliche Beratungsschwerpunkte.

– Sie erfolgt als Einzel-, Familien- und Gruppenberatung. Eine Besonderheit psycho-sozialer Alten-/Angehörigenberatung ist das Angebot zugehender Beratung.

3. Alten- und Angehörigenberatung kann in verschiedener Form erfolgen. Zu unterschei-den sind:

– Betreuung ist alltagspraktische, konkrete Hilfeleistung. Sie beinhaltet auch Kooperations- und Vernetzungsarbeit.

– Beratung zielt auf eine Verbesserung der Bewältigungsmöglichkeiten und die Stär-kung der Handlungskompetenz von Menschen in Belastungssituation ab. Je nach Problemlage werden auch weiterführende Informationen und Auskünfte gegeben.

– Therapie befasst sich mit seelischen Phänomenen, die verhindern, dass Einsichten zu Stande kommen, dass Wissen Handeln werden kann.

– Begleitung setzt nach der Behandlung/Therapie ein. Die beratende Person nimmt dem Klienten gegenüber eine fürsorgliche, abwartende Haltung ein und steht zur Verfügung, wenn der Klient Hilfe benötigt.

4. Die Qualifizierung der beratenden Person speist sich aus drei Quellen,

4.1 einer Grundausbildung in einem helfenden, z.B. einen sozialarbeiterischen, sozialwissenschaftlichen, psychologischen, pflegerischen oder medizinischer Beruf.

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4.2 auf Fachwissen, psychosoziale Kompetenz, persönliche Fähigkeiten und Erfahrung. Insbesondere sind erforderlich:

– Fachwissen aus dem Bereich Pflege, Geriatrie/Gerontopsychiatrie, Gerontologie, Sozialwissenschaften sowie konkretes Versorgungswesen

– Kompetenz im beraterisch psychotherapeutischen Bereich, d.h. die Fähigkeit zum reflektierten klientenorientierten Gespräch.

– persönliche Fähigkeiten und Erfahrungen im Umgang mit seelischen Belastungssi-tuationen Älterer und Angehöriger.

4.3 Auf ein multidisziplinäres Team, auf Fortbildung und Supervision zur Sicherung und Weiterentwicklung der Beratungsqualität.

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Ulrich Mildenberger, Diplom-Soziologe, Supervisor, Beratungsstelle für ältere Bürger und ihre Angehörige, Norderstedt Erfolgskriterien für die Beratung älterer Menschen Wir verstehen Beratung vordringlich als einen durch das Gespräch geleisteten Unterstüt-zungsprozess für Menschen in Belastungs- und Notsituationen. Die Beratung gründet sich auf die Vermittlung von Informationen und (Handlungs-) Wissen und zielt auf die Verbesserung der Bewältigungsmöglichkeiten der Beratenen ab (in Anlehnung an Bruder 1997). Jede erfolgreiche Beratung setzt die Bereitschaft des beratenen älteren Menschen, sich auf den Beratungsprozess einzulassen, sowie das Entstehen einer vertrauensvollen Beziehung zwischen ihm und dem Berater voraus. Die Kriterien für eine erfolgreiche Beratung werden im folgenden aus drei unterschiedlichen Perspektiven, die den Beratungsprozess maßgeblich beeinflussen, dargestellt: 1. Die Perspektive des älteren Menschen selbst

2. Die Perspektive des Beraters

3. Die Perspektive des privaten und professionellen/institutionellen Umfeldes des älteren

Menschen.

1. Der ältere Mensch Aus der Sicht des älteren Menschen können wir dann von erfolgreicher Beratung sprechen, wenn diese zu Veränderungen in einem oder mehreren Bereichen - des Wissens, des Verhal-tens und des subjektiven Befindens - geführt hat. 1.1 Wissen Der ältere Mensch wird zu den Möglichkeiten der Prävention, des eigenen Gesundheitsver-haltens und der Inanspruchnahme von Hilfen beraten. Erfolgreiche Beratung liegt dann vor, wenn sie zu einem Wissenszuwachs geführt hat. Dem älteren Menschen sind dann Erkennt-nisse über körperliche und psychologische Alterungsvorgänge und spezielle Krankheiten im Alter sowie praktische und soziale Hilfen bei Hilfs- und/oder Pflegebedürftigkeit verständlich vermittelt worden. Ein weiterer Schwerpunkt des Beratungsprozesses liegt in dem Bestreben der Berater, dem Beratenen zu einem besseren Erkennen eigener Fähigkeiten und Ressourcen sowie zu einer größeren Klarheit bezüglich der eigenen Situation zu verhelfen. Erfolgreiche Beratung führt daher in diesem Zusammenhang zu höherem Selbstwissen, größerer Differenzierungsmög-lichkeit für die Selbst- und Fremdverantwortlichkeit in der jeweiligen individuellen Situation sowie letztendlich auch zu einer Erhöhung des Selbsthilfepotenzials. Dadurch wird der ältere Mensch eher in die Lage versetzt, Hilfen in Anspruch zu nehmen und diese als Entlastung zu erleben.

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1.2 Verhalten Der Erfolg der Beratung auf der Ebene des Verhaltens ist zunächst ganz allgemein daran zu erkennen, dass sich der ältere Mensch auf den Beratungsprozess einlässt. Dies ist beispiels-weise an der Einhaltung von Terminen und der Bereitschaft zur Bearbeitung von persönlichen Problemlagen abzulesen. Durch eine erfolgreiche Beratung wird die Handlungskompetenz zur Verbesserung seiner aktuellen Lebenssituation erweitert. Dies drückt sich in einem verbesserten gesundheitsbezo-genen Verhalten ebenso aus wie in der steigenden Akzeptanz und Inanspruchnahme von informellen und professionellen Hilfen, Helfern und Hilfsmitteln. In diesem Zusammenhang kommt es zu einer Verbesserung sozialer Kontakte, verbunden mit einer Klärung von Rollen und Beziehungen; falls dies seinem Bedürfnis entspricht, kann der ältere Mensch nun wieder erfolgreicher am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Durch erfolgreiche Beratung wird er schließlich in die Lage versetzt, selbstbestimmt Entschei-dungen zu treffen und die Erfahrung zu machen, dass er selbst die Kontrolle und Verantwor-tung für sein Leben besitzt und nicht fremdbestimmt über ihn entschieden wird. 1.3 Subjektives Befinden Durch den Wissenserwerb und die daraus resultierenden Verhaltensänderungen kommt es bei einer erfolgreichen Beratung zu einer Verbesserung des körperlichen und seelischen Befindens des älteren Menschen. Dies resultiert in der Regel aus einer zunehmenden Akzeptanz von Veränderungen und Ein-schränkungen sowie aus dem Wissen um die eigenen Kompetenzen. Es spricht für einen erfolgreich verlaufenen Beratungsprozess, wenn sich der Beratene selbst als eine vielschich-tige Persönlichkeit empfinden und eine versöhnliche Haltung zu seinem bisherigen und aktu-ellen Leben einnehmen kann. Ein weiterer erkennbarer Effekt erfolgreicher Beratungstätigkeit besteht in dem Gefühl des älteren Menschen, verstanden worden zu sein, verbunden mit einem Unterstützungs- und Entlastungserleben. Ein erfolgreich verlaufener Beratungsprozess kann daher auch dazu beitragen, dass der ältere Mensch die Fähigkeit zu mehr heiterer Gelassenheit erwirbt. 2. Der Berater Grundsätzlich gelten auch aus Sicht der Berater alle unter 1. genannten Kriterien als Indikato-ren einer erfolgreichen Beratung. Dies beinhaltet, dass sich der Berater in seiner Unterstüt-zung durchgängig auf die Rückmeldung des Ratsuchenden handlungsleitend bezieht und die Interessen des älteren Menschen wahrnimmt und berücksichtigt. Darüber hinaus kann der Berater anhand folgender, auf seine Person und Arbeitsweise bezogene Merkmale, den Er-folg seiner Beratung feststellen: 2.1 Vertrauensbasis Bei einer erfolgreichen Beratung hat der Berater den sicheren Eindruck, einen vertrauensvol-len und tragfähigen Kontakt zum ratsuchenden älteren Menschen hergestellt zu haben. Dies drückt sich in seinem Engagement, dem inneren Beteiligt sein und der Bereitschaft zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen und vergangenen Lebenssituation des Beratenen aus.

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2.2 Fachliche (Selbst-) Bestätigung Für den Beratungserfolg spricht, dass der Berater durchgängig von der Überzeugung geleitet wird, für den älteren Ratsuchenden eine wertvolle und nützliche Hilfe zu sein. Im Beratungs-Gespräch zeigt sich dies vor allem an der Offenheit in der Begegnung mit dem älteren Men-schen und darin, dass sich der Berater im Kontakt wach, vital und kreativ erlebt. Der Berater merkt dies außerdem daran, dass er beständig nach Ressourcen und Kompetenzen der bera-tenen Person forscht und in der Lage ist, diese hervorzuholen und zu bestärken. Dadurch, dass der Berater sich in gleichem Maße auf gerontologische Kenntnisse, seine Erfahrungen mit seelischen Belastungssituationen, sein Wissen um psychologisch-emotionale Unterstüt-zung und die Selbsterfahrung mit dem eigenen Älterwerden zu stützen vermag, kann er auch seiner Hilfefähigkeit vertrauen. Im gleichen Sinne stellt der Kontakt mit dem älteren Menschen auch für den Berater eine Bereicherung dar, weil er durch die Auseinandersetzung mit dessen Persönlichkeit und Lebensgeschichte einen Zugewinn an Erfahrungs-Wissen erhält. 2.3 Lebensweltliche Sichtweise des älteren Menschen Ein weiteres wichtiges Kriterium ist es, dass der Berater das Anliegen des älteren Menschen verstanden und dabei das häufig hinter einer Frage verborgene eigentliche Bedürfnis des Ratsuchenden entschlüsselt hat. Dies bedeutet, Belastungen nachvollziehen und Möglichkei-ten der Veränderung im Alter gegen Grenzen angemessen abwägen und bewerten zu kön-nen. Die Fähigkeit zuzuhören, das Gehörte wiederzugeben und sich in die Perspektive und Biografie des Beratenen einfühlen zu können, ist in diesem Zusammenhang die zentrale Vor-aussetzung für eine erfolgreiche Beratung. 3. Das Umfeld Erfolgreiche Altenberatung spiegelt sich auch im Umfeld des älteren Menschen wider. Es ist dabei sinnvoll, zwischen dem privaten und dem professionellen/ institutionellen Umfeld des Beratenen zu unterscheiden. 3.1 Das private soziale Umfeld Beratung ist erfolgreich, wenn auch das private Umfeld des Ratsuchenden ein größeres Ver-ständnis für die Probleme, aber auch die Ressourcen des älteren Menschen entwickelt. Dies wird vor allem durch eine verbesserte Kommunikation zwischen dem Beratenen und seinem privaten Umfeld deutlich. Das private soziale Umfeld des älteren Menschen erlebt aufgrund erfolgreicher Beratung vor allem einen deutlichen Entlastungseffekt und eine Minderung von Schuld- und Versagens-ängsten. Das Kriterium für eine erfolgreiche Beratung ist daher besonders in einem größeren Ausmaß von Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit in der Entscheidung des älteren Menschen für (nicht selten einschneidende) Veränderungen seiner eigenen Lebensverhältnisse zu sehen. 3.2 Das professionelle/ institutionelle Umfeld Im professionellen und institutionellen Umfeld ist ein breiteres Wissen über das Unterstützungspotenzial von Beratung ein Indikator für den Erfolg der Beratungstätigkeit. Dies drückt sich vor allem in einem umfangreichen Informationsaustausch zwischen Beratenen, Bera-tungsstellen und weiteren beteiligten Institutionen, einer regen Kooperation und Vernetzung im Altenhilfesystem sowie einer zunehmenden Partizipation älterer Menschen bei der Gestal-tung von Hilfestrukturen aus.

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Ulrich Mildenberger, Diplom-Soziologe, Supervisor, Beratungsstelle für ältere Bürger und ihre Angehörigen, Norderstedt Erfolgskriterien für die Beratung von pflegenden Angehörigen Alterskranker Zunächst werden drei Zielgruppen bzw. -bereiche voneinander abgegrenzt, bei denen Veränderungen beobachtet werden können: 1. die gepflegten kranken alten Menschen und ihre Angehörigen 2. die Berater 3. das Umfeld (beobachtende Fachwelt bzw. kommunal zuständigen, d.h. Mittel- bewilli-

genden Institutionen) 1.1. Der gepflegte alte Mensch Insbesondere bei Demenzkranken in den leichteren Stadien kann ein wichtiger Beratungser-folg sein, wenn die beginnenden Defizite nicht mehr geleugnet werden, die Diskrepanz zwi-schen Selbst- und Fremdwahrnehmung also verringert wird und keine Enttäuschungen durch Versagen mehr programmiert werden. In den fortgeschrittenen Demenzstadien ist ein wichti-ges Kriterium, wenn die aufgrund der Persönlichkeitsveränderung und Kontrollschwäche entstehenden heftigen Sekundär-Affekte (Angst, Wut, Verzweiflung, Misstrauen, Aggressivi-tät) durch verbesserten Umgang mit den Kranken seltener auftreten. Bei stark antriebsge-schwächten Demenzkranken kann als Beratungserfolg angesehen werden, wenn ein ver-besserter, stärker aktivierender Umgang zu mehr Lebendigkeit der Kranken führt. Ebenso wichtig sind der Rückgang des Tranquilizer-Konsums. Ein Beratungskriterium ist die Vermei-dung von ursprünglich geplanten oder immer wieder erwogenen Heimübersiedlungen; aller-dings nur unter der Voraussetzung, dass es bei der Fortsetzung der Familienpflege keine nachhaltigen Verschlechterungen der Beziehung gibt und keine Überforderung der Pflegen-den. 1.2. Die Seite der Angehörigen Zunahme des Wissens über die Krankheiten und Einschränkungen der Gepflegten, Verbes-serung des psychodynamischen Verständnisses schwieriger oder sogar verwirrter Reakti-onsweisen mit veränderter und vertiefter Sicht der Persönlichkeit des Kranken, manchmal verbunden mit vergrößertem biografischen Wissen über den Kranken. Verbesserte Kenntnisse über existierende Hilfen, Zunahme der Bereitschaft, mit innerer Si-cherheit und Klarheit Hilfen in Anspruch zu nehmen (sowohl professionell wie auch informell und familiär); insgesamt also auch eine Vergrößerung des Selbsthilfepotenzials. Offenerer Umgang mit bisher als tabuisiert erlebten Themen (Sterben und Sterbehilfe, Prob-lem von Gewalt und gewaltähnlichen Handlungen im Umgang mit hilfebedürftigen alten Menschen, Testament, Situation nach dem Tod des Gepflegten mit der Gefahr des Vakuum-erlebnisses). Zunahme des Expertenbewusstseins bei den pflegenden Angehörigen, besonders bei Grup-penzusammenkünften. Ein deutlicher Effekt der Unterstützung ist, wenn der Verlust von Fähigkeiten und Wesensbe-reichen klar erkannt wird und die Abschieds- und Trauerarbeit beginnt bzw. voranschreitet.

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Akzeptanz des Krankheitscharakters von belastendem bzw. sogar kränkendem Verhalten bei Demenzkranken; Verbesserung der Fähigkeit, sich durch die Krankheitszuschreibung des Verhaltens gegen den Verdacht der Schwierigkeit bzw. sogar Bösartigkeit des Kranken zu schützen. Verbesserte Fähigkeit, in kritisch zugespitzten Pflegesituationen (bevorzugt bei motorisch ungestörten, unruhigen Demenzkranken, aber auch in Konflikten mit geistig unbe-einträchtigten alten Menschen) besonnen zu reagieren; d.h. auch, in innere Distanz zu ge-hen und die einzelnen Elemente der Situation voneinander abzugrenzen und zu gewichten und vor allem nicht zu stark schuldgefühlsbetont zu reagieren. Darin kann sich z.T. eine Zu-nahme der emotionalen Autonomie bei (bisher eher ungelösten) Pflegenden abzeichnen. Ein klareres Zeichen für verbesserte Autonomie ist auch die deutlichere Wahrnehmung eigener Bedürfnisse der Pflegenden und ihre schuldgefühlsfreiere Abgrenzung gegen die Notwen-digkeiten der Pflege. Manchmal lässt sich ein Beratungserfolg schon darin erkennen, dass Pflegende die Absicht entwickeln, bei der nächsten Krise aktiver damit umzugehen. Auch in der systematischeren Suche nach Lösungen, also dem nicht mehr zirkulären, sondern vo-ranschreitenden Überprüfen einzelner Bewältigungswege, kann sich ein Effekt der Bera-tungsarbeit ausdrücken. Ebenso kann der wachsende Mut, von Zweifeln begleitete Wünsche nach intensivierter Pflege zu verwirklichen, ein Beratungserfolg sein, z.B. die erneute Über-nahme in häusliche Pflege kurze Zeit vor dem Tod. Verminderung psychosomatischer Symptome, Verminderung des Medikamentenkonsums, insbesondere von Schmerzmitteln, Tranquilizern und Antidepressiva. Erlebnis global ver-mehrter Belastbarkeit und verbesserte Fähigkeit, Schuldgefühle unter Kontrolle zu halten. Seltener werdende Handlungen, die Vernachlässigungs- oder Gewaltcharakter haben, also verbesserte Kontrolle gegenüber resignativ-gleichgültigen bzw. aggressiv heftigen Gefühlen und Affekten. Empfinden und Bewusstsein, in der belastenden Situation nicht mehr (ganz) alleine zu sein, sondern begleitet zu werden von Menschen, die sich um Hilfe bemühen. Zu-nehmendes Verständnis des Wesens von Beratung mit all ihren Dimensionen, allmählich dann auch das klare Erleben von Erleichterungen, eventuell sogar in Form eines schlaglicht-artigen (flash) Aha-Einsichtserlebnisses. Manchmal empfinden Beratene – jenseits von In-formation und Einsicht - das Gefühl des Bemuttertseins. In einzelnen Fällen wird geäußert, dass sich die anfänglichen Negativerwartungen radikal umgekehrt haben. Manchmal wird erst sehr spät, etwa bei depressiv gestimmten Pflegenden, Anerkennung der geleisteten Be-ratungsarbeit geäußert. 2. Grundsätzlich gelten natürlich auch aus der Sicht des Beraters alle unter 1. sowohl bei den Gepflegten wie bei den Pflegenden aufgeführten Merkmale als Indikatoren des Erfolges der Beratung. Unabhängig davon gibt es aber einige Veränderungen, an denen der Berater sozusagen an sich selbst erkennen kann, dass ein erfolgreicher Unterstützungsprozess in Gang gekommen ist. Dazu zählt ganz sicher das Gefühl einer wachsenden und vertrauensvollen Beziehung zum pflegenden Angehörigen, zu dem auch mütterliche Empfindungen gehören können, beson-ders aber wohl die Erfahrung der Öffnung, des intensiveren und tieferen Eindringens in die verschiedenen Erlebnisdimensionen der Pflegenden, aber auch in Aspekte seiner Vergan-genheit und Lebensentwicklung. Dies alles kann sich darin ausdrücken, dass der Berater in der Begegnung mit dem Beratenen sich emotional lebendig fühlt und es zum gegenseitigen Auslösen von seelischen Reaktionen und Schwingungen kommt. Das erwähnte Vertrauen kann sich auch auf eine wachsende Zuversicht des Beraters beziehen, dass es zum Entlas-tungserleben und zur Situationserleichterung in der beratenen Familie kommen wird, auch wenn gegenwärtig noch nichts erkennbar ist. Manchmal drückt sich der Erfolg auch darin aus, dass der Berater, gelassener und zugleich aufmerksamer beobachtend, abwarten kann, bis solche positiven Entwicklungen stattfinden. Stellvertretend kann er hoffen und den Erfolg voraussehen.

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Auch hinsichtlich des Mitempfindens der Belastungen der Pflegenden und ihres Leidens, das für den Berater gelegentlich sehr Kräfte zehrend und manchmal unerträglich werden kann, gibt es eine Entwicklung hin zu einer mittleren Distanz. Bei dieser stellt sich dann ein gutes Gleichgewicht zwischen sensibler Wahrnehmung für die Bedürfnisse der Pflege-Person und Abgegrenztheit des Beraters ein. Hier einen guten Mittelweg gefunden zu haben, kann ein wichtiges Kriterium eines erfolgreichen Unterstützungsprozesses sein. 3. Wahrnehmung des Umfeldes Auch hier sind selbstverständlich alle unter 1. aufgeführten Gesichtspunkte erneut zu be-rücksichtigen. Darüber hinaus ist insbesondere aus administrativer und ökonomischer Sicht wichtig, ob die Zahl der Pflegeheimübersiedlungen zurückgeht bzw. nicht weiter ansteigt. Als wichtiger Erfolgsindikator von Beratungstätigkeit gilt auch die Sensibilisierung für die Versor-gung alter Menschen, insbesondere die Familienpflege im regionalen fachlichen Umfeld. Ebenso wichtig ist der Beitrag von Beratungstätigkeit zur besseren Kooperation und Vernet-zung der betroffenen einzelnen Elemente des Hilfesystems, insbesondere auf der Ebene der beteiligten Personen. Wenn es Beratungsstellen gelingt, sich auch in die Entwicklung von Altenhilfeplanungen einzubringen, kann dies als besonderer Erfolg angesehen werden. Von großer altenpolitischer Aktualität sind Beiträge zur Reduktion von "Gewalt gegen Alte"; hiermit lässt sich sicher besondere Sympathie unter den sozial- und gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern erreichen. Aus der Sicht unserer Arbeit ist es selbstverständlich ein weiteres wichtiges Erfolgskriterium, wenn durch die Beratungstätigkeit allmählich das Ver-ständnis für den Sinn und die Notwendigkeit dieser Form der Unterstützung wächst.

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Prof. Dr. Wolf Rainer Wendt, Leiter des Ausbildungsbereichs Sozialwesen an der Berufsakademie Stuttgart

Grundsatzreferat 4 Netzwerken im Case Management Zusammenarbeit systematisch herbeiführen, das wird in vielen Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesens versucht. Kooperieren sollen die verschiedenen Dienste. Gefragt ist interdisziplinäre Zusammenarbeit. In Verbundsystemen soll die Abgrenzung stationärer und ambulanter Strukturen der Versorgung per Zusammenarbeit und Vernetzung überwunden werden. Außerdem will man mit informellen Helfern gut zusammenwirken, um die Ressour-cen freiwilliger Unterstützung zu heben. Und nicht zuletzt erscheint Kooperation mit den Nut-zern von Humandiensten geboten. Das sind in der Pflege einerseits die Pflegebedürftigen selber, die in ihrer Autonomie, in ihrer Art und Weise der Lebensführung und Eigenaktivität, kurz: in ihrer Selbstsorge, wahrzunehmen sind. Andererseits sind es die Angehörigen als Pflegepersonen, die den größten Teil der Last in der pflegerischen Versorgung tragen. Die Vernetzung der Beteiligten hat also mehrere Aspekte und stellt ein komplexe Aufgabe dar, die im System der Versorgung ansteht, d.h. auf der Ebene der Dienste und Einrichtun-gen und ihrer „Politik“, und die auf der Ebene des Einzelfalls zu „managen“ ist. Für beides, für die Systemsteuerung und für die Ablauforganisation in der Einzelhilfe, ist die Verfahrens-weise des Case Managements entwickelt worden und inzwischen in breiter Verwendung. Die Verbindung des Managements auf beiden Ebenen bringt regelmäßig eine Vernetzungsarbeit mit sich, denn im Einzelfall wird auf ein Netz von Hilfen zurückgegriffen, das möglichst zuvor geknüpft worden ist und an dem fallweise weiter geknüpft werden kann. Es handelt sich hier um eine horizontale Vernetzung beteiligter oder zu beteiligender Dienste und Fachkräfte. Auf der Basis einer vorhandenen Vernetzung kann zusammengearbeitet werden. Die auf der Meta-Ebene der Versorgung erfolgende Koordination von Strukturelementen der Versorgung unterhält die Vernetzung. Sie setzt politische Entscheidungen voraus, muss durchgesetzt werden und bedeutet eine vertikale Vernetzung. Auch hierzu wird das Konzept Case Mana-gement herangezogen. In der strukturellen Bahnung der Kooperation und in der Koordination von Dienstleistungen entsprechend einem Versorgungsauftrag geht das Case Management in ein Versorgungsmanagement (Care Management) über – und ist theoretisch und praktisch nicht selten schwer abgrenzbar von ihm. Netzwerken (Networking) hat den allgemeinen Zweck, Ressourcen zu erschließen und ver-fügbar zu halten. Barrieren ihrer Nutzung sollen überwunden werden. Solche Barrieren gibt es im formellen Versorgungssystem zwischen stationären und ambulanten Dienstleistern, zwischen den Berufsgruppen mit ihrem unterschiedlichen Handlungsverständnis und zwi-schen den Fachkräften und den „Laien“, die bekanntlich in pflegerischen, hauswirtschaftli-chen und sozialen Belangen viel Kompetenz besitzen und diese, wenn sie sich in Gruppen und „kleinen Netzen“ zur Selbsthilfe und zum Austausch zusammenfinden, ausbauen kön-nen. Die Vernetzung der formellen Stellen und der informellen Kreise empfiehlt sich zu einer besseren Ressourcennutzung. Dieses Netzwerk verlangt eine intensive Kommunikation der Beteiligten, eine „Beziehungsarbeit“ vor allem seitens der Professionellen, die sich unterein-ander und mit den informellen Helfern verständigen müssen. Auch hierfür bietet das Case Management ein Gerüst, das Kommunikation ziel- und aufgabenorientiert zu organisieren erlaubt, Verantwortung teilt und Verantwortung zusammenführt.

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Überblick über das Verfahren Case Management ist eine, zuerst in der Praxis der amerikanischen Sozialarbeit entstande-ne, Verfahrensweise in Sozial- und Gesundheitsdiensten, mit der im Einzelfall die nötige Un-terstützung, Behandlung und Versorgung von Menschen organisiert und durchgeführt wird. Sie soll möglichst effektiv und effizient erfolgen. Case Management betrifft die Ablauforgani-sation der professionellen Einzelhilfe bei einer andauernd nötigen oder vielseitigen Hilfestel-lung für eine Person oder Familie (daher auch die deutsche Bezeichnung: Unterstützungs-management). Bei komplexen Problemen setzt eine zielgerichtete Arbeit voraus, dass ihr Ablauf und der Einsatz von Ressourcen in ihr organisiert ist und gesteuert wird. „Gemanagt“ wird hier nicht der Mensch als Klient, sondern die Arbeit mit ihm an den Problemen, die er hat, und in der Situation, in der er lebt. Zu den aus der Betriebsführung bekannten Manage-mentfunktionen Planen, Entscheiden, Organisieren und Kontrollieren kommt im Case Mana-gement die Aufgabe hinzu, verschiedene Dienste und Fachkräfte, formelle und informelle Hilfen zu koordinieren und ihren Einsatz in einem Versorgungszusammenhang (continuum of care) zu vernetzen. Er wird für die Beteiligten transparent und bewertbar gemacht. Case Ma-nagement macht soziale Arbeit in der Einzelhilfe sowie pflegerische Versorgung und das Handeln in der Rehabilitation rechenschaftsfähig. Systematik In der Systematik seines Verfahrens zielt das Case Management auf ein integriertes Arbei-ten bei Nutzung formeller und informeller Ressourcen. Im zeitlichen Ablauf soll eine bruch-stückhafte Versorgung vermieden und eine rationelle Leistungserbringung erreicht werden. Dem Verfahren wird Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit an jeder Stelle abverlangt und das Vorgehen soll für alle Beteiligten geklärt sein. Die Durchsichtigkeit ist eine Bedingung dafür, dass Maßnahmen in ihrem Nacheinander aufeinander abgestimmt werden können und dass sich in einem Verbundsystem kontrollieren und evaluieren lässt, was wann wo geschieht oder geschehen ist. Nicht zuletzt ist man in der heute verlangten Qualitätssicherung und bei der Qualitätsentwicklung in Sozial- und Gesundheitsdiensten darauf angewiesen, die Wege, Ansatzpunkte und Entscheidungen im Einzelfall verfolgen zu können. Case Management ist kein Behandlungskonzept oder Pflegekonzept, kein therapeutisches Verfahren, mit dem man eine bestimmte Problemlösung erreichen kann. Es organisiert das Vorgehen und richtet es zielwirksam aus. Professionelle Kompetenzen in der Gesprächsfüh-rung, in der Diagnostik, in der Therapie oder der Pflege werden im Case Management ge-nauso gebraucht wie ohne es. In welche Maße diese Kompetenzen zum Einsatz kommen, hängt indes davon ab, welche Rollen ein Case Manager übernimmt und wo er angesiedelt ist (s.u.). Case Management bedeutet eine Abkehr von der Leitidee im personenbezogenen Sozial-dienst, dass ein einzelner Professioneller sich einem einzelnen Klienten oder Patienten wid-met, ihm hilft oder ihn heilt. Leitend ist nunmehr die Vorstellung, dass prinzipiell mehrere Personen - verschiedene Fachkräfte nebeneinander und miteinander und Familienangehöri-ge und/oder informelle Helfer - beteiligt sind. Ein Case Manager ist für die Koordination des Einsatzes der Beteiligten zuständig und für die Vernetzung der Dienstleistungen bezogen auf den Einzelfall. Andererseits werden Klienten oder Patienten bzw. ihre Angehörigen als selbst aktive Nutzer gesehen, mit dem man die Unterstützungs-, Behandlungs- und/oder pflegeri-schen Maßnahmen abstimmen muss. Die Dienstleistungen zielen auf die Bewältigung seiner Situation und Problematik. Zu managen sind sein Zugang zu den Diensten, die Bedarfsfest-stellung im Einzelfall, der Prozess der Zusammenarbeit, um die Situation zu bewältigen, ein planmäßiges Vorgehen und das zielwirksame Verhalten der Beteiligten dabei. Case Mana-gement trägt dazu bei, dass Klienten Kontrolle über ihr Leben zurückgewinnen.

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Zum Case Management gehören in der Systematik seiner Ablauforganisation regelmäßig die folgenden Schritte oder Phasen: • Erreichen und Erreichbarkeit (outreach): Es erfolgt ein Bekanntmachen des Dienstes und

im Einzelfall eine Vorklärung (ob eine sozialdienstliche Hilfestellung geboten, die Berech-tigung zur Leistung gegeben ist und Zuständigkeit besteht) und Zugangseröffnung (für den Bürger zu den Diensten und seitens der Dienste zu den Bürgern) und Klientenaus-wahl sowie erste Feststellung des Handlungsbedarfs (Veranlassung) bei den ausgewähl-ten Klienten;

• Einschätzung (assessment) der objektiven und subjektiven Lage des oder der Menschen, die Unterstützung und weitere Dienstleistungen erhalten sollen (wobei die Einschätzung gemeinsam von professionellen Mitarbeitern, Klienten und ggf. Angehörigen vorgenom-men wird);

• Zielvereinbarung und Hilfeplanung (planning) in Rücksicht auf (bisherige) individuelle und familiäre Bewältigungsweisen, informell nutzbare Unterstützung und formelle Leistungs-angebote; ein Zusammenwirken wird abgesprochen und evtl. in einer schriftlichen Verein-barung festgehalten; der Hilfeplan kann als Grundlage für eine Entscheidung von Leis-tungsträgern über Maßnahmen dienen;

• Durchführung (der vereinbarten Hilfen oder Maßnahmen), organisiert und/oder begleitet von einem Case Manager; Kontrolle (monitoring) der von Leistungsanbietern zur erbrin-genden Unterstützung, nötigenfalls anwaltliches Intervenieren in die Leistungserbringung; Beschwerdemanagement;

• Evaluation (Fallüberprüfung, Prozess- und Ergebnisevaluation) der Wirksamkeit und des Wertes der geleisteten Unterstützung und Versorgung - auch während der Durchführung mit der Möglichkeit einer Neueinschätzung (reassessment) der Situation und der erforder-lichen Maßnahmen;

• Entpflichtung (disengagement) nach Erfüllung der Aufgabe und Rechenschaftslegung (accountability, d.i. Darstellung der Leistungen des Dienstes gegenüber Auftraggebern).

Die einzelnen Schritte im Case Management sind mit informationstechnologisch mit einer angemessenen elektronischen Datenverarbeitung verbunden. Dafür hat man eine spezifi-sche Software entwickelt, die kommerziell angeboten wird. Der Charakter und das Gewicht der einzelnen Schritte oder Dimensionen im Case Manage-ment hängt davon ab, in welchem Versorgungsbereich es eingesetzt wird, etwa in der Alten-pflege (in der Angehörige mitwirken und mit der Fachpflege kooperieren), wozu es internati-onal inzwischen viele Erfahrungen gibt (vgl. Engel/Engels 2000 und 2001). Anwendungen finden wir in der Jugendhilfe (in Zusammenarbeit von Jugendamt, Eltern und freien Leis-tungserbringern), in der ambulanten Wohnungslosen- und Suchtkrankenhilfe (in der nach niedrigschwelligen Hilfen eine Rehabilitation angestrebt wird), in der Hilfe für Arbeitslose per Verbindung von Sozialamts- und Arbeitsamtsaktivitäten oder in Prozessen der medizinischen Versorgung (in Regulierung ambulanter und stationärer Behandlung, auch als „disease ma-nagement“). Man bedient sich des Case Managements international in verschiedenen Ver-sorgungsstrukturen - der Pflege, der Krankenbehandlung, der Rehabilitation, der Kinder- und Jugendhilfe, der Behindertenhilfe, der Familienhilfe. In den letzten Jahren hat das Case Ma-nagement als rationale Fallführung in der Reform des Gesundheitswesens zunehmend an Bedeutung gewonnen (vgl. Wendt 1997/2001).

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Entwicklung von Case Management Ausgangspunkt sind organisatorische Erfordernisse gewesen. Der Problematik im Einzelfall steht eine Vielzahl vorhandener Dienste und Einrichtungen gegenüber, zu denen und zwi-schen denen Verknüpfungen hergestellt werden müssen, um eine integrierte Versorgung zu erreichen. Wenn zum Beispiel ein alter Mensch nach einem Schlaganfall und Krankenhaus-aufenthalt weiter zu versorgen ist, bieten ihm bzw. seinen Angehörigen die vorhandenen formellen Teilsysteme der Versorgung – Hausarzt, soziale Altenhilfe, Rehabilitationseinrich-tungen, Pflegedienste, hauswirtschaftliche Dienste – als Leistungserbringer nur Teillösungen an, die aufeinander abgestimmt und fallweise zusammengeführt werden müssen, wenn man eine effektive und effiziente Lösung haben will. Case Management ist Arbeit am und im Netzwerk. Zudem sollte im zeitlichen Ablauf eine bruchstückhafte Versorgung vermieden und Kontinuität erreicht werden. Case Management sichert und operationalisiert den Versorgungszusammenhang. Andererseits wird eine Ratio-nalisierung des Verfahrens angestrebt: Ihm wird Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit an jeder Stelle abverlangt, und das Vorgehen soll für alle Beteiligten transparent sein. Case Mana-gement steht für prozedurale Fairness ein. Die Durchsichtigkeit ist eine Bedingung dafür, dass Maßnahmen in ihrem Nacheinander aufeinander abgestimmt werden können und dass sich in einem Verbundsystem kontrollieren und evaluieren lässt, was wann wo geschieht oder geschehen ist. Nicht zuletzt sind die Qualitätssicherung und die Qualitätsentwicklung in Sozial- und Gesundheitsdiensten darauf angewiesen, die Wege, Ansatzpunkte und Ent-scheidungen im Einzelfall verfolgen zu können. Case Management entstammt der amerikanischen Sozialarbeit. Die Reorganisation der so-zialen und gesundheitlichen Versorgung in den USA seit Mitte der siebziger Jahre bildet den Hintergrund der Einführung von Case Management. In den USA, aber auch in anderen Län-dern, entließ man seinerzeit chronisch psychisch kranke, geistig behinderte und pflegebe-dürftige Menschen in großer Zahl aus der stationären Versorgung. Man hielt es rechtlich nicht mehr für vertretbar, sie in Heimen und Anstalten festzuhalten, und man hatte auch er-kannt, dass die Versorgung dort die Insassen lebensuntüchtig macht, viel kostet und mehr schadet als nutzt. Überall wurden die stationären Angebote radikal reduziert. Die Kampagne der so genannten „Deinstitutionalisierung“ brachte nun die Notwendigkeit mit sich, für die Entlassenen, die oft hilflos auf der Straße blieben, eine hinreichende ambulante Betreuung durch soziale und medizinische Dienste zu organisieren. Im ambulanten Sektor der Versorgung bestand ein unkoordiniertes Nebeneinander von Hil-feangeboten. Es gab in den siebziger Jahren in den USA eine Reihe von Versuchen zur In-tegration der Angebote in ein dem Bürger erschlossenes oder erschließbares Dienstleis-tungssystem (service integration). Behinderte Menschen sollten mit dem Case Management einen Dienst erhalten, der ihnen die notwendige soziale, medizinische und erzieherische Unterstützung verschafft und diese koordiniert. So steht es im amerikanischen Developmen-tal Disabilities Act von 1975 (Public Law 95-602). Eine verbindliche Hilfeplanung für Behin-derte wurde gesetzlich verankert. Unter dem Druck der offensichtlichen Not vieler „deinstitu-tionalisierter“ Menschen kamen Programme hinzu, die eine vernetzte Versorgung dieses Personenkreises im kommunalen Umfeld ermöglichen sollten. In einer entsprechend struktu-rierten „gemeindenahen Versorgung“ oder „Gemeindepflege“ - community care - schrieb man nun dem Case Management die Aufgabe zu, personenbezogen die nötige Hilfestellung zu bieten. Eine der ersten Definitionen von Case Management, formuliert von James In-tagliata für die National Conference on Social Welfare 1981, lautete: „a process or method for ensuring that consumers are provided with whatever services they need in a coordinated, effective, and efficient manner“.

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Anders als in den USA mit ihren verstreuten Diensten und Förderprogrammen ist die Ent-wicklung von community care als gemeindegestütztes Versorgungssystem mit dem Instru-mentarium des Case Managements in Großbritannien Ausfluss politischer Willensbildung: hier haben die lokalen Sozialdienste den gesetzlichen Auftrag, bei Hilfebedürftigkeit ein Case Management zu übernehmen und nach Bedarfsklärung erforderliche Dienstleistungen (im Rahmen eines vom Case Manager verwalteten Budgets) zu beschaffen - unabhängig von den Anbietern, denen dann nach Vereinbarung die Leistungserbringung übertragen wird. Es gibt also eine Trennung von Beschaffern und Dienstleistern, einen purchaser-provider-split. Tendenziell steht er - trotz unterschiedlicher Gegebenheiten - auch in Deutschland auf der Tagesordnung der Reform des Sozial- und Gesundheitswesens. Gegenüber dem amtlichen Beschaffer haben in Großbritannien übrigens auch die Pflegepersonen (carers) gesetzlich einen eigenständigen Anspruch auf Einschätzung ihrer Lage und planmäßige Hilfestellung. Im Laufe ihrer Entwicklung, zunächst in den USA, ist die Verfahrensweise Case Manage-ment unterschiedlich verstanden und entsprechend enger oder weiter definiert worden. So heißt es in der amerikanischen „Encyclopedia of Social Work“ 1987: „Case Management ist ein Ansatz der Erbringung von Dienstleistungen, der für Klienten mit komplexen und vielfälti-gen Problemen und Behinderungen sicherzustellen sucht, dass sie rechtzeitig und in ange-messener Form die Leistungen erhalten, die sie benötigen. Es handelt sich um einen be-reichsübergreifenden Ansatz, der nicht einen spezifischen direkten Dienst bietet, sondern Case Manager einsetzt, die den Klienten an das unübersichtliche Angebot der Erbringer di-rekter Leistungen heranführen. Von diesen Case Managern wird erwartet, dass sie die letzte Verantwortung dafür übernehmen, dass das System der Leistungserbringung den Erforder-nissen bei jedem einzelnen Klienten nachkommt. Case Management hat in verschiedenen Praxisfeldern Anwendung gefunden, speziell in der Eingliederungshilfe für Geistigbehinderte, in der Altenhilfe, bei Körperbehinderten, Lernbehinderten und in der Jugendhilfe“. Etwas später heißt es im „Social Work Dictionary“ von Robert Barker (1991) unter dem Stichwort Case Management: „Ein Verfahren, in dem die Leistungen einer Vielfalt von Diens-ten und Mitarbeitern für einen Klienten geplant, ausfindig gemacht und steuernd begleitet werden. Gewöhnlich übernimmt eine Dienststelle die Hauptverantwortung für den Klienten und benennt einen Case Manager, der die Dienstleistungen koordiniert und anwaltlich für den Klienten eintritt. Manchmal ist der Case Manager auch derjenige, der den Ressourcen-einsatz kontrolliert und Dienstleistungen für den Klienten einkauft. Das Verfahren gestattet vielen Sozialarbeitern, die in einer Einrichtung oder bei verschiedenen Trägern tätig sind, ihre Bemühungen aufeinander abzustimmen, so einem bestimmten Klienten in professionel-ler Teamarbeit zu helfen und dabei die Bandbreite bedarfsgerechter Leistungen zu erweitern. Case Management kann die Überwachung der Fortschritte einschließen, die ein Klient macht, der von verschiedenen Fachkräften, Einrichtungen, von Gesundheits- und Sozial-diensten versorgt wird. Das Verfahren umfasst in der Regel das Herausfinden der Bedürfti-gen, eine umfassende, mehrdimensionale Abklärung und wiederholte Neueinschätzungen. Case Management kann innerhalb einer großen Organisation oder im Rahmen eines kom-munalen Programms erfolgen, das die Koordinierung der Leistungen verschiedener Dienste bezweckt. ... Sozialarbeiter und Pflegekräfte sind die Berufsgruppen, denen diese Funktion am häufigsten übertragen wird. Case Management wird als ein zunehmend wichtiger Weg betrachtet, die Probleme zu bewältigen, die aus der Fragmentierung der Dienstleistungen, der Personalfluktuation und unzulänglicher Koordination unter Dienstleistern herrühren“. Case Management erfolgt nutzerorientiert. In Zusammenarbeit mit einem hilfebedürftigen Menschen wird sein „Fall“ bearbeitet. Die Dienstleistungen zielen auf die Bewältigung seiner Situation und Problematik. Es sind Arrangements vorhanden, in denen eine Person in ihrem Lebenskreis zurechtkommt oder mit denen sie Probleme hat, und es werden mit formellen

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und informellen Leistungen neue Arrangements erreicht, in denen die Person besser zu-rechtkommt, Wer fallweise die Prozesssteuerung übernimmt, ist im Case Management nicht festgeschrieben. Die Fallführung kann vom Leistungsträger aus (etwa vom Allgemeinen So-zialdienst, durch einen Gesundheitsberater/Patientenbegleiter der Versicherung) erfolgen oder – nach Entscheidung über die Leistungsgewährung – vom Dienstleister wahrgenom-men werden, oder die Fallführung wird unabhängig von beiden Seiten einem eigenständigen Dienst (z.B. einer Koordinierungsstelle oder einem freiberuflich tätigen Case Manager) über-tragen, hinreichende Kompetenz vorausgesetzt. Sozialarbeiter sind längst nicht mehr die einzige Berufsgruppe, die Zuständigkeit für das Case Management beansprucht. Die gene-relle Befähigung dafür trauen sich auch andere Sozial- und Gesundheitsberufe zu. Die Ablauforganisation im Einzelnen In der Prozessgestaltung und ihrer Ablauforganisation, die im Case Management vorge-nommen wird, ist ein detailliertes Verständnis der einzelnen Schritte oder Dimensionen wich-tig. Sie verweisen aufeinander und verlangen ein entsprechendes Versorgungsmanagement (care management) dienste- und einrichtungsübergreifend. Grundsätzlich ist die Versorgung im Einzelfall auf die persönliche Lebensbewältigung abzustimmen. Dem Case Management korrespondiert ein mehr oder minder vorhandenes Selbstmanagement (life management), das in allen Phasen des Verfahrens zu beachten und zu befördern ist. Betroffene und ihre Angehörigen können sogar in der Lage sein, als Case Manager in eigener Sache zu fungie-ren. Outreach und Zugang Das Management der Unterstützung fängt seitens eines Dienstes nicht bei einer einzelnen helfenden Beziehung von Person zu Person an, sondern beginnt mit Fragen des Zugangs zu einem Dienst und der Klärung von Kompetenz (Zuständigkeit und Befähigung) der Dienste im Einzelfall. Diese bilden ein - loses oder vernetztes - Unterstützungssystem, das im Ein-satz der Mitarbeiter möglichst flexibel den vielfältigen und wechselnden Anforderungen nachkommen kann. Auch in Diensten für Suchtkranke und ihre Angehörigen trifft die Unter-scheidung einer - Kooperation mit dem (versorgungsbedürftigen) Bürger, - Koordination für den (versorgungsbedürftigen) Bürger, - Koordination (intra- und extramural) der Dienste und Einrichtungen, - Kooperation der Fachkräfte (interdisziplinär in und zwischen den Diensten) zu. Es ist Sache einer Vorfeldklärung, die Gestaltung der Zusammenarbeit zu klären und insbesondere auszumachen, ob und wie das Hilfesystem seine potenziellen Nutzer (entspre-chend ihrer Bedürftigkeit) erreicht. Man muss sich über Selektionsmechanismen im klaren sein, die bewusst eingesetzt werden oder unbewusst funktionieren. Die Komm- oder Geh-Struktur des Dienstes wirkt sich hier aus. Eine „Siebung“ (screening) erfolgt sowohl im Inte-resse der Nutzer als auch im Interesse von Anbietern und Leistungsträgern. Bei Hereinnahme (Aufnahme, intake) einer Person in eine Versorgung ist eine Darstellung des möglichen Ablaufs für sie und eine Rollenklärung angebracht. In der ambulanten Beglei-tung von chronisch Kranken und Abhängigen stellt oft schon die Aufrechterhaltung des Kon-taktes (Sicherung von Regelmäßigkeit, „am Ball bleiben“, Vorbeugen von Rückfällen, nach-gehende Arbeit bei Betreuungsabbrüchen) eine bleibende Aufgabe dar. Assessment Ist im Einzelfall eine Veranlassung (und/oder Berechtigung) für Dienstleistungen gegeben, sind gegenseitige Erwartungen und die Modalitäten des Engagements abzuklären. Erst da-nach bzw. auf der Grundlage einer entsprechenden Vereinbarung erfolgt eine gemeinsame

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Einschätzung der Lage einer Person und ihres Hilfebedarfs (Assessment). Das Assessment stellt einen Prozess dar, in dem objektive Befunde mit subjektiven Sichten abgestimmt wer-den. Die Analyse und Beurteilung der Ausgangslage ist auch deshalb wichtig, weil sie die Grundlage für die nachfolgende Beurteilung von Fortschritten und Erfolgen (also der Evalua-tion) darstellt. Das Assessment umfasst mehr als ein Zusammentragen von diagnostischen Feststellungen. Die Diagnostik bleibt eine fachliche Aufgabe; vorhandene „Befunde“ werden in den Prozess der Situationseinschätzung einbezogen. In ihr ist realistisch abzuheben auf äußere und inne-re Gegebenheiten der ganzen Lebenslage und die Wechselwirkung dieser Dispositionen, auf lebensgeschichtliche Entwicklungen und subjektive Lebensentwürfe und objektive Chancen. Weil sich ein Case Management auf Selbstaktivität von Betroffenen stützt, sind im Assess-ment vor allem die Stärken einer Person, ihre Fähigkeiten und erschließbaren Ressourcen, festzustellen, ohne deshalb die Defizite zu übersehen. Was „kann“ einer in Hinblick auf Wohnen, Arbeiten, Selbstbesorgung, soziale Kontakte, Umgang mit Geld, usw. Eventuell wird ein Fähigkeitsprofil erstellt und mit einem Anforderungsprofil abgeglichen (etwa zur In-tegration ins Arbeitsleben). In dieser pragmatischen Ausrichtung ist es meist nicht angezeigt, Probleme zu psychologisieren. Sozial sind Wohnprobleme vor dem Hintergrund der Lage auf dem Wohnungsmarkt, Beschäftigungslosigkeit vor dem Hintergrund der Lage auf dem Ar-beitsmarkt, soziale Isolation im Lebensumfeld, finanzielle Probleme im Kontext des Konsum-verhaltens wahrzunehmen. Ein Assessment erfolgt „situativ“ und reicht in der gegebenen Situation mehr oder minder weit. Es stellt einen Aushandlungsprozess dar, der sich nur in Hinblick auf einen gegenwärtig gegebenen Bedarf abschließen lässt. Die Bedarfseinschätzung generell erfolgt lösungsorientiert - in der Annahme, dass zur Bedarfsdeckung etwas getan werden kann. Hilfeplanung Im Case Management wird die Bedarfsklärung mit einer Zielvereinbarung und Hilfeplanung verbunden. Möglichst realistisch und pragmatisch werden länger- und kurzfristige Ziele ver-einbart und darauf bezogen die Mittel und Wege überlegt, wie sie erreicht werden können (fallbezogene Erschließung von Hilfen). Die Hilfeplanung hat den Sinn einer Gesamtplanung, die nicht auf einzelne vorhandene Hilfeangebote hin vorgenommen wird. Die Planung zu-sammen mit dem Betroffenen (z.B. in einer Hilfeplankonferenz) liegt in der Hand der Fallfüh-rung unter interdisziplinärer Beteiligung (wie es etwa der § 46 BSHG oder der § 36 KJHG vorsieht). Die Hilfeplanung ist Grundlage für Entscheidungen über die Inanspruchnahme von Dienstleistungen und für entsprechende Leistungsvereinbarungen und Kontrakte. Die Hilfeplanung ist als ein Prozess zu verstehen; sie wird meistens nicht in einem Schritt zu erledigen sein. Ihr kann sich eine Hilfeplankonferenz (Fallkonferenz) widmen, an der ver-schiedene Fachkräfte bzw. beteiligte Dienste teilnehmen und in die der Betroffene bzw. sei-ne Angehörigen einbezogen werden. Im Fortgang einer Unterstützung oder Behandlung wird die Konferenz gegebenenfalls zu einer Neuplanung einberufen. Nach Vereinbarung bzw. Entscheidung über eine Leistungsgewährung kann man Umset-zungspläne formulieren. Diese sind Sache des Leistungserbringers und seiner Fachkräfte. Sie spezifizieren den Gesamtplan - nun als Pflegeplan, Integrationsplan, Rehabilitationsplan, Therapieplan, Erziehungsplan, usw. Bei professioneller Pflege legt der Pflegedienst für sich

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aus, was wann pflegerisch unternommen wird. Dabei sollte der Rückbezug auf den Gesamt-plan deutlich bleiben – nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt „Rehabilitation vor Pflege“. Im Rahmen stationärer Krankenbehandlung z.B. kann sich der Sozialdienst der Planung der Entlassung oder eine Reha-Maßnahme annehmen, bei welcher Planung die ganze medizini-sche, psychische, soziale, berufliche und finanzielle Situation berücksichtigt werden sollte. Für den Rehabilitationsbereich liegt inzwischen liegt eine „Gemeinsame Rahmenempfehlung für ambulante und stationäre Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen auf der Grundlage des § 111a SGB V“ der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Spitzenorganisationen der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen vor, worin eine detaillierte Planung von Rehabili-tations- und Vorsorgemaßnahmen konzipiert wird, an der nichtärztliche Gesundheitsberufe mitwirken sollen und der Versicherte zu beteiligen ist. Die Planung ist regelmäßig auf ihre Erfolge hin zu überprüfen und zu modifizieren. Monitoring Dem Case Management obliegt die Kontrolle der Durchführung vereinbarter Maßnahmen. Diese Funktion lässt sich dienstintern erfüllen, soweit der Dienstleister in einer Gesamtver-einbarung mit dem Leistungsträger die Versorgung eines Klienten insgesamt übernommen hat und auch die Verantwortung für die Erbringung einzelner Leistungen trägt. Ansonsten bleibt diese Funktion extern beim Leistungsträger oder bei einer von ihm beauftragten Stelle. Dienstleister (und Professionelle), die ihre Arbeit selbstständig gestalten wollen, sind gut be-raten, wenn sie die Ablauforganisation ihrer Leistungserbringung in die Form eines (internen) Case Managements bringen: sie gestalten damit in Struktur, Prozess und Ergebnis die Quali-tät der Dienstleistung von der Aufnahme bis zur Entlassung bzw. Beendigung. In der sozialen Arbeit ist der Verlauf von Unterstützungen, Behandlungen und fördernden Maßnahmen häufig unregelmäßig. Zum Case Management gehört es deshalb, auf Krisenin-terventionen vorbereitet zu sein und alternative Wege der Versorgung im Auge zu behalten. Die Beherrschung von Krisen kann Teil der Leistungserbringung und ihres internen Mana-gements sein oder dem übergreifend zuständigen (dienstexternen) Case Manager obliegen. Nötigenfalls rasches Handeln und Flexibilität zeichnet das Case Management aus. Zur Kontrolle der Durchführung gehört das Aufzeichnen (recording) der wesentlichen Mo-mente des Geschehens. Die Dokumentation dient der laufenden Vergewisserung, dass man angemessen verfährt (also der Qualitätssicherung), sowie der späteren Auswertung und Re-chenschaftslegung. Der Leistungsnehmer hat grundsätzlich Zugang zu den Aufzeichnungen; entsprechend sind sie zu verfassen. Evaluation Man unterscheidet eine Prozessevaluation (und von ihr her eine Strukturevaluation) und eine Ergebnisevaluation. In einer zielgerichteten Zusammenarbeit wird darauf gesehen, was man erreicht. Feststellen lassen sich einerseits die Tatbestände des dienstlichen Handelns, seine Produkte (als output des Dienstes), und bewerten andererseits die Ergebnisse, also was beim Klienten infolge des Handelns und der dienstlichen Leistung eingetreten ist (outcome). Der gemeinte Ertrag ist feststellbar an der veränderten Situation und am veränderten Verhal-ten der Person, der geholfen wurde. Ein Outcome muss nicht unbedingt direkt durch die Dienstleistung bewirkt sein; ein Output hat vielleicht nur Raum oder Gelegenheit geschaffen für die günstige Wendung, für eine zufällige Besserung oder eine Eigeninitiative des Klien-ten. Andererseits kann eine dienstliche Maßnahme wirksam sein (eine Wohnung beendet Obdachlosigkeit), ohne dem Klienten viel zu nutzen (sein Verhalten ändert sich nicht).

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Es ist der Prozess der Einschätzung dessen, was geschieht oder eingetreten ist, der als Evaluation bezeichnet wird. Zu ihr zählen viele verschiedene Verfahren. Im Rahmen eines Qualitätsmanagements (Steuerung und Überprüfung der Struktur-, Prozess- und Ergebnis-qualität) wird man die Sach- und Fachgerechtigkeit des Vorgehens, das Einhalten von Stan-dards und die einzelnen Beiträge zur Wertschöpfung evaluieren. Dies können die beruflich Handelnden selber tun (Selbstevaluation), oder die Einschätzung wird (als Fremdevaluation) von extern (bzw. intern von beauftragten Evaluatoren) vorgenommen. In einem Dienstleis-tungsbetrieb ist natürlich vor allem gefragt, wie der oder die Abnehmer seine Leistungen be-werten bzw. welcher Erfolg sich bei ihnen nach subjektiver und objektiver Bewertung ein-stellt. Mit Nachfrage bei den Nutzern (etwa einem Fragebogen zur „Patientenzufriedenheit“) oder ohne sie kann eine prozessbegleitende (formative) Evaluation oder eine summative (Ergebnis-) Evaluation erfolgen. Rechenschaftslegung Des Aufwands wegen, der getrieben wird, haben Sozialdienste Auftraggebern und Kosten-trägern, allgemein der Gemeinschaft gegenüber eine Rechenschaftspflicht. Accountability als Verpflichtung zur Rechenschaft verlangt die Fähigkeit zur - nicht bloß quantitativen - Re-chenschaftslegung. Sie kann nur bei hinreichender Dokumentation von Hilfeprozessen und mit ihrer Evaluation gelingen. Im Case Management durchzieht die Anforderung von Re-chenschaft alle Stadien: Die Zugangseröffnung für die Klientel muss verantwortet werden (wer wird erreicht, inwieweit deckt ein Dienst einem Versorgungsauftrag entsprechend den Versorgungsbedarf ab). Die einzelfallbezogene Lagebeurteilung und Bedarfsschätzung lie-fert immer auch eine Begründung für das dienstliche Handeln; die Planung belegt den ver-nünftigen Umgang mit Ressourcen (aber auch wo es an ihnen fehlt); das Monitoring steht für ein kontrolliertes Vorgehen ein; die Evaluation liefert Angaben zum Erfolg des Handelns (Ef-fektivität) und rechtfertigt den Aufwand in Relation zu Ergebnissen (Effizienz). Von all dem ist zu berichten, so dass auf der lokalen Ebene der Kooperation von Versorgern und der Pla-nung der Bedarfsdeckung Folgerungen gezogen werden können. Die Rechenschaftslegung trägt auf kommunaler und staatlicher Ebene zur Sozialberichterstattung bei. Fallführung Überblicken wir das ganze Verfahren, stellt sich noch einmal die Frage, wer für das Case Management zuständig ist. Es kann eine einzelne Fachkraft sein, welche für den Klienten und beteiligte Dienste ständiger Ansprechpartner ist und für Kontinuität und Zielstrebigkeit sorgt (dann ist in der sozialen Arbeit eine Fallzahl von 15 bis 25 Klienten erfahrungsgemäß angemessen und sollte nicht überschritten werden). Das Case Management kann aber auch im Team betrieben werden, sofern alle an einem Strang ziehen und die Kommunikation klappt. Das Team verabredet eine Aufgabenverteilung. Eine andere Variante hebt (entspre-chend dem purchaser-provider-split) auf eine Teilung der Aufgaben vor der individuellen Leistungsvereinbarung und nach ihr ab: Der Hilfebedürftige wird zum Versorgungssystem zugelassen, seine Lage wird eingeschätzt und sein Hilfebedarf bestimmt, die Unterstützung geplant: dies ist die Aufgabe eines vom Leistungsträger bestellten oder ihm zuarbeitenden Case Managers. Im Bereich der Rehabilitation und Pflege nehmen die Versicherer diese Aufgabe in zunehmendem Maße wahr. Der „Fallmanager“ der Krankenkasse sichert die pflegerische bzw. rehabilitative Versorgung von Versicherten, indem er ärztliche Behandlung, Pflegedienste, hauswirtschaftliche Versorgung und rehabilitative Maßnahmen koordiniert. Steht dem Leistungsträger ein Dienstleister gegenüber, der eine „Rundumversorgung aus einer Hand“ anbietet, wird dieser seinerseits eine Fallführung gewährleisten und dafür einen Case Manager einsetzen, der ganz oder teilweise die Verantwortung für die verabredete Leistungserbringung übernimmt.

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Der Case Manager hat auf beiden Seiten eine Lotsenfunktion. Er ist „systemkompetent“ und dient einem Versorgungsverbund als koordinierende Stelle bzw. als „Netzwerker“ (vgl. Wendt 1993). Er besetzt die Schnittstelle des Systems der Angebote mit dem informellen System und der Lebenswelt der Klienten. Für sie ist er ein mitmenschlich engagierter, verständnis-voller Partner. Der Case Manager muss also zugleich technisch-administrativ und im persön-lichen Umgang versiert sein. Der Vielseitigkeit seiner Inanspruchnahme wegen wird er nur für eine begrenzte Zahl von Fällen zuständig sein können. Aber in dem Maße, in dem sich die „Pflegelandschaft“ verändert, gewinnt das Case Management als übergreifende Verfah-rensweise für alle Beteiligten an Bedeutung: Auch ohne dass ein bestimmter Case Manager benannt wird, übernehmen Betroffene, die gut informiert sind, und Angehörige als Pflegeper-sonen, die Berater beider (Informations-, Anlauf- und Vermittlungsstellen, Koordinierungs-stellen, Pflegebüros) sowie qualitätsbewusste Dienstleister und kostenbewusste Leistungs-träger einzelne Funktionen im Case Management und sehen darauf, dass auch die jeweils anderen Funktionen wahrgenommen werden. Ein Case Manager führt das Netz der dienst-leistenden Stellen und ihrer Angebote an die selbst aktiven Nutzer heran und verknüpft es mit deren Vorhaben und Ressourcen. Somit stellt sich das Case Management als Rahmen-konzept und Steuerungsinstrumentarium einer vernetzten formellen und informellen Versor-gung dar. Literatur Engel, Heike / Engels, Dietrich (Bearb.): Case Management in verschiedenen nationalen Altenhilfesystemen. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Band 189.1, Kohlhammer, Stuttgart 2000 Engel, Heike / Engels, Dietrich (Hrsg.): Case Management – Erfahrungen aus neun Län-dern. Materialband und Workshop-Diskussion. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Band 189.3, Kohlhammer, Stuttgart 2001 Szathmary, Balazs: Neue Versorgungskonzepte im deutschen Gesundheitswesen: Disease und Case Management. Luchterhand, Neuwied 1999 Wendt, Wolf Rainer (Hrsg.): Ambulante sozialpflegerische Dienste in Kooperation. Lambertus, Freiburg i.Br. 1993 Wendt, Wolf Rainer (Hrsg.): Unterstützung fallweise. Case Management in der Sozialarbeit, Lambertus, Freiburg 1995² Wendt, Wolf Rainer: Case Management im Sozial- und Gesundheitswesen. Eine Einfüh-rung. Lambertus, Freiburg 1997. 3., erw. Auflage 2001 Wissert, Michael u.a.: Ambulante Rehabilitation alter Menschen. Beratungshilfen durch das Unterstützungsmanagement, Lambertus, Freiburg 1996.

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Dr. Thomas Gunzelmann, Diplom-Psychologe, Seniorenamt Nürnberg und Heidi Reiser, Diplom-Tanztherapeutin, Klinik für Psychiatrie am Klinikum Nürnberg Nord

Workshop 3 Angeleitete Selbsthilfegruppe für Demenzpatienten im frühen Krankheitsstadium1 Menschen, die eine demenzielle Erkrankung entwickeln, erleben in den frühen Phasen des Krankheitsprozesses die damit verbundenen Veränderungen und Verluste als bedrohlich für ihren Selbstwert. Sie reagieren mit Depression, Angst, Trauer, Wut und Aggression, Ver-zweiflung, Hoffnungslosigkeit oder Resignation. Die Selbstwahrnehmung der Betroffenen ist meist durch eine hohe Aufmerksamkeit für die Symptomatik gebunden. Vorhandene kon-struktive Gestaltungsmöglichkeiten für das eigene Leben können deshalb nicht wahrgenom-men und genutzt werden. Mit der angeleiteten Selbsthilfegruppe soll die Auseinandersetzung mit dieser psychischen Grenzsituation angeregt und unterstützt werden. Die Teilnehmerin-nen sollen psychisch entlastet werden und Freiräume für positive, selbstwert stärkende und entspannende Erfahrungen erhalten. Wir arbeiten in der Gruppe mit verbalen und non-verbalen Methoden gleichermaßen. Damit soll einerseits eine offene, realistische, nicht verleugnende, gleichwohl aber auch nicht über-fordernde emotionale Auseinandersetzung mit der Krankheitssymptomatik erreicht werden. Andererseits soll das Erleben von eigenen Stärken und Kräften sowie die aktive Gestaltung positiv erlebter Lebens- und Ausdrucksmöglichkeiten gefördert werden (z.B. Freude, Ge-nuss, Humor, soziale Kontakte, positive Körperwahrnehmung, Entspannung). Das gleichzei-tige Bestehen von Negativem und Positivem wird den Teilnehmer/innen mit dem Bild der Waage vermittelt, die nur im Gleichgewicht ist, wenn beide Seiten in der eigenen Wahrneh-mung und Bewertung „gleich gewichtet“ werden. Verleugnen oder Überbetonen einer Seite erbringt aus dem (seelischen) Gleichgewicht. Leistungsorientiertes Training (z.B. von kognitiven Leistungen) spielt in der Gruppe keine Rolle und wird nicht eingesetzt. Eine hilfreiche Methode, um wichtige Themen in der Gruppe zu finden und auf die Psycho-edukation vorzubereiten, ist ein Wochentagebuch, in das die Teilnehmer/innen positive und negative Erfahrungen der vergangenen Tage eintragen können. Auf diese Weise wird die Aufmerksamkeit für Problematisches als auch Positives im Alltag gefördert. Die Gruppe beginnt regelmäßig mit einer Übung zur Kontaktaufnahme (Zuwerfen eines Bal-les zu einem/r Partner/in in der Gruppe und Nennen des Namens). Dadurch werden alle Namen immer wieder in Erinnerung gerufen, durch die Nennung des eigenen Namens wird Identität gestärkt, durch die spielerische Übung alle Teilnehmer/innen „in die Gruppe geholt“. Daran schließt sich ein Tanz an (z.B. Geschichtentanz), der ein unmittelbares Erleben des Körpers und des bildhaften Denkens und damit einen wichtigen Zugang zum Selbsterleben ermöglicht. Damit wird gleich zu Beginn auf der non-verbalen Ebene an den Kompetenzen der Teilnehmer/innen angeknüpft und ihre Vitalität gefördert. Mit diesem ritualisierten Ein-stieg wird das „Ankommen“ der Teilnehmer/innen, das Vertrauen in sich und die anderen in der Gruppe unterstützt, damit eine weitere kognitive Arbeit überhaupt möglich wird. 1 Diese Form einer angeleiteten Selbsthilfegruppe wurde über zwei Jahre als Projekt des Seniorenamtes der Stadt Nürnberg durchgeführt und wird ab 2002 voraussichtlich bei der Angehörigenberatung Nürnberg e.V. weitergeführt. Ein Leitfaden zur Durchführung der Gruppe ist in Vorbereitung.

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Methoden aus der Tanztherapie erhalten auch in der weiteren Gruppenarbeit eine zentrale Funktion. Innere Haltungen und seelisches Erleben vermitteln sich in Körperhaltung, Körper-ausdruck und Bewegung und können umgekehrt damit auch positiv beeinflusst werden. Bei-spielsweise vermittelt sich das Zustandsbild der Depression oft in einem körperlichen Rück-zug bzw. psychomotorischer Hemmung. Mimik, Gestik und Körperhaltung und alle Arten der Bewegung sind jedoch verbliebene Ausdrucksmöglichkeiten, also wichtige Ressourcen. Im Unterschied zu verbalen Kommunikationsmöglichkeiten unterliegen diese bei demenzer-krankten Menschen nicht unbedingt Einbußen, sondern werden im Gegenteil stärker und authentischer werden. Aufgabe der Tanztherapie ist es, die psychomotorischen Hemmungen aufzulösen, Ressourcen spürbar zu machen und der Isolation und Resignation der Gruppen-teilnehmerinnen damit entgegenzuwirken. Zum Einstieg eignen sich Tänze, die an Alltags-bewegungen anknüpfen, da diese vertraut sind und ohne Stress den Körper wieder sensibili-sieren für seinen Bewegungsausdruck. Bei stärkerer Vertrautheit in der Gruppe ermöglichen Tänze mit symbolischem Gefühlsausdruck ( z.B. Aggressionen durch stampfen, schieben, boxen oder Tiere auszudrücken) einen ungefährlichen, rein körperlichen Kontakt mit diesen inneren Anteilen. Dabei kann zum einen Angestautes entlastet werden, und auf nicht-aufdeckende Weise können positive Anteile, z.B. die eigene Kraft, erlebt werden. Spontan kann in einer Sitzung auch die momentane Gruppenstimmung in einem Tanz aufgegriffen und dadurch gegebenenfalls verändert werden. Wichtig ist es, dass die Tänze immer eine Struktur besitzen, die leicht erfassbar ist und Orientierung und Sicherheit bietet. Ein wesentliches Element der Gruppenarbeit ist auch die Information über die Erkrankung. Die Teilnehmer/innen selbst haben zunächst meist ein großes Bedürfnis nach Aufklärung. Darüber hinaus hat die Information die Funktion, die Krankheit zu „enttabuisieren“: in der Gruppe kann – anders als zumeist im Alltag der Teilnehmer/innen – offen und selbstver-ständlich darüber gesprochen werden. Das Gefühl, alleine mit der Krankheit zu sein, wird verringert. Die gemeinsame Offenheit gegenüber der Erkrankung macht Verleugnung und Kräfte zehrendes Verbergen von Fehlern unnötig (auch wenn Verleugnungsstrategien zeit-weise hilfreich sind und dann von der Gruppenleitung nicht infrage gestellt werden sollten). Sie befreit dadurch also von Druck und setzt somit Energien frei. Dies öffnet die Teilneh-mer/innen gegenüber ihren Potenzialen, da ihre Aufmerksamkeit und Kraft nicht mehr so stark von der Erkrankung gebunden ist. Darüber hinaus wird dadurch eine aktive Auseinan-dersetzung mit der Erkrankung gefördert („sich der Krankheit stellen“). Wesentlich bei der Information ist es, sich an den Alltagserfahrungen der Teilnehmer/innen zu orientieren und außerdem auf beeinflussbare Faktoren einzugehen, die positiv auf die Krankheitssymptoma-tik einwirken (z.B. allgemeine Gesundheit, soziale Kontakte, positive Lebenseinstellung). Wichtig ist dabei auch, die eher verbal-kognitive Auseinandersetzung mit der Erkrankung (z.B. in Bezug auf Selbstbewertungen, Einstellungen zu sich selbst, subjektive Wahrneh-mungen und Bewertungen) durch non-verbale, körper- und sinnesorientierte Übungen zu erweitern. Auf der kinetischen Ebene können abstrakte kognitive Inhalte konkreter und per-sönlicher erfasst werden. Beispiele hierfür: Balanceübungen, um die Körpermitte sinnlich zu erleben (als kinetisches Bild für inneres Gleichgewicht); Verengen des Gesichtsfeldes, indem die Hände eng an die Augen gelegt werden, und Erweitern des Gesichtsfeldes durch Ausei-nanderbreiten der Hände (als Bild dafür, dass die Aufmerksamkeit auf Probleme verengt, aber auch erweitert werden kann); Erleben von Druck durch gegenseitiges Aufeinander-pressen der Hände sowie Loslassen, um sich von Druck zu befreien (als Bild dafür, dass man auch von innerem Druck zeitweise bewusst loslassen kann). Die Verknüpfung von Kör-pererleben und innerem Erleben bzw. Denken erweitert die Erfahrungen der Teilnehmer und Teilnehmer/innen und macht ihnen bewusst, dass sie selbst aktiv auf ihr Erleben und Den-ken Einfluss nehmen können (Stärken von Kontrollerleben).

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Bei Bedarf werden in der Gruppe auch gemeinsam konkrete Lösungen für Alltagsprobleme erarbeitet. Zum Teil werden außerhalb der Gruppe auch zusätzliche Einzelgespräche oder gemeinsame Gespräche mit dem/der Partner/in geführt. Die Gruppe schließt wiederum in einer ritualisierten Form mit einer aktiven Bewegungsübung (z.B. Kreistanz) ab, wenn die Stimmung am Ende der Gruppensitzung eher „bedrückt“ ist, oder mit einer Entspannungsübung oder Fantasiereise, wenn die Stimmung eher „aufge-wühlt“ ist. Durch diese Form der Gruppenarbeit mit dem Wechsel zwischen verbalen und non-verbalen Methoden, kognitiv orientierter Auseinandersetzung und Körpererleben, Thematisieren von Positivem und Negativem, werden die Erlebensmöglichkeiten der Teilnehmer/innen erwei-tert. Sie erfahren, dass und wie sie selbst Einfluss auf ihre Einstellungen, inneren Haltungen, körperlichen Empfindungen und seelisches Erleben nehmen können, erleben sich selbst durch die Körperübungen, aber auch als wichtigen Teil einer Gruppe, machen neue Erfah-rungen oder entdecken frühere Erfahrungen mit sich selbst neu (z.B. Körpererleben, Erleben von Entspannung, Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit sich selbst und mit anderen). Da-durch werden vorhandene Ressourcen freigesetzt und seelisches Wohlbefinden gefördert, ohne dass der Krankheitsprozess geleugnet wird. Die Gruppe sollte von zwei LeiterInnen angeleitet werden. Gruppentreffen sollten wöchent-lich zu je 90 Minuten mit insgesamt 20 Sitzungen stattfinden. In einer Gruppe sollten nicht mehr als acht Betroffene teilnehmen. Die Gruppen sollten geschlossen sein. Teilneh-mer/innen sollten über neurologische Praxen, geriatrische bzw. gerontopsychiatrische Ta-geskliniken oder Gedächtnissprechstunden geworben werden, um eine fachgerechte Diag-nose der Erkrankung zu sichern.

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Ulrich Mildenberger, Diplom-Soziologe, Supervisor, Beratungsstelle für ältere Bürger und ihre Angehörigen, Norderstedt Beziehungsaufbau und Vertrauensbildung im Beratungsgespräch In einem über drei Schritte verlaufenden Prozess wurde in diesem Workshop über Bezie-hungsaufbau und Vertrauensbildung nachgedacht. In einem ersten Schritt wurde von den persönlichen Erfahrungen der Teilnehmer/innen aus-gegangen und gesammelt, welche Umstände und Bedingungen es ihnen schwer oder gar unmöglich gemacht haben, Vertrauen zu ihren Gesprächspartnern zu entwickeln. Es wurden also diejenigen Bedingungen herausgearbeitet, die den Aufbau einer vertrauensvollen Be-ziehung behindern. Hierbei ging es nicht vordergründig um Erfahrungen in professionellen Zusammenhängen, sondern es wurde allgemein über die eigenen Erlebnisse nachgedacht. Im zweiten Schritt haben wir diese vielfältigen Hindernisse im Vertrauensaufbau auf ihre Ü-bertragbarkeit in die Beratungssituation untersucht und die sich daraus ergebenden Erfor-dernisse abgeleitet. Im dritten Schritt wurden folgende Bedingungen für Vertrauensbildung und Beziehungsauf-bau in professionellen Beratungsgesprächen formuliert: Als Beraterin sollte ich • kompetent sein • mich zurücknehmen können • mich einlassen können • zuhören können • neutral und unabhängig sein • die individuelle Realität der Klienten wahrnehmen • zugewandt und offen sein • mein Gegenüber anschauen • zuverlässig Zeit einplanen • authentisch sein • eigene und fremde Grenzen akzeptieren • transparent mit meinen Angeboten sein

Workshop 4

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Sabine Tschainer, Diplom-Psychogerontologin, Diplom-Theologin, Institut auf schwung alt, München

Forum 2 Offener Erfahrungsaustausch und Vernetzung der Angehörigenarbeit im Bayerischen Netzwerk Pflege Die Interessensschwerpunkte der Forumsteilnehmerinnen und Teilnehmer bewegten sich in einem weiten Spektrum, wie folgende Grafik verdeutlicht:

Vernetzung:Chancen und Probleme

Wie schafft man es,dass Angehörige

Hilfen annehmen?

Zusammenarbeit derverschiedene Dienste / Einrichtungen:

Probleme der Konkurrenz

Wie kommt man an Informationen?Gesetze

andere Dienste

Vernetzung von Behörden und Selbsthilfegruppen

Möglichkeitensoz.-polit. Einflußnahme

Angehörigenarbeit:Koordinationsstelle

Vernetzung Informationsverteilung

Auswirkungender gesetzl. Veränderungen

auf die Tätigkeit

Finanzierungsfragen

Aufbau von Betreuungsgruppen(neue Förderung

überNetzwerk pflege)

Aufbau von Beratungsstellen

AngehörigengruppenThemen

für Partner?für Kinder?

Erfahrungsaustausch und Vernetzung

Vernetzung: Chancen und Probleme

Wie schafft man es, dass Angehörige

Hilfen annehmen?

Zusammenarbeit der verschiedenen Dienste / Einrichtungen:

Probleme der Konkurrenz

Wie kommt man an Informationen? Gesetze

andere Dienste

Vernetzung von Behörden und Selbsthilfegruppen

Möglichkeiten sozialpolitischer Einflußnahme

Angehörigenarbeit: Koordinationsstelle

Vernetzung Informationsverteilung

Auswirkungen der gesetzlichen Veränderungen

auf die Tätigkeit

Finanzierungsfragen

Aufbau von Betreuungsgruppen (neue Förderung

über Netzwerk Pflege)

Aufbau von Beratungsstellen

Angehörigengruppen Themen

für Partner? für Kinder?

Erfahrungsaustausch und Vernetzung

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Als ein Schwerpunkt der Diskussion entwickelte sich die Thematik „Vernetzung“, hinsichtlich derer von den Forumsteilnehmerinnen und -teilnehmern ein großer Bedarf gesehen wurde. Als Ziel der Vernetzung bezeichneten das Auditorium folgende Faktoren: ? Informationsfluss

? Vertretung der Angehörigenarbeit nach außen im Sinne sowohl von sozialpolitischer Ein-

flussnahme als auch von Öffentlichkeitsarbeit in der Gesellschaft

? Erfahrungsaustausch

? Qualitätsverbesserung

? Gegenseitige Unterstützung / Motivation

? Projektbezogene Zusammenarbeit

? Bündelung der Kräfte

? Verbesserter Service für die Klientinnen und Klienten

? Arbeitserleichterung für sich selbst

Symptomatisch spiegelt diese Themenvielfalt die alltagspraktische Arbeitssituation der Teil-nehmerinnen und Teilnehmer wider. Die in diesem Zusammenhang interessante Frage, wel-che (hohen und umfassenden) Ansprüche stellen die in der Angehörigenarbeit Tätigen an sich selbst und ihre Arbeit und wie definieren sie Erfolgskriterien, konnte im Rahmen des Forums nur angerissen werden. Als grundsätzliches Instrument für die Planung des Tätig-keitsbereiches zur realistischen Zielsetzung wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Modell des geplanten Handelns (Puch) in Erinnerung gerufen. Geplantes Handeln setzt sich nach diesem Modell aus folgenden Schritten zusammen: 1. Situationsanalyse (Ist-Zustand) 2. Zielformulierung 3. Mittel zur Zielerreichung 4. Umsetzung 5. Ziel- und Erfolgskontrolle. Dieses Modell erlaubt systematisches, ergebnis- und erfolgsorientiertes Arbeiten und führt - bei realistischer Zielfestlegung - im alltäglichen Handeln mit seinen komplexen Rahmenbe-dingungen zu persönlichen und teamorientierten Erfolgserlebnissen. Damit kann z.B. auch Burn-out vorgebeugt werden. Von den als Ziel der Vernetzung bezeichneten Faktoren wurde im weiteren Verlauf die The-matik „Informationsfluss“ eingehender diskutiert. Hinweise, Bekanntmachungen und Orientie-rung wurden bezüglich folgender Punkte gewünscht: ? Finanzierungsquellen / deren gesetzliche Grundlagen ? Konkrete Gestaltung von Angehörigenarbeit und deren Angeboten ? Konzeptionen von Angeboten (z.B. Betreuungsgruppen) ? Transparenz über Angebote der im Rahmen des Bayerischen Netzwerkes Pflege /

Angehörigenarbeit Tätigen ? für die Angehörigenarbeit relevante Gesetze ? praktische konkrete Erfahrungen (z.B. bei der Angebotsumsetzung) ? aktuelles fachliches Wissen.

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Im Rahmen der Diskussion wurde schnell thematisiert, dass Informationsfluss im Sinne von „Vernetzung“ nicht „von oben“ oder „von außen“ geschehen kann, sondern dass jede Mitar-beiterin / jeder Mitarbeiter vor Ort seinen Beitrag zur „Vernetzung“ leisten muss. Einmütiges Fazit der spannenden Diskussion war, dass eine Lösung bzw. Erfüllung der anstehenden Aufgaben und Wünsche nicht mit der Einstellung „Vernetzen müssen die anderen“, sondern nur mit dem Bewusstsein „Vernetzung beginnt in meinem eigenen Kopf“ gelingen wird. Der von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gewünschte Aufbau einer Internet-Seite für Angehörigenarbeit in Bayern wurde aus arbeits- und finanztechnischen Gründen vorab zu-rückgestellt. Als ersten Schritt einer Verbesserung des Informationsflusses wurde ein Fragebogen als Grobentwurf entwickelt. Dieser soll – in Absprache mit dem Bayerischen Sozialministerium und dem BLVF – künftig jährlich aktualisiert werden. Dieser Fragebogen sammelt die aktuellen Daten aller im Bayerischen Netzwerk Pflege / An-gehörigenarbeit organisierten Institutionen und kann so Transparenz über die Verteilung der Stellen in Bayern und ihren Tätigkeitsbereich ermöglichen. Folgender Grobentwurf wurde erarbeitet: Bayerisches Netzwerk Pflege Angehörigenarbeit Beteiligte Institutionen im Jahr 2001 Name der Stelle ____________________________________________________ Träger ____________________________________________________ Adresse ____________________________________________________ Tel. / Fax ____________________________________________________ E-Mail ____________________________________________________ Ansprechpartnerin ____________________________________________________ Beruf/Qualifiz. ____________________________________________________ Öffnungszeiten ____________________________________________________ Angebote ____________________________________________________ (Beratung Gruppen usw.) ____________________________________________________ Veröffentlichungen ____________________________________________________ Info-Material

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Als zusammenfassendes Ergebnis der Forumsarbeit bleibt festzuhalten, dass ein großer Bedarf an Austausch, Informationsweitergabe und Vernetzung im Themengebiet Angehöri-genarbeit besteht, dem im Rahmen von Fachtagungen aber auch in der zu intensivierenden kleinräumigen, regionalen Kooperation entgegengekommen werden kann.

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Meinhard Loibl, Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozial-ordnung, Familie und Frauen, München Zusammenfassung der Ergebnisse und Abschluss der Fachtagung Die Entwicklung der Tagungskonzeption in diesem Jahr war nicht einfach, sie ist aber nun aus meiner Sicht gut gelungen. Eine gewisse Spannungslage zwischen ganz neuen Fach-kräften in der Angehörigenarbeit und den schon Erfahrenen ist auch hier bei den Fachta-gungsteilnehmern wahrnehmbar. Die unterschiedlichen Erwartungen können als Schwierig-keit gewertet werden, das sehe ich aber nicht so. Der Erfahrungsaustausch findet auch oder gerade informell statt, auch zwischen „Anfängern“ und den Erfahrenen, man kann viel durch das direkte Gespräch lernen. Dazu eine kleine Anekdote aus meiner Herkunftsfamilie: Mein Onkel war Leiter eines Max-Planck-Instituts, im hohen Alter fuhr er trotz erheblicher körperli-cher Einschränkungen zu den Tagungen der Fachgesellschaft, blieb aber am Gang sitzen, die wissenschaftlichen Vorträge der „jungen Leute“ interessierten ihn nicht (mehr), er suchte und fand seine Kontakte „am Gang“ und konnte dort sich austauschen und seine Erfahrun-gen zu neuen Ideen mitteilen. Soweit zum Nutzen des Informellen auf Tagungen. Bei der heurigen Tagung haben wir weniger Referate angeboten und diese auf zwei Tage verteilt. Das war meines Erachtens didaktisch gut. In den Workshops, in der Gruppenarbeit konnten die Tagungsteilnehmer vieles austauschen, erfahren und vielleicht auch weiterent-wickeln. Die Erfahrungen, die hier gemacht wurden, können wir gut nutzen und auch weiter-geben. Präventive Strategien sind wichtig! Neu war bei der diesjährigen Fachtagung, dass man auch als Teilnehmer Input eingeben kann und andererseits auch Handwerkszeug für die Praxis mitnehmen konnte. Die Foren dienten dem Austausch und sind gut aufgenommen worden. Sie sollten für kommende Ta-gungen als Standard übernommen werden. Ein völlig neues Thema war die Wohnraumanpassung – ein Thema mit Zukunft. Für zukünftige Fachtagungen bieten sich aus meinem Horizont vor allem folgende Themen an: 1. Kultur, Kunst, Humor, weil diese Aspekte positive Gestaltungselemente in neuen Konzep-

ten der Seniorenpolitik, in der Altenarbeit und auch in der Altenpflege darstellen und wir positive Sichtweisen stärken wollen.

2. Urlaubs- und Kurangebote - hier ist der Erfahrungsaustausch hinsichtlich der Qualität ganz wichtig.

3. Weiter bedeutsame „große“ Themen wären für mich: ? Wohnungsanpassung als eine Voraussetzung für selbstbestimmtes Wohnen im Alter.

Hierzu hat es ein Bundesmodellprogramm gegeben, wir führen ein Landesmodellpro-jekt weiter (Beratungsstelle Wohnen in München-Milbertshofen). Wohnraumanpas-sung soll ein präventives Standardangebot werden. Fachstellen für Angehörigenarbeit sollten sich dieses Themas annehmen. Es gibt auch schon eine interessante Teilent-wicklung mit ehrenamtlichen Wohnberatern.

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? Neue technologische Entwicklungen. Wie zu Beginn der Tagung erwähnt, gibt es in Bad Tölz das „generation research programm“(GRP), ein Landesmodellprojekt. Mitar-beiter dieses Projekts könnten hierher als Referenten gewonnen werden.

? Strukturentwicklung der Angehörigenarbeit und Finanzen: Verschiedene Gesetzge-bungsverfahren sind abgeschlossen: Soziotherapie, SGB IX. Die „demografische Walze“ kommt auf die Gesellschaft, auf die Politik aber auch auf die Fachstellen und den Einzelnen zu. Auch die Bemühungen um eine Gesundheitsreform sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Die Finanzierung muss auf verschiedenen Säulen aufbau-en. Ich denke hier sowohl an das SGB XI als auch an Kommunen – Städte, Landkrei-se, Bezirke – und auch an den Freistaat Bayern.

Soweit zu den Gedanken für die Tagung im Jahr 2002. Ich hoffe, dass Ihnen die diesjährige Tagung zugesagt hat, ich hoffe auch, dass die Dokumentation bis Ende des Jahres erstellt werden kann. Eine gute Heimfahrt und ein Wiedersehen im nächsten Jahr.