Bd. 14 - Vorlesungen über die Philosophie des Rechts (Berlin 1819-1820)

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    I

    G.W.F. HEGEL VORLESUNGEN BAND 14

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    II

    GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL

    VORLESUNGEN

    Ausgewhlte Nachschriftenund Manuskripte

    Band 14

    FELIX MEINER VERLAG

    HAMBURG

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    III

    GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL

    Vorlesungenber die Philosophie

    des RechtsBerlin 1819/1820

    Nachgeschrieben vonJohann Rudolf Ringier

    Herausgegeben von

    EMIL ANGEHRN, MARTIN BONDELI

    und

    HOO NAM SEELMANN

    FELIX MEINER VERLAG

    HAMBURG

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    IV

    Die Deutsche BibliothekCIP-Einheitsaufnahme

    Hegel, Georg Wilhelm Friedrich:Vorlesungen : ausgewhlte Nachschriften und Manuskripte /Georg Wilhelm Friedrich Hegel.Hamburg : Meiner

    Bd. 14. Vorlesungen ber die Philosophie des Rechts :Berlin 1819/1820 / nachgeschr. von Johann Rudolf Ringier.

    Hrsg. von Emil Angehrn ...2000ISBN 3-7873-1561-6

    Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2000. Alle Rechte, auch die des

    auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und derber-setzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfltigung und bertragungeinzelner Textabschnitte, durch alle Verfahren wie Speicherung und ber-tragung auf Papier, Transparente, Filme, Bnder, Platten und andere Medien,soweit es nicht 53 und 54 URG ausdrcklich gestatten. Satz: post scriptum,Freiburg im Breisgau. Druck: Strauss Offsetdruck, Mrlenbach. Werkdruck-papier: holzfrei, alterungsbestndig nach ANSI-Norm und DIN-ISO 9706,hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Einband: Keller, Klein-

    lder. Printed in Germany.

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    V

    INHALT

    Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

    Philosophie des Rechts

    nach der Vorlesung im Wintersemester 1819/20 in Berlin

    [Einleitung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

    [Einteilung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

    Erster Teil. Das abstrakte Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

    [Erster Abschnitt]. [Das] Eigentum. . . . . . . . . . . . . . . . . 18

    A. [Besitznahme] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

    [B. Gebrauch der Sache] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

    [C. Entuerung des Eigentums] . . . . . . . . . . . . . . . 29[Zweiter Abschnitt]. [Der] Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

    [Dritter Abschnitt]. [Das] Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

    [A. Unbefangenes Unrecht] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

    [B. Betrug] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

    [C. Zwang und Verbrechen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

    [Zweiter Teil]. [Die Moralitt] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

    [Erster Abschnitt]. [Der Vorsatz und die Schuld] . . . . . . . 53

    [Zweiter Abschnitt]. [Die Absicht und das Wohl] . . . . . . 55[Dritter Abschnitt]. [Das Gute und das Gewissen] . . . . . . 61

    [Dritter Teil]. [Die Sittlichkeit] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

    [Erster Abschnitt]. [Die Familie] . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

    [A. Die Ehe] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

    [B. Das Vermgen der Familie] . . . . . . . . . . . . . . . . 107[C. Die Erziehung der Kinder und die Auflsung

    der Familie] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

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    VI Inhalt

    [Zweiter Abschnitt]. [Die] brgerliche Gesellschaft . . . . 112[A. Das System der Bedrfnisse]. . . . . . . . . . . . . . . . 115

    [a. Die Art des Bedrfnisses und der Befriedi-gung]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

    [b. Die Art der Arbeit]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

    [c. Das Vermgen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120[B. Die Rechtspflege] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

    [a. Das Recht als Gesetz] . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

    [b. Das Dasein des Gesetzes] . . . . . . . . . . . . . . . 131

    [c. Das Gericht] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

    [C. Die Polizei und Korporation]. . . . . . . . . . . . . . . 139

    [a. Die Polizei] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140[b. Die Korporation] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

    [Dritter Abschnitt]. [Der Staat] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

    Staat als solcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

    A. Das innere Staatsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

    [I. Innere Verfassung fr sich] . . . . . . . . . . . . . . 166[a. Die] frstliche Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . 169[b. Die Regierungsgewalt] . . . . . . . . . . . . . . 181

    [c. Die] gesetzgebende Gewalt . . . . . . . . . . . 184

    [II.Die Souvernitt gegen auen] . . . . . . . . . . . 194[B. Das uere] Staatsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197[C. Die Weltgeschichte] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

    [1. Das orientalische Reich]. . . . . . . . . . . . . . . . 202

    2. Das griechische Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

    3. Das r mische Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204[4. Das germanische Reich] . . . . . . . . . . . . . . . 205

    Anhang

    Zeichen, Siglen, Abkrzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209Editionsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

    I. Quelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

    II. Editionsprinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

    Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

    Vergleichendes Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

    Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

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    Einleitung VII

    EINLEITUNG

    1. Hegels Vorlesungen

    Das besondere Gewicht, das Hegels Vorlesungen fr die Vermitt-lung seiner Philosophie von Anfang an zukam, ist unstrittig. Es war

    schon fr die ersten Herausgeber seiner Schriften, den Verein vonFreunden des Verewigten, Anla, in ihre vollstndige Ausgabe

    der Hegelschen Werke (Berlin 18321845) neben den publiziertenSchriften mehrere Bnde mit Vorlesungen zur Geistesphilosophieaufzunehmen. In seinen Vorlesungen hat Hegel das Grundgerstseines Systems der Philosophie, das die 1817 erstmals verffentlichteEnzyklopdie der philosophischen Wissenschaften im Grundrissevorstellt,konkret ausgestaltet; nur von der Logik und der Rechtsphilosophie

    liegen vergleichbare Ausfhrungen in publizierter Form vor. DieEnzyklopdie, die Hegel im Vorwort zur zweiten Auflage als einVorlesebuch bezeichnet, das durch mndlichen Vortrag seine n-

    thige Erluterung zu erhalten hat,1 diente ihm in Heidelberg wie inBerlin als Vorlage fr Vorlesungen ber das Gesamtgebiet wie bereinzelne Bereiche des Systems, so ber die Logik, die Naturphiloso-phie und die Philosophie des subjektiven Geistes (whrend die Vor-lesungen ber die anderen DisziplinenGeschichtsphilosophie, s-thetik, Religionsphilosophie, Philosophiegeschichte anhand vonManuskripten gehalten wurden). Dabei ging Hegel so vor, da erdie Paragraphen vorlas und sie durch weitere historische und syste-

    matische Ausfhrungen konkretisierte und ergnzte, wobei dieseErgnzungen den gedruckten Text an Umfang oft um ein Vielfa-ches bertreffen. In gleicher Weise verfuhr er in seinen Vorlesungenzur Rechtsphilosophie, fr welche ab Herbst 1820 das gedruckteKompendium Grundlinien der Philosophie des Rechts Naturrecht undStaatswissenschaft im Grundrisse. Zum Gebrauch fr seine Vorlesungen zurVerfgung stand. Die Erfahrung der Hrer, da das mndlich Vor-

    1 GW 19. 5.

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    VIII Einleitung

    getragene weit ber den gedruckten Text hinausging und da diediktierten Paragraphen oft erst durch die mndlichen Zustze, Ex-kurse und Aktualisierungen Leben bekamen und in ihrem vollen

    Gehalt erschliebar wurden, hat die Herausgeber derWerke dazubewogen, die Hegelsche Philosophie fr die Nachwelt in einer Ge-stalt zu sichern, die neben den Druckschriften der Bedeutung der

    mndlichen Lehre gerecht werden sollte. So haben sie neben deneigens ausgearbeiteten Vorlesungen zur Geschichtsphilosophie, zur

    sthetik, zur Religionsphilosophie und zur Philosophiegeschichtefr die anderen SystemteileLogik, Naturphilosophie, Philosophiedes subjektiven und des objektiven Geistesin der Neuedition der

    Enzyklopdieund derRechtsphilosophieden einzelnen Paragraphenz.T. lngere Zustze folgen lassen, die von den jeweiligen Heraus-gebern der einzelnen Bnde redigiert wurden und fr die (wie frdie Edition der Vorlesungen) sowohl Hegels eigene Vorlesungsno-

    tizen wie Nachschriften von Schlern herangezogen wurden. Da-durch sollte Hegels Werk, wie es der ersten Schlergeneration nachHegels Tod vor Augen stand, in mglichst umfassender Weise litera-risch festgehalten und seine Wirksamkeit gesichert werden.

    Die Problematik dieses Vorhabens und der damit verbundenen

    Editionspraxis ist augenfllig. So haben denn auch die vom Freun-deskreis publizierten Zustze und Vorlesungskompilationen beispteren Herausgebern und Forschern wenig Beifall gefunden. Vorallem die Zustze sind von einigenso von Lasson und Hoffmeister

    vernichtend kritisiert und spteren Ausgaben derRechtsphilosophieund derEnzyklopdiezum Teil nicht mehr beigegeben worden. DasProblematische der von dritter Hand redigierten Texte betrifft

    zumal vier Aspekte: die Systematik der Gesamtkonzeption, das Ver-

    schmelzen von Textstcken aus verschiedenen Perioden und Vor-lesungsjahrgngen, das Nicht-Auseinanderhalten von Quellen ausHegels eigener Hand und Nachschriften von Hrern, endlich dieunterschiedliche Tendenz und Arbeitsweise in der abschlieendenRedaktion der einzelnen Bnde durch die jeweiligen Herausgeber.Zum einen ist offensichtlich, da das fr lange Zeit herrschende Bilddes Systemdenkers Hegel nicht unwesentlich durch die Ausgabe der

    Werkeund die sie bestimmende Systematik der Disziplinen geprgtworden ist. Zum anderen wird der Eindruck der Geschlossenheit

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    Einleitung IX

    des Hegelschen Denkens verstrkt durch die innerhalb der einzelnenBereicheetwa dersthetik oder der Religionsphilosophievor-genommene Vereinheitlichung, welche Entwrfe aus verschiedenenZeiten zu einem Text synthetisiert und damit entwicklungsgeschicht-

    liche Vernderungen und Neuanstze in Hegels Denken zugunsteneiner durchgehenden Systematik unterdrckt, einzelne Entwrfezum Teil einer fremden Systematik unterwirft; darin liegt vielleicht

    die fragwrdigste Seite dieser Textkompositionen, die grte Gefahrinhaltlicher Verzerrungen. Aus der Sicht heutiger Editionspraxis

    ebenso inakzeptabel ist das Ineinanderfgen autographischer undfremder Quellen, auch wenn sich damit nicht notwendig ein Urteil

    ber ihren jeweiligen Wert verbindet; whrend Hegels Notizen stel-lenweise bruchstckhaft und nur schwer (u. a. in ihren unterschied-lichen Schichten und Datierungen) rekonstruierbar sind, haben den

    Herausgebern zum Teil vorzgliche Nachschriften zur Verfgunggestanden (die Hegel zuweilen selber anfertigen lie und als Grund-lage fr sptere Vorlesungen verwendete). Schlielich variieren dasAusma und die Art des Eingriffs durch die einzelnen Redaktoren,die aus den vorgegebenen Manuskripten durch Auswahl, Zusam-

    menfassung, konzeptionelle Gestaltung und eigenstndige Stilisie-

    rungen den Text produziert haben, der fr lange Zeit gewisserma-en fr das Original stand und die Rezeption wie die kritische Aus-einandersetzung mit Hegels Werk bestimmt hat. Aus naheliegenden

    Grnden haben solche Editionen zuweilen Vermutungen einer be-stimmten Tendenz in der Prsentation der Hegelschen Philosophienach sich gezogen, die sich aber kaum erhrten lieen; ungeachtetdessen bleibt wahr, da die Freiheit von solchen Absichten von einereditionswissenschaftlich reflektierten und abgesicherten Objektivi-

    tt noch weit entfernt ist.Es erstaunt nicht, da die Unzufriedenheit mit dieser Textlagenicht nur Anla fr Kritik, sondern auch fr den Versuch gewordenist, authentischere Textausgaben zu realisieren. In diesem Sinn sind

    namentlich durch Lasson und Hoffmeister nicht nur die Zustzeaus Neueditionen verbannt, sondern auch eigene Editionen etwa mit

    Hegels handschriftlichen Notizen zu seinerRechtsphilosophievorge-

    legt oder aufgrund der noch erhaltenen Materialien neue Textkompi-

    lationen zu den Vorlesungen ber die Geschichtsphilosophie herge-

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    X Einleitung

    stellt worden. Zwar sind die Werkefr die Hegel-Rezeption weithindie magebliche Grundlage geblieben, die als Vorlage sowohl fr dieJubilumsausgabe von Hermann Glockner (19271940) wie dieWerkausgabe von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel im

    Suhrkamp Verlag (19691971) dienten; doch auch die teilweisenNeueditionen durch Lasson und Hoffmeister (1911ff) blieben dem

    gleichen Prinzip einer einheitlichen Textkompilation verpflichtet.

    Erst die kritische Edition derGesammelten Werke im Felix Mei-ner Verlag (1968 ff) hat eine grundstzlich neue Textbasis geschaffen.Die Redaktoren der Werkausgabe im Suhrkamp Verlag haben den

    Wiederabdruck der Zustze wie der Vorlesungen mit dem berechtig-

    ten Hinweis darauf verteidigt, da nicht nur vieles darin ohne Frageechter Hegel ist, sondern da die berlieferung derWerkeunab-hngig von der Authentizittsfrage gleichsam Teil des objektiven Be-standes der Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts geworden ist,

    von dem eine heutige, wirkungsgeschichtlich reflektierte Befassung

    mit Hegels Denken nicht absehen kann. Dennoch bleibt unbestreit-

    bar, da fr eine wissenschaftliche Beschftigung vor allem mit jenenTeilen der Geistesphilosophie, deren Hauptmaterial die Vorlesungen

    bilden, die bis vor zwei Jahrzehnten verfgbaren Editionen eine vllig

    unzulngliche Textgrundlage bieten. Der Rckblick auf die Editions-geschichte macht, gerade angesichts des Gewichts der Vorlesungen

    innerhalb von Hegels Werk, die eminente Bedeutung der Verffent-lichung erhaltener Vorlesungsnachschriften unmittelbar evident.

    2. Die Vorlesungen zur Philosophie des Rechts

    Einen prominenten Rang innerhalb der seit den 70er Jahren reali-sierten Vorlesungseditionen nimmt die Philosophie des Rechts ein.

    Die besonderen Erwartungen, die sich mit der Verffentlichung vonVorlesungsnachschriften in diesem Gebiet verbanden, lassen sich na-

    mentlich im Blick auf den zweiten der oben genannten Problem-

    punkte begreifen: die nivellierende Angleichung der im Laufe der

    Jahre sich wandelnden Anschauungen, ihre Verfestigung zu einer

    einheitlichen Doktrin. In Frage stand, wieweit die 1820 verffent-lichte Rechtsphilosophieals das Zeugnis der Hegelschen Politischen

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    Einleitung XI

    Philosophie zu gelten habe. Das Interesse dieser Frage bezog sich

    nicht allein auf den innertheoretischen Wandel, der bei Hegel im Be-

    reich des politischen Denkensneben konstant bleibenden Grund-anschauungen (etwa in der Befrwortung des modernen Verfassungs-staats)stattgefunden hat und durch Schriften aus ber drei Jahr-zehnten dokumentiert ist, sondern ebenso auf die Bedingtheit seiner

    Theorie durch realgeschichtliche Umstnde und politische Ereig-nisse. Namentlich die zeitliche Nhe zu den Karlsbader Beschlssenwirft die Frage auf, wieweit die leitenden Vorstellungen derRechts-

    philosophiedurch die politischen Verhltnisse der Zeit bedingt sind.Vor diesem Hintergrund mute es von hohem Interesse sein, anhand

    der einzelnen Vorlesungsjahrgnge Aufschlu ber Konstanz undWandel in Hegels Theorie zu gewinnen; erstaunlich mag im nach-hinein eher scheinen, da die bekannten und erhaltenen Nachschrif-ten, die schon Eduard Gans 1833 fr die Zustze verwendete, erst1974 in einer kritischen Edition zugnglich gemacht worden sind.

    Hegel hat seine Vorlesung ber Rechtsphilosophie insgesamtsechsmal vollstndig gehalten, und zwar jeweils im Wintersemester:1817/18 in Heidelberg, 1818/19, 1819/20, 1821/22, 1822/23 und

    1824/25 in Berlin. Eine siebte Vorlesung (ursprnglich fr 1830/31

    angekndigt, dann wegen Unplichkeit abgesagt) begann Hegel imNovember 1831; nach zwei Vorlesungsstunden ereilte ihn der Tod.

    Auer der Vorlesung von 1821/22 sind inzwischen alle Vorlesungs-jahrgnge durch verffentlichte Nachschriften dokumentiert, so dadie entwicklungsgeschichtlichen Verschiebungen und Umgestaltun-

    gen deutlich fabar sind. Allerdings handelte es sich bisher (mit einerAusnahme) um nur jeweils eine einzige Nachschrift eines Jahrgangs,

    so da es nicht mglich war, durch Vergleich und Ergnzung ver-

    schiedener Nachschriften ein und derselben Vorlesung gleichsameinen Idealtext zu rekonstruieren, der in grtmglicher Annhe-rung dasjenige prsentiert, was Hegel vorgetragen hat;2 vorbildliche

    2 Vgl. W. Jaeschke, ProblemederEditionderNachschriftenvonHegelsVorle-sungen, in:AllgemeineZeitschriftfrPhilosophie5 (1980), S.51ff; ders., Ge-sprochenes und durch schriftlicheberlieferung gebrochenes Wort. Zur Methodik derVorlesungsedition, in: S. Scheibe/C. Laufer (Hg.), Zu Werk und Text. Beitrgezur Textologie, Berlin 1991, S. 157168.

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    XII Einleitung

    Editionen dieses Typus liegen inzwischen fr Vorlesungen ber dieReligionsphilosophie, die Geschichte der Philosophie sowie fr diePhilosophie der Weltgeschichte vor.3 Fr die Rechtsphilosophie sindbisher folgende Nachschriften verffentlicht worden:4

    1817/18 Nachschrift Wannenmann

    1818/19 Nachschrift Homeyer

    Nachtrag Wannenmann

    1819/20 N.N.

    1822/23 Nachschrift Hotho

    Nachschrift Heyse

    1824/25 Nachschrift Griesheim

    1831/32 Nachschrift Strau

    Es darf als glcklicher Zufall gewertet werden, da durch die neuaufgefundene, in diesem Band verffentlichte Nachschrift von Jo-hann Rudolf Ringier die Mglichkeit geboten wird, eine konsoli-dierte Textbasis gerade fr jenen Vorlesungsjahrgang zu gewinnen,dem im Vergleich der Nachschriften ein besonderes Augenmerk

    gilt. Das Interesse verdankt sich dem Umstand, da Hegel in dieser

    3 G.W.F. Hegel, Vorlesungen ber die Philosophie der Religion, 3 Bde., hg.von W. Jaeschke, Hamburg 1983ff(Ausgew. Nachschr. u. Ms. 35); Vorle-sungenberdieGeschichtederPhilosophie, hg. von P. Garniron u. W. Jaeschke,4 Bde., Hamburg 1989ff(Ausgew. Nachschr. u. Ms. 69); Vorlesungen berdiePhilosophiederWeltgeschichte(1822/23).NachschriftenvonK.G.J.v.Gries-heim, H.G. Hotho und F.C.H.V. v.Kehler, hg. von K. Brehmer, K.-H. Iltingu. H.N. Seelmann, Hamburg 1996 (Ausgew. Nachschr. u. Manuskr. 12).

    4 G.W.F. Hegel, Die Philosophie des Rechts. Die Mitschriften Wannenmann(Heidelberg 1817/18) und Homeyer (Berlin 1818/19), hg. von K.-H. Ilting,Stuttgart 1983; Vorlesungen ber Naturrecht und Staatswissenschaft. Heidelberg

    1817/18 mit Nachtrgen aus der Vorlesung 1818/19. Nachgeschrieben von P.Wannenmann, hg. von C. Becker u. a. mit einer Einl. von O. Pggeler, Ham-burg 1983 (Ausgew. Nachschr. u. Ms. 1); VorlesungenberdieRechtsphilosophie18181831. Edition und Kommentar in sechs Bnden von K.-H. Ilting,Stuttgart-Bad Cannstatt 1973ff [im folgenden: Ilting], Bd.1, S. 217351(C.G. Homeyer), Bd. 3 (H.G. Hotho), Bd.4, S.67752 (K.G.v.Griesheim),Bd.4, S. 905913 (D.F. Strau); PhilosophiedesRechts.DieVorlesungvon1819/20ineinerNachschrift, hg. von D. Henrich, Frankfurt a. M. 1983 [im folgen-den: Henrich]; PhilosophiedesRechts.NachschriftderVorlesungvon1822/23vonK.W.L.Heyse, hg. von E. Schilbach, Frankfurt a.M. 1999 (Hegeliana 11).

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    Einleitung XIII

    Vorlesung die entscheidende Umarbeitung seiner Rechtsphilosophie

    vornimmt, die gegenber den frheren Verlautbarungen jene poli-tische Wende darstellt, von der die gedruckte Rechtsphilosophievon

    1820 Zeugnis ablegt und die das Hegel-Bild so nachhaltig geprgthat. Das Schicksal derRechtsphilosophieist unmittelbar in die poli-

    tisch bewegte Zeit des Jahres 1819 verflochten und nur vor deren

    Hintergrund verstndlich; unbestreitbar ist die Umgestaltung derRechtsphilosophiein wesentlichen Punkten als Antwort auf die Karls-

    bader Beschlsse und die damit verbundenen preuischen Zensur-verordnungen zu verstehen. Die Ereignisse im Sommer und Herbst

    1819 und die Verwicklungen Hegels und seiner Schler in die Ge-

    schehnisse der Zeit sind vielfach dargestellt worden und hier nichtnachzuzeichnen; verwiesen sei auf die ausfhrliche Darstellung inder Einleitung der Edition der Rechtsphilosophie-Vorlesungen

    durch Karl-Heinz Ilting sowie auf die Rekonstruktion der Entste-

    hungs- und Druckgeschichte derRechtsphilosophiedurch Hans-Chri-

    stian Lucas und Udo Rameil.5 Tatsache ist, da Hegel angesichts derKarlsbader Beschlsse den Druck seines Kompendiums zur Rechts-philosophie (dessen Verffentlichung er in einem Brief an Niet-hammer vom 26. Mrz 1819 bereits fr die Leipziger Herbstmesse

    angekndigt hatte6) hinauszgerte. In einem Brief an Creuzer vom30. Oktober 1819 schreibt er: Ich wollte eben anfangen drucken zulassen, als die Bundestagsbeschlsse ankamen. Da wir jetzt [wissen,]woran wir mit unserer Zensurfreiheit sind, werde ich [sie] jetzt

    nchstens in Druck geben.7 Auch die (wohl im August 1819 abge-fate) Ankndigung im Vorlesungsverzeichnis (mit dem Hinweis adcompendium proxime in lucem proditurum) besttigt, da Hegelmit dem Erscheinen des Buches zu Beginn oder jedenfalls im Laufe

    des Semesters rechnete. Allerdings ist die zitierte Briefstelle in derForschungunterschiedlichausgelegtworden.WhrendeinGroteilder Interpretenso entschieden auch Iltingdarin den Beleg fr die

    5 Ilting, Bd.1, S. 23126; H.-Ch. Lucas/U. Rameil, Furcht vor der Zen-sur? Zur Entstehungs- und Druckgeschichte von Hegels Grundlinien der Philosophiedes Rechts, in: Hegel-Studien 15 (1980), S.6393.

    6 Briefe, Bd.2, S. 213.7 Ebd., S.220.

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    XIV Einleitung

    These sieht, da Hegel ein druckfertiges Manuskript zurckgehaltenhabe, um es einer nochmaligen berarbeitung zu unterziehen (derenAbschlu mit der Unterschrift unter die Vorrede auf den 25. Juni1820 datiert ist), haben Lucas und Rameil die Lesart vertreten, wo-

    nach Hegel nur die ersten Teile in den Druck geben wollte, whrender noch an den spteren Teilen arbeitete, wie es seiner Publikations-praxis fr die Logik und Enzyklopdie entsprach, die fertiggestelltwurden, whrend gleichzeitig die ersten Bogen gedruckt wurden.Vom Vorliegen eines druckfertigen Gesamtmanuskripts knnte indiesem Fall nicht die Rede sein. Da Hegel allerdings neben denfrheren Diktatvorlagen zu Beginn des Wintersemesters 1819/20

    ber ein erhebliches Textmaterial verfgen mute, auf dessen Basisdie geplante Drucklegung htte beginnen sollen, steht auer Frage.Da uns ein im Sptsommer 1819 fertiggestelltes Gesamtmanuskriptebensowenig erhalten ist wie partielle Druckvorlagen, lt sich nichtmit Bestimmtheit sagen, wie tiefgreifend die von Hegel vorgenom-

    mene Umarbeitung gegenber den unmittelbar vorausgehenden Fas-sungen war; da sie lngere Zeit in Anspruch genommen hat, als He-gel offenbar zunchst vorsah, scheintneben den Ausweitungen undsubstantiellen nderungen gegenber der Vorlesung von 1818/19

    fr eine grndliche berarbeitung zu sprechen. Der Vergleich mitder gedruckten Rechtsphilosophiebesttigt jedenfalls, da Hegel dieVorlesung des Wintersemesters wesentlich zur Erarbeitung der im

    Herbst 1820 erscheinenden Schrift genutzt hat. Sie verdeutlicht des

    weiteren, da der von den Zeitgenossen wie der spteren Kritik mo-nierte, in derRechtsphilosophiebekundete Gesinnungswandeletwahinsichtlich der Kritik des Naturrechts, der Einschtzung der Franz-sischen Revolution, der Verteidigung der Monarchieschon zu Be-

    ginn der Vorlesung vollzogen ist. Hatte die Vorlesung von 1818/19im ersten Paragraphen mit einer positiven Bestimmung des Natur-

    rechts und der Unterscheidung zwischen Naturrecht und positivem

    Recht eingesetzt, so geht die Vorlesung ein Jahr spter von einerKritik am abstrakten Naturrechtsdenken aus (in dessen Licht der

    Staat als Unglck und Krnkung des natrlichen Rechts erscheint).8

    8 Die Nachschriften besttigen das indirekte Zeugnis in den Briefen R.Rothes vom 21.12.1819 und 5.1. 1820 (in: HegelinBerichtenseinerZeitgenos-

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    Einleitung XV

    Es soll an dieser Stelle nicht die Wertung der von Hegel vorgenom-

    menen nderungen und der darin erkennbaren Akkommodationan die politischen Umstnde Thema sein. Festzuhalten ist vorerstnur ein Doppeltes. Das eine ist Hegels eigenes Erleben der Bedrng-nis der Zeit, wovon schon der zitierte Brief vom 30. Oktober 1819

    an Creuzer Zeugnis ablegt: Ich bin gleich 50 Jahre alt, habe 30 davonin diesen ewig unruhevollen Zeiten des Frchtens und Hoffenszugebracht und hoffte, es sei einmal mit dem Frchten und Hoffenaus. [Nun] mu ich sehen, da es immer fortwhrt, ja, meint man intrben Stunden, immerrger wird9ein bemerkenswerter Kon-trast zu jener Zufriedenheit, von der er noch ein halbes Jahr zuvor,

    nach Abschlu seines ersten Berliner Semesters, seinem alten FreundNiethammer berichtet.10 Auch wenn man in Rechnung stellt, daHegel ein ngstlicher Mensch warwie er selber im nachhinein (am9. Juni 1821, wiederum an Niethammer) bekundet, nachdem erdiedemagogische Not [] ohne Gefhrde bestanden [hat],nicht ohneBesorgnis zwar, vor Verdchtigmachern, Verleumdern u.s.f.11, sodarf man nicht verkennen, da Hegel tatschlich in die geistige undpolitische Bewegung der Zeit involviert war. Nach Ilting, der sich in

    umfassender Weise um die Erschlieung und systematische Verglei-

    chung der Hegelschen Vorlesungen zur Rechtsphilosophie bemhthat, ist gerade die berzogen-polemische Distanzierung von Fries inder Vorrede zurRechtsphilosophiedafr verantwortlich, da die Nach-welt nicht mehr erkennen konnte, wie sehr Hegel als ein potentiellselbst Gefhrdeter gehandelt hatte.12 Ebenso wichtig aber scheint dieandere Feststellung, zu der Ilting im Vergleich der verschiedenen Ver-

    sionen gelangt. Nicht nur fllt Hegel in derRechtsphilosophievon 1820(bzw. der Vorlesung von 1819/20) hinter liberale Grundpositionen

    seiner frheren Schriften und Vorlesungen zurck. Ebenso rckendie spteren Vorlesungen wieder von den provozierenden Engfh-

    8 sen, hg. von G. Nicolin, Hamburg 1970, S.201 f, 220), die Ilting 1974 nochals unsere einzige Information ber diese Vorlesung behandeln mute (Il-ting, Bd.2, S. 7).

    9 Briefe, Bd.2, S. 219.10 Ebd., S. 213.11 Ebd., S. 271f.12 Ilting, Bd.1, S. 77.

    sen, hg. von G. Nicolin, Hamburg 1970, S.201 f, 220), die Ilting 1974 nochals unsere einzige Information ber diese Vorlesung behandeln mute (Il-ting, Bd.2, S. 7).

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    XVI Einleitung

    rungen von Vernunft und Wirklichkeit, naturrechtlicher Geltung

    und bestehender Wirklichkeit ab, an denen die Rezeptionbegin-nend mit den zeitgenssischen RezensionenAnsto genommenhatte. Gerade der Vergleich der erhaltenen Vorreden lt nach Iltingerkennen, in welchem Ausma Hegel 1820 unter dem Eindruck derKarlsbader Beschlsse hinter seinen im wesentlichen unverndertenIntentionen zurckgeblieben ist.13 Auch wenn solche Einschtzun-gen im einzelnen kontrovers sein knnen, bleibt das 1973 formulierteFazit unbestreitbar, da jede knftige wissenschaftliche Beschftigungmit Hegels Politischer Philosophie auf einem Vergleich des gesam-ten vorliegenden Materials beruhen mu und keineswegs mehr aus-

    schlielich von derRechtsphilosophie von 1820 ausgehen darf.14

    Die diesem Urteil zugrundeliegende Textbasis ist ein Jahrzehnt

    spter durch zwei neu aufgefundene Nachschriften betrchtlich er-weitert worden. Dazu gehrt neben der gleichzeitig in zwei Edi-tionen verffentlichten Nachschrift Wannenmann von 1817/18 dievon Dieter Henrich herausgegebene Nachschrift eines anonymen

    Hrers zur Vorlesung von 1819/20, zu welcher die vorliegendeNachschrift nun einen Paralleltext bietet.

    3. Die beiden Nachschriften der Vorlesung 1819/20

    Die in diesem Band erstmals mitgeteilte Nachschrift stammt von

    Johann Rudolf Ringier (17971879) aus Lenzburg/Schweiz, der18161818 in Gttingen, 18181820 in Berlin Rechtswissenschaftstudierte und daneben Vorlesungen in Philosophie und Naturwis-

    senschaften besuchte.15 Sie befand sich in der Privatbibliothek von

    Herrn Dr. Hans Ziegler in Binningen/Basel, die einen Groteil derBibliothek derBurghalde in Lenzburg, des ehemaligen Familien-sitzes der Familie Ringier, enthlt. Die Nachschrift wurdezusam-men mit einer Nachschrift zu Hegels Naturphilosophie-Vorlesung

    13 Ilting, Bd. 1, S. 119.14 Ebd., S.120.15 Zum Verfasser und zum Manuskript der Nachschrift vgl. den Editions-

    bericht, unten S. 211216.

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    Einleitung XVII

    aus demselben Semester sowie weiteren Vorlesungsnachschriften aus

    der Hand Ringiers1997 aufgefunden und von Herrn Dr. Ziegler,durch Vermittlung von Herrn Prof. Dr. Karl Pestalozzi, UniversittBasel, den Herausgebern zugnglich gemacht.

    Durch diesen glcklichen Fund stehen nun zwei Nachschriftenderselben Vorlesung zur Verfgung, die sich in interessanter Weiseergnzen und deren Vergleich es erlaubt, den originalen Vorlesungs-text annherungsweise zu rekonstruieren. Zum Teil besttigen sichbeide Nachschriften bis in den Wortlaut einzelner Stze und For-mulierungen hinein, in anderen Passagen bieten sie gehaltvolle Er-

    gnzungen, indem sie unterschiedliche Details, Argumente und Ge-

    dankengnge festhalten oder andere Akzente setzen. Oft ermglichtder Vergleich, Stellen, die in dem einen Manuskript unklar bleiben,zu verdeutlichen. Einige der von Henrich vermerkten offenkundig

    fehlerhaften Formulierungen, die er auf Hr- oder Lesefehler zu-rckfhrt, lassen sich durch die Parallelstelle bei Ringier direkt kor-rigieren;16 umgekehrt knnen lngere Auslassungen, die in RingiersManuskript durch leere (offenbar zur nachtrglichen Ausfllung be-stimmte) Seiten angezeigt sind, durch Henrichs Edition ergnztwerden.17 Wie im Editionsbericht nher ausgefhrt, ergnzen sich

    die beiden Manuskripte schon durch die unterschiedliche Textform:Whrend es sich bei dem von Henrich herausgegebenen Text allerWahrscheinlichkeit nach um eine auf der Grundlage von Vorlesungs-

    notizen im nachhinein ausgearbeitete, eventuell von einer Dritt-

    person angefertigte Nachschrift handelt, entstammt das Manuskript

    von Ringier unzweifelhaft der direkten Mitschrift whrend derVorlesungsstunde. Die im Anhang angefgte Seitenkonkordanz, diegleichzeitig die Entsprechungen zurRechtsphilosophievon 1820 ent-

    hlt, soll den Vergleich beider Nachschriften erleichtern und gleich-sam eine komplementre Lektre beider Texte ermglichen.Die neu aufgefundene Mitschrift besttigt mehrere der von Hen-

    rich mit Bezug auf die Vorlesung von 1819/20 getroffenen Feststel-

    lungen bzw. formulierten Hypothesen; darber hinaus erlaubt sie,klrend zu Fragen und Problemen Stellung zu nehmen, die Henrich

    16 Vgl. z.B. S.50,20 bei Henrich mit 6,195 bei Ringier.17 Zum Beispiel 9,219.

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    XVIII Einleitung

    mit Bezug auf die von ihm herausgegebene anonyme Abschrift auf-

    wirft. Nach Henrich erweist sich diese Abschrift besonders im Ka-

    pitel Die frstliche Gewalt als problematisch, zumal dort des fte-ren die Abkrzungen frIdealitt und Identitt falsch aufgelstworden seien. Der Auffassung Henrichs zufolge wird damit eine frdie Vorlesung von 1819/20 offenbar eigentmliche Hegelsche Kon-notation und Differenzierung beider Termini (Idealitt als przisier-ter Begriffder Identitt) zwar angedeutet, jedoch zugleich fehlerhaftwiedergegeben. In der Mitschrift Ringiers werden die Abkrzun-gen beider Termini nicht nur klar auseinandergehalten, es tauchen

    dabei auch keine Verwendungen auf, die vom blichen Gebrauch in

    Hegels gedruckter Fassung oder spteren Nachschriften der Rechts-philosophie abweichen. Es besteht demnach Anla zur Annahme,da die von Henrich unterstellte eigentmliche Verwendung beiderTermini in der Fassung von 1819/20 ihren Grund nicht in Hegel,

    sondern allein in der Abschrift hat.

    Besttigt wird durch die Mitschrift Ringier eine von Henrich ver-merkte Besonderheit, die diese Vorlesung im Rahmen der insgesamt

    sieben Kurse zur Rechtsphilosophie auszeichnet. Sie basiert als ein-

    zige nicht auf einer Folge von diktierten (bzw. spter im Druck vorlie-

    genden) Paragraphen, die der mndliche Vortrag durch Erluterun-gen, Vertiefungen und Exkurse ergnzte, sondern sie ist, hnlich wiedie Vorlesungen zur Geschichtsphilosophie, sthetik und Religions-philosophie, in einem kontinuierlichen Darstellungs- und Argumen-

    tationsgang entfaltet worden. Entsprechend ist der Text z. T. erheb-

    lich umfangreicher als die meisten Nachschriften anderer Jahrgnge(die teils zeitaufwendige Diktate enthalten, teils sich mit Ergnzungenzum gedruckten Text begngen). Man kann sich fragen, was Hegel

    dazu motiviert hat, von der sonst gepflegten Praxis abzugehen. Einenaheliegende Vermutung geht dahin, da Hegel damit rechnenkonnte, da seine Vorlesung bald, vielleicht noch im Laufe des Seme-sters im Druck erscheinen wrde; auch wenn zum Zeitpunkt der er-sten Vorlesung (am 25. Oktober) feststand, da sich die geplanteDrucklegung verzgern wrde, war ihm (wie der Brief vom 30. Ok-tober besttigt) die Lnge des Aufschubs nicht direkt absehbar. Hen-rich hlt es fr nicht ausgeschlossen, da Hegel auf im Umlauf befind-liche Diktate frherer Vorlesungen als vorlufiges Gerst seines Kurses

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    Einleitung XIX

    verwiesen hat.18 Eine weitergehende Hypothese bezieht sich auf die

    politischen Umstnde derberarbeitung: Angesichts der Zensur undder angespannten Lage auch an der Universitt scheint es nicht ab-wegig, Hegels Verzicht auf Diktate auch aus der Vorsicht zu begrei-

    fen, keinen Text zu produzieren, auf den man ihn htte festlegenknnen.19 Schlielich ist, unabhngig von der Triftigkeit solcherAnnahmen, festzuhalten, da die Vorlesung von 1819/20 (und dieRechtsphilosophievon 1820, die auf ihr aufbaut) gegenber der Vor-lesung des Vorjahres gerade in den Anfangspassagendie derVor-rede, derEinleitung und den Anfangsparagraphen zum AbstraktenRecht in derRechtsphilosophieentsprecheneine eingehende ber-

    arbeitung und erhebliche Ausweitung enthlt. Wenn man sich diezeitliche Nhe zwischen der Inkraftsetzung der Karlsbader Beschlssein Preuen (18. Oktober 1819) und dem Beginn der Vorlesungen zurRechtsphilosophie (25. Oktober) vor Augen hlt und von HegelsEntschlu ausgeht, erst jetzt, nach Kenntnis der Verordnungen, diedefinitive Textfassung fr die Publikation zu erstellen, so scheint

    jedenfalls nachvollziehbar, da Hegel seine Vorlesung nicht mit demDiktat vorformulierter, thetischer Paragraphen erffnen wollte, son-dern da er den Stoffin der Vorlesung eher reflektierend erarbeitet

    und dabei frhere Fassungen vertieft, revidiert und erweitert hat.Desgleichen werden in zwei anderen Punkten die von Henrich

    formulierten Hypothesen durch die Nachschrift Ringier besttigt.Der Wegfall der Diktate bedeutet auch, da Hegel den Text nichtdurch Paragraphenziffern gliederte (oder zur Gliederung auf die

    Ziffern des vorausgehenden Wintersemesters Bezug nahm). Die auf

    den Seitenrndern des von Henrich publizierten Manuskripts ange-gebenen Ziffern sind nach ihm auf den Verfasser des ursprnglichen

    Textes zurckzufhren, der sie unter Verwendung einer Nachschriftvon 1818/19 (deren Gliederung sie entsprechen) anfgte, bevor erdas Manuskript zur Abschrift weitergab;20 dem entspricht, da dieMitschrift Ringier keine Paragraphenziffern enthlt. Ebenso be-sttigt sie die Hypothese, da die der anonymen Nachschrift bei-

    18 Henrich, S.353.19 Ebd., S. 28.20 Ebd., S. 352.

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    XX Einleitung

    gefgte Inhaltsanzeige vom Schreiber nachtrglich aus dem Textgewonnen wurde, in welchen die von Hegel im Lauf des Vortrags

    mitgeteilten Titel und Gliederungen eingegangen sind.21 Im Manu-

    skript Ringier ist die Gliederung unsystematisch teils durch Titel,

    fters durch unterstrichene Hauptbegriffe angezeigt, die in dievorliegende Edition bernommen und durch Titel der verffent-lichten Rechtsphilosophie(in eckigen Klammern) ergnzt wurden. Wasschlielich die Vermutung angeht, da der Hrer der anonymenNachschrift vor allem die frheren Abschnitte nur verkrzt wieder-gegeben oder gar einzelne Stunden versumt habe,22 so lt sichnaturgem zwischen den beiden Nachschriften generell eine unter-

    schiedliche Dichte und Genauigkeit im Festhalten der einzelnen Ab-schnitte feststellen. Henrichs aus dem Vergleich mit derRechtsphilo-

    sophiegeschpfte Vermutung, da namentlich die Seiten 65 und 85seiner Edition Lcken enthalten, werden fr den ersten Fall durchdie Nachschrift Ringier (die hier am Schlu sogar knapper ist) ent-krftet, whrend fr die zweite Stelle die Nachschrift Ringier in derTat einen erheblich ausfhrlicheren Text bietet.

    Wichtiger als solche formalen Korrespondenzen und Abweichun-

    gen drften die inhaltlichen Beziehungen sein. Es wird nicht ber-

    raschen, da die von Henrich festgestellten spezifischen Akzent-setzungen der Vorlesung auch in der Nachschrift Ringier greifbar

    sind: Dies betrifft sowohl die ausfhrliche Errterung der brgerli-chen Gesellschaft in ihren Auswirkungen auf die Armut und den

    Pbel23 wie die zwiespltige und ausfhrliche Darstellung der Le-gitimation und Funktion der Monarchie;24 hinzufgen lt sich diekritische Distanzierung vom Naturrechtsdenken bzw. einem abstrak-

    ten Naturrecht, das den Gegensatz zur bestehenden Sittlichkeit und

    positiven Rechtsverfassung betont.25

    Nur zu dem ersten, allerdingshchst bedeutsamen Punkt, den Henrich in seinem Text heraus-streicht, bietet die Nachschrift Ringier keine Parallele: Der be-

    21 Henrich, S.355ff.22 Ebd., S.306.23 Siehe unten S.144ff.24 Siehe unten S.173ff.25 Siehe unten S.3 f.

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    Einleitung XXI

    rhmte Doppelsatz aus der Vorrede zur Rechtsphilosophie Wasvernnftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernnf-tig, den die von Henrich edierte Nachschrift in einer geschichts-theoretischen Abwandlung prsentiert: Was vernnftig ist, wirdwirklich, und das Wirkliche wird vernnftig,26 kehrt bei Ringier inder bekannten Formel wieder, die so oft Stein des Anstoes war:Was vernnftig ist, ist wirklich (wobei der Komplementrsatz,wohl dem Stil der Vorlesungsnotiz entsprechend, in einem undumgekehrt abgekrzt ist).27

    Es kann nicht Aufgabe dieser einleitenden Bemerkungen sein, die

    Authentizitt beider Versionen verbindlich zu beurteilen. Im Blick

    auf das Exzeptionelle der von Henrich berlieferten Formulierungsowie auf den Unterschied der beiden Nachschrifttypen scheint esplausibler, in der Formulierung von Ringier die wortgetreue Wie-

    dergabe des von Hegel Gesagten zu sehen. Da es sich beim Manu-

    skript von Ringier, wie an vielen Merkmalen erkennbar, um eine

    direkte Mitschrift handelt, welche Hegels Vortrag nahe am Wortlaut

    festhlt, soweit der Schreiber dazu in der Lage war, scheint die Mg-lichkeit, da derDoppelsatz in einer nachtrglichen, ihn nochmalsberdenkenden Redaktion von der schroffen Gleichsetzung im

    Modus des Seins in ein Werden transponiert worden ist, wahr-scheinlicher als die umgekehrte Annahme, da der mitschreibendeHrer das wird in ein ist verndert habe. Gegen die Eventualitt,da Hegel selber beide Formulierungen verwendet habe, sprechendie Eile des abkrzenden und umgekehrt ebenso wie die unmit-telbar anschlieendenbei Henrich nicht berliefertenErgn-zungen bei Ringier: aber nicht in dem Einzelnen und dem Beson-deren, das sich verwirren kann. Ein Einzelnes verfehlt es immer,

    trifft das Recht der Vernunft nicht. Die vernnftige Betrachtung er-hebt darber, was in Einzelnen widersprechend ist, fr etwas so

    Wichtiges zu halten. Der Zweck der Philosophie des Rechts ist also,

    die Basis, das Innere der wirklichen Welt zu erkennen.28 Hierscheint es, wie auch der den Zitaten vorausgehende Satz besttigt,

    26 Henrich, S.51,45.27 Siehe unten 8,205206.28 Siehe unten 8,2059,211.

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    XXII Einleitung

    wesentlich um die Perspektive der philosophischen Betrachtung (im

    Gegensatz zum abstrakten Denken) zu gehen, die in dem, was ist,

    die immanente Vernnftigkeit erkenntein Grundgedanke des He-gelschen Philosophierens, der sich schon in frheren Schriften inanalogen Formulierungen mehrfach findet. Allerdings braucht dies

    nicht zu heien, da die Interpretationsperspektive, die Henrich imZusammenhang der von ihm edierten Version des Doppelsatzesentfaltet, damit gegenstandslos sei. Danach sollte diese Version den

    institutionentheoretischen durch einen geschichtstheoretischen An-

    satz ersetzen: Nicht die Rechtfertigung des Bestehenden, sondern

    die Verwirklichung der Vernunft wre der Kern der Aussage. Sie

    wrde jenen Gedanken reformulieren, der das erste rechtsphiloso-phische Kolleg von 1817/18 wie ein Leitmotiv durchzieht und inder Nachschrift Wannenmann mehr als zehnmal wiederkehrt: Al-les, was vernnftig ist, mu sein.29 Nun lt sich diese Alternativeauch unabhngig vom Wortlaut der Formel zur Diskussion stellen.Nicht nur ist offensichtlich, da fr das Ganze der HegelschenTheorie des objektiven Geistes die geschichtstheoretische Perspek-

    tive ebenso wichtig wie die institutionentheoretische schlielichdieser gegenber sogar umfassender und grundlegenderist. Auch

    in den einleitenden Passagen, ja im engeren Kontext der zitiertenFormel ist die geschichtliche Perspektive durchaus prsent und frden Gedanken bestimmend. Der direkt vorausgehende Abschnitt

    handelt davon, wie das Allgemeine alles durchdringt und sich darin

    verwirklicht und wie dasjenige, was an der Zei t ist, notwendig ge-schieht.30 Da die geschichtliche Perspektive, die immer auch dasBewutsein der Kluft zwischen Begriffund Realitt artikuliert, frdas Ganze der rechtsphilosophischen Konstruktion ebenso tragend

    ist wie das Beharren auf der Vernnftigkeit des Wirklichen, ist un-bersehbar. Ebensowenig ist freilich die Tendenz zu bersehen, diegerade im vorliegenden Text die Kritik am abstrakten Verstand wie

    am wohlmeinenden gerhrten Herzen31 bestimmt und die ein

    29 Vgl. Henrich, S. 372 f; vgl. auch O.Pggelers Einleitung zur Nach-schrift Wannenmann, S.XVI.

    30 Siehe unten 8,179, 8,201202.31 Henrich, S.51,3.

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    Einleitung XXIII

    halbes Jahr spterin derVorrede zurRechtsphilosophiebruchlosin die ungehemmte Polemik gegen die Seichtigkeit der politischbereits diskreditierten Friesschen Philosophie eingeht.

    4. Zur vorliegenden Edition

    Die hier verffentlichte Nachschrift von Johann Rudolf Ringierstellt eine qualitativ gute, detailreiche und ber weite Passagen wohlziemlich vollstndige Wiedergabe der Hegelschen Vorlesung von1819/20 dar. Sie stammt zwar nicht aus dem engeren Schlerkreis

    wie die Nachschriften von Hotho und v. Griesheim, die EduardGans fr die Redaktion derZustze in der Edition des Freun-deskreises verwendet hat; es ist wohl zu vermuten, da Ringierzum ersten Mal Vorlesungen bei Hegel besucht hat und mit seiner

    Philosophie nicht sehr vertraut war. Doch ist unbestreitbar, da esdem intelligenten und vielseitig interessierten Studenten, der zudem

    seit sechs Semestern Vorlesungen in Jurisprudenz gehrt hatte,gelungen ist, eine differenzierte und ihrem Gegenstand gerecht

    werdende Nachschrift zu erstellen, zu deren Vorzgen nicht zuletzt

    die Nhe zum Wortlaut des mndlichen Vortrags zhlen drfte.Durch ihre Verffentlichung wird die Textbasis fr das Verstndnisjener entscheidenden Umarbeitung erheblich erweitert, in welcher

    Hegel nicht nur auf eine angespannte Situation reagiert und eine

    neue politische Standortbestimmung vorgenommen hat, sondern

    die Rechtsphilosophie in betrchtlichem Ausma berarbeitet undweiter ausgefhrt hat. Gerade wenn die Vermutung von Ilting zu-trifft, da der Geist, der uns aus den frheren und spteren Vor-

    lesungen entgegentritt, von der Art ist, den Schatten, der durch dieschwierigen Zeiten der Karlsbader Beschlsse, der Demagogen-verfolgungen und der Zensur auf die Rechtsphilosophie von 1820fllt, in einem greren Zusammenhang aufzuheben,32 liegt das be-sondere Interesse der (Ilting noch nicht bekannten) Vorlesung von

    1819/20, die der endgltigen Niederschrift derRechtsphilosophieun-

    32 Ilting, Bd.1, S. 126.

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    XXIV Einleitung

    mittelbar vorausgeht, auf der Hand. Sicher wird keine Einzeledition

    einer Nachschrift das Bild der Hegelschen Philosophie grundlegend

    und im Ganzen verndern. Der Zweck, den sich die vorliegendeEdition setzt, besteht darin, die Forschungsgrundlage zu verbreitern

    und damit die Voraussetzungen fr eine differenzierte Erarbeitung,Darstellung und Wrdigung der Hegelschen Philosophie zu ver-bessern.

    5. Dank

    Die Herausgeber sind zahlreichen Personen und Institutionen zu

    Dank verpflichtet, durch deren Untersttzung die vorliegende Ver-ffentlichung ermglicht wurde.Wir danken Herrn Dr. Hans Ziegler, Binningen/Basel, fr die

    berlassung des Manuskripts zur wissenschaftlichen Bearbeitung unddie Einwilligung zur Verffentlichung sowie fr wichtige Ausknftezur Herkunft der Nachschrift und zur Person ihres Verfassers. Wich-

    tige Informationen zur Biographie und zum Umfeld Ringiers ver-

    mittelte uns Frau Dr. Heidi Neuenschwander-Schindler, Mriken(Schweiz); Angaben zu den Studienaufenthalten Ringiers erhielten

    wir von Herrn Dr. Haenel vom Universittsarchiv der Georg-Au-gust-Universitt Gttingen und von Herrn Dr. W. Schulze, Leiterdes Universittsarchivs der Humboldt-Universitt zu Berlin. HerrnProf. Dr. Dieter Henrich, Mnchen, und dem Suhrkamp Verlag,Frankfurt am Main, danken wir fr die Genehmigung zum Ab-druck von Textpassagen aus der Nachschriftedition von D. Henrich.

    Fr Ausknfte zu anderen Hegel-Nachschriften und zu editorischenFragen danken wir dem Direktor des Hegel-Archivs der Ruhr-Uni-

    versitt Bochum, Herrn Prof. Dr. Walter Jaeschke.Herrn Manfred Meiner vom Felix Meiner Verlag, Hamburg,danken wir fr die Aufnahme des vorliegenden Bandes in die ReiheGeorg Wilhelm Friedrich Hegel Vorlesungen. Ausgewhlte Nach-schriften und Manuskripte, Herrn Horst D. Brandt und HerrnAxel Kopido, Felix Meiner Verlag, fr die gute Zusammenarbeit.

    Ein besonderer Dank gilt Herrn Stefan Krauss, Basel/Freiburg

    i.Br., fr vielfltige Untersttzung bei derberarbeitung der Texteund die sorgfltige Erstellung der Druckvorlage.

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    Einleitung XXV

    Schlielich gilt unser Dank dem Schweizerischen Nationalfondszur Frderung der wissenschaftlichen Forschung, dessen finanzielleUntersttzung die Arbeit an dieser Edition ermglicht hat.

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    Einleitung XXVII

    PHILOSOPHIE DES RECHTS

    vorgetragen von G.W.F. Hegel im Wintersemester 1819/20

    nachgeschrieben von Johann Rudolf Ringier

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    XXVIII Einleitung

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    Einleitung 3

    [EINLEITUNG]

    Das Recht fr sich ist der abstrakte Begriff. Der Staat ist die Rea-lisierung des Rechts. Das abstrakte Recht nannte man hufig Natur-recht. In dieser Betrachtung sieht man den Staat nicht als Ver-

    wirklichung des Rechts an, sondern als ein Unglck fr das Recht:Ein hartes Schicksal, worin das natrliche Recht des Menschen be-schrnkt, bevorteilt und gekrnkt werde. Das Recht ist so angese-

    hen, so da jenes abstrakte Recht und der Zustand darin als ein ver-lorenes Paradies angesehen werden, das aber das Ziel bleiben msse,das vom Staat wiederherzustellen sei. Das Recht wird also 1. als ab-

    straktes Allgemeines betrachtet. 2. in seiner Realisierung. Das Recht

    ist wesentlich die Idee, der Begriffdas Allgemeine, aber nicht[nur] als subjektiv, sondern auch als Verwirklichung als Staat. Das

    Recht ist das Heilige auf Erden, unverletzlich. Das Heilige, wie es

    im Innern ist, ist unantastbar; in der Wirklichkeit gesetzt, kann es

    angetastet werden.

    Die Aufgabe der Wissenschaft ist, die Seite des Daseins zu bestim-men, da das Recht zu seiner Wirklichkeit komme, zunchst aberzu erkennen, was das wahrhafte Recht ist. Diese Erkenntnis scheint

    jetzt um so ntiger, da sich alle Welt dieses Gegenstandes bemchtigthat. Die meisten haben eine Meinung und feste berzeugungendavon und machen an die wirkliche Welt den Anspruch, da dasRecht im Gedanken verwirklicht sei. |Diese Forderung gilt als etwasAbsolutes, weil es, wie es im Innern ist, ein Heiliges ist. Die Philo-

    sophie ist es vornehmlich, die den Begriff

    des Rechts bestimmensoll und [die bestimmen soll,] wie die Wirklichkeit sein soll, [um]

    dem Begriffzu entsprechen. Zur Erkenntnis des Rechts gehren Ge-danken. Das Gewhnlichste ist, da jeder ohne spekulatives Nach-denken aus seiner Brust und [seinem] Kopf die Erkenntnis des

    Rechts unmittelbar schpfen knne. Wenn also die Philosophie denBegriffgeben soll, so mu sie eine Rstkammer von Grnden sein,das Wirkliche zu bestreiten und zu bessern. Sie ist also ein Ideal der

    Wirklichkeit, wo alles Unrecht ausgeglichen sei. Und, wie man

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    4 Einleitung

    meint, sei dies Ideal um so trefflicher, je weiter abstehend von der

    Wirklichkeit. Solche abgeschmackte Ideale sind dann auch viele

    geliefert worden. Einerseits fordert man also die Erkenntnis des Be-

    griffs des Rechts von der Philosophie und da der BegriffWaffegewesen, den Begriffzu bekmpfen, andererseits kann gesagt wer-den, Recht und Staat gehren dem Geist an. Er ist ihr Boden, seineFreiheit ist die Grundlage des Staates, der nur die Wirklichkeit des

    Geistes ist. Er ist so, wie sich der Geist wei: Das Bestehen des Staa-tes beruht also auf entwickelten oder unentwickelten Gedanken;

    auch das Zutrauen der ihm Angehrenden. Wenn z. B. alle Brgerihre Vorstellungen von ihrer Rechtsverfassung auf einmal nderten,

    so wre die Frage: was bleibt? Nichts als ein seelenloses Gerst, dasschon in sich zerfallen wre.|Es kann dem Staat also im Ganzennicht gleichgltig sein, welche Vorstellung seine Angehrigen vonRecht und seiner Wirklichkeit vornehmlich haben.

    Die Philosophie als Wissenschaft hat es also nicht mit Meinungen

    zu tun. Meinung ist nur das Meinige, bei einem anderen kann sie

    anders sein. Die Erkenntnis in der Philosophie ist eine absolute, Er-

    kenntnis des Absoluten. Die Philosophie macht, so scheint es, also

    noch Forderungen von einer absoluten Autoritt zur Wirklichkeit.

    Allerdings ist sie nicht die Wissenschaft des Wirklichen,da sie ausdem Wirklichen als solchen das Gegebene aufnimmt, was das Recht

    ist. Die positive Rechtswissenschaft hat zu ihrem Kriterium das, was

    gilt. Indem die Philosophie aus dem inneren Begriffe ihre Bestim-

    mungen schpft, kann sie scheinen, der Wirklichkeit gegenber ab-solute Prtention zu machen. Es kann sein, da die Wirklichkeit mitihrbereinstimmt oder auch nicht, weil sie die Bestimmung hat,Gedanke, Begriffzu sein; so scheint sie allerdings zuerst der Wirk-

    lichkeit gegenber zu stehen, insofern uns notwendig ein Verglei-chen mit der Wirklichkeit eintritt.Der erste Punkt: zu betrachten ist also, was Zweck der Philoso-

    phie des Rechts ist und ihre Beziehung auf die Wirklichkeit, damit

    die Natur und das Ziel in der Wissenschaft besser hervorgehe. Wir

    fangen an mit der berchtigten Stelle Platons (Politeia 5).|Wennentweder nicht die Philosophen regieren oder die Knige nichtphilosophieren und Regieren und Philosophie [nicht] in eins fallen,

    so gibt es kein Ende des bels fr das menschliche Geschlecht. Die

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    Einleitung 5

    hchste Prtention der Philosophie ist hier ausgesprochen. Weil diePhilosophie das Wahre erkennt und das Regieren auf dem Gedan-

    ken, dem Wissen des Wohls des Staates beruht, so mte sie auchdie Leitende sein. Das ist nher zu betrachten. Wir mssen uns aufeinen noch hheren Standpunkt stellen in Ansehung des Verhltnis-ses der Philosophie und der Wirklichkeit. Eine Voraussetzung jener

    Platon-Stelle ist, da die Philosophie das Wahrhafte erkennt be-stimmter in Form des Begriffs. Wenn sie das Wahrhafte begreift, so

    ist das Wahrhafte aus anderer, erkannter Vorstellung und Geschehen,

    nicht aus Gefhl. Die Philosophie hat nicht das Monopol der Wahr-heit. Allerdings erkennt sie die Wahrheit, ist aber nicht die einzige

    Gestalt derselben. In neueren Zeiten kam es zwar dahin zu wissen:Man kann die Wahrheit nicht erkennen eine berzeugung, dieden Menschen um das Bewutsein des Gttlichen und die Wahrheitbringen wrde, wenn sie fester wurzeln knnte. Die erste Behaup-tung in Platon nehmen wir also mit dieser nheren Bestimmung an;zweitens liegt darin die Voraussetzung, da diese Wahrheit nur einSollen ist, der Wirklichkeit aber entgegen. Dagegen mssen wir diewahrhafte Idee der Philosophie verteidigen und behaupten. Die

    wahrhafte Idee ist substantiell, |der innere Begriff selbst keine

    leere Vorstellung, sondern das Strkste, das allein Machthabende. Eswre eine leere, irreligise Vorstellung, das Gttliche sei nicht mch-tig genug, sich Existenz zu verschaffen, das Wahre sei nur jenseits des

    blauen Himmels oder im subjektiven Gedanken, blo im Innern.Der Natur gibt man Gttlichkeit zu, aber man meint, da die IdeeGott verlustig sei, berlassen der Meinung, Willkr, Zuflligkeit desMenschen. Die Idee ist schlechthin das Allgegenwrtige, Absolutenicht als gleichgltiger Zuschauer, sondern eine schlechthin all-

    krftige, belebende Gegenwart, so da die Wirklichkeit nur der Leibist, die Idee die Seele, ohne die der Leib gar nicht existieren kann.Indem wir in der Philosophie die Idee erkennen, so erkennen wir

    das Wirkliche selbst, das, was ist, nicht das, was nicht ist.

    Wenn die platonische Republik nicht ein Mangelhaftes in sich

    wre, so wrde sie notwendig zur Wirklichkeit gekommen sein.Nicht so unrecht haben daher die, welche von der Wirklichkeit auf

    81 einzige] eigentmliche

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    6 Einleitung

    die Nichtigkeit der Idee schlieen, aber darin, da die Wirklichkeitder Spiegel des Wahren sei. Ihnen ist verborgen, da die Welt nur inder Idee aufgefat werden kann; wie der Mensch die Welt anschaut,so sie ihn. Mit der Vernunft betrachtet ist sie vernnftig, der Refle-xion zeigt sie ein Zerrbild. In der Philosophie des Rechts betrachten

    wir etwas, das ist, nicht etwas, das nicht ist. | In der Philosophie be-trachten wir das Reich des Geistes und zugleich die Welt derue-ren Natur; die Philosophie betrachtet das Reich des Geistes und

    seine Wirklichkeit. Den Inhalt der platonischen Idee betreffend, so

    hat er allerdings, was uns als die Idee der Wirklichkeit [erscheint], aus-

    gesprochen. Das Prinzip der griechischen Sittlichkeit bringt er zum

    Bewutsein; dies war der griechische Geist, es war in Griechenlandso, was Platon als Wahrheit erfat hat. berall tritt uns die platoni-sche Gestalt der Sittlichkeit entgegen. Handlung und Individuum

    sind Einzelheiten, welche die uerlichkeit angehen und dem einendurchgehenden Geist untergeordnet sind; sie befinden sich nur auf

    seiner Oberflche und der Geist dieser Sittlichkeit ist die Seele, dasinnere Prinzip. Die Bewegung ist auf der Oberflche; da kommt eszum Schlagen, zu den Leidenschaften, die etwas zerstren oder in dieExistenz bringenSpiel der Existenzen. Der Geist existiert nur unter

    bestimmten Umstnden: Hier mu er sich durchschlagen. Aber dieseSittlichkeit kann in der Entwicklung des Weltalls nicht bleiben, in

    dieser Schnheit und Gediegenheit; sie mssen in die Entzweiunghinaustreten. Das Beginnen dieser Entzweiung fhlte Platon. Zuseiner Zeit tritt das Moment der Weltgeschichte hervor. Das weitere

    Prinzip hherer Entzweiung erschien in der hheren Idee der Sitt-lichkeit notwendig nur als ein Verderben, weil es in ihr noch nicht

    ausgebildet war und zurckgekommen zur Harmonie. So wirkte es

    zerstrend, und so kannte es Platon und suchte es zu bewltigen,indem er ein hheres Prinzip seinem Staat nicht wollte widerfahrenlassen, sondern [es] vertilgen, [so] wie die Spartaner die Leidenschaf-

    ten unterdrckten, das Geld verboten, aber die Habsucht nur um so

    128 Schnheit] Schne135 ein] auf137 unterdrckten] zu unterdrcken137 Habsucht] unsichere Lesart

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    Einleitung 7

    tckischer im Innern ausbrechen machten. Das Prinzip ist das derEinzelheit, des subjektiven Bewutseins; es ist auch in der Sittlich-keit, aber noch eingehllt. Platon hatte es schon geahnt, wollte esaber nicht auflsen, sondern vertilgen, indem er das Bild der Familieauflste und alles, was konsequent daraus folgt. Deswegen schien ernicht eine Wirklichkeit zu haben, sondern nur sie zum Ideal, Un-

    wirklichen, weil es die Form des griechischen Geistes war. Das

    Wahre ist nicht, was als der lebendige, gegenwrtige Geist [ist].Darum stellt der Staat ein Ideal auf. Es ist der Geist, den die Philo-

    sophie erkennt.|Daher steht jede Philosophie wesentlich in derZeit, erkennt das an und fr sich Seiende, das Gegenwrtige, ewig

    Wahre, das kein Zuknftiges ist, noch ein Vergangenes; aber es istkeine Abstraktion, sondern eine Gestalt, weil der Leib wirklich ist;eine bestimmte Weise, die Weise des gegenwrtigen Geistes, ist diehchste Weise des Geistes, seines Begriffs, den er von sich aufgefathat, seines Selbstbewutseins. Diese Gestalt ist allerdings zweifach:so wie sie 1. der Philosophie angehrt und 2. derueren Gestaltder existierenden Wirklichkeit. In seinem wirklichen Dasein ist der

    Geist dieser bunte Teppich, der diese und jene sich durchkreuzenden

    Zwecke hat. Diese Gestalt betrachtet die Philosophie nicht, sondern

    das bunte Gewhl, [das] zurckgekommen auf den einfachen Ge-danken, ohne Zwecke der Einzelheit, interesselos, durch das System

    seines einfachen Lebens ist. Im Religisen sagt man, die Weltbege-benheiten sind Werkzeuge in Gottes Hand, d. h. diese bringt alles

    hervor. Anders als jene wollen, fhrt diese Zwecke aus, indem jenedie ihrigen auszufhren suchen, und gerade in diesem Handeln.

    Der wahrhafte Geist, der substantielle, ist also einerseits das wesent-

    lich allgemeine Prinzip, was bei den Tieren Gattung ist. Die Gat-

    tung handelt bei den Tieren: d.h. der Instinkt, worin die Gattungsich kundtut. Auerdem, da diese innere Natur selbst an ihnenoffenbar [wird], sind sie dann auch wieder Einzelne, welche dieser

    Gattung angehren. Auf der anderen Seite sind es die Einzelnen,welche die daseiende Wirklichkeit des Geistes ausmachen. Das All-

    gemeine des Geistes fllt sie aus, und auch die Einzelheit hat ihreRechte, macht sich ihre besonderen Zwecke. Die Gattung ist aber,

    was das Allgemeine darin [ist]. Die allgemeinen Interessen gelten

    aber auch fr etwas Wesentliches. Die Leidenschaften, welche ihre

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    8 Einleitung

    Befriedigung suchen, sind das Bettigende des Allgemeinen. DasWahre an und fr sich ist trge, fhrt sich nicht aus. Das Ttige istdas Subjektive, das Verwirklichende, welches das Allgemeine, das

    Abstrakte annimmt. Die wirkliche Welt ist das einfache Schauspiel,

    da das Allgemeine alles durchdringt, und ist der Zweck des Einzel-nen, das Wollen der Einzelnen als Einzelnen, die Bettigende sind.Das ist notwendig zur Verwirklichung der Idee, andernfalls fehlen in

    der Verwirklichung die Krfte, die Idee,|Zwecke, die zuerst ihreeigenen Rechte haben. Aber zweitens macht sich das Allgemeine

    unberwindlich darin, vollfhrt sich darin. Wenn die Philosophiedas Wahre betrachtet, so geht sie also diese Seite nichts an, nur das

    Einfache, Substantielle hebt sie herauf. [Sie] fhrt das Mannigfacheauf eine Einfachheit zurck. Sehen wir durch das Mikroskop denUmri einer zarten Zeichnung, so wird er uns uneben und mit un-regelmigen Rauheiten erscheinen. Frs bloe Auge ist er schn.Das welt l iche Bewu t se in i s t e in solches Mikroskop,fr welches nur Einzelheiten vorhanden sind. Das Getmmel derWirklichkeit fhrt das bloe Auge auf die einfache Wirklichkeit zu-rck, frei von jenen bestimmten Interessen. Einerseits also treibt diePhilosophie ihre Geschichte nicht jenseits der Begebenheiten, son-

    dern sie betrachtet ihre substantielle Natur. Die Philosophie ist es,die das Bestehen der Wirklichkeit reflektiert. Das Reich des Rechts,

    das Reich des Geistes, sie wissen, da nur existieren kann, was imallgemeinen Bewutsein, Geist eines Volkes vorhanden ist. Die Phi-losophie wrde es fr ungereimt halten, wenn man einem Volke In-stitutionen geben wollte, die nicht sich selbst herbeifhren, nicht ander Zeit sind. Sie gibt die Sicherheit, da, was an der Zei t ist, not-wendig geschieht.

    Der Geist ist der Boden des Rechts. ber das Recht des allge-meinen Geistes geht kein Recht. Aber es ist kein abstraktes Denken:was vernnftig ist, ist wirklich und umgekehrt, aber nicht in derEinzelheit und dem Besonderen, das sich verwirren kann. Ein Ein-

    zelnes verfehlt es immer, trifft das Recht der Vernunft nicht. Die

    vernnftige Betrachtung erhebt darber, was in Einzelnen wider-

    181 andernfalls] andererseits185 sie] ihr

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    sprechend ist, fr etwas so Wichtiges zu halten. Der Zweck derPhilosophie des Rechts ist also, die Basis, das Innere der wirklichen

    Welt zu erkennendas systematische Gebude des Geistes aber inseiner einfachen Weise, im Element des Gedankens. Die Philoso-

    phie hat insofern dasselbe Verhltnis zum Staat als die Kirche; beiderGegenstand ist das Wahre, aber in seinem einfachen Geist, in der

    Form seiner Ewigkeit. Das Gttliche in dieser Form gefhlt,| ist inder Welt als wirklicher Geist. Die Philosophie ist nichts als die Ge-

    staltung der Religion. Der Zweck ist in Ansehung der Religion n-her: Die Religion hat das Wahre in der Form seiner Ewigkeit zum

    Gegenstand. []

    Beziehung der Negativitt auf sich ist: sich negieren. Das Nega-tive ist das Unbestimmte. Der freie Wille kann nichts anderes wollenals sich selbst. Denn er ist nur sich Inhalt, Zweck und Gegenstand.

    Wenn wir nach dem Inhalt fragen, so fragen wir nach einer Beson-

    derung. Das Ich, das mir Gegenstand und Zweck [ist], mu Beson-derung in sich haben, da es Inhalt sei. Dies eben ist, da der Willenicht das Abstrakte, sondern das Konkrete ist. Dieses ist dann

    also seine Substanz. Ferner ist also mein eigener Inhalt: das Ich

    selbst. Diese Bestimmungen sind zunchst an sich als unmittelbar,

    und ich finde diese Bestimmungen in mir, es sind die Meinigen.Diese Substanz ist es, was sich von mir als Abstraktem unterscheidet.

    Der Geist ist selbst das System dessen, was er will; doch dieser Inhalt

    hat die Form von Unmittelbarkeit, und deswegen hat er nicht die

    Form, die ihm zugehrt. Diese Form ist der Natur des Geistes un-angemessen. Dieser Inhalt mu ihm entsprechend gemacht werden,nicht nur dem Inhalte nach, sondern auch der Form nach. Er mudie Form des Meinigen noch haben. Diese Form des Meinigen ist

    das Allgemeine. Diese Form des Allgemeinen macht zunchst denInhalt des Willens.|Wenn wir sagen, wir haben Triebe und Neigun-gen, so ist dies nichts anderes. Diese Triebe sind natrliche Triebe.Die Inhalte dieser Triebe sind ganz die unsrigen. In diesen Trieben

    wissen wir uns. Dieser Inhalt, diese Bestimmungen sind es, welche

    219 Im Manuskript Ringier sind die anschlieenden Bltter bis Pag. 24 unbe-schrieben. Vgl. die entsprechende Textpassage aus der Edition von Dieter Henrichin den Sachanmerkungen im Anhang des vorliegenden Bandes, S. 217223.

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    10 Einleitung

    zunchst einzeln erscheinen. Wir sagen, sie sind uns eingepflanzt,d.h. sie sind unser Eigenes, Immanentes. Auch heit es, sie kommenvon auen her. Die Triebe heien insofern Triebe, als wir sie zu-nchst noch haben. Diese Triebe nun sind nicht Momente einesSystems, sondern verschiedene nebeneinander. Der Mensch ist

    also die Sammlung dieser Triebe, ein bloes Aggregat. Diese Triebesind deswegen die Mchte, welche unser Leben regieren, aber wirfhlen uns regiert, dadurch da sie fr uns etwas Fremdartiges ha-ben. Ich finde mich im Triebe frei, insofern es mein eigenstes Wesen

    ist, das will, aber ebenso auch unfrei, und zwar, je mehr es Le iden-

    schaft ist (ich leide dabei). Leidenschaften sind ebenso wie die Krank-

    heit des Krpers, wo sich die Lebenskraft auf e in System hingewor-fen hat.|Ich (das Abstrakte) will und ich will, aber zwischen diesen bei-

    den Ich ist noch eine Trbung. Dies Verhltnis ist nur kurz zu be-trachten. Ich verhalte mich also zu meinem Wesen. Ich als das All-

    gemeine stehe zugleich darber. Diese meine formelle Subjektivitt,welche von dem einen Besonderen bergehen kann zu dem ande-ren, dies ist der Standpunkt der Willkrberhaupt. Die Willkr istalso dies: Whlen zu knnen, und dies kann ich, weil ich abstraktes

    Subjekt bin, als welches ich das Konkrete nehmen oder lassen kann.Dieser Wille ist der natrliche Wille berhaupt; sein System ist einNatrliches, es ist von der Natur getrieben. Dieser geht uns hiernichts an. Das System der Glckseligkeit bleibt bei diesem blo na-trlichen Willen stehen, wo man zwischen Neigungen und Triebenzu whlen hat, um glckselig zu sein. Es ist hier also ein Gegensatzvorhanden. Es ist auch eine Trennung da. Diese wird aufgehoben,

    [so] da die Form der Natrlichkeit aufgehoben wird.|Dadurch

    wird dies nun also ein vernnftiges System. Es ist darum zu tun, dadie Triebe und Neigungen Momente des Einen nur sind. Diese Er-hebung ist die Erhebung dem Begriffe nach. In dem Individuum

    mu die Erhebung der Triebe als Momente erscheinen.Die Erziehung, Bildung, Zucht ist dieses, da das natrliche Wol-

    len dem Individuum abgetan wird und diese Triebe ihre vernnfti-

    251 unfrei] frei252 die] bei der

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    Einleitung 11

    gen Begrenzungen erhalten (man erinnere sich an den Krper unddie einzelnen TeileKrperverhalten derselben). Die Zucht bringtzuerst also das Interesse hervor; sie streift den natrlichen Willen ab.Den Trieben wird die Form der Natrlichkeit abgetan. Dies ge-schieht zuerst durch Gehorsam (Wer nicht gehorchen gelernt hat,

    kann auch nicht befehlen). Der Eigenwille mu sich zum substantiel-len erheben. Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang. Das Na-

    trliche in mir hat gezittert; dadurch ist die Natur in Flssigkeit, inBewegung gekommen. Die Charakterlosigkeit der Menschen kommt

    dann eben daher, da sie nicht gehorchen muten.|Die Charakter-losigkeit des Menschen ist Folge der Zuchtlosigkeit.

    Im Triebe liegt es, eine Roheit, Unmittelbares zu sein. Insoferndie Triebe nebeneinander sind, so kollidieren sie oft. Diese Kollision

    kommt von ihrer Besonderheit her. Die Hauptsache ist, da dieWahrheit der Triebe ihr Wesentliches ist. Diesen bergang kannman die Reinigung der Triebe nennen. Es sind zwei Ansichten. Die

    Triebe sind wesentliche Bestimmungen des Willens. Die Triebe und

    Neigungen sind nicht in ihrer wahren Form da, deswegen mssensie herausgerissen werdeneben weil sie die Form der Unmittel-barkeit haben. Der Geist aber ist nicht ein Abstraktum, sondern ein

    in sich gliederndes System. Diesen Inhalt ausrotten hiee, den Geistzu einem Abstraktum machen, was man das Mnchische nennenmchte. Man sagt wohl auch, der Mensch ist von Natur gut, er habeseine natrliche Neigung. Es hat ein Alter gesagt: Die Menschenhatten aus den Leidenschaften den Stoffzu den Gttern genommen.Aber in der Form von Trieben ist der Geist nicht in seiner wahren

    Form. Diese Form der Unmittelbarkeit ist es, was die Scheidung

    ausmacht zwischen dem [Frsich] und dem Ansich des Willens;

    und dies ist dann dieser Begriff, ist mein ganzer Zweck, er ist frmich.|Vom Eigentum kann man sagen: Wir haben den Trieb, sol-

    ches zu haben, in der Familie zu leben. Aber wenn man dies so fat,so sind diese Bestimmungen blo gefunden. Es ist der Gegen-stand dem Willen nicht von auen gegeben, sondern was ihm ge-

    277 desselben]AmRande: Nur wo ein System das andere vollkommenbegrenzt und so also keines vorherrscht, nur da ist vollkommener Ein-klang, vllige Gesundheit.

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    12 Einleitung

    geben ist, ist nur das Innere, die Freiheit. Der freie Wille will nichts

    anderes als frei sein. Der Wille will also sich selbst. Oberflchlich be-trachtet kann es als der Eigennutz betrachtet werden. Aber der Wille

    will sein Wesen. Es ist ein Miverstndnis noch zu bemerken. Wennman sagt, der freie Wille, so ist er sozusagen nur ein Wille, aber

    wenn der Wille in seinem Begriffist, so ist er nur an sich. Erst inso-

    fern er sich sein Gegenstand ist, so ist er der fre ie Wille. Ist er nicht

    sich selbst sein Gegenstand, so ist er der abhngige Wille. Wenn manfragt: was ist das beste des Menschen? So ist die Antwort: da erfre i sei; aber dies ist von Willkr unterschieden. Subjekt ist derfreie Wille, Form ebenfalls Inhaltdies ist also die Wahrheit, | es ist

    aber die abstrakte Wahrheit. Es ist hier der Unterschied nicht zu sei-nem Recht gekommen. Die Verwirklichung der Freiheit erst ist die

    Wahrheit. Als System von Bestimmungen ist dies ein System der

    Notwendigkeit. Die Freiheit wird darin zur Notwendigkeit und die

    Notwendigkeit zur Freiheit.

    Wodurch geschieht die Erhebung des Besonderen zum Allgemei-

    nen? Diese ist notwendig. Dies geschieht durch Denken. Der frei-

    heitliche Wille hat seinen Gegenstand (den freien Willen) nur durch

    Denken. Man kann von dem Sklaven sagen: er denkt sich nicht,

    darum ist er Sklave. Er wei nur von sich als Endlichem. Er lebt inder Abhngigkeit, in der Endlichkeit. Hierher fllt der absolute Wertder Bildung; der gebildete Mensch macht alles auf eine allgemeine

    Weise. Die Originalitt geht zugrunde; nur, was zugrunde geht, istdie Roheit. Pflichten enthalten eben das, was die Triebe enthalten.

    Barbarische Vlker fr fein zu halten, ist Irrtum, ebenso mit demMittelalter. Ebenso, wenn der Mensch etwas durch seine besondere

    Meinung entscheidet, blo aus dem Herzen. Es gehrt hierher auch

    die Frmmelei, welche durch bloe Empfindung das zu habenmeint, was allein durch das Denken herauskommt. | Mit eben dem

    Recht sagt man, da ein Schlauer und Pfiffiger viel Verstand hat.Dieser hat die Endlichkeit zum Zweck. Ein groer Geist hat aucheinen groen Willen. Unser allgemeiner Standpunkt ist: Das, wasder freie Wille will, ist die Freiheit. Das Dasein des an und fr sichseienden Willens ist das Recht.

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    Einleitung 13

    [Einteilung]

    (Die erste Sphre ist das formelle Recht. Die unmittelbare Idee istder Wille, den der freie Wille will.) Die Idee der Freiheit ist nur

    formell; sie hat sich zu bestimmen, aber alle diese Bestimmungen

    haben nur [dadurch] Realitt, da sie diese Bestimmungen sind.(Der Mensch ist darum absoluter Selbstzweck; er ist an und fr sichbestimmt. Er ist nicht ein solcher, auer welchem der Begriffseinerwre. Alles andere ist Mittel; es ist in sich ein Selbstloses.) Diese Ideeist zunchst also formell. Das Freie verhlt sich zu sich selbst. DerUnterschied ist noch nicht darin. Das Setzen des Unterschiedes hat

    eine doppelte Form, nach auen und nach innen. Das Freie, das frsich ist, macht die Grundlage des abstrakten Rechts selbst aus. Daszweite ist, da der Unterschied gesetzt ist,|d.h. die Aufhebung derersten Unmittelbarkeit. Die Stufe dieses Verhltnisses ist der morali-sche Standpunkt. Die Beziehung des Willens auf sich ist dann der

    subjektive Wille; was fr uns ist, ist eben der Wille selbst. Indem wirden Begriffdenken, so sind wir sozusagen voraus. Das zweite ist das

    Gesetztsein des Unterschiedes, dies ist eben der moralische Stand-

    punkt (AbsichtEinsicht). Im ersten, im Recht gilt die Absicht

    Einsicht noch nicht. Hier aber schon. Was wir Triebe und Nei-gungen nennen, kommt auf dem moralischen Standpunkt vor. Das

    Gute, die Idee berhaupt, die realisierte Idee, was nur sein soll. DasGute als das Allgemeine ist ber beiden. Beim moralischen Stand-punkt kommt es nur zum Sollen. Das dritte ist, da dieser subjektivemoralische Wille dies aufhebt und zum Begriffzurckkehrt. Dies istdann die Sittlichkeit. Hier soll das Gute nicht nur sein, sondern i s t ,

    soll nicht blo einen Inhalt haben, sondern hat ihn auch. Die andere

    Seite ist der Unterschied nach auen. Nmlich, der Wille ist Idee ansich.|Der Begriffmu auch Realitt haben. In der Stufe, die wirhaben, haben wir [ihn] zugleich auch als Idee zu betrachten, nicht

    nur als Begriff, sondern gestaltet, wie er da ist. Wir haben also nicht

    nur eine Reihe von Begriffen, sondern auch eine Reihe von Ge-

    346 will]AmRande: Das Recht ist darum das Heilige, weil es eine Sub-stanz des Freien fr das Freie ist.

    372 haben]Am Rande: Die hchste Idee macht den Schlu

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    14 Einleitung

    staltungen des Begriffs; in diesen Gestaltungen stellen wir uns die

    Dinge erst vor. Wenn man vom Begriff redet, so kann es den An-

    schein haben, da es etwas Fernes sei. Aber die Phi losophie ist es,was dieses Ferne aufhebt. Unser Leben und unser Dasein enthltdiese Idee wirklich in sich; eben, weil die Idee das Wahrhafte ist.

    Wir bestehen allein in diesen Formen der Idee; es ist sehr falsch, das

    gering zu achten, worin man tglich lebt, denn dies enthlt die Ideegerade. Das Dasein, was sich die Idee gibt, ist das Dasein des Be-

    griffs, und als Dasein ist es ein Verschiedenes des Begriffs. Aber in

    diesem Dasein bestimmt sich der Begriff. Wenn man beim Begriff

    anfngt, so ist das Dasein nicht Anwendungen des Begriffs.|Das

    Besondere kommt her nicht von auen. Das Besondere berhauptwird durch den Begriffselbst gesetzt. Den ersten Teil macht also dasabstrakte formelle Recht aus.

    377 vor]Am Rande: Eigentum, Vertrag

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    Das abstrakte Recht 15

    ERSTER TEIL

    DAS ABSTRAKTE RECHT

    Der Name Naturrecht ist zu verbannen, weil er nicht bezeichnend

    ist. Die abstrakten Rechte, sagt man, seien die absoluten, und man

    meint, als ob die Realitt derselben in einem Naturzustand zu findensei. Zustand heit berhaupt unmittelbare Realitt. Die Wirklich-keit des Rechts ist nicht ein unmittelbarer Zustand. Das Recht muvernnftig sein, d.h. durch den vernnftigen Geist hervorgebracht.

    Hierher gehren die schlechten Fiktionen, d.h. fr die Philoso-phie, von einem goldenen Zeitalter, von einem Paradiese, als obdieser Zustand je einmal existiert habe. Eben deswegen sind solche

    Zustnde nicht solche, wonach man sich zu sehnen hat. Es ist diesetwas Kraftloses und Mattes. Von einem solchen Naturzustand kann

    also gar nicht die Rede sein. |Wir haben das abstrakte Recht als derMoral entgegengesetzt zu erwgen.

    Der Wille, der fr sich frei ist, [ist] der Wille, der sich unmittelbarin seiner Freiheit auf sich bezieht. In dieser Befreiung ist die Bezie-

    hung einfach. Deswegen ist es die Beziehung des Seins oder der Un-mittelbarkeit. Die rein [sich] auf sich beziehende Negativitt ist dereinzelne Wille. Der freie Wille, welcher fr sich frei ist, ist, was wirPerson, Persnlichkeit nennen. Person, Individuum sind voneinan-der unterschieden. Die Person ist das Atom. Die Individualitt istfreilich auch das Atom, aber es enthlt dieses noch, da die Unter-schiede in ihm sind. Die Individualitt ist an sich das unendliche Be-stimmtsein. Die Person hingegen ist das Einzelne, insofern es fr sich

    frei ist. Persnlichkeit ist das Hchste im Menschen; es ist das, da ichDieser bin und da ich in diesen Bestimmungen mich verhalte alsein Freies. Persnlichkeit ist seine hchste Wrde. In der Persnlich-keit wei ich mich schlechthin als das Freie. |Das Recht berhauptkann ausgedrckt werden: es sei eine Person und der andere sei ihrPersonen. Wer Rechte hat, ist Person. Der Sklave selbst, welcher

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    16 Das abstrakte Recht

    keine Rechte hat, ist keine Person. Die Menschen sind sich von

    Natur ungleich. Die Gleichheit aller Menschen liegt in der Persn-lichkeit. Dieser Gedanke ist vorzglich durch das Christentum inder Welt allgemein geworden. Es ist Gott Mensch geworden; dies ist

    die Identitt der beiden, da der Mensch gestorben ist und danachdie Menschen selig werden. Es liegt hierin, da jedes IndividuumFhigkeit hat, Anteil zu nehmen an der Seligkeit. Sowie diese Ideesich festsetzt, so mu die Sklaverei verschwinden. Im Kastenunter-schied der Inder ist es anders; die Naturbestimmtheit ist bei ihnen

    unberwindlich. Alles Besondere, das der Mensch hat, alles, was die-ses ist, [ist] nur das Zweite gegen sein Erstes. Im Kastenunterschied

    ist diese schlechthin das Erste. Wenn man dies wei, so kann manbehaupten, da in Indien weder Recht noch Sittlichkeit galt, nochwahre Wissenschaft blhte. Also die Naturbestimmtheit ist fr unsdas Untergeordnete; es gehrt in die[se] Sphre, da es so sein kann,da es aber auch anders sein kann. |Die Idee mu das Moment derNatrlichkeit selbst hervorbringen. Das Abstrakte ist die absoluteGleichheit. Wir gehen weiter. Wir sagen, wenn wir verchtlich vonjemandem sprechen, diese Person; es hat darin seinen Grund, dadieser Ausdruck das Abstrakte bezeichnet.

    Das erste Recht ist, da ich als Person da sein kann. Aber Personund das Recht ist etwas Abstraktes. Aber ich bin nicht nur Person,

    sondern auch Individualitt, Konkretes. Die Besonderheit geht nachallen Seiten. Wir haben Bedrfnisse, Triebe und Neigungen. DieseBesonderheit ist nicht in diesem formalen Recht enthalten. Es

    kommt nicht auf ein Interesse an; dies Recht macht keine Unter-

    schiede der Person, sondern dies bleibt auf der Seite liegen: fiatjustitia pereat mundus. Das strenge Recht hat keine Rcksicht auf

    das Wohl der Menschen zu nehmen. Weil der Zustand ein Konkretesist, so ist insofern das Recht nur das Mgliche. Zum Handeln ge-hrt noch weiter Inhalt. Insofern heit das Rechtliche eine Erlaub-nis, Befugnis; es ist blo die Mglichkeit. Man kann deswegen sagen,das Recht ist nur in [einer] Person. |Das Verhltnis gegen anderes istein negatives Verhltnis; es gibt keine Rechtsgebote, sondern nurRechtsverbote. Oft ist der Satz wohl positiv, aber nur im Ausdruck

    60 nehmen] sehen

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    positiv, [in Wahrheit] aber ist es immer das Negative. Personen sind

    diese abstrakten, fr sich seienden Einzelnen. Vom Standpunkt derPersnlichkeit sind viele Lehren ausgegangen. Aber man hat ver-gessen, da dies nur das Abstrakte ist. Es ist nur diese abstrakte Un-mittelbarkeit. Deswegen ist es auch falsch, da man den Staat aufeinem Urvertrag grnden wollte. Man versteht gewhnlich unterallgemeinem Willen den Willen aller Einzelnen; dies ist aber die

    schlechte Allgemeinheit und vielmehr die Allheit. Der Standpunkt

    der Persnlichkeit ist also mit Recht geltend gemacht worden, manvergesse nicht, da die Freiheit in der Form der Allgemeinheit ist. Esist ein Grundirrtum, der Verwirrung verursacht hat und mit dem

    sich viele herumschleppen und darum das Wahrhafte zu habenmeinen. Das zweite ist die Besonderheit, welche uns hier nicht an-

    geht. Das dritte ist das Moment des Einzelnen, die schlieende Ein-zelheit, die ausschlieende Einzelheit. Die Person, weil sie in sichden Unterschied nicht hat, so fllt der Unterschied nach auen.Dies ist dann die Sphre der Erscheinung.|Das Verhltnis ist das,da, indem die Person dies Absolute in sich ist, alles andere auer-halb fllt.

    Das erste ist: Die Person macht sich eine Sphre ihrer Freiheit.

    Dies ist der Besitz, Eigentum. Das unmittelbar Sich-Dasein-Gebenist das ersteEigentum berhaupt. Das zweite: Indem ich ein Da-sein gegeben habe, so bin ich zugleich auch anderes. Ich habe Wirk-

    lichkeit nur dadurch, da ich mir Gegenstand bin. Das Verhltnisvon Person zu Person, und zwar in Beziehung auf das Eigentum. Ich

    bin im Verhltnis zu den Sachen, welche ein Eigentum eines ande-ren sind, welche einen Willen in sich haben(indem ich mich darinverwirkliche). Es geschieht das Eigentumsaneignen nur durch die

    Vermittlung des Willens des anderenVertrag.Das dritte: Da ich als Person fr mich selbst bin und unterschie-den von anderen und zugleich auch identisch mit anderen. Hier tritt

    die Allgemeinheit ein und auf der anderen Seite eine Person. Diese

    doppelte Beziehung ist wesentlich meine eigene; dies macht die Stufe

    des Unrechts berhaupt ausnmlich auf der einen Seite das All-

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    gemeine und auf der anderen das Besondere. Damit ist Zwang, Ver-

    brechen und Unrecht gesetzt.|Dies ist historisch vorgegriffen; einevorherige Angabe dessen, was die Sache selbst herbeifhren wird.

    [Erster Abschnitt]

    [Das] Eigentum

    Die Person hat die Bestimmung, Eigentum zu haben. Die Person

    wird deswegen in einem gewuten Status betrachtet. Hierher ge-hrt der Status der Freiheit und Status der Sklaverei. In unserer An-

    sicht ist die Sklaverei schon weggefallen. Die Sklaverei gehrt dembarbarischen, unrechtlichen Staat. Zu den Personen gehren auchdie Verhltnisse der Familie. Die Familienrechte sind kein rein recht-liches Verhltnis.

    Freiheit berhaupt. Da die Person eine einzelne ist, entsteht ausdem Begriffder Freiheitdas Freie, das sich selbst frei will. Der Be-griffhat sich wesentlich in das Dasein zu setzen. Der Begriffin der

    Realitt ist das Recht. Diese Totalitt fllt nicht nur in unsere Be-trachtung, sondern sie ist [auch] die Grundlage, da das Freie frei ist.

    Es ist der Wille, der die Subjektivitt aufhebt und sich Dasein gibt.Dies Dasein ist zuerst ebenso abstrakt oder unmittelbar. Das Dasein

    ist ein Vermittelndes; es enthlt in sich die Freiheit. Aber Eigentumist die Person, welche sich ins Dasein setzt; sie ist sich gegenstndlich

    sie spinnt sich in einem Gegenstand an.Was ist das Interesse, da der Mensch sich Eigentum gibt? Es ist

    das Interesse zweifach: erstens ein empirisches Interesse, um die Be-

    drfnisse zu befriedigen.|Es ist insofern das Eigentum etwas Unter-

    geordnetes; es ist verstndig, es zu haben. Die andere Seite ist die ver-nnftige Seite. Der Mensch mu Eigentum haben, zunchst nichtum die Bedrfnisse zu befriedigen. In dem Eigentum gibt die Frei-heit sich Dasein. Das Interesse der Vernunft ist es, was fr sich Werthat. Wenn ich mir Dasein gebe, so bin ich einerseits dieses Freie,

    andererseits bin ich aber auch Person. Die Person steht in dieser

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    Stufe in Beziehung zu anderen uerlichen Dingen. Was die Artund Weise betrifft, die Sachen zu den Unsrigen zu machen, dies

    geht uns hier gar nichts an. Wir verhalten uns zu den Dingen als

    eine uerliche Gewalt gegen sie. Es gehrt zu diesem uerlichen,da wir auch unmittelbaruerlich sind. Damit, da wir einen Kr-per der Natur haben, gehrt er noch nicht unserer Freiheit an. Wirmssen erst Meisterber ihn werden, ihn uns aneignen. Ebenso mitden Fertigkeiten des Geistes; erst durch die Bildung wird der Geist

    das Dasein uerer Freiheit. Unser Krper und unser Geist sind ab-strakt schon Dasein meiner Freiheit. Das Freie hat als Unmittelbares

    zum uerlichen ein Verhltnis. |

    Das zweite ist, da ich Freies bin. Indem ich mich als Freies wei,kann ich von allem anderen abstrahieren. Alles andere hat kein Gel-ten mit mir. Allein die Persnlichkeit hat noch eine weitere Be-deutung. Ich bin fr mich ein Freies; die Freiheit des Geistes ist dieAllgemeinheit, da in ihr alles andere nichtig ist. Da die Freiheitabsolute Grundlage ist und alles andere nichtig, gehrt in die vorher-gehende Phi losophie. Indem ich mich als Freies wei, als Freieswill, so ist alles andere nichtig. Wenn ich als Mensch mit uerenDingen in Berhrung