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u) I 0 -/-c. s ,A-3 f#,RVARD UNiVERS1D> 1-IBRARY MAR 151984 Erste Auflage 1983 © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1983 Alle Rechte vorbehalten Druck: MZ-Verlagsdruckerei GmbH, Memmingen Printed in Germany Cfl'<Kurztirelaufnahme der Deutschen Bibliothek Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Philosophie des Rechts: d. Vorlesung von 1819120 in e. Nachsehr. / Georg Friedrich Wilhelm HegeL Hrsg. von Dieter Henrich. - 1. Auf}.- Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1983. ISBN 3-5'8-07596-9 kort. ISBN 3-518-07595-0 Gewebe NE: Henrich, Dierer [Hrsg.] INHALT 1. Einleitung des Herausgebers: Vernunft in Verwirklichung Prinzipien der Edition . . . II. G.F.W. HEGEL PHILOSOPHIE DES RECHTS Die Vorlesung von 1819120 in einer Nachschrift Inhaltsanzeige Text . III. Anhang Bericht zur Edition. Erläuterungen Kommentare . Sonderkommentar I Paragraphenziffern der Vorlesung von 18 I 8!I 9 in der Nachschrift von 1819120 . Sonderkommentat II Inhaltsanzeige und Überschriften Sonderkommentar BI -Identitat- und -Idealitat- im Text der Nachschrift . Nachtrag .. Konkordanz Personenregister 9 43 45 4 6 297 349 355

Hegel Phi Lo Sophie Des Rechtes Vorlesung 1819 1820

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f#,RVARD UNiVERS1D>1-IBRARY

MAR 151984

Erste Auflage 1983© Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1983

Alle Rechte vorbehaltenDruck: MZ-Verlagsdruckerei GmbH, Memmingen

Printed in Germany

Cfl'<Kurztirelaufnahme der Deutschen BibliothekHegel, Georg Wilhelm Friedrich:

Philosophie des Rechts: d. Vorlesung von 1819120in e. Nachsehr. /Georg Friedrich Wilhelm HegeL Hrsg. von Dieter Henrich.

- 1. Auf}. - Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1983.ISBN 3-5'8-07596-9 kort.

ISBN 3-518-07595-0 GewebeNE: Henrich, Dierer [Hrsg.]

INHALT

1. Einleitung des Herausgebers:Vernunft in Verwirklichung

Prinzipien der Edition . . .

II. G.F.W. HEGELPHILOSOPHIE DES RECHTSDie Vorlesung von 1819120in einer Nachschrift

Inhaltsanzeige

Text .

III. Anhang

Bericht zur Edition.

Erläuterungen

Kommentare .

Sonderkommentar IParagraphenziffern der Vorlesung von 18 I 8!I 9 in derNachschrift von 1819120 .

Sonderkommentat IIInhaltsanzeige und Überschriften

Sonderkommentar BI-Identitat- und -Idealitat- im Text der Nachschrift .

Nachtrag ..

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Einleitung des Herausgebers

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Georg Friedrich Wilhe!m Hege!

Philosophie des RechtsDie Vorlesung von 1819120

in einer NachschriftHerausgegeben von Dieter Henrich

Suhrkamp Verlag

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VERNUNFT IN VERWIRKLICHUNG

L Eine neue Quelle

Mi, dieser Veröffentlichung wird die Grundlage für das Studium vonHege!s Philosophie des Rech" beträchtlich erweitert. Sie macht eineNachschrift von Hegels Vorlesungen über -Naturrecht und Staatswis­senschaft< aus dem Wintersemester 1819120 aus dem Besitz der Lilly­Library der University of Indiana bekannt. Von ihrer Existenz wußtebisher niemand etwas. Sie ist derzeit die einzige Quelle von HegelsVorlesungskurs in diesem für die Herausbildung und die Beurteilungseiner politischen Theorie gleichermaßen entscheidenden Jahr: DerKurs begann unmittelbar nach der Bekanntgabe der sogenanntenKarlsbader Beschlüsse und der zu ihrer Durchführung in Preußenerlassenen Verordnungen. Er ging der endgültigen Niederschrift undder Drucklegung der »Grundlinien der Philosophie des Rechts« unmit­telbar voraus. Deren Manuskript hat Hege! mit der Unterschrift unterdie Vorrede am 25. Juni 1820 abgeschlossen.Hegels -Rechrsphilosophie. ist als »Grundriß« »zum Gebrauch fürseine Vorlesungen- über »Naturrecht und Staatswissenschafte erschie­nen (zum Titel der Vorlesung und zum Titel dieser Tradition vgl. K46,1). * Er ist also so konzipiert, daß er der weiteren Ausführung in denVorlesungen bedarf. Zwar hat Hege! sein Buch so gestaltet, daßRücksicht darauf genommen ist, daß es auch »vor das größere Publi­kum kommt- (Rph. S. 3), also von denen gelesen werden wird, dienicht seine Hörer waren. Er sagt, daß er auch aus diesem Grund einigeder Anmerkungen zu den Paragraphen -weiter ausgeführt- hat, - in derAbsicht auf Verdeutlichung von Theoremen und auf Onsbestimmungder 'eigenen Position gegenüber abweichenden Vorstellungen undLehrmeinungen über Inhalte der politischen Theorie (Rph. S. 3). Aberdadurch wurde an der Eigenschaft des Werkes, ein .Grundriß, zu sein,nichts geändert. Das Werk hat nicht die Form der voll ausgearbeitetenAbfolge eines philosophischen Gedankenganges und auch nicht derEntwicklung einer Theorie in dem ganzen Umfang ihrer Verfugungund ihrer Konkretion.Eine in sich selbständige und aus sich allein begründete Theorie konnte

* Die bei den Verweisen in dieser Einleitung gebrauchten Abkürzungen sind auf denSeiten 42 und 295f. erläutert.

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Hegels Rechtsphilosophie allerdings auch durch die breitere Ausfüh­rung in den Vorlesungen nicht werden. Denn sie ist ganz eingebettet indie Gesamtentwicklung des Systems, von der sie eine Phase, dieTheorie des .objekriven Geistes-, in der Isolation eines eigenen Vorle­sungskurses darstellt. Im Grundriß wie in den Vorlesungen selbst mußalso auch die eigentlich notwendige durchgängige Bezugnahme auf dietheoretischen Fundamente des Systems fehlen, die in der»Wissenschaftder Logik- unverkürzt ausgeführt sind. Aber die Komposition derinneren Gedankenfolge und vor allem der Gehalt der einzelnen Analy­sen der Rechtsphilosophie können nur im Zusammenhang mit den inden Vorlesungen selbst gegebenen Ausführungen zu wirklicher Deut­lichkei t kommen.Schon Eduard Gans, der Herausgeber der .Rechrsphilosophie. in derersten Gesamtausgabe, hat deshalb Hegels Text aus zwei Nachschriftenvon Hegelschülern mit Zusätzen versehen. Diese beiden Nachschriftenstehen auch heute noch zur Verfügung und liegen inzwischen im Druck(Ilt. 3,4) vor. Sie stammen aus Vorlesungskursen, die Hege! nach demErscheinen des Grundrisses und unter der Voraussetzung gehalten hat,daß sein Buch in der Hand seiner Hörer gewesen ist. Hegel hat solcheKurse dreimal, in den Wintersemestern 1821122, 1822123 und 1823124,gehalten, und er begann gerade mit einem vierten Kurs im Jahre 1831,als er der Cholera erlag. Mit der Ausnahme des Kurses von 1821122sind uns diese Vorlesungen durch die Nachschriften von Hotho (1822/2) und v. Griesheim (182)124) sowie durch die von D.F. Strauß(18)1) dokumentiert.Bevor Hegels Grundriß erschienen war, standen seine Vorlesungenüber Rechtsphilosophie unter ganz anderen Bedingungen: Er hatte inden Vorlesungen selbst die Grundlage für das Verständnis seinerTheorie zu erarbeiten. Denn die 53 Paragraphen der ersten Auflageseiner »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften« schienenihm offenbar nicht weitläufig und in sich gegliedert genug, um als einGrundriß für solche Vorlesungen zu dienen, und dies wohl auchdeshalb, weil er mit Hörern zu rechnen hatte, die sich auf Philosophienur insoweit einlassen wollten, als sie Rechtsphilosophie war. So hatHegel die Heidelberger Vorlesung über .Naturrecht und Staatswissen­schaft< vom Winter 1817!I8 und die erste Berliner Vorlesung diesesTitels nach jeweils eigens ausgearbeiteter Paragraphenfolge gelesen, dieer in den Vorlesungsstunden diktierte. Von der Heidelberger Vorle­sung ist uns nur ein winziges Bruchstück indirekt überkommen (vgl.Hegelstudien VII, '972, S. 2), während die Diktatenfolge der ersten

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Berliner Vorlesung in einer Nachschrift (von Homeyer) überliefert ist,die zusammen mit den Nachschriften von Hotho und v. Griesheimzum seit langem bekannten Besitz der Staatsbibliothek PreußischerKulturbesitz gehört. Diese Diktate sind von Homeyer mit zwarprägnanten, aber wenigen und sehr summarischen Notizen aus demvon Hegel frei Ausgeführten ergänzt worden. .Die hier publizierte Nachschrift der Vorlesung von 1819120 übertrifftHomeyers Manuskript um ein Vielfaches in ihrem Umfang (vgl.Bericht zur Edition, S. 306). Und sie weist die Besonderheit auf, keineDiktate Hegels zu enthalten. Es läßt sich sehr wahrscheinlich machen,daß Hegel in diesem einen der insgesamt sieben Kurse über Naturrechtund Staatswissenschaft keine diktierte oder publizierte Paragraphen­folge zugrunde gelegt hat.Darum konnte aus dieser Vorlesung ein Manuskript hervorgehen> dasHegels Rechtsphilosophie in einem ununterbrochenen Argumenta­tionsgang entfaltet. So hat es mit Hegels populäreren Vorlesungskur­sen über Geschichtsphilosophie, über Geschichte der Philosophie undüber Ästhetik manche Gemeinsamkeiten, darunter die Direktheit undFrische der Entwicklung, die sich aus der Kontinuität zwischen derlogischen Fundierung, der Gliederung des Ganzen und der Entfaltungder konkreten Materialien der Theorie des Rechts ergeben, zu denenHegel, wie kaum einem anderen, ein über Jahrzehnte erworbenerReichtum an Ideen, Tatsachenkenntnis und Diagnosen zu Gebote

stand.Es ist allerdings sogleich hinzuzufügen, daß die hier veröffentlichteNachschrift erst allmählich dazu gelangt, den Fluß von Hegels Vortragals solchen wiederzugeben. Der Hörer der Vorlesung, aus dessenNotizen die Nachschrift durch einen professionellen Schreiber erstelltwurde (vgl. Bericht zur Edition, S. 3°3» war zu Beginn des Kurses nichtnur außerstande, Hegels Ausführungen zu verstehen. Er war auch mitwenig Begeisterung bei der Sache und versäumte möglicherweise einigeSrunden (vgl. die Konkordanz). Es scheint, daß sein Interesse erst beimKapitel über das Gute und das Gewissen wirklich lebhaft geworden ist.Bis zu diesem Kapitel macht die Lektüre der Nachschrift Mühe) wennsie nicht in ständigem Bezug auf die aus anderen Quellen, zumal ausden von Hegel publizierten .Grundlinien-, bekannte Theorienfolge vonHegels Rechtsphilosophie erfolgt. Aber vom zweiten Viertel an wirdder Text der Nachschrift zu einer Lektüre, die leichter und erfreulicherist als die irgendeiner anderen Quelle aus Hegels politiktheoretischem

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Das an so entlegener Stelle aufbewahrte Manuskript der Nachschriftwurde nicht durch Zufall, aber auch nicht aufgrund einer systemati­schen Suche nach Quellen zu HegeIs Rechtsphilosophie gefunden. DerFund ergab sich im Zusammenhang der systematischen Suche nacheinem erheblichen Bestand von Hegelmanuskripten, VOn denen derHerausgeber nachgewiesen hat, daß sie im Besitz von Arnold Genthewaren, v~n ihm a?er nicht an die Harvard Universität abgegebenworden sind, ~n die Genthe den weitaus überwiegenden Teil seinerHegelmanusknpte verkauft hatte. Dieser Nachweis veranlaßte einenRundbrief an alle Bibliotheken, die als Käufer von Hegelmanuskriptenin Frage z~ kommen schienen, - aber nur in den Vereinigten Staatenvon Amenka (vgl. auch D. Henrich, Long-Missing Hege! PapersSought, m: Manuscnpts XXX, '978, S. J09). Der Genthe-Besitz istdabei nicht aufgetaucht, wohl aber, neben einer Reihe weiterer Hegel­Autographen ohne besondere sachliche Bedeutung, die hier publizierteNachschnft der -Rechrsphilosophie.. In Europa hat eine entsprechendesystematische Recherche zur Auffindung von Nachschriften zu HegelsVorle~ungskursen niemals stattgefunden. Es ist also möglich, wennauch in ~betra~ht ~es weitve.rbreiteten Interesses gerade an HegelsRechtsphllosophle nicht unmittelbar wahrscheinlich, daß sich derBestand an Dokumenten zu Hegels Vorlesungen noch erweitern läßt.Durch die hier publizierte Vorlesung steigt er um etwa 25 Prozent an.Aber die sachliche Bedeutung des Fundes ist durch eine solcheGewichtung nach dem Umfang sicher nicht erfaßt.Eine umfassende Auslegung von Hegels Rechtsphilosophie hat sich indrei Problemdimensionen zu begeben, die über weite Strecken unab­hängig voneinander zu verfolgen sind, zuletzt aber aufeinander bezo­ge~ werd~n müssen: 1. Die Verständigung über die in ihr enthaltenenTeiltheorien und über die Weise, in der sie miteinander verbundensind; 2 ".die historis~hen und politischen Beziehungen und Implikatio­nen, mit denen diese Theorien von Hegel teils in ausdrücklicherAbsicht, teils de facro vorgetragen worden sind; 3. die systematischeForm un~ die ~ig~ntümlichkeiten der Theorieposition von Hege1sRechtsphilosophie rm ganzen. Die umfangreiche Literatur weist einbesonders auffälliges Defizit in der dritten dieser Dimensionen auf. Dashier publizierte Manuskript kann kaum helfen, es zu beheben. Denndie Unsicherheit bei der Auffassung von Hegels Theorieform und beider Erörterung von Alternativen, die Hegels Position von ihrer eigenenGrundlegung heraus gewachsen sein könnten, kann nur aus umfassen­der Rekonstruktion und selbständigem Denken überwunden werden.

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Zu den beiden anderen Theoriedimensionen enthält das hier publizierteManuskript aber sehr wesentliche neue Aspekte. Einige von ihnenüberraschen in dem Problemzusammenhang, in den sie gehören, sosehr. daß ihnen leicht der Wert kleiner theoriehistorischer Sensationenbeigemessen werden wird.Im folgenden wird zunächst auf drei Teiltheorien hingewiesen, zudenen das hier publizierte Manuskript neue Einsichten ermöglicht.Danach wird in Kürze erörtert, welche Rückschlüsse aus dem Manu­skript auf Hegels politische Standortnahme in der Zeit der -Demago­gen«Verfolgung zu ziehen sind. Hinweise auf die Theorieform vonHegels Rechtsphilosophie stehen am Schluß dieser Einleitung.

11. Doppelsatz, Moralkritik. Armut und Aufstand

1. EINLEITUNG DER VORLESUNG VON 1819/20 UND VORREDE

DER ))GRUNDLINIEN DER PHILOSOPHIE DES RECHTS«

Hege1 begann seine Vorlesung mit einer Einleitung. Aus ihrem Textoder zumindest aus deren Gedankengang hat er im kommenden Jahrdie Vorrede für die zu druckende .Rechrsphilosophie- herausgearbei­tet. Denn diese Einleitung entspricht nach ihrer formalen Stellung undauch in einigen ihrer Motive dem Vorwort der Vorlesung von 1818/19_Aber bevor die hier publizierte Einleitung vorlag, ließen sich das innereMuster und die Kontinuität in der Ausarbeitung jener Vorrede nichterkennen, die Hegels berühmtester und wohl auch berüchtigster Textist. Die Einleitung definiert wie Vorwort und Vorrede den Standpunktder Hegeischen Theorie: Der Rechtsbegriff ist weder empirisch­historisch noch auch in der Beziehung auf überweltliche Prinzipien zurTheorie zu entwickeln. Diese Theorie vollendet sich im Begreifen derVernünftigkeit des Staates und seiner Verfassung, zu der er sich nur aufje einer bestimmten Stufe der Entfaltung des Freiheitsbegriffes hatausbilden können. Dementsprechend kann die These, daß die wahrePhilosophie die Wirklichkeit nicht überfliegen darf und kann, mitzweierlei Beziehung und Adresse ausgesprochen werden: geschichrs­theoretisch gegen die, welche eine Verfassung verwirklichen wollen,die nicht im Gesamtbewußtsein eines Volkes oder einer Epochebegründet ist, und institutionstheoretisch gegen die, welche den Ver-

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nunftsstaat als begründet ansehen im Entwurf von reinen Ideenwohlgeordneter Lebensverhältnisse. In beiden Beziehungen hautHegels Theorie auf die Überzeugung, daß die Idee als solche und vonsich aus stets zur ihr gemäßen Wirklichkeit kommt. Aber in dergeschichtstheoretischen Beziehung ist die Priorität des Bewußtseinsvon einem welthistorischen Freiheitsprinzip gegenüber seiner Ausge­staltung in der Wirklichkeit betont, während die institutionstheoreti­sehe Beziehung die Priorität der vernünftigen Wirklichkeit gegenüberallen Begriffen betont, welche sich aus der Annahme einer grundsätz­lichen Differenz zwischen Begriff und Wirklichkeit herleiten. BeideBeziehungen sind unabtrennbar voneinander) da Verfassungen histo­risch und nicht zeitlos hervorgehen, ihre Wirklichkeit also nichtjeglichem Bewußtsein von dem ihnen innewohnenden Vernunftprinzipvorausgehen kann. Je nachdem welche der beiden Beziehungen bei derFormulierung des zuletzt einheitlichen Gedankenganges die Domi­nanz und Führung hat, ergeben sich andere Perspektiven bei seinerAnwendung und für die Beurteilung der besonderen Umstände einerVerfassungslage und -entwicklung.Hegels vielzitierter und vielgeschoItener Doppelsatz aus der Vorrededer gedruckten -Rechtsphilosophie- statuiert: »Was vernünftig ist, dasist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig« (Rph. S. 14). SeinAuftritt ist geschichtsrheoretisch eingeleitet, indem er die Beziehungzwischen der Form des Platonischen Denkens, das weltüberfliegend zusein scheint, und dem gerade zur historischen Wirklichkeit werdendenPrinzip der neuen Weltperiode der römischen Welt auf eine gänzlichallgemeine Formel bringt. Aber er ist dann institutionstheoretischformuliert. Denn er hebt nicht hervor, daß sich aus dem neuen Prinzipselbst eine Verfassungswirklichkeit allererst zu gestalten hat. Und ermacht keinen Unterschied zwischen der Wirklichkeit des Vernünftigenim Bewußtsein als solchem und in der aus diesem Bewußtsein dannhervorgehenden Institutionsform des Staates.In der Einleitung zur Vorlesung von 1819120 erscheint nun HegelsDoppelsatz in seiner ursprünglichen Formulierung und, überraschendgenug, in rein geschichtstheoretischem Sinn. Hier besagt er nicht, einhistorisches Prinzip sei stets auch verwirklicht, im Bewußtsein und inden institutionellen Lebensordnungen einer Zeit. Es formuliert mitdem ganzen Nachdruck auf Hervorgang statt auf Zustand, daß keineMacht, weder auf Erden noch in Platons und anderen Himmeln, demwiderstehen könne, wozu ein Volk -in seinem Begriff fortgeschrittenist. Aus diesem Begriff wird sich die Idee über die Subjektivität zu

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einem wirklichen Konkreten, Vorhandenen machen: »Was vernünftigist, wird wirklich, und das Wirkliche wird vemiinftig« (P,4f.).Daß dieser Gedanke und nur er auch den Impuls enthält, aus dem diedoppelt-inverse Formulierung Hegels hervorging, läßt sich nun in allerDeutlichkeit erkennen. In der Version der späteren Vorrede hat HegelsDoppelsatz einen imperial-deklamatorischen Klang. Betrachtet manseine Aussage ihrer Form nach, so erklärt er die Identität von Vernunftund Wirklichkeit von beiden Seiten der Glieder einer Identitätsbehaup­tung her. Damit stellt er, rhetorisch betrachtet, seine Behauptung alsdefinitiv und unwidersprechlich auf. Allerdings weist die Doppelbe­hauptung auch in dieser Version noch eine weitere Komponente auf,die, anders als ein doppelt formulierter Identiratssatz, gedanklicheEntwicklung enthält. Diese Komponente wird dann sichtbar, wennman bedenkt, daß darin, daß das Vernünftige für wirklich erklärt wird,nicht auch schon allem, was in der gewöhnlichen Bedeutung -wirklichegenannt wird, ein Vernunftcharakter zugesprochen ist. Daß aber dasVernünftige insofern wirklich ist, als alles Wirkliche als solches ver­nünftig ist, statuiert der zweite Teil des Doppelsatzes. Diese Kompo­nente der Entwicklung ist aber in der Version der Vorrede, die ohnediesvon der Natur der Vernunft, Wirklichkeit zu definieren, her argumen­tiert, der Erklärung des Definitseins von Hegels Prinzip durch dieDoppelung der Erklärung der Identität von Vernunft und Wirklichkeituntergeordnet.Ganz anders verhält es sich mit der Doppelung in der Version derEinleitung von 1819120. In ihr ist die Doppelung von ihrem theoreti­schen Motiv her wohl motiviert, wenn nicht verlangt. Denn in ihr wirderklärt, daß das Vernünftige sich als solches und von sich her inWirklichkeit überführt und daß insofern die Wirklichkeit als solcheebenfalls Vernunftcharakter annimmt: Sie wird von der Idee her zueinem Ganzen ausgebildet und so in ihr eigentliches Wesen integriert.Diese Doppelung geht nicht von der Einheit von Wirklichkeit undVernunft aus, sondern davon, daß durch die unwiderstehliche Kraftder Vernunft, sich zu verwirklichen, Wirklichkeit zu der ihr eigentüm­lichen Form gelangt. Da sie aus diesem Gedanken kommt, hat dieDoppelung der Formulierung hier nichts von der imperialen Erklärungeines Prinzips, sondern sie ergibt sich, auch in der Hinsicht, in der sieauf den letzten Einheitssinn von Vernunft und Wirklichkeit führt, ganzaus der Logik des Gedankens, - eines Gedankens, der die Bewegungder Vernunftform zur Wirklichkeit und die des Wirklichen zur Ver­nunftform als zwei Seiten eines Vernunftprozesses auffaßt.

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So versteht man einerseits, daß Hege! wohl der Meinung sein konnte,den Sinn seines doppelten Diktums dadurch deutlich machen zukönnen, daß er >Wirklichkeit<von -Schein- und -verganglicher Realität<unterschied und unterstrich, nur für eigentliche Wirklichkeit denIdentitätssinn in Anspruch nehmen zu wollen. So hat er die Wahrheitseines Doppelsatzes, der alsbald von den wichtigsten seiner Gegnerangegriffen worden war, im sechsten Paragraphen der zweiten Auflageseiner -Enzyklopädie- verteidigt. Und seine Schule hat diese Verteidi­gung Zu einem Stereotyp ihrer Selbstdarstellung werden lassen, dasallerdings nie deren Herkunft aus einer Mischung von spekulativemTiefsinn und profunder Verlegenheit verbarg. Zwar hatte auch schondie Einleitung von ,8 '9120 den geschichtstheoretisch gedachten Dop­pelsatz einer Reflexion auf die Beziehung zwischen dem -Getiimmelder Wirklichkeit" das sich dem unbewaffneten Auge darbietet, unddem «Einfachen, und -Allgemeinen. in ihrfolgen lassen (50,,6-23). Da­mit hatte sie für die Formulierung der Version der gedruckten Vorrededen Ansatz geboten. Man versteht aber, daß Heinrich Heine eine be­friedigendere Auskunft, als die es war, die Hegel in der Enzyklopädiegegeben hat, in einer anderen Formulierung sah, von der er berichtete,daß er sie von Hege1 auf seine befremdete Nachfrage hin angebotenerhielt: »Alles, was vernünftig ist, muß sein« (vgl. Hegel in Berichtenseiner Zeitgenossen, hrsg. G. Nicolin, Harnburg 1970, Dokument363)- In dem »muß« dieser Version wird das »ist« der Vorrede unter derVorgabe, ihr Indikativ halte an der institutionstheoretischen Bedeu­tung der Version der Vorrede fest, zurückgedeutet in den geschichts­theoretischen Sinn der ursprünglichen Version von 1819.Die von Heine berichtete Formel muß, soll auch sie die von derDoppelform der Aussage abhängige besondere Kraft von HegelsDiktum bewahren, selbst in einer Doppelform ausgeschrieben werden.Dann müßte sie so lauten: >Was vernünftig ist, muß sein, und was ist,muß vernünftig werdenc Dieser Sinn von Hegels Diktum fällt aberganz mit dem der Version von 1819/20 zusammen. Und unangesehendessen, ob Heines Bericht auch in seiner genauen Wortgestalt Quellen­wert für Hegels Antwort beanspruchen darf oder nicht, ist die Authen­tizität des Sachgehalts der von ihm überlieferten Antwort Hegels durchdie Vorlesung von 1819120 nunmehr gesichert.Dies ist auch dann von großer Wichtigkeit, wenn der Unterschiedzwischen beiden Formeln keinesfalls als eine Diskrepanz zwischenzwei Varianten von Hegels Systemgedanken selbst verstanden werdendarf. Nur je ein anderer Aspekt im Einheitszusammenhang desselben

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Gedankens ist in der ursprünglichen und in der abgeleiteten Versionbetont. Daß eine solche Verschiebung in der Betonung erfolgenkonnte, ist zwar nicht von Hegel selbst, wohl aber von denen, die ihmfolgten, aus gutem Grund für alles andere als gleichgültig erkanntworden.

2. DIE KRITIK DER MORALITÄT ALS GRUNDLAGE FÜR DIE

THEORIE DER SITTLICHKEIT

Hegels philosophische Entwicklung zur Selbständigkeit des Denkenswar mehr als durch jeden anderen einzelnen Faktor bestimmt durchseine Aufnahme der Kamischen Moral- und Religionsphilosophie,durch deren Ausbildung zu einer neuen Form historisch orientierterReligionskritik und schließlich durch die Kritik der Kamischen Lehre.Sie ist uns in den Manuskripten der FrankfurterJahre überliefert, die zuden bekanntesten Werken Hegels gehören und sicher auch zu denen,welche den stärksten Eindruck gemacht haben. Hegel will in ihnenzeigen, daß sich Kants Idee einer Moralität, welche in der jederzeitmöglichen Universalisierung der Maximen unseres Handeins eineErkenntnisregel des Guten haben soll, zunächst in unlösbare Problemebei der konkreten Handlungsbeurteilung verwickelt, um schließlich ihreigenes Prinzip, die in Vernunft begründete Selbstbestimmung desHandelns, zum Zusammenbruch zu bringen. Hegels Folgerung darausist, daß dies Prinzip der -formalen- Autonomie einem höheren Prinzipuntergeordnet werden muß, das seinerseits erst den eigentlichen Sinnvon Freiheit erfüllt. Nur in dessen Zusammenhang soll auch dieKantische Freiheit des guten Willens einen wohlbesrimmten, vonunbeherrschbaren Antinomien nicht mehr bedrohten Ort erhalten.Dieses Prinzip nennt Hegel zunächst -Liebe-, dann .Leben. undschließlich .Geist-, In der -Rechtsphilosophiec ist es als -Sinlichkeit­gefaßt. In diesem Werk sind die Formen des praktischen Bewußtseinsund die Verhältnisse des im Recht sich verwirklichenden Willens ineinem System von Einrichtungen und Lebensweisen zusammenge­führt, das seinen Einheitssinn und seine Differenzierung aus demgewinnt, was Hege! die objektiv gewordene -Idee- nennt.Auch die von Hegel gedruckte -Rechtsphilosophiec enthält in ihremAbschnitt -Das Gute und das Gewissen- eine Paragraphenfolge, in derdie Gedanken der auf Formalität und Subjektivität begründeten Moral-

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lehren seiner Zeit von ihren Grundlagen her entwickelt und kritisiertwerden. Und auch in ihr werden aus den Resultaten dieses Kapitels dieSchlüsselargumente für die Notwendigkeit des Übergangs in dieTheorie der Sittlichkeit gewonnen. Es war jedoch stets auffällig, daßdieser Text in hohem Maße hinter der theoretischen Bemühung, dieKantische Problemdimension der praktischen Philosophie schlüssig zuüberwinden, zuriickgeblieben ist, die Hegels frühe Manuskripte aus­zeichnet, welche sich ganz oder überwiegend um diese Aufgabebemühen. Der gedruckte Text der -Rechtsphilosophie- gleicht ehereiner Inventarisierung von in ihm selbst gar nicht ausgearbeitetenBegründungen. Auch die bisher verfügbaren Nachschriften aus HegelsVorlesungen haben kein anderes Bild gegeben. 18181r9 hat Hegel zudem für die Begründung seiner eigentlichen Position herausragendwichtigen Abschnitt nur fünf Paragraphen diktiert, die von Homeyerspärlich erläutert sind. In Hothos und v. Griesheims Nachschriftenliegt die Paragraphenfolge des Buches zugrunde. Und der vor allem imHeft v. Griesheims ziemlich umfangreiche Text geht überwiegenddarauf aus, den abstrakten Gehalt der Paragraphen und ihrer Ableitun­gen zu- erläutern und zu rechtfertigen und vielerlei Anwendungen aufzeitgenössische Positionen und auch auf theologische Probleme zuentwickeln. Aber in der hier publizierten Vorlesung ist Hegel allemAnschein nach durch die besondere Situation, von vorformuliertenParagraphen unabhängig zu sein, aber auch durch direkte Rede über­zeugen zu müssen, dazu veranlaßtworden, seine Argumentation gegendie Moralformen der Subjektivität originär und in der aus den Jugend­schriften vertrauten Kraft und Konkretion aufs neue zu entfalten. Sohat sich auch in der Nachschrift ein Text ergeben, der zusammen mitden Frankfurter Schriften und der Kritik der moralischen Weltan­schauung in der »Phänomenologie des Geistes« in das Corpus vonHegels wichtigsten moralkritischen Schriften eingehen wird.

3. DIE BÜRGERLICHE GESELLSCHAFT UND DIE ENTSTEHUNG

DER ARMUT

Das Kapitel über die bürgerliche Gesellschaft hat für Hegels Theoriedes Staatesebendie Funktion, welche der Abschnitt über das Gute unddas Gewissen für die Grundlegung der Theorie der Sittlichkeit imganzen hat. Auch in der wiederum knappen Paragraphenfolge des

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gedruckten Werkes hat dies Kapitel die wohl weitreichendsten Folgennach sich gezogen, die irgendein Lehrstück Hegels je gehabt hat. DennMarx' intellektuelle Biographie setzte bei der Ausarbeitung des Zwie­spaltes ein, der ihm zwischen Hegels Einsicht in die Notwendigkeit derEntstehung des Proletariats und seiner Verelendung unter Bedingun­gen der kapitalistischen Produktionsweise und Hegels Meinung zuklaffen schien, der monarchisch verfaßte Staatund seine Institutionenblieben von dieser Dialektik unberührt, so daß sie aus eigenem,höheren Recht zur Bewahrung des sittlichen Lebens gegen sein Zerbre­chen im Klassengegensatz imstande seien. Hegels Ausführungen imAbschnitt -Die Polizei- enthalten, sieht man von Marx' Wertlehre unddamit vom ökonomischen Materialismus ab, den vollständigen Grund­riß zu einerTheorie von der wechselseitigen Abhängigkeit von kapitali­stischer Produktionsweise und verarmender Arbeiterschaft. Und manhat darin stets und zu Recht eine erstaunliche Tatsache gesehen, daßgerade ein Philosoph zu solcher Einsicht in einer Zeit fähig war, inwelcher der Streit der politischen Theorie noch aufzugehen schien inden Gegensatz zwischen der Verteidigung der durch die Revolutiongewonnenen politischen Freiheit und der Erneuerung einer dem altenEuropa nachgedachten Form hierarchischer Ordnung.Die hier publizierte Nachschrift enthält einen freien Vortrag vonHegels Analyse des Ursprungs des -Pöbels, und seiner Entfremdung,der alle anderen Texte in seiner Eindringlichkeit weit übertrifft. DerErörterung des ökonomischen Zusammenhanges, aus dem die Armutals ein Zustand, der »nach jeder Seite hin unglücklich und verlassen ist­(194,171.), hervorgeht, folgt eine Darlegung der vielen Aspekte derNot und der Depravierung der Armen, in der sogar Töne aus Hegelsfrüher Kritik an der Theologie und der Ausbildung der Prediger derchristlichen Botschaft wieder aufkommen. Noch wesentlicher, auch imBlick auf Marx, ist Hegels Diagnose des eigentlichen Ursprungs derErscheinungsform des verarmten .Pöbels- aus berechtigter innererEmpörung. Es ist das Rechtsbewußrsein selbst, das nach Hegel dasRecht einschließt) der eigenen Freiheit ein Dasein zu geben und sie ineiner Lebenswelt und in ihren Institutionen verwirklicht zu sehen,welches dem Verarmten entzogen wird. Darum macht seine Empö­rung, wie immer in der Gestalt von Neid und Haß, nichts als das eigeneRechtsprinzip der bürgerlichen Welt geltend gegen die Auswirkungender aus ihr selbst hervorgehenden Ordnung. Der Arme ist durch dieGesellschaft, die selbst Dasein eines Willens ist, in seinen Zwiespaltgebracht, so daß er gegen dies selbst aus Willen kommende Dasein die

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Kraft und das Recht seines eigenen Willens setzt, dem sein Daseins­recht entzogen wurde.Alle einzelnen Motive dieser Analyse Hegels lassen sich auch anverstreuten Stellen anderer Texte nachweisen, die in Hegels Werküberliefert sind, so daß auf diese Weise auch deren Authentizität nichtzweifelhaft sein kann. Aber nirgends finden sie sich in so beredtemundüberzeugungskräftigem Zusammenbang. Und so findet sich auchnirgends sonst in Hegels Werk die Schlußfolgerung, zu der Hege! mitEindeutigkeit gelangt, wenn auch nach Ausweis des Textes zögerndund in einem Rückverweis versteckt: Die Armut hat in der bürgerli­chen Gesellschaft das Recht zum Aufstand gegen die Ordnung, die demWillen der Freien jede Verwirklichung verwehrt. Hegel erklärt diesesRecht durch den Verweis auf und den Vergleich mit dem Notrecht, dasvon ihm schon an anderer Stelle begründet war. Im Abschnitt über>Wohl und Absicht< heißt es zum Notrecht, die Rechte anderer zuverletzen, in der extremen Gefahr, das Leben als solches zu verlieren:»Nur da ist ein Notrecht anzusprechen, wenn die ganze Totalität derRechtsfähigkeit in Gefahr kommt« (100,2 I H.).Die NOI der Armut istaber nicht die, in der unter bestimmten Umständen die einfachstenBedingungen des Lebens entzogen sind. Diese Not geht aus derOrganisationsform der Gesellschaft als solcher hervor. Und so istnunmehr zu sagen: »Hier hat die Not nicht mehr bloß diesen momen­tanen Charakrer« (I96,7f.). Dies ist nur zu verstehen als die Erklä­rung des Rechtes, gegen die Gesellschaft selbst, welche dem Willen desArmen sein Dasein verweigert, dessen Verwirklichung durchzu­setzen.Es gibt keine andere Stelle in Hegels Werk, an der er Revolution nichtnur als historische Tatsache und Notwendigkeit begreift, sondern einRecht zu ihr aus der systematischen Analyse einer auch für ihngegenwärtigen Institution gewinnt und erklärt. So verwundert es auchnicht, daß er diese Erklärungnur eben und in indirekterForm erreicht.Gleich darauf nimmt er den anderen Faden des Gedankens auf, derAbhilfe der Armut im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft verheißt.Aber die Erklärung des Notrechts zum Aufstand der Armen wirddadurch nicht zurückgezogen. Sie wird allerdings teils verhüllt, teilsmit dem Gedanken des Rechts und der Tendenz der bürgerlichenGesellschaft zur Selbstveränderung und Selbstrelativierung zusam­mengedacht. Und die zentrale Stellung von Hegels Erklärung desNotrechts zum Aufstand wird noch unterstrichen dadurch, daß in ihrdie Abhandlung der inneren Dynamik der bürgerlichen Gesellschaft

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kulminiert, die von vornherein und im ganzen als »die Sphäre derAbhängigkeit und der Nor« charakterisiert worden war (I47,3rf.).Solche Befunde aus dem hier publizierten Text werden jedem, derzuvor. Marx' Kritik von Hegels Rechtsphilosophie gefolgt ist, eineBes~ätlgun.g geben, wi~ sie aus keinem anderen Text Hegels zugewinnen ist. Darum sei noch daraufverwiesen, daß dieser Text auchdeutlicher als die gedruckte -Rechtsphilosophiee,aber in Übereinstim­~ung mit der Nachschrift v. Griesheims, die Überlegungen verdeut­licht, welche es Hegel gar nicht in den Sinn kommen lassen, aus seinerDiagnose vom in der bürgerlichen Gesellschaft selbst hervorgehendenantiriomischen Konflikt die Theorie einer ganz anderen Form VOnGesellschaft zu gewinnen. Für ihn ist die Krise der bürgerlichenProduktionsgesellschah die Krise ihrer Unvollkommenheit. DieseGesellschaft ist vom Eigeninteresse her organisiert. Sie gibt nur jenemWillen, der von diesem Interesse bestimmt ist, sein Recht und Dasein.Das Notrecht der Armen stellt ihr, noch inhaltslos, ein höheres Rechtentgegen. Und die Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft in Reichtumund Armut wird zuletzt nur zum Anlaß, dies höhere Recht zurEntfaltung zu bringen. So ist, was zunächst nur unzulängliche undvorübergehende Abhilfe zu sein scheint, die Gründung von zurSelbständigkeit bestimmten Kolonien, zugleich ein Bildungsmittel, dasnoch im Medium des Eigennutzes, im Handel, ein Bewußtsein von denweiteren Bedingungen des Menschendaseins, ein ,We1tinteresse<erzeugt. Es eliminiert zwar nicht, übergreift aber doch den Gesichts­punkt der Subsistenz, der dem Konflikt der bürgerlichen GesellschaftselI~e Struktur gibt. ?ie so gewonnene Fähigkeit zu allgemeinerBesinnung muß dann m die bürgerliche Gesellschaft selbst zurückge­tra?en:-rerden, um dort zunächst die Fähigkeit zur Ausbildung von aufSolidarität begründeten Institutionen, von -Genossenschafren. zu er­zeugen.

Wenn ~uch die Weise, in der diese Gedankenfolge von Hegel mitinstitutionellen Ideen besetzt wird, deutlich genug an Hegels eigeneund an noch längervergangene Zeiten gebunden ist, so enthält sie dochin der Form ihres Aufbaus ein gewichtiges Theoriepotential. Sie enthältdavon mehr als die schon zu lange geläufige Form von Gesellschaftskri­tik, die aus der radikalen Krise der bürgerlichen Gesellschaft auch ganzdirekt die radikale Alternative zu ihr herleiten will und die meint, jedeAbweichung VOn diesem einfachen Schema könne nichts anderes seinals die Furcht vor der Konsequenz mit der Folge von Symptomkur undAnpassung. Es ist nicht schwer, in das von Hegel entworfene Schema

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eine ganz andere Perspektive einzuzeichnen: von einer Gesellschaft, inder die aus ihr selbst hervorgehenden Konflikte als solche erkanntwerden, und zwar so, daß auch erkannt wird, daß die Bedingungen zuihrer Lösung eine Orientierung voraussetzen, die unter der Vorausset­zung des öffentlichen Bewußtseins, aus dem sie entspringen, nicht zugewinnen ist. Indem eine solche Perspektive wirklich gewonnen wird,ist diese Gesellschaft, ohne zuvor durch eine ganz andere Grundforma­tion ersetzt worden zu sein, doch in sich selbst zu einer anderengeworden. ..Dafür, daß eine solche Umwendung, von der Hegels Ubergang zur-Sinlichkei« wie auch jeder irgendwie noch vergleichbare Ubergangganz abhängig ist, überhaupt als eine Möglichkeit in den Blick kommenkann, muß eine für Hegels Theoriestellung gleichfalls entscheidendeVorbedingung angenommen sein: Es ist nicht notwendig, sondernvielmehr irreführend, die politische Theorie, zumal als Entwicklungs­theorie, in linearer Form anzulegen. Marx' Theorie ist in dem Sinnlinear aufgebaut, daß sie aus einer Grundbedingung, den Produktions­verhältnissen, eine gesellschaftliche Formation hervorgehen sieht, diein eine totale Krise treibt, weshalb sie durch eine neue Totalität anderenPrinzips zu ersetzen ist. Hegels Theorie hat lineare Form nur in der Anihrer Darstellung, Teilfotmationen von Gesellschaft in linearer Folge­ordnung einzuführen. Die Logik, welche diese Folgeordnung steuert,bringt aber von vornherein in Ansatz, daß ein Zusammenhang, der-System- genannt werden darf, nur von einem Komplex mehrererrelativ selbständiger Faktoren ausgebildet wird, deren Einheit durchdas definiert wird, was Hegel ,Begriff< oder .Idee- nennt. Derenlogische Form ist die unauflösbare Zuordnung von einander abhebba­ren Strukturmomenten, die als solche einen zu relativer Selbständigkeitkommenden Sinn haben, - aber so, daß auch er sich nur im Zusammen­hang des Ganzen ergibt, das seinerseits das Gegenteil von einemAggregat ist. Nur innerhalb eines solchen Ansatzes läßt sich überhauptdenken, daß die Krise einer Gesellschaft, die als solche so total ist wiedie der bürgerlichen in ihrer Antinomie von Reichtum und Armut,dennoch partialen Ursprungs und darum auch partialer Natur seinkann. Daß sie aber partialen Ursprungs ist, ist allerdings die notwen­dige Voraussetzung dafür, daß sie in einer Form von Gesellschaftentfallen kann, die reicher entwickelt ist als die, welche in die Krisetrieb. Diese Form folgt der, die kritisch geworden war, nicht einfachnur nach, sondern schreibt diese selbst in sich ein und ist im sodefinierten Sinn die .höhere-. Hegel hat übrigens, trotz des Scheines

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untangierbarer Selbstgewißheit, mit dem er seinen Integrationsbegriff,den vom Staatsorganismus, ausstattete, auch ein Bewußtsein davongehabt, daß die Lösung der totalen Krise aus partialem Ursprung durchIntegration ganz andere Schwierigkeiten mit sich bringt als die bloßeUmwälzung bestehender zu neuen Verhältnissen. Der geschichtsphi­losophischen Vorlesung zufolge war ihm der Konflikt zwischen derFreiheit, die als die des Einzelnen ihr Daseinsrecht hat, und der Freiheitim Bewußtsein eines organisationsfähigen Allgemeinen »diese Kolli­sion, dieser Knoten, dieses Problem ..., an dem die Geschichte stehtund das sie in künftigen Zeiten zu lösen hat« (Vorlesungen über diePhilosophie der Weltgeschichte, ed. Lasson, IV, S.933). So formuliert,alsounabhängigvom Geltendmachendes monarchisch verfaßten Staats­organismus als letzter Synthesis, faßt Hegels Problemformel auchnoch das gegenwärtige Problem der Selbsterhaltung der Menschheit.Denn uns wurde gleichermaßen deutlich, daß die Konflikte, welcheihre modernen Lebens- und Produktionsforrnen erzeugen, nicht nie­derzuhalten sind, wie, daß sie sich durch Umkehr oder durch einenSprung in vermeintlich ganz andere Verhältnisse nicht lösen. DerGedanke an ein Allgemeines, in dem sie auf eine andere Weise sowohlzum Austrag kommen als auch grundsätzlich begrenzt werden könn­ten, hat also wirklich einen höheren Vernunftsinn als der aus linearerGeschichrstheorie begründete Aufruf zu einem Neubeginn ausUmwälzung, der unter der Last der geschichtlichen Wirklichkeit selbstschon gealtert ist. Ein solcher Aufruf ist, anders als Marx es meinte, aufkeine Weise, also auch nicht über Umorganisationen oder die Abtren­nung von -fortschrittlichen- Momenten, aus Hegels Theorie herzulei­ten, ohne daß dabei deren Grundform zerstört wird. Aber beide habendennoch die Einsicht miteinander gemein, daß das Vernünftige derMenschenwelt, und zwar unter Konflikten, wirklich zu werden hat,daß es sich also, sofern es wirklich ist, nicht etwa von selbst verstehtund gedankenunfähige Einhausung zuläßt oder begünstigt. (Vgl. D.Henrich, Logische Form und reale Totalität, in: Hegels Philosophiedes Rechts, ed. Henrich/Horstmann, Stattgart '982, S. 428ft)

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Ifl. Der Fürst als Gedanke und die Zensur als Faktum

Die vierte Teiltheorie Hegels, zu deren Verständnis das hierpublizierteManuskript Wichtiges beitragen kann, ist auch der Bereich, der mitHegels Standort zu im engeren Sinne politischen Alternativen amdeutlichsten verbunden ist: die Theorie der fürstlichen Gewalt. Es istbekannt, daß Hegels Rechtsphilosophie die Erbmonarchie preist.Deren Vorzug ist es nach Hegel, daß sie alle Institutionen des Staatesauf andere Weise als durch bloße Kontrolle miteinander vereinigt unddaß sie diese Einheit auch insofern vollständig macht, als sie eine letzteInstanz des Entscheidenkönnens darstellt, welche durch keine demStaat äußere Entscheidungsmacht realisiert werden kann und muß. Esist oft hervorgehoben worden, daß Hegel in dieser Staatskonzeptionallen Freiheitsrechten der Bürger wohl einen Raum zu ihrer Entfaltung,nicht aber die Spur eines Rechtes auch gegen die Staatseinheit selbstzuspricht. Man muß einsehen, daß die Konzeption selbst dem wirklichdefinitiv entgegensteht.Diese Grundposition, die Hegellange vor der Berufung nach Heidel­berg und somit dem Beginn der Vorbereitung seines Lehrbucheseingenommen hat, ist) wie nicht anders zu erwarten, in allen Quellenganz unverändert durchgehalten. So kommt sie auch in der Vorlesungvon r819/20 wie in allen anderen Nachschriften aus den Kursen Hegelszu unzweideutigem Ausdruck. Aber auch sie läßt einen Spielraum fürdie Darstellung und in der Akzentuierung offen:Zu Hegels Lehre von der Monarchie gehört auch die Abwehr derVorstellung, die Staatseinheit als solche und die Ordnungder Verfas­sung gehe von der Person des Fürsten aus. Da das Umgekehrte gilt, derFürst selbst also Institution ist, kann betont werden, daß sein letztesEntscheiden in die Wirklichkeit der Verfassung eingebunden und somitauch VOn einer Regierung aus Willen und Ermessen des Monarchenganz zu unterscheiden ist. Umgekehrt kann aber gegen den Konstitu­tionalismus nach englischem Vorbild auch betont werden, daß demFürsten das Recht zukommt, von sich aus zu bestimmen, wo undinwieweit er in dem in Institutionen verankerten Entscheidungsprozeßzum -Selbsrregieren- überzugehen habe.Auch diese Zweideutigkeit ist in Hegels Theorie von ihrer gedank­lichen Fundierung her eingebaut. Sie füllt fast die ganze Spanne auszwischen einem Konstitutionalismus, der die Monarchie nur nochdurch die Erblichkeit des höchsten Amtes vom reinen Repräsentativsy­stem unterscheidet, und einem in der Konstitution verankerten Abso-

flutismus des Entscheidens. Es gibt keinen Text von Hegels Hand zurVerfassungslehre, der nicht auchmanifest oder tendenziell durchdieseZweideutigkeit gekennzeichnet wäre. Und doch sind die Verschiebun­gen erheblich, welche jeweils durch einen Akzent auf die eine oderandere der beiden Implikationen in die Selbstdarstellung und dasOberflächenprofil seiner politischen Theorie kommen. So hat manschon mehrfach richtig beschrieben, daß Hegel in der gedruckten-Rechtsphilosophiec die Bindung des Monarchen an die Institutionendes Staates, die seine Entscheidungen vorbereiten, jedenfalls nicht inden Vordergrund ruckt, wahrend die bisher in Nachschriften überlie­ferten Vorlesungen viel stärker hervorheben, daß das Entscheiden desMonarchen nicht als ein Entscheiden aus eigenem Ermessen, sondernnur als der formelle Abschluß eines längst auf ein Resultat festgelegtenDeliberationsprozesses anzusehen ist.In der hier publizierten Vorlesung hat Hegel das bloß Formelle imEntscheiden des Fürsten noch mehr betont als in der Vorlesung, dieHorho nachschriebund die dafürbisher die anscheinendprägnantestenBelege lieferte. Hothos Nachschrift zufolge sagte Hegel, daß man zueiner Monarchie einen Menschen brauche, »der •ja- sagt, den Punkt aufdas I setzt, denn die Spitze soll so sein, daß die Besonderheit desCharakters nicht das Bedeutende ist« (Ilt. 3,764), Die Metapher vomTüpfelchen auf dem I scheint die ganze Vormacht des Verfassungspro­zesses gegen den Fürstenwillen so deutlich wie nur möglich zu machen.Und doch ist auch sie nicht ganz frei von jenerZweideutigkeit, die auchHegels Position selbst kennzeichnet. Denn einerseits setzt der I-Punktnur den Abschluß einer vorher schon beendeten Schreibbewegung.Andererseits ergibt diese Bewegung rein für sich auch nur einenbedeutungslosen Strich, wenn der Punkt nicht dazugesetzt wird. Undso war ganz mit Recht zu fragen, wie es zum notwendigen Entscheidenkomme, wenn der Monarch sein verwirklichendes)Ja< verweigert.Im hier publizierten Manuskript wird dagegen die Funktion derSignatur des Monarchen soweit herabgesetzt, daß sie nur noch als einbloßes Symbol für die Entscheidungsfähigkeit des Staates erscheint:»Der Name ... ist das Zeichen der Vorstellung, wodurch sie eserreicht, das Einzelne als Einzelnes aufzunehmen. Die Richter spre­chen im Namen des Monarchen, obschon sie völlig unabhängig sind«(250,33-25' ,3).Diese besonders eindrückliche Formulierung wird kaum einge­schränkt, sondern im wesentlichen bestätigt durch Hegels ergänzendeRechtfertigung des monarchischen Prinzips aus äußerem und innerem

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Notstand: »Der Souveränität als dieser innersten Einheit und Identitätkommt es hauptsächlich zu, vor dem Riß zu stehen« (25I,qff.). Imübrigen ist es wichtig hinzuzufügen, daß Hegel den inneren Notstandnicht aus Angriffen gegen die Verfassung, sondern daraus definiert) daß»innere Mängel der Verfassung sich hervortun- (25I,I9)' Wer will,kann aus solchen Äußerungen konstruieren, daß sich die auf Hegelhätten berufen können, welche im späteren I9. Jahrhundert Sozial­oder auch sozialistische Politik mit monarchischer Hilfe durchsetzenwollten.Alle diese Aspekte und Akzentsetzungen in Hegels Vortrag, die denenwillkommen sein müssen, welche die .liberale. Substanz von Hegelspolitischem Denken verdeutlichen wollen, sind aber ermöglicht vondem Prinzip her, das ebensogut auch Herleitungen und Akzemsetzun­gen erlaubr, die dann Belege für die These über Hegel als Adjuvantender Restauration ergeben: Eben deshalb, weil im Monarchen dieEntscheidungsfähigkeit des Staates als Institution verwirklicht ist, kanner wohl in seinem wirklichen Entscheiden in die ganze Verflechtung derInstitutionen eingebunden sein. Es kann aber auch keine Institutiongeben, welche diese institutionelle Wirklichkeit des Entscheidens unterwohlbestimmte und dann auch einklagbare Grenzen stellt. Regiert alsoder Fürst, so verletzt er kein Recht, und Hegel kann nur versichern,daß dies nicht »ratsam«, gar »gefahrlich« (253,I3) und im übrigen inmodernen und gebildeten Staaten nicht zu erwarten sei (254,I). Daseine wie das andere folgt direkt aus der Weise, in der Hegel den Begriffdes Staates in sein System des logischen Begriffes als eines solcheneingebettet hat: als ein selbstgenügsames, in sich differenziertes Wirkli­ches von der logischen Form des Geistes. Als solches behauptet undbewährt es seine Identität in Beziehung auf alle Kontingenz undaktualisiert die Vernunftnotwendigkeit in jeder Einzelheit seines Sich­bestimmens ganz aus sich selbst heraus. Dieser Gedanke vom Staatfolgt für Hegel direkt aus einem metaphysischen Konzept und auskeiner Orientierung und Option, die in sich politischer Natur ist. Nurdurch einen Gedanken, der sich Hegels metaphysischem Prinzip in derKenntnis seiner Eigenart und der Aufnahme seiner Stärke entgegen­stellt, kann die Zweideutigkeit in den Folgerungen entfallen, zu denenHegel aus in sich selbst gar nicht zweideutigen Gründen gelangt ist.Unangesehen dessen kann aber jede Akzentverschiebung bei derDarstellung von Hegels Theorie, die von ihrer eigenen Form herermöglicht ist, die Nachfrage nach den politischen Rahmenbedingun­gen aufkommen lassen) in denen sie konzipiert und vorgetragen ist.

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Und die hier publizierte Vorlesung muß eine solche Frage wegen derbrisanten politischen Konstellation, in der sie gehalten wurde, auch inbesonderer Weise auf sich ziehen. Karl-Heinz Ilting (Ilt. 1,25-68) hatdiese Konstellation und ihre weitere Entwicklung in Beziehung aufHege! in einem anschaulichen Bericht vergegenwärtigt: Hegels Verbin­dung mit der Burschenschaft, Verdächtigung und Verhaftung einigerseiner engsten Schüler, die Karlsbader Beschlüsse zur Demagogenver­folgung und die Verschärfung ihrer Zensurbestimmungen in Preußen,Hegels beängstigtes, von seiner Umgebung für servil angesehenesVerhalten gegenüber Schleiermacher, Hardenberg und im Senat, dieUngewißheit über den Grad der Festigkeit seiner Stellung und des ihmvon Altenstein und seinem Ministerium entgegengebrachten Wohlwol­lens bis in den Sommer 1820, in dem, wie kürzlich gezeigt wurde,Hege! eine erste Versicherung von Dank und fortdauernder Anerken­nung seitens der ihm vorgeordneten Behörde erhielt (H. C. Lucas,U. Rameil, Furcht vor der Zensur?, Hegelstudien XV, I980, S. 89f.).Ilting erklärt aus dem Druck, unter dem Hegel stand, daß die publi­zierte Form seiner Rechtsphilosophie nicht den wirklichen StandortHegels in politischen Fragen offenlege. Diese Version verstehe sich inallem, wodurch sie sich von den erhaltenen Vorlesungsnachschriftenunterscheidet, im Zusammenhang mit Hegels zum »Selbstschutz« (Ilt.I,65) unternommenen »Profilierungsbemühungen« (Ilt. I,66) als einesProfessors) der die Philosophie so lehrt, daß sie »eine unmittelbareBeförderung der wohltätigen Absichten der Regierung werden könne«(vgl. Ilt. 1,67). Dem Buch Hegels fehlt insofern die Authentizität, alsdie maßgebliche Darstellung seiner wirklichen Theorie gelten zudürfen (Ilt. I, II3).Ilting hat das Ergebnis dieser aus Lebensangst kommenden Anpassungauch als ,Wechsel des polirischen Standorts- beschrieben (Ilt. 1,25 ff.),und zwar nicht im Sinne von außertheoretischen Parteinahmen, son­dern als einen Wechsel, der im Vortrag der politischen Theorie selbstzum Ausdruck kommt. In dem Maße, in dem die gedruckte -Rechts­philosophie. gegenüber den bisher schon verfügbaren Quellen dervorausgehenden Jahre Abweichungen aufweist, ist Iltings Beschrei­bung bei der für ihn gegebenen Quellenlage plausibel gewesen. Undsolche Abweichungen gibt es wirklich, vor allem in der Vorrede, in der(von ungehemmten polemischen Ausfällen gegen schon Verfolgteeinmal abgesehen) die geschichtstheoretische Perspektive von derinstitutionstheoretischen verdrängt ist, und in geringerem Maße auchim Kapitel über die fürstliche Gewalt, in dem das Entscheidungsrecht

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des Monarchen gegenüber der Formalität dieses Entscheidens in denVordergrund gerückt wurde. Dennoch war, wie sich nun zeigt, dasPsychogramm von Hegels innerer Lage, das Ilting teils ausführte teilsunterstellte, noch nicht bestimmt genug gefaßt. Denn die Verformungvon Hegels ursprünglichem -politischen- Standpunkt kann Camou­flage, gewollte Zweideutigkeit, Unfähigkeit, es zu vermeiden, je nachdem Auditorium doppelzüngig zu sprechen, wirkliche, also über­zeugte, wie immer vorübergehende, womöglich aus Selbstüberredungkommende Neudefinition der Theoriestellung und noch vieles anderesmehr zum Grunde haben. Man gerät auf abschüssiges Terrain, wennman sich außerhalb einer auf umfassendes Verstehen einer Personangelegten Biographie in Vermutungen über solche Motivzusammen­hänge einläßt oder einen Argumentationsgang entwickelt, der daraufangewiesen ist, auf solche Vermutung anzuspielen. Doch ist auchzuzugeben, daß dies in Anbetracht der Quellenlage, vor der Iltingstand, kaum zu vermeiden gewesen ist.Diese Quellenlage hat sich nun überraschend und entscheidend verän­dert. Denn in eben dem halben Jahr, in dem Hegel die Publikationseiner -Rechrsphilosophie- vorbereitete, hielt er eine Vorlesung, diesich, was die in ihr implizierten politischen Standortnahmen betrifft,gewiß nicht durch mehr Begünstigung der Restauration von denfrüheren und späteren Kursen unterscheidet, die sogar eher in derBetonung der Faktoren, die eine -liberale- Lesart seiner Theorieerlauben, über die anderen Kurse noch hinausgeht. Von einer Anpas­sung an die sich dramatisch entwickelnden Zeitumstände findet sich inihr keine Spur. Das hat zwingend zur Folge, Hegels Psychogramm,sofern aus ihm die Differenzen zwischen Buch und Kurs -Rechtsphi­losophie- erklärt werden sollen, anders und spezifischer zu formulie­ren. Man hat festzustellen, daß er nicht ängstlich genug war, um auchim Hörsaal die geschichtstheoretische Perspektive zu verstellen und dieHandlungsfreiheit des Monarchen mit Betonung herauszuheben. Esmag sein, daß er sich dort vor Denunziation sicher glaubte, zumal nochnicht untersucht wurde, in welchem Umfang Bespitzelung auch derVorlesungen geübt oder befürchtet worden ist. Es mag sein, daß sichsein Verzicht auf Diktate nicht nur aus der Hoffnung, sein Buch baldpublizieren zu können, sondern auch aus der Vorsicht erklärt, keinenText zu produzieren, auf den man ihn hätte festlegen können. Schließ­lich mag es sein, daß er nicht dazu imstande war, auch von ihm selbstwirklich intendierte neue Akzentsetzungen im festen Rahmen seinerTheorie vor seinen Studenten über die Lippen zu bringen, denen seine

Lehren und Worte aus dem vorausgehenden Wintersemester offenkun­dig nicht unzugänglich waren. Es ist keine ganz fernliegende Tatsacheder Verständigung unter Menschen, daß vieles so gesagt wird, wie esdem Ohr des anderen zuzumuten ist. Diese Färbung der Töne kommtselten geradezu aus Berechnung. Und auch geschrieben wird für ein inder Imagination des Autors in der einen oder anderen Weise gegenwär­tiges Auditorium. So mag es denn sehr wohl sein, daß der bloßeUmstand, daß Hegels Buchmanuskript auch im Wissen davongeschrieben wurde, daß es Kollegen, Zensoren und vorgeordnetenBehörden vorliegen würde, manche Züge in es gebracht haben, die esvon dem für den Vortrag im Hörsaal geschriebenen Manuskript auf dieWeise unterscheiden, die der Vergleich zwischen Buch und Nach­schrift ausweist. Hier soll und muß dies alles dahingestellt bleiben.Sofern man aber einen Grund in Rechnung stellen will, der dieUnterschiede zwischen Buch und Kurs aus einer Absicht erklärt, dieauch in Hegels Bewußtsein und in einer Art von explizitem Programmbei seiner Niederschrift wirksam gewesen ist, so kann neben derRücksicht auf seine Oberen nunmehr nur noch einer genannt werden:die Rücksicht auf die Zensur.Das preußische Zensuredikt vom IS. Oktober 1819 wurde, wie wir ausVarnhagen von Enses Aufzeichnungen wissen (Blätter aus der preußi­schen Geschichte, Band r Leipzig ,868, z.B. S. 69, 73, 78), nurallmählich zu einer Praxis entwickelt. Und die Liberalität und Großzü­gigkeit seiner Handhabung war dann niemals mit Sicherheit abzusehen.Wäre Hegel ausgerechnet mit seiner politischen Theorie bei der Zensurin Schwierigkeiten gekommen, so wären solche auch bei den Behördenzu fürchten gewesen, auf deren Protektion er so großen Wert legte.Man kann sieht leicht ausmalen, daß gerade eine Vorrede wie die der-Rechtsphilosophie- geeignet war, dem Buch, dessen Stellung imganzen sie kommentierte, bei einem rigiden Zensor freie Bahn zuverschaffen. Ein Billett Hegels, das den Druck der ersten Hälfte seinesManuskriptes zu verzögern bittet, bis der zweite Teil vom Zensorzurückgegeben ist, läßt sich durchaus aus Besorgnissen verstehen,welche die Zensur betreffen (vgl. H. Schneider, Neue Briefe aus HegelsBerliner Zeit, Hegelstudien VII, '972, S. 100). Hätte nämlich derzweite Teil, der die Theorie der fürstlichen Gewalt enthält, zu Schwie­rigkeiten geführt, so hätten sie nachträglich auch den ersten Teilbetreffen können. Aus diesem Grund und aus keinem anderen, den zuvermuten wir Anlaß hätten, konnte Hegel ein früherer Druckbeginn alsnicht gerade ratsam erscheinen. Ist das Billett als wirkliches Beweis-

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stück für Hegels Besorgnis auch ungeeignet, so paßt es doch in das Bildvon Hegels Verarbeitung der Situation, in der er sich 1819120 bei derMitteilung seiner Gedanken befand, das wir uns machen können,nachdem wir Kenntnis von der Vorlesung haben, die mit der Entste­hungsgeschichte der gedruckten -Rechtsphilosophie, so nahe wie nurmöglich zusammengehört.

IV. Hegels Theorieform; Konsequenz undAlternative im Staatsbegriff

Alle Schwankungen in Hegels politischer Standortbestimmung sindzuletzt von den Grundbestimmungen seiner politischen Theorie herermöglicht. Und somit müssen alle Fragen, sobald sie ein eigentlichtheoretisches Interesse verdienen sollen, auch am Ende auf die Forma­tionsbedingungen dieser Theorie als solcher zielen. Daß diese Theorienicht einfach in Geltung gelassen werden kann, ergibt sich nicht alleinund nicht so sehr daraus, daß sie das monarchische Prinzip verteidigtund verteidigen muß, sondern daraus, daß sie diesem Prinzip gar keinestabile, von Zweideutigkeiten in der Ausformulierung freie Definitionzu geben vermag. Zur Leichtigkeit dieser Einsicht steht aber dieSchwierigkeit in auffälligem Kontrast, eine überzeugende Alternativeauch nur zur Sprache zu bringen, die sich auf der Höhenlage vonHegels Problembewußtsein hält und die aus der Nähe auf die innereForm seiner Theorie eingehen kann. Diese Schwierigkeit ist zuletzt garnicht von der viel allgemeineren Schwierigkeit verschieden, die Unter­werfung unter Hegels System auf eine Weise zu vermeiden, die nicht,zumindest am Ende, auf Kontaktlosigkeit oder Kontaktverweigerungmit dessen Prinzipien und Diskursformen hinausläuft. Eine Einlei­tung, die einen neuen Hegeltext präsentiert, kann nicht der Anlaß füreinen Versuch sein, über eine Schwierigkeit von solcher Größenord­nung hinauszukommen. Sie ist so grundlegend, daß sie noch immer dieProblemlage hinsichtlich Hegels aus einem prinzipiellen theoretischenDefizit heraus kennzeichnet. Am Platze ist aber eine Verständigungdarüber, daß sie wirklich die zuletzt entscheidende Problemdimensionist, - auch für den Umgang mit Hegels politischer Theorie.Hegels Lehre in der -Rechtsphilosophie- läßt sich als -Institutionalis­mus- kennzeichnen. Minimale Bedingungen für einen Institutionalis-

mus sind dann erfüllt, wenn akzeptiert wird, daß eine Rechtstheorie,welche sich auf das Prinzip des autonomen Willens begründet, auchBedingungen von eigener Art und eigenem Ursprung anerkennen muß,von denen die Möglichkeit einer Lebensordnung abhängt, in der sichjene Prinzipien allererst verwirklichen können. Aber Hegels Theorieist die eines starken Institutionalismus: Sie lehn, daß sich die Freiheitdes einzelnen Willens nur in einer Ordnung verwirklichen kann, die alsobjektive selbst die Form des vernünftigen Willens hat und die insofernden einzelnen Willen ganz in sich einbegreift und unter ihre eigenenBedingungen, wie immer ohne Entfremdung, subsumiert. Der ein­zelne Wille, den Hegel den .subjeknven. nennt, ist in die Ordnung derInstitutionen ganz eingebunden und überhaupt nur insofern gerecht­fertigt, als diese selbst es sind. Darum kann auch sein Recht, das sich inseiner Institutionalisierung erfüllt, niemals noch als ein Recht gegen dieInstitution als solche verstanden werden. Der starke Institutionalismusführt zwingend zu Hegels Theorie der fürstlichen Gewalt oder zueinem vollwertigen Äquivalent zu ihr, somit auch zur Undenkbarkeitder Begrenzung dieser Gewalt in irgendeiner Form von einklagbaremRecht. Hegel war somit Monarchist keineswegs aus politischer Nei­gung, sondern aus theoretischer Pflicht.Der starke Institutionalismus der politischen Theorie hat aber auchallgemeinphilosophische Prämissen. Sie liegen nicht in Hegels Einsichtund Verlangen danach, daß individuelle Freiheit im freien Leben einesVolkes verwurzelt sei, sondern in der besonderen Form der spekulati­ven Theorie von einem -Absolutene, in der er sich mit Schellingverbunden hatte: Die Welt als solche hat Begriffsform, und darum istsie als solche zu begreifen und nicht nur ihrer Erscheinung nach. Dielogische Form der Welt erlaubt es sodann, alles Wirkliche als inwohlgeordneten Systemen organisierte Einzelne zu betrachten. Sieverlangt nicht, das Verschwinden aller Differenz zu denken, sondernvielmehr in sich selbst differenzierte und zentrierte, von anderenrealiter unabhängige Entitäten. Unter der ständigen Anleitung durchdieses Prinzip hat Hegel über Planetensysteme und über Verfassungensozusagen im gleichen Atemzug theoretisieren können.Man muß sich klarmachen, daß dieser Gesichtspunkt nicht als willkür­lich anzusehen und nicht rein nur als vermessen abzutun ist. Denn dieWelt ist so wirklich wie das System der elementaren Kräfte, wieGalaxien, wie Organismen und wie bewußtes Leben. Es liegt nahe undnicht im Abweg, die vernunftfähigen und die vernünftigen Lebensfor­men der Menschen als in der gleichen Weise wirklich und als in

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Ordnungen bestehend zu denken, die in einer Kontinuität mit allenanderen Ordnungen der Welt zu verstehen sind. Das aber läßt denstarken Institutionalismus in der politischen Theorie zur am nächstenliegenden Folgerung werden.In Hegels Entwicklungsgang ergab er sich zunächst durch seinenAnschluß an Schellings Naturphilosophie. Er wurde noch befestigtdurch Hegels Entwicklung des Gedankens vom Einen Absoluten biszum Gedanken vom Absoluten als Geist. Denn damit war es möglichund notwendig geworden, der Wirklichkeit als solcher eine Bewegungzuzuschreiben, die zu der Selbstmanifestation ihres Wesens führt. Unddas bedeutet, daß es unnötig wird, diese Bewegung aus dem Erkennender Einzelnen zu gewinnen, daß vielmehr einleuchtet, daß diesesErkennen selbst nur aus einem Zusammenhang ermöglicht ist, der sichvielleicht auf dieses Erkennen hin, aber sicher nicht von ihm herversteht. Der Gedanke von einem -Absoluten-, das -Geist- ist, steigertalso wohl zwar die Bedeutung alles dessen, was subjektiv und alssolches vernünftig ist, verstärkt aber auch die Vormeinung, daß diebewußte und vernünftige Person sich bei der Selbstpreisgabe in eine ihrvorgängige Bewegung gar nicht entfremden, sondern nur gewinnenkann. Und eben das lehrt in der Theorie des Rechts der starkeInstitutionalismus.Sind nun aber die Folgerungen, die sich aus dem starken Institutionalis­mus ergeben, nicht nur aus Gründen gegenwärtiger und vielleicht dochzeitgebundener politischer Überzeugungen, sondern sogar schon insich selbst und aus theoretischen Gründen unhaltbar, so stellt sichzwingend eine Grundfrage: Kann innerhalb von Hegels Systembegriffeine andere Form von Institutionalismus gewonnen werden, oder mußdiesem System als Ganzem eine Theorie von ganz anderer Fundierungund Konstruktionsweise entgegengestellt werden?Neben dem minimalen und dem starken Institutionalismus läßt sicheine weitere Form von Institutionalismus denken, den man -moderatenennen könnte. Er wäre von dem Gedanken her konzipiert, daßindividueller Wille nur in ihm gemäßen Einrichtungen mit ihreneigentümlichen Existenzbedingungen verwirklicht werden kann, daßaber diese Einrichtungen ihrerseits an den in sie inkorporierten Willenund an dessen eigenes Recht durchgängig zurückgebunden bleiben. Sowäre das'Prinzip der Institution als solches nicht aus dem subjektivenWollen zu gewinnen, ebensowenig ihm aber auch definitiv vorzuord­nen, so daß es vom subjektiven Wollen als gleichfalls eigenständigemPrinzip ganz freigesetzt wird. Moderater Institutionalismus wäre

darum auch geradezu daran erkennbar, daß er es erlaubt und verlangt,Rechte der Individuen gegenüber den Institutionen ihrer eigenenVenvirklichung ohne Widerspruch und als eine ausgezeichnete Wirk­lichkeit auch noch der Institution selbst zu definieren. Die Absenzsolcher Rechte charakterisiert Hegels Rechtsphilosophie. Würden sieaber zugelassen und im System konsistent zugelassen werden können,so entfielen eben damit in ihm auch alle die Punkte, die am auffälligstenzweideutig und anstößig sind.Es scheint nicht aussichtslos, Hegels Gesamttheorie einen solchenmoderaten Institutionalismus abzugewinnen, ohne sie dabei zur Uner­kennbarkeit zu verformen. Dazu wäre es nötig, die Theorie des Rechtsstärker, als Hegel selbst es tut, an die Kontinuität zwischen Philosophiedes -subjekriven. und des -absoluten. Geistes zu binden. Formen desabsoluten Geistes sind solche, in denen das eigentliche Wesen desWirklichen im ganzen gewußt und aus Wissen dargestellt ist. Sie allehaben mit dem, was in der Rechtstheorie eine -Institution- ist, dasgemein, nicht auf individuellem Bewußtsein begründet zu sein; sie sindaber zugleich auch nur unter Einschluß des Wissens der Einzelnen innicht reduzierbarer Eigenständigkeit zu begründen. Künstler, Kultge­meinde und Philosoph haben miteinander gemeinsam, ganz in ihrerSache verloren und doch aus sich selbst heraus zu sein, was sie sind. AlsGanze sind die Formen des absoluten Geistes darum auch nichtWirklichkeiten wie Hegels Staaten es sind: höchste Objekte undGegenbilder der Natur (Ilt. 3,84'). Sie sind das Wirkliche als Ganzes,aber insofern es wesentlich jener Prozeß ist, der die wissende Bezie­hung auf sich im subjektiven Leben in eins mit der Vollendung vondessen Selbstbeziehung freisetzt. In Hegels Rechtsphilosophie ist dieWelt der Institutionen primär als höchste Darstellung der Vernunft­form in einem wirklichen System und erst sekundär, und insofern siezuvor das erste ist, auch als Stufe auf dem Wege des Geistes zu seinemWissen von sich konzipiert. Es scheint, daß sich ein moderaterInstiturionalismus dadurch gewinnen ließe, daß man diese Abfolgeunter den Faktoren umkehrt, durch die Hegels Theorie des objektivenGeistes in die Theorie des Geistes insgesamt einbezogen ist. Dann wäreeine Institution Geist, insofern der vernünftige Wille in ihr zu wirkli­chem Willen inkorporiert wird und insofern er eben damit die Fähig­keit gewinnt, in seinem Wollen von einer Art zu sein, die das Wissenvon einem Ganzen der Welt vorzubereiten und in die eigene Praxiseinzubringen vermag. Nur wenn dies mit Hege! zu denken wäre, ließesich seine politische Theorie von ihren Zweideutigkeiten befreien, ohne

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daß sie damit auch ihren theoretischen Boden verliertund um so mehrhaltlos wird.Bei näherem Zusehen wird aber unwahrscheinlich, daß eine solcheReorganisation von Hegels Theorie allein aus deren eigenem Theorie­potential gelingen könnte. Ihr stehen zumindest die erheblichstenSchwierigkeiten entgegen: Schon der genaue Sinn der Definition desRechts als Dasein der Freiheit scheint mit dem moderaten Instituriona­lismus theoretisch unverträglich zu sein. Denn diese Definition zieltauf die Überführung des Willens in sein objektives Korrelat ab,während der moderate Instirutionalismus an einer Korrelation zwi­schen einem eigenen Recht des Willens und dem Recht dessen festhal­ten muß, worin er sich verwirklicht. So scheint es, daß der Versuch,Hegels Folgerungen abzuschwächen, unmittelbar zu einer Korrekturauch an den Ableitungsprinzipien der Rechtsphilosophie zwingt. Einesolche Korrektur würde dann aber womöglich auch den spekulativ­logisehen Formalismus betreffen müssen, mit dem Hegel über dieganze Rechtsphilosophie hinweg aus dem Hintergrund operiert. Dersieht vor, daß in der Abfolge der Systemfiguren von Rechtsformendiejenige die letzte ist, in der das Allgemeine sich die -Besonderheit­und die -Einzelnheit- subordiniert. Auch aus ihm ist der starkeInstitutionalismus begünstigt, dem der Staatdas selbst zur Einzelnheirbestimmte Allgemeine ist, in das alle Differenzen und Besonderungenharmonisch einbezogen sind (vgl. den auf S. 23 zitierten Aufsatz).Aber auch wenn man von solchen subtilen formalen Begründungenabsieht und nur die Verständigung über die Welt im Auge behält, aufdie Hegels System angelegt ist, scheinen die für einen moderatenInstitutionalismus unerläßlichen Änderungen bei der Verfugung derRechtsphilosophie nicht in das System als solches. aufgenommenwerden zu können. Zu Hegels ganz grundlegenden Uberzeugungengehört es, daß die Begriffsform des Denkens nicht nur Wirklicheserreicht, sondern daß sie alles Wirkliche ermöglicht und sogar aus­macht. So ist die Welt nur die Selbstauslegung der logischen Form. Undals solche sind die Systeme der Natur für die Erkenntnis offen. Sie sindin der ihnen immanenten Logik denkend zu vergegenwärtigen und soeinzubegreifen in eine vernünftige Anschauung von allem, was ist.Auch die Formen des bewußten und vernünftigen Lebens sind abersolche Wirklichkeiten. Subjektivsind sie nur, insofern sie Natur nebensich lassen oder sich gegenüber haben. In sich sind sie aber nachdemselben Begriff von Form bestimmt wie alles Wirkliche. Und dieseForm ist im bewußten Leben in der Weise wirklich, in der schon die

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logische Form selbst dazu anhebt, aus der Äußerlichkeit und Zerstreu­ung ihrer Momente zum Begreifen ihrer selbst und ihrer Einheit zukommen. Der Form der Äußerlichkeiten der Einzelnen gegeneinanderfolgen die Systeme der materiellen Natur. Insofern ist die Wirklichkeitder Formen des bewußten Lebens -hoher- als die der Natur. Ist nunbewußtes Leben mehr als Natur; als subjektives aber in ein Differenz­verhältnis zu ihr ein~egriffen, so liegt etwas im Sinne des ganzenAnsatzes der Konzeption ganz und gar Unbefriedigendes darin, wennzu den~enwäre, daßder Weg, der vom bewußten Leben zum Begreifendes Geistes führt, nicht auch ein Wegstadium einschlösse, in dem diehöhere Form als solche sich in der Möglichkeit zeigt, als diese Formwirklich und darin vom Gegensatz gegen eine ihr äußere Natur befreit~u sein. Diese Wirklichkeit ist aber die des objektiven Geistes, derinsofern der Geist ist, der aus sich selbst heraus selbstgenügsameWeltsysteme von einem reicheren Einheitssinn bildet> als die Systemeder Natur auszugestalten und einzuhalten vermögen. Aber dann mußauch die Wirklichkeit solcher Systeme .höherer Natur. ganz allein ausder Form ihrer Organisation und nicht aus irgendeiner Kraft mit demUrsprung in einzelnen Subjekten gedacht werden, die selbst eigentlicherst wirklich werden, Indem sie in solchen Systemen zusammentreten.So versteht man, daß Hegels Entwicklung der Theorie dieses Geistesganz auf die Begründung eines Begriffes vom Staat orientiert ist derden subjektiven Rechtsansprüchen keinen eigenständigen und 'vomRecht des Staates selbst abhebbaren Rechtsanspruch lassen konnte.Und man versteht zugleich, warum Hegel diese Entwicklung in einerTheorie der Weltgeschichte enden läßt, welche die historischeBeweg~ng von Staatsform zu Staatsform in einer Weise begreift, dieselb~t die Bewegung des begreifenden Geistes präfiguriert. Erst für sieist die WirklIchkeit der selbstgenügsamen Staaten, der aus dem Geistkommenden Gegenbilder der Natur, selbst nur eine Etappe auf demWeg zur ganzen und zugleich wirklichen Wahrheit.So zeigt sich also, daß in Hegels Philosophie selbst, und zwar sowohl inihrer abstrakten Grundlegung wie auch in dem Bild VOn der Welt das~ie e~tfaltet, die erheblichsten Spannungen kommen, wenn man D:tailsIn seiner Konzeption von der politischen Staatsform zu korrigierenversucht, - aus welchen guten oder gar zwingenden Gründen immer.Solchen Teiltheorien sollte man ohnehin ansehen, daß sie nicht ausexternen und auswechselbaren Gründen entstanden sein können. Vonden Implikationen und Folgelasten einer Korrektur an ihnen wirdmeistens abgesehen, wenn es darum geht, sich die diagnostische Kraft

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von Hegels Denken zu erhalten, ohne die Belastung durch seinestaatstheoretischen Lehrsätzeund ihreZweideutigkeiten annehmenzumüssen. Aber auch dann verschwindet der Eindruck nicht, solcheKorrekturen seien ad hoc und inhomogen zu dem Ganzen, in dem sie

angebracht werden.Es ist weitethin gleichfalls unwahrscheinlich, daß Spannungen undZweideutigkeiten an der Oberfläche durch tiefere Eingriffe in dieinneren Anordnungen des Systems selbst aufgefangen oder beseitigtwerden können. Ist es aber so, dann muß die Einsicht in die Unmög­lichkeit, ohne eineKorrektur deranstößigen Details in derpolitischenTheorie mit dem System auszukommen, auch zu derFolgerung führen,daß das System als solches zur Disposition gestellt werden muß. Nichteine Umorganisation seiner Teile, sondern nur eine von Grund aufandere Konzeption könnte den Knoten lösen, der nur anfangs ver­gleichsweise klein, auf das Gebiet der politischen Theorie beschränktund in der esoterischen Lehre Hegels sogar schon beseitigt scheinenkonnte, die er in seinen Vorlesungen vorgetragen hat.Diese Folgerungkanndenennur: willkommen sein, die ohnedies keinenbesonderen Grund sehen, sich auf Hegels politische Theorie einzulas­sen, und die ihr Mißtrauen gegenüber der Sprache, in der sie entfaltetist von vornhereinauf ihreMethode derEntwicklung von politiktheo­retischen Sachverhalten ausgedehnthaben.Siebrauchennur zu konsta­tieren, daß das Zugeständnis, zwischen den Lehrstücken der Rechts­philosophie und den Grundlagen des Systems besteheeine nicht auf­lösbare theoretische Kontinuität, der modernen Theone der Sozialsy­steme in der Nachgeschichte von Durkheim und Max Weber endgültigfreieBahnverschafft.Diese Theorien, die unter den gegenwärtigenderHegeischen darin am nächsten kommen, daß sie gesellschaftliche Ge­samtverhältnisse zu thematisieren vermögen, stehen wirklich auf ememganz anderen Theoriefundament als Hegels Werk. Sind sie nicht aus­drücklich dem methodischen Individualismu s verpflichtet, der Gesamt­verhältnisse auf Interaktionsprozesse zwischen Einzelnen zurück­führt, so sind sie ihm jedenfalls nicht in einem letzten und eigenständi­gen Grundlegungsgedanken entgegengesetzt. Indem sie, als empiri~cheTheorien, auf einen solchen Grundlegungsgedanken überhauptverzich­ten, lassen sie die mögliche Wahrheit der philosophischen Perspektiveunberührt, die sich als einzige Gesamtkonzeption von der wirklichenWelt aus den allgemeinen Theorien der gegenwärtigen Wissen~ch~textrapolieren ließe: den Materialismus, dem die Welt, welche die rm­

krophysikalische Theorie beschreibt, auch die ganze Wirklichkeit ist.

Hegels ganze Anstrengung war nun aber auf ein Denken gerichtet, dasweder am Ende in diese Position zurückgleiten muß, noch sich VOnvornherein mit dem empirischen Vorbehalt gegen die große Theoriebescheidet. Es war Hegels Überzeugung, daß es möglich ist, überWirkliches von ganz anderen Prämissen her letzte Gedanken zugewinnen, und daß nur diese Gedanken die Kraft haben, Wirkliches inseiner ganzen Bestimmtheit und Ordnung zu begreifen. Die vielbe­wunderte Konkretheit in Hegels Denken, auch in seiner Diagnosehistorisch-politischer Gesamtlagen, ist an die Tragfähigkeit solcherGedanken gebunden und nur von ihnen her in ihrer Möglichkeit zuverstehen. Nun mag solche Konkretion, die bislang nie wieder erreichtwurde, auch in einem ganz anderen Theorierahmen möglich sein. Wirdaber zusammen mit ihren politiktheoretischen Konsequenzen Hegelstheoretische Intention als solche außer Erwägung gestellt, so schrumpftdas Spektrum aller überhaupt noch erwägbaren Theorien auf eineWeise, die den Bereich unübersehbar verengt und verarmt erscheinenläßt, in dem sich Denken und Verstehen doch wirklich entfaltet: AllesDenken wird suspendiert, das von einem Gedanken von der Einheit derWelt als solcher seinen Ausgang nimmt, das einer Theorie von Formbe­stimmung zutraut, Wirkliches als solches zu erreichen, um es dannnicht nur von außen und unter wechselnden Perspektiven zu beschrei­ben, das im Tctum, das nicht ein Aggregat einfacher Einzelner ist, auchdas Paradigma des Wirklichen als solchem sieht, das die Welt, in welchedie Lebensformen des Menschen eingebunden sind, nicht als Erschei­nung, sondern als letzte Wirklichkeit nach der ihm eigentümlichenForm begreift und das darum auch nicht nur voraussetzt, sondernversteht, wieso die Lebensordnungen des Menschen mit den Systemender Natur, unbeschadet ihrer Grunddifferenz, eine Kontinuitätbilden.Die Sätze, welche solches Denken charakterisieren, sind vielleichtprätentiös, aber kaum dem unbefangenen Denken fremd oder garunverständlich. Theoriefähigen Zusammenhang können sie jedoch nurin einem Denken gewinnen, das sich, statt in die Kontaktlosigkeit,gerade in die Nähe zu Hegels Denken begibt. Es setzt die Aufnahmeseiner systematischen Intentionen ebenso wie sichere Distanz zu derWeise voraus, in der sie als Theorie ausgeführt worden sind. Und dieseDistanz, so hat sich gezeigt, ist weder durch Retuschen in einzelnenseiner Analysen noch durch neue Arrangements seiner Teiltheorien zugewinnen. Sie wird nur dann stabil, wenn in Kenntnis der innerenFormation seines Denkens eine Alternative zu ihm gewonnen ist.

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bei der Arbeit an den Erläuterungen selbständig und einfallsreichmitgearbeitet haben, luge Kullik für die Herstellung einer akkuratenDruckvorlage und Ralf Herklotz und Stephan Saur für wachsame Hilfebei der Korrektur.'

&

In die Frage, welche Form und Fundierung sich für eine solcheAlternative absehen läßt, kann hier nicht eingetreten werden. Daß sieaber aussteht, hat eine überall spürbare Beschränkung in der inzwi­schen sehr ausgedehnten und sachhaltigen Rezeption VOn Hegelspolitischer Theorie zur Folge. Gewonnen werden kann sie auch nur,wenn die theoretische Anstrengung gar nicht auf das Verstehen vonpolitischen Prozessen und Institutionen geht, wenn sie diese sogarinsoweit vergißt, als sie vorgängige Kriterien für Haltbarkeit vonErgebnissen sein könnten, wenn sie sich also den Grundfragen desDenkens als solchen zuwendet. Am allerwenigsten hilfreich ist es, anHegels Werk insgesamt Sektionsübungen zu dem Zwecke zu veranstal­ten, in ihm Spuren einer alternativen Sozialtheorie zu entdecken, vonder man dann selbst gar nicht weiß, wie man sie zu in sich haltbarenGedanken zusammenbringen könnte.Das hier publizierte Manuskript läßt Hegels politische Theorie invielem neu und insgesamt in einer Frische, Konkretion und Durchsich­tigkeit erscheinen, die von keinem anderen Text seiner Rechtsphiloso­phie erreicht wird. Es ist aber wichtig, daß darüber Klarheit besteht,daß auch es die eigentlichen Fragen, die an diese Theorie zu richtensind, nicht beantworten kann, - daß der Ort zur Antwort auf sie der ist,an dem auch die Grundfragen der Philosophie selbst entspringen.

V. Dank

Heidelberg, den t 5.April 1981 DieterHenrich

Ich danke der Lilly Library der University of Indiana in Bloomingtonfür die Erlaubnis zur Publikation und ihrem Curator of Manuscripts,Mrs. Saundra Taylor, für die Beantwortung zahlreicher Nachfragen;Frau Eva Ziesche von der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitzbin ich dankbar für neuerliche kompetente Hilfe, diesmal bei derAnalyse der materiellen Eigenschaften des Manuskriptes. Mit Karl­Heinz Ilting und den Mitarbeitern des Hegel-Archivs der UniversitätBochum sowie mit Rolf Peter Horstmann konnte ich philologischeProbleme, die das Manuskript aufwirft, ausgiebig besprechen; siehaben viele wichtige Hinweise gegeben. Ich danke ihnen ebenso wiedenen, die schwierige Nachweise ermöglicht haben: Werner Conze,Jacques d'Hondt, Reinharde Kossellek und Eike Wolgast. Und ichdanke Harald Köhl und Michael Rath, die bei der Textherstellung und

1 Der Herausgeber verweist auf seinen Nachtrag zu dieser Edition. In ihm sind die in derEinleitung erörterten Probleme in Beziehung auf den Text der Nachschrift von 1817/18 (Rph.Wannenmann) noch einmal aufgenommen. Sie tauchte während der Umbruchkorrektur dieserEdition auf.

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PRINZIPIEN DER EDITION

Der Begriff einer -Kritischen Ausgabe- ist nicht eindeutig definiert.Diese Edition folgt nicht den striktesten Kriterien, die mit demProgramm einer solchen Ausgabe verbunden werden könnten, und siebietet keine diplomatisch getreue Wiedergabe des Textes. Ihre Absichtist es, einen leicht lesbaren und benutzbaren Text herzustellen unddennoch alle Daten aufzunehmen, die bei der Analyse und Interpreta­tion irgendeine Wichtigkeit haben könnten. Das kann nur durch dieAnwendung einer beträchtlichen Anzahl von Regeln geschehen, dieSchreibgewohnheiten des Abschreibers und seiner Zeit eliminieren,ohne die für die Forschungsarbeit notwendige Erkennbarkeit derursprünglichen Gestalt des Textes zu hindern.Um der leichten Benutzbarkeit. willen ist auf den Gebrauch vonZeichen im Text soweit wie möglich verzichtet worden. Auch ohneBenutzung der Druckerklärung soll jede Seite in sich selbst verständlichund im übrigen von entbehrlichen Zusätzen frei sein. Aus diesemGrund ist auch in Kauf genommen, daß sich in den Anmerkungen zumText Angaben wie (vom Herausgeber) ,eingefügt< häufig wieder­holen.

Die Transkription des Textes wurde aus Fotos hergestellt, die voneinem Film genommen wurden, den die Lilly Library übersandte. DerHerausgeber hat das Original nur an einem Tag bei einem Besuch in derBibliothek untersuchen können.Beider Herstellung des Textes wurden folgende Regeln angewendet:I. Die RECHTSCHREIBUNG wurde stillschweigend der durch denDuden standardisierten angeglichen - mit der Ausnahme von HegelsKategorien aus dem System seiner Logik, die in der für die Logikcharakteristischen Schreibweise gegeben sind.

2. Die GRAMMATIK ist der geläufigen stillschweigend soweit angegli­chen worden, daß sich verständliche Sätze ergeben.3· Antiquierter WORTGEBRAUCH wurde nur dort verändert, wo er zugegenwärtig nicht mehr verständlichen Sätzen führt. Solche Verände­rungen sind angemerkt. Stillschweigend modernisiert wurden -hie- inVerbindungen wie -hieher- und Verb-Endungen wie -gehe«, die häufigauftreten. Im Text finden sich aber auch gelegentlich die gegenwärtigenSprech- und Schreibweisen.4· Bei der im Manuskript weitgehend nicht regulierten SATZZEICHEN-

,SETZUNG wurde (mit einigen durch die Abfolge der Satzsinne begrün­deten Ausnahmen) die jeweils geringste Änderung gewählt, die not­wendig ist, um einen gegenwärtig korrekten Gebrauch zu erreichen.Nur in Zweifelsfällen ist das Zeichen des Manuskriptes angemerkt.5. ABKÜRZUNGEN im Text bleiben nur dann stehen, wenn sie durchden Duden als geläufige und korrekte Abkürzungen ausgewiesen sind.Bei zweifelhaften Auflösungen ist die Abkürzung des Originals in derAnmerkung angegeben. Da im Manuskript die Abkürzung eines unddesselben Wortes verschieden gehandhabt wird, ist der Gebrauch derAbkürzungen harmonisiert worden. So wird »zurn Teil« immer als-z. T.<, »undsofort« immer als -usf.. und »und dergleichen, immer als-u. dgl.. abgekürzt, während »sogenannt« niemals abgekürzt wordenist.6. ABSÄTZE sind niemals eingefügt worden; zudem wurden dieAbsätze des Originals stets festgehalten. Es ist zwar offensichtlich, daßvielen Abschnitten des Gedankens keine Absätze im Text entsprechenund daß oft Absätze auch dort auftauchen, wo sie nicht aus demvorgetragenen Gedanken begründet sind. Aber die Absätze der Nach­schrift geben möglicherweise Pausen in Hegels Redefluß und sehrwahrscheinlich Einschnitte zwischen Vorlesungsstunden an. So ist umder Forschungsmöglichkeit willen diese Eigenschaft des Manuskripteszu erhalten gewesen.7. DOPPELSCHREIBUNGEN sind stillschweigend eliminiert.8. ÄNDERUNGEN, welche der Abschreiber selbst im Manuskript vor­nahm, sind nur dort angemerkt, wo sie nicht offenkundig trivialeUrsachen haben.9. Offenkundig notwendige ERGÄNZUNGEN wie die Einführung derPluralendung dort, wo sie fehlt, sind stillschweigend vorgenommenworden. (Zusatzregel zu Regel 2.)10. ANFÜHRUNGSZEICHEN sind nach folgenden Regeln verwendet:a. Sie stehen dort, wo sie im Original stehen.b. Sie sind dort eingefügt, wo es sich um eine direkte Rede handelt, die

nicht durch andere Satzzeichen schon zweifelsfrei erkennbar ist.c. Sie sind um Buchtitel gesetzt, wenn ihr Fehlen zu Mißverständnis­

sen führen könnte.d. Sie sind überall dort eingefügt, wo der Text über sprachliche

Ausdrücke handelt.e. Anführungszeichen fehlen, wenn das Manuskript einen geläufigen

Ausdruck oder ein Sprichwort als eigene Aussage verwendet.(Zusatzregel zu Regel 4.)

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I

EK

Ir. Im Manuskript finden sich sehr viele GEDANKENSTRICHE, diegewisse Distanzen zwischen Gedankengängen andeuten. Sie sind dortstillschweigend beseitigt, wo sie nicht als unerläßlich gelten können. Inder gegenwärtigen Schreibweise hat nämlich der Gedankenstrich einesehr viel größere distanzbildende Kraft. (Zusatzregel zu Regel 4.)12. Kleine Inkonsistenzen bei der Fassung der ÜBERSCHRIFTEN (z.B.-Kapitel- abgekürzt oder ausgeschrieben, Kapitelnummern in Schriftoder Zahl) sind stillschweigend harmonisiert worden. Ziffern inner­halb von AUFZÄHLUNGEN innerhalb des Textes erscheinen stets mitfolgendem Punkt, auch abweichend von der Fassung des Originals.13. Unterstreichungen und Randbemerkungen von FREMDER HANDsind stillschweigend weggelassen worden (vgl. K IJ4,2j), alle Unter­streichungen des Manuskriptes selbst sind erhalten. Sie werden indieser Ausgabe durch Kursivschrift wiedergegeben.Daß trotz des Gebrauchs dieser Regeln viele Anmerkungen unter demText notwendig sind, ergibt sich aus den zahlreichen sinnentstellendenVerschreibungen, die sowohl, vor allem im ersten Teil, auf dasUnverständnis des Hörers als auch und vor allem daraufzurückgehen.daß der gewerbliche Abschreiber nichts vom Thema der Vorlesungverstand.

Erklärungen zum Druck

Vom Herausgeber im Text hinzugefügte Zeichen:

Hinweis auf eine Erläuterung im AnhangHinweis auf einen Kommentar im AnhangHinweis auf eine Anmerkung unter dem Text(nur auf Seite 50 gebraucht): Ein sinnloses Wort im Textmit einer Buchstabenzahl. die der der Pünktchen ent­spricht, für das keine Konjektur vorgeschlagen werdenkonnte.

In den Anmerkungen werden nur zwei Kurzformen gebraucht:

Orig. gefolgt von einem Wort oder einer Wendung in einfachenAnführungszeichen: gibt den im Manuskript zu finden­den Text wieder.

eingefügt eingefügt vom Herausgeber

Die Ziffern am Rande der Seiten und die Längsstriche innerhalb derZeilen geben die Seite der Handschrift und den Übergang auf diefolgende Seite der Handschrift wieder.

Georg Friedrich Wilhelm Hege!

Philosophie des RechtsDie Vorlesung von 1819ho

in einer Nachschrift

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r

INHALTSANZEIGE'

Einleitung . . . . . . . . .Übersicht der Wissenschaft

Erster Teil. Das abstrakte RechtI. Kapitel: Das Eigentum2. Kapitel:DerVertrag3. Kapitel: Das Unrecht .

Zweiter Teil. Die Moralität.1. Kapitel: Handlung und Vorsatz .2. Kapitel:WohlundAbsicht .3. Kapitel: Das Gute und das Gewissen.

Dritter Teil. Die Sittlichkeit.1. Kapitel: Die Familie .

a. Die Ehe .b. Eigentumder Familiec. Auflösung der Familie

2. Kapitel: Die bürgerliche Gesellschaft.a. Das System der Bedürfnisseb. Die Rechtspflege .c. Die Polizei . .

3. Kapitel: Der Staata. Das innere Staatsrecht

a. Die fürstliche Gewaltß. Die Regierungsgewalt .y. Die gesetzgebende Gewalt

b. Das äußere Staatsrecht . . . .c. Die Weltgeschichte. . . . . .

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9395

101

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130142

143

147152169187

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I DiesesInhaltsverzeichnis istTeildesOriginal-Manuskripts, indemes jedocham Ende steht.

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RECHTSPHILOSOPHIE UND POLITIK K

Einleitung!

Das Abstrakte ist das Recht, die Verwirklichung der Staat.Gewöhnlich sieht man das Recht an als ein Unglück, worin

5 das natürliche Recht des Menschen gekränkt wird. Da hatman von einem verlorenen Paradiese gesprochen, von Wie­derherstellung des natürlichen Rechts. Das Recht ist dasHeilige auf Erden, das unverletzbar sein soll; das Heilige,wenn es im Himmel oder in Gedanken ist, ist es allein

'0 unverletzbar. Das Recht auf Erden aber kann angetastet,angegriffenwerden. Die Aufgabe unserer Wissenschaft ist, zuerkennen, was wahrhaft das Recht sei. Zumal in dieser Zeittut solche Untersuchung not, wo jeder meint, er habe dasRecht in seiner Überzeugung; dies will er erfüllt haben.f Die

15 Nichterfüllung gilt ihm daher als etwas Frevelhaftes, dem ersich entgegenstellen müsse. Die Philosophie soll den Begriffdes Rechts bestimmen. Allerdings ist esnoch viel, daß man andie Philosophie diese Anforderung macht. Darin liegt wenig­stens, daß Gedanken dazu gehören, das Recht zu finden. Das

20 Gewöhnlichere ist, daß jeder, wie's in ihm ist, das Recht zu2 haben glaubt. Nun Imeint der eine, in der Philosophie die

Rüstkammer von Gründen zu finden zur' Bekämpfung allesUnrechts, sieht ein Ideal des glücklichen Zustandes, das umso höher gehalten wird, je mehr es sich von der Wirklichkeit

25 entfernt. Auf der andern Seite heißt es: Recht und Philoso­phie gehören dem Staate an.' Der Wille des Geistes istFreiheit, sie die Grundlage des Staates. Es ist nun allerdings

wahr, daß die Philosophie einerseits nicht die Wissenschaftdes Wirklichen ist und nicht aus dem Gegebenen aufnimmt,was Recht ist. In der Philosophie ist's die Vernunft, derinnere Begriff, woraus geschöpft wird. Indem die Philoso-phie des Rechts nicht positive Wissenschaft ist, die wir 5

abhandeln, und so der Wirklichkeit gegenüber zu stehenscheint, soll dies der erste Punkt unserer Betrachtung sein.Platon (Rei Publicae, L. V) stellt das Verhältnis der Philoso-phie zum Staate dar.E Wir müssen uns auf einen höherenStandpunkt stellen in Ansehung der Philosophie und der '0

Wirklichkeit. Wir betrachten in der Platonischen Philosophiediese Voraussetzung, I. daß die Philosophie die Wahrheit inder Form des Gedankens, des Begriffs betrachtet'. Ist dies'Begreifen, Denken, so ist die Wahrheit aus den andernFormen, z. B. aus dem Gefühl, auch IWahrheit. Die philoso- 15'

phisehe Wahrheit hat ihre eigentümliche Form. 2. daß dieseWahrheit nur ein Sollen der Wirklichkeit entgegensetzt. -Wir machen geltend, daß die Wahrheit substantiell, ebensoinnerer Begriff als Wirklichkeit sei; daß sie keine leereVorstellung, sondern allein das' Rechthabende sei. Es ist '0

irreligiös" wenn man sagt, daß die Wahrheit, das Göttlichenur ein Jenseits des blauen Himmels sei oder nur im innernsubjektiven Gedanken liege. Der Natur gibt man zu, daß sieeine göttliche sei, das Denken hingegen sei gottverlassen, derZufälligkeit überlassen. Die Idee ist vielmehr schlechthin das 25

Allgegenwärtige, ist nicht ein gleichgültiger Zuschauer nebenden andern, sondern allbeseelend, ohne das nichts ist, wasist.E Die Wirklichkeit ist der Leib, die Idee die belebendeSeele; jene fiele' in Staub, wenn diese entwiche. Wir erkennendas, was ist, das Wirkliche selbst. Betrachten wir Platon, so '0bemerken wir, wenn in seinem Staate nicht etwas Mangelhaf-

I -Einleitung- fehlt im Orig.2 Orig. >ZU<.

3 Orig. >;<.

1 Orig. -betrachten-.2 Orig .•d.s.3 Orig. -d.c

4 Orig. -irreligios-.5 Orig. -fiel-.

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tes gewesen wäre, so wäre er notwendig in die Wirklichkeitgetreten. Diejenigen haben nicht ganz unrecht, die' vonWirklichkeit, Realität, Erfahrung reden und dagegen das

4 Ideal ein leeres nennen. INur haben sie den Spiegel der5 Wirklichkeit nicht recht gehalten", sie nicht mit der Vernunft

betrachtet, denn so erscheint die Welt auch vernünftig. DasReale' und die Wirklichkeit, das ist das Reich des Geistes.Platon hat die Wirklichkeit seiner Welt erkannt; das Prinzipder Sittlichkeit in der Form der Einfachheit, dies ist der

10 griechische Geist, griechische Sittlichkeit; dies ist in Wahrheitso gewesen, wie' Homer, Herodot, Sophokles die Bilder dergriechischen Sittlichkeit darstellen. Aber die Sittlichkeit alsgriechischer Geist konnte nicht in dieser Form bleiben. Siemußte nach den Forderungen der höheren Formen in die

15 Entzweiung lenken. Schon Platon fühlte dies. Es erschien.aber diese Entzweiung in der alten Idee der Sittlichkeit alsVerderben, weil sie noch nicht zur Harmonie' zurückgeführtwar. Auf dieselbe Weise wie die Spartaner das Geld verboten,weil es böse Triebe veranlaßte, und dann nur die Habsucht

'0 tückischer im Innern ausbrach, so wollte Platon das Prinzipdes sittlichen Selbstbewußtseins, das die Entzweiung schuf,auflösen; kein Eigentum, keine Familie sollte in seinem Staategelten.fNicht überfliegen soll die Philosophie ihre Zeit; sie steht in

25 ihr, sie erkennt das Gegenwärtige. Das ewig Wahre ist kein5 Vergangenes Iund kein Zukünftiges. Dieses an und für sich

Wahre ist nicht form- und gestaltlos, sondern eine Gestalt,eine bestimmte Weise des Geistes; diese Weise des gegenwär­tigen Geistes, der sich von anderen Gestalten unterscheidet,

'0 ist die höchste Weise des Begriffs, den er5 von sich selbst

gefaßt hat. Diese Gestalt ist doppelt, teils der Philosophieangehörig, teils der äußerlichen Gestalt der vorhandenenWirklichkeit. Dieser Geist im wirklichen Dasein ist der bunteTeppich, wo eine Menge Interessen und Zwecke sich kreu­zen, gegeneinander kämpfen. Diese Gestalt betrachtet die 5

Philosophie nicht. Dieses Geröll, zurückgeführt auf denGedanken, ist Gegenstand der Betrachtung der Philosophie,der Geist ein System seines einfachen Lebens.Wir erinnern hier an den Ausdruck: die Weltbegebenheitenund die Menschen sind Werkzeuge in der Hand der Vorse- 10

hung. Sie bringt etwas anderes hervor, als diese wollen.Indem jene ihren Zweck ausführen wollen, führt so dieVorsehung den ihren aus. Näher können wir das Verhältnisso ausdrücken, daß der wahrhafte Geist das Substantielle 1,

das Wesentliche, die Grundlage ist, was Iwir bei den Tieren 15 6

die Gattung'' nennen: Instinkt, durch diesen gibt sich dieGattung kund. Eine Natur ist es, die sich in ihnen offenbart.IAußer der Gattung aber, außer dem allgemeinen Geiste, sindes die Einzelnen, die die daseiende Wirklichkeit des Geistesausmachen. Der Mensch handelt nicht aus? Instinkt, daher 20

macht sich die Einzelnheit geltend. Diese treten zusammen:Gemeinwesen'. Sie haben ihre besondern Zwecke, und ebendiese Zwecke sind einesteils besondere, andererseits ist dieGattung das Allgemeine darin. Hierher gehören die Leiden­schaften, die ihre Befriedigung suchen. Sie zeigen, daß die 25

Menschen im Allgemeinen ihre Besonderheit suchen. Dies istdie Betätigung des Allgemeinen. Die Idee, bloß allgemein,führt sich nicht aus, ist träg. Das Tätige ist erst die Subjektivi­tät, macht das Allgemeine zu einem wirklichen Konkreten,Vorhandenen. - Die wirkliche Welt bietet das Gedoppelte

I Orig. -wenn sie..2 Orig. -Das Re-, -Re- durch­

gestrichen.

3 Orig. -dies ist es in Wahrheit sogewesen, WIe es-.

4 Orig. -Admonie-.5 Orig. -es-.

I Orig. -d. Subsrentiellen..2 Orig. -als-.3 Orig. vor und nach -Cemeinwesen­

steht ein Komma.

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dar, daß Zwecke der Individuen darin erscheinen, das Wollender Einzelnen, das das Verwirklichende und Allgemeine ist.Diese äußerliche Seite ist schlechthin notwendig. IAber dieVerwickelung der besonderen Interessen tritt ein; da verhält

5 sich das Allgemeine substantiell, unüberwindlich. Indem esalso der wirkliche Weltgeist ist, den die Philosophie betrach­tet, so gehört die äußerliche Wirklichkeit der Philosophienicht an. Nur das Einfache hebt sie heraus, und 1 das Mannig­faltige führt sie zurück auf die Einheit. Von dieser Seite kann

10 das Tun der Philosophie mit mikroskopischem Untersu­chen verglichenf werden. Betrachten wir durchs Vergröße­rungsglas den zarten Umriß des Bildes, dann werden wirüberall Rauhheiten entdecken; was fürs bloße Auge schönerscheint, erscheint dann ungestaltet. Ebenso das wirkliche2K

15 Bewußtsein; für dieses sind Einzelnheiten und Verwickelun­gen vorhanden. Die Philosophie führt das Getümmel derWirklichkeit auf seine Einfachheit zurück,' in die stillenRäume, die frei von jenen Interessen liegen. Sietreibt also ihrGeschäft nicht jenseits der Weltgeschäfte, aber die substan-

20 tielle ..... .'K derselben ist's, die sie betrachtet. Sie erkenntdas Recht des Vorhandenen an, denn in dem buntestenGewebe fremdartiger Interessen doch das 5K,

das Allgemeine ist. Sie achtet das Wirkliche als das Reich desRechts; sie weiß, daß in der wirklichen Welt nur 6K I gelten

25 kann, was in dem Begriff eines Volkes vorhanden ist. Unsinnwäre es, einem Volke Einrichtungen aufzudringen, zu wel­chen es nicht in sich selbst fortgegangen ist. Was an der Zeitist im innern Geiste, das geschieht gewiß und notwendig.Verfassung ist die Sache der Einrichtung dieses innern Gei­stes. Er ist der Boden; keine Macht im Himmel und auf Erden

gegen das Recht des Geistes. Dies ist freilich etwas anderes alsReflexion und Vorstellungen, die man so aus abstraktemDenken oder aus wohlmeinendem gerührtenHerzen hervor­bringt. Was vernünftig ist, wird wirklich, und das Wirklichewird vernünftig. 5

In der Religion wird das Göttliche in Form seiner Ewigkeitgefühlt; dieses ist in der Welt als wirklicher Geist. DiePhilosophie gehört von dieser Seite zur Kirche als geistige1K

Religion. Diese hat das Wahre in der Form seiner Ewigkeitzum Gegenstand. 10

Hiergegen isr' die Form der Philosophie wohl auch Form desEwigen, aber Form des reinen Gedankens, des Ewigen imreinen Elemente. Insofern die Philosophie etwas betrachtet,was der Geist ist, so ist sie I doch eine Trennung, da sie etwasanderes ist als der wirkliche Geist. Die Trennung erhält diese 15

nähere Bestimmung, daß wir darauf sehen', wann 4 diePhilosophie hervortrat. Es geschah, wenn der Geist in derForm des Gedankens gegenübertrat der Form der äußerli­chen Wirklichkeit. So sehen wir sie im Platon, Sokrates,AristoteIes hervortreten, zu den Zeiten, wo das griechische 20

Leben seinem Untergang zuging und der Weltgeist zu einemhöheren Bewußtsein seiner selbst. Auf mattere Weise findenwir dies in Rom wiederholt, indem das eigentümliche frühererömische Leben aufgehört, sich anders gestaltet hat. Descar-tes erschien, da das Mittelalter ausgelebt war. Die Konzentra- 25

tion des geistigen Lebens wird endlich geboren, wo Gedankeund Wirklichkeit noch nicht eins waren. Wenn diese Kon­zentration sich in den Unterschied entwickelt, wenn dieIndividuen frei wurden und dann das Leben des Staatesauseinandergegangen ist, dann sind die großen Geister her- 30

vorgetreten. Die Philosophie tritt als der sich abscheidende

7

8

I Orig. snur-.2 Orig. -willk..(zu ergänzen zu -will­

kürlich-).3 Komma eingefügt.

50

4 Orig. -Unlusrc5 Orig. -Entheiligendec6 Orig. -uns-. I Orig. -gesreigerte-.

2 -ist- eingefügt.3 Orig. -sahen-.4 Orig. -wenn-.

9

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Geist hervor. Wenn sie grau auf grau gemalt, dann ist die10 Scheidung an Leib und SeeleI ergangen. Nicht die Philoso­

phie ist's, die den Bruch bringt; er ist schon geschehen, sie istsein Zeichen. Wie ist dieser Bruch zu betrachten? Wir

5 könnten meinen, es1 sei nur ein ideeller, kein wahrhafterBruch, daß der Geist die Wirklichkeit als toten Leichnamverläßt, ein Weltzustand, wo die freie Philosophie und dieAusbildung der Welt übereinstimmen. In dieser Ansicht gäbedie Philosophie die vermeintliche Opposition auf und das,

10 was ihr wahrhaftes Ziel ist. Denn es liegt in ihr das Momentder Versöhnung; sie soll die Trennung in dem verschiedenenBewußtsein aufheben.f

Übersicht der Wissenschaft

Unser Gegenstand ist das Recht. Dies gehört dem Geiste an,15 und zwar der Seite, die wir Willen nennen. Wir fragen nach

der Natur des Willens, des denkenden Willens, der denAusgangspunkt für das Recht macht. Der wollende GeistE inseinem ganzen Umfang will den Geist als Natur, als vorhan­dene Wirklichkeit schaffen. Das Recht ist dagegen des Wil-

20 lens. Der Wille heißt frei, weil er, erst ein Inneres, sich zu11 etwas Anderem, I zur äußeren Wirklichkeit macht. Dies isr'

seine Freiheit. System des Rechts ist nichts anderes alsSystemder sich verwirklichenden Freiheit. Der Geist ist mehr oderweniger ein abstrakter Geist; der konkrete ist der vielfache,

25 mannigfaltige in sich. Das Konkrete fällt in den Ausgang,nicht in den Anfang. Der Ausgang ist dieser, daß er' in derhöheren Bestimmung das, was er' früher ist, mit sich nimmt;

I Orig. -er-.2 -ise- eingefügt.3 Orig. -es-,

er fängt vom Einfachen an, nicht so konkret. Das Recht desWeltgeistes macht den Beschluß.Vergleichen wir unsere Wissenschaft mit der positiven Wis­senschaft! Das positive Recht lehrt uns den Gesichtspunktkennen, was in diesen und jenen Fällen Recht sei, ob dieses 5

dem oder jenem gehöre, lehrt eine Handlung beurteilen.Dieser Gesichtspunkt erscheint hier als Mittel für die einzel­nen Fälle, daß für jeden das Recht ausgemacht werde. DieVernünftigkeit erscheint als Mittel, daß die Menschen zuihren Sachen kommen. Das Wesentliche scheint die Sache zu 10

sein. Was hier bloß als IArt und Weise ausgesprochen wird 1, 12

ist uns das Wesen; was dort im Zustande und Verhältnissenur2K als vernünftig gilt, nicht aber, daß der Geist seineBegriffe darin befriedigt. Auf' dieser verschiedenen Stufe istdas Geistige, was uns hier allein beschäftigt, zu Hause. Den 15

Schein des Geistes, das Gelten des Allgemeinen betrachtenwir darin; nicht suchen wir den Nutzen, nicht, wie Ruhe,Ordnung, Besitz gesichert wird. Uns ist das Vernünftige dererste und wesentliche Zweck. Inunserer Betrachtung, wO dasVernünftige der Zweck ist, treten die Zwecke der Besender- 20

heit (das Advokatenwesen) zurück. Der Geist soll sichbefriedigen. Hier haben wir dasselbe Interesse wie in derReligion, ein geistiges Leben zu leben. Den Geist in derEinrichtung der Welt zu finden, Versöhnung des Geistes mitder Welt, ist unser gottesdienstliches Werk. Die unendliche 25

Güte des Göttlichen besteht darin, daß es den Individuen sichpreislgibt und das Recht der Besonderheit gewähren läßt. - 13

Darin finden wir die Nützlichkeit, wo etwas Mittel für denZweck wird. Das Individuum macht sich selbst zum Zweck;dies soll nun absolute Grundlage der positiven Rechtswissen- '0

schaft sein. Doch ist gewissermaßen Ton geworden, daß diese

I Orig. >Was hier als Art und Weise bloß ausgespr. wird-.2 Orig. -unse.3 Orig. -In-.

53

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Einteilung

positive Rechtswissenschaft herabschaut auf das Vernünftige.Wir stellen das Recht in seiner Totalität dar, dies zu entwik­kein ist1 unser Fortgang. Die Anwendung fürs Besonderegehört nicht in' unsere philosophische Rechtswissenschaft.

5 Vollständig entwickelt würde sie denselben Umfang wie diepositive Rechtswissenschaft gewinnen. Aber Anwendung istnur Sache des Verstandes, der das Einzelne unter das Allge­meine ordnet, nicht philosophische Untersuchung.

10 1. Der Wille, die Freiheit in der ersten Abstraktion, d. i. diepersönliche Freiheit. Person, nichts als abstraktes Freies ohne

14 allen I Inhalt, ist Freiheit als Freiheit eines Einzelnen. Dieabstrakte' erscheint in Form der Unmittelbarkeit. Dies ist dieeinzelne Person. Sieist formell, weil die Freiheit noch in ganz

15 formeller Weise vorkommt.2. Der moralische Standpunkt, nicht Ethik als Tugendlehre.Die Freiheit erscheint in ihrem ersten Anderswerden; dieReflexion, der Wille als reflektierend, sich unterscheidend,die eben damit in sich ist, in der Unterscheidung, Stufe der

20 Differenz. Der moralische Standpunkt hat den sich selbstgewissen Willen, das Innerliche zum Prinzip4K ; Forderungder eigenen Einsicht; daher Standpunkt der Absicht, desGewissens; zugleich Standpunkt der Entzweiung. Die Moralspricht ein Sollen aus, macht sich zu einem Besonderen. Hier

25 tritt das Wohl ein. So ist das erste das Recht der abstraktenPerson, das zweite das Recht der besonderen Person, dasdritte das Recht beider zusammen.

15 3. Standpunkt der Sittlichkeit. Die beiden I ersten Momente

sind beide einseitig, ideell; ihre Wahrheit1 ist ein drittes.f Daist der Wille' als einfach unmittelbar, dem Begriff gemäß,' anund für sich. Vereinigung des Willens in seiner Subjektivität,dies der sittliche Standpunkt, der der Wahrheit. Dies ist derkonkrete Geist, im Anderen auch ideell. Was an und für sich 5

Wille ist, daß dies ohne innere Wahl auch Sitte, immer dieNatur ist, daß überhaupt die Freiheit eine Notwendigkeit wiedie Natur sei, geht auch in diesen" Standpunkt ein", Fürdiesen ist das Gewissen, die Moral nur Übergang, nicht mehrwesentlicher Standpunkt; das ist das Recht des wahrhaften 10

Geistes, höher als das' des formellen. - Der sittliche Geist istwieder:a. unmittelbar sittlicher Geist. Auf diesem Standpunkt habenwir den Begriff dieses Geistes. Aber er ist es nur, weiß nichtsvon sich, ist unser Gegenstand. Aber keine Bestimmung soll 15

in uns sein, die nicht in dem ist, was Gegenstand ist. IEr selbst 16

soll sich der Gegenstand sein. Die unmittelbare Sittlichkeit istdie natürliche in der Form der Empfindung; in ihr Geist derFamilie, die Hausgötter, die Liebe. Diese ist dieses, daß ichnicht bloß in mir als Einzelnes bin, sondern mein Selbstbe- '0

wußtsein in dem eines Andern habe: ich bin selbst und binein Anderes. Mein Selbstgefühl ist nicht beginnende Einzeln-heit, enthält ebenso unmittelbar ein Anderes.b. Das zweite ist Standpunkt des Anderswerdens, Entfrem­dung des sittlichen Geistes: er' zerfällt in sich; die Individuen 25

als Einzelne oder Familie haben Beziehung nach außen; dieStufe der Abhängigkeit erscheint nach verschiedenen Seiten:System der Bedürfnisse, bürgerliche Gesellschaft nach ihrendrei Momenten:a. Unmittelbare Arbeiten für das Bedürfnis mit Wechselbe- 30

5 -ein- eingefügt.6 Orig. -der..7 Orig. -esc

I Orig. -Mehrheir-.2 Orig. )Willen<.3 Komma eingefügt.4 Orig. -diesem-.

3 Orig. -Abstrakce..4 -zum Prinzip- eingefügt.

I .is« eingefügt.2 Orig. -für-.

54 55

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ziehung der Individuen, wo jeder zunächst für sich sorgt,aber ~ur, indem er die Bedürfnisse der Einzelnen befriedigt. Iß· Die Rechtsverfassung sorgt, daß die Sittlichkeit wirklichwerde, daß das Allgemeine der Freiheit erhalten werde.

5 y. Die allgemeine Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft unddas Anordnen dieser Ordnung; der Notstaat, die Polizeientsprechen1 dieser Bestimmung, die bürgerliche Gesell­schaft in äußerer Ordnung zu erhalten.c. Das dritte ist das sittliche Ganze, der Staat, der sich als

10 solches Ganze der Zweck ist, der Geist des Volks, das höchsteRecht. Hier unterscheiden sich wieder:c, der unmittelbare, sich auf sich beziehende Staat; Gliede­rung, Verfassung, inneres Leben in sich selbst;ß· daß er das Besondere ist; verhält sich zu Andern, hat eine

15 bestimmte Zeit, tritt auf gegen andere Staaten. ÄußerlichesStaatsrecht, Verhältnis des Volksgeistes zu Volksgeistern; Iy. daß dies unmittelbare Verhältnis sich aufhebt: die fakti­sche

2KBeschränkung des Volksgeists. Weltgeschichte, Welt­

gericht3K. Daraus geht der Geist als allgemeiner Geist hervor.20 Realisierung seines Selbstbewußtseins, die Weltgeschichte,

Erzieherin des Geistes; daß er' sich als das Allgemeine weiß.Das Recht des allgemeinen Geistes ist das höchste Recht.Di~ Wissenschaft des Rechts ist ein Teil der Philosophie, einGlied des Ganzen; als solches ein Notwendiges, ein Ergebnis

25 vom Vorhergehenden. Den Begriff des Rechts zu begründen,das fällt nicht' in sie selbst, das ist das Vorhergegangene. Inder aphilosophischen Wissenschaft treibt man es also: Siefragen: Was ist in den mannigfaltigen Vorstellungen vonRecht, die wir haben, das Allgemeine? Da macht man sich

30 eine Definition, die soll entsprechen dem, was in unsererVorstellung liegt. Freilich gesteht die positive Rechtswissen-

schaft selbst ein: omnis definitio in jure' est periculosa.fScheinbar fangen 2 wir I einseitig an. Die Philosophie zei.gtaber, daß ihr Ende am Anfange ist. Wir nehmen den Begnffdes Rechts als Lehrsatz (Enzyklopädie § 4003E), als eine Stufedes Geistes, die als Höheres' hervorgeht. Der Geist in seiner 5

Unmittelbarkeit ist das ganz Allgemeine, das sich in sich nochnicht Unterscheidende, die Wahrheit der Natur, Welt­seeleE(IJ, reiner ÄtherE(2)K, in dem alles aufgelöst ist, allesdurchdringend. Da ist es der ganz natürliche Geist, ohneFreiheit, ohne Persönlichkeit. Der noch schlafende Geist, der 10zurückgehende aus seiner Besonderung, unterscheidet d.ieWelt nicht mehr von sich, geht so in das Ganze zurück. EinGefühl, eine Annäherung zum Bewußtsein, kommt immagnetischen Schlafe" vor, einem Zustand, den man ~enpyromantischen'E nennt, denn der Besonnene hat keine 15

Weissagung. In diesem Schlafe finden wir keine Erholung,der Geist fällt in die niedere IStufe der Einheit mit der Naturzurück. Diese Allgemeinheit ist dem Begriff des Geistes nichtangemessen; seine nächste Stufe ist, in das Bewußtsein zutreten. Im Bewußtsein ist die Natur als äußerliche Welt für 20mich. Es ist dies der tierische, der paradiesische, der ungei­stige" Zustand. Die zweite Stufe ist daher die Stufe d,:sVerhältnisses gegen die Welt. Die wahrhafte Stufe Ist diedritte der Geist als Geist, wo er Vernunft ist, daß der Inhalt,der Seinige ist. Diese Verwandlung macht den Prozeß der 25

Intelligenz aus. Das Denken ist die höchste Stufe der Intelli­genz; jene hat sie vollbracht; wenn ich denke, ~o ist es ganzdas Meinige. K(I) Denke ich die7WeltK(2), so habe ich sie durch­drungen, begriffen. Dies ist der theoretische'K Geist (Intelli­genz). Im Denken wird der Gedanke frei: wenn er nicht mehr 30

17

18

I Orig. -entspr.c2 Orig. -taktische-.3 Orig. -Volksgericho.

4 Orig. -es-.5 -nicht- eingefügt.

r

I Orig. -juris-.2 Orig. -fragenc3 Orig. >§ 900<.4 Orig. -Rauheres-.

57

5 Orig. -pirophalischen-.6 Orig. -ungunstige-.7 Orig. -der-.8 Orig. -moralische-.

19

20

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in der Einfachheir des Denkens rein ideell, wo das Mannigfal­rige verschwinder, Igehalren wird. Diese Vorsrellung kannnichr zu ihrem Unterschiede.' dienen, isr nichr von mirunrerschieden, sondern so ganz null. Der Geisr machr diese

5 Besrimmung, daß sie nur subjekriv sei. Er hebr aber diesenMangel wieder auf, machr diese Besrimmung zu einem 2 mirsich.Der Wille isr die umgekehrre Bewegung, machr das Seinige?zu einem Nichtseinigen", hebr die Subjekrivirär auf, gibr die

'0 Objekrivirär, doch so, daß diese Objekrivirär zugleich dieMeinige isr. Dieses die Srufe des Willens, die wir aufzufassenhaben. Wenn ich erwas will, habe ich einen Zweck. Dieser isrerwas Gedachres in mir; sein Mangel, daß er nur in mir ist,Insofern ich den Zweck ausführe aus mir heraus, gebe ich ihm

15 Wirklichkeir. Da har der Geisr sich gemachr zur Einheir desSubjekriven und Objektiven, sein Zweck isr subjekriv, diesenführt er aus, dies sein' Objekr. Der Geisr isr Subjekr-IObjekr.So isr alle Wahrheir ein Widerspruch, die Auflösung desWiderspruchs isr darin enrhalren, neutralisierr''. Nichr soll

20 man bei der Idenrität der Einheit stehenbleiben. Der aufgelö­ste Widerspruch enrhält beides. (Sarz.)6KDer Wille' isr also der Geist, dem die Bestimmungen zu denSeinigen 8 geworden sind, der in sich Besrimmungen har, dieaus ihm kommen, die er bei dieser Einseitigkeit nennt. Der

25 Wille ist ferner betrachter worden I. als' Wille in sich oder anund für sich.E Darin enrhalrene Momenre. Zunächsr findetjeder in seinem Selbsrbewußtsein diese Momentc'", Wirreflektieren auf den Willen, so merken wir, daß er isr das reineAbsrrakre, das reine Denken. Ich kann mich vollkommen leer

21

22

r Orig. -Unterscheide-.2 Orig. -eines-.3 Orig. -Sinnigec,4 Orig. -Nichtsinnigen<.

5 Orig. -d. S.<,

6 Orig. >(Satz)< in einereigenen Zeile.7 Orig. )Willen<.8 Orig. -Sinnigen-,9 -als- eingefügt.

10 Orig. -dieses Momente.

machen, reinigen' von allem Inhalre. Wir gehen von einemGegensrande zu dem andern über. Ich kann alles aufgeben,allen Banden enrsagen, an die Iich geknüpft bin, kann denganzen Umfang dieser Bande meiner Exisrenz, auch diese? 23

kann ich aufgeben (mir dem Tode). Es ist das Momenr der 5

vollkommenen Unbesrimmrheir, Allgemeinheit. Sage ich zumir: ich, so bin ich aus der Welt geflohen, zu diesem reinenLicht", wo aller Unterschied sich aufgezehrr har. Dies ist dasMomenr der Freiheit, - regellos. Der Geisr weiß sich frei, daßer alles aufgeben kann. Sie mögen ihn greifen, wie und wo sie '0

wollen, er flieht in seine Innerlichkeir. Es ist die Freiheir desVerstandes, die an einem Momenr fesrhält. Er kann zu nichrsgezwungen werden. Nichr so das Tier; es ist eine subjekriveLebendigkeit", kann sich aber nicht von der Besonderheirseiner Exisrenz unrerscheiden. Aus jener Verstandesfreiheir 15

gehr der Fanarismus der Freiheit hervor, der darauf ausgeht,alles Besrimmte zu vernichren, der alles Besondere ansieht alserwas Fremdes, will immer das Besondere verschieden vondem Allgemeinen serzen. Wo für ihn Ieine Besonderheit 24

wird, siehr er sie als verdächtig an. Jedes Einzelne wird 20

verdächtig; obwohl es jerzr so erscheinr, könnre es auchanders sein. Dieser Fanarismus war das Moment der Franzö­sischen Revolution gewesen, da sie die Freiheit sich zum Zielesetzre; nur im Vernichren, Aufheben des Besondern fand sieihre Wirklichkeit. Sie wollte einen gewissen polirischen 25

Zusrand. Aber sowie? ein Zusrand sein oder werden will, tunsich Unterschiede hervor (Kristallisationenj''. Da will derFanatismus nichts wirklich werden lassen. Ebenso kommrdas Momenr der Verstandesfreiheit vor im Stoizismus,ebenso bei den indischen Gyrnnosophisten'', die in die 3D

Einheir mir der Gottheit, in leeres Spekulieren sich in sich

1 Orig. -reingesehen-.2 Orig. -diesen-.3 Orig. 'so wie c.

59

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zurückziehen, alle äußerlichen Gedanken und alles1Daseinin sich nehmen. So entstanden auch die Mönche im Mittelal­ter; sie fanden sich in der Wirklichkeit nicht, daher gingen sie. ich 2K daßin S1C . 2., ich zum Unterschied, zum Bestimmten

5 gehe; mache mich zum Bestimmten. IHier sind verschiedeneGegensätze zu lösen. Das Unendliche tritt erst hinaus in diesEndliche. Diese leere Allgemeinheit, diese Unbestimmtheitist schon das Andere, das, was sie zu sein nicht meint, eineendliche, einseitige Abstraktion. Das Unbestimmte ist selbst

10 das Bestimmte, da es dem Bestimmten entgegensteht, so dasAllgemeine dem Einzelnen, das Unendliche dem Endlichengegenüber. (LogikfDer Wille tritt heraus in die Besonderheit, dies ist dasMoment der Endlichkeit. In dieser Besonderheit unterschei-

15 den sich besondere Formen. Als Zweck, ganz äußeres Da­sein, hat die Besonderung des Willens die Form eines Subjek­tiven. Diese Besonderung geht uns hier nichts' an, da er" nurformeller Wille ist, gehört diese Stufe dem' Selbstbewußtseinan, wo ich ein äußeres Dasein gegenüber erkenne. Der Wille

20 gibt sich eine Form. Wir nennen diesen Inhalt den Zweck. Ergibt sich Form, setzt Bestimmungen in sich; diese sind IBe­stimmungen im Willen. Dadurch haben sie die Form, diesesoder jenes Besondere zu sein, in sich reflektierende Bestim­mung. Daraus werden sie Inhalt. Dieser ist ihre Form,

25 vorgestellt als in sich reflektiert. Hier folgt der Übergang zurBegrenzung, d. h. er setzt sein erstes Moment als das was es. ,ist. Der exemplarische WilleKhat nur besonderen Willen.3· Das dritte ist die Wahrheit dieser beiden, Einheit beiderMomente, Endlichkeit und Unendlichkeit identisch gesetzt,

'0 so daß die Besonderheit selbst als Allgemeinheit gesetzt ist,

daß ich diese Besonderheit als die Meinige habe. Ich setzediese Bestimmtheit als identisch mit mir, schließe mit dieserBesonderheit mich zusammen; ich beschließe, ich entschließemich, dies ist der konkrete Begriff. Ich trete in das Dasein, indie Wirklichkeit als ein Mögliches, der ich von dem Inhalt 5abhängig bin, beschlossen habe, es ist mein Zweck. Dies istein spekulativer Begriff. Sprechen wir philosophisch, so kanndie Spekulation nicht umgangen werden. Die IFolge war:a. in der Begrenzung unbegrenzt zu bleiben,b. in der Besonderung Allgemeines zu bleiben, 10c. in der Negation' zugleich positiv zu sein.Dies ist die Negation! der Negation', das Aufheben derGrenze. Dies ist die wahrhafte Unendlichkeit; Begriff desWillens, darin die Freiheit. Der spekulative/ Begriff desWillens ist die Freiheit, dies der Anfang' unserer ganzen 15Wissenschaft. Daß und ob wir frei seien4\ hat man in derPhilosophie abgehandelt; warum nicht auch, ob das Wassernaß sei.1. Allgemeinheit,2. Besonderheit, 203. Einzelnheit.Diese Totalität des Begriffs, Subjektivität, alles Vernünftigeist der Schluß.E Ich beschließe etwas, fasse den Entschluß.Wille ist zunächst das Unbestimmte, ist ITotalität in sich,schließt sich auf, ist das Seinige, es tritt kein Anderes hinzu. 25Die Beziehung der Negativität auf sich ist Negieren, sichbestimmt setzen. Der freie'K Wille kann nichts andereswollen als sich selbst. Nur er ist sich Inhalt, Zweck undGegenstand. Das Ich, das sich selbst will, ist ganz abstraktund einfach. Es muß besondere Unterschiede haben, um ein '0Inhalt zu sein. Dieses ist, daß der Geist nicht ein Abstraktes

25

26

I -alles- eingefügt.2 Orig. hat anstelle von 2. ein Fra­

gezeichen. Komma eingefügt.3 Orig. -nichtc

60

4 Orig. -es-.5 Orig. .d. Stufe d.c I Orig. -Negative-.

2 Orig. -schf.e,3 Orig. -Andem-.

61

4 Orig. -fesc stehen-.5 Orig. -fesce-.

27

28

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ist, sondern ein Konkretes. Der Begriff des Willens ist nurzunächst ein Inhalt. Diese Substanz ist es, die in mir will. DerGeist ist das System dessen, wasK er' will. Aber sein Inhalthat zunächst die Form von Unmittelbarkeit. Dieses ist aber

5 noch nicht die Form, die ihm zugehört. Der Inhalt muß derForm des Geistes entsprechend gemacht werden. Er muß dieForm des Meinigen erhalten, und dieses ist die Form derAllgemeinheit.Wir sagen, wir haben Triebe und Neigungen2K; diese Triebe

10 nennen wir natürliche Triebe. Der Inhalt derselben ist ganz29 unser I Eigenes; wir sprechen dies dadurch aus, daß wir siedie

unsrigen nennen. Die Triebe haben zu ihrer GrundlageBestimmungen unseres Geistes. Sie heißen natürlich, inso­fern sie überhaupt die Form der Unmittelbarkeit haben. Der

15 Mensch erscheint so zuerst als eine Sammlung von verschie­denen Trieben, wie solches auch in der empirischen Psycho­logie dargestellt wird. Diese Triebe sind die Mächte, die unserLeben regieren, insofern sie die Form der Unmittelbarkeithaben und gegen uns als ein Fremdes erscheinen. - Die

20 Unterschiede der Ideen erscheinen zunächst als bloß ver­schiedene Triebe.'. - Im Triebe bin ich um so unfreier, je mehrer zur Leidenschaft geworden ist. Die Leidenschaft ist inso­fern eine Krankheit, auf dieselbe Weise wie ein Organismus,wo die Kraft des Lebens sich auf einen Teil der Organisation

25 geworfen hat.E Zwischen dem einfach Allgemeinen, dem Ich,30 und dem Wesen steht noch etwas Trennendes, und dieses I ist

die Form der Unmittelbarkeit. Ich, als das Allgemeine, stehezugleich über der Besonderheit. Diese formelle Allgemein­heit, die sich als das Allgemeine weiß gegen das Besondere, ist

30 der Standpunkt der Willkür überhaupt. Die Willkür ist alsodies, wählen zu können, und dies kann ich, weil ich durchaus

I Orig. -es-.2 Orig, -Reizungen-.3 .Triebe- eingefügt.

rI

abstraktes Subjekt bin. Vornehmlich heißt man Willkür denWillen, insofern er wählt, etwas Besonderes überhaupt, nichtals das Gute, da dieses das an und für sich Allgemeine,Objektive ist. Der natürliche Wille geht uns hier nichts an.Das System de~ Glückseligkeit gehört hierher. Die Form der 5

bloßen Natürlichkeit ist abzustreifen und der! Inhalt desWillens zur Allgemeinheit zu erheben, so daß der einzelneTrieb zu einem ideellen Moment des Ganzen wird. Dies istalso die Erhebung dem Begriffe nach. Die Erhebung derTriebe aus ihrer IBesonderheit ist beim Individuo nichts 10 31

anderes als die Bildung, die Zucht. Das natürliche Wollenwird durch die Zucht dem Individuo abgetan. Die Zucht hebtalso einerseits die Trägheit auf, das dumpfe Versunkenseinder Natur in sich selbst. Sie erweckt ein Interesse und einenGegensatz. Alsdann besteht die Bildung des Individui darin, 15

die Natürlichkeit abzutun. Dieses Abtun geschieht zunächstdurch Gehorsam, durch Dienst. Hierdurch wird das natür-liche Wollen gebändigt. Die Furcht des Herrn, heißt es indiesem Sinn, ist der Weisheit Anfang." Die Furcht ist, daß ichdie N egativität meiner', als eines Natürlichen, in mir gefühlt 20

habe. Die Natürlichkeit ist in Anregung und Flüssigkeitgekommen dadurch, daß sie durchrüttelt' ist. - In derPeriode, wo rnan den Willen als natürlich gut betrachtete, istdie Ungezogenheit zum Prinzip gemacht worden.Die Bestimmungen des Triebes sind zufällige, Inicht solche, '5 32

die in seiner Natur liegen. Die Reinigung der Triebe ist derÜbergang derselben in die Form der Allgemeinheit. Es gibthinsichtlich der Triebe die doppelte Ansicht, daß sieaufgeho-ben und daß sie befriedigt werden sollen. Der Geist ist nichtein Abstraktum, sondern er ist wesentlich ein in sich gliedern- 30

I Orig. -den-.2 -Negativitat meiner- möglicherweise vom Abschreiber in zunächst offen­

gelassenen Raum eingetragen.3 Orig. -durchrinel«.

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Bildung fällt hierher. Die Bildung bringt es mit sich, daß dieBesonderheit in die1 Allgemeinheit erhoben wird. RoheVölker für frei zu halten, ist ein gewöhnlicher Irrtum, derdamit zusammenhängt, daß die Form der Allgemeinheit, diedes Denkens, ihre' Achtung verloren hat. Man ist in unsern 5

Zeiten darauf zurückgekommen, daß der Mensch unmittel­bar aus sich selbst wisse, was gut ist. Dahin gehört dieFrömmelei, die in unmittelbarer Empfindung zu habenmeint, was I allein in der Form der Allgemeinheit seine wahre 35

Gestalt erhält. Eine andere irrige Ansicht ist die, welche die 10

bloße Schlauigkeit und Pfiffigkeit mit dem Denken verwech-selt.Der Begriff der Freiheit ist das Denkende, Allgemeine, indem alle andere Realität aufgelöst ist.'. Der Mensch, insoferner Rechte hat, ist absoluter Selbstzweck, nicht Mittel, nicht 15

ein solches, außer welchem4 der Begriff seiner wäre.Der Unterschied nach innen ist die Ausbildung des Begriffs.Das erste ist, daß der Begriff frei für sich ist. Darin ist diePersönlichkeit ausgedrückt. Das zweite ist, daß der Unter-schied gesetzt wird. Hier ist die Unmittelbarkeit aufgehoben. 20

Diese Stufe ist nicht mehr so abstrakt alsdie erste. Es ist diesesder moralische Standpunkt. - Es ist hier der formelle Wille zubetrachten, und es handelt sich um Absicht, Einsicht u. dgl.Der besondere Wille tritt hier hervor. Es erscheint hier derabstrakt subjektive Wille und das Gute als das IAllgemeine. 25 36

Das dritte ist, daß der moralische Wille seine Subjektivitätaufhebt und zur Unmittelbarkeit seines ersten Begriffeszurückgeht. Dieses ist die Sittlichkeit. Das Gute soll hiernicht bloß sein, sondern es ist auch.Die andere Seite ist der Unterschied nach außen. Alle die 30

angegebenen Stufen sind in ihrer Existenz zu betrachten.Diese Existenzen oder Gestaltungen fallen in unser gewöhnli-

des System". Den Inhalt der Triebe ausrotten ist ein abstrak­tes, mönchisches Verfahren. Nach der andern Ansicht wer­den die Triebe als natürlich gut betrachtet. - Das An-sich desWillens ist der Begriff des Willens, und dieser Begriff des

5 Willens ist dies für mich, ein Gegenstand. Das System dervernünftigen Bestimmungen des Willens sind die einzelnenStufen, die wir in der Wissenschaft zu betrachten haben.Diese Stufen können in frei objektiver und in frei subjektiverForm behandelt werden. Die erste Betrachtung ist die uns-

33 10 rige. Wenn die Triebe als etwas IUnmittelbares, Gefundenesbehandelt werden, so ist dies eine unwissenschaftlicheBetrachtungsweise. - Der Wille hat zum Gegenstand dieFreiheit. Dies ist der Begriff der Idee, die wir abzuhandelnhaben. Oberflächlich genommen kann hier an den Eigennutz

15 gedacht werden. Der Wille ist indes hier als nach seinemBegriff zu nehmen. - Wenn man sagt: der freie Wille, so istdies scheinbar unnötig, da der Begriff des Willens die Freiheitist. Der unmittelbare Wille ist indes noch nicht frei, sondernnur der Wille an sich. - Wenn man fragt: Was ist die

20 Bestimmung des Menschen überhaupt?, so ist die Frage eineabstrakte, und die Antwort kann auch nur eine abstrakte sein.Dem gewöhnlichen Bewußtsein erscheint die Freiheit als derZustand, wo man tun kann, was man will. Was man wolle,das ist aber eben die Frage. - Die Realisierung des Willens ist

34 25 die Verwirklichung der Freiheit, daß diese als eine Welt Igegenständlich wird. Die Entwickelung des Begriffes derFreiheit gibt ein System vernünftiger Bestimmungen. Diesesist eine Notwendigkeit.Nach der gewöhnlichen Vorstellung erscheinen Wille und

30 Intelligenz oft als zweierlei. Der freie ' K Wille aber, der nichtszu seinem Inhalt hat als sich, hat seinen Inhalt nur durch dasDenken. - Man kann einen Sklaven fragen; er ist nur darumSklave, weil er sich nicht denkt. Der absolute Wert derI Orig. -feste-.

I Orig. -der-.2 Orig. -seine-.

3 -ist- eingefügt.4 Orig. -welches-.

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ches Bewußtsein. Man hat leicht die Vorstellung, daß Begriff,Idee etwas Entferntes, Jenseitiges sei. Aber es ist gerade diePhilosophie, die dieses Jenseits aufhebt. Wir bestehen alleinin den Bestimmungen und Formen der Idee. Gerade das

5 tägliche Leben hat Wahrheit und Wirklichkeit in sich, sonstwäre es gar nicht. - Das Dasein, welches sich die Idee gibt,entspricht derselben, aber es ist ein Unterschiedenes daran

37 und macht eine Bestimmung derselben aus. In I unserer Vor­stellung haben wir eine Reihe solcher Gestalten, die Bestim-

10 mungen des Begriffs sind, an dem es sich selbst zu höherenGestaltungen erhebt. Das Besondere kommt hier nicht vonaußen her, sondern der Begriff ist es selbst, der sich unter­scheidet.

rErster Teil

Das abstrakte Recht

Das 1K abstrakte Recht ist der Teil der Wissenschaft, der sonstNaturrecht genannt wird. Diese Benennung ist indes aus denbereits angeführten Gründen'' aufzugeben. Es ist eine irrige 5

Meinung, als ob die natürlichen Rechte in einem Naturzu­stande geltend wären. - Die Wirklichkeit des Rechts ist nichtnur unmittelbarer Zustand, das Recht muß vernünftig sein.Das unmittelbare Natürlichsein des Willens muß rekonstru­iert sein. Es gehören hierher die schlechten Fiktionen von 10

einem goldenen Zeitalter I oder einem Paradiese. Es ist keine' 38

Bekraftigung/' des Substantiellen, sich alle Not und alleSpannung in eine allgemeine Ruhe versenkt zu denken. Beieinem solchen Zustande mit seinen Gedanken zu verharrenist schwach und unwürdig, denn es ist Sache des Geistes, in 15

seinem Gegensatze bei sich zu sein.Der' Begriff ist in dem abstrakten Rechte in der Bestimmungder Unmittelbarkeit. Es ist hier der Wille" der sich in seinerReinheit auf sich bezieht. Diese einfache Beziehung ist dieBeziehung des Seins. Es ist hier die sich auf sich beziehende '0

absolute Negativitär'". Der Wille ist als dieses Unmittelbareder einzelne Wille. Dieses ist es, was wir Person nennen. DiePersönlichkeit ist das Höchste im Menschen. Daß ich in alleneinzelnen Bestimmungen mich als ein Freies verhalte, bildet'meine Absolutheit, die jedoch noch abstrakt ist. - Das Recht '5

kann überhaupt so ausgedrückt werden: Sei eine Person undbehandle I andere als Personen. Wenn man sagt, es sei der 39

I Orig. am Rande: >§ 17<,

2 Orig. seines.3 Orig. am Rande: >§ 18<.4 -der Wille< eingefügt.

5 -absolute Negarivitä« sicher vomAbschreiber in zunächst offenge­lassenen Raum eingefügt.

6 Orig. -bindet-.

Page 34: Hegel Phi Lo Sophie Des Rechtes Vorlesung 1819 1820

erste Grundsatz der Freiheit, daß die Menschen einander allegleich seien, so ist dieses allerdings ganz richtig. Nur sind dieMenschen einander nicht von Natur gleich, sondern lediglichin der Freiheit. - Dieser Gedanke ist vornehmlich durch das

s Christentum allgemein geworden. Das Christentum enthältdieses, daß Gott Mensch geworden ist und daß die göttlicheund menschliche Natur eins sind. Darin liegt das Hohe, daßGott die menschliche Natur als solche angenommen hat. Mitder Verbreitung dieser Idee muß die Sklavereiverschwinden.

10 Mit dem Kastenunterschied der Indier ist es ein anderes. Dortgilt die Naturbestimmtheit für ein Unüberwindliches. Manbraucht von den Indiern nur diesen einzigen Zug zu wissen,so ist dies hinreichend, um einzusehen, daß wahrhafte Wis­senschaftlichkeit und Sittlichkeit dort nicht haben können

40 15 zustande kommen. IDaß »Person« zugleich als Ausdruck der Verächtlichkeitgebraucht wird, hat seinen Grund darin, daß Person nur nochein Abstraktes ist. Die Freiheit hat sich zunächst als Person zubestimmen und ein Dasein zu geben. Ich bin nicht nur

20 Persönlichkeit, sondern auch Individualität. Als solche sindwir zugleich Besondere und haben Bedürfnisse, Triebe undNeigungen 1K • »Fiat justitia pereat mundus-f ist in diesemSinn zu verstehen. Das strenge Recht hat überhaupt nachseiner Bestimmung nicht auf das Wohl zu sehen. Das Recht

25 alsein so Abstraktes ist insofern überhaupt nur das Mögliche.Zum Handeln gehört noch weiterer Inhalt, das Rechtlichehingegen als solches." Möglichkeit, eine Erlaubnis, eineBefugnis.Das' eben angedeutete Rechtsgebot kann auch so ausge­

30 drückt werden: Respektiere die abstrakte Freiheit anderer.Das Verhältnis gegen andere ist insofern negativer Natur, und

rI

es gibt deshalb keine Rechtsgebote, I sondern nur Verbote. ­Viele Lehren über die Freiheit sind von dem Standpunkte derPersönlichkeit ausgegangen. Es ist dabei übersehen worden,daß diese Bestimmung nur eine Abstraktion ist. Man hat nachdieser Vorstellung den Staat als einen Urvertrag dargestellt 5

und hat dabei nur jene Punktualität des Willens aufgefaßt. Esentsteht auf solche Weise die schlechte Allgemeinheit, die nurAllheit ist. Es ist ein Grundirrtum, der zu ungeheuerenVerwirrungen geführt hat, die abstrakte Persönlichkeit alsdas Letzte und Höchste anzusehen. - Das fernere ist das 10

Moment der Einzelnheit zu einem unmittelbar Andern. Hierist die Sphäre der Außenwelt, die Person gibt ihrer FreiheitDasein. Das Verhältnis zu einem Andern ist in der Freiheitaufgehoben.Die erste Stufe, die wir zu betrachten haben, zeigt, wie die 15

Person ihrer Freiheit ein Dasein gibt; dies ist der IBesitz unddas Eigentum überhaupt. Das zweite ist, daß ich1, indem ichmir Dasein gegeben habe, für andere bin; dieses ist die Stufedes Unterschiedes, des Verhältnisses überhaupt. Ich tretejetzt in ein? Verhältnis zu Sachen, die das Eigentum eines 20

andern sind. Mein Verhältnis zu solchen Sachen ist wesent­lich vermittelt durch den Willen eines andern. Diese zweiteStufe ist der Vertrag. Die dritte Stufe ist, daß ich als Person fürmich selbst bin und unterschieden von andern und zugleichidentisclr'f mit andern. Es tritt hier die Allgemeinheit des 25

Willens ein. Dies ist die Stufe des Unrechts. Es findet hierüberhaupt der Widerstreit des Allgemeinen und Besondernstatt. - Wenn näher vom Personenrecht" gesprochen wird,wie z. B. bei Kant5E, im Gegensatz gegen das Sachenrecht't'',so ist hier die Person in einem gewissen Status betrachtet. 30

Nach unserer Betrachtung ist nun zunächst die Freiheit gar

41

42

I Orig. -Reizungenc.2. Orig. -solcbe« Doppelpunkteingefügt.3 Orig. am Rande: >§ 19<·

68

1 -ich- eingefügt.2 -ein- eingefügt.3 Orig. -idealisch..

4 Orig. -Personrech«,5 Orig. -Punk-.6 Orig. -Sacherechc-,

Page 35: Hegel Phi Lo Sophie Des Rechtes Vorlesung 1819 1820

r

I Orig. -Personrechte-.2 Kapitelüberschrift weicht ab von der .Inhaltsanzeigec -Das Eigenturne

Es kann gefragt werden, welches Interesse Ivorhanden sei,daß der Mensch sich Eigentum gebe. Zunächst ist das Inter­esse auf Befriedigung der Bedürfnisse gerichtet. Insofern

20 kann man es für eine untergeordnete Bestimmung ansehen,Eigentum zu haben. Es erscheint so nur verständig, Eigentumzu haben. Es ist aber auch ferner das Interesse der Vernunft,Eigentum zu haben, denn im Eigentum gibt die Freiheit sichDasein. Der Begriff wird sonach Idee. Wenn wir gewohnt

25 sind, das Recht nur als Mittel zu nehmen zum Schutz derBefriedigung unserer Bedürfnisse, so sprechen wir nicht nuraus dem Interesse der Vernunft. - Die Besonderheit einerUnmittelbarkeit ist zunächst äußeres Dasein überhaupt. ­Wie wir der äußerlichen Dinge habhaft werden, ist hier

kein Status, und Iwir kennen keinen Gegensatz von Freiheitund Sklaverei. Was das weitere betrifft im Personenrechte1

,

so gehören dahin Verhältnisse, die sich auf die Familiebeziehen. Allein das Familienverhältnis ist kein rein recht-

s liches Verhältnis. Es ist hier eine höhere Grundlage, dassittliche Verhältnis nämlich.Die Freiheit zeigt sich zunächst unmittelbar in der Form derEinzelnheit. Der Begriff der Freiheit hat sich nun wesentlichins Dasein zu setzen. Diese Totalität fällt nicht nur in unsere

10 Betrachtung, sondern es ist der Wille überhaupt, der dieSubjektivität aufhebt und sich daseiend macht. - Die Personwird sich im Eigentum gegenständlich und spinnt sich ineinem Gegenstand anK

30 47

45

46

5

20

überhaupt nicht näher zu betrachten. Die äußeren Dinge sindgewaltig gegen uns, und wir verhalten uns wieder als I Gewaltgegen sie. - Zu unserer Freiheit nach außen gehört zunächsteigene Unmittelbarkeit. So gehört unser Körper und freieräußerer! Geist zu der Äußerlichkeit unserer Freiheit. Damitder Körper ein Dasein unserer Freiheit sei, muß er ausgebil­det werden. Ebenso ist unser Geist zunächst nur an sich· wir,haben nur Vermögen, Fähigkeiten pp.Indem ich Freies bin, so ist keine Äußerlichkeit als geltendgegen mich vorhanden. Ich kann von allem andern abstrahie- 10

ren. - Die Freiheit des Geistes ist der absolute Begriff selbst,in dem alles andere Bestehen untergegangen ist. Daß dieFreiheit absolute Substanz ist, diese Betrachtung fällt in dievorhergehende Philosophie. Alle Früheren! Gestaltungenlösen sich auf in das Resultat des freien Geistes. Wenn ich also 15

als individuelles Subjekt mit äußern Dingen in Kampf Ikomme, so verschwindet dieses Verhältnis gänzlich in meinerf.reiheit. Es findet hier eine reine Expansion in einem reinenAther'' statt. Hierin liegt nun das absolute Zueignungsrechtdes Menschen auf alle äußeren Dinge.Besitz und Eigentum sind eigentlich nur Seiten eines unddesselben; der Besitz ist die Äußerlichkeit des Eigentums alseines Substantiellen. Abstrakt ist Besitz nicht ohne Eigentumund Eigentum nicht ohne Besitz. Die Substanz ist eine leereAbstraktion ohne die Akzidenzien, und umgekehrt. - Eigen- 25

turn und Besitz sind nun auch trennbar, und zwar mit Rechtund mit Unrecht. Diese Trennbarkeit scheint der ausgespro­chenen Identität'" zu widersprechen. Wenn der Besitz vomEigentum getrennt ist, so hat das letztere nicht mehr dasunmittelbare, sinnliche Dasein, sondern I das Dasein muß

I -freier äußerer- wahrscheinlich vom Abschreiber in zunächst offengelassenenRaum eingefügt.

2 Orig. -frühere..3 Orig. -Idealitar..

Erstes Kapitel1. Besitz und Eigentum?15

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5

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ideell sein. Dieses ideelle Dasein besteht im Anerkanntseinanderer, so wie in der bürgerlichen Gesellschaft das Eigentumüberhaupt durch die Anerkenntnis anderer vermittelt ist. - Inder positiven Rechtswissenschaft ist die Rede vom Rechte des

5 Besitzes als solchem'. Dies hat den Sinn, daß der Besitzerscheint alsbesondere Weise, ein Eigentum zu erlangen. - Esmuß der' Wahrheit nach das Recht des Besitzes gleich zuerstabgehandelt werden, da der Besitz bei allen andern Arten derEigentumsverhältnisse vorkommt. - Dasjenige, was besessen

10 wird, heißt nun eine Sache K • Diese ist ein solches, das keinselbständiges Bestehen in sich hat. - Wenn man eine Sache indieser Art definiert, so folgt daraus, daß Wissenschaften,Kenntnisse pp. auch Sachen wären, denn sie sind unter-

48 scheidbar Ivon mir selbst. Nun heißt man so etwas doch nicht1S eine Sache, indem man darunter bloß äußerliche Dinge

versteht. Die Bestimmung von Rechtlichkeit ist ein Momentüberhaupt; Künste und Wissenschaften können insofernallerdings zu Sachen gemacht werden. Sache ist nicht einFeststehendes, das bloß eine für sich bestehende Existenz

'0 bildet. So ist umgekehrt etwas, in das ich meinen Willengelegt habe, nicht mehr bloß eine Sache, sondern zugleich einInnerliches, Subjektives. Ich ist das Innerlichste, und den­noch kann ich auch dieses zur Sachemachen, wenn ich Sklavewerde und mich somit meiner Freiheit, meines Ich begebe.

25 Eigentliche Sache ist somit zugleich ein Äußerliches und einInnerliches.An der äußerlichen Seite muß die Seite der Persönlichkeiterscheinen. Dadurch erhält sie nur das Wesen. Es ist in dieserBeziehung zu betrachten: 1. die Besitznahme überhaupt.

49 30 2. ist die ISache, in die meine Freiheit gelegt ist, negativgesetzt. Die Manifestation der Nichtigkeit der Sache ist derGebrauch derselben. 3. Die Veräußerung des Eigentums, das

I Orig. -solchenc2 Orig. -die-.

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I

I

unendliche Urteil'', daß ich mich in mich selbst aus der Sachereflektiere.Bei der Besitznahme ergibt sich folgendes: Die Personerschien als das unmittelbar FreieE• Diese Person ist nicht nurdas Abstrakte, sondern ein Erfülltes, ein Geist. Das dritte istdie Äußerlichkeit. Als unmittelbare Person habe ich einenorganischen Körper. Dieser ist unmittelbar mein, und esscheint lächerlich zu sein, nach dem Recht der Besitznahmeam Körper zu fragen. Ich habe den organischen Körper nur,weil ich ihn haben will, und wenn ich ihn nicht haben will, so 10

habe ich ihn nicht. Das Tier kann sich nicht umbringen, sichnicht verstümmeln. In Iunseren Körper legen wir insofernunsern Willen. - Daraus, daß ich als Freies in meinem Körperbin, folgt, daß mein Körper nicht als der Körper eines Tieresgebraucht werden kann. Wer meinen Körper angreift, greift 15

mich als Freies an.Der Geist ist dieses, daß er durch seine Tätigkeit das, was erist, aus sich heraussetzt, sich objektiv macht. Der reineSprachgebrauch sagt schon von jemand, der mit seinemKörper und seinen Anlagen nicht umzugehen weiß, er sei 20

seiner nicht mächtig. - Der Mensch ist Geist an sich, d. h. erist die Möglichkeit, d.h. die reale Möglichkeit. Aber damit istder Mensch noch nicht wirklich, was er sein soll. Der Menschmuß wesentlich seinen Geist in Besitz nehmen. Der Menschmuß sich als Freies in Besitz nehmen. Hierauf I beruht derStreit, die Antinomie über Sklaverei. Der Mensch, insofern ernur unmittelbar frei ist, ist noch nicht frei. Dem Menschen,der nur unmittelbar frei ist, geschieht insofern kein Unrecht,wenn er Zum Sklaven gemacht wird. Er existiert bloß alsnatürlicher Wille. Die Verteidiger der Sklaverei beziehen sich 30

alle darauf, daß die, welche sich zu Sklaven machen lassen,nicht für sich frei sind. Ob die Menschen wirklich frei sind,das wissen sie voneinander aus dem bloßen Anblick nochnicht. Um als Freier anerkannt zu werden, muß ich mich auch

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50

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in meinem Dasein frei zeigen. - Die Kämpfe roher Völkergegeneinander haben nur den Sinn, zu zeigen, in ihremDasein frei zu sein. Der Stand ist dann dieser, wo jeder alsFreier von dem anderen anerkannt ist, ohne daß gefordert

52 5 wird, erst IBeweise äußerer Freiheit zu geben. Die Forde­rung, keinen als Sklaven zu behandeln, ist ganz richtig. Aberebenso gültig ist die Forderung, selbst nicht Sklave zu sein1.

Es läßt sich immer sagen, daß man sich durch den Tod hätteder Sklaverei entziehen können. Niemanden' zum Sklaven

10 zu machen ist keine rechtliche, sondern eine moralischeForderung. Der rechtliche Anspruch bezieht sich nur auf dieFreiheit, wo sich dieselbe im Dasein zeigt, und fällt somitweg, wo dieses Dasein der Freiheit sich nicht zeigt. - Nur erstim Staate ist das Anerkenntnis einer Freiheit vollständig. -

15 Das fernere ist die Besitznahme äußerlicher Dinge. Dies istnun das absolute Zueignungsrecht. - Die äußerlichen Dinge,welche in Besitz genommen werden können, gehen uns nachihrer Besonderheit nicht an. - Eine allgemeinere Bestim-

53 mung Iwäre, wieviel jeder das Recht habe, in Besitz zu20 nehmen. Die Vorstellung fällt zunächst darauf, daß allegleich

viel besitzen müßten. Die Gleichheit ist hier die abstrakteVerstandeseinheit. Das Vernünftige in der Besitznahme ist,daß ich meine Freiheit in äußere3 Dinge lege.Wieviel ich inBesitz nehme, das gehört dem unbestimmten Felde der

'5 Besonderheit an, dem Felde, wo wesentlich die Ungleichheitzu Hause ist. Die Erde ist selbst etwas ganz Ungleiches, undes zeigt sich hier gleich die Untunlichkeit einer ganz gleichenVerteilung. Man kommt hier in den unendlichen Prozeß undsomit überhaupt in die Sphäre der Reflexion und des Verstan-

30 des und außerhalb des Vernünftigen.54 Es ist ferner die Zeitbestimmung Ihinsichtlich der Besitzer-

greifung zu erwähnen. Es liegt in der Natur der Sache,daß diePriorität hier den Vorzug geben muß.Die Besitzergreifung muß nun durch etwas äußerlich Dasei­endes betätigt werden, und der bloße Wille ist nicht alshinreichend zu betrachten. 5

Form und Materien sind in der Besitzergreifung eines Gegen­standes nicht getrennt zu betrachten, denn die Materie ist fürsich allein nichts.Die körperliche Besitzergreifung wird überhaupt auf denBereich unserer und der uns unterworfenen Sachen1K ausge- 10

dehnt. - Auszumitteln, welche Gesichtspunkte hierbei dasWesentliche sind, ist Gegenstand des Verstandes. - DasStrandrecht gehört auch hierher. Sachen, die an einen Strandgeschwemmt werden, hören der Natur der Sache nach nichtauf, mein Eigentum zu sein". - Es ist weiter zu erwägen, ob, 15

indem ich eines Erzeugnisses I mich bemächtige, ich zugleich 55

die Absicht habe, auch das Erzeugende mit in Besitz zunehmen. Dieses letztere ist, weil die Besitzergreifenden Ver­nünftige sind, in der Regel anzunehmen, so daß das Allge­meine, die fortdauernde Möglichkeit, zugleich mit dem 20

Produkt in Besitz genommen wird.Die' Formierung ist eine ideellere, höhere Weise der Besitz­nahme. Es ist dieses eine objektive, bleibende Form derBesitzergreifung. Die Arten der Formierung können nunwieder sehr mannigfaltig sein nach Verschiedenheit der 25

Gegenstände, worauf die Formierung angewendet wird.Das? Bezeichnen" drückt aus, daß ich das Meinige an einerSache nur vorstelle. Es entsteht so ein Verhältnis zu einemAndern. Im Zeichen' liegt zugleich noch eine andere Bedeu-tung als die unmittelbare. I 30 56

Indem ich eine Sache zu der Meinigen mache, so negiere ich

I Orig. -selbsr nicht zu Sklave zu seine2 Orig. -jemanden..3 Orig. -außeren-.

74

I Orig. -Pröchre.,2 Orig. am Rande: )§ 28<,

3 Orig. am Rande: >§ 30<.

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4 Orig. -Beaiehen-.5 Orig. )Ziehen<.

Page 38: Hegel Phi Lo Sophie Des Rechtes Vorlesung 1819 1820

sie. Es gehört deshalb zur Realität der Besitznahme, daß dieNichtigkeit der Sache dargetan wird. Dies ist überhaupt derGebrauch meiner' Sache. Der Gebrauch vervollständigt alsodie Realität meines Besitzes und gehört wesentlich zum

5 Besitz. - Es ergibt sich daraus die rechtliche Folge, daß, wennich den ganzen Gebrauch einer Sache habe, ich wesentlichEigentümer derselben bin. Wenn ein Unterschied sein soll, sokann er nur darin bestehen, daß der Gebrauch anderer unsteilweise oder nur auf gewisse Zeit abgetreten wird. - In den

10 Lehnsverhältnissen kommt es vor, daß einer der Herr ist,dominus directus, der andere der Gebraucher, dominusutilis, Dieses Verhältnis ist2 von seiten des Herrn ein ganz

57 leeres. IIndem ich eine Sache besitze, so ist sie eine einzelne. Daran ist

'5 noch die innere Allgemeinheit der Sache zu unterscheiden.Nach dieser Seite kann die Sache mit anderen in Vergleichunggebracht werden. Es wird hierbei nur überhaupt betrachtet,daß die Sache zur Befriedigung eines Bedürfnisses dient.Nach dieser allgemeinen Seite nennen wir die Fähigkeit einer

20 Sache, zur Befriedigung eines Bedürfnisses zu dienen, denWert der Sache. Den Wert haben wir auch als ein wirklichesDing, als das Geld. Im Begriff des Eigentums nun liegt, daßnicht nur die einzelne Sache, sondern auch der Wert der Sachemir gehört. - Ich kann jedoch auch Besitzer der Sache als

25 Einzelnheit sein, nicht nach ihrem Wert. Dies ist besondersder Fall bei den Lehnsverhältnissen. Ist die Benutzung unbe­stimmt mein, so gehört die Sache mir auch ihrem Werte nach

58 zu. IWenn man sagt, es hänge von uns ab, Eigentum unter

30 Lehnsverpflichtungen zu erwerben oder nicht, so kann diesnur vom Einzelnen gelten. - Dem Begriff der Sache gemäß ist

Tes, daß, was ich als Einzelnes I besitze, ich auch seinem Wertenach als Allgemeines besitze. - Das Eigentum soll seinemBegriffe nach volles, freies Eigentum sein. In Rücksicht aufEigentum fühlen sich die Menschen frei, wenn sie dasselbe sobesitzen, wie es dem Begriff entspricht. 5

Man/ ist in neuern Zeiten dahin gekommen, die bloßenHerrlichkeitsrechte'' als ein Miteigentum zu betrachten. ­Durch die christliche Religion ist vornehmlich das Prinzipder Freiheit etabliert worden. Die Freiheit des Eigentums isterst kürzlich allgemein anerkannt worden. - Es kann gefragt 10

werden, ob die Gütergemeinschaft an und für sich vernünftigsei. Diese Frage muß verneint werden, weil I die Darstellung 59

der freien Persönlichkeit damit unvereinbar ist.Es ist mit Recht in neuern Zeiten in den meisten Staaten dieAblösbarkeie von Reallasten'' ausgesprochen worden. Da- 15

durch sind Sozietatsverträge'' nicht ausgeschlossen, nur müs-sen solche auf eine bestimmte Zeit beschränkt sein. - DieWillkür kann nun allerdings, dem entgegenlaufend, Verträgeschließen. Allein solche begriffswidrige Verträge sind hierüberhaupt nicht zu betrachten. 20

Bei Zehnten ist häufig für die Zehentpflichtigen die Verpflich­tung' die Genehmigung des Zehentherren einzuholen, wenndie bisherige Kulturarr' geändert werden soll. Es ist einleuch­tend, daß diese Bestimmung gleichfalls eine sehr beschrän­kende und mit der Freiheit des Eigentums und der Industrie 25

unverträgliche ist. - Es hat schon etwas gegen die VorstellungLaufendes, wenn man in I äußerlichen sinnlichen Dingen 60

etwas auf ewige Zeiten bestimmen will. Wir sehen dies auchim Fortgang der Gesellschaft; sowie der Gedanke sich ent­wickelt, man sich bei Bestimmungen der Art nicht mehr 30

beruhigt. - Die agrarischen Gesetze sind auch nichts als derKampf des gemeinschaftlichen Eigentums mit dem Privatei-

I Orig. -seiner..2 -ist. eingefügt.

I Orig. -Einzelner-.2 Orig. am Rande: >§ 33<.

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3 Orig. möglicherweise -Kultusart-.

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I Orig. am Rande: )§ 36<.2 Orig. -werden..

Wenn' ich den ganzen Umfang meines Produzierens einemandern überlasse, so hätte ich nicht das Äußerliche nurüberlassen, sondern zugleich auch mein Innerliches. Nurinsofern kann ich meine Äußerungen veräußern, als diesauf eine gewisse Zeit geschieht. - Ein Sklave und Leibeige- sner bleibt wesentlich von einem Diener unterschieden da­durch, daß die ersteren für die ganze Lebenszeit gebundensind.Es gehört hierher die Frage über geistiges Eigentum. Esscheint zunächst ein Widerspruch, daß jemand mit seinem an 10

einer Schrift erworbenen Eigentum nicht solle tun können,was er will. Das, was ich bei einer Produktion veräußere, istvon Iverschiedener Art, entweder bloß mechanisch odergeistig, eigentümlich. - Bei einem Kunstwerk tritt der Fallein, daß es Eigentum des Künstlers bleibt. - Bei Büchern ist 1;

die äußerliche Form etwas ganz Mechanisches, und doch solldie Sache mein Eigentum bleiben, und zwar als Sache. DieGedanken, die ich mitgeteilt habe, sind allgemeines Eigentumaller geworden. - Das Plagiat ist mehr eine Sache der Ehre alsdes Eigentums. Heutzutage wird vom Plagiat wenig mehr 20

gesprochen, aber die Sache ist deshalb nur um so häufigergeworden. Die Gesetze gegen den Nachdruck werden denKlagen noch nicht genug abhelfen, solange nicht die Ehreunter den Schriftstellern höher gerechnet wird.Durch den Verkauf eines Buches wird nur das einzelne 25

Exemplar überlassen, nicht die Möglichkeit der Vervielfälti­gung desselben. Die besondere Form des Buchs I ist das demVerfasser zustehende Subjektive. Die besondere Verbin­dung von Gedanken, die den Inhalt eines Buchs ausmachen,wird? gleichsam durch den Schriftsteller zuerst in Besitz ge- 30

nommen und ist deshalb Eigentum desselben. Durch denGebrauch tritt hier eine Art von Verjährung ein, so daß eine

4 Orig. am Rande: )§ 35<·5 -nicht- eingefügt.6 Orig. -Freien-.

I Orig. arn Rande: >§ 34<.2 Orig. >äußerlich werdendes.3 Orig. -Erwerbungc

gentum. So unrechtlieh auch die erste Erwerbung der Patri­zier hierbei war, so hat sich doch das höhere Interesse desPrivateigentums behauptet.EDer' Gebrauch ist also das ganz Äußerlichwerden2

, dieManifestation des Besitzes. Der Besitz tritt damit also in dieZeit; der Gebrauch ist das Zeichen meines Besitzes. DasObjektive in Ansehung der Zeit ist die Fortdauer; es folgt alsodaraus, daß mein Besitz als fortdauernd erscheinen muß.Ohne dies hat mein Wille in der Sache nicht Dasein, und dieSache wird somit herrenlosP. Dies ist der vernünftige Grundder Verjährung. IDer4 Gebrauch erschien als das Negative an der Sache. Ichkann nun ferner aus dem Eigentum mich in mich reflektierenund mich desselben entäußern.Es gibt Bestimmungen meiner, die unveräußerlich sind undauf welche, wenn sie äußerlicherweise veräußert sind, meinRecht unverjährbar bleibt. Dahin gehört zunächst meinePersönlichkeit überhaupt. Daß so etwas nicht; veräußertwerden kann, davon liegt der Grund in der oft erwähntenNatur des Geistes, der von einem natürlichen, äußerlichen,an sich seienden Geiste zu einem für sich seienden, wahrhaf­ten Geiste werden muß. Ein Mensch, der zum Sklaven ge­macht ist oder sich selbst dazu gemacht hat, hat unmittelbardas Recht, seine Freiheit zu nehmen. Ein dergleichen Vertragist an und für sich nichtig. Ebenso ist es, wenn jemand einemanderen seine Sittlichkeit veräußert haben sollte. - Von derReligion gilt I dasselbe. Ich kann mich allerdings zumUnfreien" machen. Allein es ist die eigenste Bestimmungmeines Geistes, ein Freies, Vernünftiges zu sein, und ich habe

30 somit unmittelbar das göttliche, unverjährbare Recht, der­gleichen Schranken zu durchbrechen.

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Erfindung, ein Buch, mit der Zeit das Eigentum aller wird.Die meisten Gesetze bestimmen noch eme Reihe vonJahren, innerhalb deren das Verlagsrecht eines Werks Eigen­tum der Nachkommen eines Schriftstellers bleibt. - Das

5 Bedürfnis des Publikums ist übrigens hierbei allerdingsauch zu berücksichtigen, und es muß das Recht eingeräumtwerden, den Preis eines zu hoch gehaltenen Buchs zuerniedrigen.Es kann noch von der Entäußerung des Lebens geredet

10 werden, insofern wir das Leben als etwas von uns Getrenntesbetrachten können. In Ansehung des Rechts I müßten wirsagen, daß das Leben als die Totalität meiner Äußerungennichts Äußerliches ist und ich insofern nicht das Recht, es zuveräußern, habe. Die hauptsächliche Erörterung dieser Frage

15 gehört übrigens in das Sittliche und Moralische. Indem ichmein Leben aufgebe, so hebe ich die Seite der Idee auf, dieüberhaupt Dasein und Wirklichkeit betrifft. Dieses Aufgebenist aber selbst im Dasein, und ich beweise dadurch meineFreiheit. Dies bezieht sich, wovon später die Rede sein wird,

20 auf den Formalismus der Tapferkeit. Der positive Inhalt derTapferkeit müßte die Idee sein. Insofern also die Tapferkeiteinen Inhalt hat, so bestimmt dieser ihren Wert. Als eine bloßformelle Tapferkeit ist die Entäußerung! in moralischer,sittlicher Beziehung nur ein Unvollständiges. - Das Leben

25 überhaupt aufzuopfern, davon kann erst gesprochen werdenim Sittlichen, wo nicht die unmittellbare Person, wie hier,der Zweck ist. - Das Bewußtsein des Menschen, daß er vonallem abstrahieren kann, ist nur EinK Moment der Freiheit.Weil das Leben immer Unmittelbarkeit ist, so muß das

'0 Negative immer auch die Gestalt einer äußerlichen Gewaltsem,

2. Der Vertrag

Es1 ist hier der Übergang zum Vertrag. Ich habe als freiesEinzelnes ein Dasein, aber dieses Dasein ist zugleich einAnderes-. Ich muß mich auch setzen als dieses Daseins michentäußernd, eben weil es ein Äußerliches ist. Die Einheit derEntäußerung des Eigentums und des Eigentümerbleibens istder abstrakte Begriff des Vertrages.Die Allgemeinheit der Bestimmung, Eigentümer zu sein,stellt sich dar als allgemeiner Wille, als ein Wille von mehre­ren. Das Dasein meiner Freiheit ist zu betrachten als meinem 10

Begriff nicht entsprechend, Idenn ich habe nur die Anschau­ung meiner in meiner Äußerlichkeit, einer Sache.Die Realitätist diese, daß ich das Dasein meiner Freiheit erschaue imWillen eines andern. Die positivere Identität 2K ist, daß dasAndere immer mein freier' WilleK ist. Dieses ist der Boden, 15

das Element des Daseins meines Willens. - Der Vertrag istinsofern ein von der Vernunft bestimmtes Moment. Zunächstpflegt man denselben zu betrachten als vom Bedürfnis ausge­hend. So erscheint er auch allerdings unserm Bewußtsein. Esist dies mit dem Eigentum und dessen Besitznahme derselbe 20

Fall. - Es ist bei dem Vertrag immer ein gedoppelter Willevorhanden, und dieser ist immer an zwei Personen verteilt.Im sogenannten realen Vertrag", im Tausch, ist dieser gedop­pelte Wille auf beiden Seiten zwiefach.Es 4 sind im Vertrag noch zwei unmittelbare, I selbständigePersonen, welche auftreten. Der Vertrag geht somit eigent­lich von der Willkür aus, und es ist der besondere Wille, dersich darin betätigt. Ein sittliches Verhältnis findet hierbeinoch nicht statt. - Was durch die Willkür zustande kommt,ist ein gemeinsamer Wille. - Der Vertrag bezieht sich ferner '0

67

I Orig. -Entziehungc

80

I Orig. am Rande: >§ 37<.2 Orig. -Idealitatc

8r

3 Orig. -fester-.4 Orig. am Rande: >§ )8<.

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25

3 Orig. am Rande: >§ 43<.4 Orig. -sehen-.

I Orig. -Intelligenzbaren-.2 Orig. am Rande >§ 41<.

3. Das Unrecht

Wir' sahen" beim Eigentum ist das Wesentliche dies, daßmeine Freiheit ein Dasein hat; und beim Vertrag ist das IWe­sentliche, daß ich veräußere. Das Besondere ist hier überallvorhanden, aber es ist noch zur Seite gelassen.Das Besondere

des Vertrages'<'? führt zum Progreß ins Unendliche.E(2) DemWillen als einem Intelligibelen1 geben wir überhaupt einDasein durch Zeichen oder Sprache. Das Übereinkommendes Willens ist überhaupt das Substantielle. Der Vertrag istvon dem Versprechen verschieden dadurch, daß das letzteremehr den Sinn eines subjektiven Willens hat, so daß inZukunft etwas geschehen soll. Der Vertrag ist hingegen einGegenwärtiges.Die 2 Bestimmungen, nach welchen sich die Verträge eintei­len, liegen schon in dem Vorhergehenden; und dies ist eine 10

wahre Einteilung, die sich aus dem Begriff der Sache er­gibt. I Die erste Hauptgattung der Verträge ist die der Schen­kungsverträge. Hierher gehört 1. der eigentliche Schen­kungsvertrag, 2. der Leihvertrag; hierbei kommt der Unter­schied vor, ob die spezifische Sache zurückgegeben wird oder 15

die individuelle. 3. Geschenk einer Dienstleistung. Hierhergehört besonders das depositurn''. 4. Das Testament liegteigentlich nicht im unmittelbaren Vertrag. Daß ein solcherÜbergang des Eigentums stattfindet, liegt nicht in der Naturder Sache.Die zweite Hauptgattung des Vertrages ist der Tauschvertragim allgemeinen. - Das Geld ist das Allgemeine, der Wert allerspezifischen Sachen. - 1. Verkauf, 2. Vermietung, 3. Lohn­vertrag. - Es kommt hierzu noch das Pfandverhältnis.

4 Orig. am Rande: >§ 39· § 40<.5 Orig. irrrumlieh >60<.6 Orig. -Konsensualvertrage-.

I Orig. -Atomene.2 Orig. -Dieser ist das gerade ...<.

3 Orig. am Rande: >§ 41<mit dickemStrich verändert aus >§ 42<.

5

auf eine besondere Sache. Eine Gleichstellung der Besonder­heit unter Personen gehört schon ins sittliche Verhältnis.In die Gesetzgebungen über die Ehe sind sehr schiefe undgefährliche Ansichten gekommen dadurch, daß man die Eheals Vertrag betrachtet hat.Der an und für sich seiende, vernünftige Wille ist es, was imStaat zu seiner Realität kommt. Dies ist gar nicht in derWillkür der Individuen begründet, sondern diese ist esgerade, die darin untergehen soll. Die Staaten sind Ivielmehr

10 als durch die Gewalt der Vernunft entstanden zu betrachten.Nach Rousseau machen die selbständigen Individuen, alsAtome1, die Grundlage des Staats aus.E Dieser ist gerade2

jenes Substantielle'r, in dem diese Atomistik zerflossen ist.Im' Tauschvertrag bleibt einmal das Eigentum mein, und

15 zweitens hebe ich es auf. Das erstere ist die allgemeine Seitedes Vertrags. Dies Allgemeine, Bleibende, wonach die in dieVeränderung eintretenden Gegenstände bestimmt werden,ist der Wert. Diese Bestimmung liegt überhaupt im Tausch­vertrag, daß man den Wert der Sache bekomme. Hierauf ist

20 die Bestimmung der laesio ultra dimidiurn'' begründet.Die' Stipulation ist überhaupt nur die Form des Vertrages.Sodann auch die Festsetzung eines einzelnen Punktes. Durchdie Stipulation wird der Vertrag nur überhaupt für dieVorstellung festgesetzt. - Nach dem römischen Begriffe desVertrages scheint Idie unmittelbare Leistung ein wesentlichesStück gewesen zu sein. Es findet sich hier der Unterschiedzwischen Real- und Konsensualvertrag'". Die Stipulationenwaren und sind auch z. T. mit Förmlichkeiten und Gebärdenverbunden.

'0 Die von Fichte aufgestellte Ansicht über die Abschließung

69

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ist nun aber ein wesentliches Moment des Begriffes. DieBesonderheit als solche muß deshalb notwendig hervortretenund in Beziehung auf das Recht gesetzt werden. Der beson­dere Wille kann unmittelbar in Übereinstimmung sein mit

5 dem, was an und für sich wahr ist, aber er kann es auch nicht.Das Verzichttun des besonderen Willens auf sich ist nochnicht vorhanden. - Die Besonderheit des Willens ist jetzt zuzeigen in ihrem Unterschiede von dem, was Recht an sich ist.Die Existenz des Rechts liegt noch im besonderen Willen. Ich

10 als Besonderes bin das Betätigende. Das Recht ist hiermit alsSache der besonderen Person gesetzt. Es ist somit als Scheingesetzt, und dies ist das Unrecht. - Der erste Schein ist, daßmein besonderer Wille das Recht an sich will, aber daß es ein

73 Unrecht I ist in Ansehung der Subsumtion des besondern15 Falls unter den Begriff des Rechts. Das Negative fällt so auch 1

in die besondere Weise des Rechts. Dies ist der bürgerlicheRechtsstreit. - Die drei Stufen können mit dem Urteilverglichen werden. Die erste ist das einfach negative Urteil.(Diese Blume ist nicht gelb.) Der zweite Schein ist der, daß

20 der besondere Wille das Recht nicht an sich will, sondern nurden Schein; dies ist der Betrug. Es ist dies das unendlicheUrteil in seiner positiven Form: das identische! Urteil. ImBetrug hält man sich bloß an den Schein. Die dritte Stufe' istdas eigentliche Verbrechen, wo der besondere Wille weder

25 das Recht an sich will noch auch den Schein; dies ist dasnegativ unendliche Urteil.E

Das' Recht an sich wird in bürgerlichen Rechtsstreiten nichtverietzt5K, sondern gefordert. Daß ein solcher Rechtsstreitentstehen kann, liegt darin, daß das Recht nicht ein abstrakt

7. 30 Allgemeines ist, Isondern auch ein Konkretes von mannigfal­tigen Bestimmungen. Die Rechtsgründe machen das Vermit-

..

I Orig. sause.2 Orig. -idealische-.3 .Srcfe- eingefügt.

4 Orig. am Rande: >§ 44<,5 Orig. -verlang«.

telnde aus, wodurch das Besondere unter dem Allgemeinensubsumiert wird. - Daß das Unrecht nicht gelte, dazu gehörtein Höheres, ein Richter, von dem aber noch nicht hier dieRede ist.

Der Begriff des Verbrechens ist überhaupt der, daß es ein 5

Unrecht ist, wodurch sowohl der Gegenstand nach seinereinzelnen, äußerlichen Seite, als auch das an sich Seiendeverletzt wird. - Weil mein Wille überhaupt äußerlich ist, sokann ich an dieser Äußerlichkeit ergriffen werden. Indem indieses äußerliche Dasein mein Wille gelegt ist, so wird darin 10

auch mein Wille ergriffen. Ich kann sonach gezwungen undauch bezwungen werden. Auf der anderen Seite kann ich aberauch nicht gezwungen werden. K

Das Recht der Freiheit in Ansehung Ides Zwanges ist, daß er!sei als der Widerspruch seiner selbst, daß er ' sich selbst 15

zerstöre. Die Manifestation davon ist diese, daß der Zwangdurch Zwang aufgehoben wird. Dies ist das Recht derFreiheit im Zwange. Das Rechtliche im Zwange ist, daß er einzweiter Zwang ist, der den ersten aufhebt.Das Beharren in einem Naturzustande widerspricht der Idee. 20

Indem einer auftritt und die im Naturzustande Lebenden mitGewalt dazu anhält, in ein sittliches Verhältnis zu treten, soerscheint zwar hier ein Zwang allerdings, allein nicht in demangegebenen Sinn.

Der Zwang nun als erster Zwang überhaupt ist das Verbre- 25

chen, dessen Natur näher zu betrachten ist.Mit dem äußerlichen Dasein des Verbrechens treten quanti­tative und qualitative Unterschiede ein. Eine wesentlicheSeite arn Verbrechen ist die äußerliche. IMan macht die größere oder geringere Gefährlichkeit für die 30

öffentliche Sicherheit zu einem Bestimmungsgrund des Ver­brechens. Dieser Gesichtspunkt wird später auch erwogen

I Orig. -es-,

75

76

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78

werden.f Hier haben wir es nur mit der unmittelbaren Naturdes Verbrechens zu tun.Die Manifestation der Natur des Verbrechens ist es,wodurchdie geschehene Verletzung wieder vernichtet wird. Die Auf-

s hebung des Verbrechens hat zweierlei Seiten: einmal derZivilersatz, durch diesen wird das Verbrechen nicht alssolches aufgehoben; zweitens die Strafe.Die Form der Strafe ist indes hier noch uneigentlich, dadieselbe erst im Staate vorkommen kann. Die Manifestation

10 des Verbrechens erscheint zunächst noch als Rache.Die positive Existenz des Verbrechens ist im Willen desVerbrechers. Dessen besonderer Wille macht das Negativegegen I das Allgemeine. Der zweite Zwang, der aufzuhebenist, muß deshalb den Verbrecher treffen, und da dessen

15 Wille nur im Dasein seiner Freiheit zu treffen ist, so wird ervon dieser Seite gefaßt. Dies ist der Begriff, der der' Theorieder Strafe zum Grunde liegt. Die Hauptsache in den falschenAnsichten über' die Strafrechtstheorie ist die, daß nun' dasVerbrechen und die Strafe nur als ein Übel betrachtet wer-

20 den" die nebeneinanderstehen, und nicht als solche, dieeinander aufheben. Man hat in diesem zweiten Übel, das manals abstrakt negativ ansah, ein Positives gesucht und dies alsZweck der Strafe bezeichnet. Das wahrhaft Positive in derStrafe ist indes die Negation der Negation selbst.

25 Da, wo die Strafe als Mittel der Abschreckung betrachtetwird, da wird Ider Mensch zum Mittel gemacht und nichtnach seiner ersten, substantiellen Natur als Freier behandelt._ Dernnachsr'' ist es Sache eines jeden, ob er sich abschreckenlassen will oder nicht. Es ist fürwahr gesehen worden und in

Ja der Sache begründet, daß schreckliche Strafen das Gemüt nurerbittern und, anstatt von Verbrechen abzuschrecken, nur zueinem Verbrechen auffordern."

Die Androhungstheorie hat besonders durch Feuerbach ihreAnempfehlung gefunden.E Es liegt hierbei die KantischeAnsicht von einem Kampfe der Freiheit mit den sinnlichenTriebfedern zum Grunde. Wenn die Androhung für sichselbst Mittel sein soll, so müßte bei der Drohung stehenge- 5

blieben werden 1. Der Staat darf demnachst'' am allerwenig­sten etwas drohen, was nicht an und für sich recht ist, und esist somit durch diese geschraubte Wendung nichts zurBegründung des Rechts der Bestrafung geschehen. IDie Besserung bleibt gleichfalls etwas Problematisches. 10

.Gleichwohl kann der Mensch sich bessern, und der Geistkann das Geschehene ungeschehen machen.Das" Verbrechen kehrt sich seiner Natur nach gegen sichselbst um. Gegen einen Verbrecher macht sich in der Strafenur dessen eigener an und für sich seiender Wille geltend. - 15

Der Wille des Verbrechers ist wesentlich als besondererbestimmt. Die Besonderheit hat auch ihr Recht. Der Verbre­cher, der die Handlung begeht, tut zunächst etwas Einzelnes,und seine Tat ist die Verletzung der Freiheit eines anderen.Daß er ein solches getan habe, ist sein besonderer Wille; 20

zugleich hat er aber ein Allgemeines getan oder ein Gesetzaufgestellt. Das Tier als solches tut nur Besonderes. DerMensch aber mag tun, was er will, hat darin zugleich einAllgemeines getan. IIn einer Tat, die ein Verbrechen begründet, liegt auch die 25

Einwilligung, als solches betrachtet zu werden. Es brauchtsomit die ausdrückliche Einwilligung des Einzelnen nicht,um als Verbrecher behandelt zu werden. Es wird nun fernerdas Verbrechen in der Strafe gerächt, einmal, insofern es alsVernünftiges betrachtet wird, und sodann, insofern es nach Jader Vorstellung, die es von sich selbst gibt, behandelt wird.Es widerfährt dem Verbrecher sein eigenes Recht in der

79

80

I Orig. -die-.2 Orig. -übt-.

86

3 Orig. -nun. verändert aus -man-.4 Orig. -wird-.

I -werden- eingefügt.2 Orig. am Rande: >§ 54<.

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Strafe. - In allen andern Ansichten über das Strafrechterscheint der Verbrecher als Mittel. - Indem das Individuumunter sein Recht subsumiert1K wird, so wird es verletzt, unddiese Seite der Verletzung macht das aus, was man Züchti-

5 gung nennt. Diese ist von der Besserung zu unterscheiden.Durch die Züchtigung wird der Mensch in seinem Dasein und

81 somit in seinem IWillen verletzt. Die Züchtigung kann nunallerdings zur Besserung dienen, insofern der Verbrecherdadurch zum Gefühl der Nichtigkeit seines besonderen

10 Willens gelangt.In einer allgemein moralischen Form ist diese zweite Seite soausgedrückt: Was du willst, das? dir die Leute tun sollen, dastue du ihnen auch.Dieser Ausdruck ist unbestimmt, insofern er nur formell ist.

15 Es muß immer an und für sich vorher bestimmt sein, was ichdem Menschen tun soll und was er mir. - Bei Kindern ist dieZüchtigung mehr vorwaltender Zweck. Bei der Besserungwird das In-sich-Gehen des Willens als solches? zum Zweckgemacht. Was hier wesentlich Sache meines eigenen Willens

20 ist, kann nicht direkter Zweck eines andern sein.Die bestimmtere Form, in der" diese Umwandlung des

82 Verbrechens gefordert Iwerden kann, ist die Wiedervergel­tung, das jus talionis'', Es wurde gezeigt, wie das Verbrechenauch einen abstrakten Charakter hat. Das Verbrechen ist

25 bestimmt nach Qualität und Quantität. Die Wiedervergel­tung enthält die wahrhafteste, ältere Ansicht über die Naturder Strafe. Die Identität auch in Ansehung des äußerlichenUmfangs des Verbrechens ist so zu nehmen, daß nicht an derabstrakten äußerlichen Gleichheit festgehalten ist. Es tritt

30 hier dasselbe ein, was bei dem Tausche erwähnt wurde.Ohnehin geht hier die Sache in der Sphäre des Willens vor.Diese ideelle Sphäre, die über der qualitativen überhaupt

steht, läßt um so mehr eine Vertauschung des einen mit demandern zu. Bei dem qualitativ ganz bestimmten Morde ist diewahrhafte Wiedervergeltung nur die Todesstrafe, nach demSpruche: WerBlutverlgießt,desBlutsollwiedervergossenwer- 83

denE(1) . - Wenn es heißt: Auge um Auge, Zahn um ZahnE(2), 5

so ist dies eine ganz formelle Wiedervergeltung. Die Auf­hebung des Verbrechens ist also überhaupt nur durch Ver­letzung zu bewirken, weil jede Handlung in frei unmittelba-rer Existenz auch ein Allgemeines ist. Wie die Wiedervergel­tung zu bestimmen ist, das hängt wesentlich von den Sitten 10

der Völker ab, z. T. auch von der Verschiedenheit der Stände.In roheren Zeiten sind die Wiederverletzungen auch roherer,grausamerer Natur. Ein genauer Maßstab ist hier überallnicht anzuführen.Auf dem Standpunkte, auf dem wir hier stehen, ist die 15

Wiedervergeltung noch als Rache bestimmt. Wir haben denan und für sich bestimmten Willen noch nicht als ein Recht,eine Autorität. Insofern es dem besonderen Willen Iüberlas- 84

sen ist, das Recht aufzuheben, so erscheint diese Form nochmangelhaft. Die Rache kann nun vollkommen gerecht sein, 20

ihrem Inhalte nach. In einem sogenannten Naturzustandekönnen es Heroen sein, abenteuerliche Ritter, die die Aus­übung der Gerechtigkeit sich zu ihrem besonderen Willenmachen. Dieser substantielle Wille kann nun in die Ausübungder Gerechtigkeit auch seine besondere Empfindung legen, 25

und die Ausübung der Gerechtigkeit kann so das Maßüberschreiten und ungerecht werden. Der subjektive Willekann so in jede Verletzung 1 seine ganze Unendlichkeit,seinen ganzen Eifer legen. Indem das Individuum ferner alsein Besonderes auftritt, so macht die Rache, der besondere 30

Wille, gehässig; es sind zwei Besondere, die gegeneinanderauftreten. Dies ist der Natur des Verhältnisses zuwider. IDie 85

I Orig. -substituiert-.2 Orig. -deß-.

88

3 Orig. -solcher-.4 Orig. -die-. r Orig. -Verlegung..

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Umkehrung des Verbrechens müßte nicht in der Form desBesondern, Zufälligen, sondern in der des Notwendigenerscheinen. Im rechtlosen Zustande ist es oft geschehen, daßdas Unrecht durch Zweikampf hat aufgehoben werden sol-

s len. Die Verletzung, die von einem besonderen Willen voll­bracht wird, ist wieder eine Verletzung. Es entsteht dadurchder Progreß ins Unendliche. Es findet sich unter rohenVölkern eine solche von Geschlecht zu Geschlecht sichforrerbendc'F Rache. In Gesetzgebungen, die sich jener

10 Sphäre noch nicht ganz entrissen haben, finden sich nochSpuren der Privatrache in der VerfoIgung der Verbrechen. ­Es ergibt sich aus dem Angeführten die Forderung eines anund für sich seienden Willens, d. h. in diesem Falle einesGerichts. Zu dieser Erhebung des unmittelbar besonderen

86 15 Willens in die Allgemeinheit desselben sind wir Inoch nichtgekommen.

I Orig. -forteilende-, -sich- eingefügt.

TZweiter Teil

Die Moralität

Es ist hier der Übergang auf den moralischen Standpunkt. Inder rächenden Gerechtigkeit liegt, daß der unmittelbare,besondere Wille aufgehoben wird. Das Recht als solches setzt 5

sich geltend gegen den bloß unmittelbar besonderen Willen.Darin liegt überhaupt, daß die Freiheit nicht mehr ein bloßUnmittelbares ist. Der Wille ist zunächst unmittelbar, beson­derer Wille; dies widerspricht aber seinem Wesen, ein allge­meiner zu sein. Die Gestalten, die wir betrachten, sind nichts 10

als Darstellungen des Fortgangs des abstrakten Begriffs. DerWille ist Moralisches nur dadurch, daß die Unmittelbarkeitaufgehoben wird.Das erste war also die Freiheit in I ihrem Begriff, d. h. in der 87

Unmittelbarkeit. Wir betrachten nun den Willen als Subjekt; 15

daß die Freiheit da sei, ist' nur zunächst ein Unmittelbares,eine Naturexistenz. Jetzt soll der Wille sich selbst zu seinemDasein haben. Dies ist der moralische Standpunkt. Hier istwesentliche Forderung, daß das, was ich tue, mit meinembesondern Wissen und Willen geschehe. Der besondere Wille 20

als solcher macht überhaupt das Dasein des allgemeinenWillens aus. Der moralische Standpunkt kann überhaupt alsdie Seiteder Realität gegen den ersten Standpunkt, als den derIdealitätK,2 betrachtet werden. - Das Moralische, als wesent-liches Moment, muß gleichfalls ein Dasein haben. Moralisch 25

ist hier im allgemeinen Sinn genommen, nichr' als das demUnmoralischen Gegenüberstehende. Es handelt sich I also 88

überhaupt um meine innere Bestimmung, um den subjekti-ven Willen. Der Mensch fordert und hat das Recht zu

I -is« eingefügt.2 Komma eingefügt.3 Orig. -nichrs.,

9'

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fordern, daß er' das, was er getan hat, gewußt hat;' als etwas,das nicht Pflicht ist.K

Zuerst ist zu betrachten die unmittelbare Identität'K meinesWillens in dem, was ich tue, daß die Handlung mein Vorsatz

5 gewesen sei, in ganz allgemeiner formeller Bestimmung. Daszweite ist der Inhalt, das Besondere der Handlung. Hier istdie doppelte Bestimmung die Absicht und das Woh14K. Ichbin der Bestimmende in Absicht des Tuns,' und die Hand­lung ist" nach ihrem Inhalt die Meinige," ist meine Absicht.

10 Diese Bestimmung der Handlung ist sodann aber auch ihremInhalte nach ein Besonderes. Der Inhalt ist insofern meinWohl'. Das dritte ist der absolute Zweck des Willens,einerseits das Gute, der Zweck" als abstraktes, und ichgegenüber als Gewissen",]

15 Auf dem moralischen Standpunkt zeigt sich der Unterschieddes an und für sich seienden Willens gegen den besondernWillen. Dieser Unterschied, dies Verhältnis ist also hier dasZugrundeliegende'", Der Wille ist in sich reflektiert, er istüber seine Unmittelbarkeit hinausgegangen. Die Besonder-

20 heit enthält" selbst zwei, das Besondere gegen ein Anderes.Der moralische Standpunkt ist noch nicht der sittliche Stand­punkt, wo kein Sollen mehr ist. Es12 ist hier nur ein Sollen.Die Philosophien, die auf dem moralischen Standpunktbleiben, schließen mit dem Sollen. Der moralische Stand-

25 punkt steht dem abstrakt-rechtlichen gegenüber. Er ist rei­ehern erfüllbar als der rechtliche Standpunkt.

89

I -er- eingefügt.2 Semikolon eingefügt.3 Orig. -Idealitat-.4 Orig. -d. Wahk5 Komma eingefügt.6 -ist- eingefügt.7 Orig. -eine Wahk

92

8 Orig. -d. Gute d. Zwecke.9 Orig. -Genosse-.

10 Orig. -d. Grunde Iiegende-.I I Orig. -erhalr-.I2 Orig. -Er-.13 Orig. -weicher-.

Erstes KapitelHandlung und Vorsatz

Es tritt auf dem moralischen Standpunkt zuerst die Handlungauf. Das IVerbrechen ist zwar allerdings eine Handlung, aber 90

eben das Verbrechen nach seiner innern Seite, nach Absicht, 5

Vorsatz u. dgl. gehört dem moralischen Standpunkt an. DerWille hat hier einen besondern, bestimmten Inhalt; es' istsomit ein positives Verhältnis meines Tuns begründet. DieBesonderheit ist überhaupt Form des Daseins; in ihr ist schondie Allgemeinheit enthalten. - Es ist also zu betrachten: 1. das '0

Recht des besondern Willens ganz abstrakt, 2. das Recht desbesondern Willens mit einem Inhalt und 3. das Recht desbesondern Willens in seiner Erhebung zum Allgemeinen, dasGute und das Gewissen.Der moralische Standpunkt ist der Durchgangspunkt zur 15

Sittlichkeit.Eine Tat ist überhaupt etwas Konkretes, das eine MengeBedingungen I in sich enthält. Schuld ist zunächst etwas ganz 9'

Formelles. Von großen Weltbegebenheiten werden oft dieverschiedensten Umstände als Schuld angeführt. Jenachdem 20

das Meinige bei einem Ereignis mehr oder weniger eintritt, indem Maße bin ich daran mehr oder weniger schuld. Dieeigentliche Schuld ist darin, daß ich schuld an dem habe,insofern ich dasselbe gewollt habe. Es wird hiermit das, waszuerst bloß meine Tat war, zu meiner Handlung. - 25

Ödip, Sein Vatermord ist ihm nach unserer Ansicht nichtzuzurechnen. Gleichwohl sehen wir in den tragischen Dar­stellungen der Alten, wie Ödip sich als Vatermörder ansahund somit die ganze Schuld der Handlung auf sich nahm. Esliegt hierin das Heroische, daß der Mensch sich zumutet, den 30

ganzen Umfang der Erscheinung, die Ivor ihm liegt, zu 92

I Orig. -ere.

93

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umfassen. Daß der Unschuldige leide, ist immer ein schlech­ter Anblick; wenn der Schuldige leidet, so ist dies seineSache,und er ist darin. Beim Ödip ist dieses Tragische, daß er, derhohe Wissende, der das Rätsel der Sphinx gelöst hatte, da, wo

5 es hauptsächlich darauf ankam, zu wissen, wer es tat, nichtdarum wußte.Die Handlung hat nun auch Folgen, und es fragt sich, ob dieHandlung danach zu beurteilen ist oder nicht. Die Handlunghat als ein äußerliches Dasein den mannigfaltigsten Zusam-

10 menhang; dies sind die Folgen. Einerseits ist jene Äußerlich­keit die Entwickelung der Handlung selbst; insofern sind dieFolgen der Handlung selbst mir allerdings zuzurechnen. Siesind nichts anderes als die Manifestation der Natur derHandlung. Nach dieser Seite muß die Handlung nach ihren

93 15 Folgen Iallerdings beurteilt werden, und es ist richtig, wenndie Menschen auf die Folgen ihrer Handlungen aufmerksamgemacht werden. - Zugerechnet können mir die Folgenwerden, wenn sie nichts sind als die Entwickelung derHandlung selbst. Die Folgen haben auch eine andere Seite.

20 Indem die Handlung äußerliches Dasein ist, so knüpft sichvon außen mancherlei daran. Es kann sich so eine Handlungin sehr entfernte Folgen fortwälzen, die mir nicht mehrangehören. Man kann einerseits die Regel geben, man sollesich um die Folgen der Handlung nicht bekümmern, und

25 ebenso kann auch das Gegenteil als Regel aufgestellt werden.Das Wesentliche der Folgen liegt nun allerdings in derHandlung selbst. Wenn aus einer Handlung Fürchterliches

94 entspringt, so kann man wenigstens dadurch I zur doppeltenAufmerksamkeit auf die1 Natur der Handlung aufgefordert

50 werden. Es entsteht nun hier allerdings Kollision wie auf demganzen Standpunkt der Moralität. Indem ich handele, so gebeich das Meinige fremden Mächten preis, die aus dem Meini-

I Orig. -in der-.

94

gen viel anderes 1 machen können, als ich bezwecke. - DerUnterschied von Handlung und ihren Folgen faßt sich näherzusammen in dem Unterschied zwischen Einzelnerrr' undAllgemeinem'. Die Handlung ist zunächst ein Allgemeines.Wenn nun das Subjekt das Recht hat, daß es wisse, was es 5

wolle, und wenn behauptet wird, daß es bloß ein Einzelnesbewirkt habe, so wird ihm ebendeswegen, weil es ein Den­kendes ist, zugemutet, daß es im Einzelnen zugleich dasAllgemeine wisse. Wenn nun das Subjekt das Recht seinesbesondern Wissens hat, so hat umgekehrt das Objektive sein 10

Recht I und besonderes Bewußtsein, daß dieses nämlich, 95

indem es handelt, wisse, was es tut. Es entsteht hier dieKollision zwischen dem Objektiven und Subjektiven, eineKollision, die furchtbar werden kann. Das Sollen und dasSein stehen hier einander gegenüber. Die bemerkte Kollision 15

läßt sich nicht absolut beseitigen, sondern sie ist perennie-rend. Es kann hier nur eine Annäherung eintreten.

Zweites KapitelWohl und Absicht

Das zweite ist, daß das Subjekt in seiner Handlung sich habe 20

als einen besondern Inhalt. Das Subjekt hat das Recht, daß essich in seiner Handlung befriedigt, daß es zur Anschauungseiner als dieses Besondern gelangt. Dies ist nun näherdasjenige, was die Absicht in Ansehung der Handlung heißt.Für die Bestimmung der Absicht haben wir nun zunächst 25

keinen anderen I Inhalt als nur den der Besonderheit des 9'

Subjekts selbst. Diese Besonderheit gehört dem natürlichen

I Orig. -anders-.2 Orig. -Einzelnen-.3 Orig. .Allgemeinenc

95

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Willen an. Von diesem wurde bei dem Rechte abstrahiert.Indem der freie Wille sich realisiert, so ist das eigentümlicheDasein desselben der besondere Wille selbst. Der eigentümli­che Boden der Freiheit ist der besondere Wille selbst. Indem

5 dieser wesentliches Moment ist, so hat er als solcher einRecht. Der natürliche Wille tritt hier ein, aber nicht alsunmittelbar natürlicher Wille, sondern als solcher, der Zweckist, der vom reflektierenden Bewußtsein gewußt und gewolltwird und somit in das Element des Allgemeinen eintritt. So,

10 als gedachte allgemeine Besonderheit, ist er' das Wohl über­haupt, nicht als einzelne, besondere Neigung. Das Allge­meine kann hier nur am besonderen Willen scheinen. Das

97 Individuum hat das Recht, sein IWohl zu seinem Zweck zumachen. Dagegen hat es nicht das Recht, diese oder jene

15 Neigung, Leidenschaft pp., weil es die Seinigeist, zu vollfüh­ren, sondern nur der Reflex des Ganzen kommt ihm hier zu.Wir haben zunächst noch keine Bestimmung für den Inhalt.Überhaupt hat das Subjekt das Recht, daß es mit seinemInteresse in seiner Handlung sei. Dieses Recht liegt unmittel-

20 bar in der Besonderheit und ist für sich nicht als etwasSchlechtes anzusehen. Es kommt erst darauf an, ob es demAllgemeinen angemessen ist oder nicht. Wenn also ein Sub­jekt recht handelt, so hat eszugleich seine besondere Befriedi­gung darin, und dies macht seine Handlung durchaus zu

2S nichts Schlechtem. Nur der abstrakte Verstand scheidet hierdie Objektivität von der Befriedigung des Subjekts. Diese

98 abstrakt verständige Beurteilungsweise Izeigt sich oft in derBetrachtung der Geschichte, wenn von großen Männernbehauptet und getadelt wird, sie hätten bei ihren großen

30 Taten auch ihre besondere Befriedigung gesucht. Diegeschichtliche Beurteilung bringt auf diese Weise die Mög­lichkeit hervor, alle großen Männer herunterzumachen.

I Orig. .sie-.

Handeln kann überhaupt nur em Individuum, nicht emVolk.In der Entwickelung der Idee muß jedes Moment zu seinemRecht und einer selbständigen Gestaltung gelangen. - Indemich handle, so handle ich alsvon der Äußerlichkeit Gesonder- 5

tes, Der abstrakt allgemeine Zweck, insofern er getan wird,indem er in die Wirklichkeit tritt, wird ein bestimmter. MeinInteresse ist in meinem Tun auf verschiedene Weise. DasRecht meiner subjektiven Freiheit ist Iüberhaupt, daß ich 99

mich in dem, was ich tue, als Besonderes finde. - In der 10

Religion gilt so etwas als wahr auf göttliche Autorität; ebensoim Staate, besonders in den alten Staaten. Von meinerbesonderen Einsicht und meinem Belieben ist hierbei ganzund gar nicht die Rede. Ebenso beim Rechtsprechen. Hiergilt die Forderung, daß die, welche Recht sprechen, mein 15

Zutrauen haben und daß ihre Einsicht und ihr Wille somit alsdie Meinigen erscheinen. In Rücksicht auf das Theoretischebefinden wir uns zunächst gleichfalls in einem unmittelbarenBenehmen. Jacobi nennt dieses unser Verhalten einen Glau­ben l E ; allein auch dieses ist schon zuviel, denn der Glaube 20

erscheint schon als etwas Beschränktes, Begrenztes.Das Recht der Besonderheit ist nun, daß dieses alles nichtunmittelbar für mich gelte, sondern daß es vermittelt seidurch meine Gedanken, meine IEinsicht. Eine weitere Form 100

dieser Besonderheit ist unsere Tätigkeit. Diese liegt unserem 25

Interesse insofern näher, weil das Tun das Übersetzen desSubjektiven in das Objektive! ist. Wenn die Menschen sichfür etwas interessieren sollen, so ist dies auch ein Moment,daß sie selbst etwas dabei tun. (Kleine Städte mit ihrenMagistraten.) Bei Thukydides kommt es einigemal vor, daß 30

i~ peloponnesischen Kriege jeder meint, es gehe nicht von­statten, wo er nicht dabei sei.E - Das Interesse heißt nun

I Orig. -ein Glaube-.2 Orig. -des Objektiven in das Subjektivec

97

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näher Absicht, insofern es einen besonderen Inhalt hat. BeimVerbrechen reicht es hin, wenn erwiesen wird, daß jemandden Vorsatz zu einer gewissen Handlung gehabt hat. - Indiesem Gegensatz von Absicht, als dem besondern Inhalt

5 einer Handlung und deren' objektiver Natur, fallen die101 moralischen IBeurteilungen überhaupt. - Vom Guten ist hier

noch nicht die Rede. Diese Betrachtung bildet das dritteMoment dieser Sphäre.Das Recht der Besonderheit ist also ein sehr wesentliches

10 Recht. Daß mein Wohl meine Absicht ist, macht den konkre­ten Umfang der Besonderheit aus. Das Prinzip der Besonder­heit ist überhaupt das Prinzip der neueren Zeit und macht dasPrinzip der höheren Qualität gegen die ältere Zeit aus. Diesesgilt von allen Lebensrichtungen, von der Wissenschaft2K,

15 dem Staat und der Religion. Das Prinzip des Altertums istplastisch irn' Denken'K und im Handeln; das Prinzip derneuern Zeit ist romantisch. Das Prinzip der Liebe als derBesonderheit angehörig hat deshalb in der neuern Zeit diese

102 viel höhere Bedeutung als in der antiken. - I In der20 Geschichtsbeurteilung kommen oft solche psychologische

und pragmatische Untersuchungen vor. Man gibt hier viel aufangebliche geheime Beweggründe und auf besondere Anek­dötchen. So wird von Cäsar gesagt, er habe nur herrschenwollen, und es sei an ihm zu tadeln, daß er seine Besonderheit

25 nicht beseitigt habe. Es wird verlangt, es solle ein Fürst, einFeldherr siegen, aber nicht Sieger sein, große Taten tun, abernicht berühmt werden. Wenn man bei solchem Tadel soge­nannte mönchische Tugenden im Sinn hat, so sind diesTugenden, wo nicht gehandelt wird, nicht Tugenden der

30 politischen, wirklichen Welt. Jener ist nur der Weg, alleI Orig. -dessen-. 3 Orig. .inc.

2 >Wissenschaft< sicher in einen vom 4 -Denken- von derselben Hand wieAbschreibergelassenenRaumnach- >Wissenschaft( (98,14) eingefügt.träglieh eingefügt, - wahrschein-lich von anderer Hand.

großen Individuen und Taten recht klein zu machen; dieneidische Beurteilung hält sich in diesen großen Taten nur andie Besonderheit. Esl ist dies der Neid, der auch beim 103atheniensischen Volke sich zeigte, namentlich bei der Ver­bannung des Aristides.f Dieser Neid weiß sich in unseren 5gebildeteren Zeiten die Form der Moralität zu geben. GroßeMänner haben in ihren großen Taten ihren Willen vollbrachtund somit ihre Befriedigung darin gefunden. - So wird dieBesonderheit auf der einen Seite als das Schlechte bezeichnet,und doch wird auf der andern Seite verlangt, der Staat solle '0für das Wohl der Untertanen sorgen, d. h. die Besonderheitderselben fördern.Große Begebenheiten haben immer große Ursachen; es istdeshalb ein leeres Geschwätz, wenn von kleinen Begebenhei-ten behauptet wird, sie wären die Ursache großer Begeben- 15heiten. Wenn etwas durch und durch faul ist, so kann einleichter Windstoß oder ein kleiner Stein das Ganze zusam-menlstürzen. Wenn die Ursache einer Begebenheit als deren 104Begriff gefaßt wird, so ergibt sich, daß der Begriff seinemGegenstand immer adäquat sein muß. - Das wahrhaft Sub- 20stantielle im Tun eines Menschen ist das Objektive; derMensch ist überhaupt die Reihe seiner Taten. Man meint aberoft, dies sei der Mensch noch nicht, man müsse die geheimenStellen seines Herzens ausspüren. - Wer nur das Kleine will,der hat nichts Großes zustande gebracht. Bei Schriftstellern, 25die große Werke hervorgebracht haben, wird oft die ver­kehrte Meinung gesetzt, das Wesentlichste sei in ihrer beson­dern Unterhaltung, in ihrem näheren Umgang zu finden.Ein Mensch, der Tüchtiges hervorgebracht hat, der hat dasRecht, an seinen Früchten erkannt zu werden. Was' die 30Heuchelei hervorbringt, das' kann unmöglich etwas Tüchti-ges sein. -I Die Identität des Innern und Äußern ist das 105

I Orig. )Wer<.2 Orig. -der.,

99

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Wichtigste. - Die Besonderheit ist nun also nicht die Wurzeldes Substantiellen, sie fällt überhaupt in die Seite des Daseinsund der Verwirklichungr'i daß etwas Tüchtiges beschlossenund hervorgebracht wird. Dabei hat die Besonderheit aller-

5 dings ihren Einfluß.Das Besondere kann nun also als Wohl überhaupt gefaßtwerden, und der Mensch hat das Recht, dieses zu befördern.Er hat damit nicht das Recht, dieses oder jenes Besondere zutun, sondern das Wohl überhaupt zu suchen. Es stehen hier

10 Recht und Wohl einander gegenüber, beide können mitein­ander übereinstimmen und auch nicht. Es ist die Frage,welches in der Kollision dem 'anderen weichen muß: DasRecht ist notwendig das zum Grunde liegende Substantielle,

106 und ich darf insofern 1mein Wohl durchaus nicht befördern15 und behaupten auf Kosten des Rechts. - Nun ist jedoch das

Recht des besonderen Willens,l auf die Spitze gestellt, dasbesondere Dasein, als Leben. Hier hat nun die Seite derBesonderheit eine höhere Berechtigung, als nur das Wohlzunächst hat. Dieses Recht, welches das Leben gewinnt, ist

20 das Notrecht. Es ist nicht eine Billigkeit, die hier angespro­chen wird, sondern ein Recht. Nur da ist ein Notrechtanzusprechen, wenn die ganze Totalität der Rechtsfähigkeitin Gefahr kommt. Man findet das Notrecht auch in denbürgerlichen Gesetzgebungen sanktioniert. Es gehört hierher

25 die Bestimmung, daß einem Schuldner von seinen Gläubigerneine Kompetenz ausgesetzt werden muß. Einem Handwer-

107 ker wird in diesem ISinn sein Handwerkszeug, einem Bauersein Ackergerät gelassen.

I Komma eingefügt.

100

Drittes KapitelDas Gute und das Gewissen

In der Not erscheint der Widerspruch vom Rechte derBesonderheit und dem des abstrakten, allgemeinen Willens.Beides sind wesentliche Momente. Durch Verwirklichung 5

des besonderen Willens wird der Wille an sich wirklich.Insofern diese beiden im Widerspruch stehen, so heben sieeinander auf. Die Wahrheit beider Momente ist ihre Einheit,die konkrete Allgemeinheit. Diese Wahrheit ist nun das Guteüberhaupt, die Identität des allgemeinen und besonderen 10

Willens. - Wenn wir das Gute fassen als den Endzweck! derWelt, so fordern wir, daß die abstrakte Freiheit im besonde­ren Willen vollführt sei. Unter dem Guten denken wiruns I etwas wesentlich Wirkliches, nicht bloß ein Beabsichtig- 108

tes, Subjektives. - Die Idee des Guten ist auch die Idee des 15

Wahren, dessen Wesen die Übereinstimmung des Objektivenund Subjektiven ist. Das Gute ist so das Wahre in Beziehungauf den Willen. Der Wille, der das Allgemeine will, istdenkender Wille. Das Gute ist zunächst das, was man imgewöhnlichen Sinn eine Idee nennt, d. h. ein Abstraktes, nur 20

Gedachtes, welches noch ausgeführt werden soll. - Das Guteist zunächst nur noch die abstrakte Idee, mit der Subjektivitätbehaftet. Der Gegensatz des Guten ist die Subjektivitätselbst, die reine Form, das reine Beschließen und Entschlie-ßen. Das Gute hat die Bestimmung noch nicht in sich selbst. 25

Indem wir das Gute betrachten, so haben wir es auch imGegensatze gegen die Gewißheit seiner selbst. -I Das Gute ist 109

hier durchaus noch mit dem Sollen behaftet. Wenn man sovom Guten spricht und bloß dabei stehen bleibt, so kommtdabei nichts heraus als eine leere Rederei. Einerseits ist es 30

erwecklieh und erbaulich, durchzuführen, wie der besondere

I Orig. -Enrzweck-.

101

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Wille das Allgemeine zu seiner Bestimmung haben soll; aufder anderen Seite ist dabei aber keine Befriedigung. Dienächste Frage ist immer, was denn das Gute sei. Das Gutemuß notwendig zur Bestimmtheit übergehen, denn es ist die

5 konkrete Identität! K der Freiheit für sich und des Willens inseiner Besonderheit. Es muß somit dies Substantielle in dieBestimmung und den Unterschied gesetzt werden. Die Ver­wirklichung, die Handlung, ist immer ein Eintreten in dieBestimmtheit. Goethe sagt so mit Recht: Wer etwas Großes

110 10 will, muß sich beschränken können." Wer Inur beim Gedan­ken vom Guten' stehen bleibt, ist ein leerer, unwürdigerMensch. Diese Stimmung kann eine Form annehmen, dieallerdings etwas Schönes an sich hat; man spricht in diesemSinn von schönen Seelen.Solche meinen im Umgang mit dem

13 Besonderen und Wirklichen sich zu besudeln. Sie verglim­men und löschen aus in ihrer Selbstsucht. Es bleibt bei einembloßen Sehnen, weil die Wirklichkeit fehlt. - Insofern dasGute im Handelnden ist, so muß dasselbe sich also immerbesondern. Das besondere Gute hat die nähere Bestimmung,

20 daß es die Pflichten und die Tugenden ist'. Diese letzterensind allerdings das Gute, wie es ist" in der Persönlichkeit, inder Individualität. Zu der Tugend als Tugend gehört das

111 Naturell, die besondere Individualität I der Menschen. DieTugend im allgemeinen ist Pflicht. Diese läßt sich gebieten,

25 denn sie soll für jeden ein Substantielles sein. Die Tugendenlassen sich nicht gebieten, denn sie sind das besondereNaturell. So ist Tapferkeit eine Tugend, aber sie ist zugleichPflicht. Die Tapferkeit eines Alexander und Cäsar läßt sichnicht gebieten, dazu gehört die eigene Genialität jener Man-

30 ner. Gerechtigkeit ist so überhaupt eine Pflicht, aber sieerscheint auch als Tugend, so z. B. bei Aristides'', die Tugend

einer solchen plastischen Natur. Indem das Gute sich beson­dert, so verliert es seine allgemeine Bestimmung. Es gilt dieallgemeine Forderung, daß einer seine Pflicht tue und auf dieBesonderheit keine Rücksicht nehme. I Im Guten ist die 112

Besonderheit auch enthalten. Die Seite der besonderen Sub- 5

jektivität wird auch zur Totalität erfordert, die das Guteausmacht. Der Wille hat sich an das zu halten, was im Begriffals solchem 1 enthalten ist. Die Pflicht ist nun also dersubstantielle Wille überhaupt. Wenn mir etwas Pflicht ist, soweiß ich davon als von meinem Wesen. Das Vernünftige ist, 10

daß das Allgemeine in meinem Willen seine Realität hat. DerWille, der' die Pflicht will, ist wesentlich denkender Wille.Wenn in neuern Zeiten gesagt wird, der Mensch könne dasWahre nicht erkennen, so nimmt man ihm damit unmittelbarauch das Gute. Es ist also das allerbeste" Denken, daß zu 15

einem guten Willen kein Denken gehört.Diese Bestimmung der Pflichten Iwürde die Moral überhaupt 113

ausmachen, oder auch die Ethik, unter der man insbesonderedie Tugendlehre versteht. Es kann eigentlich nur eine Natur­geschichte der Tugenden geben. Das moralische Reden ist 20

häufig zu einem Salbadern geworden. Die Frage ist nun:Welches sind die Pflichten? Es wird von der' Moral gefor-dert, die Pflichten in ihrer Bestimmtheit und Form aufzufüh-ren. Die Pflicht ist nun also der Wille in seiner Bestimmtheit,wie er an und für sich ist. Die wissenschaftliche Forderung 25

ist, daß die Pflichten in ihrer Notwendigkeit entwickeltwerden. Die Bestimmtheiten, welche die Pflicht ausmachen,sind die wesentlichen Verhältnisse überhaupt, die aus demWillen hervorgehen. Diese Verhältnisse sind nun also sub­stantiell, und die Pflicht hat die nähere I Bedeutung, was mir 30 114

nach meinem besonderen Willen als das Substantielle gelten

I Orig. -Idealitat-.2 Orig. .im Outen-.

3 Orig. -daßsie die Pflichten und dieTugenden sind-.

4 Orig. -als wenn es isr-.

102

I Orig. -solcher-.2 Orig. -den..3 Orig. -an die-.

1° 3

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soll. Man stellt die Sache wohl so vor, daß man sagt, was ingewissen Verhältnissen Pflicht für die Individuen sei. DasWesentliche ist indes das Verhältnis, und dieses selbst ist diePflicht. - Die Pflichten machen ein System aus, eine Pflicht ist

5 nicht einzeln. Eine Pflichtenlehre ist die Entwickelung dersubstantiellen Verhältnisse. Es könnte scheinen, daß auch diemoralischen Standpunkte dieser Pflichten zu entwickelnwärenK

; dies ist indes nicht der Fall, derin einerseits kommendie Verhältnisse, worauf sie sich beziehen, bei der Vorstel-

10 lung der Sittlichkeit vor, und eine besondere Pflichtenlehreerscheint in dieser Hinsicht überflüssig. Auf dem morali-

115 sehen IStandpunkt hat ferner das, was man Pflicht nennt,noch keine Realität. Der moralische Wille ist wesentlich derWille als Bewußtsein, so daß das, worum 1 er weiß, in ihm als

15 einem Subjektiven liegt. In den Pflichten liegt zunächstdieses, daß sie etwas schlechthin Anderes sind, über un­sem/ besonderen Willen erhaben. Die Unterschiede immoralischen Willen sind noch in die Subjektivität einge­schlossen und deswegen nur Gesetztes. Der moralische Wille

20 erkennt die Pflicht im allgemeinen an, bei dieser Allgemein­heit bleibt er aber stehen. Daß eine wahrhafte Pflicht seifür den besondern Willen, dazu gehört, daß er' ebennicht das Besondere sei, sondern sich in die Sache versenkthabe.

116 25 Wir wissen von der Kantischen IPhilosophie, daß das Großein ihr ist die Art und Weise, wie der vernünftige Willebetrachtet wird, als frei und sich unendlich auf sich bezie­hend. Nun kommt aber notwendig die Frage vor für denWillen selbst, was denn als Pflicht gelten soll. Es soll nicht bei

'0 der Pflicht überhaupt bleiben. Der Inhalt ist ein besondererüberhaupt, ein bestimmter. Es liegt im Willen nichts als dieidentische' Beziehung auf sich. Das Kriterium, welches

gefordert wird, kann nur sei, daß der Inhalt des Willens mitsich identisch 1 sei. Dieses Kriterium ist am Ende für dasmoralische Bewußtsein aufgestellt worden. Kant hat diesauch so ausgedrückt, daß, wenn ich etwas tun will, ich michfrage, ob, wenn meine Handlungsweise als Maxime aufge- 5

stellt würde, es bestehen könne. E Es ist eine logischeBetrachtung, I daß dieser Satz der Identität2K eine leere Ver- 117

standesform ist, durch die man keinen Schritt weiterkommt.Es wird also durch Aufstellung jenes formellen Prinzips inder Sache selbst durchaus nichts ausgemacht. (Tapferkeit, ob 10

die Soldaten stehenbleiben oder davonlaufen; das letztereenthält keinen Widerspruch.) - Es ist einerseits schlechthinwesentlich, daß das Bewußtsein es sich zur Pflicht macht, diePflicht zu tun; andererseits ist dies aber nur die ganz allge-meine Gesinnung'. Indem die Abstraktion aufgegeben wird, 15

so ist die nächste Bestimmung diese, daß der Wille bestimmtsei als Einheit der Pflicht und der Besonderheit, d. h. derBesonderheit überhaupt, des Wohls. Diese Einheit ist dasGute, in Beziehung auf den Willen, daß esZweck des Willenssei. Das Gute I enthält im allgemeinen die Idee. Insofern 20 1I8

darauf reflektiert wird, daß das Gute selbst nur ein Subjekti-ves ist, so tritt der Gegensatz hervor, wie bereits obenbemerkt wurde. Indem die Idee selbst in dieser abstraktenGestalt ist, Zweck des subjektiven Selbstbewußtseins. so istsie wieder ein Nichtausgeführtes. Auf dem Standpunkt dieser 25

Reflexion treten die sogenanten Postulate hervor. Es kommthier nur zu einem Sollen, denn der moralische Standpunkt istüberhaupt der subjektive, unterschieden von dem objektiven.- Die Kantische Philosophie bleibt bei dem bloßen Postulatestehen. Das handelnde Bewußtsein muß notwendig weiterge- 30

hen; das Subjektive muß in das Objektive übersetzt werden.

I Orig. -warum-.2 Orig. -unserme.

3 Orig. -es-.4 Orig. -idealische-.

I04

I Orig. -idealisch..2 Orig. -Idealirat-.

3 -Gesinnung- im Orig. aus .Bestim­mung<.

10 5

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119 Das handelnde Bewußtsein ist überhaupt Idie Widerlegungdes aufgestellten bloß subjektiven Zwecks.Es ist das Recht des moralischen Willens, daß das, was ich alsZweck meines Handeins anerkennen soll, überhaupt als gut

5 bestimmt sein muß. Die Handlung soll den Charakter derAllgemeinheit haben. Es kann mir ebendeswegen eine Hand­lung nicht zugerechnet werden, insofern ich nicht weiß, obsie gut oder böse ist. Dies ist die höchste Bestimmung inRücksicht auf die Zurechnung für den subjektiven Willen.

10 Kinder sind insofern keiner Zurechnung fähig, denn einmalkennen sie nur das Unmittelbare ihrer Handlung, und zwei­tens entgeht ihnen die Kenntnis des innern Wertes derHandlung. Wahnsinnige und Blödsinnige sind insoferngleichfalls der Zurechnung nicht unterworfen. Es ist bei der

120 15 Zurechnung auch I ferner der Zustand der Leidenschaft zuerwähnen. Diese Rücksicht kann indes kaum als Milderungs­grund gelten, noch viel weniger als Rechtfertigung. Insofernder Mensch als ein Leidenschaftliches betrachtet wird, sowird ihm die einem Vernünftigen zukommende Ehre nicht

20 angetan. - Das Gute hat nun weiter vielerlei Formen.Zunächst hat es die Bestimmung des Gesetzmäßigen, dessen,was gesetzlich erlaubt oder geboten ist. Von dem Gesetzli­chen kann ich wissen, und mein Wissen davon ist nur diesesWissen überhaupt, daß es gilt. Das weitere Wissen aber ist,

25 daß ich aus Gründen weiß, nicht bloß auf diese unmittelbareWeise. In diesem Fall nennen wir das Wissen Überzeu-

121 gung. IEin Höheres ist dann " daß ich die Bestimmung desZwecks aus dem Begriffe erkenne. Ich kann in Folge meinesmoralischen Rechts nun etwa die Forderung machen, es solle

30 etwas mir nicht bloß als gesetzlich überhaupt und als aufbestimmten Gründen beruhend gelten, sondern es solle dieSache aus ihrem Begriff als vernünftig dargetan werden. ­Indem ich nun handle, so setze ich eine Veränderung imI Orig. -denn-.

106

Dasein, im Elemente der Objektivität. Dieses Element ist nunder geltende Wille überhaupt, und dieser ist durch das Gesetzausgesprochen. Meine Handlung hat also immer wesentlichBeziehung auf das Gesetz. Handle ich gegen das Gesetz, sotue ich das Gegenteil vom Handeln, ich bringe etwas Negati- 5

ves, Nichtiges hervor. IDas Bestehen von meinen Handlun- 122

gen ist eben die Objektivität. Auf mich kommt es nun an, obich damit zufrieden bin oder nicht. Ich kann wohl einsehen,daß mein Handeln, damit es den Gesetzen gemäß sei, einGetanes sei, den Gesetzen gemäß sein muß; aber es kann sein, 10

daß ich mich darum nicht innerlich, moralisch für verpflichtethalte. Dieses weitere Nachforschen ist denn mir überlassen.Es tritt dann die Kollision und der Gegensatz ein, der Inhaltmeiner besonderen Überzeugung kann im Gegensatz stehenmit dem, was gesetzlich überhaupt ist. Ich kann deshalb 15

fordern, nicht ohne und noch mehr nicht gegen meineÜberzeugung handeln zu müssen. Ich kann auch Inoch wei- 123

ter gehen und sagen, daß die gute Absicht dasjenige sei, wasmeine Handlung rechtfertige. - Die Quäker leisten keinenEid, weil es gegen ihre Überzeugung ist; ebenso tragen sieaus 20

diesem Grunde keine Waffen und ziehen sie den Hut vorniemand ab. Es kommt dabei darauf an, was der Inhalt ist, dergegen meine Überzeugung ist. Der Staat also, das objektiverechtliche Handeln, geht durchaus vor, und es kann hier nichtgefragt werden, was meine Besonderheit dagegen sagt. Es ist 25

also z.B. immer eine Toleranz, wenn der Staat Quäkerduldet. Man soll nicht bloß bourgeois, sondern auch citoyensein. Es kann indes ein Staat insoweit in sich erstarkt sein, daßer Abnormitäten der I Art in sich duldet. Im allgemeinen ist 124

darauf nichts zu geben, wenn jemand bei Forderungen, die 30

vom Staate an ihn gemacht werden, sagt, es sei gegen seinGewissen, denselben nachzukommen.Ich kann nun ferner, wie erwähnt worden, meine Handlungdurch die gute Absicht rechtfertigen. Es kann die Forderung

'°7

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so weit getrieben werden, daß die gute Absicht mich nichtbloß vor Gott, sondern auch vor dem Gesetz rechtfertigensoll. Dasjenige, was von mir hiernach als das Gute, als dasWesentliche bestimmt wird, soll hiernach auch an sich als das

5 Gute gelten. Eben die Idee ist nun aber, daß das Gute nichtbloß subjektiv, sondern an und für sich sein soll. Nach dem

125 subjektiven Standpunkt ist, Iwas gut ist, bloß aus mir zunehmen, aus meinem Herzen, meiner Begeisterung usf.Besonders stellt man auch vor, daß eine moralische Absicht,

10 in welcher sich zeigt, daß ich nicht das Meinige darin suche,rechtfertigen soll eine unrechtliehe Handlung. Diese Vorstel­lung sieht man häufig unter den Menschen. Hierher gehörtdie Legende vom heiligen Crispinus'', - Die Menschenwollen überhaupt häufig lieber edel und großmütig als

15 gerecht sein. In jenem Handeln ist es etwas Besonderes, dasgetan wird. Solches Wohlgemeinte überhaupt setzt sich demRechtlichen zunächst gegenüber. Alles Handeln hat zurersten Grundlage den Begriffdes Willens. Das erste ist immer

126 die Gerechtigkeit, I alles andere findet sich leicht von selbst.20 Die weitere Prätention ist aber, wie gesagt, überhaupt, daß es

die gute Absicht sei, welche die Handlung rechtfertigt. Es istalso die Frage, was denn das Gute für eine Bestimmung hat.Gut ist hier nur die ganz allgemeine Bestimmung, und sie sollauch weiter keine haben, denn eine Handlung, eine Absicht

25 soll schon durch das Gute überhaupt sich rechtfertigen. Gutsoll also überhaupt nur irgend etwas Positives sein. Also denArmen Almosen geben, für meine Familie sorgen, dasSchlechte ausrotten, das alles kann als das Gute erscheinen.Es zeigt sich so, daß alles als ein Positives gefaßt und somit als

Ja Gutes bezeichnet werden kann. In diesem Sinn hat man127 gesagt, es gebe überhaupt Ikeinen bösen Willen und keine

böse Handlung.f Allerdings will jeder Verbrecher immernoch etwas Positives, und keiner will das Böse als solchesschlechthin. In Haß und Rache ist so immer ein Wollen der

108

Nichtverletzung pp. - Ein Wille, der will, will immer etwas,und nach dieser positiven Seitewird immer ein Gutes gewollt.Es folgt daraus, daß sich zu aller Schlechtigkeit und Schänd­lichkeit immer ein guter Grund finden läßt. Eine Handlungist immer ein Konkretes, und es läßt sich so immer eine Seite 5

daran auffinden, durch die sie entschuldigt wird.Was in der Welt verdorben worden ist, das ist alles aus gutenGründen Iverdorben worden. Menschen und Regierungen 128

haben für alles gute Gründe anzuführen. Es bleibt also imabstrakten Guten bloß das Positive, und es ist somit aller 10

Gegensatz von Gutem und Bösem aufgehoben. AllesSchlechte ist so gut und alles Gute schlecht. Dies ist der letzte,innerste und schwerste Punkt, der die Täuschung ausmacht,daß die Menschen sagen, sie wollen das Gute, aber nur einFormelles wollen, und dies ist das Subjektive und das 15

gemeinte Gute, sofern es mein Besonderes ist. - Gut undBöse gehen hier unmittelbar ineinander über. Jener gu:e,ehrliche Wille, der bei dieser Abstraktion stehen bleibt, ist

ganz formell, subjektiv und somit ebenso unmittelb.arböse. IEs ist schon oben bemerkt, daß der einfache Begriff 20 129

des Willens, der noch nicht dialektisch vermittelt ist, auchnicht der Begriff ist ', sondern/ das Unmittelbare, das Nichtdes Begriffs.Jene Einfachheit ist selbst unmittelbar das Böse.Eben weil das Gute zunächst dies Ununterschiedene ist, sosteht der Unterschied, die Form, zunächst außer ihm; dies ist 25

die Subjektivität; Inhalt und Form liegen sonach außereinan-der. Das Gute ist noch nicht das Gute, da die Form nochaußer ihm liegt. Das Herz und das Gemüt meint am allerkon­kretesten zu sein, wenn es am abstraktesten ist. Man nenntdieses Abstrakte auch Lebendigkeit, so wie überhaupt Idas Ja 130

Leerste und Dürftigste in neuerer Zeit oft »Lebendiges«gepriesen wird. - Man hält das abstrakt Gute für das Wahre,

I Orig. -ist auch nicht der Begriffe2 -sondem- eingefiigr.

109

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aber eben weil es abstrakt ist, so ist es nicht wahr, sondernsubjektiv. Man hat so gesagt, man könne das Wahre nichterkennen, sondern das Erkennen sei nur subjektiv. Somit ist,was gut und Pflicht ist, bloß ein subjektives Belieben. Dies ist

5 das Verderben der Philosophie in unserer Zeit, daß man dasErkennen als etwas bloß Subjektives ausgegeben hat. Indemich zum Kriterium des Inhalts meines Tuns bloß mein Gefühlmache, so habe ich alle Willkür zum Gesetz gemacht. Dies

131 Subjektive aber, insofern es nur in uns liegt, ist I ebensogut10 das Böse und das Unwahre, nur ein Gemeintes. Es tritt in

solcher Zeit die Rückkehr des Bewußtseins in sich auf.Sokrates wurde von den Atheniensern am Leben gestraft,weil er das, was Pflicht und Religiosität sei, bloß auf dasinnere Wissen zurückgeführt hat.

15 Es ist hier auch der Ausdruck zu erwähnen, daß der Zweckdie Mittel heiligt. Für sich verdient dieser Ausdruck keineBerücksichtigung, denn er ist bloß formell und ohne Inhalt.Daß der Zweck und die Mittel einander entsprechen müssen,versteht sich von selbst, und wenn der Zweck recht ist, so

20 sind auch die Mittel recht. Man kann im allgemeinen wohl132 sagen, daß, Iwenn die Zwecke heilig sind, sie die Mittel

heiligen. Es wird aber unter jenem Ausdruck überhauptnicht! das verstanden, was oben erläutert wurde. Es solldaraus, daß ein Zweck gut ist, für mich die Berechtigung

25 folgen, zu tun, was für sich ein Verbrechen ist. Es heißt jenerAusspruch zunächst nur: Um ein Gutes zu tun, bin ichberechtigt, ein Gutes zu verletzen. Die Entscheidung dessen,was gut ist, fällt immer meiner Subjektivität anheim. Man sagtaber: Wenn ein Zweck ein wirklich Gutes ist, so ist es doch

30 immer meine subjektive Meinung, die ich darin verfolge.Wenn der Zweck weit umfassend ist, so glaubt man, mehr ein

133 Recht zu haben, ihn geltend Izu machen. Es tritt wohl hierbeidie Vorstellung ein, daß ein Gutes dem andern unterzuord­I -nicht- eingefügt.

IIO

nen sei. Dies ist nun allerdings der Fall, wie sich später zeigensoll, und es ist diese Unterordnung notwendig, wenn es einSystem von Pflichten geben soll. Wenn ich indes erkläre, daßmeine Absicht und Einsicht es ist, welche diese Unterord­nung bestimmt, so fehlt hierbei immer wieder die Objektivi- 5

tät. Ein Recht zu solcher Unterordnung glaubt nun dersubjektive Wille zu haben, wenn der Zweck, welcher verfolgtwird, ein weit umfassender ist. Allein eben wenn wir einen soumfassenden Zweck sehen, so ist es Iunmittelbar nicht der 134

Zweck eines Einzelnen, sondern es tritt hier auch ein umfas- 10

sender Wille ein. Über das Schicksal der Völker zu entschei-den, kann der Einzelne sich nicht anmaßen, sondern eskommt dieses den Völkern selbst zu. Goethe sagt, daß dieErmordung des Cäsar durch Brutus und Cassius die dümmsteHandlung sei, die je begangen worden ist.E Die Form der 15

römischen Welt ist durch den Tod eines einzelnen Individui,wie Cäsar war, ganz und gar nicht geändert worden. Indem esdie gute Absicht ist, wodurch man sich rechtfertigt, so scheintes, daß der Fehler nur darin bestehe, daß man sich geirrt habein Ansehung dessen, was Igut ist. Irren, sagt man, sei etwas 20 135

Leichtes und das Verzeihlichste, was man begehen kann. Sowird das Vergehen auf das Minimum von Fehler herunterge-setzt. Irren kann man sich nun allerdings über Geschichtli-ches und Einzelnes überhaupt. Irren ist hier indes unmittel-bar ad hominem das größte Vergehen. Wer nicht nach dem 25

objektiven Rechte handelt, sondern nach dem, wie er esweiß,der macht sein eigenes Wissen und Wollen zum höchstenEntscheidungsgrund in Ansehung der Handlung. Er sagtsomit, daß er aus sich gegen die ganze Welt hat wissen wollen,was Recht und Pflicht ist. Das Irren ist also hier das Allerun- 30

verzeihlichste. - Wir stehen hier am höchsten Punkte derInnerlichkeit, am Gewissen. IMan sagt, daß dieses ein Heili- 136

ges sei, aber ebenso kann es auch das Böse sein. Weil aber hierdie Extreme unmittelbar ineinander übergehen, so ist es diese

I II

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spekulative Spitze, wo Böses und Gutes nur im Übergangineinander gefaßt werden können. Vom Bösen ist überhauptnicht anzunehmen, daß es nur zufällig in die' Welt gekom­men sei, sondern es ist wesentlich im Begriffe des Geistes. Der

5 Geist soll nicht in der Unmittelbarkeit bleiben, sondern sichdirimieren, sich als unmittelbar bestimmt gegenübertreten.Insofern er nur seine Begierde will, so ist hier das Böse. DerGeist hat gleichwohl auf diesen Standpunkt sich zu begeben".Es ist mit Recht gesagt, daß das Gesetz" d. h. diese Reflexion

137 10 über das IAllgemeine, erst die Sünde macht.f Im Verhaltenals Natürlichem" kann nun entweder überhaupt stehen­geblieben werden oder es kann weitergeschritten werdenzum Gedanken des Guten, in welches hinein aber ein Inhaltder Willkür gelegt wird. Hier ist der Mensch aus Gründen

15 böse. Der Standpunkt der Trennung ist also für den Geist einnotwendiger. Ebenso ist es auch ein Notwendiges, daß dasGute als Allgemeines gewollt wird, aber daß dabei stehenge­blieben und ein beliebiger Inhalt hineingelegt wird, ist Sachedes Individui. Daß einer böse ist, das ist seine Sache, aber das

20 Böse überhaupt ist Moment des Geists, welches" zu überwin-138 den ist und über das' hinauslzugehen ist. Aber auch im

wahrhaft Guten kommt das Böse immer vor. Ein Mensch,der im konkreten und erfüllten Leben zu handeln hat, mußauch wissen können, böse zu sein. In der Verfolgung des

25 wesentlichen Zwecks werden eine Menge Zwecke, die sonstwohl gelten könnten, geknickt. So ist das Böse einmal einMoment, sodann kommt es aber auch immer in der Wirklich­keit vor. Auf diesem Standpunkt ist also Gut und Bösedurchaus unentschieden. Es kommt allein auf den Inhalt an,

30 und gleichwohl ist dieser Standpunkt noch der inhaltslose.Das Wissen des Willens überhaupt, das Gewissen, diese

I Orig. -der-.2 Orig. -geben-.3 Orig. >daß erst das Gesetz-.

4 Orig. -Narürliches-.5 Orig. .welcher..6 Orig. -den-.

I12

allgemeine Macht, ist zuerst darin ausgesprochen, daß Jacobisagt, I daß der Mensch sich in seinem Gewissen als die 139

absolute Macht wisse. (Brief an Fichte.)IEHier ist ausgesprochen, daß alle bestimmten Gebote ebenso­gut nicht gelten können, als sie gelten. Er sagt, es gibt kein 5

absolutes Gebot. - Wenn Gesetz und Mensch getrenntwerden, so ist der Mensch allerdings höher als das Gesetz.Dieses hat keine Wirklichkeit ohne den Menschen. - Daspraktische Vernunftgesetz der Kantischen und FichtischenPhilosophie, wogegen Jacobi spricht, hat keinen eigenen 10

Inhalt und ist bloß formell. Es befiehlt also auch nichtsBestimmtes, sondern bleibt beim Abstrakten stehen. Jacobinennt jene Macht im Menschen, durch die er beschließt, I das 140

Majestätsrecht des Menschen. Das Denken ist nun allerdingsein solches Majestätsrecht. - Die Subjektivität muß zur 15

Substantialität kommen. -Das Gewissen ist also dieses Hohe und Heilige, welches überRecht und Pflicht entscheidet, und der Gewissenhafte ist der,welcher nach Recht und Pflicht handelt. Was aber Recht undPflicht ist, das ist in dieser bloßen Subjektivität nicht gesagt. 20

Wenn einer sich nur auf sein Gewissen beruft und dieHandlung objektive Bestimmungen enthält, so hat er nichtbloß nach seinem Gewissen gehandelt.Eine dritte, formellere Gestalt ist die der Ironie. Diese warbekanntlich besonders VOm Sokrates in seinen Unterhaitun- 25

gen geübt. I Sie besteht zunächst darin, daß eine falsche, 141

einseitige Behauptung zugegeben wird und daß dann der,welcher eine solche Behauptung aufstellt, dahin geführt wird,durch deren Entwickelung ihre Nichtigkeit darzutun. - Es istbesonders Friedrich von Schlegel gewesen, der die Ironie als 30

ein Moment des Göttlichen überhaupt dargestellt hat. E Esliegt darin allerdings eine Ahndung des Vernünftigen, alleinauch zugleich das Beginnen einer verkehrten Ansicht. DieI 2. Klammer eingefügt.

113

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Ironie ist überhaupt die Erscheinung der Identität, das Drü­berhinaussein über das Bestimmte, also auch über den Ernst.BeiHomer erscheinen die olympischen Götter mit dieser Iro­nie (unauslöschliches Gelächter über Hephastos'', Aphrodite

5 einen Backeostreich'<", Mars schreit wie IOOOOE(2»).1 Auch

dies kann wie Ironie betrachtet werden, wenn die Alten denGöttern opferten. Eine barbarische Ironie ist dann ' über­haupt das Übergehen zum Gegensatze. So, wenn der Menschdes Morgens sich vollkommen zerknirscht und aufgibt, alles

10 Selbstgefühl als nichtig ausspricht, und dann am Tage sichwieder in allen Lüsten herumwirft. - In der Ironie liegt alsoüberhaupt das Hervortreten des Gegensatzes. Ihre schönsteGestalt ist die Heiterkeit, wie siean den griechischen Götternerscheint. Heiterkeit und Selbstvergessenheit können als

15 Temperamente der höchsten Tugend angesehen werden. ­Eine Mutter, die ihr Kind ansieht und sich darin selbst weiß.Italienische Melodien, Idie den tiefsten Schmerz ausdrücken/und worin zugleich das Selbstgefühl der Seligkeit enthaltenist. - Ein anderes ist es, wenn die Negativität in der Ironie

20 hervortritt und das Selbstbewußtsein als ein eitles erscheint.Der Wille geht hier nicht in die Sache hinein, tut auf sichselbst nicht Verzicht. Die Ironie ist also hier dieses Bewußt­sein, mit allem nur zu spielen, auch mit dem Edlen undVortrefflichen, so daß es meine Willkür nur ist, die sich

25 herabläßt, sich damit zu beschäftigen. Das Positive in dieserIronie ist die Eitelkeit. Die Ironie ist so die Form der Spitze.Es sind Erscheinungen der Zeit vorgekommen, wo Indivi­duen dahin gekommen waren, daß sie sich' nur an dieserIronie hielten. I

30 Vormals war viel von der Heuchelei die Rede, mehr als inunseren Zeiten. Heuchelei wird genannt, wenn jemand dasBöse tut unter dem Vorwand von" etwas Gutem. Indem man

142

14'

144

I Orig. -denn-.2 Orig. -ausdriickr..

3 -sich- eingefügt.4 -von- eingefügt.

die Heuchelei beschuldigt, so wird erwähnt, daß es Laster,Verbrechen gebe, die an und für sich das Böse sind, und daßes nicht ernst damit sein könne, sie als etwas Gutes zubetrachten. Diese Beschuldigung der Heuchelei fällt eigent­lich hinweg mit der Ansicht des moralischen Standpunktes. 5

Auf diesem Standpunkt gilt die Ansicht, daß das, was rechtund gut ist, in meiner Absicht liegt und durch diese seineBestimmung erhält. Hiermit ist jene Voraussetzung voneinem an und für sich Bösen nicht mehr vorhanden. Nachdieser Seite ist es I also immer etwas Gutes, das gewollt wird. 10 145

In neuern Darstellungen ist oft eine große Beredsamkeitaufgeboten, um zu zeigen, daß, was der Mensch nach seinenTrieben tut, gut ist, da diese in den 1 Menschen von Gottgelegt seien. Wenn wir Verbrechen dargestellt sehen/ mitguter Absicht pp., so würde dies nach der früher bezeichne- 15

ten Ansicht als bloße Heuchelei erscheinen. - Ebenso fälltüberhaupt auf dem moralischen Standpunkte die frühereAnsicht von Lastern und Sünden hinweg. Indem vom Lastergesprochen wird, so liegt dabei auch die Ansicht' zugrunde,daß es Handlungsweisen gebe, die an und für sich göttlichem 20

und menschlichem Rechte widersprechen. Wenn aber nachder andern Ansicht die I gute Absicht es überhaupt ist, die den 146

Wert der Handlung ausmacht, so fällt jener Gegensatz hin-weg. - Wenn der Lasterhafte frank und frei in Sünden lebt, sohat er keine Gewissensbisse, denn es ist sein unbefangenes 25

Meinen überhaupt, wodurch seine Handlungsweise gut undvortrefflich wird. - Es ist also überhaupt ein bestimmterInhalt des Guten auf diesem Standpunkt nicht vorhanden.Nur Willkür und Belieben, schlechthin die Subjektivität,entscheiden. Es kann alles als gut gelten. 30

Der Wille, der Ironie ist oder der zur Heuchelei gekommen

I Orig. -dem-.2 Orig. 'sehen dargestellte3 Orig. -Absich«.

"5

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ist, hat die Reflexion, daß er mit jedem Inhalt spielen kann;das Subjekt weiß sich als das, welches über allem steht. Der

147 Wille, der aber nicht jenes IBewußtsein hat, sondern der denInhalt nicht für etwas Gleichgültiges hält, gerät in Verlegen-

5 heit mit seinem Inhalt, er hat kein Kriterium zur Entschei­dung. Es findet sich die Kollision, zwischen Verschiedenemzu wählen. Ein solcher Wille1 ist getrieben, den Unterschieddes Guten im Objektiven aufzusuchen. Es ist eine Hauptfor­derung an die Moral, die Entscheidung der Kollisionen zu

10 leisten. Die Pflichten bieten sich zugleich als ein vielfacherInhalt dar, zwischen dem sich ein Widerspruch hervortut.Diese Stufe der Reflexion hat nun viele besondere Formen. Eskann sich! zunächst eine Art von Furcht gegen das Handeln

148 überhaupt ergeben, ein Mißtrauen gegen die IWirklichkeit.15 Es entsteht hier die Bedenklichkeit, auch bei einem gut

Scheinenden doch noch innezuhalten. Dies ist der Zustandder Skrupulosität. Diese Reflexion erschwert sich das Han­deln. Recht hat sie allerdings einerseits; denn die Ausübungder Pflichten greift in viele Verhältnisse ein und berührt viele

20 Individuen. Es ist immer etwas beim Handeln, von dem manwünschen könnte, daß es nicht vernachlässigt würde. Jegebildeter ein Gemüt ist, je mehr entdeckt es solche.' Mög­lichkeiten, andere Verhältnisse zu stören. Auf der andernSeiteerleichtert diese Skrupulosität auch wieder das Handeln,

149 25 zumal wenn die Reflexion sich auf eine Allgemeinheit I desZwecks richtet. Wenn jemand sich vorsetzt, er wolle seineBestimmung als Mensch erfüllen, und begibt sich, um sich zuunterrichten, etwa an die Niemeyersche Padagogik'', so istihm ein großes Feld eröffnet, und es bleibt ihm eine sehr freie

30 Wabl, zu treiben, was ihm zusagt. Dadurch, daß der Menschsich in die Sache hineinbegibt, bildet sich der Mensch und

I Orig. -solches Wissen<_2 -sich- eingefügt.3 Orig. -solcher-.

tI6

reibt und schleift er seine Subjektivität ab. Indem er die Sachezu der seinigen macht, hat er kein subjektives, sondern einobjektives Interesse. Wenn es um das Substantielle zu tunist, so fallen alle jene Nebenrücksichten hinweg. Wenn dasIndividuum sich mit so vielen Nebenrücksichten abgibt 5

und I diese dann zur Seite stellt, so schlägt es dies als Opferan. - Ein Mensch von Erfahrung, von gebildetem Geist undGemüt kann, wenn er die Hauptsache befolgt, allerdingsauch noch Nebenrücksichten gelten lassen. (Ein Richter, derstreng nach dem Rechte handelt, dabei aber in allem übrigen 10

schonend verfahrr.) Wenn also die Hauptsache festgehaltenwird, so fallen eine Menge Nebenrücksichten als Kleinigkei-ten hinweg. Es ist eine Zeitlang gewöhnlich gewesen, vielvonder Wichtigkeit der Kleinigkeiten zu sprechen, und es istdabei gesagt worden, es gebe nichts Unbedeutendes in der 15

Moral. Dies ist im Sinn des oben Ausgeführten zu verste­hen.1Die objektive Unterordnung der Pflichten ist erst später zubetrachten. Für das Individuum bleiben dann wenig Kollisio­nen übrig, nur solche, die das Besondere betreffen. In den 20

alten Tragödien sehen wir Kollisionen der wahrhaft substan­tiellen Verhältnisse. So sehen wir die Antigone auf der einenSeite,die Pflichten der Pietät gegenihren Bruder erfüllend; aufder anderen Seite sehen wir dagegen den Staat, die l'tOAL,;.E

Diese beiden Potenzen treten frei gegeneinander, und sie 25

erscheinen dramatisch, insofern es Individuen sind, indenen diese Potenzen ihre Wirklichkeit haben. Wir sehen hiergleichsam Götter miteinander im Kampfe. Im »Orest« sehenwir eine ähnliche Kollision: die gerechte Bestrafung des IMörders des Vaters und das Verhältnis der Pietät des Sohnes 30

gegen die Mutter.E Es ist also in der Heroenzeit, wo diesegroßen Kollisionen vorkommen, wo es dem Individuum alssolchem anheimfällt, das sittliche Moment geltend zu machenund zu wollen!In einer objektiven Organisation des substan-

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tiellen Willens fallen solche Kollisionen weg; bürgerlicheTragödien haben um deswillen nicht die Bedeutung, weil eshier Bürger sind, welche sich umschlossen finden von einerobjektiven Organisation, für! deren Entscheidung wenig

5 übrigbleibt. Es bleiben indes, wie gesagt, für das Individuumimmer noch viele Kollisionen übrig. Von einer Moral erwar­tet man, daß sie diese Kollisionen vorträgt und sich auf

153 ihre IEntscheidung einläßt. Eine solche Moral wird notwen­dig Kasuistik. Die Subjekte erwarten von einer solchen

10 Wissenschaft, daß sie ihnen die Entscheidung für alle Fällefertig, gleichsam von dem Brette, vorlegt. - Zwei Menschen,die im Schiffbruch sich auf einem Brette befinden, das nureinen zu tragen vermag; der eine hat Kinder, der anderekeine; der eine viel, der andere wenig; der eine ist Jurist, der

15 andere Mediziner. Es zeigt sich sogleich, daß es eine unnützeErwartung ist, solche Fälle in einer Moral entschieden wissenzu wollen. In solchen besonderen Fällen muß auch dasBesondere entscheiden, d. h. das Individuum, und es kannhier keine objektive Entscheidung erwartet werden. - Es gibt

154 20 eine Weise des Entscheidens, I daß man überhaupt bei einemabstrakten Grundsatze stehen bleibt und diesen als das EineEntscheidende festhalt. - Fichte in seiner Moral stellt den Fallauf, daß einer wütend mit dem Dolche in ein Zimmer dringtund jemand ermorden will, der sich verborgen hat. Es frägt

25 sich hier, ob ein anderer, der mit im Zimmer ist und um denVerborgenen weiß, schlechthin gehalten sein soll, die Wahr­heit zu sagen.E Überhaupt ist es schwer, die rechte Wahrheitzu sagen, und es gibt wenige, die sie sagen. Der gewöhnli­chen, gemeinen Wahrheiten verschwinden in jedem Augen-

30 blick Tausende. Im allgemeinen soll allerdings der Mensch155 mit sich identisch sein und somit die Idee darstellen. I In dem

angeführten Fall ist jedoch das Sprechen nicht bloß einSprechen, sondern ein Handeln, und zwar ein ebensolches,I -für- eingefügt.

rr8

als ob ich einem andern, der jemand ermorden will undkeinen Dolch hat, den Dolch dazu in die Hand gebe. DieseGleichheit mit mir, die ich durch das Sagen! der Wahrheiterreicht habe, wäre nichts als eine hochmütige, läppischeTreue gegen die Wahrheit, ich hätte bloß mich als dieses 5

Übereinstimmende gesetzt. - Die entscheidende Besonder­heit ist überhaupt dasjenige, was man Charakter nennt; derMensch kann nur handeln, insofern er ein Besonderes ist. DieForderung einer Kasuistik der Art enthält den Ausspruch'',daß der Mensch der Mühe enthoben sein will, Charakter zu 10

haben. IDieser Mühe kann der Mensch allerdings durch einenGewissensrat, einen Beichtvater (der Zucker und Kaffeebekommt) enthoben werden; und ein solcher Gewissensratweiß dann für alles gute und fromme Gründe anzugeben.Gediegenes, substantielles Handeln erfordert Selbstverges- 15

senheit in Ansehung seiner Besonderheit. Die Reflexion, dieimmer wissen will, ob man da und dort vortrefflich handle,führt Zur Weichlichkeit und zum Eigendünkel.Der moralische Standpunkt ist also überhaupt die Freiheit imbesonderen Willen. Die Freiheit als Recht hat nur ein Ding zu 20

ihrem Dasein. Der besondere Wille, die Subjektivität ist derwahre Boden I der Freiheit. Das Recht des besonderen Wil­lens ist also notwendiges Moment der Idee; sein Recht ist, daßer in dem sei, was er tut, daß es das Seinige,daß die Handlungsein Vorsatz sei, daß sein Wohl alsMoment erscheine und daß 25

das, was er tut, die Bestimmung des Guten habe und alssolches von ihm gewußt werde. Zugleich ist der moralischeWille nur dieses Formelle, und der Inhalt fällt außer das­selbe.Der subjektive Willen hat das absolute und unendliche Recht, 30

zu wissen, was gut ist. Dieses Wissen für sich und als Wollendieses Gewußten ist ebendamit ein Abstraktes, Besonderesund Subjektives überhaupt. Weil dies I der Standpunkt desI Orig. -den Segen-,

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subjektiven Willens ist, so ist es nur das Abstrakt-Allge­meine, wovon das Subjekt weiß. Es treibt sich notwendigunendlich in der Reflexion herum und hat viele gute Zweckeund Gründe, aber es ist kein immanenter Inhalt, den es aus

5 sich produziert. - Das moralische Bewußtsein ist nichtphilosophisches Bewußtsein. Dieses ist vernünftiges Be­wußtsein, und als solches hört es auf, formelles Bewußtseinzu sein. Wenn also auf dem moralischen Standpunkte noch sowohlgemeinte Absichten verfolgt werden, aus dem Gefühl

10 oder aus der Begeisterung, so tragen diese doch immer denMangel der Unmittelbarkeit an sich.

159 Das moralische Bewußtsein gibt I sich auch selbst nicht fürphilosophisch aus, und es erkennt selbst an, daß es bloßsubjektiv ist. Wenn vom moralischen Standpunkt als dem

15 Formalismus des abstrakten Guten gesprochen wird, so mußman diesen Standpunkt nicht mit dem vernünftigen Erkennenverwechseln. Das subjektive Wissen kann als solches keinenobjektiven Inhalt haben; der Inhalt, den es sich gibt, Glaube,Begeisterung, Offenbarung, ist immer ein Unmittelbares. -

20 Die Moralität ist immer nur ein Moment des Ganzen. - Eswurde bereits an Sokrates erinnertf: es zeige sich in jener Zeiteine Zerrissenheit des Innern und des Äußern. - Die Wahr­heit ist nur die Wahrheit des Standpunkts der Moralität unddes abstrakten Rechts. Für sich genommen fällt diesesPrinzip

160 25 in sich selbst Izusammen; es ist der Widerspruch an sichselbst. Es erfordert Bestimmung von Pflichten und Zwecken,und doch gilt ihm nur die Form des Allgemeinen. Die reineGewißheit seiner in sich selbst ist das Abstrakte, in sichUnterschiedslose. Die konsequente Vollendung dieses Stand-

30 punkts ist das Verkümmern des Geistes in sich.Indem dieser Standpunkt in der Kantischen Philosophieweiter ausgebildet worden und als ein Letztes festgehaltenworden ist, so ist der Widerspruch desselben immer mehrhervorgetreten. Dieser Standpunkt ist zugleich als ein Endli-

120

Tches ausgesprochen worden, und das wahrhaft Vernünftigehat man in ein fernes Jenseits gelegt. Die moralische Weltord­nung kommt vor als die Idee, die aber nur sein soll; dassubjektive Selbstbewußtsein ist dabei falschlieh als I ein Abso- 161

lutes ausgesprochen worden. Diese Subjektivität ist nun 5

vielmehr der Widerspruch in sich selbst. - Hierin liegt derÜbergang zu der höheren Sphäre. Das Gute, Allgemeine,Substantielle in der Identität mit jener Subjektivität, die dieForm ist, ist das Wahre. Das abstrakte Recht ist das Daseinder abstrakten Freiheit, die Moralität das Dasein des beson- 10

deren Willens. Die Einheit beider ist das Sittliche. Dies ist derZeit nach das Erste, und es ist erst auf dem Boden dieserSittlichkeit, daß seine Momente sich entwickeln. DieseMomente für sich können gar nicht existieren, sondern siemüssen notwendig eine Grundlage haben, wenn diese auch 15

als zertrümmert erscheint. - Die Familie ist ein Älteres in derZeit als der Staat. In der Wissenschaft müssen Idie abstrakten 162

Momente vorher betrachtet werden, weil das Wahre erst ausihnen begriffen werden kann. Dieses Wahre ist als Begriffeine Einheit Unterschiedener. 20

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D ritter Teil

Die Sittlichkeit

Die Sittlichkeit ist die Integration der beiden ersten Stand­punkte, des einen durch den andern. Die Eit.elke~t der

5 subjektiven Gewißheit und die abstrakte Allgemeinheit sindjetzt verschwunden. Sittlich ist also zuerst die Idee d.erFreiheit, aber so, daß diese Freiheit lebendig ist. Das Gute Isthier nicht in ein Jenseits, in eine moralische Weltordnungversetzt, sondern es ist wirklich und gegenwärtig. Das Selbst-

10 bewußtsein weiß das Allgemeine als das Wesentliche seineseigenen Willens. Das Sittliche ist also ebensowo?l an sich,1objektiv I als für sich, oder subjektiv. Das Subjekt Ist imObjektiven in seiner Heimat, in seinem Element. - DasSittliche ist nicht das abstrakt Allgemeine, sondern ein

15 System der Willensbestimmungen, weil es als identisch ge­setzt ist mit der Subjektivität. Das Selbstbewußtsein muß esaufgeben, für sich zu sein. Das Gute hat jetzt die une~dliche

Form in sich; es ist damit das in sich selbst Unterschiedene,und was die Form in ihm macht, ist die reine Form. K Die

20 Unterschiede in dem Guten sind so die notwendigen, wesent­lichen Unterschiede.Die Sittlichkeit ist überhaupt das Objektive der Freiheit. DieBestimmungen sind hier durch die absolute Form der Subjek­tivität gesetzt. Wir haben es nicht mit einer bloßen IAbstrak-

25 tion zu tun; das System des allgemeinen Willens ist fest gegendie Willkür und Meinung des besonderen Bewußtseins. - Diehier vorkommenden Willensbestimmungen sind das, was wirfrüher Pflichten nannten, die wesentlichen Verhältnisse. DasGute ist erst als ein in sich Entfaltetes und Bestimmtes, das

30 Reale, das Abstrakte ist nur subjektiv. Ein Allgemeines hat

I Komma eingefügt.

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erst dadurch wahrhafte Festigkeit, daß es sich in sich be­stimmt. - Wenn der Staat nicht ein in sich Unterschiedenesist, so ist er bloß ein Massenhaftes. Die Regierung einessolchen Staates ist auf der einen Seitestarr gegendie Schwächeeines solchen Staats und auf der anderen Seite selbst schwach. 5

Eine Religionspartei ist erst fest, wenn sie sich in sich Iunter- 165

schieden hat. Man hält es für ein Unglück, daß der Protestan-tismus in sich zerfallen ist; aber diese Ansicht erscheint nachdem vorher Gesagten als unbegründet. Dieses Vernünftige istalso, es ist an und für sich, es ist das, was »Gesetz- genannt 10

wird. Die Völker haben dieses Vernünftige oft als göttlicheEinrichtung und Anordnung betrachtet. Es liegt darin, daß esein über die Willkür des Einzelnen Erhabenes ist. - Dasandere, welches diesem an und für sich Seienden gegenüber-steht, ist das subjektive Selbstbewußtsein. Das Verhältnis 15

dieses letzteren gegen das erstere ist nun, dessen Wirklichkeitauszumachen. Das allgemeine Ewige hat sein Bewußtsein,sein Wollen und sein Bewußtsein an dem besonderen Be-wußtsein. Dieses ist Idie Verwirklichung des an und für sich 166

Seienden. Das absolute Interesse ist das Vernünftige. Die 20

Individuen sind an der allgemeinen Substanz die Akzidenzen.Diese allgemeine Substanz kann den Völkern zunächst alseinGegebenes erscheinen. Was die Individuen tun, wurde sonstgesagt, das solle zur Ehre Gottes geschehen.E - Die Indivi-duen leben, weben und sind im Allgemeinen.E Das Verhältnis 25

des Selbstbewußtseins ist, um sein Wesen zu wissen und es alsZweck zu haben und zu verwirklichen. - In der Einheit derIdee ist das Verhältnis des Wesentlichen, daß die Einrichtun-gen, Sitten und Gesetze des Allgemeinen dem Subjekte nichtein Fremdes seien. Es können hier mannigfaltige Stufen 30

stattfinden. Die nächste Stufe ist I die des Glaubens. Der 167

sittliche Mensch erkennt das Allgemeine nicht als eine ihmfremde Macht. - Dadurch haben wir Wert und Würde, daßwir das vernünftige Gesetz vollbringen. Es kann dies über-

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I Orig. -diese-.2 Orig. -nur•.3 Orig. -zu-.

nun zunächst bloß ein natürliches Bewußtsein ist, so hat dasIndividuum dieses1 allerdings abzutun. Dieses Abtun fällteinerseits in die Erziehung, in die Disziplin, auf der anderenSeite hat aber auch das Individuum das Allgemeine, Geltendeimmer vor sich. Die Erziehung des Individui ist nun 2, daßsein eigenes Inneres der vorhandenen Welt gemäß wird. DasIndividuum wird auf solche Weise nicht beschränkt, sondernvielmehr befreit. Was ich bin, mein wesentlicher Wille, istnicht ein anderes, zu dem ich mich verhalte. - Der Menschfindet sich nur eingezwängt, bedrängt, insofern er in seiner 10

Besonderheit steht, er ein besonderes Sollen und Mögen hat;das, was I ihn drückt, ist seine eigene Subjektivität. Indem ersich als Sittliches verhält, so befreit er sich. Das sittlicheZusammenleben der Menschen ist deren Befreiung; sie kom­men darin zur' Anschauung ihrer selbst. - Das Individuum,das so dem Sittlichen gemäß ist, kann rechtschaffen undtugendhaft genannt werden. Es ist eine alte Erzählung, daßein Vater gefragt habe, wie er seinen Sohn am besten zu einemsittlichen Menschen zu machen habe, und daß ihm VOnSokrates geantwortet worden sei: wenn du ihn zum Bürger 20

eines vernünftigen Staates erziehst.f - Die Rechtschaffenheitist also das erste, was vom sittlichen Menschen zu fordern ist.Die Zeit der eigentlichen Tugenden ist die alte Zeit gewe­sen, Iunsere Zeit ist mehr eine Zeit der Rechtschaffenheit.Herkules wird im Altertum besonders um seiner Tugendwillen gerühmt, weil er das Rechte und Vernünftige in einerZeit tat, wo dasselbenoch nicht als das Allgemeinevorhandenwar. In einer Demokratie findet das Zusammenfassen desGanzen auf einen Brennpunkt nicht so statt, wie es erforder­lich ist für das Handeln. Indem das Individuelle nicht unmit­telbar aus der Einrichtung des Staats hervorging, so war es an

haupt das Zeugnis des Geistes von diesem Gesetze genanntwerden. - Die Form des unmittelbaren Zutrauens entwickeltsich nun weiter. Es wird zur Erkenntnis aus Gründenfortgeschritten. Gründe haben Voraussetzungen, die als un-

s mittelbar gelten. Das sittliche Bewußtsein bleibt noch uner­schüttert, insofern solche Voraussetzungen an und für sichwahrhaft sind. Diese Bewegung des Erkennens ist sonachrechter Art. Wenn aber das Bewußtsein seine Besonderheitund insbesondere seine Eitelkeit zum Grunde I macht, so ist

10 das sittliche Bewußtsein aufgehoben. - Die spekulative Er­kenntnis ist demnächst' die des Begriffs überhaupt. Dassittliche Verhältnis ist also überhaupt diese Identität des be­sonderen Willensl K und des Allgemeinen. Indem die Indivi­duen so in der sittlichen Einheit sind, so erlangen sie ihr

15 wahrhaftes Recht. Die Individuen erlangen ihr Recht, indemsie auf solche Weise zu ihrem Wesen gelangen. Sie erhieltendamit, wie man es genannt hat, ihre Bestimmung. JedesIndividuum ist so der Repräsentant der Substanz. Indem dasSittliche so an den Individuen wirklich ist, so ist es ihre Seele

20 überhaupt, die allgemeine Weise ihrer Wirklichkeit. Sitte undGesetz scheinen hier als identisch. Die Freiheit ist zurNotwenldigkeit geworden, zur zweiten Natur. Es ist dererscheinende Geist, welcher da ist. In diesem bunten Wechseldes wirklichen Lebens ist es der Geist selbst, welcher er-

25 scheint. - Die sittliche Substanz ist also wirklicher Geist, ineiner Familie, in einem Volke. Das Individuum ist zuerstnatürlicher Wille und insofern dem Allgemeinen nicht unmit­telbar gemäß. Es muß erst dazu gebildet werden.Das Sittliche hat als Unmittelbares dieselbe Autorität, die das

30 Seiende überhaupt (Sonne, Mond und Sterne) hat. DasVerhalten des Individui ist eben, es gelten zu lassen. DieZufälligkeit in Ansehung des Wissens, die auf dem morali­schen Standpunkt stattfand, fällt hier Ihinweg. - Indem esI Orig, >Wissens<.

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5 Orig. -bescheider-.6 Orig. >Wann<.7 Orig. -bleiben-.8 Orig. -Bestimmungslosen-.

Im Sittlichen fallen Recht und Pflicht durchaus zusammen,im I abstrakten Recht sind Pflicht und Recht an zwei Perso­nen verteilt, im Moralischen habe ich Pflichten zum Guten2

überhaupt; mein Recht ist hier formell, das Recht meinessubjektiven Willens" meiner Freiheit. Im Sittlichen fällt dieseTrennung hinweg. Indem ich sittlich bin, so erfülle ich meinePflicht, und diese Pflicht ist auch mein Recht. Das Sittlichehat keine Pflichten, I ist nicht wieder verbindlich gegen etwasanderes; es ist das Unbewegte, welches bewegt". Die Men­schen haben das absolute Gefühl des sittlichen Verhältnissesüberhaupt. Der Sklave hat keine Pflichten, weil er keineRechte hat. Das absolute Recht ist, Rechte zu haben. DieMenschen haben das Gefühl, daß, wenn ihnen ihre Rechtenicht eingeräumt werden, sie auch ihre Pflichten nicht aner­kennen müssen4

• Wenn einer in einer einzelnen Sache sein 15

Recht gekränkt fühlt, so kann er dadurch nicht glauben, allerPflichten enthoben zu sein. Es muß hier der Unterschied desQuantitativen und Qualitativen ins Auge gefaßt werden.Das Sittliche ist nur vernünftig, I insofern es sich in sichunterscheidet', insofern es seinen Begriff auslegt. Die ab- 20

strakte Freiheit und der besondere Wille sind die Momenteder Sittlichkeit, die für sich nur formelle Wahrheit haben. DieUnterscheidung der Momente des Sittlichen entsteht nichtnach jenen abstrakten Bestimmungen, die nur als ideelleMomente hervortreten können. Wenn 6 wir beim abstrakten 25

Sittlichen stehenblieben/, so wären wir wieder im bestim­mungslosen 8 Guten, das man auch wohl Ideal nennt. DieBegrenzung ist im Vernünftigen keine äußere Schranke. Es isteine falsche Ansicht, das Bestimmte nur unter der Form desNegativen zu fassen. Es ist so ganz richtig, daß der Mensch 30

I Orig. -am-.2 Orig. .zu das Gute-.3 Orig.»Wissens(.4 -müssen- eingefügt.

den Willen besonderer Individuen gebunden. Die Tugend ist,insofern sie gerade diese individuelle Seite enthält, ein Unbe­stimmbares; nur das Allgemeine darin kann bestimmt wer­den. Aristoteles sagt von den Tugenden überhaupt, daß sie

5 Mittel sind I zwischen zwei Extremen. E Das absolute Maßderselben ist die Pflicht. Sie selbst fallen dann weiter insQuantitative. Indem die Tugend sich auf individuelleUmstände bezieht, so läßt sich das Allgemeine darüber nur sosagen, daß es unbestimmt bleibt.

10 Das Sittliche ist also wesentlich ein Geistiges, das Allgemeineund Vernünftige, der erscheinende wirkliche Geist. DerGeist einer Familie, der Geist eines Volkes ist also einwirklich Existierendes. Er ist das Allgemeine, in welches alleInteressen, alle besonderen Tätigkeiten wieder zurückgehen.

15 Wenn der Geist für sich herausgehoben und vorgestellt ist,so ist er religiöser Gegenstand. Es ist notwendig, daß Iderwirkliche Geist, der sich in den Individuen und ihrem Tun inseiner Endlichkeit zeigt, auch als Allgemeines dargestelltwerde. Das Moment der Religiosität ist insofern ein Inneres.

20 Athene ist zugleich die Göttin und der wirkliche Geist desatheniensischen Volkes. Das Göttliche ist die unmittelbareinnere Wirklichkeit des Ganzen. Vom Verhältnis der Reli­gion und des Staats ist später bei der Form des Sittlichen alsStaat näher zu sprechen. Das Gute als das Allgemeine enthält

25 keine besondere Bestimmung in sich, ebenso ist das Religiöseauch dies Ideelle, in dem alles Besondere aufgelöst ist. Wennman die Gesetze, die Pflichten nur dem Geiste nach beobach­ten will, so kann es geschehen, daß man das Besonderederselben wieder aufhebt. - Wenn man die Religion zur IBa-

30 sis der sittlichen Verhältnisse macht, so hat man insofernrecht, insofern in dem Besondern das Substantielle, Wesentli­che erkannt wird; auf der anderen Seite kann aber auch dasGeltendmachen des Religiösen zur Zerstörung aller Form,zum Fanatismus führen.

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178 seine Bestimmung nicht erreicht, Iwenn er nur Familienva­ter, nur Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft pp. ist; alleineinmal ist jede dieser Sphären in sich selbst Totalität, undsodann ist das Wahre nur durch jene Unterschiede. Die

5 abstrakte Reflexion meint wunder wieviel zu tun, wenn siedie Schranken von etwas aufzeigt; aber sie ist damit über dieSache hinaus und hat diese nicht selbst aufgefaßt. Es istunendlich schwer, diese Position aufzufassen und sie' zurechtfertigen.

10 Es ist also die Sittlichkeit in ihrer näheren Form zu betrach­ten. Die erste Form der Sittlichkeit ist die unmittelbare.Dieses ist:

I. Die FamilieK

179 Das zweite ist die Stufe des Unterschieds, Idas Auseinander-15 gehen der sittlichen Einheit, das Andere ihrer Selbst. Dies ist

der Standpunkt des Relativen überhaupt, die Beziehung desUnterschiedenen. Die Familie und das Individuum treten alsselbständig und zugleich als wesentlich aufeinander bezogenauf. Dies ist überhaupt die bürgerliche Gesellschaft. Die

20 Rechtsverfassung hat hier ihre Stellung. Das dritte ist danndie Rückkehr der sittlichen Substanz zu sich selbst. Hier­durch ist sie erst ein wahrhaft Geistiges. Sie ist in diesemDritten von sich unterschieden. Es ist der Tag der Sittlichkeit,der hier aufgeht. Dies dritte macht den Staat aus, den

25 sittlichen Staat.180 Die unmittelbare sittliche Substanltialität macht also die

Familie aus; eine wesentliche Einheit; das Wissen darum istein unmittelbares Wissen. Somit ist dies ein Empfinden, unddies ist überhaupt die Liebe. Die Substantialität hat zum

I Orig. -diese-.

128

Elemente ihres Daseins das einzelne Selbstbewußtsein, unddieses in der Empfindung der Liebe. In der Familie ist also dasAufgeben der einzelnen, besondern Persönlichkeit. Die Fa­milie ist ein Geist, dies Eine, in dem die Individuen sichempfinden. Die Individuen verlieren sich, aber in diesemVerlust gewinnen sie ihre Wesent!ichkeit, ihre Substantiali­tät. Das Individuum wird in der Sittlichkeit, wie gesagt, nichtbeschränkt, sondern befreit. Der Geist einer Familie Iwurdein den älteren Zeiten der Vorstellung dargestellt alsdie Laren,als die Penaten", d.h.K eines Stammes. Das Gewissen ist ein 10

Göttliches und Heiliges;' aber nur als sittliches Gewissen,nicht als eine bloß abstrakte Identität. In der Familie gibt esinsofern kein Recht, weil die Persönlichkeit darin ver­schwunden ist. Das höhere Recht der Sittlichkeit ist eben,nicht das abstrakt Persönliche zu sein. Das formelle Recht 15

tritt nur in der Auflösung der Familie hervor.In der Familie sind gleichfalls drei Stufen zu betrachten,1. Ehe, 2. Familiengut, 3. Erziehung der Kinder.Die Individuen stehen in der I Familie überhaupt im Verhält-nis der Liebe und des Zutrauens. Dieses Verhältnis ist ge- 20

genseitig, und diese Gegenseitigkeit ist es selbst, die von denIndividuen gewußt wird. Eins' ist im Andern seiner selbstbewußt (Goethe).E Es weiß aber nicht nur sich im Andern;sondern es weiß auch ebenso, daß das Andere für sich nur ist,insofern es seiner bewußt ist als im Andern. Indem jedes so 25

seine Persönlichkeit im Andern aufgegeben hat, so schaut esauch an das Aufgeben der Persönlichkeit im Andern. Esentsteht so eine konkrete, hergestellte Einheit. Julia' sagt beiShakespeare: Je mehr ich gebe, je mehr ich habe, denn beidesist eines.f IEine nähere Form der Liebe ist nun das Zutrauenüberhaupt, das sich mehr bezieht auf die besondern Zwecke,

I Komma eingefügt.2 Orig. -Einer-.3 Orig. -julie-.

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das besondere Dasein. Die Liebe ist das Allgemeine; dasZutrauen ist dasselbe, nur daß sich dasselbe bezieht auf dieIdentität in Ansehung der besondern Zwecke und Interessen.- Als Liebe ist die substantielle Einheit in der Form der

5 Empfindung, des Glaubens, des Zutrauens usf. noch nicht inder' Form des Denkens. - Die Familie hat nun also die dreibereits angeführten Stufen.

a. Die Ehe

Die Ehe, als ein konkretes, substantielles Verhältnis, enthält184 10 mehrere Momente in sich, deren keines allein Iden Zweck der

Ehe ausmacht. Als solche besondern Momente könnengenannt werden die Befriedigung des Geschlechtstriebes, dieFortpflanzung des Geschlechts, das mutuum adjutorium".Der Begriff der Ehe ist also das sittliche Verhältnis, welches

15 eben bezeichnet wurde; sie ist die unmittelbare sittlicheSubstanz. Somit hat die Ehe ein Moment der Natürlichkeit;dies ist das Verhältnis der natürlichen Geschlechter zueinan­der. Seinem Begriffe nach hat dies Verhältnis diese Stellung,daß das Animalische hier nicht für sich ist, als innerer Or-

20 ganismus, noch im Verhältnis zu der äußerlichen, unorgani­schen Natur, sondern im Verhältnis zu sich selbst, so daß dieBeziehung auf sich zugleich im organischen Individuum

185 ist. -I Es ist hier der Prozeß der Gattung.E Im animalischenOrganismus ist die Gattung als solche nicht wirklich; das

25 Allgemeine als solches' kommt erst in der höheren Sphäre zurExistenz. Die Gattung erscheint im bloß Tierischen alsdessenRecht. Das Individuum gibt seine Einzelnheit auf, und sowird die Gattung hervorgebracht. Aber sie kommt nur auf

I Orig. -die-.2 Orig. -murorum adjutoriam-.3 Orig. -solche-.

'3°

Tscheinende Weise hervor. Die Begattung ist der Prozeß derGattung. Das vorher als unmittelbar Ausgesprochene ist nurals ein Erzeugtes hervorgebracht. Im Erzeugten kommen dieErzeugenden zur Anschauung ihrer selbst, aber nicht in der'Weise der Gattung, sondern nur als Einzelne. - Im Geistigen 5

gewinnt dies Verhältnis eine andere Form, die Gattung isthier nicht Ibloß lebendige, sondern gewußte Einheit, ge- '86

wußte Substantialität. Als solches gewußtes und gewolltes,wesentliches Verhaltnis'i zeigt sich die geistige Liebe. - ImSittlichen hat die Persönlichkeit sich als unmittelbare aufge- 10

geben und geht aus dieser Negation alsvermittelt und gewollthervor. Das natürliche Verhältnis ist also hier nur einMoment; es ist die gewußte und gewollte Gattung und somitdie geistige, substantielle Einheit. - Es ist einseitig, unrechtund unsittlich, wenn die Seite des Geschlechtstriebes als das 15

Wesentliche und Einzige in der Ehe festgestellt wird, wie diesKant in seinem Naturrecht tut", Das natürliche Verhältniswird zu 2 einem geistigen verklärt, ohne I daß es selbst dabei 187

aufgegeben wird. - Wenn von der Ehe gesprochen wird, somuß einerseits mit Scham davon gesprochen werden; die 20

Scham ist überhaupt der jungfräuliche Zorn über das bloßNatürliche und deshalb Widrige und Unsittliche. Man mußdeshalb nicht sagen, es sei dieses Verhältnis ein ganz N atiir-liches und es könne deshalb auch davon wie von anderennatürlichen Dingen gesprochen werden. Dies kann nur in 25

medizinischer, naturwissenschaftlicher Hinsicht gelten. Dassittliche Moment ist, daß die Natürlichkeit überwundenwird. Auf der andern Seite ist aber dieses natürliche Verhält-nis nicht zu betrachten als etwas Unrechtes und Erniedrigen-des, nicht als ein Mangel, dem man bloß durch Unvollkom- 30

menheit der menschlichen INatur unterworfen wäre. Es sind 188

dieses zwei Extreme der Ansicht, die hervorkommen kön-

I -der-eingefügt.2 Orig. .zum-.

'3'

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nen. Die letztere Ansicht ist vorgekommen unter demNamen der platonischen Liebe; Platon hat indes von dieserLiebe nicht gesprochen. Allerdings spricht er von einerkörperlosen Liebe, die eine andere ist als die, wovon wir hier

5 sprechen;' die Sphäre der Wissenschaft.E Unter platonischerLiebe hat man das bloße Stehenbleiben bei dem Gefallenverstanden und dieses auch die ideale Liebe genannt. Dieplatonische Liebe geht aber durchaus weiter. Jenes Verhältnisist nun ein bloß einseitiges. Wieland hat es sich zum Geschäft

10 gemacht, die Einseitigkeit jener Liebe lächerlich zu machen.189 Alle 1seine Romane fangen mit einer sogenannten platoni­

schen Liebe an und stellen diese dann in einem Herabsinkenzum Gemeinen dar.E

Das Natürliche wird zu einem Sittlichen, indem es als ein15 Moment der Einheit der beiden Geschlechter aufgefaßt wird.

Das Geistige ist immer das Wesentliche und Substantielle.Die geistige Einheit enthält dieses in sich selbst, daß sie dieForm der unmittelbaren Natürlichkeit des Für-sieh-Seins derPersönlichkeit in die Einheit versenkt und diese zur Gattung

20 macht. Es ist im ganzen dasselbe Verhältnis, wie wir beimRecht von Anfang an gesehen haben. - Das Recht wird zu

190 einem Dasein, und dieses Dasein ist nur eine Folge 1desRechts'. - Die sittliche Einheit wird zum Begierdelosen,indem sie das Natürliche in sich aufgenommen hat. Es wird

25 damit, indem das geistige Verhältnis zur natürlichen Einheitwird, die Unmittelbarkeit zum Moment gemacht. - Dienatürliche Seite hat also nur Würde, indem sie in die sittlicheEinheit aufgenommen wird; für sich ist sie das bloß Animali­sche und des Menschen nicht würdig. Die Bestimmung des

30 Individuums ist also, Mitglied einer Familie zu sein und dassinnliche Verhältnis zu heiligen dadurch, daß es zu einemsittlichen Moment herunrergesetzt'i wird.

I Orig. steht ein Komma. Es folgt: -Die... c.2 Orig. -Daseins•.

'}2

T,

Wenn man sich die Ehe vorstellt, so kommt wohl dassinnliche Moment dabei vor, aber es ist zurückgedrängt. -IDie Ehe ist mit Recht als ein religiöses Institut behandeltworden. Diese Einheit der ganzen Persönlichkeit gibt der Ehediesen mystischen oder religiösen Charakter. Der substan­tielle Geist hat in der Ehe eine Wirklichkeit. Die Ehe ist vonjeher angesehen worden als etwas, das einer kirchlichenEinsegnung bedarf. Die Seitedes bürgerlichen Vertrags ist ander Ehe die untergeordnete; die religiöse bleibt immer dasWesentliche. Das Aufgeben der Persönlichkeit in der Ehe ist 10

ein anderes als in der Sklaverei,denn die entstehende substan­tielle Einheit ist die meinige.Die Ehe als göttliche, substantielle Verbindung ist etwas übermein Belieben und meine1 Willkür Erhabenes. Es folgtdaraus, daß die Ehe an sich 1unauflöslich ist. Was Gottzusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht trennen.JDas Göttliche in der Ehe ist das Bindende, das ein absolutesRecht hat gegen das besondere Belieben. Christus sagt weiter,die Scheidung der Ehe sei von Moses bloß um der Herzens­härtigkeit willen gestattet worden, aber von Anfang an, d. h. 20

der Idee nach, sei es nicht so gewesen.f Nur etwa beiMonarchen kann um höherer Zwecke willen, die den Staatbetreffen, die Scheidung der Ehe entschuldigt werden. Durchdie christliche Religion ist erst die Ehe in ihr wahres Rechteingesetzt worden. Bei Anträgen auf Ehescheidung ist mit 25

Recht die Zuziehung eines Geistlichen gefordert worden. I InZeiten der Bildung werden Ehescheidungen häufiger gefor­dert, durch die Reflexion vermehrt sich die Härte des Men­schen, sich in einem substantiellen Verhältnis zu erhalten. ­Die einfachem Stände, die nicht zu solcher Sprödigkeit und 30

zu so bestimmter Verfolgung besonderer Zwecke gekommensind, werden seltener das Bedürfnis der Ehescheidung zeigen.In höheren Ständen wird die Ehescheidung häufiger gefordertI -meine- eingefügt.

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werden, und es wird hier auch mehr zugegeben werdenmüssen, daß sie geschieht. Der Gesetzgebung liegt es über­haupt ob, die Ehescheidungen zu erschweren.Es ist der Wille überhaupt, der konkrete Wille als Neigung

5 pp. der Individuen, wodurch die Ehe begründet wird. DieEhe kann nicht erzwungen Iwerden. Der Wille kann nun inAnsehung des Ausgangspunktes auch eine eigenwilligereForm haben. Die höhere Bildung macht hier größere Ansprü­che. In einfachern Zuständen pflegen wohl die Eltern dafür

10 zu sorgen, daß ihre Kinder versorgt werden. Die Grundbe­dingung der Ehe ist notwendig wesentlich Sorge der Eltern.Die füreinander Bestimmten liebten sich dann 1 einander, weilsie in die Ehe treten sollten. Der andere Anfang geht mehrvon der besondern Neigung der Individuen aus. Im sittlichen

15 Verhältnis ist beides, die Einwilligung der Eltern und diederer, welche in die Ehe treten, gleich wünschenswert. - DieBesonderheit der INeigung kann nun eine große Ausdeh­nung haben, und es können hier große Prätentionen stattfin­den. Je mehr die Reflexion sich ausbildet, je mehr kann auch

20 diese Besonderheit ausgebildet sein. Der Ausgangspunkt VOnder Sorge der Eltern kann im ganzen als der sittlichere an­gesehen werden; der andere Ausgangspunkt enthält mehr dieBesonderheit und Willkür in' sich. Es kann gesagt werden, essei der sittlichere Gedanke," überhaupt' eine Frau oder einen

25 Mann haben zu wollen.KIn vielen Schilderungen erscheint die Liebe als Leidenschaft,als die ausschließende, göttliche, die in der Ehe herabge­stimmt wird. Daß die Liebe überhaupt sich als das IHohe,Göttliche ansieht, dazu hat sie volles Recht. Als deren Wesen

30 war nun überhaupt das Aufgeben der Persönlichkeit anzuge­ben", so daß die eigene Persönlichkeit in dem geliebten

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I Orig. sdenn-.2 Orig. -an-.3 Komma eingefügt.

4 Orig. Komma nach -überhaupt-.5 Orig. saufzugebene

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T,

Gegenstande wiedergefunden wird. In einer edeln Naturnimmt die Liebe jenen hohen Charakter an. Die Überwin­dung des Gefühls ist nun aber weiter, sich in diesem Zustandeausgefüllt zu finden, keinen weiteren Zweck zu kennen. DieLiebe ist nun zugleich eine Leidenschaft, weil diese Unend- 5

lichkeit, diese Versenkung in ein Anderes zugleich ein End­liches ist, an eine bestimmte Form gebunden erscheint. DerMensch hat als Geist nun noch weitere Zwecke für den Staat,die IWissenschaft und das Allgemeine überhaupt als solches. 197

Die eheliche Liebe wird nun zu dem leidenschaftslosen 10

Element; das Wesentliche des sittlichen Verhältnisses istbeibehalten. Die Leidenschaft ist darum nicht mehr als solchevorhanden, weil die Hindernisse, die früher entgegenstan-den, hinweggefallen sind. Als Beschränktes also ist die LiebeLeidenschaft. Weil sie beschränkt ist, so ist in ihr die ganze 15

Totalität, wenigstens der Form nach, enthalten. Es ist in ihrzugleich das1 Moment des Unterschiedes; es ist deshalb nichtbloß die Einheit vorhanden. In der ehelichen Liebe sind dieTrennungen aufgehoben; die in diesem Verhältnis Stehendenleben in dieser Identität ohne Hindernis. Es erwacht wieder I 20 198

das Bedürfnis der Trennung, das Bedürfnis, andere Zweckenach außen zu haben. Das Moment des Unterschiedes hat dieleidenschaftliche Liebe noch in sich selbst. Gerade das Unbe­friedigte ist es, wodurch die Liebe Leidenschaft ist. Von derehelichen Liebe geht die Tätigkeit nach anderen, weiteren 25

Zwecken aus. Dem Manne gehört vorzüglich diese Richtungnach außen. In der Ehe hat er einen substantiellen Boden fürseine EinzeInheit gefunden. Es ist hier eine reale, substantielleEinzelnheit, das Recht des Individuums und dessen Wohlbeziehen sich nur auf dessen Besonderheit. - In der ehelichen 30

Liebe ist also das Bewußtsein der vollkommenen Identität,von wo aus das Individuum sich für'K Zwecke einer höheren I 199

I Orig. -der-.2 Orig. radiertes Wort zwischen -für- und -Zwecke-.

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Substantialität bestimmen kann. Der Mann erscheint somiterst in der Ehe wahrhaft begründet.Indem besonders die Liebe als Leidenschaft das Interesse fürsich erweckt, so macht dies einen Unterschied aus gegen die

5 Darstellung der Liebe in antiker Form. In neuern Zeiten istdas Interesse der Leidenschaft der Liebe besonders hervorge­hoben. Bei den Alten tritt eigentlich Leidenschaft der Liebeerst bei Euripides auf.E In dem Romantischen ist überhauptdas Prinzip der Subjektivität so stark hervortretend; in der

10 alten Welt hingegen ist die Subjektivität nur Form einesallgemeinen Inhalts. Wo die Liebe bei den Alten behandelt

200 wird, da ist es meistens Inoch die eheliche Liebe: Hektor undAndromache.f - Die Liebe hat nun allerdings ihr Recht; aberinsofern sie als Leidenschaft auftritt, so mischt sich immer

15 eine Besonderheit hinein. Wenn Hindernisse der Leiden­schaft der Liebe entgegentreten, so betreffen diese nur dasbesondere Interesse, nicht die Berechtigung überhaupt. Inder Verletzung des Rechts überhaupt wird das Allgemeineverletzt. Ein Allgemeines würde verletzt, wenn ein Indivi-

20 duum gezwungen würde, im ehelosen Stande zu leben. In denantiken Darstellungen sind es sittliche Mächte als solche, diesich aneinander zerschlagen und aufreiben. Wenn die Leiden­schaft der Liebe, so z. B. auch in der »Antigone« des Sopho-

201 kles, vorkommt, so ist I ihre Stelle nur eine untergeord-25 nete."

Die Personen, welche in die Ehe treten, sind nicht verschie­den überhaupt, sondern ihr Unterschied ist ein realer undbestimmter: Mann und Frau. Weil es hier substantieller Geistist, der sich in sich unterscheidet, so ist sein Unterschied auch

30 ein wesentlicher, wahrhafter. Es ist die sittliche, geistige Be­deutung des Unterschiedes des Geschlechts aufzufassen. DerUnterschied kann kein anderer sein als der des Begriffs, sodaß das eine Geschlecht der Unterschied in sich selbst ist,während das andere die neutrale Einheit darstellt.f Das

Trennende, Entzweiende fällt auf die Seite des Mannes, dersich aber zugleich in dieser Entzweiung erhält. Es Ikommt SO 202

dem einen Geschlecht das Fürsichsein zu. Der Mann kannsich im Abstrakten, Verständigen befriedigen, herumschla-gen; auf der andern Seite kommt dem Mann die Allgemein- 5

heit zu, die Objektivität überhaupt. Kampf, Feindschaft,Haß hat der Mann zu übernehmen und ihren Widerstreitauszumachen. So kommt dem Mann ferner der Erwerbwesentlich zu; und dann 1 die Objektivität in ihrer eigentli-chen Gestalt, die Arbeiten im Staat und in der Wissenschaft 10

und die Zwecke der Kunst. - Die andere Seite ist die der Frau,deren Charakter überhaupt ist, die innere Harmonie desGeistigen und Sittlichen überhaupt zu bewahren. Es istübrigens hier nicht an die gewöhnliche Psychologie zu den-ken, wonach I die einzelnen Seelenkräfte als gleichgültig 15 203

nebeneinander liegende betrachtet werden. Nach dieserAnsicht kann es erscheinen, als ob der Frau gewisse Vermö-gen des Geistes abgesprochen würden. An eine solcheschlechte Trennung ist überhaupt gar nicht zu denken. DerUnterschied kann nur die Art und Weise der Äußerung 20

betreffen. Das eine Geschlecht stellt die geistige Form in ihrereinfachen Gediegenheit dar, während das andere Geschlechtden Gegensatz, das Auseinandergehen der Einheit darstellt.Dem Manne kommt der Kampf, die Spannung gegen dieorganische Natur und gegen die Welt überhaupt zu. Ebenso 25

gehört ihm mehr die abstrakte Allgemeinheit. IDer Mann 204

kann so überhaupt einseitiger sein als die Frau. Es ist dasVerständige als solches, die verständigen Wissenschaften sindmehr Eigentum des Mannes als der Frau. Die Arbeiten nachaußen und nach innen fallen dem Mann anheim. Bloße 30

Kenntnisse als solche in ihrer Vereinzelung sind vornehmlichEigentum des Mannes. Wir Deutschen sind besonders daringroß, vollständige Sammlungen zu machen. Die FrauenI Orig. -denn-.

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begnügen sich dagegen nicht mit solchen abstrakten Kennt­nissen. Dasselbe gilt von den Franzosen, die überhaupt mehrWeibliches in ihrem Charakter haben als die Deutschen. ­Was nun das eigentlich Geniale in der Kunst und in der

5 Wissenschaft und I ebenso in der Wirklichkeit der Welt, demStaat, betrifft, so ist dies vorzüglich Eigentum des Mannes. Eshandelt sich hier überall um ein Allgemeines. Alles Große,was in der Welt hervorgebracht worden ist, alle Epochen inder äußern wie in der innern Weltgeschichte, sind wesentlich

10 durch Männer hervorgebracht worden. Es kann im ganzenvon keiner Frau gesagt werden, daß sie Epoche in derWeltgeschichte gemacht habe. Zu solchen großen Erzeugnis­sen gehört aber eben jene ungeheure Kraft, sich im Gegensatzzu halten. Der große Charakter ist der, welcher einen großen

15 Kampf, einen großen Schmerz, eine unendliche Zerreißungin sich überwunden hat. Mit der bloßen Natürlichkeit wer­den große Kunstwerke nicht Ihervorgebracht. Alle großenWerke der Wissenschaft, der Kunst und der Geschichtesetzen jene Entzweiung, jene Abscheidung von sich selbst

20 voraus, die dem einfachen, im Frieden mit sich selbst bleiben­den Charakter der Frauen nicht zukommt. Das Vortrefflichebietet dann allerdings wieder den Anblick der Harmonie dar,aber nicht einer unmittelbaren, sondern einer hervorgebrach­ten. Zum Herrschen, zum Befehlen gehört diese Konzentra-

25 tion der Kraft in sich, diese Konzentration des Charakters,der festhält an seinem Zweck und das Entgegenstehende nichtachtet. Die Frauen sind dagegen das in der innern HarmonieBleibende, welches einfach wie eine Blume sich entfaltet,ohne Kampf I und ohne Widerstreben. Der Mann bedarf der

30 Anschauung dieser Harmonie, um sich selbst wiederzufin­den. Der Mann fängt mit dem Gegensatz an, er macht sichIdeale, geht auf Abenteuer aus. Der jüngling meint anfangs,wenn er in die Welt komme, so müsse es ganz anders werden,er habe bisher nur gefehlt, und fällt dann oft zu dem ganz

)

.\

Gewöhnlichen, ja Gemeinen zurück. Bei der Frau ist mehrder Sinn für das Ganze, das Schickliche und Beständigevorherrschend, und hierin ist zugleich eine gemütliche Sorgefür das Besondere. Die Frau ist-so konkreter als der Mann, anihr ist die substantielle Sittlichkeit dargestellt. Die Frau ?atdiese Geduld und diese IErgebung, die durch die Reflexionverloren geht. Die Männer sind deshalb mehr verdrießlich alsdie Frauen, welche überhaupt in der Schönheit des sittlichenGeistes stehen bleiben. Die Frauen haben im allgemeinen vielmehr Ähnlichkeit untereinander als die Männer, die insofern 10

origineller sind. Der eigentümliche Kreis der Frau ist über­haupt die Familie und das Privatleben, die Frau thront in derFamilie. Das häusliche Leben und das öffentliche Leben sindüberhaupt die beiden Sphären, innerhalb deren das sittlicheLeben sich bewegt. Wenn Frauen sich auf studierte Arbeiten 15

einlassen, so geschieht es leicht, daß jener gegenwärtige IGeist, jenes Wachsein für das, was in jedem Augenblick daist, wodurch die Frauen geziert werden, leidet. - Man wirftden Frauen Eitelkeit vor; die Befriedigung der Persönlichkeitnimmt bei den Frauen diese Richtung. Es ist nicht ein 20

besonderer Zweck, den die Frauen in der Eitelkeit befolgen,sondern ihre Persönlichkeit überhaupt. Die Männer trifftmehr der Vorwurf des Eigendünkels, die etwas Besonderesverfolgen und dieses für etwas Allgemeines ausgeben wollen.- In Rücksicht auf Staatssachen nimmt die Tätigkeit der 25

Frauen leicht den Charakter der Intrige an. Wenn in einemStaate die Frauen zur Regierung I kommen oder die jugend,so ist der Staat krank und geht leicht zugrunde. Die jugendwill das Formlose, Ungestaltete, und es wird dabei leicht dieSeitedes Einzelnen vernachlässigt, deren sich dann die Intrige 30

bemächtigt. - Das Wahre, Substantielle gelangt an die Frauvorzüglich in der Form der Religion. Die Frauen sind imganzen religiöser als die Männer. Schiller bemerkt, daß dasDasein, das Erscheinen der Frauen überhaupt ihre Tugend

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Die über die Ehe vorgetragenen Bestimmungen könnten nunauch in anderer Form ausgesprochen werden, wie dies beieinem jeden Kapitel bemerkt werden könnte. Jene Bestim­mungen können aus dem Gesichtspunkt des Rechts und der'Tugend betrachtet werden. Allein Ies ist überflüssig, diese 5 214

Formen zu wiederholen.Die Ehe ist als ein sittliches Verhaltais ein! Verhältnis derGesinnung. Es ist insofern möglich, daß die sittliche Empfin­dung in den Ehegatten sich schwächt, und die Ehe ohire\Gesinnung ist eine leere Äußerlichkeit, die sie nicht sein soll. 10

Die Ehe macht überhaupt die substantielle Grundlage desStaats in Beziehung auf die Individuen aus. Auf diese kannder Staat sich eigentlich nur verlassen, insofern sie in demVerhältnis einer solchen sittlichen Einheit stehen", wie dieFamilie ist. Als vereinzelte Individuen sind sie unstet und '5

unzuverlässig. Das Innere der Persönlichkeit erscheint durchdie Ehe als ein Befestigtes. In der IFamilie ist die Gewißheit, 215

die reine Einzelnheit, nicht mehr dieses Unstete und Ab­strakte. Die Seite der Empfindung ist durch die Ehe zu einemObjektiven, Befestigten und Sittlichen geworden. Der Staat 20

hat also das Interesse, daß seine Organe nicht ein so Schwan-kendes und Willkürliches sind wie die ehelosen Individuen.In der älteren Geschichte kommt es oft vor, daß Staatsrevolu-tionen durch Verletzung des Verhältnisses der Ehe entstan-den sind. (Trojanischer Krieg: HelenaE

• Vertreibung der 25

Könige aus Rom: Lucretiaf.)! Es muß eine sittliche Autoritätvorhanden sein, die das Recht der Ehe behauptet gegen dieWillkürlichkeit und die Meinung der Individuen. DieseAutorität hat indes zu unterscheiden zwischen I der bloßen 216

Willkürlichkeit und Veränderlichkeit und der totalen Ent- 30

fremdung der Gemüter. Im letzteren Fall muß allerdings eineTrennung stattfinden können.

ist, während der Mann sich in den Kampf, in den Zwiespaltbegeben, den Frieden mit sich und der Welt brechen muß, umihn sodann erst wieder zu erobern.f IDie Frauen sind verschiedentlich behandelt worden, zu

5 verschiedenen Zeiten von verschiedenen Völkern; zwischenbeiden Extremen die würdige Behandlung.Man hat sich vielfältig bemüht, feste und wesentliche Bestim­mungen über die Ehe hinsichtlich ihrer Bestimmung alsMonogamie, Polygamie und Polyandrie ausfindig zu ma-

10 ehen. Man hat sich hier hauptsächlich an natürliche Verhält­nisse gehalten; allein diese können nicht entscheiden. Insittlicher Rücksicht muß gefordert werden, daß die Ehewesentlich monogamisch sei. Aus dem oben angegebenenBegriff erfolgt unmittelbar, daß, wenn die Ehe nicht mono ga-

212 15 misch ist, ein Teil wesentlich Iverletzt werden würde, denn ererhielte sich nicht auf eine vollständige Weise zurück.Die Innigkeit des Verhältnisses kann nur aus der unge­teilten Hingebung der beiderseitigen Persönlichkeit hervor­gehen.

20 Ein Ferneres ist die Frage nach der Zulässigkeit der Ehe unternahen Blutsverwandten. Man hat das Verbot der Ehe indiesem Grade auf eine Scheu der Natur im allgemeinenbegründet. Das hier zum Grunde liegende Gefühl ist abernicht bloß etwas Instinktartiges, das nicht in die Form des

25 Gedankens erhoben werden könnte. Wir sehen, daß das inder Ehe stattfindende Auslöschen der Person eine freieHingebung ist, eine Art der Freiheit überhaupt. Es soll alsodie eheliche IVerbindung Sachedes freien Willens sein. Bluts­verwandte sind dagegen durch die Natur schon vereinigt,

30 natürlich identisch. Nach der Natur des Begriffs sollen sichsolche verbinden, die vorher getrennt waren, eine Ehe sollgestiftet werden durch den völlig freien Willen. Der Begriffenthält überhaupt dies, daß das ursprünglich Ungleicheidentisch gesetzt wird. I -der- eingefügt.

2 Orig. -im-.3 Orig. -steht-.4 Klammern eingefügt.

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b. Eigentum der Familie

Die Familie muß im allgemeinen Eigentum haben wie diePerson. Weil aber die Familie nicht eine abstrakte Person ist,so tritt auch für das Eigentum die Bestimmung ein, daß es ein

5 sicherer, fortdauernder Besitz sein soll. Das Bedürfnis ist hiernicht mehr bloß ein abstraktes Bedürfnis, nicht Eigensuchtund Begierde. Es ist ein sittliches Ganzes, für welches gesorgt

217 werden muß. Als ein Gemeinsames erhält das IEigentumjetzt einen sittlichen Charakter. Wir sehen in der Geschichte

10 der Staaten immer vorzüglich diese beiden Momente hervor­gehoben, daß die Ehe eingeführt worden ist und mit der Ehefestes Eigentum, besonders Grundbesitz. Die bloß einzel­nen 1 Personen respektiert man schon in der Vorstellungweniger; daß für eine Familie gesorgt werde, wird schon in

15 der Vorstellung als etwas Notwendiges betrachtet. - DasVermögen kann gedoppelter Art sein, Grundbesitz und dieBedürfnisse anderer''. Daß dem Mann die Verwaltung desFamilienvermögens hauptsächlich zukommt, geht aus demfrüheren hervor. Die Glieder der Familie sind nicht Personen

218 20 gegeneinander, und sie sollen also i deshalb auch eigentlichkein besonderes Eigentum haben. - In der römischen Gesetz­gebung war die Bestimmung besonders herrschend, daß dasVermögen der Eheleute getrennt blieb; das Vermögen derverstorbenen Frau fiel nicht allein dem überbliebenen Mann

25 nicht zu, sondern selbst den Kindern nicht; es fielvielmehr andie Familie der Frau zurück. Es ist nun ein durchaus unsittli­ches Verhältnis, daß die Frau ein eigenes Vermögen behaltensoll. Das Eigentum der Familie zu einem festen und bleiben­den zu machen, hat eine politische Bedeutung, die später

}O betrachtet werden wird. Bei der Festmachung eines Vermö­gens ist es eine natürliche Folge, daß die Töchter entwe-

219 der Ivon der Erbschaft ausgeschlossen werden oder nur einenI Orig. -einzelne-.

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geringen Teil bekommen. Dies ist eine Willkür, die der Staatnicht zu garantieren braucht. Ihm ist es nicht um diese oderjene Familie, sondern nur um die Familie überhaupt zu tun.Bei dem Bestreben, dem Vermögen eine solche äußerlicheFestigkeit zu geben, wird auf die eigene Tätigkeit und 5

Regsamkeit der Individuen Verzicht getan; diese werdengewissermaßen glebae! adscripti". Die Nichtverschuldbar­keit, welche in einer Rücksicht als vorteilhaft erscheint, ergibtsich in anderer Hinsicht wieder als durchaus nachteilig.

c. Auflösung der Familie 10

überhaupt, Erziehung der Kinder! I 220

In den Kindern wird den Eltern ihre sittliche Einheit wirk­lich. Die Kinder sind zunächst ein Geschlechtsloses, in demdie Differenz noch nicht hervorgetreten ist. Die Kinder sindMitglieder der Familie, und sie haben so das Recht, ernährt 15

und erzogen zu werden. Ihre Eltern haben nun Gehorsamvon ihnen zu fordern und auch Dienste, aber nur so, wie siedas Verhältnis der Familie mit sich bringt. Allein die Elternhaben kein Recht, ihre Kinder als Sklaven zu betrachten, wiedies nach dem römischen Rechte der Fall ist. Der beschlie- 20

ßende Wille fällt noch außerhalb der Kinder, und diese sindden Eltern deshalb Gehorsam schuldig. Das Recht der Elterngegen die Willkür der Kinder hat nur den Zweck, dieseWillkür, I als ein Unvernünftiges, zu brechen und in Zucht zu 221

nehmen. Die Strafen der Kinder haben gleichfalls nicht die 25

Bedeutung, daß an ihnen das Recht wirklich werde, sondernes ist dabei nur auf die Zucht des Kindes abgesehen. DasBestrafen ist hier wesentlich subjektiver, moralischer Natur.Der Zweck der Erziehung der Kinder ist überhaupt, sie zu

I Orig. -plebae-.2 Überschrift weicht ab von der -Inhalrsanzeige« -c. Auflösung der Eamiliec

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selbständigen Personen zu machen. Die Kinder sind zunächstan sich frei, aber nur an sich; das, was sie an sich sind, frei 1,

das sollen die Kinder ferner auch für sich werden. So habendie Kinder einerseits ihre positive Heimat in der Familie, aber

5 andererseits haben sie dagegen auch eine negative Richtung,indem Isie zur Selbständigkeit bestimmt sind. Im Leben inder Familie soll das Sittliche als eine Grundempfindung in denKindern hervorgebracht und befestigt werden. Es ist wesent­lich, daß jemand die Sittlichkeit zuerst als unbefangene Liebe

10 und Zutrauen erkenne. Deshalb muß es immer ein Unglückgenannt werden, wenn jemand in seiner ersten Jugend desLebens in der Familie entbehrt. Das Verhältnis des KindesZur Mutter ist besonders das der Liebe; ein Kind, das seineMutter früh verliert, hat noch mehr verloren, als wenn es den

15 Vater früh verliert. - Die negative Seite ist nun, daß das Kindaus dieser Form der bloß unmittelbaren ISittlichkeit treten,daß es für sich werden muß. Das Kind soll selbständigwerden, eine freie Persönlichkeit. Das Kind hat selbst dasGefühl des Kontrastes in2 sich; auf der einen Seite hat es das

20 unbegrenzte Zutrauen zu seinen Eltern, auf der andern Seiteaber will es groß werden und ist nicht befriedigt in seinerKinderwelt. Es ist deshalb eine schiefe Ansicht in der Pädago­gik, daß man den Kindern durchaus ihren Zustand als einender Befriedigung vorstellen und ihn zu einem solchen machen

25 müsse.Dies ist die spielende, kindische'' Pädagogik; die Erwachse­nen werden den Kindern verächtlich, die nur immer kindischmit ihnen sich benehmen. Jene Pädagogik verunreinigt deneigenen Trieb der Kinder, I der sie treibt, weiterzukommen.

30 Das andere ist dann, daß die Kinder durch eine solcheBehandlung das Interesse verlieren an etwas Höherem, Sub­stantiellem. Dies ist die sittliche Auflösung der Familie, daß

I Orig. -das, was sie an sich frei sind-.2 Orig. -an-.

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T

die Kinder selbständig werden und fähig, eine eigene Familiezu stiften. Die neue Familie, die sie stiften, wird dann das ausihrer sittlichen Freiheit hervorgehende Erzeugnis. Nach demrömischen Recht waren auch die majorennenf Söhne nichteigentumsfähig, nur ein peculium castrense" war ihnen zuge­standen. Es gehört dies zu den ganz unsittlichen Bestimmun­gen des römischen Familienrechts überhaupt. Es ist eineüberflüssige und saure Mühe, diese Konsequenz, mit der jeneVerhältnisse I bei den Römern ausgesponnen sind, diesenPlunder, immer noch zu studieren.Eine natürliche Auflösung der Familie führt der Tod derEltern herbei. Dies begründet das Erbschaftsverhältnis. Dadie Mitglieder der Familie als gemeinschaftliche Teilhaber desFamilienguts erscheinen, so ergibt es sich, daß die Kinderdurch die Erbschaft nicht ein neues Eigentum akquirieren.Fichte und einige andere haben den Grund des Erbrechts aufeine andre Weise darzutun gesucht. Es wurde so gesagt, dasEigentum eines Verstorbenen werde eigentlich herrenlos,und es sei die positive Gesetzgebung, die den gewöhnlichenZufall, daß die Verwandten das hinterlassene Gut eines 20

Verstorbenen I in Besitz nehmen, zur Regel mache.I Dies isteine nur äußerliche Darstellung. - Der allgemeine Grund desVerhältnisses ist der oben angegebene. In der bürgerlichenGesellschaft, wo die Selbständigkeit der Personen die wesent­liche Bestimmung ist, treten die Glieder der Familie bald 25

auseinander; die Geschwister werden Häupter der Familie,und es sind eine Menge von Interessen, nach denen 1 jedesMitglied der Familie sich jetzt fixiert. Mit der individuellenSelbständigkeit tritt überhaupt die Willkür ein, über seinVermögen nach bloß subjektiven Zwecken zu schalten. - 30

Eine Folge dieser Willkür ist danrr', daß dieselbe so weitanerkannt wird, daß auch die auf den Fall I des Todes getrof-

I Orig. -dem-.2 Orig. -denn-.

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2. Die bürgerliche Gesellschaft

Man kann die bürgerliche Gesellschaft auch als Staat betrach­ten, aber dies ist bloß der Notstaat. - Der innere Übergangder Familien zur bürgerlichen Gesellschaft ist der Übergangdes Begriffs. Die Familie erschien als substantielle Einheit,die in sich noch nicht zum Gegensatz übergegangen war. Diein der Familie stattfindenden Unterschiede sind noch nicht 10

Unterschiede des Gedankens. Der Begriff des Sittlichen mußseine Momente realisieren, und die Sittlichkeit muß sichinsofern verlieren. Die konkrete Person erscheint jetzt alsbesonderer Zweck für sich, und die Allgemeinheit ist von ihrverschieden, steht ihr gegenüber. IMit der bürgerlichen Ge­sellschaft ist das Prinzip des Eigennutzes gesetzt; jeder ist sichselbst Zweck. Sodann aber sind diese Differenten zugleichidentisch; jedoch sind sie dieser Identität sich nicht bewußt.Denn Einheit und Allgemeinheit ist nur eine innere; dasVerhältnis der Einzelnen ist nicht ein Verhältnis der Freiheit, 20

sondern der Notwendigkeit. Sie sind aufeinander bezogenwider ihr Wissen und wider ihren Willen. Die Besonderheitverliert sich so in sich. Ich als Besonderes habe meinen Zweckund meine Bedürfnisse und sorge nur für mich. Aber ich binnicht so isoliert, ich kann meine Bedürfnisse nur befriedigen 25

in Beziehung auf andere. Die anderen sind für mich einUndurchdringliches. Diese IBeziehung auf andere ist eineBeziehung der Norwendigkeit. Ich muß mich fügen, denn ichkann meine Bedürfnisse nicht befriedigen ohne die Hilfe derandern, und ich bin dadurch in der Abhängigkeit von andern. 30

Es ist dies überhaupt die Sphäre der Abhängigkeit und der

miteinander in Verkehr treten. Eine solche Vielheit derFamilien macht überhaupt das aus, was man bürgerlicheGesellschaft nennt. I

fenen Bestimmungen anerkannt werden. Zugleich muß dieseWillkür auch durch die erste Grundlage des Erbschaftsrechtsbeschränkt werden. Dies ist die Bestimmung, daß die Elternden Kindern ein Pflichtteil machen müssen. Man kann die

5 Befugnis zu testieren so ansehen, daß ein Individuum sichgleichsam eine geistige Familie gemacht hat, einen Kreis vonFreunden und Bekannten, und daß die testamentarischeDisposition nichts anderes ist als eine Erklärung: dies istmeine geistige Familie, die nach meinem Todesfall in mein

10 Vermögen treten soll, das nach dem Sinn unserer Verbindungeigentlich schon ein gemeinsames ist. Nur so betrachtet

228 gewinnt die Befugnis I zu testieren einen vernünftigen Sinn'.Die Willkür, über sein Eigentum nach dem Tode zu verfügen,hat sonst überhaupt nichts Sittliches. Die Befugnis, Testa-

15 mente zu machen, hat, wenn sie zu ausgedehnt ist, nur eineVerletzung sittlicher Verhältnisse zur Folge, niederträchtigeBemühungen, um eine Erbschaft zu erschleichen, undschmähliche Abhängigkeit, in der solche, die einer Erbschaftwarten, gehalten werden können. - Die weite Ausdehnung,

20 die diese Befugnis zu testieren im römischen Recht hat, mußsonach verderblich genannt werden. - Vermächtnis einesKaufmanns, zufolge dessen der Erbe täglich die LondonerBörse besuchen mußte. Diese Bedingung wurde dem Erben

229 so lästig, daß er das große Vermögen, das I ihm anheimgefal-25 len war, aufgab. Die Seite der Erbschaft ist überhaupt eine

der schmutzigsten und häßlichsten Seiten der Menschen imVerkehr miteinander.Die Familie löst sich also auf, sie geht auf natürliche Weise ineine Menge von Familien auseinander. Diese Familien verhal-

30 ten sich zueinander als selbständige Personen. Das nächste istalso, daß wir das Verhältnis solcher Personen zueinanderbetrachten. Es mögen nun viele Familien von einem gemein­samen Stamme ausgehen, oder es mögen fremde FamilienI -Sinn- eingefügt.

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Not. In dieser Abhängigkeit liegt nun die an und für sichseiende Identität zugrunde derer, die sich zueinander verhal­ten. Alle, als absolut Besondere gegeneinander, würden sichnur wie die Tiere gegeneinander verhalten. Die daseiende All-

s gemeinheit tritt nun ein. Indem ich mich nur durch den Wil­len anderer in meinen Bedürfnissen befriedigen kann, so binich für die andern, muß sein, was sie wollen, und muß michihrer Vorstellung'f fügen. Darin liegt überlhaupt, daß ichvon meiner Besonderheit abgehen und mich setzen muß in die

10 Weise der Übereinstimmung. Ich muß mir so die Form derAllgemeinheit geben, mich für die andern zu etwas machen.Dadurch stumpfe sich die Zufälligkeit, das bloß besondereBelieben, gegenseitig ab. Es isr' hier nicht mehr wie in denFamilien, wo ich gelte durch das, was ich unmittelbar bin. In

15 der Familie ist es das Band der Liebe, welches die Individuenauf ganz subjektive Weise verbindet. Hier tritt also in dieseSphäre der Besonderheit wesentlich das Moment der Allge­meinheit ein; diese wird hier in einem Dasein verwirklicht.Diese Allgemeinheit ist indes nur noch die formelle, und es ist

20 der Verstand, der hier geltend ist. Das bloß Unmittelbare,die I Empfindung, die Subjektivität wird hier abgearbeitet.Dieses ist daher überhaupt die Stufe der Bildung, die darinbesteht, daß das Besondere in die Form der Allgemeinheitumgewandelt wird. Es sind in dieser Verrnittelung zwei

25 Momente: Ich sorge für mein Wohl, erreiche mein Interessein Vermittelung mit andern, die ebenso für ihr Wohl sorgen;zugleich tritt aber auch das Moment der Allgemeinheit ein,als Schein der Vernünftigkeit. Diese Allgemeinheit macht sodas Moment der Rückkehr, der scheinenden Freiheit aus; dies

30 ist die versöhnende Seite dieser Sphäre. Nach der Seite derBesonderheit ist sie überhaupt die Sphäre der Willkür und derZufälligkeit, der sittlichen, moralischen wie der Iäußerlichen

I Orig. -Darscellung-.2 .is« eingefügt.

Zufälligkeit. Damit ist dieses zugleich die Sphäre der Not,indem ein jedes Individuum abhängig ist vom andern. Es isthier die Sphäre, worin alles Besondere sein Ergehen und seinfreies Spiel hat; wohlwollende und übelwollende Neigungenfinden hier auf gleiche Weise ihren Platz. Es kann hier dasElend und das Verderben hervorbrechen. In dieser Sphäre derAbhängigkeit und der Not ist also das Versöhnende derSchein der Vernünftigkeit.Wir stehen hier an der Entfremdung der Sittlichkeit. Es sindgegen diese Sphäre teils gerechte Klagen und mehr noch 10

Deklamationen gerichtet worden über das Verderben und dieNot, die über die Menschen hereingebrochen sind dadurch,daß sie in Gesellschaft getreten sind. Edle und große Gemü­ter, wie Rousseau, Ihaben durch den Anblick des vielfältigenElends, zu dem die bürgerliche Gesellschaft sich steigern 1

15

kann, wohl allerdings zu Klagen über die bürgerliche Gesell­schaft aufgefordert werden können.P In patriarchalischenStaaten ist dieses Moment noch gat nicht vorhanden; dasHervortreten desselben in den Staaten des Altertums führtezugleich den Untergang derselben herbei. Die alten Staaten, 20

welche auf der sittlichen Einheit des Glaubens und desZutrauens beruhten, konnten eine solche Entzweiung nichtertragen und mußten darunter zugrunde gehen. Es gehörtdazu eine höhere Form der Staaten. Es ist bereits früherbemerkt worden, daß es dieses Moment ist, was in der 25

Platonischen Darstellung des Staats fehlt.E Platon hat das IWesen des Staats erkannt, aber nur unter der Form seinerZeit. Er sucht das Prinzip der einzelnen Persönlichkeitdeshalb ganz aus dem Staate zu entfernen. Deshalb gestatteter auch kein Privateigentum und kein Familienleben. Der 30

Platonische Staat ist insofern allerdings einseitig zu nennen.Er hat nicht diese Wirklichkeit, welche das Prinzip derunendlichen Persönlichkeit vereinigen kann mit der substan-I Orig. -steigen-.

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Zwecke ist nun die Bestimmung des Verhältnisses anders alsfür das vernünftige Erkennen. Das Besondere ist hier Zweck,und das Allgemeine ist nur MitteL Die Form der Allgemein­heit wird nicht als solche erstrebt. In der vernünftigenErkenntnis ist das Allgemeine der Zweck und die Besonder­heit nur das Mittel. Es zeigt sich hier das Scheinen derVernünftigkeit in dieser Sphäre. Im Allgemeinen geht dasAbtun der Besonderheit als eine notwendige Wirkung her­vor. Dies ist überhaupt das Versöhnende in dieser Sphäre.Wenn man die Verächtlichkeit oder wenigstens die Gleich- 10

gültigkeit der besondern Zwecke auf der einen Seite betrach-tet als etwas Unwürdiges, so liegt doch auf der anderen 1 Seitedarin, daß auch das Allgemeine dadurch Ihervorgebrachtwird. Es ist dies überhaupt der Prozeß, wodurch das Beson­dere dem Allgemeinen eingebildet, wodurch dem sittlichen 15

Zweck der Boden bereitet wird. Damit der an und für sichseiende Zweck nicht bloß ein Gedachtes sei, so muß er dieBesonderheit zu seinem Boden haben. Dieser Boden muß, sogut er kann, in die Form des Allgemeinen erhoben werden.Diese zweite Sphäre ist überhaupt die Sphäre der äußerlichen 20

Wirklichkeit. Es ist also hier die Stufe der Objektivierung. Esist hier einerseits die Wirklichkeit als solche, und diese ist nurder Wille und die Meinung der Individuen. Daß nun diesesein angemessenes Element sei für das Dasein der sittlichenFreiheit, dazu muß der Wille nicht ein natürlicher bleiben, 25

sondern er muß ein allgemeiner werden.Es sind nun hier folgende drei IStufen zu betrachten:I. Das System der Bedürfnisse und ihre Befriedigung, so daßdiese vermittelt sind durch die Arbeit des Einzelnen und dieArbeit aller übrigen und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse. '0

Die Individuen müssen sich so die Form der Allgemeinheitgeben.

2. Das Hervortreten des substantiell Allgemeinen darin.I Orig. -einen-.

tiellen Einheit des Ganzen. Diese substantielle Einheit istüberhaupt die Grundlage des Staats. Was das Prinzip dergriechischen Welt ausmachte, hat Platon richtig gefaßt; denweiteren Fortschritt dieses Prinzips erkannte er nur als

5 Verderben, und dieses suchte er zu entfernen.Die Individuen erscheinen auf Idieser Stufe nur alsPrivatper­sonen, als bourgeois. Das Recht des besondern Willens istes, was die Menschen besonders unter der Freiheit zu verste­hen pflegen. Bürgerliche Freiheit soll so sein, nicht be-

10 schränkt zu 1 werden in seiner Neigung, seiner Willkür, derAusübung seiner Geschicklichkeit usf. Dieses Recht derBesonderheit ist nun das, was im patriarchalischen Verhält­nisse nicht stattfindet. Dem orientalischen Leben ist dieseBesonderheit überhaupt fremd. Vorzüglich in den modernen

15 Staaten tritt diese Sphäre hervor. Indem man jenes Freiheitnennt, so hat man einerseits recht, denn es ist Freiheit, abernur Freiheit der Besonderheit; andererseits weiß man abernicht, daß diese Freiheit auch zugleich die höchste Abhängig­keit ist. Die Besonderheit I ist ein Inhalt, der nicht ein Inhalt

20 der Freiheit ist. Notwendigkeit und Freiheit sind hier imKampfe miteinander; eins schlägt immer um in das andere.Die Freiheit wird zur Notwendigkeit und Abhängigkeit unddiese wieder zur Freiheit. Diese Freiheit ist aber eben deshalbnicht wahre Freiheit. Die Selbstsucht, die sich befriedigt, gibt

25 sich zugleich auf und bewirkt das Gegenteil ihrer selbst, dieAllgemeinheit. Dieses Umschlagen, diese Dialektik ist dasVernünftige, das Übergehen des Einen in das Andere. Indemdie Privatpersonen ihren Zweck suchen, so ist dies zugleichvermittelt durch das Umschlagen in das Allgemeine, und die

30 Individuen sind dadurch genötigt, sich um das Allgemeine zubekümmern. Es tritt das Bewußtsein auf diese Weise hervor,daß nur durch das Allgemeine das Besondere erhalten undbefriedigt Iwerden kann. Für das Bewußtsein der besonderen1 )zu< eingefügt.

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IjO

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Beim System der Bedürfnisse tut das Allgemeine sich nur alseine Form hervor, es geht aber weiter auch auf seinen Grundzurück, und dieser ist das Recht, und zwar nicht mehr dasbloß abstrakte Recht, sondern das sich objektivierende Recht

5 oder die Rechtspflege.3. Die Totalität der beiden ersten Momente; die umfassendeVorsorge für das Besondere. Dies kann nur eine äußerliche

243 Sorge sein, eine äußere Ordnung, das, was von Fichte Iundandern als der Notstaat ist dargestellt worden'', auch als' der

'0 Polizeistaat.

a. Das System der Bedürfnisse

Das System der Bedürfnisse geht von der Person in ihrerganzen Besonderheit aus. Dies ist eigentlich erst das, was wirMensch nennen. Es ist also hier im Grunde zuerst vom

15 Menschen die Rede. Die Befriedigung des Individui ist hiervermittelt; seine Tätigkeit ist es, die die Subjektivität in die2

Objektivität übersetzt. Indem der Mensch sich so auf anderebezieht, so ist er einerseits abhängig von denselben. DieBefriedigung der Bedürfnisse systematisiert sich nun weiter.

20 Die Bedürfnisse und die Mittel, sie zu befriedigen, bildenMassen, die eine Wirkung aufeinander haben. Es tut sich hier

244 eine Notwendigkeit und ein Systelmatisieren hervor. DieBetrachtung von allediesem ist Gegenstand einer besondernWissenschaft, der Staatsökonomie. Dies ist eine zwar äußer­

25 lieh empirische Wissenschaft auf der einen Seite', aberzugleich ist auch ein Höheres darin, und die Gesetze desVerkehrs anzugeben ist eine wichtige Wissenschaft, die erst in

I -als- eingefügt.2 Orig. -der-.3 -Seite- eingefügt.

rneuern Zeiten ihre Entstehung erhalten hat. Wir haben alsoals Menschen Bedürfnisse überhaupt, Bedürfnisse wie dasTier. Zugleich unterscheidet sich aber der Mensch vom Tiere.Dieses hat nur einen ganz beschränkten Kreis von Bedürfnis-sen und von Mitteln, sie zu befriedigen. 5

Die Menge von Bedürfnissen ist nicht ein Übel, nicht einUnglück, sondern sie kommt nur aus der Vernünftigkeit her.Die Unterscheidung der Bedürfnisse beruht nun auf dem IFi- 245

xieren der Unterschiede in ihrer Bestimmtheit; dies ist über-haupt das Verständige. Mit der Vervielfältigung der Bedürf- 10

nisse vervielfältigen sich auch die Mittel der Befriedigung. Estritt hier die Reflexion des Verhältnisses von Mittel undZweck ein. Die Mittel selbst werden dann wieder zu Bedürf-nissen. So vervielfältigen sich Mittel und Bedürfnisse gegen-seitig. Dies ist überhaupt der Charakter der Vervielfältigung. 15

Das Nähere der Bedürfnisse geht uns hier nichts an. Zu denBedürfnissen gehört auch das, was man Bequemlichkeitendes Lebens nennt. Diese sind nicht unmittelbar Bedürfnisse.Man kann es zum Gegenstand der Deklamation machen,gegen die unendlich vielen Bedürfnisse zu sprechen. Es ist 20

hier keine immanente Grenze. Überhaupt ist es sehr unge-schickt, Iwenn man gegen die Bequemlichkeiten des Lebens 246

deklamiert. Die höheren Stände, die geistigen Bedürfnissensich widmen, müssen über die Unbequemlichkeiten desLebens sich leichter hinweghelfen können. Eine Uhr kann 25

man einen Luxusartikel nennen, und in einfachen Verhältnis-sen kann solche sehr wohl entbehrt werden; nicht aber imverwickeltern Verhältnisse. Es gibt so eine Menge vonBedürfnissen und Bequemlichkeiten, die das geistige Lebenunendlich erleichtern. Eine Menge Bedürfnisse entstehen 30

dadurch, daß man sich von den physikalischen Verhältnissenunabhängig macht. So verwahrt man sich gegen den Einflußder jahreszeiten, dem die Tiere unmittelbar unterworfensind. Der Mensch ist überhaupt von Natur hilfloser gemacht

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247 als das Tier; viele ITiere haben den scharfen Geruch,wodurch sie sich ihre spezifischen Nahrungsmittel leichtauffinden pp. Es ist dies nun nicht eine Zurücksetzung,sondern weil der Mensch auf das Geistige angewiesen ist, so

5 muß auch alles, was mit ihm in Beziehung kommt, mehr denCharakter des durch ihn Erzeugten haben. Der Menschschläft nicht auf dem Boden; wenn es auch nicht das unmittel­bare Bedürfnis erheischt, so macht er sich doch ein Lager. Sogenießt der Mensch seine Speisen nicht roh, sondern er muß

10 sie erst zubereiten. Menschen, die einer härteren Lebensweiseangehören, können sich auch mit roheren Speisen begnügen.Wer an ein geistiges Leben gewiesen ist, der muß die körperli­che Bildung bis auf einen gewissen Grad nachsetzen. Viele

248 Bedürfnisse liegen nun in einer höheren Weise der I Kultur.15 Gewöhnlich haben solche Bedürfnisse einen weiteren, allge­

meinen Grund, nicht bloß die persönliche Annehmlichkeit.So ist es mit dem Tee- und Kaffeetrinken. wogegen Ärzte,Finanziers, Geistliche sich vielfältig aufgelehnt haben. Mankann nun allerdings von solchen Bedürfnissen sich befreien

20 (wie z. B. jetzt eine gewisse Klasse von Menschen in Englandsich des Bieres u. dgl. enthalten), und man kann moralischeund ökonomische Gründe dafür haben. Dies ist die Sache derEinzelnen. Bei den Bemühungen, so etwas abzustellen, istimmer die Täuschung vorhanden, durch den Willen aller

25 Einzelnenvkönne so etwas beseitigt werden. Alle Einzelnen,das Kollektive, ist aber etwas anderes als die Einzelnen selbst.

249 In der Allgemeinheit liegt, daß ein IMoment der Notwendig-keit vorhanden ist. Daß nun Bedürfnisse entbehrt werdenkönnen, dies ist allerdings der Fall. Man hat in Deutschland

30 zu einer Zeit gelernt, den Kaffee zu' entbehren, und dies gehtmit solchen Bedürfnissen immer hin und her. Man meintwohl, es werde durch Entsagung des Kaffees viel erspart;

I Orig. -Einzelner-.2 >zu< eingefügt.

154

gleichwohl hat es sich gefunden, daß gerade der Kaffee für dasgemeine Volk viel Wohltätiges hat und verhältnismäßig keinso teurer Genuß ist. Die Bedürfnisse beziehen sich nunzunächst auf das Individuum als solches, jeder ißt und trinktfür sich. In die' besonderen Weisen, die Bedürfnisse zu 5

befriedigen, mischt sich aber sofort die Reflexion ein, inwie­fern man dem andern gleich ist oder nicht. So haben dieBedürfnisse etwas Gesellschaftliches, und es I tritt hier gleich 250

die Allgemeinheit hervor. Hier zeigt sich die Mode. So sehrman nun gegen die Modesucht sprechen kann, so ist nicht zu 10

verkennen, daß das Moment der Allgemeinheit darin enthal-ten ist. Bei einer Menge von Bedürfnissen und deren Befriedi-gung gibt es keine bessere Bestimmung, als es so zu machenwie die andern. Es ist vielfältig nicht der Mühe wert, übersolche Dinge nachzudenken. Gerade dadurch, daß man es in 15

solchen Dingen macht wie die anderen, so beweist man seineGleichgültigkeit dagegen. Es gibt schon Leute, Schneider u.dgl., die um ihrer Subsistenz willen es sich zur Angelegenheitmachen, über solche Dinge nachzudenken. Der Mensch be­kommt nun so allerdings eine Menge von Bedürfnissen, die 20

ein Moment I der Meinung in sich haben. Damit ist eben dies 251

vorhanden, daß der Mensch nicht mehr von der Naturnot­wendigkeit als solcher abhängt, sondern er hat ein Verhältniszu einer selbstgemachten Notwendigkeit, und hierin liegt einFortgang zur Befreiung. Alles dieses zusammen ist es nun, 25

was wir den Luxus nennen; dieser begreift überhaupt eineSeite des äußerlichen Verhaltens, wo die Zufälligkeit undWillkür, Meinung u. dgl. ihr Spiel hat und sich herumtreibt.Das Hervortreten des Luxus ist eine notwendige Erschei-nung; er hat das Moment der Befreiung in sich, daß der 30

Mensch sich auf eine allgemeine Weise und überdies nicht zurunmittelbaren Naturnotwendigkeit verhält.Das Individuum hat durch das Bedürfnis die Abhängig­I Orig. -den-.

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252 keit von landernSelbständigen. Das Bedürfnis befriedigenheißt, es sich zu einem Wirklichen machen. Das Individuummuß also die Außenwelt seinem Bedürfnis angemessenmachen. Die Partikularisation der Bedürfnisse führt auch

5 eine Partikularisation der Arbeit mit sich. Die Mittel sindnicht vorhanden als unmittelbare Naturdinge, sondern siesind Eigentum anderer und müssen von diesen erworbenwerden. Dadurch verhält sich der Mensch überhaupt zumMenschlichen, die Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse

10 sind ein Geformtes, Bearbeitetes. Der Mensch ist so nicht beieinem unmittelbar Natürlichen. Diese Vermittelungen spin­nen sich sehr ins Weite aus. In seinen Kleidern konsumiertjeder die unmittelbare Arbeit einer großen Menge VOn Men-

253 sehen. Diese Arbeit hat wieder zu ihrer Voraussetlzung viele15 Arbeiten ganz anderer Art. Was in unserer Konsumtion den

meisten Wert hat, das ist menschliche Arbeit. Der unmittel­bare Stoff ist nur ein Geringes dagegen. Dieses Arbeitenüberhaupt ist nun eine Not. Die Not, sagt man, lehrt beten;das geht uns hier nichts an. Aber was die Not gleichfallslehrt,

20 das ist das Arbeiten. Der Mensch wird so aus sich herausge­rissen. Die Not ist zunächst nur ein Subjektives, ein innererGegensatz, daß ich das, was an sich in mir ist, nicht in seinemDasein habe und besitze. Dieser innere Gegensatz wird nunzu einem äußern. Die Not ist es also, die mich in den

25 Gegensatz gegen die Außenwelt überhaupt bringt. Als Notist dieses zunächst eine blinde Macht, die mich treibt. Auf

'54 diesen Gegensatz muß sich nun das Interesse I richten. Ichmuß denselben zu dem meinigen machen, ich muß den Geistdarauf wenden, und dieser tritt damit in den Gegensatz ein.

30 Um mir den Gegensatz zu erwerben, muß ich mich zunächstauch theoretisch damit beschäftigen. Es ist also überhauptdurch die Not, daß wir in den Gegensatz gerissen werden.Dies heißen wir einerseits Not, betrachten es als etwas, dasI Orig. -anderm-.

T!

\

nicht sein soll, und wir haben ganz recht daran, denn derGegensatz soll aufgehoben werden. Aber in der gewöhnli­chen, nicht denkenden Vorstellung nimmt man es so, daß dieNot überhaupt nicht sein sollte. Die Not ist indes nicht nuräußerlich notwendig, sondern auch innerlich. Durch die Not 5

')If~ die Bedürfnisse wird der Mensch aus der dumpfen I Ge- 255

gensatzlosigkeir gerissen.Je natürlicher der Mensch ist, destomehr ist er dem tierischen Zustande nahe. Der Gegensatz istnotwendiges Moment des Bewußtseins. Näher müssen nundie Mittel, die Bedürfnisse zu befriedigen, dargestellt wer- 10

den, und das Denken wird so zu einem verständigen Denken,das die Mittel in Beziehung auf diesen bestimmten Zweckdenkt. Dies ist die nächste Seite der Bildung, die in der Arbeitliegt; Festhalten der Unterschiede, Bestimmung des allgemei-nen Vorstellens überhaupt. Erst insofern der Mensch einen 15

bestimmten Zweck hat, verwirklicht er sich, die Bestimmt-heit ist die Seite des Daseins. Unmittelbar damit verbundenist wieder die Übersicht über diese Mannigfaltigkeit derUnterschiede. Der Mensch lernt so Iverwickelte, mannigfal- 256

tige Unterschiede auffassen und überblicken. Man braucht 20

nur auf Menschen zu sehen, die in einfachen Verhältnissenleben. Der Kreis von Vorstellungen, die diese Menschenhaben, ist sehr geringfügig. Sinnliche Vorstellungen sind hierdas meiste, wenig Kombinationen, die Verbindungen aus­drücken von einer Mannigfaltigkeit von Verhältnissen. Sol- 25

ehe Menschen haben große Mühe, von einer Vorstellung Zurandern überzugehen. Die Vorstellungen klingen bei ihnengewissermaßen lange nach. Bei gebildeten Menschen, in ver­wickelten Lebensverhältnissen, findet es sich ganz anders'.Das Heimweh, welches z. T. seinen physikalischen Grund 30

hat, hat auch wesentlich den geistigen Grund, daß dieMenschen gleichsamunterdrückt werden' durch die Mannig-faltigkeit von Gegenständen. I 257

I Orig. -Anderes-. 2 -werdene ergänzt aus drei undeutlichen Buchstaben.

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auf diese Teilung der Arbeit aufmerksam gemacht. Es ist derGedanke, der sich in dieser Art und Weise der Arbeit geltendmacht, obschon es zunächst die Not zu sein scheint, die siehervorbringt. Beispiel von Smith, wonach ein Arbeiter, derSte€kIladeln allein machen wollte, deren kaum zwanzig inein\m Tage vollenden würde, während, wenn die Arbeit inihre verschiedenen Operationen verteilt wird (deren zuSmiths Zeiten ungefähr 10 waren), eine Person im Durch­schnitte 4600 Stecknadeln vollenden kann.f In dieser Sphä­re I der Erscheinung ist nun aber dieses vorhanden, daß, wasauf der einen Seite gewonnen wird, auf der andern wiederverlorengeht. Bei der Teilung der Arbeit werden die Arbeiterimmer stumpfer und abhängiger. Wenn der Artikel derIndustrie, der! ein solcher Arbeiter angehört, ins Stockengerät", so findet sich der Arbeiter in Not. Indem nun aber die 15

Arbeit so einfach wird, so ist kein konkreter Geist dafür mehrnotwendig. Der Mensch kann selbst davon abtreten und eineMaschine an seine Stelle setzen. Die letzte Spitze des höchstMechanischen enthält so gleich wieder das Umschlagen.Maschine und Werkzeug sind voneinander unterschieden; 20

bei der Maschine wird das Prinzip der Bewegung in einerbewegenden Naturkraft und nicht im tätigen I Geiste gesucht.Das Werkzeug ist dagegen nur ein Mittel, dessen sich derMensch, der das Tätige ist, zu seiner Arbeit bedient. DerMensch hat Ursache, auf seine Werkzeuge stolz zu sein, denndie Vernünftigkeit ist darin ausgedrückt. Das Werkzeugbildet den medius terminus, wodurch die Tätigkeit desMenschen mit der äußern Natur vermittelt wird.E Es ist diesder Geist der Vernunft, daß der Mensch, indem er einAnderes nach außen kehrt und abreiben läßt, sich selbst 30

erhält. Der Pflug und dergleichen Werkzeuge sind eine uralteTradition. Die Menschen, die diese Werkzeuge zuerst

I Orig. -dem-.2 -gerat. eingefügt.

Die formelle Bildung, die der tiefern geistigen Bildung vor­ausgehen muß, geht also aus jener Mannigfaltigkeit vonBedürfnissen hervor. Die Bildung zur Arbeit besteht zu­nächst im allgemeinen überhaupt in dem Verlangen zur

5 Tätigkeit. Die Wilden sind faul; so lagen die alten Deutschenviel auf der Bärenhaut. Wenn man den Gebildeten vergleichtmit dem Ungebildeten in Ansehung seiner Tätigkeit, so kannman wohl sagen, jener erlebt in einem Tage mehr als dieser inseinem ganzen Leben.

10 Das Individuum, indem es sich zu den Naturgegenständenverhält, muß sich danach richten, es muß seine Besonderheitgeltend machen. Die widerstreitende Natur des Materials,das Belieben anderer und ihre Willkür nötigen uns, daseigene, natürliche Wollen zu überwinden, und wir werden so

258 15 befreit. Indem der Mensch seine Besonderheit Iso nach demgegebenen Zwecke abarbeitet, so liegt darin seine Befreiung.Dies ist überhaupt die Zucht des Menschengeschlechts, daßes durch die Arbeit unterworfen wird. Es kommt demMenschen sauer an, aber eben dadurch gewinnt das Geistige

20 die Oberhand. So enthält das Bedürfnis einerseits den Gegen­satz, aber andererseits zugleich die Überwindung des Gegen­satzes. - Der Mensch erwirbt sich nach dieser Seite Gewohn­heiten und Geschicklichkeiten, die ein allgemein Gültigessind und durch die er erst Meister über sich selbst wird.

25 Die Arbeiten werden nun nach der Partikularisierung derBedürfnisse ein immer mehr Vereinzeltes, damit werden siezugleich ein immer Abstrakteres und Einfacheres. - DasArbeiten wird immer mehr spezifiziert, teilt sich immermehr. Weil es der denkende Mensch ist, der I in diese Arbei-

30 ten verwickelt ist, so sucht er, sie abstrakter zu machen.Indem die Arbeiten einfacher werden, so kann der Menschderselben mehr hervorbringen. Er braucht sich nicht zubesinnen, um in der Arbeit fortzuschreiten. Smith in seinemWerke über den Nationalreichturri'' hat zuerst vornehmlich

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gebraucht haben, sind gestorben und vergessen, aber dasObjektive erhält sich durch alle Generationen.Die Arbeit erscheint insofern, als sie zur Befriedigung derBedürfnisse Igeschieht, als Mittel; in der vernünftigen

5 Betrachtung kehrt sich dies indes um. Das Wesentliche, dereigentlich höhere Zweck der Arbeit, ist die Bildung, die fürden Menschen daraus hervorgeht. Im Trojanischen Kriege istes das Ringen und Kämpfen der Menschen, worin dasInteresse liegt; das erreichte Ziel läßt uns gleichgültig. Der

10 Zweck hat nun wieder zwei Seiten, vors erste das Selbstsüch­tige, Subjektive; aber zugleich tritt auch das Gegenteil ein,daß, indem jeder sich zum Zweck hat, die Befriedigung seinesBedürfnisses durchaus umschlägt in die Befriedigung desBedürfnisses aller. Was ein jeder durch seine Arbeit erzeugt,

15 das braucht er entweder gar nicht oder nur zum kleinen Teilfür sich selbst. Er bringt die Dinge nur hervor in IBeziehungauf ihren Wert. So geschieht es, daß, indem das Individuumdurchaus nur selbstsüchtige Zwecke hat, dasselbe zugleichdie Bedürfnisse aller befriedigt. Dies ist in jeder Hinsicht

20 etwas sehr Wichtiges. Ein Mann von Reichtum in alten Zeitenunterstützte andere direkt; er speiste Arme und tränkte sie,kleidete die Nackten. Die andere Verwendung des Reichtumsist, wenn derselbe zum Luxus verwendet wird. Diese Ver­wendung hat die höhere Wirkung, daß die andern die Be-

25 friedigung ihrer Bedürfnisse nur erhalten unter der Bedin­gung, daß sie tätig sind. Den reichen Mann, der viel auf sichund seinen Genuß verwendet, kann man vom moralischenStandpunkt aus tadeln und sagen, er solle seinen Überflußden I Armen zugute kommen lassen; dies tut er auch, aber auf

30 eine vermittelte, vernünftige Weise. Es gibt allerdings aucheinen Luxus, der barbarisch und unbedingt zu tadeln ist. EsmachtK sich für die unterschiedenen Stände eine gewisseWeise des äußern Lebens, eine gewisseWeise des Aufwandes,und diese Weise richtet sich nach der Einnahme und nach der

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.,..

Stellung des Individui in der bürgerlichen Gesellschaft. DieKlagen über den Luxus erscheinen so von einer Seite als eineleere, nur moralische Deklamation. Die Geschicklichkeit desIndividuibringr so also Arbeiten hervor, die für die andernBedürfnis 'sind. Es entsteht so eine Gegenseitigkeit; diesbringt die Möglichkeit hervor, daß jeder I an der Fähigkeit,Bedürfnisse zu befriedigen, ein Vermögen hat. Der Menschhat also dadurch, daß er in der bürgerlichen Gesellschaft ist,unmittelbar Vermögen, die Möglichkeit, das, was er braucht,aus dem allgemeinen Schatze gewissermaßen zu erhalten. Die 10

Bedingung hierzu ist aber, daß er sich gebildet, daß erGeschicklichkeit sich erworben habe. Der Mensch tritt so ineine ganz andere Sphäre ein. Die Möglichkeit der Teilnahmeam allgemeinen Vermögen ist nun ferner bestimmt durchmanche andere Umstände. Es gehört zur' Erwerbung der 15

Geschicklichkeit ein Kapital und mancherlei günstigeUmstände. Der ganze Zusammenhang ist ein notwendiger,aber wie das Individuum daran teillnehrnen will, das ist seinebesondre Sache. Die Besonderheit und Ungleichheit hat hierihr ganzes Spiel; das, wodurch ich die Individuen nicht 20

voneinander unterscheide, ist ihre Vernünftigkeit überhaupt;allein der Unterschied fällt in die2 Besonderheit der Geburt,der Erziehung, der Talente, des Vaterlandes u. dgl. Im Talentist ein Naturrnoment, welches sich das Individuum nichtgeben kann. Es tritt also notwendig die Ungleichheit der 25

Individuen hier ein. Es ist schon früher bemerkt", daß dieGleichheit, auf die der Verstand fällt, bloß abstrakte Identitätist und daß es gerade die Besonderheit der Individuen ist, diedie Wirklichkeit der Freiheit macht. Die Ungleichheit istdamit unmittelbar Isanktioniert.Die besondere Tätigkeit der Individuen tritt nun auch inbestimmte Massen zusammen. Die Betrachtung des Verhält-

I Orig. -zu-.2 Orig. -der-.

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nisses dieser Massen ist nun hauptsächlich Gegenstand derNationalökonomie. Es sind Bedürfnisse, die befriedigt wer­den sollen, und Mittel zu ihrer Befriedigung. Dieses gibt dieallgemeinen Gegensätze von Konsumtion und Produktion.

5 Der Wert der Mittel bestimmt sich nun auch hiernach. DieMittel, die der Arbeiter hervorbringt, müssen zusammen denWert dessen ausmachen, was er konsumiert, und außerdemsoll auch noch mehr erworben werden, als unmittelbarverzehrt wird. Die Konsumtion soll überhaupt nicht bloß ein

268 10 Negatives bleiben, sondern selbst wieder Izur Produktionführen. Handarbeit überhaupt, Tagelohn, dies sind die letz­ten Elemente des Preises der Dinge gegeneinander. Es setztsich hierin nun auch ein Mittelmaß dessen fest, was einIndividuum notwendig braucht. Bei einem Volke ist dies nun

15 allerdings anders als bei einem andern. Gold und Silbergewinnen ist nicht' andere Arbeit, auch die Bergwerke vonPeru und Chili'' werfen nicht mehr ab, als jeder andereArbeiter sich durch fleißige Arbeit verdienen kann. - Es gibtnun allerdings eine Konsumtion, die ein Letztes ist; der

20 größte Produzent der Art ist der Staat. Dieser hat eine MengeArbeiten, die eine letzte Konsumtion bewirken. Die höherenStaatsanstalten sind Ialle von dieser Art, daß sie nicht unmit­telbar weiter in den Kreis des Produzierens eingreifen. DerStaat muß das, was er verbraucht, durch Abgaben erheben.

25 Die Wirkung der Abgaben auf den Wert der Dinge ist nunwieder ein wichtiger Gegenstand der Nationalökonomie.Das Verhältnis des Geldes oder des Wertes zu den qualitativbestimmten Produkten macht ferner ein Verhältnis aus,dessen Wechselwirkung zu betrachten ist. Der Staat, welcher

30 Abgaben fordert, steigert dadurch den Preis der Dinge. Wenndas Mittel der Zirkulation abnimmt gegen die Produktionund diese gegen das Geld, so entstehen dadurch eigeneVerwickelungen und Verhältnisse, die auf NotwendigkeitI Orig. -nichts-.

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r!

begründet I sind. Die Willkür selbst ist ein Moment, das beiBerechnungen über nationalökonomische Verhältnisse be­rücksichtigt werden muß; durch Verdoppelung einer Abgabeverdoppelt sich keineswegs der Ertrag derselben. Das Wollender Menschen bringt bei manchen abstrakt ganz richtigenBerechnungen bedeutende Veränderungen hervor.Nach einer andernCseite faßt sich nun das bunte Getreibegleichfalls in allgemeine Massen. Solche Massen, die sich zueinem System bilden, sind das, was zunächst Stände genanntwird. Stände haben dann noch eine spater" zu erwähnende '0

Bedeutung. Es ist schon über die Seichtigkeit der Forderungeiner allgemeinen Gleichheit der Menschen untereinandergesprochen worden. Ein Unterschied I der Stände ist über­haupt notwendig; der Unterschied gründet sich hier darauf,daß die Bedürfnisse und die Art ihrer Befriedigung sich 15

gegeneinander spezifizieren. Der erste Stand ist nun derunmittelbare, der Stand des substantiellen Lebens. Derzweite Stand ist dann der formelle Stand überhaupt oder derreflektierende, der Stand der Besonderheit; der dritte ist dannder allgemeine Stand, der das Substantielle ebenfalls zu 20

seinem Zwecke hat, aber nicht mehr auf unmittelbare Weise.Dem allgemeinen Stand fällt die Arbeit im Staate vorzüglichanheim. Was nun den ersten Stand betrifft, so sehen wir denUnterschied überall in der Wirklichkeit notwendig hervor­treten. Ebenso die beiden anderen Stände. Die Individuen 25

sind nun denjenigen Ständen, die sich selbst machen'i, zuge­teilt; sie Ihandeln dabei nach ihrem Zwecke und ihrer Beson­derheit und schließen sich diesem oder jenem Stande an. DieFreiheit ist hier immer nur ein Formelles. Das Individuumwählt seinen Stand einerseits, andererseits hängt diese 30

Bestimmung aber auch ebensosehr von äußern Umständenab. Nirgends ist indes hier eine schlechthin unübersteiglicheNaturnotwendigkeit. Die Bestimmungsgründe, einen oderden andern Stand zu ergreifen, können nur sehr zufällige sein.

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Was ein Stand ist und was die Beschäftigungen desselbensind, das erfährt man eigentlich erst, wenn man demselbenschon angehört. Es ist überhaupt nur die Form der Freiheit,die sich so bei der Wahl des Standes zeigt. Das härteste

5 Verhältnis I kann nun der Mensch finden, wenn er durch diebloße Geburt zu einem Stande bestimmt ist, wie dies bei derKasteneinteilung der Fall ist. Man braucht nur diesesvon denalten Ägyptiern und von den Indiern zu wissen, um einzuse­hen, daß diesees in freier Bildung durchaus nicht weit können

10 gebracht haben. Daß die Geburt im Staateauch ein notwendi­ges Moment ist, werden wir späterhin beim Staate sehen. - InIndien muß jeder eine große Anzahl von Dienern halten, weilein jeder eine eigne Sphäre der Beschäftigung hat, aus der ernicht herauskann.

15 Der erste Stand wurde als der unmittelbare oder der substan­tielle bezeichnet. Der Stand bezieht Isich hier wesentlich aufdie Bedürfnisse und die Befriedigung derselben. Dies ist derackerbauende Stand. Man kann sagen, der Bauer hat nichtsowohl Vermögen, sondern die substantielle Familie hat ein

20 Gut. Es ist ein Boden überhaupt, den dieser Stand bearbeitet,ein Festes und Sicheres, wo die Form, die dem Materialgegeben wird, das Wenigste ist. Die eigene Reflexion ist alsobei dieser Produktion überhaupt die untergeordnete; dieMittel werden empfangen, wie das organische Leben der

25 Natur sie an die Hand gibt. Pflanzen, Säen u. dgl. sindallerdings auch Weisen, die dem Verstande angehören, abersie sind das weniger Wesentliche. Diese Kultur kann Inunauch auf künstlichere Weise getrieben werden, so daß derAckerbau mehr als Fabriksache getrieben wird. Demohnge-

30 achtet bleibt das Geschäft immer einfacher Art. Der Acker­bau ist hier überhaupt die wesentliche Weise. Der wildeJägerführt ein schweifendes Leben; er hat kein freies Leben, und erhat von der Natur nur die allgemeine Möglichkeit, sie inBesitz zu nehmen. So auch zum großen Teil bei der Vieh-

zucht. Erst durch Ackerbau kommt der Mensch zur Ruhe,und es tritt hier erst das wahre Eigentum ein. Nomade~ölkergeben dem Boden noch keine Form; daß er das Ihrtg; ist,wird nicht objektiv. Bei dem Ackerbau sind die vollenCharaktere Ides Eigentums vorhanden. Der Ackerbau macht 5 276

die vernünftige, vollständige Weise aus, in der der Begriff desEigentums realisiert ist. Es haben deshalb mit Recht dieVölker die Stiftung des Ackerbaues in ihren Traditionenals eine göttliche Stiftung bewahrt. Creuzer' im viertenBande seiner Mythologie hat diese Seite der Mythen beson- 10

ders behandelt. E Bei der Ehe wurde erwähnt, daß dieseüberhaupt erfordert ein dauerndes, sicheres Eigentum; diesesist vornehmlich vorhanden im Besitz von Grund und Boden.Die Veränderungen, welche beim Besitz des Grundeigen-tums stattfinden, sind im Vergleich dessen, was bleibt, un- 15

bedeutend. Es ist überhaupt die eigene Reflexion weniger, I 277

die beim Ackerbau das! Vermittelnde ist, Die Grundlage derGesinnung ist damit bestimmt: Es ist so, und man muß sichnach dem in seiner Beschäftigung richten, was sich ohne denWillen als eine äußere Notwendigkeit darbieter', Die Gesin- 20

nung ist damit eine substanriellere; Liebe, Zutrauen, Glaubenmachen hier den Hauptcharakter aus. - In Ansehung dessen,was zu vollbringen ist, ist es vornehmlich das Verhältnis desZutrauens und des Gehorsams, in dem sich dieser Standbehauptet. Da, wo die Reflexion bei diesem Stande eintritt, 25

da zeigt sie sich als eine gewisse unnütze Pfiffigkeit, alsMißtrauen, wo gar kein Grund dazu da ist. - Das feinausgebildete Privatrecht ist nicht für diesen Stand, er Ibedarf 278

einer einfacheren", sich mehr auf Glauben und Zutrauengründenden Rechtspflege. In Rücksicht der religiösen Bil- 30

I Orig. -Kriiger-.2 Orig. -die-.3 -darbietet- eingefügt in einen im Originaloffengelassenen Raum.4 Orig. seine einfachere-.

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dung hat dieser Stand den Anspruch zu machen, daß nichteine breite Gelehrsamkeit vor ihm ausgelegt wird.Der weitere Stand ist der Stand der Reflexion. Er steht in derSphäre, wo die Formierung der Naturprodukte die Hauptsa-

5 che ist. Dieser Stand kann im allgemeinen der Stand desGewerbes genannt werden. Die Arbeit dieses Standes1 isteine weniger konkrete, und es hängt mehr von seinem eigenenWillen, seinem eigenen Fleiße und seiner Arbeitsamkeit ab.Das Vermögen, aus dem dieser Stand seine Subsistenz

279 10 bezieht, ist hauptsächlich die Geschicklichkeit Ider Indivi­duen und die ganze Verschränkung der bürgerlichen Gesell­schaft nach ihren Bedürfnissen. Dieser Stand ist im Felde desBeweglichen überhaupt. Dies gibt nun also dem Stand, seinerGesinnung, seiner Art und Weise eine andere Gestalt, als die

15 beim ersten Stande bemerkt wurde. Das Individuum kommtzur Reflexion in sich; einerseits ist dasselbe abhängig VOnaußen, aber andererseits macht dasselbe sich unabhängig. DasBewußtsein der Freiheit tritt hier entscheidend hervor. DieRechtspflege wird hier zusammengesetzter. Zunächst ist der

20 gemeine Handwerker zu erwähnen; dieser ist noch auf einekonkretere Weise beschäftigt. Er arbeitet für die Bedürfnisseanderer Einzelner; der Fabrikant macht die zweite Stufe;seine Arbeit ist abstrakter, und er arbeitet nicht für Einzelne.

280 Die dritte Stufe I ist danrr' die des Handelsstandes'. Das25 Geld, das allgemeineTauschmittel. hat hier seine vorzüglich­

ste Bedeutung. Beidiesem zweiten Stande ist es überhaupt aufGewinn abgesehen, während es beim ersten Stande nurdarauf ankam, zu leben.Das dritte Geschaftf ist dann das allgemeine; dies ist der

30 Stand, der sich den Interessen des Gemeinwesens und desStaats als solchen4 widmet. Dieser Stand muß der direkten

5

25

I Orig. -dieser Stande2 Orig. -denn-.3 Orig. -Handelstandes-.

4 Orig. -solcher..

166

Arbeit für die Bedürfnisse überhoben sein, entweder durchPrivatvermögen oder durch Schadloshaltung vom Staate. ­Dies sind nun die Weisen der Beschäftigung, die sich für sichselbst einfinden und die in der Natur der Sache liegen. Die imBegriff vorhandenen Unterschiede treten auch in die Wirk­lichkeit heraus. Der Ihier stattfindende Unterschied ist nichtals ein Unglück, noch als eine Anmaßung anzusehen, die sichdie einen gegen die andern herausgenommen haben. DieIndividuen sind übrigens gar nicht die Hauptsache, sonderndie Vernunft ist es, deren Unterscheidungen sich dann gel- 10

tend machen und die sich die Individuen zuteilen. Alle sollenja nicht alles treiben. - Die sittliche Gesinnung im Individuoist überhaupt die Rechtschaffenheit, das zu tun, was dieStellung, auf die das Schicksal und die eigene Wabl dasIndividuum gestellt haben 1, mit sich bringt. Das weitere ist 15

dann die Standesehre, die darin besteht, das zu erfüllen, wasdem Stande eines jeden zukommt. Das Individuum kann nuretwas sein, indem es von I den andern anerkannt ist. Nurdadurch kann das Individuum seine Stelle ausfüllen. Ein jederist das, was er ist, nur insofern er es in der Vorstellung der 20

andern ist. Erst durch dieses Moment der Anerkennung inder Vorstellung der andern hat das Individuum sein Dasein.Die Ehre des Individuums ist, einem Stande anzugehören unddarin anerkannt zu werden. Der Stand selbst hat für sich seineEhre.Das System der Bedürfnisse bleibt so überhaupt eineVereini­gung von Freiheit und Abhängigkeit. Beide schlagen ineinan­der über.In das" System der Bedürfnisse scheint nur die Freiheithinein; das Freie ist mit dem Stoff vermischt. Die Reflexion 30

des Freien in sich ist Idas Setzen und Wollen seiner als einesFreien. Insofern die Freiheit ein Dasein hat als feste Persön-I Orig. -har-.2 Orig. -dem-.

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282

283

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lichkeit, SO ist dies die Stufe des Rechts. Von jener nurscheinenden Freiheit und Allgemeinheit ist die nächste Wahr­heit die sich auf sich beziehende Freiheit. Die substantielleGrundlage des Ganzen ist das Recht des Eigentums. Das

5 System der Bedürfnisse und dessen Verwickelung kann garnicht bestehen ohne das Recht. Die größte Beförderung, dieman der Industrie zuteil werden lassen kann, ist eine strikteund feste Rechtspflege. Dazu gehört weiter als Grundlage,daß das Eigentum in seiner vollständigen Wirklichkeit vor-

10 handen sei. In einem Lande, wo Sklaven und Leibeigene sind,kann deshalb nichts gedeihen. - Wir haben es aber auf dieserzweiten Stufe nicht mehr mit I dem Rechte als solchem1 bloßzu tun, sondern mit der Verwirklichung des Rechts. ZumRechte für sich kommt jetzt das Dasein hinzu. Diese zweite

15 ganze Sphäre der Sittlichkeit ist das Auseinandertreten derSittlichkeit. Es erheben sich durch die Arbeit die Individuenzur Allgemeinheit. Damit das Recht wirklich ist, dazu mußder Boden dadurch geebenet sein, daß die Individuen dafürempfänglich sind. Dies geschieht nur durch das Tun des

20 besondern Willens; dieser ist durch das System der Bedürf­nisse dargestellt. Durch dieses System der Bedürfnisse ist erstüberhaupt das unbestimmte Bedürfnis des Rechts vorhanden.Wenn in einem Volke die Sorge für das Bedürfnis erwacht, soliegt darin auch zugleich der Wille, Idaß das Erworbene ein

25 Gesichertes sei. Die eigentliche Rechtspflege tritt erst aufeiner gewissen Stufe der Ausbildung des Gemeinwesenshervor, wie dies auch geschichtlich zu zeigen ist. Im patriar­chalischen Zustande hat das Recht noch nicht seine eigentli­che Bedeutung. Im orientalischen Despotismus ist das Recht

30 noch etwas ganz Untergeordnetes. Das System der Bedürf­nisse ist so eine wesentliche Bedingung zum Hervorgehen desRechts. Dafür müssen es sich die Menschen sauer werdenlassen, daß das Recht auf diesem zerarbeiteten Boden hervor­I Orig. -solchen-.

r68

gehe. Die Bildung macht, daß das Individuum als Personaufgefaßt wird, nach seiner Allgemeinheit. Die unmittelbareempirische Anschauung betrachtet den andern nicht als Per­son. Dies geschieht erst durch das I Denken. Die Individuenwissen sich jetzt nach1 ihrer Persönlichkeit. Es ist dies ein 5

großer, wichtiger Schritt, daß die Menschen dahin kommen,sich in einer großen allgemeinen Bestimmung zu betrachten.Man hat so gegen den Kosmopolitismus zwar auf der einenSeite mit Recht losgezogen, insofern der Einzelne bei derallgemeinen Abstraktion stehenbleibt; aber es ist auch von 10

der höchsten Wichtigkeit, daß der Mensch sich seiner nachseiner substantiellen Seite bewußt wird. Bei den Griechenund Römern war es nicht der Fall, daß man daran dachte, daßder Mensch schlechthin als solcher Anerkennung verdiene.Später ist wieder der Unterschied zur Ungebühr hervorgehe- 15

ben worden, und man hat nach Juden und Christen, I Englän­dern und Franzosen gefragt, mehr als nach dem Menschen.Indem also der besondere Wille es ist, der das Allgemeinedenkt, das Allgemeine will, so erhält hiermit das Recht seinDasein. Was Recht an sich ist, wird hiermit verwirklicht. - 20

Insofern nun Kollisionen entstehen, so ist das Recht herzu­stellen und zu behaupten, und dies ist die Rechtspflegeüberhaupt. Das Recht soll jetzt zum Gelten kommen, eineMacht haben als Wirklichkeit. Dieses Wissen vom Gelten desRechts ist dann wieder ein Bestimmendes, daß es gilt.K 25

b. Die Rechtspflege

Es soll also überhaupt gewußt werden, was Recht ist. Das,was Recht ist, soll gesetzt werden, d. h. es sollen Gesetzevorhanden sein. IDas Recht soll ein positives werden, das ansich Rechte soll überhaupt wirklich sein. Die erste Form 30

I Orig. -nah-.

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288

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dieser Wirklichkeit ist, daß es für das Bewußtsein vorhandensei. Was an sich Recht ist, soll als Gesetz vorhanden sein, alsGegenstand des Bewußtseins. Ohne Denken geht es auch hiernicht ab. Indem das Rechte gedacht wird, so erhält es die

5 Form seiner Allgemeinheit. Man unterscheidet bei denGesetzen, inwiefern sie Gewohnheitsrecht sind oder ander­weitig! vorhanden. Unter Gewohnheit ist jedoch nicht an einInstinktmäßiges zu denken wie bei den Tieren. Bleibt es beidem bloßen Gewohnheitsrecht und ist es nicht ein geschrie-

289 10 benes Recht und als System in sich I ausgebildet, so bleibt dieAllgemeinheit des Gedankens noch ein Getrübtes. DasGewohnheitsrecht ist auch ein geschriebenes und unterschei­det sich vom eigentlich geschriebenen nur dadurch, daß eseine inkonsequente Sammlung ist.

15 Daß das Recht als Gedanke bestimmt, daß es objektivgemacht und zum Gegenstand des Wissens wird, ist dasRecht des Geistes überhaupt. Das Recht erhält dadurch, daßes zum Gedanken wird, erst seine wahrhafte Bestimmtheit.Insofern er nur ein Inneres ist, so ist es mit der subjektiven

20 Besonderheit behaftet. Sogenannte Gewohnheitsrechte sindselbst ein Gewußtes, nicht bloß ein Instinktartiges. WasGewohnheit ist, hat indes nicht sowohl den Charakter eines

290 Vorgeschriebenen als eines von I allen Getanen. Das Allge­meine an und für sich ist das Allgemeine des Gedankens. Die

25 Form des Gewohnheitsrechts kommt/ aus einer ungebildetenZeit her, wo man das Allgemeine nur so nahm als etwas, dasalle tun, noch nicht als etwas an und für sich Vorhandenes.Bei einem:' bloßen Gewohnheitsrecht entstehen wegen derZufälligkeit des Wissens vielfältige Abweichungen. Sonst ist

30 das, was bei gebildeten Nationen Gewohnheitsrecht genanntwird, auch ein Aufgeschriebenes und Gesammeltes. (Droitcoutumier bei den Franzosen.)" Der Unterschied ist nun der,

I Orig. -anderweir-.2. -kommt- eingefügt.

'70

3 Orig. .einen-.4 Klammem eingefügt.

daß so etwas eine unförmliche Sammlung ist, unförmlichbesonders dadurch, daß das Allgemeine nicht herausgehobenund das Besondere nicht in seiner Unterordnung Iunter 291

dasselbe und untereinander gesetzt ist. Auf diese Weiseentsteht eine große Verwirrung. So machen die 12 Tafeln'', 5

die Senatuskonsulte'f", die responsa juris consultorumE(,Jpp. ein buntes Gemenge, das in Deutschland noch viel ärgergeworden ist. So hat es sich gemacht, daß man 1 bald diesen,bald jenen großen Glossator zitieren konnte. In England istauch so eine Art von Gewohnheitsrecht, das das ungeschrie- 10

bene Gesetz heißt; es ist indessen studiert. Blackstone sagt,man brauche, um sich in dasselbe hineinzustudieren, wenig-stens 20 Jahre.EKein Gericht ist eigentlich an die/ Entschei-dung vorhergehender Gerichte gebunden, sondern es ist dieAutorität, welche nach dem ungeschriebenen Gesetze ent- 15

scheidet. Kenner Ider englischen Rechtswissenschaft können 292

die Verwirrung, die aus dem dortigen Zustande der Gesetzeentsteht, nicht groß genug schildern. Wenn in einer Nationkein Gesetzbuch vorhanden ist, so ist weiter nichts zu tun, alsdaß sie eines macht. Man kann dabei nun wohl zunächst die 20

Vorstellung haben, es solle etwas ganz Neues erfunden undentdeckt werden, allein es ist nur darum zu tun, das Vorhan-dene und bereits Geltende auf eine bestimmte und verstän-dige Weise zu ordnen. Neues dem Inhalte nach braucht in einsolches Gesetzbuch gar nicht zu kommen. Einer gebilde- 25

ten Nation die Fähigkeit, zu einem solchen Gesetzbuch zugelangen, abzusprechen, heißt dieselbe aufs äußerste be-schimpfen. - Die I Gesetze müssen nun ferner bekannt 293

gemacht werden. (Erzählung vom Dionysius, dem Tyran-nen, der nach Gesetzen strafen ließ, die auf Tafeln geschrie- 30

ben waren, die 'so hoch hingen, daß sie niemand lesen

I Orig. >SO daß man-, -so- vielleichtschon im Orig. gestrichen.

2. Orig. -der-.

'7 '

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konnte.j'f Wenn ein Gesetzbuch in einer fremden Sprachegeschrieben ist oder wenn eine Menge von Glossatoren undRechtsgelehrten nachgeschlagen werden müssen, so ist diesderselbe Fall wie beim Dionysius, de te narratur fabula'',

5 Fürsten, die ihren Völkern Gesetzbücher gegeben haben, undwenn es auch nur wenig' vollständige Kompilationen sindwie die des Justinian'', werden mit Recht als Wohltäter ihrerVölker gepriesen. Ja, es ist ein absolutes Recht, das Gesetz auf

294 eine solche Weise Izu erhalten. Wo die Gesetzeskunde nur in10 den Händen der Gelehrten ist, da sind diese Gelehrten die

Herrn der übrigen, die einem Schicksal, das ihnen fremd istund das sie nicht kennen, unterworfen sind. Die Gelehrtenmögen 3 wohl wünschen, daß alle die Schriften der altenrömischenJuristen aufbewahrt wären; allein, dem Leben liegt

15 nichts daran, Der Code Napoleon wird da, wo er eingeführtist, immer noch als eine Wohltat anerkannt; daß diesesGesetzbuch fertig geworden ist, ist wenigstens das WerkNapoleons, wenn auch schon dessen materieller Inhalt ihmnicht angehört. Dazu, daß ein Gesetzbuch fertig wird, gehört

295 20 ein Regent; I die Juristen allein würden nicht fertig. Es istüberhaupt die üble Gewohnheit der Deutschen, niemalsfertig werden zu können. Schlechtes Wetter ist immer besserals gar kein Wetter. Daß man bei einer feierlichen Gelegenheitden Code Napoleon verbrannt hat, kann als eine traurige

25 Erscheinung unter unserer~end betrachtet werden.f WieLuther die römische Bulle verbrannte, da galt diese noch inDeutschland, und deshalb war dies eine mutige Handlung. Eskann einem die Fabel vom Esel einfallen, der den totenLöwen trat." - Ein großer Teil derer, die gegen den Code

30 Napoleon' geschrieben und geschrien haben, haben wohlgewußt, was ihnen gefährlich ist. Der Code Napoleon'

296 enthält jene großen Prinzipien der Freiheit I des Eigentums

I Klammern eingefügt.2 Orig. -wenige-.

3 Orig. -mogten-.4 Orig. .Code N.<.

und der Beseitigung alles dessen, was aus der Feudalzeitherrührt.Die Form, daß das Recht Gesetz ist, ist eine wesentlicheForm. Wenn man also fragt, was ist jetzt Recht, nachwelchem Recht kann ich behandelt werden, so ist die Ant- 5

wort: das, was Gesetz ist. Es kann nun allerdings in dem, wasals Gesetz besteht, auch die Besonderheit ihren Einfluß übenund somit das, was Recht ist, an sich, verschieden vomGesetz sein. In der Philosophie haben wir aus dem Begriffder Freiheit zu entwickeln, was Recht ist; die positive Rechts- 10

wissenschaft aber hat die Autorität zu ihrem Prinzip, undsie hat sich an das zu halten, was historisch vorhanden ist.Sprechen Isolche positiven Gesetze mehr das Konkrete 297

aus, so kann es ein Geschäft sein, das Allgemeine heraus­zuheben, und ebenso kann es Geschäft des Juristen sein, 15

aus den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen das Be­sondere zu entwickeln, so daß es hier immer genug zu tungibt.Das Recht, wie es wirklich in einem Volke ist, kann SOl aufden Zustand seiner Gesetzgebung vielen Einfluß gehabt 20

haben; besonders ist es der Zustand der Bildung, der hierwichtig ist.Der Begriff des Rechts bleibt in seiner Allgemeinheit stehen,aber es wird weiter eine letzte Bestimmung dabei erfordert.Die qualitativen und quantitativen Bestimmungen des Beson- 25

dem gehen schon den Begriff nichts mehr an. Das positiveGesetz muß in seinen Bestimmungen diese I letzten Entschei- 298

dungen enthalten. So muß ein Termin für die Majorennitar''festgesetzt werden und ist die Bestimmung eines solchenTermins nicht vom Begriff zu verlangen. Ebenso ist es mit der 30

Dauer einer Strafe; daß auf ein solches Verbrechen z. B.zwanzig Jahre Gefängnis gesetzt sind, ist eine Bestimmung,

I Orig. >SO kann-.

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die nicht unmittelbar aus dem Begriff hergeleitet werdenkann.Indem das Gesetz das Allgemeine ist, das auf die besonderenFälle angewendet werden soll, so ist hier zugleich ein Dop-

5 peltes miteinander im Verhältnis, das Allgemeine und dasBesondere. Indem man die Allgemeinheit vom Gesetzbuchfordert, so liegt darin, daß die Gesetze einfach sein sollen, so

299 daß sie leicht Igewußt werden können. Insofern nun dieGesetze nach der Seite des Daseins gerichtet sind, so müssen

10 sie auch das Besondere umfassen. Das Endliche ist dasbesondere Verhältnis; dieser endliche Stoff, eben weil er einendlicher ist, vervielfältigt sich immer mehr, wie wir dies beider Vervielfältigung der Bedürfnisse schon sahen I.E Für sichgeht dieser endliche Stoff und somit auch die Forderung

15 seiner gesetzlichen Fortbestimmung ins Unendliche fort. Esist hier wie bei aller Anwendung von etwas Allgemeinem. Esist insofern ein leeres Ideal, wenn man von einem schlechthinfertigen Gesetzbuche spricht, welches alle besondern Fälle

300 umfassen sollte. An und für sich geltend ist, I daß ein Gesetz-20 buch vorhanden, daß es den Bedürfnissen eines Volks gemäß

sei. Bei einem Volke, dessen Handelsverhältnisse einfachsind, können auch die Gesetze über den Handel nur einfachsein. Es heißt die Sache auf die lange Bank des unendlichenProzesses schieben, wenn man verlangt, daß ein Gesetzbuch

25 in jenem Sinn fertig sein soll.Je mehr sich das Gesetz spezialisiert, um so vollkommenerwird es; aber es bricht dabei auch nach einer anderen Seite einÜbelstand heraus, wie dies bei allen endlichen Dingen derFall ist. Je mehr konkrete Seiten an dem Verhältnisse durch

301 30 die Bildung unterschieden worden sind, um so mehr gibt I esauch Rechtsgründe, die zur Schikane gebraucht werdenkönnen. Es tritt damit vornehmlich der Unterschied zwi­schen dem Buchstaben des Gesetzes und dem Geist desI Orig. -sehen-.

174

Gesetzes ein. Verbindlich ist in der Gesellschaft, wie bemerktwurde, wesentlich nur dieses, was als Gesetz ausgesprochenist; das Gesetz muß also zum Buchstaben werden. AlsBuchstabe nun, d. h. als einzelne Bestimmung, kann dasGesetz nun wieder geltend gemacht werden gegen das sub- 5

stantielle Recht. Die Sache des Richters ist es, die besonderenund untergeordneten Seiten von den wesentlichen zu unter­scheiden. Man meint nun zunächst, das, was man den Geistdes Gesetzes nennt, sei vortrefflicher als der Buchstabe; I 302

darin hat man Recht, wenn man das Wesentliche unter dem 10

Geiste versteht. Aber dieser Geist muß auch zum Buchstabenwerden, sonst fällt alle Entscheidung der individuellen Ein-sicht und der Subjektivität des Richters anheim. Montesquieuhat unter dem Geist der Gesetze nichts anderes verstanden alsdie allgemeinen Bestimmungen, auf denen die besondern 15

Gesetze der Völker beruhen.E Er hat so den Geist auch alsBuchstaben bestimmt. Es ist eine wesentliche Garantie derbürgerlichen Freiheit, daß der Geist des Gesetzes bestimmtals Gesetz ausgesprochen sei. Nun gibt es aber auch einenleeren Formalismus des Buchstabens; dies ist besonders bei 20

den Engländern I der Fall. Dort wird z.B. einem Angeklagten 303

die Anklageakte nicht, ehe er die Taxe bezahlt1K, ausgehän-digt. Ein Bartholomäus Thompson wurde freigesprochen,nachdem ihm das Verbrechen sonst ganz bewiesen war, weilin der Anklageakte bloß »B. Thornpson« geschrieben war. E 25

Die leere Förmlichkeit ist bei den Engländern bis zumäußersten getrieben.Wir haben in Ansehung des Eigentums gesehen, daß es dieSeite des Daseins hat. Das Prädikat des Meinigen, das icheiner Sache gebe, muß zugleich ein Objektives sein. Das 30

Dasein in Ansehung des Eigentums war dort noch unmittel­bar. In der bürgerlichen Gesellschaft ist nun das Daseinüberhaupt das Anerkanntsein und das Gelten. IEs geschieht 304

I Orig. -eher die Taxe zu bezahlen-.

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lichkeit verletzt wird. Darin liegt das, was unter der Gefähr­lichkeit des Verbrechens verstanden wird. Man sagt: Wenndieses gilt, so gibt es überhaupt keine Sicherheit mehr, u. dgl.Die Natur des Verbrechens verändert sich also nicht, aberdessen Bedeutung'F wird verändert. Durch Idas Verbrechen 5 307

fühlen sich jetzt alle verletzt; es wird nicht nur mein individu-eller Wille im Verbrechen verletzt, sondern der allgemeineWille. Da, wo die bürgerliche Gesellschaft noch nicht aufdiese bestimmte Weise hervorgetreten ist, da sehen es dieübrigen nicht als Verletzung ihrer an, wenn gegen jemand ein 10

Verbrechen begangen wird. Da, wo die Stände der Gesell-schaft einander entfremdeter sind, da bekümmern sichwenigstens die Mitglieder des einen Standes nicht um dieVerletzung des Mitgliedes des andern. (Indische Kasten;gemordete juden.)? Bei den Griechen sehen wir gleichfalls, 15

wie in ihren Tragödien der Chor'' die? Verbrechen, die vonden handelnden Personen, welche den Königsgeschlechternangehören, begangen Iwerden, als etwas ansieht" was ihn" 308

zunächst nichts angeht.Man sollte nach dem Angeführten meinen, die Ahndungen 20

der Verbrechen müßten in der bürgerlichen Gesellschaft vielstrenger sein als in frühern Zuständen. Allein es zeigt sichgerade das Umgekehrte. Wenn die bürgerliche Gesellschaftverletzt wird, so ist sie dagegen etwas so Festes, daß dieVerletzung zu etwas Unbedeutendem heruntersinkt. Es 25

kann Zustände der bürgerlichen Gesellschaft geben, wo einkleines'" sehr gefährlich ist, und hier muß auch dessen Bestra­fung verhältnismäßig sein. Die Ahndung wird sich über­haupt immer nach dem Zustand der bürgerlichen Gesell-schaft I richten müssen. Die bürgerliche Gesellschaft ist 30 309

immer vollkommen berechtigt, die Strafe des Verbrechens zu

dadurch, daß die Äußerungen des Daseins meines Willens,wie sie oben betrachtet wurden, jetzt etwas Unbedeutendeswerden und zurücktreten. In der bürgerlichen Gesellschafterweitern sich die Mittel, wodurch ich etwas zum Anerkennt-

5 nis bringe, daß es das Meinige ist. Indem in der öffentlichenAutorität etwas als das Meinige anerkannt ist (ein Grund­stück in das Hypothekenbuch eingetragen), so ist die Unbe­stimmtheit der Formierung damit aufgehoben. Es tritt in derbürgerlichen Gesellschaft die Forderung ein, daß Handlun-

10 gen über Eigentum mit einer Form vorgenommen werden,die sich auf das Anerkennen der öffentlichen Autoritätbezieht'. Dies sind die Förmlichkeiten überhaupt, mit denen

305 dergleichen Erwerlbungen vorgenommen werden müssen.Das Eigentum in der bürgerlichen Gesellschaft beruht nun

15 vorzüglich auf Vertrag; die unmittelbaren Erwerbungen sindverhältnismäßig nur weniger bedeutend. - Die Förmlichkei­ten sind durchaus nichts Überflüssiges, sondern die vernünf­tige Weise, wodurch etwas ein Dasein hat, daß es das Meinigewird. Indem die Förmlichkeiten etwas Äußerliches sind, so

20 können dieselben sich nun wieder sehr weit verlaufen. Sogehörte zumal sonst zu einem sogenannten zierlichen Testa­mentE(I ) sehr viel. Von StrykE(2) erzählt man, er habe je Jahredarauf gesonnen, ein Testament zu machen, und sei dochnoch ohne Testament verstorben, weil er auf keine Form habe

25 kommen können, die ihm völlig unumstößlich erschienen.306 Das Verbrechen ist in der bürgerlichen IGesellschaft der Tat

nach nicht bloß Verletzung einer individuellen Sache odereines Individuums überhaupt. Das Verbrechen verletzt über­haupt das anerkannte Dasein der Freiheit, das Gelten der

30 Gesetze. Wer ein Verbrechen begeht, der spricht damit aus:Die Gesetze gelten nichts, dem allgemein Anerkannten spre­che ich Hohn. Das Verbrechen wird insofern schwerer, danicht nur die an sich seiende, sondern die daseiende Unend­I Orig. .beziehen-.

I Orig. -Andeurung.,2 KJammern eingefügt.3 Orig. -der-.

4 Orig. -ansehen-.5 Orig. -ihm-.

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bestimmen. Nach vieljährigen Kriegen ist es früher gesche­hen, wo die Heere unmittelbar nach dem Kriege entlassenwurden, daß die Verbrechen sich sehr häuften. In solchenZuständen ist eine Schärfung der gesetzlichen Strafen ganz

5 angemessen. In einem Zustand der befestigten Gesellschafthingegen werden die Strafen unmittelbar mild. Es findet soein ungeheurer Unterschied statt zwischen ehemaligen Straf­bestimmungen und den jetzigen.Das fernere ist nun die Verwirklichung des Rechts selbst, die

10 Gerichte. Das Gesetz, als allgemein gültiges Recht, steht dembesondern Meinen vom Recht und dem Ibesondern Wollengegenüber und hat sich dagegen geltend zu machen und zubehaupten. Das Gesetz ist das Recht, insofern es ist und sichverwirklicht. Die Gerichte sind also etwas an und für sich

15 Vernünftiges, etwas an und für sich Notwendiges. Es trittdarin das reine Wollen des Rechts als solches hervor. Es istfrüher von der rächenden Gerechtigkeit gesprochen worden.Diese kann gerecht sein, aber sie ist ihrer Form nach nichtdie Tätigkeit des Allgemeinen, welches hier wesentlich ist.

20 Das Gericht muß vorhanden sein, nicht als ein besonderesBelieben dieses oder jenes Individui, Es ist so überhauptdie Verwirklichung des Rechts. Die Gerichte nun, ihrergeschichtlichen Entstehung nach, mögen nun diese oderjene IForm gehabt haben; es kann der Ursprung derselben ein

25 patriarchalisches Verhältnis gewesen sein oder auch eineeigentliche Herrschaft, so daß es als ein besonderes Rechtangesehen wird, zu richten und Richter zu bestellen. Herrvon Haller, der ein großes Werk über die Restauration derStaatswissenschaft geschrieben hat, sieht die Rechtspflege

30 nicht als etwas Notwendiges an, sondern als eine bloßeGnade und Gefälligkeit der Rcgierenden.t In der Zeit desFaustrechts war es die herrschende Ansicht, daß jeder für sichRecht zu schaffen habe. Die Macht der Gerichte wurde alseine ungehörige Gewalttätigkeit angesehen. Die Entwicke-

lung der Rechtspflege ist eine wichtige Seite der Geschichte;einerseits nur die Privatrache, und andererseits nur Idas 312

Verhältnis, wo jeder meinte, er dürfe nicht vor Gerichtgezogen werden, sondern der Verletzte und dessen Familiehabe es mit ihm auszumachen. Die Einsicht des Gerichts ist es 5

nun, nicht die Einsicht der Parteien, welche zu entscheidenhat, was Recht ist, sowohl beim bloßen Zivilrechtsstreit alsauch beim Verbrechen. Es verliert sich damit die Form derRache unmittelbar; erst in der bürgerlichen Gesellschaft trittStrafe ein. Durch die Strafe wird überhaupt nur das Verbre- 10

chen negiert, als das gesetzt, was es ist. Durch die Strafeversöhnt sich also wahrhaft das Gesetz mit sich selbst; es stelltsich durch dieselbe wieder her und zeigt sich dadurch als einWichtiges, Geltendes. Ebenso wird das Gesetz in subjekti-ver IRücksicht, in Rücksicht auf die Verbrecher, eine Ver- 15 313

söhnung.Es muß nun jeder das Recht haben, vor Gericht zu stehen (jusstandi in judicio) und nur vom Gericht Recht zu nehmen.Wenn ich nicht vor Gericht stehen darf, so ist es nichtanerkannt, daß ich selbständig bin; ich bin überhaupt unter 20

Vormundschaft gesetzt. Auf einem solchen Verhältnisberuhte die Klientschaft'' in Rom. So waren in früherenZeiten in Deutschland die Leibeigenen und Hörigen nichtberechtigt, selbst vor Gericht zu erscheinen und ihre Rechtewahrzunehmen. - Das andere Moment ist, daß jeder vor 25

Gericht sich stellen muß und nicht Selbstrache nehmen darf.In den Zeiten des Faustrechts suchte jeder sein Recht durchseine eigene Faust, und wer ein Unrecht Ibegangen hatte, 314

behauptete oft, er habe dieselben Rechte wie der Verletzteund das Objektive und die Macht des Objektiven habe kein JO

Recht über ihn, es müsse also persönlich an ihm Rechtgesucht werden. Diese Bestimmung liegt z, T. noch beimDuell zum Grunde. Indem die Parteien vor Gericht stehen,so haben sie ihre Rechte darzustellen. Vor Gericht habe ich

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nun kein Recht, das ich nicht erweisen kann. Durch denRechtsgang werden nun die Parteien in den Stand gesetzt, ihrRecht geltend zu machen. Daß dieser Rechtsgang bestimmtsei, ist etwas sehr Wesentliches. Der ganze Rechtsgang

5 besteht aus einer Reihe von Handlungen und fällt somitwieder der Endlichkeit anheim. Der Gerichtsgang kann nun

315 wieder so verwickelt werden, daß es den IParteien verleidetwird, ihr Recht zu suchen. Der Reichsgerichtliche Prozeßwar so schleppend, daß es als eine Wohltat angesehen wurde,

10 wenn ein Land das jus de non appellando" erlangte. Esmüssen nun überhaupt Veranstaltungen vorhanden sein,wodurch es den Parteien überlassen wird, den weitläufigenProzeßgang zu verfolgen'r oder nicht. Es tritt so die Forde­rung der Billigkeitsgerichtshöfe ein. Dies sind Schiedsge-

15 richte, Friedensgerichte. Es ist eine löbliche' Anstalt, daßGerichte der Art vorhanden sind, von denen immer ersterkannt werden muß, bevor das förmliche Gericht einenRechtshandel annehmen darf. Besonders muß dieser Unter­schied vorhanden sein in Ansehung des Unterschiedes der

316 20 Stände. Der substantielle Stand Ihat überhaupt einfachereSitten. Die Reflexion, das Selbstwollen und Selbstsein ist beiihm2 nicht so fix geworden, und er begnügt sich deshalb miteinem einfacheren Rechtsgang. Die Engländer haben auchsolche Billigkeitsgerichte, wo die Richter überhaupt nach der

25 allgemeinen Lage der Umstände entscheiden, die sonstvorge­schriebenen Förmlichkeiten mögen nun vorhanden sein odernicht. Beim Rechtsprechen sind es immer die zwei Seiten, daßentweder der Fall genommen wird, wie er in seiner Besonder­heit ist, oder daß das interet de la loi, das Interesse des

30 Gesetzes, besonders herausgehoben wird. - Vor den engli­schen Billigkeitsgerichtshöfen findet es z. B. statt, daß, wennaußer einem Testament auch noch ein anderer Aufsatz

I Orig. -Iobliche-.2 Orig. -ihnen-.

t80

des IErblassers beigebracht wird, der nicht vollendet odersonst unvollständig ist, ein solcher gleichwohl als gültigbetrachtet wird, wenn nur überhaupt erhellt, daß der Auf­satz später entworfen worden ist als das Testament. Wenn ineinem wirklichen Falle Förmlichkeiten fehlen, so kann man, 5

im Interesse des Gesetzes sprechend, verlangen, daß eindergleichen mangelhaftes Instrument nicht gelten solle. Es isteine der größten Krankheiten in Ansehung des Rechtspre­chens wie in Ansehung des Handelns überhaupt, wenn voneinem einzelnen Falle sogleich auf das Ganze übergesprungen 10

wird. Es wird dadurch der Formalismus begründet, und es isteine anscheinende Weisheit, die sich in AufzäWung allgemei-ner Möglichkeiten gefällt.Ein Gegenstand, der in neuern Zeiten I besonders zur Sprachegekommen ist, ist die Öffentlichkeit der Rechtspflege und die 15

Geschworenengerichte. Der Rechtsgang muß überhauptebenso etwas Bekanntes sein alsdie Gesetze selbst. Je verwik­kelter der Rechtsgang ist, desto weniger hat er die Fähigkeit,bekannt zu sein. Es wird ein sehr verwickelter Rechtsgang zueiner Art von Mysterium, dem die Parteien sich blind unter- 20

werfen müssen. Es ist nun ferner der wirkliche Verlauf desRechtsganges etwas, das dem Einzelnen ebenfalls bekanntwerden muß. Indem das Recht und die rechtliche Entschei­dung das Interesse aller ist, so ist es auch das Interesse aller,daß die Rechtspflege öffentlich sei. Man kann nicht gerade 25

sagen, daß das Recht durch die Öffentlichkeit Ibesserverwal-tet werde. Es sind überhaupt zweierlei Interessen, einmal,daß an sich das Recht geschehe, und sodann, daß es auf eineandre Weise geschehe, daß darum gewußt wird. Das Rechtdes Selbstbewußtseins, die eigeneEinsicht, soll überhaupt auf 30

dieser Stufe gewährt werden. Daß das Recht an sich gespro­chen wird, gehört zunächst zur bürgerlichen Freiheit. Beihöherer Ausbildung der bürgerlichen Gesellschaft tritt aberdann die weitere Forderung ein, daß dem Selbstbewußtsein

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sein Recht durch die Öffentlichkeit der Rechtspflege wider­fahre. Man kann vielerlei Gründe für das eine und für dasandere beibringen; allein es ist immer nicht das Wesen derSache, welches dabei geltend gemacht wird.

320 5 Der Ausdruck »Geschworenengerichte« I ist aus der engli-schen Rechtsverfassung genommen. An einem Rechtsspruchsind zwei Seiten. Die eine ist die Erkenntnis des Falles nachseiner Besonderheit. Der Zivilstreit sowohl als das Verbre­chen bieten eine solche unmittelbare besondere Seite dar. Bei

10 einer solchen Handlung wie einem I Verbrechen ist nicht nurdie äußere Wirklichkeit zu qualifizieren, sondern auch dasInnere der Handlung, ob etwas ein Mord oder ein Totschlagsei u. dgl. Ein solcher Ausspruch ist immer noch keinUrteilsspruch. Die andere Seite ist nun aber, daß die Hand-

15 lung subsumiert wird unter das Gesetz. Die Richter sind alsdie, welche das Gesetz anwenden, Organe des Gesetzes, aber

321 nicht Maschinen desselben; denn es gehört ihrerseits IeineErkenntnis dazu, welches die wesentliche Seite an einerHandlung ist und unter welches Gesetz eine solche deshalb

'0 zu fassen ist. In der römischen Gerichtsverfassung fand sichder angegebene Unterschied auch. So ernannte der Prator'',der über das Recht entschied, noch einen Judex, um über dieWirklichkeit der Handlung zu entscheiden," Die Charakteri­sierung des Verbrechens kann nun nicht dem Belieben über-

25 lassen werden. In England ist es so dem Kläger gewisserma­ßen überlassen, ob er den Rechtshandel unter dem schwer­sten Charakter anhängig machen will oder unter einemmilderen. Wenn der Kläger die schwerere Qualifikationwählt und der Richter das Verbrechen nicht begründet findet,

J22 30 so kann der Richter oder der Kläger dann I nicht zu dergeringeren Qualifikation heruntersteigen. Dies ist nun einegroße Unvollkommenheit im gerichtlichen Verfahren. Wasnun die eigentliche Sache des Richters ist, so ist dieseI Orig. -ein-.

182

wesentlich dieses, daß er den ganzen Gang des Rechtshandelsleitet. Sodann liegt es unmittelbar in der Funktion desGerichts, daß es den Fall, wenn er feststeht, unter das Gesetzsubsumiert. Was nun das Erkennen des Falles in seinerunmittelbaren Einzelnheit angeht, so ist dies keine richter- 5

liehe Funktion, sondern eine solche, die jedem gebildetenMenschen überhaupt zukommt. Es können nun hierüberauch gesetzliche Bestimmungen gemacht werden, aber diesebleiben ganz im Allgemeinen. So kann z.B. bestimmt sein,daß I das Corpus delicti soll herbeigebracht werden; es kön- 10 mnen Bestimmungen über die Zeugen festgestellt werden u.dgl. Bei alledem' bleibt' immer noch eine Ungewißheit; undman mag Bestimmungen feststellen, soviel man will, darüber,wann' etwas für bewiesen erachtet werden soll, so wird dochdie Sache dadurch nicht im Allgemeinen erkannt. Weil es so 15

eine äußerliche Sache ist, die konstituiert werden soll, so fälltsie der allgemeinen Erkenntnis überhaupt anheim. DasErkennen dieses Äußerlichen ist es denn nicht allein, woraufes ankommt, sondern es ist, zumal beim Verbrechen, die Seiteder Einsicht und der Absicht ein wesentliches Moment. Hier '0

tritt also eine subjektive Seite hervor. Darüber können nunzwar gleichfalls I allgemeine Vorschriften angegeben werden; 324

aber die letzte Entscheidung fällt auch hier der subjektivenÜberzeugung, dem Gewissen anheim. Das Wissen in Anse-hung äußerlicher Dinge ist überhaupt die Gewißheit, nicht 25

Wahrheit; ebenso ist das Wissen über die Einsicht und dasWollen eines Individui nur subjektive Gewißheit. Auch dasGericht hat so, wo ihm nähere Bestimmungen, objektiveBeweismittel fehlen, seine Zuflucht zum Eid zu nehmen.Dieser ist ebenfalls nichts anderes als eine subjektive Berech- 30

nung, eine Versicherung; daß der Eid wahrhaft sei, dafür

I Orig. lallen deme.2 Orig. -bleibe es-.3 Orig. -wenne.

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bürgt das Gewissen dessen, der ihn ablegt. Im Eide wird dieVorstellung von Gott, diesem absolut Substantiellen, zu

325 Hilfe gerufen, in dem alle INichtigkeit und alle besonderenInteressen verschwinden. Der Eid muß um dieser Ursache

5 willen feierlich sein; die Hauptsache ist die Vorstellung, diedas absolut Wahre, Substantielle hervorbringen soll. Beialledem kann nun die Subjektivität sich gegen alles, was derEid enthält, verhärten und einen spröden, undurchdringli­chen Punkt dagegen bilden. Die Funktion der Erkenntnis des

10 äußern Tatbestandes und der soeben bezeichneten Innerlich­keit ist nun gar nicht juristischer Art, sondern sie fällt derallgemeinen Erkenntnis anheim. Die rechtsprechende Seiteist wesentlich durch den Richter dargestellt. Das Recht desSelbstbewußtseins nach dieser objektiven Seite ist darin

326 15 berechnet/', daß das Gesetz bekannt ist und daß das IRecht­sprechen öffentlich geschieht. Es ist aber noch die andereSeite an dem Fall, daß das Besondere entschieden wird. Nachdieser besonderen Seite hat das Selbstbewußtsein auch dasRecht, überzeugt zu sein, daß richtig geurteilt wird; hier ist

20 es, daß ich weiß, daß der Fall, den ich vor dem Gerichte habe,auch auf dieser Seite richtig entschieden worden ist. Diesberuht vorzüglich auf dem Zutrauen, welches vornehmlichdann vorhanden sein wird, wenn die, welche zu bestimmenhaben, mit mir auf gleicher Stufe stehen. Denn eshandelt sich

25 hier um die Besonderheit, die alle besonderen Verhältnisseder Person umfaßt; dies Besondere läßt sich nicht objektivbestimmen, sondern man muß selbst darin gelebt haben, um

327 sich dasselbe zu I eigen gemacht zu haben. Man kann sichwohl im allgemeinen eine Vorstellung von dem Besondern

30 machen, aber die Wichtigkeit desselben kann man sich nichtso zu eigen machen. Dies ist nun also der Hauptgesichtspunktbei dem Institut, welches man in neuern Zeiten besondersGeschwornengericht genannt hat. Es ist überhaupt wesent­lich, daß das, was dem Begriff nach unterschieden ist, auch

von verschiedenen Individuen ausgeübt werde, auf verschie­dene' Behörden verteilt werde. Da nun im Rechtsprechensich zweierlei so verschiedene Funktionen zeigen, so ist esnotwendig, daß dieselben auch auf die angedeutete Weise anverschiedene Personen verteilt sind. Das weitere ist das Rechtdes Selbstbewußtseins. Diese Seite ist es vornehmlich, welchedie I Geschwornengerichte zu einer so wichtigen politischen 328

Institution machte. Es ist bereits erwähnt, daß beim Beweisim gerichtlichen Verfahren die Subjektivität ein wesentlichesMoment ist'. Die Gewißheit, daß mir Recht widerfahren sei, 10

bezieht sich auf die Subjektivität derer, die über die Sacheentscheiden. Es kommt hier also besonders das Zutrauen zurSprache. Es müssen sonach über diesen Teil des Rechtshan-dels Männer zu sprechen haben, die mir nicht als Richtergegenüberstehen, sondern solche, die mit mir in gleichen 15

Verhältnissen stehen. Bei den Engländern wird die Einrich-tung der Geschwornengerichte für ein Palladium der Freiheitangesehen. In die besondere Subjektivität finden sich nurMänner hinein, die Imir näher stehen. Das Gericht alssolches 329

steht meiner Besonderheit immer gegenüber. Zum Richter- 20

amt gehört eine Weise der Ansicht, die das Objektive, dasRecht an sich zu ihrem Gegenstand macht. Wir trauen denRichtern deshalb mit Recht nicht die Einsicht in jene zweitewesentliche Seite des Rechtsspruches zu.Indem hiermit nun der wesentliche Gesichtspunkt der Sache 25

ausgesprochen ist, so können wir uns der Anführung der man­cherlei besonderen Gründe für und wider die Geschwor­nengerichte enthalten. Dergleichen einzelne Gründe könnenüber die Sache nichts entscheiden. Man kann namentlichgerade nicht sagen, daß das Recht an sich durch? bloße 30

Richter ohne Geschworne ebenso gut könne gefunden wer-

I Orig. svon verschiedenen..2 .isr. eingefügt.3 Orig. san sich nicht durch-.

18 5

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330 den als durch I Gerichte mit Geschwornen. Der aus demInstitut der Geschwornen fließende Vorteil würde wenig­stens immer nur ein indirekter sein. Ebenso mag man auchFälle anführen, daß Geschworne unpassend und schlecht

5 Recht gesprochen haben; so etwas kann aber nicht ent­scheiden. Übrigens werden schlechte Urteils sprüche derGeschwornen wegen der größern Publizität des Institutsleichter bekannt, und es können dieselben schon um deswil­len nicht mit den gewöhnlichen Gerichten verglichen wer-

10 den. Wenn man Beispiele anführt, so muß man dieselbennicht aus Zeiten nehmen, deren Sitten von den unsrigenwesentlich abweichen. Geschwornengerichte mögen vorhundert Jahren allerdings manche harte und übereilte Urteile

331 gefällt haben; I aber auch die Urteile der anderen Gerichte1S waren damals oft barbarisch. Im Mittelalter sind Hunderte, ja

Tausende wegen Zauberei durch die deutschen Gerichte,wobei nach römischem Rechte und nach römischem Verfah­ren gesprochen wurde, zum Tode verurteilt worden. Es istwohl anzunehmen, daß vor Geschwornengerichten weniger

20 Greuel der Art, oder wenigstens nicht so lange, würdenvorgekommen sein.Es müssen also zuerst verständliche und öffentlich zugängli­che Gesetzbücher vorhanden sein, damit das Recht gekanntwerden kann. Ferner muß der Rechtsgang bekannt sein; um

25 deswillen ist öffentliche Rechtspflege erforderlich. Und fer­ner ist zu wünschen, daß die Rechtspflege zwischen Richter

332 und Geschwornen geteilt Iwird. - Wenn die Gesetze unvoll­ständig sind und der Rechtsgang verwickelt ist', so stehen dieBürger in einer Art von Vormundschaft; und wenn es ein

30 besonderer Stand ist, in dessen Händen sich die Rechtspflegebefindet, so übt ein solcher Stand ein Herrenrecht gegen dieBürger aus, und diese sind gewissermaßen dessen Leibei­gene.I -is« eingefügt.

186

c. Die Polizei

Das erste in dieser Sphäre war also die Erhaltung der Beson­derheit als solcher; das zweite war, daß diese Besonderheit zueinem Substantiellen erhoben wurde, die Seite der Freiheit indem besonderen Dasein. Dies ist aber nur das abstrakte 5

Recht; diesem gegenüber steht das Wohl. Es ist also eindrittes, welches das IAllgemeine und das Besondere verei- 333

nigt; dieses wäre insofern Sache der Idee. Vereinigung desbesonderen Willens mit dem an und für sich Allgemeinen.Dieses dritte kann nun überhaupt die Polizei genannt wer- 10

den, der Staat, insofern er sich auf die bürgerliche Gesell-schaft bezieht. Die Zufälligkeit bleibt hier noch auf mancher-lei Weise. Wir haben gesehen, wie die Besonderheit desEinzelnen durch seine natürlichen Verhältnisse bedingt ist.E

Der Einzelne kann zur Arbeit unfähig sein, der Zweig der 15

Industrie, dem er sich gewidmet hat, kann durch die öffentli-chen Verhältnisse in Abnahme kommen, und es kann so einegroße Menge von Menschen in Bedrängnis geraten. Ebensoist in der Rechtspflege der Fall, daß dieselbe zwar dasgeschehene Unrecht durch die IStrafe aufhebt, daß dabei aber 20 334

die Zufälligkeit der Beleidigung noch nicht aufgehoben ist.Alle diese Zufälligkeiten sind zu entfernen. Das Aufheben derZufälligkeitenkann nun auch selbst auf! eine zufällige Weisegeschehen, nämlich durch den besonderen Willen der Indivi-duen. Das zweite ist, daß dies Aufheben der Zufälligkeit auf 25

eine allgemeine Weise geschieht, welche zunächst eine äußereGewalt ist. Das dritte ist, daß dies auf eine wahrhaft inner-liche Weise geschieht.Durch die Rechtspflege wird nicht die Besonderheit verwirk­licht. Die Notwendigkeit in Rücksicht auf die Besonderheit 30

ist eine äußere Notwendigkeit, die aber in Beziehung auf dasIndividuum nur eine Möglichkeit ist. Das Vermögen derI Orig. -durch..

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335 bürgerlichen I Gesellschaft iSI für das Individuum nur eineMöglichkeit; das Recht ist dagegen durch die Rechtspflegeeine Wirklichkeit. Es handelt sich jetzt auf dieser Stufedarum, daß das Individuum auch nach seiner Besonderheit als

5 Person betrachtet wird. - Die Zufälligkeit im Besondem kannnun beseitigt werden unmittelbar durch das Besondere selbst.Dies ist die moralische Seite. Dem moralischen Individuo istsein eigenes Wohl und das Wohl anderer Zweck. Die Men­schen helfen so einander in ihrer Not und befördern ihr Wohl

10 gegenseitig.Die Beseitigung des Zufälligen durch das Beson­dere ist selbst Zufälligkeit.1K Diese Weise der Beseitigung istein bloßes Sollen. Bei diesem Sollenkann die Philosophie sich

33(, nicht aufhalten; ebensolwenig kann eine vernünftige Wirk­lichkeit dabei stehenbleiben. Die bloße Reflexionsphiloso-

15 phie hat zum letzten Resultat das Sollen, ein Bemühen u. dgl.Die Philosophie als Schulweisheit mag sich nun mit einemsolchen Sollen begnügen; allein in der Wahrheit kann mandabei nicht stehenbleiben.Man hört von diesem Standpunkt aus vielerlei sprechen, und

20 je mehr man sich im Wenn und Sollen' ergeht, um so mehrmeint man gesagtzu haben. Je mehr man überhaupt von Geistsprechen hört, um so geistloser ist es gewöhnlich. Der Geistist dies, daß das bloß Innere zu einem Objektiven wird. Aufdie Gesinnung, den Geist, die Freundschaft u. dgl. das

25 Vernünftige ankommen zu lassen, ist gerade geistlos. Der337 Geist soll als Notwendigkeit der Freiheit sich Idarstellen,

nicht als eine Zufälligkeit, die im Gemüte bleibt. Bei demZufälligen der Gesinnung, soweit es im einzelnen Wert habenmag, kann nicht stehengeblieben werden. Man kann nun

30 wohl sagen, man wolle sich durch andere, äußere Mittelhelfen, weil man dem Geiste in der Gesinnung nicht traue,

I Im Orig. folgt derSatz: -Diese Weiseder Beseitigung des Zufälligen durchdas Besondre ist selbst Zufalligkeit.,

2 Orig. >Wenn< und -Sollen- kleingeschrieben und unterstrichen.

188

und doch komme auf diesen alles an. Es gibt indessen ohnewahrhafte Einrichtungen und Gesetze in einem Staate garkeine wahrhafte Gesinnung. Wenn man im ganzen betrach-tet, was das Individuum alssolches gegen das Individuum tunkann, so erscheint dies als sehr unbedeutend gegen das, was 5

vernünftige Staatseinrichtungen, eine vernünftige Konstitu­tion dem Individuo gewähren können. Für sich selbst sind inden Verwickelungen Ider bürgerlichen Gesellschaft viele 338

gemeinschaftliche Bedürfnisse, für deren Befriedigung alsoauch auf eine gemeinschaftliche oder allgemeine Weise 10

gesorgt werden muß. Diese Sorge für das Allgemeine alssolches kommt also der allgemeinen Regulierung zu. DasBesondere soll also auf eine allgemeineWeise geschehen, d. h.das Wohl aller Einzelnen soll zu seiner Befriedigung kom-men. Die Vorsorge dieser Stufe ist zugleich auch eine äußerli- 15

ehe Vereinigung, eine äußerliche Ordnung. Es sind zunächstZwecke, die sich selbst auf die Äußerlichkeit beziehen und indieser erreicht werden. Das Allgemeine scheint nur noch indas Besondere, und die Macht, welche diese Allgemeinheitbetätigt, ist darum auch Inur eine äußere Macht. Der nähere 20 339

Gegenstand dieser Vorsorge ist in der speziellen Wissenschaftder Polizei zu betrachten. - Der Zufälligkeit in Ansehung desRechts wurde schon erwähnt. Es hängt vom Besondern ab,daß die Verbrecher vor Gericht gebracht werden, und diesesliegt der Polizei ob. Indem nun ferner die Verhütung der 25

Verbrechen Gegenstand dieser Vorsorge sein muß, so sind zudiesem Ende Beschränkungen nötig bei Handlungen, diesonst als ganz rechtlich betrachtet werden können. Handlun-gen der Art treten überhaupt in die Außenwelt heraus, sieverwickeln sich in einem äußern Zusammenhang, und es 30

kann anderen dadurch Schaden oder Unrecht geschehen.Dies ist zunächst nur eine Möglichkeit. Die Seiteder Zufällig-keit von erlaubten IHandlungen hinwegzunehmen, wird 340

ebenso ein Gegenstand polizeilicher Vorsorge. Es liegt darin

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auch ein Grund polizeilicher Strafgerechtigkeit. Wegen derMöglichkeit weiterreichender Beziehungen in der Ausübungmeines Rechts ist es zufällig, ob ich andern Schaden tue odernicht. Die Polizei hat also dafür zu sorgen, daß ich Rücksicht

5 nehmen muß auf die Möglichkeit, andere zu verletzen. EineGrenze ist hierin nicht zu setzen. Man kann bei allem, wasgeschieht, einen Schaden aufzeigen, der daraus erfolgenkann. Hier sind es die Sitten überhaupt, die Gefahr desAugenblicks und eine gewisse Billigkeit, welche nähere

10 Bestimmungen macht.In der Befriedigung der Bedürfnisse finden sich gemein-

341 schaftliehe I Interessen. Für diese zu sorgen, reichen einigehin, und allen anderen wird dadurch die Mühe, gleichfallsdafür zu sorgen, erspart. Wer etwas einkauft, hat das Inter-

15 esse, solide Waren und zu einem guten Preise zu erhalten.Ebenso haben die Individuen das Interesse, daß gewisseMit­tel immer in gehöriger Quantität vorhanden sind. Es ergibtsich daraus, daß gemeinsameAnstalten für alle solche Mühenund Geschäfte getroffen werden. Die Einzelnen ersparen so

20 unendlich viel Zeit und Mühe. Zugleich wird aber denen, diesich mit so etwas beschäftigen, die Zeit genommen, für ihreübrigen Bedürfnisse zu sorgen. Brücken und Straßen sindferner solche gemeinschaftliche Bedürfnisse. Die Erleichte­rungen durch das Gemeinschaftliche sind gar nicht zu berech-

342 25 nen. Die Vorteile I gehen hier ganz ins Ungemessene.Unter Polizei sind hier auch überhaupt die Verwaltungsbe­hörden verstanden. Die ganze Sphäre der bürgerlichenGesellschaft ist die Stufe des Verhältnisses überhaupt. Wennder Staat in diesem Sinne gefaßt wird, so entsteht der bloße

30 Polizeistaat. Fichte hat vornehmlich den Staat so gefaßt.Der Staat hat nach Fichtes Darstellung das Ansehen einergroßen Galeere. Nach Fichtes Staat soll jeder immer einenPaß bei sich führen, bei verdächtigen Personen aber solle dasPortrait auch im Passe befindlich sein.E Es ist der Staat hier

überhaupt im Sinne einer äußerlichen Ordnung gefaßt. Wenndas Allgemeine sich auf eine so äußerliche Weise gegen: dieEinzelnen geltend macht, so wird dasselbe leicht hart emp-funden. I 343

Es ist bei dieser Partie viel in die Art und Weise der 5

Ausführung gelegt, und es kommen also hier die Sitten undder Kulturzustand eines Volks besonders in Betracht. Wenndie Tätigkeit der Polizei sich in das Innere der Familie mischt,so wird sie hier am empfindlichsten gefühlt. Das Gemütloseder Römer zeigt sich auch auf dieser Seite in der Wirksamkeit 10

der Zensoren, deren Wirksamkeit sich tief in das Innere derFamilienverhältnisse erstreckte. Das harte Übel der Familien­knechtschaft sollte so durch ein zweites Übel gemildertwerden.Die allgemeinen Veranstaltungen gehören zu dem großen 15

Vermögen, das jeder an der bürgerlichen Gesellschaft hat;aber sie sind darum eben nur für das Individuum eineMöglichkeit. Es bleibt so noch die Seite übrig, daß dasIndividuum nur die Möglichkeit I hat, seine Bedürfnisse zu 344

befriedigen, daß aber die Befriedigung noch nicht als Wirk- 20

lichkeit erscheint. Es entsteht hier die Frage, ob das Indivi-duum von der bürgerlichen Gesellschaft mit Recht verlangenkann, daß sie für seine Besonderheit sorge. Das Individuumhat ein Recht an die Rechtspflege, ebenso an die Teilnahme anden öffentlichen Anstalten; aber es hat auch dieses Recht nur 25

bedingt, nämlich unter der Bedingung seiner Geschicklich-keit. Nach dieser Seite hat zunächst die bürgerliche Gesell-schaft die Möglichkeit der Befriedigung der Bedürfnisse desIndividui. In der Familie ist es anders; hier wird die eigeneTätigkeit des Kindes nicht als die erste Bedingung der Teil- 30

nahme an den Vorteilen der Familie in Anspruch genommen.Das Individuum, indem es in die bürgerliche I Gesellschaft 345

getreten ist, ist in das Verhältnis zu einem Ganzen getreten,das die Stelle der Familie für dasselbe übernimmt. Im patriar-

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folgt daraus 1 die Befugnis der bürgerlichen Gesellschaft, I dieEltern anzuhalten, ihren Kindern eine dementsprechendeErziehung zu geben. Die Kinder sind einmal Kinder derFamilie und sodann auch Kinder der bürgerlichen Gesell­schaft in dem angeführten Sinn. Elternlose Kinder fallen von 5

Rechts wegen der Sorge der bürgerlichen Gesellschaftanheim. Verschwender, die sich unfähig machen, sich undihre Familie zu erhalten, müssen von der bürgerlichen Gesell­schafrZ K beschränkt und in Zucht genommen werden. Diebürgerliche Gesellschaft hat nun vornehmlich die Pflicht, für 10

die Erhaltung des öffentlichen Vermögens zu sorgen. Sie hatin dieser Hinsicht zunächst für die Armen zu sorgen, undebenso liegt es ihr ob, ihre Wirksamkeit auf den Pöbel zuerstrecken. - Die I Entstehung der Armut ist überhaupt eineFolge der bürgerlichen Gesellschaft, und sie ergibt sich im 15

ganzen notwendig aus derselben. Es häuft sich so Reichtumohne Maß und Grenze an der einen und Not und Elend ander anderen Seite. Die Vermehrung des Reichtums und derArmut hält gleichen Schritt. Die Notwendigkeit dieserErscheinung besteht darin, daß die Arbeiten zur Befriedigung 20

der Bedürfnisse abstrakter werden. Sie können so leichterhervorgebracht werden, wie bereits erwähnt wurde. DerKreis des Erwerbes dehnt' sich damit aus und so auch derKreis des Gewinnes. Das konkrete Gewerbe hat einenbeschränkten Kreis von Individuen, den es befriedigt. An die 25

Stelle der abstrakten Arbeit tritt, wie wir sahen, dieMaschine. Dadurch werden die Wirkungen der abstrak-ten IArbeit noch vermehrt; die konkreten Gewerbe werdenso heruntergebracht. Die Reichtümer häufen sich' bei denInhabern der Fabriken. Wird vollends für den Staat gearbei- 30

tet, so ist jene Anhäufung von Reichtümern noch bedeuten-

346

347

chalischen Verhältnis bleibt die Familie fortwährend das alleeinzelnen Glieder Umfassende. - In der bürgerlichen Gesell­schaft wird dies Verhältnis ein anderes. Indem sie das Vermö­gen des Individui ausmacht, so hat sie zuerst die Pflicht, dafür

5 zu sorgen, daß demselben diese Möglichkeit erhalten wird.Dies ist die höhere Sorge, welche der Verwaltung obliegt. Siehat so dafür zu sorgen, daß den Individuen Möglichkeitgegeben ist, durch Arbeit das Ihrige zu verdienen. WennArbeitlose vorhanden sind, so haben diese ein Recht zu

10 fordern, daß ihnen Arbeit verschafft wird. Die bürgerlicheGesellschaft Ihat aber dann ferner die unbedingte Pflicht, fürdas Individuum, welches unfähig ist, sich zu erhalten, Sorgezu tragen. Denn sie ist der wesentliche Grund und Boden, aufwelchem1 das Individuum nach der Seite seiner Besonderheit

15 ruht. Die bürgerliche Gesellschaft ist so objektive Totalität,und indem sie die Substanz ausmacht für diese Sphäre derBesonderheit, so steht das Individuum in Beziehung zu ihr alsdem substantiellen Ganzen. In diesem Wesen hat also dasIndividuum nicht nur Beziehungen der Einzelnheit, sondern

20 es bezieht sich darauf wesentlich. Das besondere Individuumsteht mit einer Menge anderer besonderer Individuen imVerhältnis, aber diesesVerhältnis I ist immer nur ein einzelnesund vorübergehendes. So kann man sich zunächst auch dasVerhältnis der bürgerlichen Gesellschaft zum Individuo vor-

25 stellen. Es würde hier nur ein Verhältnis der Besonderheit zurBesonderheit vorgestellt. Das Verhältnis ist indes einVerhält­nis der Besonderheit zum allgemeinen Wesen. Die bürgerli­che Gesellschaft, wenn sie bloß für das Allgemeine sorgt, sobleibt der Gebrauch desselben nur eine Möglichkeit. Die

30 Individuen sind einzelne Individuen, und es muß für sie alsEinzelne gesorgt werden. Die Individuen müssen zuerst alsodie Geschicklichkeit erwerben, durch Teilnahme an demallgemeinen Vermögen ihre Bedürfnisse zu befriedigen. EsI Orig. -welchen-.

I Orig. -Es folgt daraus daß<;>daß< durchgestrichen.

2 Orig. -Pamiliec

193

3 Orig. -dreht-.4 Im Orig. folgt -auf der-,

durchgestrichen.

348

349

350

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der durch die Geschäfte der Lieferanten und der Fabrikunter­nehmer . Indem sich hier Reichtümer sammeln, so wird durchdie gesammelten Kapitalien die Möglichkeit zur Ausdehnungdes Geschäfts noch vermehrt. Die Besitzer großer Kapitalien

5 können mit einem geringem Gewinn zufrieden sein als die,deren Kapitalien geringer sind. Es ist dies ein Hauptgrund desgroßen Reichtums der Engländer. Mit der Anhäufung derReichtümer entsteht das andere Extrem, Armut, Not und

351 Elend. In I England wird die Arbeit von vielen hunderttau-10 send Menschen durch Maschinen vollbracht. Indem ferner

die Industrie eines Landes sich mit ihren Erzeugnissen weitauf das Ausland erstreckt, so wird das Gedeihen einzelnerZweige der Industrie dadurch vielen Zufällen preisgegeben.Auf alle diese Weise häuft sich die Not und die Armut.

15 Zugleich werden die Individuen durch die Teilung der Arbeitimmer abhängiger. - Die Armut ist nun ein Zustand in derbürgerlichen Gesellschaft, der nach jeder Seite hin unglück­lich und verlassen ist. Nicht nur die äußere Not ist es, die aufdem Armen lastet, sondern es gesellt sich dazu auch morali-

20 sehe Degradation. Den Armen fehlt so größtenteils der Trostder Religion; sie können die Kirchen oft nicht besuchen, weil

352 es ihnen an Kleidern I fehlt oder weil sie auch an dem Sonn­tage arbeiten müssen. Die Armen nehmen ferner Teil aneinem Gottesdienst, der für ein gebildetes Publikum haupt-

25 sächlich berechnet ist. Christus sagt dagegen: Den Armenwerde 1 das Evangelium gepredigt.f Die Universitätsbildungder Geistlichen ist selbst großenteils von der Art, daß dieLehrer der Religion mehr gelehrt" reden, als fähig sind', zumHerzen zu sprechen und das Innere zu offenbaren. - Ebenso

30 wird ferner dem" Armen auch der Genuß der Rechtspflegeoft sehr erschwert. In Ansehung seiner Gesundheitspflege ist

er ebenso übel daran. Wenn auch für ihn bei eigentlicherKrankheit gesorgt ist, so fehlt es ihm doch meist an dem, wassonst zur Erhaltung und Pflege Ider Gesundheit erforderlich 353

ist. Wollte man den Armen an den Genuß ' an den Hervor­bringungen der Kunst verweisen, so fehlen ihm gleichfallsdie 5

Mittel zu solchem Genuß, und er müßte eine solche Verwei-sung als Verhöhnung betrachten. - Noch ein ganz andererZwiespalt tritt beim Armen ein, der Zwiespalt des Gemütsmit der bürgerlichen Gesellschaft. Der Arme fühlt sich vonallem ausgeschlossen und verhöhnt, und es entsteht notwen- 10

dig eine innere Empörung. Er hat das Bewußtsein seiner alseines Unendlichen, Freien, und damit entsteht die Forde-rung, daß das äußere Dasein diesem Bewußtsein entspreche.Es ist in der bürgerlichen Gesellschaft nicht eine bloßeNaturnot, mit der der Arme zu kämpfen hat; die Natur, 15

welche der Arme I sich gegenüber hat, ist nicht ein bloßes 354

Sein, sondern mein Wille. Der Arme fühlt sich als2 sichverhaltend zur Willkür, zur menschlichen Zufälligkeit, unddies ist das Empörende in der letzten Analyse, daß er durchdie Willkür in diesen Zwiespalt gesetzt ist. Das Selbsrbe- 20

wußtsein erscheint zu dieser Spitze getrieben, wo es keineRechte mehr hat, wo die Freiheit kein Dasein hat. Auf diesemStandpunkte, wo das Dasein der Freiheit etwas ganz Zufälli-ges wird, ist die innere Empörung notwendig. Weil dieFreiheit des Einzelnen kein Dasein hat, so verschwindet 25

damit das Anerkennen der allgemeinen Freiheit. Aus diesemZustande geht jene Schamlosigkeit hervor, wie wir sie imPöbel finden. Der Pöbel entsteht vornehmlich in der auslge- '55

bildeten bürgerlichen Gesellschaft. Wenn die Individuennicht bis zum Selbstbewußtsein ihres Rechts fortgegangen 30

sind, so bleiben sie in der unbefangenen Armut stehen. Diese

I Orig. die Lesart -wurde- ist mög­lich, aber sehr unwahrscheinlich.

2 Orig. -gelahrt-.

'94

3 -sind- eingefügt.4 Orig. -den.,

I Orig. steht hier ein Komma.2 Orig. -also-, Konjektur nur

überwiegend wahrscheinlich.

'95

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5

unbefangene Armut geht wenigstens zu der Arbeitslosigkeitfort, die gewohnt ist, herumzulummern. Damit gehen dieModifikationen des Selbstgefühls überhaupt verloren. Neidund Haß entsteht so bei den Armen gegen die, so etwas

5 haben.Wir haben früher das Notrecht betrachtet als sich auf einmomentanes Bedürfnis beziehend.E Hier hat die Not nichtmehr bloß diesen momentanen Charakter. In dieser Entste­hung der Armut kommt die Macht des Besonderen gegen die

10 Realität des Freien zum Dasein. Es liegt darin, daß dasunendliche Urteil des Verbrechers herbeigeführt ist. Das

356 Verbrechen kann wohl i bestraft werden, aber diese Bestra­fung ist zufällig. In der Vereinigung der Substanz in ihremganzen Umfange liegt eineVereinigung des objektiven Rechts

15 überhaupt.f Wie nun auf der einen Seite die Armut' zumGrunde liegt zur Pöbelhaftigkeit\ der Nichtanerkennungdes Rechts, so tritt auf der andern Seite in dem Reichtumebenso die Gesinnung der Pöbelhaftigkeit auf2. Der Reichebetrachtet alles als käuflich für sich, weil er sich als die Macht

20 der Besonderheit des Selbstbewußtseins weiß. Der Reichtumkann so zu derselben Verhöhnung und Schamlosigkeit füh­ren, zu der der arme Pöbel geht. Die Gesinnung des Herrnüber den Sklaven ist dieselbe wie die des Sklaven. Der Herrweiß sich als die Macht, so wie der Sklave sich weiß als die

357 25 Verwirklichung der Freiheit, der Idee. Indem der Herr Isichals Herr über die Freiheit des Andern weiß, so ist damit dasSubstantielle der Gesinnung verschwunden. Es ist hier dasschlechte Gewissen nicht nur als innerliches, sondern als eineWirklichkeit, die anerkannt ist.

30 Diese beiden Seiten, Armut und Reichtum, machen so dasVerderben der bürgerlichen Gesellschaft aus. Es ist dieForderung, daß allen ihre Existenz gesichert sei. Die nächste

I Orig. >Wie nun auch die eine Seite in der Armure2. -auf eingefügt.

Hilfe ist direkt den physisch Unfähigen zu gewähren. Was dieHilfe gegen die eigentlichen Armen betrifft, so kann manzunächst glauben, dieselbe' müsse auch direkt gereicht wer­den durch eine Abgabe der Reichen an die Armen. So wird inEngland eine Armentaxe von 9 bis 10 Millionen Pfundbezalrlt. Diese Hilfe macht indes das Übel nur ärger. Was denPöbel als solchen betrifft, so Ikönnte man glauben, diesermüsse auf disziplinarische Weise gebändigt werden; alleindadurch würden die wesentlichen Rechte der Bürgergekränkt werden. Der Mangel an Arbeit ist, wie bemerkt '0wurde, ein Hauptumstand, der die Armut herbeiführt. Estritt bei einem gedeihlichen Zustande der Kultur immer eineÜbervölkerung ein. Wenn der Armut Gelegenheit zur Arbeitgegeben wird, so wird dadurch nur die Menge der Warenvermehrt. Nun aber ist es gerade der Überfluß von Waren2K, 15der den Mangel an Arbeit herbeigeführt hat. Wenn die Warenwohlfeiler gegeben werden, so werden dadurch die Gewerberuiniert. Geben die Reichen den Armen direkt Unterstüt­zung, so können sie weniger auf Bedürfnisse verwenden, undes leidet dadurch wieder eine andre Klasse. IEbenso entstehtdurch eine direkte Unterstützung der Armen die völligeDegeneration derselben. Es wird so notwendig zu einemRecht, daß derjenige, der nichts hat, unterstützt wird. Soverschwindet das Selbstgefühl, durch seinen Fleiß und seineArbeit leben zu wollen. Durch dieses Recht tritt jene Scham- 25losigkeit ein, die wir in England sehen. Da, wo in Englandkeine Armentaxen sind, da sind die Armen immer nochgesitteter und zur Arbeit geneigter. In Rücksicht auf dieArmut ist es überhaupt das Vermögen, welches der bürger­lichen Gesellschaft fehlt. Vom direkten Vermögen und von 30direkter Unterstützung wurde soeben gesprochen. Dieandere Art von Vermögen ist die Gelegenheit zu arbeiten;I Orig. -dasselbe-.2. Orig. -Arbeie.,

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entschiedenen Zunehmen sind. Daß Amerika unabhängigvon England geworden ist, wurde vormals als ein Unglückfür England betrachtet. Allein es hat sich gezeigt, daß diesesEreignis für Englands Handel und Gewerbe höchst wohltätiggeworden ist. - Die Frage ist nun, wo Boden für Kolonien zufinden I ist. Dies ist im allgemeinen eine empirische Frage. Esist nur zu sagen, daß der Boden jenseits des Meeres zu suchenist. Das Meer ist überhaupt das Naturelement der Industrie,zu dem die bürgerliche Gesellschaft in ihrer Ausbildunghinstreben muß. Die bürgerliche Gesellschaft ist einerseits zuarm, um ihre Armen zu erhalten. Dies hat auf der andern Seitedie Bedeutung, daß die bürgerliche Gesellschaft zu reich ist.Eben die Armut der Arbeitenden besteht darin, daß das, wassie produzieren, keine Abnehmer findet. Es ist so zuvielKapital vorhanden, und es wird mehr produziert, als dieNation verzehren kann. Um dieses Überflusses willen mußdie bürgerliche Gesellschaft suchen, daß sie! ihren Handelausbreite. Damit kommen die Armen Iwieder zur Arbeit undzur Möglichkeit, ihre Subsistenz zu gewinnen. Die bürger­liche Gesellschaft strebt so überhaupt über sich hinaus, 20

zunächst auf diese äußerliche Weise in Anlegung von Kolo­nien. Diesem Übersichhinausgehen liegt nun unmittelbar dieGewinnsucht zum Grunde. Das Höhere ist indes, daß derHandel der Weg ist, die rechtliche Weise, wie Nationen inBeziehung miteinander kommen. Barbaren sind zunächst im 25

feindlichen Verhältnis gegeneinander; sie sind für sich undbilden so einen das Andere von sich ausschließenden Punkt.Die in Handelsbeziehung miteinander Kommenden erken­nen einander zuerst als rechtliche Personen, als Eigentümeran. So kommen die Menschen auf eine I äußerliche, empiri­sche Weise zur Allgemeinheit und Anerkennung. DasBekanntwerden mit andern Nationen ist eines der wichtig­sten Momente in der Bildung der neuern Welt. Die MenschenI Im Orig. folgt -sich-, durchgestrichen.

allein auch diese hat die bürgerliche Gesellschaft den Armen360 nicht zu bieten. IWas im Großen bewirkt wird und was die

Hilfe in großen Massen betrifft, das muß da studiert werden,wo sich Massen zeigen wie in England. Um dem Übel der

5 Armut abzuhelfen, kann von religiösen Anstalten nichtunmittelbar die Rede sein. Die religiöse Wirksamkeit vermagnichts gegen die unmittelbare Natur und Notwendigkeit derSache. Es muß also den Menschen zu den dringendstenBedürfnissen geholfen werden. Der bürgerlichen Gesell-

10 schaft fehlt also im allgemeinen das Vermögen, der Armutabzuhelfen. Sie kann nur Hilfe finden in einem Vermögen,das nicht ihr eigenes ist; dies andere Vermögen ist dasGrundeigentum. Dies hat sie nicht in sich selbst, sondern sie

361 muß sich nach einem Andern umsehen. So ist die Notlwen- .15 digkeit der Kolonisation gegeben. In allen Völkern, auf

verschiedenen Stufen, findet das Bedürfnis der Kolonisationstatt. Man findet dies Bedürfnis selbst bei ackerbauenden,Viehzucht treibenden Völkern. Solche Völker sehnen sichz.T. nur nach den Genüssen gebildeterer Völker. So sind die

20 Völkerwanderungen aus dem rnittlern Asien nach Indienebenso wie die Wanderungen in Europa. Das allgemeine,höhere Prinzip ist, daß die Völker einen Zustand erreichen,wo die Bürger nicht mehr auf eine genügende Weise lebenkönnen. Kolonien müssen auf einem freien Fuß gebildet

25 werden wie bei den Griechen. Es muß ihnen wenigstensder Anfang eines freien, bürgerlichen Zustandes gegeben

362 werden. In neuern Zeiten I sind die Kolonien vorzüglichin dies Verhältnis zum Mutterlande gesetzt worden, daßsie mit keinem Lande als mit diesem Handel treiben

30 durften.Durch Kolonisationen wird das Doppelte erreicht, daß dieVerarmten Eigentum erhalten und daß durch diese zugleichfür das Mutterland ein neuer Markt gebildet wird. Englandhat so Kolonien in Amerika angelegt, die noch immer im

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kommen dadurch aus ihren bornierten Vorstellungen heraus.Das Reisen ist daher schon von jeher als Bildungsmittelbetrachtet worden. Das größte äußerliche Mittel der Verbin­dung ist das Naturelement des Meeres; dieses ist die breite,

5 ungeheure Straße, wodurch die Menschen in Verbindungmiteinander treten. Es hat eine Zeitlang, besonders bei denFranzosen, der oberflächliche Gedanke geherrscht, daßFlüsse natürliche Grenzen wären. Flüsse und Meere sindgerade das die Menschen Verbindende. Land und Gebirge

366 10 scheiden weit I mehr. Dänemark und Norwegen waren ver­bunden, Liefland und Schweden, England und Frankreich,Griechenland und Kleinasien. Ein jedes Volk, das zu einergewissen Stufe der Bildung kommt, muß sich notwendig andas Meer drängen. Ein Volk, das im Binnenlande bleibt, kann

15 zu keiner freien Kultur gelangen.Die Ägyptier und die Indiersind in einer innern Verdumpfung geblieben, weil sie denSeehandel entbehrten. Beide haben den Tierdienst und dieKasteneinteilung miteinander gemein. Sodann haben dieseVölker ungeheure Werke der Kunst hervorgebracht, aber

20 nicht als freie Erzeugungen, sondern als Werke des Despotis-367 mus. Das Meer ist I für den Handel das Höchste; es erweitert

die Brust, und in der Sucht nach dem Gewinn entsagt der, derihm nachgeht, zugleich dem eigennützigen Zweck. Das Meerund die Befahrung desselben machen gleichsamdie Poesie des

25 Handels aus; es entsteht hier eine Tapferkeit, zu der derHandel in sich selbst fortschreitet. Es entsteht durch denHandel die Vorstellung von der Allgemeinheit der Menschen;die Besonderheit der Nationen, ihrer Sitten und ihrer Kulturpp. verschwinden. Es bleibt der allgemeine Gedanke, daß alle

30 Fremden Menschen sind. Der Trieb, über das Meer hinüber­zugehen und die Grenzen zu überschreiten, entsteht durchden Handel. Der Mensch geht darauf aus, dadrüben nicht einAnderes zu lassen und dieses ungeheure, unindividualisierte

368 Element des Meeres sich zu Iunterwerfen. Dazu führt die

200

einfache Bemerkung'", daß das Holz spezifisch leichter ist alsdas Wasser. Früher sind die Europäer, die Spanier undPortugiesen und ebenso die Holländer zu den fremdenVölkern noch mit der Borniertheit gekommen, daß jeneVölker ein Schlechteres wären als sie. Erst durch die Englän- 5

der, die vom Menschen als Gedanken ausgegangen sind, istdie ganze Welt in allgemeine Beziehung gesetzt worden. DasBinnenland, das mit keinem Meere in Beziehung steht, bleibtin sich dumpf und verschlossen. Es entsteht durch dieBedürfnisse und den Handel ein Weltinteresse; die Weltge- 10

schichte zeigt die Seiten des sittlichen Ganzen, der Welthan-del zeigt die Seiten des Verhältnisses als solche. Zugleich I 369

geht die bürgerliche Gesellschaft, indem sie ihren Gewinn,ihr Eigentum der Gefahr aussetzt, über ihr Prinzip hinaus.Der Trieb des Gewinns schlägt in sein Gegenteil, die' 15

Tapferkeit, um. Wenn die Moral ein Geschrei darübererhebt, daß die Menschen aus Gewinnsucht sich den Gefah-ren des Meeres ausgesetzt haben, so ist es dagegen die höheremoralische Notwendigkeit, die die Menschen zur Verach-tung ihrer Subsistenz bringt. 20

Der Mangel der bürgerlichen Gesellschaft, dessen ebenerwähnt wurde, ist ein höherer Mangel in ihrem Begriff. Diebürgerliche Gesellschaft haben wir überhaupt erkannt als dasAuseinandergehen des Sittlichen, worin die beiden Momentedesselben, das subjektive Selbstbewußtsein und das Allge- 25

meine, jedes für sich zu ihrem IRecht gelangen. Ihre Einheit 370

ist eine relative, und beide Momente gehen ineinander über.Wir haben gesehen, wie in der bürgerlichen Gesellschaft jederzunächst sich selbst Zweck ist. Die Besonderheit ist also hierüberhaupt Zweck. Diese Tätigkeit schlägt aber auch in das 30

Allgemeine um, so daß, indem ein jeder sich selbst befriedigt,er auch für das Allgemeine wirkt. Dieses Allgemeine ist aufdiesem Standpunkt nur das abstrakte oder äußerlich Allge-I Orig. -der-.

201

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meine; es bezieht sich nur auf Bedürfnisse, äußerliche Ord­nung u. dgl. Ebenso hat auf der andern Seitedie Besonderheitnur sich zum Zweck. Diese beiden Extreme sind für sichnichtig; ihre Wahrheit ist erst ihre Einheit. Das Besondere hat

371 5 sein integrierendes IMoment am Allgemeinen und ebensoumgekehrt. Der Begriff geht also über die bürgerliche Gesell­schaft hinaus. Das Interesse der Besonderheit soll nicht einInteresse des selbstsüchtigen Zweckes sein, sondern es sollein Gesichertes, allgemein Gültiges werden, es soll Objekti-

10 vität in sich haben. Was die Sicherung der Subsistenz anbe­trifft, daß sie nicht der Zufälligkeit preisgegeben sei, soscheint die Sorge dafür der Polizei als solcher anheimzufallen.Allein wir haben gesehen, daß diese nur für das Allgemeineals solches sorgt. Insofern für die Besonderheit gesorgt

15 werden soll, so ist dazu erforderlich besonderes Interesse,besondere Kenntnis, besondere Einsicht. Nur solche, die in

372 der Besonderheit leben, können die Besorgung der IBeson­derheit auf sich nehmen 1. Diese sorgen für die Besonderheitin ihrem ganzen Umfange, und zugleich wissen und wollen

20 sie dieselbe. Das' Sittliche kehrt somit in die bürgerlicheGesellschaft zurück, innerhalb ihrer Zwecke der Besonder­heit. Die, welche zunächst das Interesse der Besonderheithaben, sorgen hier nicht mehr für sich als Einzelne. Es trittsomit der Begriff der Genossenschaft, der Korporation pp.

25 ein, und dies ist die zweite Stufe der Sittlichkeit. Die Familieist die erste Stufe der Sittlichkeit in substantieller Form. DieKorporation ist ebenso eine sittliche Gesellschaft, aber einesolche, die nicht mehr, wie die Familie, die Natur zurGrundlage hat. Die Mitglieder einer Genossenschaft beste-

373 30 hen in und durch dieselbe. Sie Isind einerseits für sich tätig,und andererseits befördern sie in Zweck und Absicht einAllgemeines, die Genossenschaft. Dies ist die Rückkehr der

I Orig. -über sich nehmen-.2 Orig. -Dere.

202

Einheit als gewußter Zweck, und zwar innerhalb der bürger­lichen Gesellschaft selbst. Von selbst teilen sich nun dieGeschäfte das große, weitläufige Werk der bürgerlichenGesellschaft. Der Zweck der Korporation ist von der einenSeite die Sicherung der Subsistenz aller ihrer Mitglieder. Der 5

Einzelne soll zwar durch seine Tüchtigkeit zunächst für seineSubsistenz sorgen; aber seine Tätigkeit und Rechtlichkeitbleibt immer nur eine Möglichkeit und ist noch keine Wirk­lichkeit. Indem die Korporation in Rücksicht der bürgerli­chen Gesellschaft an die Stelle der Familie tritt, so fällt 10

derselben auch die Sorge für die Individuen anheim, da IwO 374

und insoweit die Kräfte der Familie nicht ausreichen. Ihr liegtes zunächst ob, für die Bildung der Kinder ihrer Mitglieder zusorgen, und ebenso hat sie sich solidarisch zu verbinden fürdiejenigen, welche zufälligerweise in Armut geraten. Auf der 15

andern Seitehat die bürgerliche Gesellschaft den Anspruch andie Genossenschaften, daß diese ihrem Bedürfnis Genügeleisten in der Art, daß die Produktionen derselben von dergehörigen Beschaffenheit u. dgl. sind. Ferner muß die Genos­senschaft das Recht haben, über die Aufnahme in ihren 1

2~­

Verband zunächst zu entscheiden, die Aufzunehmenden->"hinsichtlich ihrer Tüchtigkeit zu prüfen und die ZahlihrerMitglieder zu bestimmen. Gegen diese IRechte der Korpora- 375

tionen hat sich nun in neuern Zeiten erhoben das Zutraueneines jeden zu sich selbst, so daß ein jeder glaubt, sich besser 25

auf sich verlassen zu können als auf die Korporation. Mansieht es als ein absolutes Unrecht an, jemand zu hindern, daszu treiben, was ihm beliebt, und seine Kräfte, die ihm dieNatur gegeben hat, nach Gefallen anzuwenden. Dabei istvergessen, daß der Erwerb wesentlich etwas nicht nur Per- 30

sönliches ist, sondern daß derselbe auch einen weiterenZusammenhang hat. Jeder Einzelne, wenn er sich nur auf sichselbst verläßt, gibt sich damit der Zufälligkeit hin. DasI Orig. -ihrem-.

203

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Vernünftige besteht darin, daß die Existenz des Einzelnennicht ein Zufälliges sei, sondern ein Festgemachtes, so daß,

376 wenn auch die Umstände Idas Individuum zurückbringen,diesem doch sein Recht verbleibt. Dieses wird nun in der

5 Genossenschaft auf eine wahrhaft zweckmäßige Weiseerreicht. Das Individuum soll in der bürgerlichen Gesell­schaft nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Wirklich­keit haben. Sodann ist es das Interesse der Sittlichkeit, daß dasIndividuum nicht bleibt in dieser Selbstsucht, sondern daß

10 dasselbe zugleich die Sorge für ein Gemeinsames übernehme.Es tritt hier das Substantielle, Wahrhafte der Sittlichkeit, dieVereinigung des besondern und allgemeinen Zwecks hervor.- Weiter zeigt sich hier diese besondere Form in der bürgerli­chen Gesellschaft, die wir Ehre nennen. Das, was das Indivi-

377 15 duum in der Familie ist, das ist es. IEs ist hier ungetrennre,unmittelbare Sittlichkeit. In der bürgerlichen Gesellschaft istzugleich Reflexion 1 in ein Anderes; was ich bin, das bin ichnicht für mich, sondern es hat seine Realität wesentlich durchandre. Ich bin nicht nur natürlicherweise von andern abhän-

20 gig, sondern ebenso auch VOn der Vorstellung anderer. DieseVorstellung soll ein Festes und Bestimmtes sein.Die Ehre ist ein Begriff, der in der alten Welt nicht auf dieseWeise vorhanden war wie in der neuen. Daß das Individuumin der bürgerlichen Gesellschaft seinen Zweck erreicht, dazu

25 gehört, daß es anerkannt ist, und dieses Anerkanntsein ist einwesentliches Moment seiner Realität. Das, was jemand ist

378 und was er sein soll, dies ist I in der bürgerlichen Gesellschaftnicht unmittelbar in einer Bestimmung zusammen. Alle dieeinzelnen Beschäftigungen in der bürgerlichen Gesellschaft

30 erhalten erst ihren Sinn als Glieder einer Kette. Das, worineiner tüchtig ist, hat in seiner Unmittelbarkeit nicht unmittel­bar seinen Sinn; es gehört dazu eine vermittelnde Betrach­tung. Die Ehre ist nun eben erst eine solche Vorstellung, dieI Im Orig. folgt -und-.

204

.,.

aus der Vermittelung kommt. Bei den Alten war jemandunmittelbar geehrt um seines Reichtums, um seiner Taten,um seiner Vorfahren willen. Was der Gegenstand istK, daskann nur geachtet werden als Mittel, als Glied einer großenKette. Der allgemeine Zusammenhang, in dem ein Geschäft, 5

ein Gewerbe seine Bedeutung hat, I liegt außerhalb desselben. 379

Deshalb ist die Seite der Allgemeinheit an einem Geschäftdurch die Vorstellung gesetzt. Wir haben nach der einen Seitegesagt, daß die Bildung in Ansehung des Geistes Resultat derGesellschaft ist; die bürgerliche Gesellschaft ist Reflexion des 10

Verstandes, wie das Bewußtsein tätig ist. Die Bildung ist nunüberhaupt, daß in dem Besondern unmittelbar das Allge-meine sich zeigt. Der Mensch zeigt so einen Unterschied vonden Tieren in jedem Zug, in allem, was er tut, einen Zug VOnMenschlichkeit. Dies Allgemeine muß zur Gewohnheit wer- 15

den. Der gebildetste Mensch ist der einfachste. Der Ungebil-dete braucht zu allem Umwege und tut oft etwas ganz anderes,als er will. Die Ehre ist nun der Reflex der Bildung, daß ich einAnerkanntes bin und daß in dem besonderen Verhalten derIndividuen gegeneinander I dies Anerkennen ausgesprochen 20 380

sei. Ich behandle so den Einzelnen in aller Besonderheit nichtals Einzelnen, sondern als Allgemeinen. Dies ist das Moderneder Ehre. Es kann scheinen, daß, indem ich einen anderennach der Ehre behandle, dies ein Verhalten der Falschheit sei.Darin liegt aber überhaupt nur das allgemeine Verhalten. Es 25

ist die Grundlage dieses Verhaltens immer dieses Höhere, daßich mich zum Einzelnen verhalte als Allgemeinem. Die Sitteund die Höflichkeit unter den Menschen hat also hierin ihrenGrund überhaupt. Im Rechte ist das Individuum nurabstrakte Person; in der bürgerlichen Gesellschaft ist dagegen 30

das Individuum eine besondere Person und gehört irgendei-ner Genossenschaft an.Indem nun in der Korporation das Besondere zugleich alsAllgemeines sich Iverhält, so ist dieses die letzte Bestimmung 381

205

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der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt. Jedes Glied derbürgerlichen Gesellschaft hat seine Ehre und ist anerkannt.Derjenige, der einer Genossenschaft angehört, hat seine Ehrein derselben. Daß sein besonderes Geschäft ein solches ist,

5 das im Ganzen seinen Sinn hat, und daß er nicht bloß fürseinen Zweck sorgt, sondern zugleich für eine Gemeinschaft,dies macht seine Ehre aus.Der ackerbauende Stand als solcher formiert eigentlich keineKorporation. Diese setzt wesentlich ein besonderes Geschäft

10 voraus. Im ackerbauenden Stande ist die Familie das Haupt­moment; in Ansehung der Subsistenz ist jeder mehr auf seinPrivateigentum beschränkt, zu dem sein Verhalten ein unmit-

382 telbares ist. Es sind also die verschiedenen Gelwerbe vorzüg­lich, welche die Korporation bilden. Die Gemeinde macht

15 demnächst'' selbst wieder eine Korporation aus. - Die Kor­poration macht also, wie bemerkt, wesentlich das sittlicheMoment in der Gesellschaft aus. England leidet bekanntlicham Überflusse des Reichtums und der Armut. Man kanndafür halten, daß ein Hauptmoment dabei ist, daß daselbst

20 die Korporationen nicht in einer organischen, 1 geordnetenForm existieren. Wenn ein jeder nur für sich tätig ist, so fehlthiermit das sittliche Element.Schlechthin Privatperson kann der Mensch nicht sein. Erstindem er einen allgemeinen Zweck hat, stellt er sich als ein

25 Substantielles und Wesentliches dar. Wenn die Individuendarauf reduziert sind, als Besondere zu leben, so müssen sie

383 notwendig I das Streben haben, in ihrer besondern Betätigungauch anerkannt zu werden von andern. Zunächst verfallen sieauf den Genuß; und dann zweitens müssen sie sich nach

30 außen zeigen, und dies führt zu dem Luxus der Gewerb­stände, eine notwendige Folge davon, daß sie nicht einesittliche Beschäftigung für etwas Allgemeines haben. In der

I Komma eingefügt; die Lesart -organisch geordneten- ist nicht ganz auszu­schließen.

206

...

Korporation hat das Individuum sein wahrhaftes Bewußt­sein; es hat hier eine wahrhafte, edle Gelegenheit, sich Ehrezu erwerben. In der Korporation ist das Verderben desReichtums beseitigt. Hier hat er das Feld, auf dem er sichzeigen kann. In diesem Zusammenhange ist der Reiche nicht 5

mehr ein Einzelnes für sich. Zugleich hat er Pflichten indiesem Kreise; außerhalb hat er nur die ganz allgemeinenPflichten der Rechtlichkeit. Hier ist er etwas durch die Artund Weise, wie er I seinen Reich tum für seine Genossenschaft 384

anwendet. Die Athenienser hatten Institutionen, die in dieses 10

hineinspielen. Die Reichsten hatten religiöse Feste zu veran-stalten u. dgl. Hier war ihnen ein Feld angewiesen, wo sieihren Reichtum auf eine gemeinnützige Weise anzuwendenhatten.Die Familie einerseits, die Heiligkeit der Ehe, und anderer- 15

seits die Ehre der Korporation sind die zwei 1 Momente, vondenen das Wohl der bürgerlichen Gesellschaft abhängt. DieKorporation macht den Übergang zum Staate aus. Sie istschon ein Gemeinwesen, nur hat sie noch einen besondernZweck. Die Wahrheit des Besonderen überhaupt ist nun das 20

konkrete Allgemeine.

Drittes KapitelDer Staat

Der Übergang zum Staat gründet sich Iüberhaupt auf den 385

logischen Übergang der Besonderheit zur Allgemeinheit. 25

Viele, bloß äußerlich verbundene Korporationen machennoch keinen Staat aus. Daß das Allgemeine als solches gewolltwird, charakterisiert den Staat als solchen. Aus den Korpora-tionen sind häufig Staaten hervorgegangen. Die Erweiterungdes Zwecks zu dem an und für sich Allgemeinen ist die 30

I Orig. )2<.

207

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Wahrheit des beschränkten Zwecks der Korporation und istdas, was den Staat überhaupt ausmacht. Die besondernZwecke und Interessen erscheinen gegen das Substantielle desStaats nur als ein Untergeordnetes. Zugleich hat dieses Sub-

5 stantielle nur sein wahrhaftes Bestehen in der völligen Durch­bildung der Besonderheit. Der Staat hat die substantiellegeistige Einheit zu seinem Inhalt, und zugleich enthält er dievöllig ausgebildete Form. Der Staat ist in seinem Begriffe ein

386 Resultat der angegebenen Ibeiden Momente. Der Begriff des10 Staats kann nur aus seinen Momenten gefaßt werden; diese

sind das frühere in der Betrachtung, aber in der Existenz sindsie das spätere. Die Einheit beider Momente ist in derGeschichte immer das Anfängliche. Der Staat als solcher istimmer etwas Früheres als die bürgerliche Gesellschaft. Diese

15 bildet sich nur im Staat aus, und sie kann nur innerhalb derganzen Einheit, die der Staat ist, hervortreten.Der Staat hat zu seinem Zweck überhaupt das Sittliche. Er istdie Wirklichkeit der sittlichen Idee, die zugleich zur vollkom­menen Ausbildung ihrer Form gekommen ist. Der Staat ist

20 der sittliche Geist als sich wissend. Die Sittlichkeit der387 Familie ist das sich noch nicht IWissende, sondern das sich

Empfindende. Die Penaten'' sind das Innere. Die politischeTugend ist nicht Tugend der Empfindung, sondern einWollen des allgemeinen Zwecks, insofern er gedacht wird

25 und gewußt. In der »Antigone« des Sophokles sehen wirdiesen höchsten Gegensatz des Staats und der Familie, dieSittlichkeit in der Form der Empfindung und des Bewußt­seins.f Diese höchsten sittlichen Mächte müssen in Kollisionmiteinander kommen. Weil dies die höchsten sittlichen

30 Mächte sind, so ist ihre Bewegung gegeneinander das höchsteTragische. Die Antigone beruft sich dem Kreon gegenüberauf ein ewiges Gesetz, von dem man nicht weiß, von wem eskommt.E Kreon nennt die Götter der Antigone die untern

388 GötteLE Es ist damit das inwendig I bleibende Subjektive

208

ausgesprochen. Das Offenbare, sich Wissende 1 steht demgegenüber, die Form des sittlichen Geistes, welche den Staatausmacht. - Es ist töricht, zu meinen, daß man das Rechtewollen könne, ohne viel zu denken. Der Staat ist geradedieser", der das Höchste nicht bloß als ein Instinktartiges hat, 5

sondern der dieses weiß; nur auf diese Weise ist er wahrhaftvorhanden. Dieses, daß der Geist sich weiß, zeigt sich danndarin, daß der Staat seine Einrichtungen, seine Verfassung,seine Gesetze austeilt als ein bestimmt Objektives. Weil dasWissen die wesentliche Form des Geistes ist, wie es im Staate 10

ist, so ist damit die Weise des patriarchalischen Staats ausge-schlossen. In diesem sind es Gefühle, Gewohnlheiten oder 389

auch Orakel und göttliche Autoritäten, wodurch das Staats-leben regiert wird. Auch ist es im Staate nicht etwa einemIndividuo überlassen, in Begeisterung ein Volk zu bewegen. 15

Ebenso können es nicht bloß starre, angeerbte Rechte sein,wodurch das Ganze zusammengehalten wird. Dies sindhistorische feudalische Staaten. Die Gründe, welche hiergelten, sind ganz positiver Art: Es hat so gegolten und darumgilt es. Erst indem die bürgerliche Gesellschaft sich in den 20

Feudalstaaten ausbildete, hat sich das Allgemeine als solchesgeltend gemacht. Es ist der allgemeine Geist als solcher, dergewußt wird und der sich die Wirklichkeit gibt. Der allge-meine Geist, in Rücksicht auf die Individuen betrachtet, kannals ein Gemeinsames betrachtet werden; Ihierher gehört das, 25 390

was von den Zwecken der bürgerlichen Gesellschaft alsSchutz, gegenseitige Unterstützung u. dgl. gesagt zu werdenpflegt. Bei alledem wird von selbstsüchtigen Ansichten aus­gegangen. Das Individuelle, Besondere ist dabei immer zumZweck gemacht. Wenn man fragt, wie die Individualität zu 30

ihrem höchsten Rechte gelangt, so ist dies die geistige Allge­meinheit, welche der Staat selbst ist. Im Staate hat erst das

I Orig. -Das offenbare sich Wissende<.2 Im Orig. verändert aus -dieses-.

209

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Individuum objektive Freiheit. Was das Individuum an sichist, das ist im Staate als eine wirkliche, objektive Welt fürdasselbe vorhanden. Die Vereinigung geschieht also nicht zubesondern Zwecken, sondern um der Vereinigung selbst

5 willen. Dies macht erst die Sittlichkeit aus. Der sittliche Geist391 ist also das Wesen eines Staats, das1 Ivon den alten Völkern

als ihr Gott ausgesprochen wird. Dieser Geist ist wieder das,welches lebendig ist im Volke, welches in seiner Gemeindelebt. Sein Selbstbewußtsein hat es in den! Einzelnen; diese

10 sind sein Wissen und seine Tätigkeit. Die Sitten eines Volksstellen den Geist dar als eine Gewohnheit, als ein dem Volkzur Natur Gewordenes. Die Individuen haben von ihrer Seiteihr Wesen und ihren Zweck am Geiste. Dieser ist nicht einruhendes Totes, sondern er wird immer wieder von neuem

15 erzeugt und in die Wirklichkeit gesetzt. Das Recht des Staatsist das absolute Recht, einerseits gegen die Individuen, undandererseits das, wodurch die Individuen zu ihrem Rechtgelangen. Es ist nichts im Himmel und auf Erden, was für dasIndividuum ein Höheres wäre als dieses Recht. In ihm ist die

392 20 Substanz, die geistige Natur des Individui I zum Daseingekommen. Die Individuen? sind zur höchsten Weise ihrerExistenzK darin gediehen. Es ist nicht ein Belieben derMenschen, ob sie in einen Staat treten wollen oder nicht,sondern dies ist ihre absolute Pflicht. AristoteIes hat gesagt:

25 Der Mensch, der einsam sein könnte, wäre ein Tier oder einGott.E

Pflicht des Individui ist es, auf wesentliche Weise zu existie­ren; dies kann es nur im Staate. Auf welche Weise die Staatenentstanden sind, dies geht uns hier ganz und gar nichts an. Ob

30 ein Staat aus patriarchalischen Verhältnissen hervorgegangenist oder durch äußere Gewalt und Not, ist eine gleichgültige

I Orig. -der-.2 Orig. -dem.,3 Orig. >Sie<.

210

t,I

Sache. Es kann Gewalt und Unrecht sein, wodurch ein Staatbegründet wird; dies ist für die Idee gleichgültig. Der Staatmag so unvollkommen sein, wie er Iwill, so hat er doch dies 393

Göttliche, Substantielle in sich, daß die Individuen sich darinverhalten als einem objektiven Ganzen angehörig. Wenn bei 5

den Einzelnen in einem Staate sich auch noch so viel Mißver­gnügen zeigt, so hält denselben doch immer eine innereMacht zusammen.Man hat nun einerseits gesagt: Der Staat besteht durchgöttliche Autorität, Obrigkeiten sind von Gott eingesetzt. 10

Auf der andern Seite hat man gesagt: Der Staat ist Einrichtungmenschlicher Willkür. Beides ist einseitig. Die Idee des Staatsvereinigt beide Prinzipien in sich. Allerdings kann man sagen,daß die Könige von Gott eingesetzt sind und ebenso dieObrigkeit; denn es' ist der objektive Geist, der das Tätige und 15

Wirkende im Staat ausmacht. Dieser Geist ist das Göttliche.Indem der Staat an sich ein IVernünftiges ist, so ist er ein 394

Göttliches. Erst in neuern Zeiten, wo man gesagt hat, mankönne das Wahre nicht erkennen, ist es gekommen, daß 2 mandas Göttliche aus der Gegenwart vertrieben und die Wirk- 20

lichkeit als ein Aggregat von Endlichkeiten betrachtet hat. ­Gott ist in einem Volke wesentlich gegenwärtig, und seineGegenwart ist die, daß er gewußt wird. Wenn man sagte, dieAutorität der Könige und der Obrigkeit sei eine göttliche, sohat man damit oft den falschen Sinn verbunden, es sei dies die 25

Autorität eines Schicksals, das nicht erkannt werden könne.Dies ist das System der passiven Obedienz, worüber man inEngland in einer Zeit lange gestritten hat.E Der Staat ist einegöttliche Autorität nicht als Unvernünftiges, sondern alsVernünftiges. Was über der IVernunft wäre, das wäre das 30 395

Unvernünftige.Auf der anderen Seite hat man dargestellt, daß der Staat bloß

I Orig. »et-:

2 Orig. )WO<.

2II

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396

397

in menschlicher Willkür seinen Grund habe. Man hat so einenTrieb zur Geselligkeit angenommen, und dieser sei es, der dieMenschen zur Vereinigung geführt habe. Wenn man voneinem solchen Triebe spricht, so wird darunter ein Instinktar-

5 tiges verstanden. Der Mensch, als Geistiges, geht wesentlichauf das Wissen und Wollen des Allgemeinen. Was die Men­schen zum Staate gebracht hat, dies ist allerdings in ihnen einImmanentes, aber dies muß nicht in der Weise des Triebesbleiben. Es ist also die Natur der Allgemeinheit überhaupt,

10 die das Individuum treibt, auf allgemeine Weise zu existieren.- Eine abstraktere IForm ist dann 1

, daß man vorgestellt hat,daß der Staat beruhe auf dem Willen der Einzelnen. DasWahre darin ist: daß es ein Immanentes im Menschen ist,wodurch der Staat besteht, daß es dessen eigenes Wesen ist,

15 welches hier auf eine objektive' Weise wirklich wird. Wenndie Menschen aus Furcht vor einem höhern Charakter, voreinem Heros, in den Staat zusammengebracht sind, so scheintes, daß ihnen äußerliche Gewalt angetan worden ist. Alleinauch das, was den Schein hat einer ganz äußerlichen Nöti-

'0 gung, ist gleichwohl das eigene Innere, welches uns treibt undzwingt, derselben 3 zu gehorchen. Rousseau hat in neuernZeiten die soeben erwähnte Ansicht vorzüglich durchge­führt. E Er hat das Staatsverhältlnis deshalb gefaßt als aufeinem Vertrag beruhend. Von dieser Form des Vertrages

25 wurde schon früher gesprochen. Im Vertrage beschließenzunächst zwei, von ihrer Willkür aus, miteinander einGemeinschaftliches. Rousseau hat das große Verdienstgehabt, daß, indem er den Willen der Einzelnen zum Prinzipdes Staats gemacht hat, er damit einen Gedanken, und zwar

30 den Gedanken des Willens, zum Prinzip gemacht hat. DerSozialitätstrieb ist kein Gedanke. Rousseau hat so überhaupt

I Orig. -denn-.2 Orig. -einer objektiven-.3 Orig. -denselben-.

212

~.

I,

den Grund gelegt, daß über den Staat gedacht worden ist.Von ihm an hat das Denken über den Staat begonnen. DasSchiefe an Rousseaus Theorie ist, daß er nicht den Willen alssolchen als Grundlage des Staats gefaßt hat, sondern denWillen als einzelnen in seiner Punkltualisierung. Es ist derBegriff der Freiheit, das Vernünftige, Allgemeine, welchesdas Wesen des Staats ausmacht. Das Einzelne für sich hat nurRecht und Gültigkeit, inwiefern es dem an und für sichAllgemeinen angemessen ist. Es ist so also nicht die Willkürdes Einzelnen, die hier das Entscheidende ist. Rousseau hat 10

also einerseits dem wahrhaften Denken über den Staat denImpuls gegeben, auf der andern Seite hat er aber die Verwir­rung hereingeführt, daß das Einzelne als das Erste betrachtetwurde und nicht das Allgemeine. Für sich ist das Einzelne nurein Leeres, Formelles, und wenn es sich für sich seinen Inhalt 15

gibt, so ist es Willkür. Das Inhaltsbestimmende ist die Idee inihrer Entwickelung, und diese ist unabhängig von demMeinen und der Willkür des Einzelnen. Wenn dieses IEin­zelne anders meinte als das Substantielle, Allgemeine, so hatdieses dasselbe wider seinen besondern Willen und gegen '0

seine Meinung zu seiner Pflicht anzuhalten. - Das Wesen desStaats ist somit durchaus über die Willkür erhoben. DerEinzelne bildet sich zum Staate, insofern er sich seinerBesonderheit begibt und sich zu einem Allgemeinen, Ver­nünftig-wissenden und -Wollenden macht. In neuern Zeiten 25

hat man nun auch gesagt, die Religion müsse als der Grunddes Staats angesehen werden. Die Religion ist in einem Volkeein Notwendiges. Insofern man in der Weise der Gründeräsoniert, so kann man alles Notwendige zu einem Grundemachen. In der Philosophie suchen wir überhaupt nicht die 30

Gründe der Dinge, sondern den Einen substantiellen Grund.Man kann ebensogut sagen: Die Faniilie ist der Grunddes IStaats oder das Recht oder die Subsistenz der Indivi­duen. Alles dieses sind wesentliche Momente, ohne die der

21 3

398

399

400

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Staat nicht bestehen kann. Wenn von der Religion als Grunddes Staats gesprochen wird, so meint man das Letzte gesagtzuhaben, aber dies ist nur ein Letztes des Verstandes. DieReligion ist die Anschauung des absoluten Geistes, der in

5 jeder Rücksicht die alles umfassende Idee ist. Der Geist, wieer im Staate ist, ist ein bestimmter Geist. Indem der Mensch,als individueller Geist, zur Anschauung seines absolutenWesens kommen mußte, insofern ist die Religion ein schlech­terdings Notwendiges an und für sich, ohne alle Beziehung

10 auf den Staat. Aber die Religion ist auch weiter notwendig inBeziehung auf den Staat. Der Staat hat in Rücksicht auf die

401 Subjektivität Idie letzte und höchste Bestätigung an der Reli­gion. Das Subjektive kann sich, wie wir gesehen haben,stellen gegen das Allgemeine; es kann gegen alles eine Aus-

15 rede finden, kann alles betrachten in der Form, imBeschränkten und sich darübersetzen.E In der Religion legtdagegen das Individuum alle diese Ausflüchte ab, weil es sichin seinem Selbstbewußtsein verhält zu dem Allbefassenden.Wenn Staatseinrichtungen pp. betrachtet werden als in die-

20 sem Allbefassenden1 begründet, so sind sie gegen die Willkür.des Subjekts geschützt. Das Subjekt hat einer solchen Autori­tät nichts mehr entgegenzusetzen. Im Staat als solchem" istdie Religion ebenfalls ein Notwendiges; in den Staatseinrich­rungen soll der göttliche, der vernünftige Geist seine Offen-

402 25 barung haben. Was I der Staat unternimmt, das soll im Geisteder Wahrheit geschehen und bestimmt sein. - Der Geist istnun aber nicht bloß ein Inneres, sondern eskommt auf dessenOffenbarung an. Nach dieser Seite ist das religiöse Prinzipvom Staatsprinzip verschieden, nicht sowohl dem Inhalte als

30 vielmehr der Form nach. Wenn wir die Erscheinung inAnsehung des Verhältnisses von Religion und Staat betrach­ten, so kann es gleich verdächtig erscheinen, daß es sowohl

I Ong. -Allbefaßten-.2 Orig. -solchenc

2'4

rdie Unterdrücker sind alsdie Unterdrückten, die die Religionvorzüglich empfehlen. Man hat Tyrannen gesehen, die dieVölker an die Religion verwiesen haben. Da erscheint dasVerhältnis SO: Im Staate mag es zugehen, wie es will, in derReligion hat man die Entschädigung. Man wird hier an 5

einen IHimmel, an ein Jenseits verwiesen. In Zeiten des 403

Elends und der Not wird so oft auf die Religion verwiesen.Von der Religion hört man sagen, daß die Frömmigkeit sichmit weltlichen Geschäften wenig abgeben solle; sie solle denanderen Backen reichen, wenn sie auf den einen einen Streich 10

erhalten hat.E Es wird so Gleichgültigkeit und Passivitätgegen die Willkür gefordert. Man hat ferner gesehen, daß,indem die Religion sich auf das absolute Wesen bezieht, dieForm, in der dasselbe Gegenstand der Religion ist, die Formder Empfindung ist und in Ansehung des Wissens die Form 15

des Glaubens. Vernünftiges Wissen und Wissen aus demBegriff ist damit entfernt und sogar bestimmt ausgeschlossen.Es begründet sich damit ein Glaube, der sich in alles I ergibt, 404

und ein Glaube, der alles dahinnimmt als eine SchickungGottes. Dies ist eine Disposition, die denen, die mit Unrecht, 20

Willkür und Gewalt im Staate herrschen wollen, ganzerwünscht sein kann. - Die Religion hat ferner eine äußerli-ehe Existenz. Der Kultus ist mit einer äußerlichen Ausübungverknüpft; er bedarf dafür eines Regiments. Dieses Regimentist notwendig in den Händen von Menschen. Es gibt Gebote 25

in Ansehung dessen, was geglaubt werden soll. Was sichdarauf' bezieht'i, das geschieht also für das Göttliche undstammt aus dem Göttlichen. Es hat die höchste Autorität,und nichts soll sich derselben widersetzen. MenschlicheAutorität ist davon schlechterdings verbannt. Jede Abwei- 30

chung I in der Gesinnung, in der Vorstellung, im Meinen und 405

Handeln ist eine Abweichung vom Unendlichen, ist einunendliches Verbrechen. Indem es das Göttliche ist, welchesI Orig .•dahin-.

2'5

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befiehlt und für welches gehandelt werden soll, so ist dasVerhälmis zu demselben entweder ein Verhältnis der Furchtfür die Einzelnheit, und dieser Furcht kann nichts entgegen­gehalten werden, oder es ist ein Verhältnis der Liebe, in deren

5 Sein ebenso eine alles Selbstbewußtsein, alles Urteil und alleFreiheit in Anspruch nehmende Hingebung gefordert wer­den. Insofern die religiösen und kirchli~hen' Gebote göttli­che Autorität haben, so hat auch nach dieser Seite die Kircheden Charakter einer Autorität, gegen die nichts bestehen

406 10 kann. Die Religion ist so in den Händen von IMenschen, dieim Namen Gottes anordnen, was sie verlangen, mit derfürchterlichsten, alles niederdrückenden Gewalt. EignerWille, eigne Freiheit soll sich einer solchen Theokratie nichtentgegensetzen. Es hat so dahin kommen können, daß die

15 Menschen so erniedrigt wurden, daß sie von der moralischenSeite durchaus degradiert worden sind. Man hat die Men­schen auf diese Weise härter und ärger erniedrigen sehen, alses je vom Staate geschehen ist. Dies sind Seiten, die derreligiöse Standpunkt zu seinen Konsequenzen gehabt hat,

20 wenn er zur letzten befehlenden Autorität gemacht wordenist. Diese Konsequenzen müssen zunächst aufmerksam dar­auf machen, mehr zu betrachten, welchen Sinn die Forderung

407 hat, daß die Religion dem Staate zum Grunde liegen solle. IDie Religiosität wurde bezeichnet als das Bewußtsein des

25 Absoluten. In diesem Bewußtsein liegt die höchste Freiheit;das Individuum ist hier bei seinem Wesen, es ist zu seinerwahrhaften Substantialität zurückgekehrt. Aber jene Erhe­bung ist nur eine Erhebung im Gemüte, in der Subjektivität.Der Staat ist nun selbst dieser Geist, aber ein sich in der

30 Wirklichkeit entfaltender, nicht bloß ein subjektiver; er ist sodas Heraustreten aus dem bloß Innerlichen, aus der Subjekti­vität. Zu diesem Heraustreten gehört Unterschied, undsodann müssen diese Unterschiede auf ihre AllgemeinheitI Orig. -kirchliche-.

216

zurückgeführt werden, d. h. sie müssen als Gesetz ausgespro­chen sein. Wenn wir Gott als den konzentrierten Geistannehmen und die Endlichkeit als das Zerfallen desselben, I 408

so ist das Vermittelnde zwischen beiden das Gesetz, dasAllgemeine, das Gedachte. Dies ist die Offenbarung Gottes; 5

es gibt auch noch andere Offenbarungen Gottes. Dies ist aberdas Treten in die Wirklichkeit. Der Staat hat seine Idee inGlieder auszulegen, die besondere Sphären sind und derenBestimmung im Gesetz, d. h. im Allgemeinen aufgefaßt ist.Die Religion bleibt in der Subjektivität stehen. Wenn der 10

Inhalt der Religion entwickelt wird, so ist dies selbst dieOrganisation des Staats. Bestehen kann die Wirklichkeit nurdurch das Allgemeine, durch das Gesetz. Man kann nun nichtwünschen, daß statt des Staats nur Religiosität unter denMenschen sei. Das I hieße soviel, als wenn man sagt, die 15 409

Gallerte, die animalische Lymphe'' enthält die ganze Anima-lität; also braucht es der Entwickelung derselben nicht.Das Vernünftige, die Idee zeigt sich in der Religion und imStaate in verschiedenen Formen; in der Religion auf subjek-tive Weise. Die Religion bleibt bei der Andacht stehen, sie 20

geht nicht zum l K Denken hin; was im Staate geschieht, ist einGedachtes, ein Allgemeines. Im Physikalischen geht derMensch in den Schlaf über, in diese Einheit mit dem Natur-geist.E Ebenso ist es im Geistigen; die Konzentration desGeistes im Gemüt, in der Empfindung ist das Religiöse. Der 25

religiöse Standpunkt hat nun überhaupt die Form der Einhül-lung der ISubjektivität gegen die entfaltete Idee, die objektive 410

Welt. Wenn das Religiöse sich in seiner Form geltend machenwill gegen die Objektivität, gegen den Staat, so treten jeneverkehrten Erscheinungen hervor. Zuerst zeigt sich das Reli- 30

giöse hier als ein Negatives; es ist idealistisch gegen dieSystematisation der unterschiedenen Sphären und Bestim­mungen. Wenn das religiöse Prinzip sich so geltend macht, soI Orig. -nur beim-.

217

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wird dasselbe so Fanatismus; dieser kann einen hohen Inhaltin sich enthalten, aber das Fanatische besteht in jener negati­ven Richtung. Aller bestehende Unterschied geht hierinunter. Diese Richtung hat man in der Geschichte zu verschie-

411 5 denen Zeiten auftreten sehen; noch im I 16. jahrhundert zeigtsich dieselbe in den Wiedertäufern in Münster. Dort wurdeungefähr derselbe Zustand eingeführt, wie der abstrakteFanatismus der Freiheit unter Robespierre in Frankreichhervorzubringen sich bestrebte. Ebenso waren es fromme

10 Presbyterianer, welche in dem Parlamente saßen, welchesKarl 1. auf das Schafott führen ließ. Cromwell hat dann diesesParlament auseinandergejagt und wenigstens einen Anfangrechtlichen Lebens wiederbegründet. - Wir suchen denHerrn, meinen sie; der Herr ist noch niemals hier gewesen

15 und wird auch nicht herkommen. - Es muß nun also über das412 bloß Negative hinausgegangen werden', wenn es nicht bloß I

bei einer müßigen Beschauung bleiben? soll. Der Wille,indem er etwas will, muß sich als Gesetz bestimmen. Wer istes nun, der diese Bestimmungen zu fassen hat? Das sind die,

20 welche den Herrn suchen, jene frommen Leute, die subjektivMeinenden, die besonderen Meinenden und Wollenden. Estritt hier der ungeheure Überschritt zum Bewußtsein ein, zurObjektivität. Die, welche sich nur' so in der Subjektivitäthalten, haben sich damit auch des Denkens abgetan. Sie

25 können und wissen nicht in der' Form der Allgemeinheitauszusprechen und zu bestimmen. Dazu gehört die unge-

413 heure Arbeit des denkenden Geistes. Die I nur innerlicheSubjektivität, wenn sie auch noch so schön ist, bleibt auf dieWillkür und die Meinung beschränkt und gelangt nicht zur

30 Wahrheit. Wenn nun aus solchem Wissen entschieden wird,so ist es die Willkür, welche entscheidet, die NichtalIgemein­heit des Denkens und des Wollens, Albernheit und Abscheu-

I -werden- eingefügt.2 Orig. -stehen bleiben-.

218

3 Orig. -nunc4 Orig. -die-.

.,...

lichkeit. Wenn man sagt, man müsse Gott mehr gehorchen alsden Menschen'', so ist eben die Frage: Was befiehlt Gott, werweiß es? Der bloß subjektiv sich Verhaltende weiß es nicht.Das Göttliche offenbart sich allerdings, aber auf allgemeine,geistige Weise. Was Gott wahrhaft offenbart und befiehlt, 5

wird menschlich aufgefaßt, und damit es wahrhaft aufgefaßtwerde, Imuß es die Form der Allgemeinheit annehmen;' so 414

aber ist es das Gesetz. Diese Bestimmung vom religiösenStandpunkt aus geht nun auch fort zu allgemeinen Prinzipien;es wird von Gerechtigkeit und von Gesetzen gesprochen, 10

aber es bleibt bei einer oberflächlichen Allgemeinheit. Wennfortgegangen würde zur weiteren Bestimmung, so ginge maneben damit in das Gebiet des Staats über. Die Aussprüche derReligion haben in ihrer Allgemeinheit die Bestimmtheitnicht, mit welcher die Welt regiert werden kann. So enthalten 15

die Zehn Gebote allerdings wahre Vernunftgebote, aber siereichen nicht hin zu einem Kriminalkodex. Mit den Spruch­wörtern Salomonis, die allerdings Vortreffliches enthalten,kann man die Welt nicht regieren.' IMan muß sich über 415

dieses alles ein genaues Bewußtsein machen, wenn man über 20

das Verhältnis des Staats zur Religion sprechen will. Es ist dieKraftlosigkeit der Zeit, welche zu der Frömmigkeit zurück­geflohen ist; diese Frömmigkeit ist nicht die unbefangeneeinfache Frömmigkeit, sondern sie charakterisiert sich feind-selig und polemisch. Es ist das Bedürfnis eingetreten, mit 25

seiner Einsicht, mit seinem Wissen bei dem zu sein, was alsein Objektives respektiert werden soll. Dazu ist nicht derWeg eine solche Weise der Frömmigkeit. Um den Staat zubegreifen, muß man es übernehmen, durch die Arbeit desStudiums, des Nachdenkens seine Meinung zu bezwingen. 30

1 Im Orig. befindet sich an dieser Stelle, möglicherweise von der Hand desSchreibers, ein Zeichen, etwa '&<, aber bis über die Oberlängen hinaufge­zogen.

2 Orig. an dieserStelle vielleicht ein Absatz.

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Aber mit biblischen Sprüchen ist es nicht abgetan. DieGottseligkeit ist wohl zu allen Dingen nutze, aber sie ist nicht

416 statt allem nutze. I Indem man das Denken aufgegeben hat, dagerade der Staat das Allgemeine in sich enthält, so hat man

5 sich mit seiner Seichtigkeit hinter die Religion gesteckt unddem Unwillen 1 darüber, daß man nicht gehört worden ist.Man hat der Autorität nichts entgegenzustellen gewußt alseine andere Autorität des subjektiven Willens.Indem die Religion einseitig geltend gemacht wird gegen den

10 Staat, so wird sie selbst verkannt. Siemuß nun allerdings ihreStelle im Staat haben und ihre Tempel, sie muß eine Kirchesein. Sie ist eine wesentliche Weise des Geistes. Die Religionbedarf unmittelbar auch einer Äußerung, sie hat einen Kul-

417 tus, eine Lehre u. dgl. Es müssen Arbeiten I abgebrochen15 werden, die sich auf das andere bürgerliche Leben beziehen.

Der Sonntag ist so eine der größten Institutionen, die wir demChristentum verdanken. Die Religion, indem sie Lehrerhaben muß, Vermögen u. dgl., tritt in das Gebiet des Staats,und hier ist es also, wo das Regulieren desselben vornehmlich

20 eintritt. Eine andere Weise der Äußerung zeigt sich dann so:Der Staat hat Gesetze, und die Religion äußert sich aufallgemeine Weise. Wenn beide auf rechten Wegen sind, somüssen sie sich einander begegnen. Aber es kann auch sein,daß die Bestimmungen, die die Religion aufstellt, dem Prin-

418 25 zip des Staats widersprechen. Dieses Prinzip ist im I allgemei­nen das Prinzip des Vernünftigen, und es kann dagegen einWiderspruch der Religion entstehen, indem sie auf ihrersubjektiven Form beharrt. Die Äußerungen, Lehren einesreligiösen Inhalts, besonders insofern Grundsätze des Wil-

30 lens, des Handelns darin ausgesprochen werden, treffen mitdem Staat unmittelbar zusammen. Es treten so Bestimmun­gen hervor, die das Allgemeine als solches treffen. Der Staat,

I Orig. -der Unwille-.

220

insofern er Gesetze hat, die sich auf die' Wirklichkeit derFreiheit beziehen, und insofern es sein Interesse ist, daß dasAllgemeine in2 das Bewußtsein und den Willen der Einzelnenfalle, hat somit auch das Lehrgeschäft in seinem Gebiet. DieReligion, wenn sie echter Art bleibt, Ikann sich nicht mit dem 5 419

Staat widersprechen. Die Religion kann aber ihr Prinzip nachseiner einseitigen Form festhalten und die Form der Subjekti-vität zum Wesentlichen machen. Sie tritt damit in Gegensatzund in Widerspruch mit dem Staat. Wenn also auf jenemeinseitigen Standpunkt stehengeblieben wird, so kann man 10

wohl meinen und behaupten, der bloße Glaube und Über­zeugtsein sei das Kriterium für das Rechthandeln; man könnenur gerichtet werden nach seinem Glauben, und über diesengehe nichts. Dies geht aber dahin, als wenn gesagt wird, mankönne das Wahre nicht erkennen, die individuelle Weltan- 15

schauung sei für jeden das Höchste und vom Staate alssolcheszu respektieren. Es tritt hier I eine Autorität gegen die andere. 420

Man kann fragen, wer hat zu entscheiden, und man kannsagen, die Religion ist das höhere, denn sie hat einen höherenInhalt, sie hat es mit dem allbefassenden Geiste zu tun. Nun 20

aber ist, wo die Religion bloß der Subjektivität anheimfällt,sie' durchaus etwas Endliches; der Staat ist deshalb hier dasEntscheidende, denn er ist das Denkende und das Wissende.Im Staate ist das Wahre in der Form des Gedankens, derAllgemeinheit. Die Religion, insofern sie sich in ihrer Sphäre 25

hält, hat der Staat zu respektieren; sowie sie sich aber gegendie Wirklichkeit wendet, so muß sie ihre Form der Subjekti-vität aufgeben und die Form der Allgemeinheit, des Denkensannehmen. I Gegen die Wahrheit des Staats gibt es nicht eine 421

besondere Wahrheit. Die Wahrheit ist nur Eine, und diese ist 30

ausschließend, das andere ist Irrtum. Diese Wahrheit ist, daß

I -die- eingefügt.2 Orig. -durch-.3 -sie- eingefügt.

221

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der Geist frei ist, daß das Leben und die persönliche Freiheitnicht verletzt werden soll pp. Wenn Widerspruch vorhandenist, so ist der Staat das Entscheidende. - Er kann es deshalbwohl geschehen lassen, daß man sich in Ansehung des

5 Lehrens in mancherlei Schulweisheit herumtreibt. Ebensokann es der Staat wohl ansehen, ob Fleisch gegessenwerdensoll und an welchem Tage. Ein anderes aber ist es, wenn esaufdie' Wahrheit als solche ankommt. In einem so konkretenGanzen, wie der Staat ist, können nun in Ansehung der

422 10 Subsumtion des IBesondern mancherlei Kontroversen vor­kommen; ein anderes ist es aber mit allgemeinen Grundsät­zen, worauf alles beruht. Wenn Grundsätze aufgestellt wer­den, wie die oben angegebenen, so hat der Staat kein Federle­sen zu machen, sondern er muß gebietend auftreten. Auch

15 kann man nicht einwenden, solche Grundsätze waren bloße'Meinungen; solche Grundsätze machen zugleich die BasisdesHandelns. Es kommt darauf an, daß der Staat sich überzeugt,ob es sich um ein bloßes Meinen handelt. Die Äußerungender Wahrheit, welche den Staat unmittelbar betreffen, hat der

'0 Staat zu behaupten; denn es ist ihm darum zu tun, daß nichtbloß blind seiner Macht gehorcht wird, sondern daß auch die

423 Überzeugung der Individuen I seinen Geboten entspricht.Ohnehin hat in einem gebildeten Volke dies noch einehöhereBedeutung, da hier mit einem bloßen Befehlen nicht auszu-

25 kommen ist. Alle Verbesserungen sind vom Staate in derReligion gehoben worden.f Christus hat gesagt: Mein Reichist nicht von dieser Welt.E Dies ist in dem Sinn zu nehmen,daß die religiöse Wahrheit für sich ist; unmittelbare Konse­quenz ist das weitere, daß der Staat nicht in seinem Wesen

30 angegriffen werden soll. Übrigens hat sich die christlicheReligion allerdings auch auf diese Welt bezogen; das ReichChristi hat die Welt umgestaltet, und die Prinzipien der

I Orig. -der-.2 Orig. -bl-.

222

christlichen Religion sind Prinzipien des Staats geworden.Diese Prinzipien sind in die Form des Denkens erhoben I 424

worden, und so sind sie im Staate. Es ist borniert, nicht zuerkennen, daß die Wahrheit in der Religion der Substanz nachdasselbe ist, was im Staate ist. Die Welt wird oft als das bloß 5

Zeitliche und Vergängliche genommen; der Staat ist so alseine Art von Usurpation gegen die Kirche betrachtet. Esschleicht sich leicht die Gewohnheit ein, gegen die Welt zudeklamieren. Es wird oft gegen die Verdorbenheit der Weltdeklamiert, ehe man sie kennt. Der Staat ist selbst die 10

Offenbarung Gottes in der Gegenwart und in der Wirklich-keit. Seine Grundsätze sind die Wahrheit. In der Religion hatdie Wahrheit die Form des Geschichtlichen und der Empfin-dung. Indem wir den Staat kennenlernen, I so haben wir 425

zuerst das Vorurteil zu bekämpfen, dieses Alltägliche, wel- 15

ches uns umgibt, sei es, worauf es ankommt. Solche Indivi­dualitäten machen es nicht aus, und das Privatdasein dersel-ben ist nicht das! Substantielle. Christus sagt auch: Trachtetam ersten nach dem Reiche Gottes, so wird euch alles anderezufallen.P Dies ist ein hohes Wort; das Substantielle soll vor 20

allem erstrebt werden. Wenn man das Substantielle nicht hat,so ist alles ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.fUmim Religiösen etwas zu sein und zu haben, dazu gehört dieFestigkeit des Geistes und des Denkens, um über die Zufällig-keit und Subjektivität hinauszukommen. Das Blut und der 25

Schweiß der Nationen Ihat dazu gehört, das Vernünftige, das 426

Substantielle zur Wirklichkeit zu bringen. Wenn es um dasReich Gottes zu tun ist, so ist es nicht um das Meinige zu tun,nicht um meine Seichtigkeit und meine oberflächlichenGedanken, wenn sie etwa auch mit biblischen Sprüchen 30

aufgestutzt sind.Indem der Staat die Kirche gewähren läßt, so erfüllt er einePflicht, die er gegen seine Mitglieder hat. Der Staat kann nunI Orig. -der-.

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ferner auch das Bewußtsein haben, daß seine Existenz undseine Zwecke durch die Religion gefördert werden. DasIndividuum, indem es religiös ist, betrachtet den Staat als imHöchsten wurzelnd, und eshat recht daran. Der Staat hat nun

5 aber notwendig Idie Aufsicht über! das Religiöse. Das Prin­zip der Religion darf nicht zu einer polemischen Subjektivitätwerden, welche die Form dieser Subjektivität zum Wesenmacht und gegen die Form des Objektiven geltend machenwill. Die Kirche, indem sie ein Dasein hat, tritt in die Sphäre

10 der Äußerlichkeit. Sie hat Eigentum, ihre Individuen könnenVerbrechen begehen. Über beides hat der Staat zu entschei­den. Durch Schenkungen an die Kirche kann auch dasInteresse der bürgerlichen Gesellschaft berührt werden.Durch großes Eigentum in der toten HandE kann das Inter-

15 esse der bürgerlichen Gesellschaft wesentlich gefährdet wer­den. Den Individuen wird es so erschwert, Eigentümer I zusein. Der Staat hat daher auch in dieser Hinsicht Regulativezu erlassen. Auch des Interesses der Familie hat sich der Staatin dieser Hinsicht anzunehmen. Wo die Kirche in den Lehren

20 hinaustritt, da bleibt sie nicht mehr beim Kultus stehen,sondern sie tritt in das Gebiet des Denkens. Dieses als dasAllgemeine fällt wesentlich dem Staate anheim. Die Kirchebringt notwendig die Wahrheit in bestimmte Formen; derBegriff erfordert hingegen die Bewegung des freien Erken-

25 nens. Das Wahre soll erkannt werden, und was erkanntwerden soll, ist das Wahre. Das Denken ist, wie bemerktworden, vorzüglich von der weltlichen Seite in die Kirchegekommen. Die Universitäten haben sich so erst in protestan­tischen Ländern unabhängig von der Kirche zu dem, was I sie

30 sind, gebildet. Die bloße Unabhängigkeit von Kirche und·Staat festsetzen zu wollen, ist eine leere Abstraktion, hinterder sich häufig unredliche Absichten verbergen. Kirche undStaat haben wesentliche Beziehungen aufeinander, und dieseI Orig. saufe

224

I

I

Beziehungen bestimmen sich durch die Natur beider. Inunseren Staaten kann die kirchliche Meinung eine größereWürde haben als in den alten; unsere Staaten haben diesegroße Kraft, das Besondere sich so weit ergehen zu lassenunddoch das Ganze zusammenzuhalten. Wir haben an den 5

Quäkern und an den Mennoniten Seiten, die eigentlichunverträglich sind mit dem Prinzip des Staats; allein der Staatkann bei seiner großen Festigkeit wohl zugeben, daß I es 430

Sekten in ihm gibt, die sich darauf beschränken, bourgeois zusein. Durch zu große Ausbreitung würde eine solche Sekte 10

dem Staate wohl allerdings gefährlich werden. Der Staat kannallerdings mehrere Sekten in sich befassen, christliche Sektennicht nur, sondern auch Juden. Der Staat ist erst als Staatkonstituiert, der sich so von der Kirche losgerissen hat, daßverschiedene Konfessionen in ihm bestehen. Das Vernünftige 15

im Staate ist erst in den Zeiten aufgekommen, wo eineTrennung in der Kirche geschehen ist. Man sieht es oft nochso an, als ob die Bürger eines Staats notwendig auch von einerReligion sein müssen. Allein der Staat erhält ersr seine wahreAusbildung, indem er sich von der Form des Geglaubten, des 20

Empfundenen I losreißt. In Despotien ist Staat und Kirche 431

eines.Der Staat hat das Allgemeine als solches zu seinem Gegen­stand; er hat nicht das Wohl der Individuen, als Besondere,zu befördern. Die allgemeinen Anordnungen, die um des 25

öffentlichen Wohls willen notwendig sind, gehören seinerAufsicht an. Ebenso hat der Staat nicht das Eigentum desEinzelnen zu erhalten; dies kommt den Gerichten zu. DerStaat hat für die Gesetzgebung zu sorgen und für Bestellungvon Gerichten. Ferner hat der Staat das allgemeineVermögen 30

zu verwalten. Als ein wirkliches Individuum hat er besondereZustände in der Zeit, und diese wahrzunehmen ist gleichfallsSache des Staats.Wir betrachten zuerst den Staat als Organismus in sich selbst,

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432 der sich auf sich b~zieht. Dies ist Gegenistand des innernStaatsrechts. Das zweite ist dann 1, daß der Staat sich als einbesonderer Staat zu andern besondern Staaten verhält; dies istGegenstand des äußern Staatsrech ts. Das dritte ist, daß der

5 Staat nicht mehr betrachtet wird als unmittelbare Wirklich­keit, sondern in seiner allgemeinen Idee oder als Gattung. Soist der Staat der allgemeine Geist. Dies ist die absolute Machtgegen die individuellen Staaten. Dieser Prozeß des allgemei­nen Geistes ist die Weltgeschichte.

Im Staate ist die konkrete Freiheit vorhanden, das, was imBegriffe des Willens an und für sich ist. Dieses ist dann das

433 Objektive, und ihm gegenüber ist der einzelne, belsondereWille. Dieser ist insofern substantiell, als er dem allgemeinen

15 Willen angemessen ist, insofern er denselben weiß und will.So ist das Individuum zu seinem höchsten Recht gekommen,zu einem Dasein seines substantiellen Wesens. Was dasIndividuum noch nach seiner Besonderheit sein mag, dassteht ihm völlig frei. Es ist häufig, daß die Menschen nur ihr

20 besonderes Meinen und Treiben für ihr Eigenstes und Besteshalten. Ihre wahre Würde haben die Menschen nur in ihrerallgemeinen vernünftigen Natur. Eine Bewußtlosigkeit ist es,zu meinen, das Verharren in solchem besondern Treiben seiein Wesentliches und Substantielles und dasselbe könne

43425 bestehen ohne das Allgemeine. Die Freiheit der I Besonder­heit ist nur formell. Denn der Inhalt derselben entspricht demBegriff nicht. Die höchste Freiheit hat der Mensch im Staate,weil ihm der Begriff derselben hier Gegenstand ist. Weiß derMensch dies nicht, so muß er als Knecht dem GesetzeI Orig. -denn-.

10 a. Das innere Staatsrecht

gehorchen. Was der Staat von ihm fordert, kann er als einenäußern Zwang ansehen und die Zähne knirschen; dies ist ihmüberlassen. Es ist seine Schuld und sein Unglück, daß er sichso fühlt. Er kann auch zur Frömmigkeit und zur vollkomme­nen Resignation seine Zuflucht nehmen, aber er bleibt immer 5

in der vollkommenen Abhängigkeit.Die persönliche Einzelnheit und das persönliche Interessefinden in den Sphären der Familie und der I bürgerlichen 435

Gesellschaft ihr vollständiges Ergehen. Wir sahen auch, wiejene Sphären in das Allgemeine übergingen. 10

Zur Verfassung gehört zunächst die Organisation der Staats­gewalt, die das Allgemeine als solches will; sodann gehörendazu aber auch die Institutionen des Besonderen'. Wenn manvon Verfassung spricht, so meint man häufig darunter bloßdie Organisation, wie das Allgemeine als solches tätig ist. 15

Dieses Allgemeine ist aber nicht etwas für sich, es setzt vorausdie Familie und die bürgerliche Gesellschaft. Diese Institutio­nen gehören wesentlich auch zum Ganzen einer Verfassung.Wenn man von Verfassung spricht, so meint man oft nur, daßoben herum, in der oberen Etage, eingerichtet wird. Wenn 20

dies der Fall I ist, so steht das Besondere dem Allgemeinen als 436

ein roher Haufen entgegen. Die politische Gesinnung hatwesentlich das Moment, daß die Einzelnen wissen, daß ihrBestehen wesentlich abhängt vom Allgemeinen. Diese patrio-tische Gesinnung hat näher die Bestimmung, daß das Indivi- 25

duum weiß, daß die Zwecke seiner Besonderheit nur seinkönnen durch das Allgemeine. In diesem Sinne zeigt sichbesonders oft der englische Patriotismus. Die politischeGesinnung ist insofern ein Vermittelndes. Sie hat zu ihremInhalt das Besondere, und das Allgemeine erscheint als das 30

feste Band, wodurch die besonderen Sphären bestehen.Durch diese Vermittelung wird aber das Allgemeine selbstzum Zweck. - Der IPatriotismus kann nun mehr die Form 437

I Orig. -besonderen-.

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höchst wichtig zu sein. Näher betrachtet ist diese Frage aberetwas Sinnloses. Man geht dabei aus von der Meinung, esgebe ein Volk ohne Verfassung. So wäre ein Volk bloß eineabstrakte Vielheit. Aber so etwas existiert gar nicht. DieMenschen sind nicht ein abstrakter Verstand, und ihr Verhal­ten zueinander ist nicht von Ider Art; die Menschen sindvielmehr immer ein Organisiertes. Mit einem Haufen hat esalso der Begriff ganz und gar nicht zu tun; wie ein solcher mitsich zurechtkommt, das ist seine Sache. Bei jener Frage wirdnun näher dies verstanden, daß eine Veränderung in der 10Verfassung zu machen sei. Die einfache Antwort darauf istdaß, eben weil eine Verfassung vorhanden ist, die Verände­rung auf verfassungsmäßige Weise geschehen muß. EineVerfassung ist überhaupt gar nicht als ein Gemachtes anzuse­hen. Die Verfassung muß sein als das an und für sich Seiendewelches über die Sphäre des Gemachtwerdens hinaus ist:~eil ein Volk ein Geistiges ist und nicht ein Natürliches, soist der IGeist immer fortschreitend; in der Natur findet keinF?rtschr~iten statt. Ein Volk, das dem Weltgeist angehört,?l1d~t Se1?e Verfassung fort. Was dem Bewußtsein vorliegt,ist eme emzelne Not, die Abhilfe erfordert. Was nach undnach sich einschleicht und zur Gewohnheit wird, wird späterzum Gesetz gemacht, und anderes kommt in Verfall und wirdaufgehoben. Die Verfassung ist das substantielle Leben einesVolks, und alle seine Verhältnisse sind darin versenkt. Daß 25das Bewußtsein des Volks sich ändere, daß ein neues, höheresBewußtsein entsteht, dies ist nicht so plötzlich zu machen.Wenn ein neuer Begriff im Leben eines Volkes eingeführt,wenn sozusagen eine Verfassung apriori gegeben werdensoll, so ist dies ein ganz oberflächlicher IGedanke. Napoleonsagt so von sich selbst, er habe den Spaniern eine Verfassung apriori geben wollen.f Damit ein Volk eine neue Konstitutionvertrage, dazu gehört, daß das Volk schon auf einem Stand­punkt der Bildung stehe, der dieser Konstitution angemessen

der Selbstsucht haben, oder es kann dabei mehr um dasAllgemeine zu tun sein; überhaupt verschmilzt beides inein­ander.'Die Verfassung besteht also darin, daß der an und für sich

5 vernünftige Wille ein Dasein habe; dies Dasein besteht aber inder Bestimmung. Die Staatsorganisation soll so nichts sein alsein Bild der vernünftigen Unterschiede des Begriffs. DasObjektive, Allgemeine, welches der Staat heißt, muß sich insich unterscheiden wie der Begriff. Dadurch wird das Dasein

'0 des Vernünftigen begründet. Wenn man von Verfassungspricht, so muß man nicht einen Zweck zum Grunde legen,wie die Freiheit u. dgl., und dann sehen, wie dieser Zweck zu

438 fassen sei. Man Ikommt wohl so auf den Gedanken einerallgemeinen Macht und findet dann, diese allgemeine Macht

15 müsse abgehalten werden durch Beschränkungen, Willkür zuwerden. Die ganze Vorstellung schließt ein Mißtrauen insich; allgemeiner geht sie aus von der Form des Negativen.Eine Bestimmung wird nötig gefunden, so das Allgemeine;diesem setzt man ein Besonderes gegenüber als ein Negatives,

20 Äußerliches gegen dasselbe. Man ist hier in der Sphäre desRäsonnements; es können einen hier diese und jene Möglich­keiten aufhalten, und man kann dabei allerhand ausklügeln.Dies ist eine gewöhnliche Verfahrungsweise, die sich auchpraktisch oft hervorgetan hat. Es kann in der Erscheinung

439 25 allerdings vorgekommen sein, daß eine Macht Ivorhandenwar, der etwas entgegengesetzt werden mußte. Die Hauptsa­che ist die, daß die Idee des Staats vorhanden sein muß. DieUnterschiede und Bestimmungen, die sich ergeben, sindMomente einer Idee, die nicht ein Feindseliges gegeneinander

30 sind. Im lebendigen Organismus haben so alle Organe ihrebesondern Funktionen, ohne einander feind zu sein.Es kann nun die Frage aufgeworfen werden, wer die Verfas­sung zu machen habe. Diese Frage scheint ganz deutlich undI Orig. Absatz zweifelhaft.

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ist.EEine Verfassung, alsdas Substantielle eines Volks, ist dasHeilige des Volks. Daß das Allgemeine in einem so großenReichtum sich geltend mache, ist eine langsameWirkung, diesich gewissermaßen auf eine dem Einzelnen bewußtlose

5 Weise begibt. - Die oberflächliche und leere Ansicht undAuffassung des Begriffes einer Verfassung hat in neuernZeiten viel Unheil angestiftet. Wenn man in den einzelnen

443 deutschen Ländern nachfragt, ob Idie Bürger und Bauern allezu einem Deutschland gehören wollen, so wird diese Frage

10 von den meisten gar nicht verstanden werden.Die Idee der Verfassung ist also aus dem Begriff zu erkennen.Ein Volk, ein Staat ist ein Ganzes. Dies enthält vors erste, daßin diesem einen Ganzen des Staats, wo das Allgemeine alssolches befestigt und betätigt werden soll, seine Momente

15 sich entwickeln und daß die untergeordneten Sphären ebensoihre Ausbreitung haben; dies ist der friedliche Staat. Daszweite ist dann t, daß die unterschiedenen Sphären schlecht­hin ideell gesetzt werden und daß der Staat sich als eineIndividualität darstellt. Diese beiden Seiten sind es, die jetzt

444 20 zu betrachten sind. Es liegt in I der Idee, daß jedes Momentdes Begriffs frei für sich ist, als eine eigne Sphäre, eine eigeneGewalt, und daß dieses Moment zugleich aber nur als2 durchdas Ganze bestehend erscheint. Im System der Sonne sehenwir so die Planeten als freie Individualitäten, die sich zugleich

25 um die Sonne bewegen, deren Gesetz zugleich das freie ist.EDaß der Staat sich in sich unterscheidet, bewirkt erst, daß erein in sich selbst Ruhendes, in sich selbst Unendliches ist.Was nicht so in sich unterschieden ist, das ist in der Weise derUnmittelbarkeit und damit abhängig von außen. Das Chemi-

30 sehe ist nicht eine solche Totalität in sich.E Indem solcheUnterschiede bestehen, so müssen sie für sich Totalität sein.

445 So kommt das Ganze zu seiner IVollkommenheit und ist in

I Orig. -denn..2 -als- eingefügt.

230

sich befriedigt. Indem jedes Moment so ein Ganzes ist, so hates damit die Seele des Ganzen in sich, ist sich so selbst rechtund dem Begriffe gemäß. Jedes Organ im Lebendigen ist soein System in sich selbst; im Anderen hat es den Spiegelseinerselbst. Bei der Teilung der Arbeit sehen wir, wie das Ganze 5

ein Vollkommenes wird, indem jeder Teil der Arbeit für sichvollbracht wird. - Die verschiedenen Gewalten müssen imStaate getrennt sein; dies ist in dem soeben entwickelten Sinnzu verstehen. Man hat in der Trennung der Gewalten inneuern Zeiten die Garantie der Freiheit erblickt. Dies ist die 10

Idee der modernen Zeit überhaupt. Der Staat ist erst realeGeistigkeit, wenn er sich in sich selbst unterscheildet, so daß 446

die Unterschiede nicht beschränkt in sich sind, sondern sichvollkommen ausbilden. So wissen wir, wie in der griechi-schen Kunst der eine Künstler ein Dichter war, der andere 15

Maler, der dritte ein Bildhauer. Die Idee, in diese verschiede-nen Elemente getaucht, macht einen Kreis von Göttern aus;jeder ist in sich vollendet, und in allen ist ein und derselbeGeist zu erkennen. Dies ist die große Freiheit des modernenGeistes, zu seinem vollkommenen Gegensatze zu kommen 20

und seinen Gegensatz vollkommen frei zu entlassen ohneNeidE. Auf empirische Weise, wie dies behandelt wurde, hatman darin mit Recht eine Garantie der Freiheit gefunden. Esist indes mehr als I Garantie, denn die Idee ist sich auf diese 447

Weise wirklich. In Frankreich hat man diese Theorie beson- 25

ders ausgebildet, aber mehr auf verständige Weise. Man hatnun gesagt, daß ohne solche Trennung der Gewalten dieWillkür herrschen würde; daß dies begründet ist, läßt sichleicht einsehen. Die Vereinigung der richterlichen undgesetzgebenden Gewalt würde zu einer bloßen Willkür füh- 30

ren. Es wäre somit keine Gerechtigkeit vorhanden, dennGerechtigkeit nennen wir, wenigstens formell, daß das Indi­viduum nach einer allgemeinen Bestimmung behandelt wird.- Im Richterlichen selbst kommen ebensolche Unterschiede

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vor; das eigentliche Rechtsprechen und die Beurteilung deseinzelnen Falls erscheinen als verschiedene Momente. Wennpolizeiliche und richterliche Gewalt in einer Hand sind, sokann I man gleichfalls sagen, daß die Freiheit gefährdet!

5 werde. Weiterhin hat man administrative und richterlicheGewalt voneinander getrennt. Diese Trennung ist nun mehroder weniger allgemeine Einsicht geworden, so wie es dennBegriffsbestimmungen gibt, die allmählich als notwendig indas Bewußtsein eintreten. Diese Unterscheidung hat sich

10 auch in der Geschichte gemacht, aber hier mehr auf eineäußerliche, zufällige Weise. So wissen wir, daß der Kaisersonst in Deutschland herumzog, hier und da seinen Sitzaufschlug und selbst Recht sprach. Daß der Kaiser in derFolge nicht mehr selbst Recht sprach, dies machte sich

15 zunächst auf eine ganz äußerliche Weise. Es wurde indes zurGewohnheit, daß besondre Richter IRecht sprachen, unddiese Gewohnheit wurde dann' als etwas Notwendiges er­kannt. Jetzt sieht man es als eine Tyrannei an, wenn der Fürstselbst über einen Verbrecher Recht sprechen, wenn er in

'0 Privatsacherr' sich mischen wollte. Gleichwohl liegt es imBegriff des Fürsten, daß er die oberste richterliche Gewalthat, wovon später gesprochen werden wird.E

Die Fürsten teilten im Mittelalter ihre Länder unter ihreSöhne. Dies ist dem Begriff des Staats, der so als Privateigen-

25 tum erscheint, ganz unangemessen. Diese Gewohnheit istabgekommen, nicht weil sie als begriffswidrig erkanntwurde, sondern zunächst nur um 4 der regierenden Familiewillen. Ein weiterer wichtiger Fortschritt ist der, daß das,was anfänglich I als Privateigentum des Fürsten erschien, zu

30 Staatseigentum geworden ist.Bei der Trennung der Gewalten ist nun die schiefe Ansichtentstanden, daß man sie bloß als' etwas Beschränkendes

<48

449

450

I Orig. -gefahrte-.2 Orig. -denne.

23 2

); Orig. -Privarsache-.4 -um. eingefügt.

angesehen hat. So sagte man: Die fürstliche Gewalt strebtimmer nach Despotismus, die Richter möchten gerne Gesetz­geber sein, pp. Es scheint sonach, daß man eine Trennungfestsetzen müsse, damit die, welche gern möchten, nichtkönnten. Es ist damit eine gewisse Schadenfreude verbunden 5

und zugleich eine Selbstbefriedigung über die Klugheit, diedas so gut eingerichtet hat. Die Gewalten erscheinen so alsDämme gegen Ströme, überhaupt aber bloß als etwas, das daist, um einem! größern Übel vorzubeugen. Man kann beisolcher I subjektiven Betrachtungsweise im einzelnen oft 10 451

recht gehabt haben, denn das Mögen kann gut sein, aber auchböse. Bei solchen Vorstellungen ist das Bewußtsein immermit Negativem erfüllt. Es ist dies eine Gesinnung, die z. T.zum Pöbelhaften gehört. Die wahrhafte Ansicht ist, daß jedesGlied für sich ein notwendiges ist, ein unterscheidendes 15

Moment, welches nach der Natur des Begriffs so unterschie-den ist. Wenn jede Sphäre sich in sich ausbildet, so befriedigtsie sich in sich selbst, und es fällt dann das weitere Mögenganz hinweg. Ein gutorganisiertes Gericht würde sich sehrbeschwert finden, wenn es zugleich verwaltende Funktionen 20

üben sollte. I 452

Indem man den Grundsatz der Teilung der Gewalt aufstellt,so treten die Gewalten äußerlich gegeneinander, die sicheinander balancieren sollten. Wenn dies so dargestellt wird,so fehlt die Einheit des Ganzen. Das Lebendige und noch 25

weit mehr der Geist muß nun als eine subjektive Einheit, alsIdentitatf erscheinen, worin die Gegensätze aufgelöst sind.Wenn die Gegensätze so zueinander gesetzt werden, so kanndie Folge nur sein, daß der Staatsorganismus nicht geht.Dieser muß aber gehen, und wenn er gehemmt wird, so stellt 30

er sich her; die Notwendigkeit der Sache macht sich Platzgegen alle Förmlichkeiten. Es geschieht sonächst aber, daßeine Gewalt die andere über den Haufen rennt. Die Ge-I Orig. -einen-.

233

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453 schichte der Französischen Revolution liefert Idas entschei- Nachteile der verschiedenen Verfassungen gegeneinanderdendste Beispiel dafür. Die Nationalversammlung machte abwägen. Die Hauptsache ist, daß die Einteilung in verschie-sich so zum Gouvernement und vereinigte alleGewalt in sich. dene Verfassungen, als Monarchien, Demokratien und Ari-Es entstand so die Schreckensperiode. Späterhin traten die stokratien, jetzt ganz und gar nicht mehr paßt und gar keinen

5 fünf Direktoren an die Spitze der ausübenden Gewalt. Die Sinn mehr hat. Sie hat nur einen Sinn, wenn der Staat noch 5

gesetzgebende Gewalt setzte sich dem Direktorium entge- nicht so gefaßt ist, daß jedes Moment der Idee desselbengen, und es geschah das Umgekehrte. Die gesetzgebende Wirklichkeit wird. Jener Unterschied paßt bloß für denGewalt wurde so ausgereinigt und die Einheit hergestellt. Wo Zustand, wo die Gewalten noch nicht getrennt sind. Es istso ein Kunststück ersonnen wird, da ist das Ende immer dies, hier Inur der Unterschied von einem, VOn mehreren und von 456

10 daß eine Gewalt die andere umstürzt. Fichte hat auch so allen, in deren Händen die oberste Gewalt ist. In Griechen- 10

eine Erfindung gemacht. Er hat eine vollziehende Gewalt land, und auch noch bis auf andere Zeiten, konnte jene Frageangenommen und dieser ein Ephorat gegenübergestellt.E In wohl aufgeworfen werden. Montesquieu hat besonders übereinfachen, kleinen Staaten kann mancherlei derart unent- den Unterschied jener Verfassungen gesprochen. Er sagt: Das

454 schieden bleiben, und da kommt nichts darauf an. Spinoza I Prinzip der Demokratie ist die Tugend", das der Monarchie15 sagt, Gott habe den Juden als einem widerborstigen, eigen- die Ehre'', Daß das Prinzip der Demokratie die Tugend ist, ist 15

sinnigen Volke ihre Verfassung zur Strafe gegeben.E Bei insofern ganz richtig, als in einem solchen Staate EinfachheitFichte scheint es nun gleichgültig, ob die ausübende Gewalt der Sitten und die Weise des Lebens, daß nur für dasmonarchisch, aristokratisch oder demokratisch ist.E Das Allgemeine gelebt wird, das Erste sein muß. So war bei denEphorat, welches er vorschlägt, soll, wenn es eine Über- Römern der Sinn für ihr Vaterland das einzig Herrschende,

20 schreitung der Gesetzesgrenzen von Seiten der ausübenden dem alles andere nachstand. In solchen Staaten, wo die 20

Gewalt bemerkt, sogleich ein Interdikt über das Land aus- bürgerliche IGesellschaft ihre Ausbildung hat und wo die 457

sprechen.f Das ist so ein hausbackener Verstand, der sich so Individualität als solche sich nach allen Seiten ausbildet, inetwas ausklügelt. Gerichte müssen in einem Lande sein, und diesem Zustand der höheren Kräftigkeit ist die Tugenddiese werden sich um ein solches Interdikt nicht bekümmern. gleichsam eine Möglichkeit. Es kann einer tugendhaft sein

25 Das Einfachste würde sein, daß ein solches Ephorat zusam- und kann es auch nicht sein, dies ist mehr Sache des Einzel- 25

mengepackt und fortgeschickt würde. nen. Bei den Alten sehen wir die großen und herrlichenDie Teilung der Gewalten darf ferner nicht so sein, wie sie Individualitäten erst hervortreten, wenn der Staat sich auf-

455 etwa in der Türkei ist oder wie sie z.IT. in der Lehnsverfas- löst. In einem anderen Staate kommt die Individualität zusung war. Die Teilung, welche dort stattfindet, ist nur eine ihrem vollen Rechte. Unter Monarchie versteht Montesquieu

30 äußerliche; die Paschas vereinigen in ihrer Sphäre alle ver- vornehmlich die Feudalmonarchie, und von dieser Monar- 30

schiedenen Gewalten. chie sagt er, daß die Ehre das Prinzip derselben sei.E Hier istDie nächste Frage, welche einem einfallen kann, ist die, es der Adel, der eine Monarchie erhält, und Montesquieu hatwelche Verfassung die beste sei. Darüber ist ein großes recht, wenn er sagt, daß die Ehre hier das den Staat erhaltendeGerede gemacht worden; man kann die Vorteile und die Prinzip sei. In der Feudalmonarchie ist Ider Richter nicht 458

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hen. Es kann namentlich ein solcher Staat sich auf der! Stufeder bürgerlichen Gesellschaft halten. E Daß der Staat sichwirklich bei solchen Verfassungen zusammenhält, kaim mannicht sagen; er hält sich nur durch die anderen Staaten. DieHauptsache ist, daß in solchen/ Staaten eine ordentliche und 5

gerechte Privathaushaltung geführt wird. .Von einem äußerlichen Verhalten der verschiedenen Gewal-ten gegeneinander kann, wie gesagt, also Igar nicht die Rede 461

sein. Man muß sich auf dem Standpunkt der Idee erhalten unddas Vernünftige betrachten, wie es an und für sich ist. Auf den 10

Gedanken, auf die Idee kommt es an. Vorgefaßte Meinungenkönnen hier nicht entscheiden, sondern man muß den ver­nünftigen Gedanken sich gewähren lassen. Die Momente derVernünftigkeit treten nun also auseinander, bilden sich selb­ständig für sich aus und werden demnächst'' in eine Einheit 15

wieder zusammengenommen. Der Staat hat das Allgemeinezum Zwecke und ist das Ideelle seiner verschiedenen Sphärenüberhaupt. In diesem Allgemeinen können keine andernBestimmungen sein als seine eigenen', Das erste ist dieKonstituierung des Allgemeinen als Allgemeines; dies ist die 20

gesetzgebende Gewalt. Das zweite ist das Eintreten des Be-sondern, so daß dieses I mit" dem Allgemeinen identisch ge- 462

macht wird. Dies ist die Regierungsgewalt. Das dritte ist dieEinzelnheit ganz abstrakt, die Subjektivität als solche; diesesist die fürstliche Gewalt. Dies sind die drei Momente und ist 25

ein Abbild derselben''. In der gesetzgebenden Gewalt ist alsoebenso die Regierungsgewalt und die fürstliche Gewalt wir­kend. Ebenso ist es mit der Regierungsgewalt und derfürstlichen Gewalt. Die besonderen Geschäfte des Staats sinddie Institutionen und Geschäfte der vorhergehenden Sphäre. 30

Diese Verfassung ist-nun diejenige, welche die konstitutio-

459

460

objektiv etwas dadurch, daß er einem besonderen organi­schen Momente des Staats angehört. Er ist unmittelbar, waser ist, zunächst durch die Geburt; und sodann, um für sichetwas zu sein, muß er sich in der Vorstellung anderer geltend

5 machen. An und für sich wäre er, wenn er in der vernünftigenOrganisation des Staats seine Ehre hätte. - Das Rittertumzeigt sich im Mittelalter in Spanien in seiner schönsten Blüte.Von der Aristokratie sagt Montesquieu, daß sie die schlechte­ste aller Verfassungen sei.E Dies kann man allerdings sagen,

10 denn in einer Aristokratie ist eine Anzahl von Familien, diedie Regierung in den Händen haben, welche dem Bürger inihren übrigen Verhältnissen so nahestehen. Was ihnen dieRegierung in die Hände gibt, ist nur der IVorzug der G~bur~.Ein Monarch ist nun1 durch die äußere Notwendigkeit

15 veranlaßt, viele Geschäfte aus der Hand zu geben. EineAristokratie vereinigt dagegen alleGewalten und alleöffentli­chen Funktionen in sich. Sodann zeigt sich in einer Aristokra­tie besonders das Mißtrauen', sowohl gegen die Bürger alsgegen die eigenen Mitglieder. ..

'0 Nichts ist so töricht, als verschiedene Völker in Rücksichtihrer Verfassung miteinander zu vergleichen. Jedes Volk istein Individuum; die neuern Völker sind von den altenVölkern durch einen ungeheuren Zwischenraum der Zeit undBildung getrennt.

25 Bei Verfassungen kommt es weiter darauf an, daß ein Volkvollkommen selbständig ist, so daß es seine ISelbständigkeitdurch sich erhalten kann. Es kann verschiedene Arten derKombinationen geben, wodurch ein Staat, der nicht dieMacht hat, sich selbständig zu erhalten, doch besteht. In

30 solchen schwachen Staaten, die das politische Gnadenbrotessen, können nun solche mangelhaften Verfassungen beste-

I Orig. -nur-.2 Orig. -Vertrauenc

I Orig. -die-.2 Orig. -sclcbe-.

237

3 Orig. -eigene-.4 -mit- eingefügt.

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nelle Monarchie genannt wird. Wenn von Monarchie geredetwird, so muß man wohl bemerken, von welcher Monarchie

463 die Rede ist. An eine Monarchie der alten Zeiten, IderAristokratie und Demokratie entgegenstehen, ist hier nicht

5 zu denken. Weder in patriarchalischen noch in asiatischenMonarchien findet eine Unterscheidung' der Gewalten statt.Ebensowenig findet sich dies bei der Feudalmonarchie, wel­che' einen Zustand darstellt, den einige törichte Menschenzurückwünschen, während der Kampf der ganzen neuern

10 Zeiten darin besteht, das politische Leben von den Feudalver­hältnissen zu reinigen. - Die Idee erfordert nun die einzelnenunterschiedenen Momente. Die konstitutionelle Monarchieist die Erfindung und das Werk der neuen Welt. Die substan­tielle Idee hat hierin ihre unendliche Form gefunden. In allen

15 anderen Verfassungen ist die wahrhafte Freiheit noch nicht zu464 ihrer Wirklichkeit gekommen. I

a. Die fürstliche Gewalt

Die fürstliche Gewalt wird zuerst betrachtet, weil in ihr dieExistenz des Begriffs als solcher, als Subjektivität, ihren Sitz

20 hat. Das erste Moment in dieser Bestimmung ist die Sou­veränität des Staats überhaupt. Hierunter versteht man einer­seits Souveränität nach außen, sodann aber auch Souveränitätnach innen. Man hat heutzutage soviel von »Volk« sprechenhören; »Volk« heißt das Allgemeine, noch ohne nähere

25 Bestimmung, was der Vorstellung vorschwebt. Sowie? manvon Verfassung anfängt zu sprechen, so kann nicht mehr vomVolk die Rede sein. Hier ist von Bestimmungen und von

465 Unterscheidungen in sich die Rede; aber I diese Bestimmun­gen sind innerhalb des Volks. Ein Volk ohne fürstliche

I Orig. -Unterscheid-.2 Orig. -welches.,3 Orig. -so wie-.

Gewalt, ohne Regierung und ohne Organisation wäre bloßein leerer Haufe. Wenn so in Büchern vom Volk im allgemei­nen die Rede ist, so kann man sogleich darauf rechnen, daßman ungewaschenes Zeug hören wird. Das vernünftigeErkennen ist eben, das in der Vorstellung Unbestimmte in 5

seiner Bestimmtheit zu fassen. Von der Souveränität nachaußen wird später die Rede sein.E Souveränität nach innen istdas Moment der substantiellen Identitat/': alle die verschiede­nen Sphären und Gewalten des bürgerlichen, politischen undsittlichen Lebens erscheinen in jener substantiellen Identität 10

wurzelnd. Sie sind Inur bestimmt von der Idee des Ganzen, 466

und nur dadurch haben sie ihr Recht, daß sie Glieder jenesGanzen sind. Zur Souveränität gehört ferner, daß die ver­schiedenen Geschäfte, die verschiedenen Gewalten des Staatsnicht Privateigentum sind. Sie müssen betätigt werden durch 15

Individuen, aber sie treten ganz aus dem Verhältnis vonPrivateigentum heraus. Wenn sie dies wären, so wären sie einRecht nach der Weise des Privatrechts. Die Gewalten werdenden Individuen nur zugeteilt, und das Individuum hat seinenWert und seine Würde nur, insofern es' sein Amt und sein 20

Geschäft gehörig verrichtet. Dies Moment der Souveränitätfehlte besonders der Feudalmonarchie; nicht nur der IMon- 467

arch war nicht souverän nach innen, sondern der Staat selbstwar es nicht. Die besonderen Staatsgewalten und Staatsge-schäfte waren Familieneigentum oder Privateigentum. Die 25

Gewalt, die ein jeder ausübte, übte er aus nicht als ausgehendvon der Idee des Staats, sondern er übte sie aus als seinPrivateigentum.Das zweite Moment im Begriff der fürstlichen Gewalt ist, daßdie Identitat'i, welche die Souveränität ist, als' Subjektivität 30

wirklich ist. Die Subjektivität in der höchsten Weise existiertnur als Ich. Ich ist die reine Identität; in diesem ist alle

I Orig. -ere.2 Orig. -die-.

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5

4 Orig. -Invirabilirat-.5 Orig. -Daseienden..6 Orig. -Aufgeschlossenen-.

selbst bezieht, ist eben Persönlichkeit. Die Subjektivität ist soausschließendes Eines, ausschließende Person. Indem nundie Souveränität als dieses ist, so ist sie Souverän', sie istMonarch. Man spricht von der Souveränität des Volkes. Dieskann nur gelten von der Totalität der Völker gegeneinander.So sind die Franzosen und Engländer gegeneinander sou­verän. Man versteht indes Iunter Volkssouveränität auchdaß das Volk als diese Gesamtheit souverän sei. Nun ist abervon der Vorstellung" vom Volk als einer allgemeinenGesamtheit' hier nicht mehr die Rede, sondern von einer 10

bestimmten Gliederung und Organisation. Das Massenhafte,das Gesamtsein hört hier auf, und di'e verschiedenenMomente des Begriffs kommen zu einer eigenen Existenz. Sohaben in der tierischen Welt die verschiedenen Sphären derIrritabilität' und Sensibilität und Reproduktion jede für sich 15

ihre eigene Existenz.P Jene Sonderung muß nun um so mehreintreten in Ansehung der Subjektivität, da diese selbst dasSondernde ist. Der Monarch ist so die Persönlichkeit alssolche im Staate; er ist so dasselbe, was das Gewissen ist, diesereine Gewißheit seiner selbst. Dies ist zunächst bloß ein 20

Formelles und als solches Idas letzte Entscheidende. AllesAufschließen von noch nicht Daseiendem'' und Aufgeschlos­senem" fängt von dieser Gewißheit an, und ebenso ist sie dasletzte. - Das Abwägen von Gründen gegeneinander enthältnoch nicht die Wirklichkeit; diese Vielheit muß vernichtet 25

werden, damit das Schwanken, hinüber und herüber, auf­hört. Wenn der Monarch seinen Namen unterschreibt, soliegt darin bloß das einfache: Ich will. Daß der Monarch nuruovoc ist, Einer, dies liegt unmittelbar in dem Gesagten. DerBegriff des Monarchen ist ein schwerer Begriff; daß die 30

Identität schlechthin als Subjekt, als Eines erscheine, darauf

I Orig. -souveran-.2 Orig. -Nun ist aber die Vorstellunge3 Orig. Komma.

Besonderung aufgehoben. Diese Identität ist ein formellesMoment; zur Wahrheit der Idee gehört nicht nur Subjektivi-

468 tat, sondern ebeniso Objektivität. Die Einzelnheit des Ich istein abstraktes Moment gegen das Allgemeine. - Jene Subjek-

5 tivität ist nun notwendig Individualität, und zwar Individua­lität des Geistes. Die Souveränität des Staats hat die Seite ihrerExistenz in einem Subjekt, in einem Individuum, und dies istder Monarch. Die konstitutionelle Monarchie enthält dieverschiedenen Momente des Begriffs frei ausgelegt. Das

10 Leben besteht wesentlich in der Identität dieser Unter­schiede. Es zeigt sich so die abstrakte, einfache Gewißheit,die noch ohne Wahrheit sein kann, als diese letzte Spitze,welche der Monarch ist.Die allgemeine Qualität des Begriffs der fürstlichen Gewalt

469 15 wurde darin gesetzt, daß der Staat, weil I er ein Geist ist, weiler Eines ist, alle Unterschiede,1 in sich verflüchtigt, enthaltenmuß. Ich ist reine IdentitätK• Das Korrelaturn in der Natur istdas Licht.E In dieser Identität sind alle Staatsgeschäfte undStaatsgewalten in ihrer einfachen Quelle aufgelöst; sie sind

20 flüssige Glieder, nicht bestehende, harte, feste. Die Indivi­duen, durch welche jene Staatsgeschäfte betätigt werden,haben dieselben, wie bereits bemerkt wurde, nicht nach derWeise des Eigentums inne. Das Individuum ist nur einObjektives, insofern es sich einer solchen Sphäre zugeteilt hat

25 und darin tätig ist. In der Feudalmonarchie war der Staatnicht souverän, da die einzelnen Geschäfte und Gewalten inderselben Eigentum der Individuen waren.

470 Daß die Souveränität als I Souverän existiert, dieser Übergangist derselbe, den wir überall gesehen haben. So ist die Freiheit

30 nur als Person, das Schwere nur als Körper", pp. Jene Identi­tät ist das unendliche Fürsichsein des Ich. Die Subjektivität istals solche unmittelbar als Subjekt. Subjekt ist nur als die­ses Subjekt, Diese Negativität, die sich unendlich auf sichI Komma eingefügt.

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kommt es an. Weil das Subjekt so als Eines ist, so ist es dassich Sondernde, schlechthin für sich. Als ein solches sichSonderndes I muß es nun überall vorhanden sein, auch insolchen Staaten, wo die verschiedenen Gewalten sich noch

5 nicht besonders ausgebildet haben. Es kann hier an dieStaaten des Altertums erinnert werden; in diesen Staaten,namentlich in den griechischen, welches nun auch ihre Ver­fassung war, hatte das Moment der Subjektivität noch nichteine freie Existenz für sich. Dasselbe fiel somit außerhalb

10 dieser Staaten, außerhalb der Sphäre der menschlichen Frei­heit. Der letzte entscheidende Wille trat so in der freiestenDemokratie, in Athen, sowie in anderen Staaten, außerhalbdes Staates auf. Die Privatpersonen und der Staat, beidenahmen zu solchen letzten Entscheidungen, wie die Orakel

15 und der Vogelflug waren, ihre Zuflucht. Der Feldherr,nachdem er sein Terrain nach seiner besten I Einsicht gewähltund alles angeordnet hatte, befragte, um die letzte Entschei­dung zu erhalten, die Orakel, die Eingeweide der Tiere.Pausanias mühte sich so vor der Schlacht von Platäa einen

20 ganzen halben Tag mit Erforschung der Eingeweide der Tiereab.E Ebenso wurden die Orakel befragt, wenn eine Kolonieangelegt werden sollte. Die Entscheidung wurde so immervon außen geholt. In den älteren Zeiten hatte das menschlicheSelbstbewußtsein seine Tiefe noch nicht erfaßt, es' war sich

25 noch nicht als Gewißheit und als Gewissen. Erst in neuerenZeiten hat der menschliche Geist seine Unendlichkeit erfaßt,und so wurde denn auch jene entscheidende Spitze innerhalbdes Staats verlegt.Dieses/ letzte Selbst nun des Willens, Idas Selbst des ganzen

30 Staats, ist eben als dieses unmittelbare Einzelnheit. DasMoment der Unmittelbarkeit liegt darin, daß diese Identität,diese Identität mit sichK, indem sie alles Besondere aufgeho-

I Orig. -er..2 Orig. -Diese-.

ben hat, unendliche Vermittelung ist mit sich, die für sich istdurch diese Abstraktion von allem. Die einfache Gewißheitmeiner selbst ist 50 das Unmittelbare, welches sich nichtunterscheidet. Die Natur ist unmittelbar. Dem Geiste kommtdie Unmittelbarkeit nur zu als zurückgekehrt zu sich selbst.Die Unmittelbarkeit muß so nach der Weiseder Unmittelbar­keit sein, und dies ist diese Bestimmung, die wir die Natür­lichkeit heißen. So ist der Monarch durch die Natur das, waser ist, durch die Geburt. IDer angeführte Begriff ist durchausspekulativ; es ist hier die Identität, welche unmittelbar das 10

Gegenteil ihrer selbst ist, das heißt unmittelbar. Hier istderselbe Übergang, welcher vorkommt in dem sogenanntenontologischen Beweise vom Dasein Gottes, wobei vomBegriff Gottes ausgegangen wird. Die Schwierigkeit, denÜbergang des Subjekts zum Objekt zu fassen, macht immernur die Mauer aus, wo die Ochsen am Berge stehen. Aufjenem1 Übergang beruht überhaupt alles Fassen, allesBegrei­fen. Weil der Begriff des Monarchen so spekulativ ist, somacht dies das Mystische im Begriff des Monarchen aus, das,welches vom Verstand nicht gefaßt werden kann. Hierin ist 20

die Majestät begründet, welche tdas Innerlichste ist undgerade deswegen unmittelbar das Äußere. Der Verstand kannso die Majestät nicht begreifen, und man kann so mit Rechtsagen, der Monarch soll nicht begriffen werden, d.h. nichtmit dem Verstande. Indem nun dies begriffen wird, so ist das 25

Verhältnis der Philosophie ein freies Verhältnis zum Monar­chen, indem sie2 diese Stufe, diese Stelle begreift. DasVerhältnis des Verstandes ist ein unfreies Verhältnis zumMonarchen. Das Verhältnis der Untertanen kann sein einVerhältnis des Zutrauens, der Achtung, der Liebe und auch 30

der Furcht. Sowie der Verstand hinter dieses Verhältniskommt, so macht er einen Bruch in dasselbe. Im Zutrauen, in

I Orig. -jenen-.2 Orig. -es-.

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er sein soll. Die Natürlichkeit ist es so, was der Verstandfesthält als ein Negatives. Nun muß freilich zugestandenwerden, daß im Monarchen das Moment des Natürlichen ist,und man kann dagegen sagen, daß der Beste, der Vernünftigeregieren soll. Der Verstand kann nun leicht noch mit bösemWillen und Neid und Hochmut verknüpft sein, und dannweiß er seine I Gründe noch durch vieles zu unterstützen.Allerdings soll der Vernünftige herrschen, und die Verfas­sung ist die Vernünftigkeit selbst; aber in dieser Vernünftig­keit ist das eine Moment jene Identität, jene Subjektivität,dieses Natürliche. Der Begriff muß das Andere in sich fassenund als das Seinige wissen, sonst ist er bloß abstrakterVerstand. Wenn nun über Staatsverfassungen überhaupträsoniert wird, so hat immer der Begriff dabei gefehlt, dasspekulative Denken; die, welche über Verfassung reden 15

wollen, müssen also zunächst philosophieren, sie müssenbegreifen lernen. Es ist nur die spekulative Philosophie,welche das Recht hat, das, was dem Verstande ein Geheimnisist, das Spekulative, welches im Begriff Ides Monarchen liegt,zu erfassen.Wenn man zunächst darauf kommt, daß es das Natürlichsteund das Billigste wäre, den Monarchen zu wählen, so ist hierzu erwähnen, daß, wenn auf solche Weise der Tapferste, derWeiseste u. dgl. gemeint wird, dies nach Art der Stoikergesprochen ist, welche, wenn vom Weisen die Rede ist, auch 25

immer nur ein Subjekt beschreiben. Es ist nun nichts langwei­liger, als so einen Stoiker vom Weisen sprechen zu hören, sowie es auch langweilig ist, immer nur vom weisen KönigSalomon zu hören. Die Vernünftigkeit soll aber als ausgebil­detes System der Institutionen eines Volkes bestehen undnicht bloß in einem Subjekt. Im I Staate ist die Vernünftigkeitauf eine objektive Weise wirklich vorhanden. Das, was demMonarchen zukommt, ist das Grundlose: I Ich will. Dies istI Orig. Semikolon.

I Orig. -hat-.2 Orig. >großes Vergniigen-.3 Orig. Komma.

der Liebe ist das Vernünftige enthalten, allein auf die Weiseder Empfindung. Man Ikann sich auf das Räsonnement au.sGründen einlassen und zeigen, wie wichtig es für ein Volk sei,einen Monarchen zu haben. Man kann1 hier mancherlei

5 medios terrninos annehmen und von einem solchen Grundeaus darüber räsonieren, ob es vorteilhafter sei, diese oder jeneVerfassung zu haben. Man befindet sich auf dem Boden de~Räsonnements, und man kann auf diese Weise zu mancherleiResultaten gelangen. Man kann dann etwa finden, daß es für

10 das Volk das Geratenste sei, für seine Ruhe, für sein Wohl,daß die Verfassung eine monarchische sei, und man kannzeigen, daß auch in einer Monarchie für die Freiheit gesorgtsei; allein dies geschieht immer vom Standpunkt Ides Räs~n­nements aus. Das nächste, worauf der Verstand kommt, ist:

15 Der Monarch ist ein Individuum wie ich, ein Mensch, dernicht mehr ist als ich, und ungeachtet dessen soll dieser Eineim Staate diesen ungeheuern Vorzug vor allen anderen habenan Macht und Gewalt wie an äußerer Ehre und Herrlichkeit.Und diesen Vorzug soll er durch den bloßen Zufall der Natur

20 haben, da doch der Mensch nicht ein natürlicher sein soll,sondern durch das Denken das sein soll, was er ist. Hier stehtder Monarch als unmittelbare Person gegenüber. Wenn nunder Verstand weitergeht, so erwägt er, wie durch den Zufallder Geburt über so Wichtiges entschieden wird. Das Resultat

25 dieses Räsonnements ist immer: Ein Individuum, welches sogroße Vorzüge? haben Isollte als der Monarch, müsse auch anGeist und Zustand der Vorzüglichste sein. Das Bestehen dererblichen Monarchie erscheint so bloß als etwas Angeerbtesund nicht in der Vernunft begründet. Der Monarch ist so nur

30 betrachtet als ein Natürliches, unmittelbar Persönliches -'was er auch ist, aber wieder als ein Negatives gegen das, was

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zunächst bloß das formelle Moment, noch ohne die Objekti­vität. Es ist eine obetflächliche Ansicht, wenn man dekla­miert, daß das Wohl eines ganzen Volkes von der Persönlich­keit des Fürsten abhänge, und man hat so große Fürstenerzie-

5 hungspläne gemacht. Wenn die Institutionen eines Volk~svernünftig sind, so macht sich das von selbst, und diePersönlichkeit ist es keineswegs, von der alles abhängt.Ohnehin ist der Monarch selbst ein Sohn seiner Zeit undseines Volks.E Er ist gar nicht so etwas vom Monde Herabge-

10 fallenes, sondern es lebt in ihm der Geist seines Volks. Wennin einem Volke mancherlei Gedanken aufkommen, so I gibt esnichts mehr, wo es nicht eine Menge Menschen gibt, diebeweisen, daß das allesbesser sein müsse. Die Regierung mußimmer das letzte sein, welches1 solche Gedanken des Besser-

15 machens aufnimmt. Denn wenn ein Gedanke wirklich an undfür sich begründet ist, so gehört noch dazu, daß er zuvor dieIndividuen eines Volkes durchdrungen habe und daß dieübrigen Einrichtungen damit in Zusammenhang gesetzt wer­den. Dies ist aber nicht gleich im Anfange geschehen. Die

20 Regierung muß so die Sache ganz frei walten lassen, damit,ohne anderen Zweigen, die damit zusammenhängen, Gewaltzu tun, dieselben geändert werden können.Daß das Erbrecht den Monarchen zum Monarchen macht, istdas, was I man Legitimität nennt. Hierbei ist nun einerseits

25 die Weise des positiven Rechts; daß aber die natürlicheGeburt wesentlicher Grund des Rechts ist, dies muß vorherbegriffen sein. Daß der Monarch auf diese Weise zum Thronekommt, ist eine der wichtigsten Bestimmungen der Staatsver­fassung. In orientalischen, despotischen Reichen kommt es

30 nicht dazu. Indem die Sukzession durch die Natur bestimmtist, so erscheint die höchste Spitze der Zusammenhaltung desStaats der Zufälligkeit und Besonderheit entnommen. Ineinem despotischen Staate steht der Regent immer als Beson­I Orig. .welche-.

derheit der Masse des Volks gegenüber. Jeder kann sich hierebensogut als ein Besonderes ansehen, und die Zufälligkeit istes, die sich hier geltend macht. - Man kann, wie Ibemerktwurde, es für sehr naheliegend halten, daß die Wahlform dieangemessenste sei, da es dem Volk überlassen bleiben müsse1,

wem es die Besorgung seines Wohls auftragen will. Soerscheint das Wahlreich als das vernünftigste und rechtlich­ste. Der Regent erscheint in diesem Falle als derjenige, demdas Volk den Auftrag für sein Amt erteilt hat; der Fürst hatsoden Charakter eines Mandatars.f Wenn wir die Geschichte 10

um Rat fragen, so finden wir, daß bei einfachen Völkern soetwas wohl stattfinden kann. Das deutsche Reich hat dem­nachst/: seinen Untergang gefunden, und ebenso Polen. Nungeht zwar ein jedes Reich unter, und es ist gerade nicht dielange Dauer eines Reichs, die für die Güte der Verfassung 15

entscheidet. Allein das deutsche Reich Ihat nie einen vernünf­tigen Zustand dargeboten. Sobald die alte Einfachheit derSitten, und somit die Barbarei, aufhörte und das Selbstbe­wußtsein eintrat, so hat sich gezeigt, daß keine Verfassung hatschlechter sein können als die des deutschen Reichs. Polen 20

bietet dasselbe Schauspiel dar. In Wahlreichen finden Kapitu­lationen statt; die Wahlkapitulation druckt aus, daß derKaiser oder die oberste Staatsgewalt sich auf gewisse Bedin­gungen ergibt. Die Meinung, die Ansicht und die Willkür derBesonderheit ist unmittelbar losgelassen in einem Wahlreich. 25

In jeder Wahlkapitulation haben die Fürsten sich neue Rechteund Vorteile ausbedungen, bis daß am Ende vom Staatsver­mögen und von der Staatsgewalt nichts übriggeblieben ist.Man hat es mit Recht für die Erblichkeit der Monarchiegeltend gemacht, daß Iden Parteien dadurch gesteuert wird.Solche Parteizerrüttungen müssen bei Thronerledigungeneintreten, denn die besonderen Meinungen haben dann freiesSpiel. Wenn eine Nation groß ist, so sind der StimmgebendenI Orig. -müssen-.

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der Souveränität, in der Majestät des Fürsten liegt gerade dasletzte, grundlose Entscheiden, und dieses ist nicht ein Über­tragenes, von einem andern Herkommendes. - Man hatfrüher gesagt, die fürstliche Gewalt beruhe auf göttlicherAutorität. Dies hat insofern seinen Sinn, als darin ausgespro- 5

chen ist, daß hier etwas der Willkür und Besonderheit1

Entnommenes ist. So schreiben sich die Fürsten auch »vonGottes Gnaden-s". An eine vollkommene Willkür in Anse­hung des Inhalts ist hierbei jedoch nicht zu denken, wie diesin England von einer Partei besonders geltend gemacht 10

wurde. I

Wenrr' die fürstliche Gewalt in der bezeichneten Art beson­ders festgestellt ist, so hat damit dieselbe ihr vollkommenesRecht, und die anderen Momente der Idee entwickeln sich aufeine ebenso freie Weise. Eine jede Gewalt hat zu ihrer eigenen 15

Haltung die andern notwendig. Nur indem das Moment derfürstlichen Gewalt zu seinem vollkommenen Rechte kommt,können auch die andern Staatsgewalten ihrem Begriffegemäßihre Rechte" erhalten. Hierin liegt auf der einen Seite dieSicherheit der bürgerlichen Gesellschaft und auf der anderen 20

Seite die Sicherheit der Throne und der Dynastien. DieFestigkeit liegt überhaupt nicht im Massenhaften; dies istgerade das Unsicherste. Es ist einer der größten Fortschrittein Ansehung I der Verfassung, daß die Sukzession auf diebezeichnete Art befestigt und daß der Begriff damit erfüllt 25

worden ist.Man hat oft sagen hören, die Sicherheit des Thrones beruhedarauf, daß der Fürst sich die Liebe seiner Untertanenverschaffe. Darin liegt überhaupt nicht" etwas Bestimmtes.Wir haben in neuern Zeiten Ludwig XVI., einen durchaus 30

wohlwollenden Mann, von seinen Untertanen auf das Scha-

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immer eine große Menge. In Frankreich, da es Demokratiewar, sollten fünf Millionen aktive Bürger über das Wohl desStaats entscheiden. Die Betrachtung, daß die Stimme desEinzelnen auf ein höchst Unbedeutendes verschwindet,

5 bringt eshier mit sich, daß nur wenige in den Versammlungenerscheinen. Wer noch darin erscheint, hat ein besonderesInteresse, sei es ein wirkliches Privatinteresse oder auch einmehr patriotisches Interesse. Es sind so Meinungen, diegegeneinander auftreten. In I der Meinung, welche abgegeben

10 wird, empfinde ich die Zufälligkeit und die Willkür, und daliegt es denn ganz nahe, daß zur Gewalt geschritten wird,denn diese ist ebenso ein Zufälliges als die Meinung deranderen. So tritt die Zufälligkeit der physischen Kräfteunmittelbar gegen die innere Zufälligkeit auf. Es kommt so

15 notwendig zur Gewalt, wenn Parteien gegeneinander auftre­ten. Diese Parteien, indem sie in Ansehung der höchstenStaatsgewalt voneinander unterschieden sind, machen unmit­telbar fremde Staaten gegeneinander aus, wenn sie schon zueinem Volke gehören. Dies führt zu Kriegen, die das Innerste

20 angreifen; die Parteien suchen deshalb bei Auswärtigen Hilfeund ziehen diese in ihre IAngelegenheiten hinein. DiesesResultat hat sich immer in Wahlreichen gezeigt. In Deutsch­land ist es zwar nicht so gegangen, daß der Staat in fremdeHände gekommen ist; das Ganze hat sich durch göttliche

25 Providenz hingeschleppt, bis daß die letzte hohle Hülsesozusagen durch einen Fußtritt über den Haufen geworfenworden ist, ohne Ehre und ohne Ruhm.Der Fürst erscheint bei der Erblichkeit der Monarchie erst inder Qualität, die ihm zukommt, als die letzte, unmittelbare

30 Subjektivität. Es ist also unmittelbar ein Widerspruch, wenndiese Macht zu entscheiden ein Übertragenes wäre vonandem. Friedrich der Große hat sich den ersten Diener desStaats genanntE, und dies gereicht ihm I zwar persönlich zurEhre, aber seine Qualität hat er damit nicht ausgesprochen. In

I Orig. -Besonnenheic-.2 Orig. -von Gottes Gnaden­

vielleicht unterstrichen.

3 Orig. ,Wann<.4 Orig. -sie- verändert zu -ihre Rechtee5 -nicht- eingefügt.

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fott bringen sehen. Wenn man so spricht, der Fürst müssesich durch die Liebe der Untertanen auf seinem Thronbefestigen, so reduziert man das Gute auf das Subjektive. InDespotien ist das Gute und das Schlechte ein solches Subjek-

5 tives. Im vernünftigen Staate hingegen sind es wesentlich die494 Institutionen, Ivon denen das Glück des Staats abhängt. In

Demokratien ist es die Subjektivität des Volks als solche, vonder das Gute abhängt. In der vernünftigen Verfassung ist dieSubjektivität mehr oder weniger etwas Gleichgültiges. Die

10 schlechten Institutionen, d. h. ihre Unangemessenheit zu demGeiste, der sich hervorgebildet hatte, haben Ludwig XVI.das Leben gekostet. - Es ist übrigens hier nicht die Meinung,daß eine Verfassung so beschaffen sein müsse, daß der Staatbestehen müsse, wenn auch alle Subjekte nichts taugten. Wo

15 eine vernünftige Verfassung vorhanden ist, da haben es die ihrAngehörigen mit Vernünftigem zu tun, und durch solcheInstitutionen werden jene auch vernünftig. Die Tugend desSubjekts hat hier das Eigentümliche, daß sie allerdings von

495 dem freien Willen der Individuen I abhängt, und sie ist dann20 etwas Höheres als die Tugend in dem Sinn, wie sie Montes­

quieu zum Prinzip der Demokratie macht. E Die Tugenderscheint dann als ein Erzeugnis des freien Willens, so daß dasSubjekt durch die Negativität erst zu dem wirklich Substan­tiellen gelangt ist. - Furcht also und Liebe sind es nicht, auf

25 denen wesentlich die Sicherheit der Staaten beruht. Es ist eineschlechte Ansicht, wenn man den Völkern zuschreibt, daß sienur aus Furcht und knechtischem Sinn Respekt vor ihrenMonarchen haben, sondern es ist die Vernunft des Verhält­nisses, welches hier seine wesentliche Gewalt übt.

30 Nähere, bestimmtere Ausflüsse kommen der Souveränitäteigentlich nicht zu. Sie ist überhaupt das letzte Entschei-

496 dende. Alles, was in I einem Staate geschieht, geschieht imNamen und kraft des Monarchen. Der Name enthält so dieletzte Bestimmtheit; er ist das Zeichen der Vorstellung,

wodurch sie es erreicht, das Einzelne als Einzelnes aufzuneh­men." - Die Richter sprechen im Namen des Monarchen,obschon sie völlig unabhängig sind.f Der Monarch hat fernerzu allen Hauptstellen zu ernennen. Daß das Individuum andie Staatsgewalt angeknüpft wird, dies ist etwas Zufälliges; es 5

hat kein unmittelbares Recht dazu. Würdig sein1 muß dasIndividuum, dies ist die objektive Bedingung. Zu den meistenStaatsstellen kann sich nun eine große Menge würdig machen;der Staat wartet nicht auf dieses oder jenes Individuum. Daßdas Individuum seine Zwecke Idurch ein öffentliches Ge- 10 497

schäft erreicht, dies ist ein Äußerliches und somit etwas dersubjektiven Entscheidung des Monarchen Zufallendes.Im friedlichen Leben des Staats hat die Souveränität wenigeinzugreifen; wo sie vorzüglich einzugreifen hat, das ist in derNot. Der Souveränität als dieser innersten Einheit und 15

Identität kommt es hauptsächlich zu, vor dem? Riß zustehen. Wenn alles im Staat seinen geordneten, vernünftigenGang geht, so ist nicht einzugreifen. Es kann aber Fällegeben, wo innere Mängel der Verfassung sich hervortun, undhier ist der Fall, wo die Souveränität einschreiten muß. 20

Ebenso ist es in äußern Nöten des Staats. Der Regent, dasGewissen des Staats, kann sich in Fällen befinden, wo alleFormen nichts I entscheiden können. Eine Grenze läßt sich 498

hier nicht angeben, und dies ist etwas, das sich selbst legiti-mieren muß. 25

Das Begnadigungsrecht ist auch ein Moment, das demMonarchen zukommt. Es wird hier eine Strafe erlassen odergemildert, die das Gericht gesprochen hat. Es liegt überhauptin der Macht des Geistes, das Geschehene ungeschehen zumachen. Die höchste Macht des Staats kann so gewisserma- 30

ßen in das Innere des Verbrechens sehen und anerkennen, daßdas Wesentliche der Tat, welches dem Willen zukommt,

I -sein- eingefügt.2 Orig. -den-.

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vernichtet sei. Diese Kraft des Geistes, welche sich imVernichten des Verbrechens zeigt, kann so auch im Monar­chen hervortreten, so daß dieser das Geschehene ungesche­hen machen kann. Dem Gelwissen des Monarchen ist es

5 überlassen, mit' den Begnadigungen sparsam umzugehenund nicht die Gerechtigkeit dadurch in ihrem Laufe zuhemmen. Die Identität des Staats als solche kommt zurWirklichkeit im Verhältnis des Staats nach außen, da wo essich um dessen Erhaltung überhaupt handelt. Die Vernünf-

10 tigkeit überhaupt läßt das Extrem des Willens, welches alsdiefürstliche Gewalt erscheint, zum Für-sieh-Bestehen gelan­gen. Es kann noch gefragt werden, ob denn im Menschenetwas sei, was ihn nötige, sich so zu unterwerfen, oder ob esbloß äußere Notwendigkeit sei. Und man kann sagen, der

15 Mensch müsse nur dem Gesetze gehorchen, nicht demsubjektiven Willen des Individui. IDie Antwort hat dieseForm, daß zum Begriff des Menschen rekurriert werdenmuß. Kent sagt zum König Lear: Es ist etwas in deinemGesicht, das ich gern meinen Herrn nenne.f Die Frage ist

20 also, ob überhaupt etwas im Menschen sei, welches gerneinen Herrn anerkennt. Dem Begriff nach ist der Menschfrei, als Reales ist er ein Existierendes, somit ein Besonderes,ein Abhängiges. Er geht als solches mit andern Verträge einusf.; der Zusammenhang mit andern überhaupt ist etwas

25 Notwendiges. Die Entscheidung hierzu liegt nicht in ihm,und diese Entscheidung ist eine weltliche, eine menschliche.Es wird hier notwendig eine subjektive Entscheidungerfordert. I Gesetze und Institutionen sind etwas an undfür sich, und darüber entscheidet der Monarch nicht. Die-

30 ser entscheidet aber über das Besondere. Das Entscheidendein seiner wahrhaften, begriffgemäßen Form ist dieses Sub­jekt.Das bloß Formelle ist zunächst inhaltsleer. Die Seite desI Orig. -bei.,

Inhalts gehört nun einer besonderen Stelle an, einer oberstenberatenden Stelle, welche vor den 1 Monarchen das Vorkom­mende zu bringen hat. Diese Stelle hat zugleich das Objek­tive, Allgemeine vor den 1 Monarchen zu bringen. Dies istdas, was man das Ministerium überhaupt nennt. Insofern 5

diese Individuen es mit der unmittelbaren Persönlichkeit desMonarchen zu tun haben, so liegt darin, daß I ihre Ernennungund Entlassung ganz dem Monarchen überlassen bleibenmuß. Es kann nun sein, daß der Fürst selbst mehr regiert odermehr den Rat derer befolgt, die dazu berufen sind. Für 10

wesentlich kann man es ansehen, daß der Fürst selbst regiere.Ebenso ist aber auch das Selbstregieren des Monarchen etwassehr Gefährliches. Der türkische Kaiser regiert sehr vielselbst. Hier ist es immer die Subjektivität des Individui,welche sich geltend macht. Das Sicherste ist immer, daß die 15

Minister um Rat gefragt werden. Man sieht es deshalb mitUnrecht als Schwäche an, wenn ein Fürst seinen Ministernfolgt. Die Verantwortlichkeit kann allein auf die Mini-ster Ifallen. Verantworten heißt, daß eine Handlung gemäßist der Verfassung, dem, was Recht ist, u. dgl. Den Ministern 20

kommt diese Seite des Objektiven zu. Die Majestät desMonarchen ist für Regierungshandlungen durchaus unver­antwortlich. In vielen Staaten ist die Art der Verantwortlich­keit der Minister förmlich bestimmt. Die Trennung desSubjektiven und Objektiven zeigt sich im Fürsten und dem 25

Ministerio.Das dritte Moment in der fürstlichen Gewalt ist das an undfür sich Allgemeine. Dies sind die Gesetze und die Verfas­sung. Der Fürst macht diese nicht, sondern sie sind an und fürsich vorhanden. Die fürstliche Gewalt setzt die anderen 30

verschiedenen Gewalten im Staate Ivoraus, so wie alle anderndieselbe wiederum voraussetzen. In despotischen Staaten istdas an und für sich Geltende vornehmlich als ReligionI Orig. -dem-.

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15

4 Orig. -enthal«.5 Orig. -Beruf-.

halten. Diese verschiedenen Beamten und die höheren Behör­den laufen dann in die Ministerien und den Monarch zusam­m~n. In der bürgerlichen Gesellschaft sucht zunächst jedersem Interesse, und so hat hier der 1 Konflikt des Interesses derbes.andern Sp~ären I gegeneinander und gegen das Allge­n:>eme se~nen Sitz. Der Korporationsgeist hat die Richtung,SIch in seiner Sphäre zu verlieren. Daß dieser Geist nicht zumExtrem des Fürsichseins gelangen kann, dafür müssen Insti­tuti~nen sein. Der Geist der Korporationen ist es gewesen,wonn der Geist der bürgerlichen Freiheit im Mittelalter 10

ein,erseits angef'l!Igen hat aufzublühen; aber zugleich habenSIe SIch verknöchert, und wo es dem Allgemeinen nichtgelungen ist, darüber Herr zu werden, da ist dasselbe mehr?derweniger zerfallen. Machiavell", dieser große Geist, hatin semem Bu~h v.om Fürsten, von dem man vielfältig meint,daß es Geheimnisse und Maximen I der Despotie enthaltejene' Seite besonders herausgehoben. Wenn man besonder;den Schluß jenes Buchs liest, so erhalt" man den Aufschlußüber das Ganze; dieser Schluß enthält einen Aufruf 5E der auseinem tief patriotischen Gefühl hervorgegangen ist. Machia- 20

vell spricht darin das Elend seines Vaterlandes aus welches inso viele Herrschaften und Gemeinden zerfallen ist diebeständig unter sich im Streite sind und dann vornehmlicheinen Tummelplatz für die Auswärtigen abgeben. Machiavellstellt so als Prinzip auf, daß der Einheit des Staats als dem 25

höchsten Gesetz alles andere weichen muß, und er gibt dannMaßregeln an, wie dieses zu erreichen ist. Man verkennt denMa~hiavelll sehr, wenn man glaubt, daß er dem Despotismuszuliebe geschneben habe, sondern es ist rein das tiefe Gefühleines großen Geistes über das Unglück und das Elend seinesVaterlandes, welches ihn getrieben hat. Man muß die

1 Orig. -das-.2 .sie. eingefügt.3 Orig. -hat jene-.

ß. Die Regierungsgewalt

Diese hat das Allgemeine der Gesetze und die Verfassung im5 Besonderen geltend zu machen und die Kreise des besonde­

ren Lebens auf das Allgemeine zuruckzutiihren. In dieserSphäre stößt das Allgemeine und Besondere zusammen. DerTrieb des Besonderen ist, sich in sich zu vertiefen, selbständigzu werden gegen das Allgemeine. In dieser Sphäre sind nun

10 die besonderen Interessen der bürgerlichen Gesellschaft505 überhaupt vorhanden. IAls solche haben sie ihre eigentüm­

liche Verwaltung. Es können so Korporationen, Gemeindenund Provinzen besondere Interessen haben und ihre eigenen

1

Obrigkeiten und Vorsteher dazu bestellen. Das Besondere15 kann hier ebenso zu seinem Rechte kommen, aber über das

Allgemeine des Staats kommt ihm nicht die letzte Entschei­dung zu. Diese besonderen/ Angelegenheiten haben also ihrebesondere Verwaltung. Die Vorsteher können von denGenossen der Korporation, des Standes pp. gewählt werden.

20 Die Autorität beruht hier vorzüglich auf dem besonderenZutrauen. Der Trieb der Menschen, für etwas Allgemeines zuhandeln und zu wirken, kann sich hier ergehen; die Kenntnis

506 und die I Einsicht des Besendem reicht hier hin. Zugleich isthierbei die Einwirkung des Staats als solchem' notwendig. Es

25 gehört deshalb dazu, daß, indem diese Sphären sich für sichbewegen, auch Abgeordnete der Regierungsgewalt hier eineEinwirkung haben. Das Besondere ist geneigt, eigennützigenInteressen zu folgen. Hier sind es also Beamte der oberstenRegierungsgewalt, die die Interessen des Allgemeinen fest-

I Orig. -eigenec2 Orig. -besondere-.3 Orig. -solcherc

vorhanden. In gebildeten Staaten hingegen ist es in der Formdes vernünftig Gedachten.

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Geschichte Italiens bis zu Machiavells Zeiten lesen, um zubegreifen, warum er so geschrieben hat. Die meisten H.err­schaften in Italien waren dadurch entstanden, daß gluckhcheCapitani eine Stadt oder einen Distrikt zu ihrem Eigentum

5 machten. Ein großer Teil von jenen waren Räuber undBanditen, denen kein Mittel zu schlecht war, um zur Herr­schaft zu gelangen. Wenn Machiavell also in Ansehung derMittel, die er vorschlägt, auch zu weit geh~, I so muß manbedenken, was es für Leute waren, gegen die er zu solchen

10 Mitteln rät. In der Französischen Revolution hat die öffent­liche Meinung ihren Haß besonders auf die Korporationengewoden. Bei Korporationen fehlt es nun nicht, daß ~IelUngeschicktes gemacht wird; je geringfügiger die Sache Ist,desto mehr kann man der Tendenz, selbst etwas zu machen,

15 ihr Ergehen zugestehen. . . ..Was nun die Organisation der eigentlichen Regierungsbehor­den anbetrifft SO ist dies teils Sache des Verstandes und, .. .gehört insofern nicht hierher. - Ern wesentliches ~oment Istes in der Organisation der Regierungsgewalt, .daßdie ~o~eren

20 Behörden kollegialisch konstituiert sind. Die kollegialischeForm I ist in den deutschen Verfassungen von jeher übhchgewesen. Es stumpft sich die subjekti~e Form durch diekollegialische Verfassung immer ab. - Dle.Schwlengkelt beider Organisation der Regierungsbehörde hegt dann, daß da,

25 wo die Sache ausgeführt werden soll, sie konkret ist. In derMitte muß sodann das Geschäft in seine abstrakten Zweigeauseinandergelegt werden; nach oben ist dasselbe sodannwieder zusammenzufassen.Zu den verschiedenen Geschäften der Regierungsgewalt

30 bedad es nun Individuen. Das objektive Moment dabei ist,daß diese Individuen ihre Befähigung nachweisen. Unterdieser Bedingung muß einem jeden Bürger der Weg zu denöffentlichen Ämtern aufstehen. Die subjektive ISeite ist, daßvon mehreren gleich fähigen ein besonderes Individuum

berufen wird. Zu den meisten Staatsgeschäften gehört keinebesondere Genialität, und es können sich viele Individuen dieBefähigung dazu geben. Daß nun gerade dieses und nicht einanderes Individuum gewählt wird, ist etwas Äußerliches. Esist hier immer mehr oder weniger Zufälligkeit und subjektive 5

Ansicht, in welche die Entscheidung fällt. Es ist sonach diefürstliche Gewalt, welcher die Ernennung zu den Staatsäm­tern überhaupt zukommt. Das Amtsverhältnis hat etwas vonder Natur des Vertrags an sich; es ist ein Leisten undGegenleisten vorhanden. Gleichwohl fällt dieses Verhältnis 10

nicht förmlich unter Idas Vertragsverhältnis. Das Geschäft istetwas, das an und für sich sein muß, und der Inhalt desVerhältnisses fällt deshalb nicht in die Willkür. Durchschlechte Besorgung der Staatsverhältnisse wird nicht bloßein Vertrag, sondern eswird eine wesentliche Pflicht verletzt. 15

Es muß mithin hier Bestrafung eintreten. Das Individuum,das zu' seinem Berufe durch den souveränen Akt der Ernen­nung berufen ist, ist auf seine Pflichterfüllung angewiesen.Das Individuum, indem es sein besonderes Interesse in diesesVerhältnis legt, hat an den Staat den Anspruch, daß dieser die 20

Sorge für seine Subsistenz übernimmt. Der Staatsdiener istnicht Staatsbedienter. Er geht I ein wesentliches Verhältnisein, und die Pflichtedüllung ist die wesentliche Bedingung,unter der er sein Amt behalten kann. - Ob die Entlassung desStaatsdieners bloß Sache der Willkür sein soll oder nicht, 25

darüber hat die Entscheidung ihre besonderen Schwierigkei­ten. Ein Staatsdiener kann sein Amt wohl insofern als seinEigentum betrachten, als er seine ganze Tätigkeit in diesesVerhältnis gelegt hat; allein der Staat und dessen Dienst bleibtdabei immer das Substantielle. Dieser muß daher das Recht 30

behalten, über die Beibehaltung das Amtes zu entscheiden.Wenn er sieht, daß er sich in der Bestellung eines Staatsdie-

I Orig. -mit-.

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515 ners getäuscht hat,. so is~ er dem Individ~o immer.1 eine ~~tvon Ersatz schuldig.f Ein anderes Ist eS , w.enn ein Indivi­duum in seinem Amte Verbrechen begeht. Uber die Art derAmtsführung kann ein Gericht nicht entscheiden, wohl aber

5 über ein eigeniliches Verbrechen.Die Beamten müssen überhaupt in Ansehung dessen, wasihren Unterhalt betrifft, so gesetzt sein, daß sie dabei be­stehen können. In Ansehung des individuellen Benehmensder Beamten gehört hierher, daß sie keine Privatleidenschaf-

10 ten üben und daß umgekehrt die Individuen keine Privat­leidenschaften bei ihnen suchen. Ein Hauptmoment fürdie Leidenschaftslosigkeit der Beamten ist die Größe desStaats überhaupt. In einem großen Staate können persön-

516 liehe Leidenschaften überhaupt nicht solchen Einfluß auf I15 die Verhältnisse der Beamten üben als in einem kleinen

Staate.Die Mitglieder der Regierung überhaupt, und was da~itzusammenhängt, bedürfen überhaupt einer allgememer.n Bil­dung, und insofern dies Bedingung ihrer besondern EXistenz

20 wird so macht diese Masse überhaupt das aus, was man denMittelstand nennt. Dieser Stand lebt notwendig darin, daß ersich allgemeinen Kenntnissen, allgemeinen Ansichten wid­met. Auf der Fortbildung und auf dem' Begriff dieses Stand,:sberuht überhaupt die wesentliche Intelligen~ eines Staats. ?Ie

25 Institutionen müssen es bewirken, daß dieser Stand nichtdurch seine Macht die Mittel zur Bildung einer Aristokratiegewinnt. Es ist dieses oft der Fall gewesen. So findet man I na­mentlich Advokaten, welche durch ihre Kenntnis des Rechtssich zu großem Mißbrauch verlei ten la~sen. Die Kontr?lle

30 von oben herunter ist nicht immer ausreichend. Die Institu­tionen müssen eine hinlängliche Festigkeit haben und so eine

I Orig. -isrs..2 Orig. -den-.

feste Mauer gegen die Willkür und die Nachlässigkeit derBeamten bilden.

y. Die gesetzgebende Gewalt

Die gesetzgebende Gewalt hat das Allgemeine als solchesfestzusetzen. Die Gesetze sind die allgemeinen Verhaltnisse 5

in einem Staat. Außer diesen gibt es auch noch SO allgemeineRegierungshandlungen, daß die Bestimmung derselben auchden Charakter der Gesetzgebung annimmt. IDie Verfassung 518

selbst liegt außerhalb der gesetzgebenden Gewalt; in derFortbildung der Gesetze liegt indes auch eine Fortbildung der 10

Verfassung. Die gesetzgebende Gewalt ist nun für sichgleichfalls Totalität wie die andern Gewalten. Sie enthält dasmonarchische Moment in sich, in welches 1 die höchsteEntscheidung fällt; ebenso muß die Regierungsgewalt beiderselben tätig sein. Diese ist das beratende Moment. Das 15

dritte ist dann das ständische Element; daß dieses nichtselbständig und abstrakt für sich bestehen kann, wurde obenschon bemerkt.Die Notwendigkeit von Ständen in der Verfassung kann aufmannigfaltige Weise gefaßt werden. Am häufigsten werden 20

die Stände I dargestellt als ein notwendiges Gegengewicht 519

gegen die höchste Gewalt. Das Dürftige dieser Ansicht wurdebereits oben bemerkt.f Allerdings soll ein jedes Moment seinselbständiges Dasein haben, und insofern verhält sich immerdas eine beschränkend gegen das andere. Sehr gewöhnlich ist 25

die Voraussetzung, als ob an und für sich die höchste Gewaltden Trieb hätte zu unterdrücken, während man das Volk alsdas Höhere und Vortreffliche darstellt. Das Volk überhaupthat als Menge vielmehr den Charakter, daß jeder seinenbesondern Zweck hat, den er verfolgt.

I Orig. .welchem-.

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3 Orig. -allgemeine.,4 Orig. -Gemeinde..

Moment ist es, welches in den Ständen zu seinem Rechtekommt. Die Athenienser, das freieste Volk der alten Welt,trugen es dem Solon auf, Gesetze zu machen. Ein solchesEmpfangen und Annehmen ist indes in spätem Zeiten nichtmehr. vorhand.en. Das Vortreffliche und Wahrhafte kann 5allerdmgs an sich :orh.anden sein, aber ' die Forderung desSelbstbewußtsems 1St nicht dabei befriedigt. - Die Forderung~er Stande grundet sich auf dieses IVerhältnis, und sie liegt so10 der Idee selbst. Es 1St also nicht die Rede davon, daß dieGesetzgeb~ng durch die Stände besser besorgt werde- und 10ebensowemg läßt sich das bessere Wollen der Stände zu ihren~unsten geltend machen. Ob sie guten Willen haben odermch.t, darüber läßt sich im allgemeinen nichts sagen. Daß dieReg1erung.sh":,,dlungen einer Zensur der Stände unterworfenwerd~n, dies 1.St allerdings ein großes und richtiges Moment. 15Es wird auf dIese,!!eise das Allgemeine geltend gemacht.Gegenstand ~er s;and1schen Wirksamkeit überhaupt sind dieganz allgerneinen Angelegenheiten I des Staats. BesondereGrenzen lasse~sich hier nicht feststellen. Gesetz und Maßre­gel der ~xekunon sind nicht scharf zu unterscheiden. Solche 20allgemem~ Ang:legenheiten sind z. B. die Berechtigungende~. Gememden und Korporationen, die bürgerliche und~nmmalgesetzgebung,insofern diese sich fortbildet, öffenr-liehe A~staltenvon allgemeinem Interesse pp. Straßen, Brük-ken, Hof~, Kolonien sind z. T. allgemeine Angelegenheiten, 25z. T. gehören sie mehr zur Wirksamkeit der Regierung. EinG~genstand,vonde~ hä.ufig die Rede ist, ist der Krieg undF~led~, da.s Verhaltms mrt auswärtigen Mächten überhaupt.DIes 1St eme IAngelegenheit, die den ganzen Staat betrifft. 525Ihrem Inhalte nac~ ist sie gleichwoW eine ganz einzelne 30AngelegenheIt. Kneg oder Friede ist eine Sache, die VOnbesonderen Umständen abhängt, und je ausgebildeter dieI Orig. -als-.2 Orig. -werden..

I -zu- eingefügt.2 Orig. -beruhigec

Ein anderer Gesichtspunkt ist der, daß es um deswillen derKonkurrenzE VOn Abgeordneten des Volks bedürfe, weil

520 diese am besten wissen, was I ihnen not tut. Das Volk, ab­getrennt von der Regierung, weiß vielmehr nicht, was es will.

5 Dazu gehört tiefe Einsicht, zu wissen, was man will; einer­seits gehört dazu wissenschaftliche Einsicht, und andererseitsgroße praktische Bildung. Es ist überhaupt das größte, wasein Mensch kann, daß er wisse, was er will. In der Französi­schen Revolution waren es nur wenige, einfache Bestimmun-

10 gen, die als der wahre Inhalt des öffentlichen W ollens genanntwerden können; dies ist die Abstellung der Feudalgewalt unddie Herrschaft des Gesetzes.Was die Notwendigkeit der Stände dem Begriff nach betrifft,so liegt sie darin, daß das Allgemeine auch auf eine allgemeine

15 Weise hervorgebracht werden muß. Dieses Allgemeine kann521 nun von einer Regierung wohl geschehen ohne IStände, und

es kann eine Monarchie sich in einem gedeihlichen Zustandebefinden. Aber weil es das Allgemeine ist, so liegt darin, daßes auf eine totale Weise hervorgebracht werde und zur

20 Existenz komme. Dies geschieht nun durch die besondereKonkurrenz'' von vielen aus dem Volke überhaupt. - Es istkeine Frage, daß Manner, die sich immer mit Staats geschäftenabgegeben haben, das, worauf es ankommt, besser verstehenals solche, die gewöhnlich besonderen Zwecken nachgehen.

25 Es ist übrigens Moment der neuern Zeit hauptsachlich, daßdas Wahre nicht überhaupt gelte, sondern daß es mit derEinwilligung und mit dem Wissen des Einzelnen geschehe.Zur Religion verhalten sich die Menschen zunächst als zu 1

522 einem Geoffenbarten. I Dabei kann die Menschheit auf einer30 gewissen Stufe ihrer Bildung sich beruhigen'; allein es wird

darüber hinausgegangen, und es tritt die Forderung dereigenen Einsicht und des Selbstbewußtseins ein. Dies

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Staaten das Privateigentum in Anspruch genommen wird, diePrivateigentümer auch dazu einwilligen müssen. Es liegt derMIßverstand darin, daß es beim Privateigentum allerdingsmeine Willkür ist, ob ich etwas hinweggeben will, während esdagegen in Absicht auf den Staat an und für sich seiendePflicht für mich ist, dem Staate zu steuern. Dieses ist nichtbloß eine positive Pflicht, sondern an und für sich vernünftig.Abgaben haben keinen anderen Zweck, als die Bedürfnissedes Staats zu bestreiten. Die Erhaltung des Staats ist eine anund für sich notwendige Sache. - Ein Hauptgegenstand istnun also für die ständische Wirksamkeit die Konkurrenz" beiBestimmung! der Abgaben. Damit hängt zusammen die Prü­fung des öffentlichen Bedürfnisses und die Kontrolle über diegesetzliche Verwendung der öffentlichen Abgaben. In neuernZeiten bilden die Finanzen überhaupt einen höchst wichtigenGegenstand, um den sich das ganze äußere Leben des Staatsdreht. Dies sieht dem ersten Augenblick nach schmutzig aus.Im Kriege ist der Einfluß des Geldes gleichfalls von solcherWichtigkeit. Es fragt sich, warum das Hauptinteresse desStaats die Form des Geldes angenommen hat. Dabei ist zuerst 20

zu unterscheiden, daß die Wirksamkeit des Staats überhauptallgemeine Bestimmungen betrifft, nach denen jeder sich zurichten hat. Dabei handelt es sich zunächst nicht um öffent­liche Leistungen. Die zweite ISeite ist dagegen, daß auchgeleistet wird. Dieses Leisten nimmt nun überhaupt die Form 25

des Geldes an. Man könnte sagen, es könnte nun von denEinzelnen nicht viel Besseres geleistet werden als Geld. DieBürger können so ihre mannigfaltigen 1 Geschicklichkeitenoder ihren Patriotismus überhaupt anbieten. Der Patriotis­mus ist zunächst nur Gesinnung; es bedarf aber nun wirkli­cher Leistungen. Das, was geleistet wird, ist zunächst etwasBesonderes. Dieses Besondere könnte nun zunächst direktgefordert werden; einer sollte Straßen bauen, der andereI Orig. -mannigfaltige-.

I Orig. -einzelne-.2 -zu- eingefügt.

Verhältnisse der Staaten sind, je mannigfaltiger sind dieseUmstände. Es ist dies so eine Sache, welche nicht sowohlnach allgemeinen Grundsätzen zu bestimmen ist als nach derKlugheit. Das Allgemeine, welches hier hineinspielt, hat für

5 die einzelnenI Fälle nichts Entscheidendes. Der Beschlußüber jene Angelegenheiten kommt ihrer Natur nach derIndividualität des Staates zu, also der fürstlichen Gewalt.Man glaubt etwa, es würde weniger Krieg geben, wenn IStände darüber beschließen; dies ist aber gerade das Gegen-

10 teil. Es ist damit ebenso, wenn die Verfassung eines Volks soist, daß das Kriegerische darin überwiegend ist. Hier zeigt essich, daß ein solches Volk gerade am meisten in Kriegen sichverwickelt. Kriege, an denen ganze Völker teilnehmen, wer­den in der Regel zu Eroberungskriegen. Insofern Stände bei

15 den Finanzangelegenheiten konkurrieren'', so liegt darin einindirekter Einfluß derselben auf die Angelegenheiten desKriegs und des Friedens. Die Erhebung der öffentlichenAbgaben und deren Verwendung ist nun eine Angelegenheit,die ihrer Natur nach ganz allgemeiner Bestimmungen I fähig

20 ist. Das System der Finanzen ist somit von der Art, Gegen­stand der gesetzgebenden Gewalt zu2 sein.In Ansehung nun der Abgaben kann man sagen, daß durchVerwilligung derselben die Stände es in den Händen haben,die Regierungen zu zwingen. Dieser Gesichtspunkt sieht

25 zuvörderst sehr plausibel aus. An sich aber ist er vollkommenabgeschmackt. Der Staat muß bestehen, und die Ständekönnen im allgemeinen die Verwilligung der Abgaben nichtverweigern. Ordentlichen Ständen kann es gar nicht einfal­len, die Steuern überhaupt verweigern zu wollen. Die Reichs-

30 stände in Deutschland verweigerten wohl bisweilen demKaiser ihre Beiträge; aber das waren auch Stände danach undein Reich. - Man kann nun I ferner sagen, daß, weil in den528

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sei in einem großen Staate zu beschwerlich, wenn alle Ein­zelnen zusammenkommen sollten. Kurz, man geht vonden Einzelnen als Einzelnen! aus. Nun aber ist die Men-gevon Einzelnen ein Haufe, eine in sich selber unorganisierteMasse. Dies ist die atomistische Ansicht. Die Vorstellungeines I Haufens ist eine Vorstellung ohne Würde. Die Mengeals Menge hat auch keinen Gefallen an sich und kann diesauch nicht. Es zeigt sich so, daß dem Einzelnen als Einzel­nerrr' nichts daran liegt, seine Stimme zu geben. Dies zeigtsich gegenwärtig z. B. in Frankreich. Eben weil es viele sind,so ist die Stimme des Einzelnen etwas sehr Unbedeutendes,und es zeigt sich, daß immer ein besonderes Interesse dazugehört, damit einer jener Art der Wahl beiwohnt. Auf demsittlichen Standpunkt gilt der Einzelne als solcher überhauptnicht.

Die bürgerliche Gesellschaft muß also überhaupt als ein insich Organisiertes erscheinen. Die organische Bestimmtheit,wenn wir Isie sehen, hat die zwei Hauptformen des ackerbau­enden Standes und des Standes der Gewerbe. Wir gebrauchenden Ausdruck »Stände- in der doppelten Bedeutung, einmal 20

als Stand der bürgerlichen Gesellschaft und sodann als Teilder gesetzgebenden Gewalt. Ehemals waren Adel, Geistlich­keit und Bürgerstand die politischen Stände. Vom geistlichenStande kann man zunächst meinen, dieser sei notwendig,damit das Wahre, Göttliche und Freie im Staate geltend 25

gemacht werde. Die Kirche hat indes im Staate keine politi­sche Existenz; sowie sie als Kirche stimmgebend wäre, sowäre ihre Stimme apodiktisch, Stimme Gottes, Stimme desGewissens. Da, wo die Kirche nicht entscheidend auftritt, hatsie ihre Stelle nicht. Das, worüber von den IStänden im Staateberaten wird, sind die allgemeinen Angelegenheiten, welchedem Denken angehören, also einer Form, die nicht das

I Orig. -Einzelne-.2 Orig. -Einzelnen-.

Richter sein usf. Statt dessen fordert der Staat überhauptGeld. Bei den RUssen findet es sich wohl, daß, wenn beieinem Regiment ISchuster, Schneider pp. erforderlich sind,gewisse Einzelne dazu bestimmt werden. Durch die ganze

5 moderne Zeit geht, daß die Besonderheit tätig sein will. DerStaat nimmt die Besonderheit auf eine freie Weise inAnspruch, indem er im allgemeinen bloß Geld fordert undnun seine Leistungen denen überträgt, die sich dazu bereitfin­den. Das, was ich dem Staat borge, wird so ganz durch andre

10 Willkür vermittelt. Der Staat kauft und bedingt" das Beson­dere, was er braucht. Die Leistungen können so auf einevollkommen gerechte und gleichförmige Weise geleistetwerden.Es kann nun weiter gefragt werden, welche Qualität die

15 Stände haben sollen. Sie sind die Seite des besonderen Staatsoder das, was man Volk Inennen kann. Diese Besonderheittritt aber herein in das Allgemeine. Der Sinn der Stände mußüberhaupt sein der Sinn des Allgemeinen; die Stände müssenwesentlich zum Sinne der Regierung kommen. In den alten

20 Feudalverfassungen war der Fürst mehr nur Feudalherr mitseinem Privateigentum, aus dem er den größten Teil deröffentlichen Bedürfnisse zu bestreiten hatte. Die Ständetraten gegen den Fürsten gleichfalls als Privateigentümer auf,mit dem Sinne, zu geben so wenig als möglich. Dies ist eine

25 Vorstellung, die sich noch jetzt vielfältig zeigt'. Das Momentder Qualität der Stände ist der Sinn der Besonderheit. Siekommen mit I solchen Kenntnissen des Besondern zur Ge­setzgebung. - Es kann nun weiter gefragt werden, wer dieStände ausmacht. Die einfache Antwort ist: die bürgerliche

30 Gesellschaft überhaupt, das, was den Privatstand ausmacht,der Regierung gegenüber. Die Vorstellung könnte zunächstdarauf kommen, daß es die ganze Vielheit der Einzelnen sei,die zum Privatstand gehört, und man kann dann meinen, esI -zeigt- eingefügt.

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Eigentümliche der Kirche ausmacht. Es bleiben überhauptzwei Stände. Der erste ist der Stand der natürlichen Sittlich­keit, in dem die Familie die Hauptbestimmung ausmacht undder wesentlich auf Grund und Boden angewiesen ist. Daß

5 nun der auf den Ackerbau angewiesene Stand nicht unmit­telbar die Einsicht und Geschicklichkeit hat, die zur Beratungder Staatsangelegenheiten gehört, dies ist eine Bestimmung,die der Zufälligkeit dieses Stands angehört. In Rücksicht aufdie politische Konstitution kommen nun einige Bestimmun-

10 gen hinzu, wodurch die ursprünglichen Bestimmungen die-537 ses Standes dem politischen IZweck desselben angemessen

werden. Dieser Stand macht das Feste, Gleichbleibendeüberhaupt aus. Damit die Unabhängigkeit dieses Standesvollständig sei, dazu gehört, daß der Besitz vom Staatsverrnö-

15 gen unabhängig sei. Ebenso muß das Vermögen unabhängigsein von der Unsicherheit des Gewerbes, und ebenso mußdieser Stand entfernt sein von der Sucht des Gewinns. EinVermögen, das in die Gewerbsverhältnisse gerissen ist, bleibtimmer abhängig von äußerlichen Umständen und von dem

20 Benehmen anderer. Das Gewerbe und die Sucht des Gewinnssind entfernt von einem sichern und festen Grundbesitz.Dieser Stand muß gleichfalls von der Gunst der Mengeunabhängig sein. Das Vermögen muß aus allen diesen Grün-

538 den I ein unveräußerliches Erbgut sein. Indem das Vermögen25 so ein Festes und Unveräußerliches ist, wird es der eigenen

Willkür gleichfalls entnommen. Diesem Stande, indem so einfestes Vermögen für denselben sich bestimmt, ist die harteAufopferung für den politischen Zweck zugemutet, daß seinVermögen sich nicht auf gleiche Weise unter seine Kinder

30 verteilt. Das Eigentum der Familie ist, wie wir früher sahen,Eigentum der ganzen Familie," und insofern eine Verteilungstattfindet, so muß diese gleich sein. Nun aber legt diepolitische Notwendigkeit diese Härte auf, daß der Vater nicht

539 der natürlichen Eingebung seines Herzens folgen und sein I

266

Vermögen zu gleichen Teilen unter seine Kinder teilen soll.Das Vermögen macht diese Seite der Besonderheit und damitdie Seite der Objektivität aus, welche bestimmt werden kann.Die Gesinnung kann nicht bestimmt werden, und Einrich­tungen und gesetzliche Bestimmungen können die Gesin- 5

nung nicht treffen. In der äußern Unabhängigkeit liegt dieabsolute Möglichkeit der innern Unabhängigkeit; alle dieAbhängigkeiten und Gesinnungen, welche mit der äußernAbhängigkeit zusammenhängen, sind auf solche Weise abge­schnitten. In Frankreich wurde den Senatoren der lebens- 10

längliche Genuß eines großen Gutes eingeräumt. Allein diesfällt immer in die Zufälligkeit, und indem die Regierungbei IVerteilung der Senatorien notwendigen Einfluß hat, so 540

fällt damit die Möglichkeit aller jener Abhängigkeit wiederherein. Es scheint nun, daß es auf solche Weise dem Zufall der 15

Geburt überlassen sei, wer zu einer so wichtigen Funktion,wie die Teilnahme an der Gesetzgebung ist, berufen wird.Allein gerade die Notwendigkeit ist dadurch gesetzt, indemalle die erwähnten Zufälligkeiten abgeschnitten sind. DieMenschen müssen so auch in dieser Rücksicht zur Natur ihre 20

Zuflucht nehmen, um etwas unmittelbar festzumachen. Dasandere ständische Element macht die bewegliche'F Seite derbürgerlichen Verfassung aus. Diese kann Inicht nach der 541

ganzen Menge ihrer Glieder unmittelbar eintreten in dieunmittelbare Teilnahme. Der innere Grund hiervon ist, daß, 25

indem die bürgerliche Gesellschaft ausgebildet ist, ihreArbeiten sich in unendlich viele abstrakte Zweige teilen, unddie Individuen, welche darin befangen sind, sich in derhöchsten Abhängigkeit befinden und zugleich die Einsichtentbehren, welcher es zur" Behandlung von Staatsgeschäften 30

bedarf. Ebenso fehlt ihnen diese Rücksichtslosigkeit, deren esbedarf in Rücksicht des Berufs, um den es sich handelt.

I Orig. -bürgerliche-.2 Orig. >ZU<.

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Dagegen kann man nicht anführen, daß auch A:me undäußerlich Abhängige die Fähigkeit und den Willen ha­ben Ikönnen, deren es bedarf, um politisch tätig zu .sein. ­Sodann tritt die bürgerliche Gesellschaft überhaupt n:cht ~ls

5 eine Menge auf, sondern in ihren Sphären und Kreisen, mGemeinden und Genossenschaften. Es ist hinreichend, wennEinzelne von den verschiedenen Genossenschaften undGemeinden in das politische Element eintreten. Diese tretenein nicht als Stellvertreter, denn sie sind nicht Mandatarien'':

10 ihr Korps, ihre Genossenschaft ist in ihnen selbst ~orh~nden.Ebenso erkennt man in einem einzelnen Mitgliede emerNation die ganze Nation. In den Repräsentanten ?~r Korp?­ration ist diese selbst vorhanden. Ein solches Individuum Ist

543 selbst die Gattung. Solche Stände Ihaben die gedoppelte15 Seite, einmal, daß sie im Sinn des Allgemeinen sind, und

sodann, daß die besonderen Interessen beachtet werden.Wenn in Ansehung der Abgeordneten die Einrichtung ist,daß die Einzelnen überhaupt wählen, so ist es ganz derZufälligkeit überlassen, ob jedes Interesse seine besondere

20 Stimme erhält. Es ist z. T. eine allgemeine Bestimmung, daßauch hier auf ein allgemeines Vermögen gesehen wird. Mansagt so, die Eigentümer haben das unmittelbarste Interesse,daß Ordnung, Recht und Gesetz seine Gültigkeit hat. Allemes kann auch noch andere Garantien geben. Eine solche

25 Garantie wäre besonders die, daß Männer, die sich schon inihren Genossenschaften und Gemeinden in Verwaltungöffentlicher Ämter bewährt haben, vorzugslweise ein Rechterhalten, zu Abgeordneten erwählt zu werden. Hier ist dieTüchtigkeit auf objektive Weise enthalten: . .

30 Die beiden Stände sind so nach ihrem Prinzip verschieden.Der erste Stand stellt überhaupt das Beharrliche, das Sein dar.Die Glieder dieses ersten Standes sind, indem ihr Eigentumzu einem festen, unveräußerlichen gemacht ist, fest an dasI Orig. -Mitglieder..

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Land gebunden, dem sie angehören. Sie bringen auchdadurch ihrer politischen Stellung ein hartes Opfer. Derandere Stand ist der Stand des Prozesses, der Veränderlichkeitüberhaupt. Hier ist es immer das Prinzip einer besondernPersönlichkeit, welches sich betätigt. Der erste Stand ent- 5

spricht dem, was der Adel heißt, im politischen Sinn. Die I 545

Bestimmung dieses Standes ist die, 1 durch die Art und Weiseseines Verhältnisses dem Staate gewidmet zu sein". Der Adelbraucht in politischer Hinsicht keine andern Bezeichnungenund Vorrechte. Wenn er noch andere Rechte hat, so ist dies 10

etwas, was dem positiven, besondern Staatsrechte angehört.In dem Begriff ihres K politischen Verhältnisses liegen derglei-chen Vorzüge nicht.Indem diese Stände die Gesamtheit vorstellen, so treten siedem Staate gegenüber auf. Dies ist ein unvernünftiges Ver- 15

hältnis. Das vernünftige Verhältnis ist der Schluß.E DieEinheit muß somit immer vorhanden sein und nicht erstdurch Kampf zustande kommen. Es gehört somit zumvernünftigen Verhältnis der Stände und der Regierung, daßdas Moment ihrer IVermittelung vorhanden sei. Die fürstli- 20 546

ehe Gewalt schickt von ihrer Seite aus ein Element zurVermittelung. Dies ist die Regierungsgewalt. Die Ständemüssen von der andern Seite her ebenso ein Moment derVermittelung hereinschicken. Dieses Moment kann nunnichts anderes sein als ein Moment, das in ihnen selbst 25

enthalten ist, und dies ist das Moment der Allgemeinheit, dererste Stand. Es entsteht so das vernünftige Verhälmis, daß dieStände zwei Kammern ausmachen. Die eine Kammer bleibtso als Extrem, die andere Kammer bildet das Element derVermittelung. Einerseits teilen ihre Mitglieder alle Rechte 30

und Lasten mit den übrigen Bürgern; ja sie bringen, wiegezeigt wurde, Idurch ihre politische Stellung harte Opfer. In 547

r Komma eingefügt.2 >ZU sein, eingefügt.

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Gegenwart eines englischen Pairs wurde bemerkt, daß sichdie Pairskammer mehr nach der Seite des Fürsten als desVolks neige. Dieser Pair, auf seine Kinder deutend,bemerkte, er habe an diesen immer ein Unterhaus um sich

5 herum. Auf der anderen Seite steht dieser Stand, der das Ersteund Beharrliche zum Prinzip hat, dem Staat als solchem1

näher. Dieser Stand macht so das Vermittelnde aus zwischendem, was Volk heißt, und der fürstlichen Gewalt. In politi­scher Bedeutung hat also der Adel seine notwendige Stelle,

10 und da hilft alles Deklamieren nichts. Zu wünschen istüberhaupt, daß die, welche zu diesem politischen Stande

548 berufen sind, mit den IBestimmungen, die demselben'zukommen, zufrieden sind. Eine Nebenbetrachtung istdann, daß durch diese Teilung ein solches Verhältnis eintritt

15 wie bei den verschiedenen Instanzen der Gerichte oder auchder administrierenden Behörden. Indem dieselbe allgemeineStaatsangelegenheit von zwei Kammern überlegt wird, soerhält die Entschließung dadurch notwendig eine großeSicherheit. Eine zahlreiche Versammlung ist weit mehr fähig

20 als das einzelne Individuum, durch die Zufälligkeit desAugenblicks bestimmt zu werden. Eben in dieser Rücksichtsind auch Förmlichkeiten von der allergrößten Wichtigkeit,besonders die Bestimmung, daß ein Antrag in mehreren

549 Sitzungen nacheinander I vorgenommen wird. Das Wichtig-25 ste ist immer, daß auf solche Weise der Gegensatz vermittelt

wird. Steht nun eine Kammer der fürstlichen Gewalt entge­gen, so ist der Staat immer den größten Gefahren ausgesetzt.In Frankreich hat sich das Verderbliche dieses Verhältnissesaufs deutlichste gezeigt.

30 Die Öffentlichkeit einer Ständeversammlung kann einerseitsnachteilige Wirkungen haben. Siekann sich durch die, welchezugegen sind, imponieren und influieren lassen. Auf der

I Orig. -solchen-.2 Orig. -denselben-.

anderen Seite aber werden durch die Öffentlichkeit dieBürger in nähere Kenntnis gesetzt von dem, was verhandeltist. Die Bürger haben auf solche Weise Gelegenheit, sich vonden öffentlichen Verhältnissen zu unterrichten, und sie wer-den mit den Gesichtsipunkten vertrauter, um die es sich 5 550

handelt. Durch die Öffentlichkeit der ständischen Verhand-lungen wird überhaupt das bewirkt, daß die Leute zu Gedan-ken über öffentliche Dinge kommen. Gott gibt das einemnicht in den Schlaf,und auf der Bierbank wird vielVerkehrtesund Unnützes räsoniert. Besonders lernen auch die Bürger 10

auf diese Weise die Regierung und die öffentlichen Beamtenschätzen. Große Staatsmänner erhalten auf diese Weise einenSchauplatz der höchsten Ehre. Daß sie zu einer öffentlichenSchätzung, zu einer wahrhaften äußerlichen Ehre gelangen,dies geschieht besonders durch die Öffentlichkeit der Ver- 15

handlungen.Man kann noch die Unvollständigkeit I finden, daß auf solche 551

Weise nicht jeder sein eigenes Meinen und Raten über dieAngelegenheiten des Staats aussprechen kann. Es ist schonbemerkt worden, daß die Einzelnen als solche nicht zur 20

Sprache kommen, um so mehr, da die Repräsentanten nichtderen Mandataref sind. Die Äußerung und das Urteil allerüberhaupt ist nun das, was man die öffentliche Meinungüberhaupt nennt. Diese ist gleichsam eine Ergänzung zu dem,wie die Gesamtheit sich in der Versammlung der Stände 25

ausspricht. Die öffentliche Meinung ist überhaupt etwas vongroßem Gewicht und von großer Wirksamkeit. Alle stehen indieser öffentlichen Meinung, die Stände, die Regierung undder Fürst. Die öffentliche Meinung enthält nun I einmal in 552

sich die substantiellen Prinzipien der Gerechtigkeit; sie ist so 30

die Gesinnung des Staats, des Volks überhaupt, und enthältso das Resultat des ganzen öffentlichen Zustandes. Sieist vondieser Seitedas, was man den gesunden Menschenverstand ineinem Volk nennt. Die Chinesen haben einen ganz anderen

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gesunden Menschenverstand als die Engländer und die Deut­schen. Vor fünfzig Jahren fand es ein Franzose, dem man vonder Stellung des Königs in England erzählte, ganz gegen dengesunden Menschenverstand, daß ein König nicht mehr

5 Gewalt haben sollte.In der öffentlichen Meinung sind es nun ferner die Einzelnenals solche, welche in ihrer Eigentümllichkeit und Besonder­heit zur Sprache kommen. Weil es so die Einzelnen sind nachihrer Besonderheit, welche sich äußert, so ist damit die

10 öffentliche Meinung in dieser ungeheuern Masse von Äuße­rungen und Vorstellungen so vieler Einzelner der vollkom­mene Widerspruch in sich selbst. Wenn die, welche sichäußern, nicht meinten, sie wüßten es besser, wie' die Sacheliegt, so würden sie schweigen. Die öffentliche Meinung ist

15 insofern eine der am schwersten zu begreifenden Erscheinun­gen, weil sie die Gegensätze unmittelbar in sich enthält. Dieöffentliche Meinung ist so das vollkommen Nichtige undEitle und zugleich das durchaus Substantielle. Das Allge­meine des Bewußtseins eines Volks I ist die Stimme seines

20 Gottes, und so ist der Spruch »vox populi vox dei«E ganzrichtig. Ebenso wird aber auch über das Urteil und dieStimme des Volks das Entgegengesetzte mit Grund gesagt.Man kann so sagen, man müsse die öffentliche Meinung aufder einen Seite ehren, dieselbe aber auf der anderen Seite

25 verachten. Das letztere haben besonders die Philosophen zuallen Zeiten getan; ebenso hat kein großer Staatsmann, keingroßer Fürst etwas Großes hervorgebracht, der nicht gewußthat, die öffentliche Meinung zu verachten. - Je eigentümli­cher die Meinung ist, um so mehr bildet sich der, von dem sie

30 ausgeht, darauf ein, weil dies ihm etwas ganz Eigentümlichesist. Je schlechtere Gedichte I jemand macht, um so vortreffli­cher erscheinen sie ihm. Dasselbe hat man in der Philosophiegesehen. So sind die Philosophen darauf gekommen, zuI Orig. -als-.

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sagen, die unmittelbare Wahrnehmung sei das Wahre; keinBauer ist so dumm, der nicht wissen sollte, daß man in derunmittelbaren Anschauung irren kann und daß überhaupt dasunmittelbar sich Darbietende ein Vergängliches ist. MitAnsichten über den Staat geht es eben nicht besser; man hat sodas platteste Zeug gehört. Dergleichen Dinge sind allerdingsganz originell, weil es vernünftigen Menschen nicht einfällt,solches Zeug zu schwatzen.Was in der öffentlichen Meinung I wahrhaft enthalten ist, zuerkennen, dazu gehört tiefe Einsicht. Wenn z. B. in einem 10

Volke eine allgemeine Unzufriedenheit herrscht, so kannman annehmen, daß ein Bedürfnis vorhanden ist, dem abge­holfen werden muß, Fragt man aber die öffentliche Meinungdarüber, so ergibt es sich leicht, daß gerade das Umgekehrtegemeint und vorgeschlagen wird. Auf Dank muß übrigens 15

kein Staatsmann rechnen, noch überhaupt jemand, der etwasWahrhaftes leistet. Aber das Wahrhafte macht sich geltend.Mit allem Widerstreben des Bewußtseins fängt man sichdann 1 am Ende.Mit der öffentlichen Meinung hängt das zusammen, was man 20

Preßfreiheit nennt. Insofern I im Staate Stände vorhandensind, so wurde schon erinnert, daß man hier aus der allgemei­nen Masse Gedanken und Belehrung zu schöpfen hat. Dasübrige ist dann weniger bedeutend. Schwer ist es, Gesetze zugeben, die hinsichtlich der Preßfreiheit vollkommen be- 25

stimmt sind. Die Preßfreiheit ist zunächst ein formellesRecht, seine Gedanken, seine Meinungen aussprechen zudürfen. Die Presse ist das ungeheure Mittel, durch weiteEntfernungen mit der ganzen Menge zu sprechen. Dasformelle Recht, auszusprechen, was man will, enthält 30

zugleich einen Anspruch auf Handlungen. Es müssen alsoGesetze gegen Verleumdungen, gegen Aufrufe zu Verbre­chen u. dgl. vorhanden I sein. Ein weiteres ist dann, daßI Orig. -denn-.

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durch die Lehren und namentlich auch durch die Presse dieGrundsätze vergiftet werden können. Der schlechte Pöbelläßt sich leicht überreden, und solche Gründe, die sich an dieEmpfindung wenden, sind leicht aufzufinden. Durch giftig~s

5 Schimpfen, durch Vorwürfe ohne Unterlaß kann ferner dieRegierung wankend gemacht und untergraben werden. DieGesinnung ist nun aber im Staate ein Wesentliches, welcheseinerseits durch die Institutionen hervorgebracht wird, ande­rerseits aber auch wankend gemacht werden kann durch

10 böses Räsonnement. Die Wissenschaften bleiben bei derFrage nach der Preßfreiheit überhaupt ungefährdet. Ihr IEle­ment und das Element des Staats sind eines und dasselbe. InRom mögen allerdings auch die Wissenschaften durch dieZensur gefährdet werden; die Kirche beruht auf! der Form

!5 des Glaubens und auf' der Form der Unterwerfung derVernunft unter den Glauben. Es können so von der Kirche andiesen Gehorsam eine Menge Leistungen u. dgl. geknüpftwerden, die die Beleuchtung durch den Gedanken nichtertragen können. Die größte Sicherheit hat die Presse in ihrer

20 Verachtung. In England kommen täglich eine Menge Zeitun­gen heraus, die meisten sind gegen die Regierung gerichtet.Siebringen alleTage eine Menge von Spott und Gründe gegendie Regierung hervor, allein die Regierung hat dies verachtet.Übrigens sind die englischen Gesetze keineswegs so gelind I

25 gegen Preßvergehen, als man gewöhnlich zu meinen pflegt.Auch in England hat sich denn durch das tägliche Schimpfenauf die Regierung unter dem Pöbel ein böser Sinn erzeugt,und die Regierung hat sich genötigt gesehen, dagegen einzu­schreiten. Eine absolute Grenzlinie läßt sich hinsichtlich

30 dessen, was als verbrecherisch betrachtet werden soll odernicht, durchaus nicht angeben. Der Gedanke ist etwas soBiegsames, daß man etwas gar nicht direkt zu sagen braucht

I Orig. -in-.

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und dennoch durch die Kombination die bezweckte Wirkunghervorbringen kann. Es löst sich alles Bestehende in derurteilenden, meinenden Subjektivität auf. Der Staat ist inseiner Auflösung begriffen, wenn die I subjektive Meinungdas Substantielle wird. In solchen Verfassungen wie der! 5Demokratie ist das Substantielle nicht als eine objektiveOrganisation für sich selbst. In einer Organisation dagegen,wo das Vernünftige, Substantielle auf objektive Weise vor­handen ist, da ist dieses Meinen mehr ein Äußeres undZufälliges. Im Staate überhaupt ist die Idealität des Bestehen- 10den, und dies ist ein wesentliches Moment. Daß diesesBestehende auch nur ein momentanes Ideelles ist, dies istselbst eine wesentliche Bestimmung des Staats. Dieser wurdebisher betrachtet in seinem friedlichen Bestehen. Die Idealitätist im friedlichen Zustande nur eine Form der besondern 15Sphären, welche als solche die Hauptsache sind. Das Momentder fürstlichen Gewalt I ist im friedlichen Staate mehr nur einFormelles. Die Vernünftigkeit des Staats hat ihr Bestehennicht nur auf diese eine Weise, auch die Idealität selbst mußzur Wirklichkeit kommen. Diese Idealität ist im friedlichen 20Staate nur äußerliche Form; das Selbstbewußtsein des Staatsmuß auch in der Form der Negativität zum Vorscheinkommen. Der Staat muß sich in die Idealität auflösen, so wiedie Eingeweide der Körper im Blute als aufgelöst erschei­nen.E Im ruhigen Staate ist das Besondere wirklich, und das 25Allgemeine ist nur der innere, an sich seiende Begriff. Daß derGeist in seiner einfachen Freiheit zur Wirklichkeit komme ,deshalb muß er sich als die Macht gegen das Eigentum, dasLeben und die Belsonderheit der Individuen überhaupt zei­gen. Indem so der Staat sich in sich zusammennimmt, sich in 30seine negative Einheit konzentriert, so hat er den Unterschiedin sich selber aufgehoben und ist damit ein nach außenGekehrtes. Er ist so als Individuum gegen andere Individuen.I Orig. -die-.

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In diesem Moment tritt der Staat erst als wahrhafte Idealitätauf. Dies ist das Moment der Selbständigkeit des Staats,dessen Souveränität nach außen. In seiner Selbständigkeit hater seine Ehre, und diese Selbständigkeit ist sein höchstes

5 Gesetz. Nur in dem absoluten Zusammenhalten seiner mitsich selbst ist der Staat alsGeist. Die Selbständigkeit ist für dieVölker das höchste Gebot, und siedem Staate zu erhalten I istfür jeden Einzelnen höchste, absolute Pflicht. Daß das beson­dere Eigentum, das besondere Leben und die besonderen

10 Geschäfte aber nichtige sind, dies kommt hier zur Existenz.Dieses Moment der Selbständigkeit des Staats zu verteidigenist also Pflicht für einen jeden, und diese sittliche Pflichtmacht das Moment des Krieges aus. Es ist eine Verstandesan­sieht, wenn man sagt, daß die Bürger den Staat zu verteidigen

15 haben, weil sie darin ihr Eigentum und ihr Leben verteidigen.Es ist ein Widerspruch darin, daß das Leben durch Aufopfe­rung des Eigentums gesichert werden solle. Die Unmittelbar­keit die das Leben ist, und die Äußerlichkeit der Freiheit,, ""

die Ials Eigentum ist, alle diese sind ein Zufälliges, Außeres,20 worin nicht an und für sich die Vernünftigkeit ist. Dies

kommt im Kriege und in der Aufopferung, die derselbe mitsich führt, zur Existenz. Was also sonst Redensart zu seinpflegt und was man von der Kanzel hört über die Nichtigkeitdes Lebens und der zeitlichen Güter, dies kommt hier zur

25 Existenz, die Abstraktion von allen selbstsüchtigen Zwek­ken, von seinem Meinen und Urteilen. Es gehört so zursittlichen Gesundheit der Völker, daß allesihr Besonderes alsnichtig, als ideell gesetzt wird; die Individuen würden sichsonst einhausen in ihrer Selbstsüchtigkeit und Besonderheit.

30 Was schon durch die Natur geschieht, das wird hier mitFreiheit zur IWirklichkeit gebracht. Wie die Einrichtungenin Ansehung dieses Moments beschaffen sein müssen, näherzu betrachten, würde zu weit führen. Das Allgemeine ist, daßjeder verpflichtet ist, das Vaterland zu verteidigen. Diese

Aufopferung liegt im Begriff des Staats, und sie ist einGewolltes. Indem dies ein allgemeinesVerhältnis aller Bürgereines Staats ist, so ist dies einerseits eine allgemeine Pflicht,andererseits aber auch ein besonderes Geschäft gegen dieruhigen Verhältnisse des Lebens. Es ist dieses besondereGeschäft nun auch einem besonderen Stande anvertraut, demStande der Tapferkeit. Dieser Stand hat sich denn zur Aus­übung seines Geschäfts besonders Iauszubilden. Solange dieSelbständigkeit des Staats nicht in Gefahr kommt, so bleibtdessen Verteidigung jenem besonderen Stande überlassen; 10

wenn aber die Selbständigkeit des Ganzen gefährdet wird, sotritt jene allgemeine Pflicht ein. Das ganze innere Leben desStaats hängt sich nach innen zusammen und kehrt sich nachaußen. So wird der Krieg notwendig Eroberungskrieg. Diesist eine wichtige Betrachtung. Wenn bei jedem Zwiste der 15

Staaten untereinander das ganze Volk unter die Waffengerufen wird, so ist damit der Friede des Staats unterdrückt,und das Volk wird zu einem erobernden. Es muß somit einbesonderer Stand für den Krieg sein und ein stehendes Heer.Dies ist ein Notwendiges Iund vielvernünftiger, als wenn dasVolk immer in ganzer Masse unter den Waffen gehalten wird.Hier hat nun also die Tugend der Tapferkeit ihre Stelle.DieseTugend ist eine formelle Tugend, und es kommt auf denZweck an, für welchen man tapfer ist. Der Räuber ist auchtapfer, aber seine Tapferkeit ist deshalb kein tugendhaftes 25

Verhalten. Im Zweikampfe ist dies derselbe Fall. Denn wahreTapferkeit hat zu ihrem Zwecke die Selbständigkeit desStaats, somit einen absolut sittlichen Endzweck. Jene höchsteN egativität ist die höchste Positivität in Ansehung des Inhaltsder Gesinnung. Hier ist das Gesetz der vollkommenen 30

Entäußerung seiner selbst I und zugleich die höchste Selb­ständigkeit. Auch in dem Mechanischen der äußern Ordnungzeigt sich so ein vollkommenes Abtun des eigenen Meinensund Willens, und auf der anderen Seite bedarf es der höchsten

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Die Idealität1K der besonderen Sphären des Staats kommt zurErscheinung im Verhältnis zu andern Staaten. Dies ist derStandpunkt des äußern Staatsrechts. Jeder Staat ist zunächstein Besonderes gegen andere Besondere. Der Staat ist voll-

25 kommen selbständig, und diese Selbständigkeit ist das Erste.Damit ist das Verhältnis der Staaten zueinander nur eineEinheit des Volkes. Die Beziehungen, in denen die Staatenstehen, sind Verträge, und diese sollen gehalten werden; aberwie gesagt, es bleibt bei dem Sollen. Der Zustand der Staaten

30 ist eine Abwechselung des Verhältnisses, welches den Trakta-S72 tenE gemäß ist, und eines Isolchen, welches denselben nicht

I Orig. -Idenrirarc

Intensität des Geistes und des höchsten Bewußtseins. Ebensoist auf der einen Seite die Gesinnung ein durchaus Feindseli­ges und zugleich vollkommene Gleichgültigkeit gegen den,der feindselig behandelt wird. In der modernen Art des

5 Kriegs zeigt sich dies besonders; man schießt in das Allge­meine hinein, und aus dem Allgemeinen heraus trifft wiederdie Kugel das Herz. Zur echten Form gehören eben diese

570 Gegensätze. Die Jugend will sich selbst wissen und Igeltendmachen, dient deshalb gern in der Kavallerie und in Frei-

10 korps,Der Staat ist überhaupt als Objektivität der Freiheit zubetrachten. Die Subjektivität hat darin auch ihr Spiel. DerStaat ist so ein Tempel der Vernunft, das Kunstwerk desGeistes, und somit ein viel Höheres als die Natur. Man stellt

15 sich zunächst wohl vor, der Staat sei nur ein vom BeliebenderEinzelnen Gesetztes. Es ist allerdings Recht des Selbstbe­wußtseins, das zu begreifen, was man als Autorität anerken­nen soll; allein das zu Begreifende kann nur durch denBegriffgefaßt werden.

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gemäß ist. Es gibt zwischen den Staaten keinen Prätor.E Kantin seinem »Ewigen Frieden« stellt es als ein Vernunftgebotdar, einen Staatenbund zu schließen.f Ein solcher Bundberuht aber immer nur auf der besonderen1 Gesinnung derer,die ihn bilden, und ist insofern etwas Subjektives. Es istüberhaupt die Forderung, daß die Idealität des Staats zurWirklichkeit komme. Daß das Verhältnis von Staaten zuein­ander der fürstlichen Gewalt zukommt, davon wurde bereitsgesprochen. E Die fürstliche Gewalt hat so die diplomatischenVerhältnisse zu leiten, Krieg und Frieden zu Ibeschließen.Einen indirekten Einfluß üben die Stände immer durch ihreKonkurrenx'' bei der Steuerverwilligung u. dgl. In eineme~twickelten Staa~e kann es der Regierungsgewalt überhauptnicht einfallen, einen unpopulären Krieg zu führen. DasEinzelne in den Verhältnissen der Staaten zueinander und der 15

einzelnen Untertanen zu fremden Staaten beruht überhauptauf der Sitte und auf besondern Traktaten'', In den griechi­schen Republiken war esnoch Sitte, die Gefangenen zu töten;nach unseren Sitten ist dies ganz anders, und im Entwaffnetenwird immer der Mensch anerkannt. Der Krieg Imuß dem­nachsr'' so geführt werden, daß die Möglichkeit des Friedensnoch zugelassen wird. Gesandte werden deshalb respektiertund ebenso Abgeordnete, welche zur Abschließung desFriedens abgeschickt werden. Gesandtenmord gilt so mitRecht für eines der größten völkerrechtlichen Verbrechen. 25

Der Krieg wird demnächsr'' nicht gegen die friedlichen,allgemeinen Institutionen geführt; also soll die Rechtspflege,der Unterricht und der Gottesdienst nicht unterbrochenwerden. Handel und Gewerbe liegen schon mehr in derMitte, insofern siedie unmittelbaren Mittel zur Kriegführung 30

darbieten. Im Verhältnis der Staaten zueinander kommt nunauch das Verhältnis der Besonderheit I in seiner Größe zumVorschein; große Leidenschaften, große Tugenden undI Orig. -die besondere-.

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b. Das äußere Staatsrecht I571 20

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Talente. Der Krieg ist in diesem Verhältnis der Zufälligkeitdas Moment, wo die Selbständigkeit der Staaten selbst derZufälligkeit ausgesetzt ist. Über der! Besonderheit der ein­zelnen Staaten ist der von aller Besonderheit freie Weltgeist.

5 Die besonderen Staaten bringen ihre Partikularisation mit deranderer Staaten in Vergleichung. Es zeigt sich so die allge­meine Dialektik der besonderen Staaten; der allgemeineGeisthat absolutes Recht gegen die besonderen Geister, und diesesmacht er geltend in der Weltgeschichte.

Diese ist das WeltgerichtE, welches der allgemeine Geist überdie' Geschichte Ihält. Der Geist ist nicht ein Unmittelbares,sondern es ist seine Handlung, und seine Tat ist es, sich selbstzum Bewußtsein zu bringen. Die Selbstproduktion des allge-

15 meinen Geistes ist so die Weltgeschichte, in der sich dieMacht des allgemeinen Weltgeistes zeigt. Diese Macht istnicht ein Schicksal, nicht eine vernunftlose Notwendigkeit;was der Geist tut, das ist vernünftig. Hier entwickelt sich dieVernunft des allgemeinen Geistes. Dieser, indem er eine

20 besondere Weise erfaßt, macht er sich dieselbe zum Gegen­stand, und indem er dieses tut, so ist er darüber erhoben.Indem der Geist das, was er'K ist, erfaßt, so ist er nicht mehrdarin, sondern es ist ihm Gegenstand geworden. Er ist jetzter4 Iund das Wissen von diesem Gegenstande. Dieses Wissen

25 wird selbst dann wieder zum Gegenstande. Der Geist schrei­tet so fort und ist nicht jene langweilige Wiederholung einesund desselben Gesetzes, wie die Natur darstellt. Man hatdarüber gestritten, ob dem Menschengeschlechte Perfektibi­lität zuzuschreiben sei; der Gedanke' einer Perfektibilität ist

5

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überhaupt im Fortschreiten des Geistes ausgesprochen. Es istdies dasselbe, was man in einem anderen Sinn "Plan derVorsehung- nennt, nur daß unter diesem Plan der Vorsehungzugleich etwas Unbegreifliches gemeint wird. Der Geist istfrei, insofern er sich weiß, insofern er seine Unmittelbarkeitüberwindet. IDie verschiedenen Stufen, die der Weltgeist durchgeht inseiner Entwickelung, sind durch die verschiedenen Völkerbezeichnet. Jedes welthistorische Volk drückt ein Momentder geistigen Entwickelung überhaupt aus. Es selbst hat keinBewußtsein von seinem Tun, und die Völker zerschlagen sichso einander. Die Interessen, welche das Höchste eines jedenVolks sind, sind besondere gegen das Allgemeine des Welt­geists. In dieses Allgemeine treten nun alleBesonderheiten zubloßen Momenten zurück. Auf der Stufe des allgemeinen 15

Geistes ist alles Besondere, Tugend und Talent, Glück undLeidenschaft, durchaus ein Untergeordnetes. Alle Betrach­tungen, I welche auf anderen Standpunkten gelten, verlierenhier ihre eigentümliche Bedeutung. - Indem das welthistori­sche Volk eine besondere Stufe des Weltgeistes ausdrückt, so 20

ist dies das Herrschende. Es macht sich geltend gegen dasRecht der andern Völker, die einer früheren Stufe angehören,und diese werden überwunden, sie mögen sich benommenhaben, wie sie wollen. - Die wirklichen Völker überhaupthaben nun eine Seite, auf der sieder Natur angehören; sie sind 25

so in der äußern Wirklichkeit, sind so geboren (Nationen),und dies Prinzip, welches sie im Geschäft des allgemeinenWeltgeistes übernehmen, ist in ihnen zugleich Ivorhanden alsNaturprinzip. als eine geographische, anthropologische Exi­stenz. Dieses Prinzip macht überhaupt das Bestimmende in 30

der ganzen Geschichte, im Lehen und in der Ausbildungeines Volkes aus. Alle diese verschiedenen Seiten sind nur derAusdruck eines Prinzips. Weil dieses Prinzip zugleich einnatürliches Prinzip ist, so kann ein Volk nur einmal in der

5 Orig. -Oedenken-.3 Orig. »es-.4 Orig. -Er-:

c. Die Weltgeschichte

I Orig. -die-.2 Orig. -der-.

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I Orig. >Geg satze-,wobei das kleine >ge in -Geg sarze-im Orig. gestrichen ist.2 Orig. -einere.

das Schicksal der Staaten nach dieser äußern Notwendigkeitund erklärt die geschichtlichen Begebenheiten aus solcheneinzelnen Umständen und aus den Leidenschaften, demTalent und dem Genie der Individuen. Diese Art, dieGeschichte zu betrachten, ist indes nicht hinreichend, um dasVernünftige darin zu erkennen. Dazu gehört, daß man weiß,worin die Vernunft besteht.Es sind nun in der Weltgeschichte Staaten überhaupt, wirk­liche Volksgeister, die im Verhältnis zueinander stehen. DasSittliche und Vernünftige ist bei ihnen als das Gewußte undVollbrachte. Diese allgemeinen Gesetze sind die Gegen­sätze

1Kgegen das bloß subjektive Meinen, gegen die Zulfäl­

ligkeit der Individualität. Die wahre Bedingung für dieWeltgeschichte ist, daß Staaten sind. Das Werden dieserStaaten liegt vor der Weltgeschichte und fällt in eine?Sagen­und Mythenzeit. Jenen früheren Zustand der noch nicht sichwissenden und setzenden Sittlichkeit haben die Völker alseinen paradiesischen aufgefaßt, weil das Allgemeine desGedachten, die Objektivität des Gesetzes und die Wirklich­keit des Handelns und des Gemüts noch in unmittelbarer 20

Einheit sind. Diese Einheit ist nun allerdings der Ausgangs-. punkt, und sie ist auch das Ziel. Jener erste Zustand ist indes

nur noch ein Zustand des unmittelbaren Naturlebens. DerGeist ist nur, indem er jene Identität, die er an sich ist,hervorgebracht hat. Der Ausgangspunkt I ist also dasjenige,was durchaus zu verlassen ist. Wenn man hört, es sei etwashöher, als daß es sich sagen lasse, es müsse nur empfundenwerden, so soll damit etwas Großes gesagt werden. Indes istdies gerade nur etwas Subjektives; das wahrhaft Vernünftigemuß sich aussprechen lassen. Schelling selbst hat den frühern 30

Naturzustand des Menschengeschlechts z. T. als einen sol­chen vortrefflichen dargestellt.E

I -es- eingefügt.2 Orig. -denn-.

Geschichte Epoche machen, denn es ist an ein Prinzipgebunden.Ein welthistorisches Volk hat seine Geschichte, bevor es indie Weltgeschichte eintritt, und ebenso hat es auch nachher

5 noch seine Geschichte. Es beginnt mit einem kindlichenZustande und bildet sich dann hinauf zum freien Selbstbe­wußtlsein. Die spätere Geschichte eines solchen Volks zeigtdas Herunterkommen und Verderben desselben. Es kannauch die einem späteren Volke zur freiern Entwickelung

10 übertragenen höheren Prinzipien noch aufnehmen, aber diesesind ihm nicht eigentümlich. Das höhere Prinzip erscheint ineinem solchen Volke als das Verderben, und es' geschiehtdemselben Gewalt von anderen Völkern. In der Spezialge­schichte sowohl als auch in der Weltgeschichte ist nun keine

15 Zufälligkeit vorhanden, so sehr auch die Besonderheit allerArt darin ihr Ergehen hat. Um die Weltgeschichte zu fassenoder auch die besondere Geschichte eines Volks, muß mandie Idee mitbringen. Der Weltgeist offenbart I sich in derGeschichte und legt seine Momente darin aus. Wie man die

20 Welt anschaut, so schaut sieeinen wieder an; geht man an ihreBetrachtung mit zufälligen, abstrakten Gedanken, so findetman darin auch nur Zufälliges und Abstraktes. Das Feld,worauf der Weltgeist seine Idee entwickelt, bilden diemenschlichen Interessen. Wir sehen so ein buntes Gewühl

25 von mancherlei Zwecken, von edeln und unedein Bestrebun­gen, ein Spiel von Leidenschaften aller Art, worin die Kräftemitunter sich prüfen und zerschlagen. Das Geheimnis derWeltgeschichte ist aber dann? die Umkehrung der besonde­ren Zwecke. Diese Umkehrung ist dieselbe, die wir auch in

30 der bürgerlichen Gesellschaft gesehen haben. Indem dasIndividuum I seine besonderen Zwecke vollbringt, macht essie objektiv. In der gewöhnlichen Geschichte betrachtet man

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I .als- eingefügt.2 Orig. -Narurgange-.

Denkendes und Substantielles ausgesprochen. - Es sind soder welthistorischen Reiche vier: das orientalische, das grie­chische, das römische und das Reich, dem das Christentumzum Grunde liegt, das, wo Gott sich offenbar gemacht hat,das germanische Reich.Zur Verwirklichung des Geistes gehören nun Individuen;diese an der Spitze stehenden Individuen sind die welthistori­schen Individuen. Die wahrhafte Darstellung wäre eigentlichohne alle Individuen; aber auch in I den welthistorischenIndividuen und in ihren Schicksalen charakterisiert sich die 10

Weise ihrer Zeit und ihres Volks. So zeigt sich besonders dasEnde ihrer Laufbahn als' charakteristisch. Cyrus'' ist gefallendurch seine Feinde. Den schönsten Tod hat Alexandergehabt: Nachdem er die griechische Welt gerächt hatte an derorientalischen, ist er durch die Natur gestorben, in der Blüte 15

seiner Jahre und im vollen Bewußtsein, im Kreise seinerFreunde und im Angesicht seines Heeres. Cäsar ist durch dieAbsicht gestorben, nicht durch äußere Feinde und nichtdurch die Natur. Karl der Große ist ruhig im hohen Alter aufchristliche IWeise gestorben. Wenn wir uns die Ehre antun,eine welthistorische Epoche erlebt zu haben, so würdeNapoleon als das Individuum zu bezeichnen sein, in dem derGedanke dieser Epoche sich eine Wirklichkeit gegeben hat.Dieser hat auch auf eine eigentümliche Weise ein Endegenommen, daß er vornehmlich sich selbst heruntergesetzt 25

hat. Die Feindschaft ist so in ihm selbst gewesen, und mansagte das bedeutende Wort: je suis l'ennemi de moi­memcf.Das orientalische Reich geht vom patriarchalischen N atur­ganzerr'" aus. So sehr solche Reiche sich auch ausgebreitet 30

und befestigt haben, so sind sie doch immer auf dieser Stufestehengeblieben. ISo ist das chinesische Reich noch jetzt, das

3 -zu- eingefügt.4 Orig. sherstellen.,

I Orig. -dem-.2 Orig. .denn-.

Jener Zusrand ist aber durchaus nur dem Zustand des Som­nambulismusE und der Krankheit überhaupt, wo der Menschzur unmittelbaren Einheit mit der Natur herabfällt, zuvergleichen.

5 Das erste in der Geschichte ist also das, was vor der Weltge­schichte liegt. Die Individualität muß zuerst befestigt wer­den, vornehmlich I durch Einführung der Ehe und des Acker­baues. Das weitere ist dann die innere Gliederung. Die Stifterder Staaten sind jene Heroen vornehmlich gewesen, welche

10 die Ehe und den Ackerbau eingeführt haben. Solchen Staatennun, die jene Elemente in sich haben, kommt ein höheresRecht zu als denen I, wo dieselben noch fehlen. - Wenn wirdie Idee des Geistes betrachten, wie sie sich in der Weltge­schichte darstellt, so erkennen wir darin vier Momente. Das

15 erste ist die Form des substantiellen Geistes, wo die Einzeln­heir noch in das Substantielle versenkt ist. Das zweite ist dasWissen des substantiellen Geistes. Dies ist eben das sichHerausziehen aus demselben und somit das Fürsichseindemselben gegenlüber, zunächst so, daß dieses Verhältnis

20 etwas Positives ist und daß dieser substantielle Geist durchdie Individualität dargestellt wird. Das dritte ist sodann dasErfassen dieses Fiirsichseins, das Erfassen, daß das Substan­tielle im menschlichen Geiste selbst ist. Dies ist das Umschla­gen, sich zu wissen als die Wesenheit, alsdie Idealität. Dies ist

25 zunächst die Stufe des abstrakten Denkens; der Inhalt tritt soin ein einzelnes Verhältnis mit dem Fürsichsein. Das weitereist dann", jene Idealität objektiv zu? machen und damit dieRealität wieder herzustellen'. Hier ist eine Innerlichkeit, dieaus sich selbst ihre Welt hervorbringt, und zwar eine Welt als

588 30 an und für sich seiend. IDies ist der höchste Punkt. Diesevierte Stufe ist dann das Wissen seiner selbst. Es heißt Gott imGeiste und in der Wahrheit verehren. E Damit ist Gott als ein

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Brahrnan'F, aber dieser hat keine Tempel. In den Juden undin dem Muhamedismus hat sich der Orientalismus auf diehöchste Stufe erhoben.Die folgende Stufe ist das Erfassen, das Wissen der Substan- Itialität. Das lärmende, tobende asiatische Leben ist gemildert,aus der Erhabenheit zur Schönheit gefestigt. Dies ist dasgriechische Reich. Die Griechen haben auch von Naturer­scheinungen angefangen, aber die neuen Götter, die geistigenGötter haben die Titanen als die Naturgewalten gestürzt. Aufder anderen Seite haben die Griechen jene alten? Anschauun­gen aufbewahrt in Mysterien. Man hat so wohl auch vor Karldem Großen und dem Mittelalter einen großen Respekt, aberman lebt nach ganz anderer Weise. So ist es auch denGriechen mit den Mysterien nicht wahrhaft ernst. Der Unter­schied, die Besonderheit tritt im griechischen Leben auf dieseunbefangene Weise hervor, daß der griechische Geist in diesevielen besonderen Individualitäten I und ihre' Götter zerfällt.Das innere, letzte BescWießen ist den Orakeln anheimge­stellt, und auf der anderen Seite ist die Sorge für die Bedürf­nisse einem Sklavenstand übergeben. Das griechische Leben 20

ist überhaupt das Leben der Schönheit. Dieses schöne Lebenhat vergehen müssen, weil es nicht den unendlichen Gegen­satz in sich hatte. Das griechische Reich hat den höchstenPunkt in Athen erreicht. Dernnachst'' erscheint es als Indivi­dualität in Alexander. Mit dem Tode Alexanders ist sein 25

Reich nicht zerfallen, denn seinen Zweck hat es erreicht, dasgriechische Leben nämlich über Asien herrschend zumachen. Alexander ist der zweite AchilI, der das zerfallenegriechische Wesen noch einmal vereinigt hat. Vom erstenAchill heißt es, daß seine Mutter ihn in den I Lethe getauchthabe'': Alexander wurde vom Aristoteles in das reine Ele-

I Orig. -Barabrahma-.2 Orig. -alte-.3 Orig. -ihrer-.

man vornehmlich in neuern Zeiten näher kennengelernt hat.Es ist dies eine ungeheure Völkerrnasse, die sich zum minde­sten auf IS0 Millionen zu belaufen scheint und die zu regiereneine hohe Ausbildung in Künsten und Wissenschaften erfor-

5 de~lich ist. Gleichwohl ist jenes Reich über das patriarchali­sche Verhältnis nicht hinausgekommen. Die Weise der Regie­rungsform ist ganz disziplinarisch. Der erste Mandarin erhältSchläge mit dem Bambusrohr, und so geht es herunter. Ihrereligiöse Verehrung hat zum großen Teil denselben patriar-

10 chalischen Charakter. Das Hauptinteresse der Individuen ist,daß sie Nachkommen bekommen, und diese beten bei denGräbern ihrer Vorväter. IDer Mensch ist in der orientalischen Ansicht noch nicht zurselbständigen, rechtlichen Persönlichkeit gekommen. Die

15 weltliche Regierung und die Religion fallen noch zusammen;der oberste Herrscher ist zugleich der Gott oder wenigstensder oberste Priester. Die Geschichte ist hier noch Poesie. Derorientalische Staat hat in dieser seiner Gediegenheit nicht' dieUnterschiede des Lebens in sich. Ebendeswegen ist in ihm

20 nichts Festes und Starkes, weder im Innern noch im Äußern.(Sturz der Dynastien, Eroberungen, die nur Zertrümmerun­gen sind.f Ist unendliche Ruhe vorhanden, so entstehtVersinken in Schwäche und Ermattung, wodurch sodann Iwieder ein anderes Volk angereizt wird zur Unterjochung

25 desselben. Im persischen Reiche ist die orientalische Verfas­sung zur schönsten Ausbildung gekommen: Der Fürst ist dasLicht, die Sonne des Staats, und die Fürsten stehen um ihn alsSterne.Die Indier zählen an 333000 Götter. Bei ihnen ist die

30 Vermischung des Geistlichen und Natürlichen zu einem sohohen Grade gestiegen, daß sie zu keiner vernünftigen Orga­nisation gediehen sind. Sie haben einen Brahma oder

I Orig. -seine Gediegenheit, nicht-.2 Klammern eingefügt.

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I Orig. -einen-.2 Orig. -des Freiwerdens-.

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Das Ganze hat sich geendigt in eine abstrakte Allgemeinheit,wo die Volks götter der verschiedenen Nationen in ein Pan­theon'' zusammengebracht und damit zu besonderen Götternheruntergesetzt Iwurden. Die Individuen wurden ebenso zubloßen Privatpersonen zusammengehalten durch einen Kai­ser von ganz vollkommen ausgelassener, wilder Gewalt. Indiesem Unglück und allgemeinen Schmerz der Welt ist dasSelbstbewußtsein in sich zurückgedrängt worden. Es hat inder Wirklichkeit seine Idee nichr mehr ausgedrückt gefun­den. Das Selbstbewußtsein hat so sich selbst erlaßt. Dies 10sehen wir in den Systemen des Stoizismus, des Epikureismusund des Skeptizismus. In diesem Schmerz hat das Bewußtseinsich selbst erfaßt und sich gewußt als dasjenige, in welchemder Gegensatz enthalten ist und in welchem1 somit dieTotalität ist. Es ist so die Idee der Menschwerdung Gottes 15unter den Völkern erschienen und die Einheit der göttlichenund menschlichen Natur in ihnen zur Anschaulung gekom­men. Das Selbstbewußtsein, indem es die Entgegensetzungweiß, ist das Sichzusammenhalten und sich somit als Totalitäterlassen. Dieses Bewußtsein nun, daß das Göttliche wirklich 20und gegenwärtig ist, macht den Menschen selbst zu einemGöttlichen. Dies Bewußtsein, zu welchem die Zerrüttung derrömischen Weit den Boden bereitet hat, war nicht ihr? ZurAusführung übertragen, sondern dem nordischen Prinzip desgermanischen Volkes. Das Kreuz ist so zum Prinzip der Weit 25erhöht worden, das Zeichen der Verachtung und der Niedrig­keit. Das Selbstbewußtsein ist so zur Anschauung gekom­men, daß das Jenseits auch das Diesseits ist. Das Verachtete,das Menschliche überhaupt hat sich so erlaßt in seinerUnendlichkeit. Das I germanische Volk hat das Prinzip derWelt durchzuführen. Dies ist das Prinzip der VersöhnungGottes und der Welt. Diese Versöhnung war jetzt bestimmtI Orig. -welchen.,2 Orig. .ihm..

5

ment des Gedankens getauchtE. Das dritte Reich ist dasrömische Reich. Dieses ist die zweite Seite des Gegensatzes.Der griechische Geist hat der Form der Entgegensetz~.mg

weichen müssen. Das Besondere muß sich als N eganvesentgegenstellen, und das Bewußtsein der Besonder~eitmußhervortreten. Wir sehen in der römischen Welt g1elch vomAnfang an eine Vereinigung edler Geschlechter, Prieste~ami­lien und auf der anderen Seite eine ' Plebs. Auch bei d~nGriechen waren Eumolpiden", die aber mit dem übrig

10 Volke verschmolzen waren. Nach der Geschichte ist derAnfang des römischen Reichs eine Vermischung m.ehrererVölker gewesen. Ein Iwelthistorisches V~lk muß gleichv~nvornherein das Prinzip des Gegensatzes in sich haben. Diegermanischen Völker erscheinen bei ihr~m Auftr.eten auc~ als

15 eine Mannigfaltigkeit von Völkern. Bel den Romern zeigtesich also sogleich der innere Gegensatz, von Fremde.n, ~ohe­ren Geschlechtern und von Bürgern überhaupt. W,r fmdenhier schon den Gegensatz von Ständen. Die Geschichte Romszeigt das Umschlagen des Gegen~atzes.und das Freiwe~den2

20 des plebejischen Prinzips, daß nicht die Natur~enaten dasWesentliche Bestimmende und Herrschende smd, sonderndie freie Per~önlichkeit. Dieser Gegensatz war nur verknüpftin der Abstraktion des Staats, und dies macht die römische

598 Tugend I aus, nur den Gesetzen diese~ Staate~ z~ g~horchen.25 Das Familienleben der Römer erscheint als ein m sich hartes

und zerstörtes, und die Familienpietät ist dem Staa.tslebenaufgeopfert. Zugleich tritt aber in der Wirklichkeit die hoheWürde hervor, wie wir an den Matronen'i sehen und an denvestalischen JungfrauenE. Was Religiosität war und die

30 sittliche Gewalt der Aristokratie, ist demnächst'' zun; Abe:­glauben geworden und zur rech~osen c:;ewalt. Dle freiePersönlichkeit ist zur Verworfenhelt des Pobels ausgegangen.

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Zur Gestalt der Welt. Dieses Prinzip ist das Prinzip derWahrheit; daß die Realität dem Begriff entspricht, dies ist dieWahrheit, und diese ist die Freiheit. Gott wird nicht als Geistgefaßt, wenn er nicht als die Dreiheit gefaßt wird, als das aus

s der Entgegensetzung in sich Zurückkehrende. Die Wahrheitist noch nicht realisiert. Die Wirklichkeit ist erst für sich alsein weltliches Reich aufgestanden. Damit die Wahrheit ver­wirklicht werde, dazu gehört großer Kampf und Arbeit. Aufder einen Seite stand das Reich der Kirche, auf der anderen

'0 das weltliche Reich. Dieses weltliche Reich ist aus demGemüt als solchem"! entstanden. Das Reich ist ursprünglichgebaut auf die Treue, auf freie Genossenschaften. DiesVerhältnis des Gemüts hat nicht ein so gemütliches bleibenkönnen, denn die Vernünftigkeit muß in der Form des

is Gedankens, der Allgemeinheit, des Gesetzes hervortreten. Indiesem weltlichen Reiche sind nach der Begriffsbestimmungdie' verschiedenen Stände hervorgegangen. Es hat sich diebesondere Subjektivität aus jenem Gemütlichen entwickelt,aber zugleich als ein Gemeinschaftliches, als Genossenschaft.

20 Dasjenige, was Platon in seiner »Republik« fordert, Unter­schied der Stände, ist wirklich geworden im germanischenReiche.Die Entwickelung ist nun einerseits diese, daß die beson­dern I Genossenschaften sich unabhängig gemacht und die

2S Einheit des Staats zertrümmert haben, während auf derandern Seite die Staatsgewalt das Übergewicht über dieBesonderheit erhalten hat. Das erstere sehen wir an Italienund auch an Deutschland, das letztere an Spanien undFrankreich. Sodann haben sich das Reich der Kirche und das

30 weltliche Reich aneinander zerschlagen. Das kirchliche Reichhat sich selbst zu einem Reiche der Selbstsucht und der Lasterdegradiert. Dagegen hat auf der anderen Seite das weltliche

I Orig. -solchen-.2 Orig. -der..

Reich den Gedanken in sich ausgebildet. Der Gedanke hat imweltlichen Reiche entstehen müssen. Das weitere Schicksalistgewesen, daß, was an sich vorhanden war, der Unterschiedvon politischen Ständen, nun auch durch den Gedankenbes~i~mt wurde. Die Unterschiede Iüberhaupt waren impositiven Rechte z. T. verknöchert. Die neuere Zeit hat das ansich Vernünftige und Vollbrachte durch den Gedankenbestimmt und zugleich das Positive von seinem Staub undRost entkleidet.

Dies is: nichts anderes als das Grundprinzip der Philosophie,da~ freie Erkennen der Wahrheit, entkleidet von der Zufällig­keit. - Die Zelt hat gegenwärtig nichts anderes zu tun, alsdas,was vorhanden ist, zu erkennen und somit dem Gedankengemäß zu machen. Dies ist der Weg der Philosophie.

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Anhang

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Vorbemerkung

Die in der Einleitung des Herausgebers und im Anhang benutztenTexte Hegels und Ausgaben von Werken Hegels sind durch folgendeAbkürzungen bezeichnet:

Der BERICHT ZUR EDITION gibt über die Beschaffenheit und dieGeschichte des Manuskriptes Auskunft. Ferner teilt er Daten über dieVorlesung Hegels und Quellen zu Vermutungen über sein Vorlesungs­manuskript mit.In den ERLÄUTERUNGEN werden Zitate und Quellen sowie wichtigeParallelstellen nachgewiesen und wenig gebräuchliche Termini erklärt.Vor- und Rückverweise im Text werden nur dann erläutert, wenn sieüber den engeren Textzusammenhang hinausgreifen.Die KOMMENTARE begründen Eingriffein den Text. Siekommentierenden Textsinn an solchen Stellen, an denen ein Eingriff nötig scheinenkönnte. Außerdem diskutieren sie Befunde des Manuskripts, darunternachträgliche Einschübe und Zusätze von fremder Hand.In den drei SONDERKOMMENTAREN werden Probleme im Zusammen­hang erörtert, die das Manuskript an mehreren Stellen zugleich auf­wirft.In einem NACHTRAG wird auf die neu aufgefundene NachschriftWannenmann eingegangen - insbesondere soweit, als die Thesen derEinleitung des Herausgebers zu diesem Text in Beziehung gesetztwerden müssen.Die den Erläuterungen und Kommentaren vorangestellten Ziffernbeziehen sich auf die Seiten und Zeilen dieser Ausgabe.Die Zeichen E und Kam Rand der Seiten mit Erläuterungen undKommentaren sollen es dem Benutzer leichtmachen, beim Nachschla­gen Verwechslungen zwischen den beiden Teilen zu vermeiden.

Gesammelte Werke. In Verbindung mit der DeutschenForschungsgemeinschaft hrsg. v. der Rheinisch-West­fälischen Akademie der Wissenschaften. HamburgI968ff. Soweit die Bände dieser Ausgabe erschienensind, wird nach ihnen zitiert.Sämtliche Werke. ] ubiläumsausgabe in zwanzig Bän­den. Neu hrsg. v. H. Glockner. Stuttgart I927ff.

Werke

]ubiI.Ausg.

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Ferner werden folgende Ausgaben abgekürzt zitiert:

GA J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akade­mie der Wissenschaften. Hrsg. v. R. Lauth, H. jacobund H. Gliwitzky, Stuttgart-Bad Cannstan 1965H.

Soph.Ausg. Goerhes Werke. Hrsg. i. A. der Großherzogin Sophievon Sachsen, Weimar 1887H.

Akad.Ausg. Kants gesammelte Schriften. Hrsg. v, der KöniglichPreußischen (später Deutschen) Akademie der Wis­senschaften, Berlin I90zff.

Esprit Montesquieu, De l'esprit des loix, DU du rapport queles loix doivent avoir avec la Constitution de chaqueGouvernement, les Mceurs, le Climat, la Religion, leCommerce, etc. Nouvelle edition, Geneve 1748.

Zum leichteren Auffinden von Stellen unabhängig von einer bestimm­ten Ausgabe wird zusätzlich auf Abschnitte, Kapitel, Paragraphenusw. eines Werkes verwiesen.

Ilt.

Rph.

Enz.H

Enz.B

Rph.Wannenmann

Vor allem Homeyers, Hothos und v. GriesheimsNachschriften der Rechtsphilosophie-VorlesungenHegels werden zitiert nach: G. W. F. Hegel, Vorlesun­gen über Rechtsphilosophie 1818-18)1. Edition undKommentar in sechs Bänden von K.-H. Ilting, Stutt­gart-Bad Cannstart 197) H. Bd. 1-4.Bei Bezugnahme auf die »Grundlinien der Philosophiedes Rechts« (1821) (Seitenzahlen nach der Ausgabe vonJ. HoHmeister, Hamburg 1955),die (Heidelberger) -Enzyklopadie der philosophi­schen Wissenschaften im Grundrisse« (1817) unddie (Berliner) »Enzyklopädie der philosophischenWissenschaften im Grundrisse- (1830) wird jeweils aufdie Paragraphen verwiesen.Die unlängst aufgetauchte Nachschrift der Heidelber­gerVorlesung Hegels über -Narurrecht undStaatswis­senschaft< vom Winter 1817!IS wird aus dem Manu­skript im Deutschen Literaturarchiv Marbach nachOriginalparagraphen und -seiten zitiert.

BERICHT ZUR EDITION

I. Der Band der Nachschrift

Der Band mit dem Titel »Rechts-Philosophie und Politik, vorgetragenVOm Professor Hegel im Winterhalbjahr 1819120 zu Berlin« trägt in derLilly Library der Universiry of Indiana die Akzessionsnummer 22776,außerdem die Library of Congress Nummer JC 2))/H4, der noch eineweitere Nummer aus einem älteren lokalen Klassifikationssystemvorausging (320.I/H22), die ausgestrichen ist. Dieser Klassifikationentsprach eine Katalogisierung als Buch. 1969 wurde bemerkt, daß essich in Wahrheit um ein Manuskript handelt. Es wurde daraufhin in dieHandschriftenabteilung überführt. Don wird es nun unter derBezeichnung »1819-1820, Miscellaneous mss. Hegel, G. W. F. Rechts­Philosophie ..." geführt. In der Original-Paginierung hat das Manu­skript 604 Seiten.Der Band ist etwa 21,5 cm hoch, etwa 16,4 cm breit und knapp 5 cmstark. Er ist in gegautschter Pappe gebunden, die mit schwarz-rotemMarmorpapier überzogen ist. Er trägt ein dunkelrotes Rückenschild­chen mit oben und unten je zwei Kleeblatt- bzw. Stern-Leisten unddem geprägten Titel »Rechtsphilosophie und Politik nach Hegel«. DerEinband ist an den Ecken leicht abgerieben und aufgestoßen. Durchbreite braune Klebestreifen aus Leinen ist der Halt des Rückens vonaußen und auf die Innenseiten der Deckelpappe ausgreifend verstärktworden, sicherlich vor nicht allzu langer Zeit. Kurt Gradl, Restauratorder Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, dem Schwarz-weiß­und Farbfotos des Einbandes vorlagen, erklärt, daß es sich bei Ein­bandan, Marmorpapier und Rückenschild um für die Zeit um 1820typische Materialien und Einbandweisen handelt.Das Papier der Nachschrift hat Kanzleiformat. Durch Falzen in derMitte ist es auf Buch- und Heftform gebracht worden. Beim Bindenwurden die Ränder beschnitten. Es weist zwei Wasserzeichen auf. Daseine zeigt drei Kronen in einem Blattkranz, in zwei Reihen 1 zu 2

übereinandergeordnet (eine Reproduktion der Nachzeichnung folgtauf der nächsten Seite). Dies Wasserzeichen ist in der Mitte auf einenSiebsteg aufgenäht. Das Gegenzeichen zeigt in knapp 2,5 cm großen, inzwei Linien ausgeführten Buchstaben die Initialen des Papiermachers:C F S. Durch die Falzung sind die Wasserzeichen in den Falz des

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Bandes geraten und auf keiner Seite ganz zu sehen. Das erklärt auch~daß die beigegebene Abbildung aus Teilnachzeichnungen von zwei

Seiten zusammengesetzt ist.

Wasserzeichen mit drei Kronen im Blattkranz sind in der Zeit um 1820

mehrfach nachzuweisen. Ein auf den Mittelsteg genähtes Wasserzei­chen dieser Art befand sich in einem Papier, das 1821 in Berlinverwendet wurde (in den Akten der »Seehandlung« im GeheimenPreußischen Staats archiv). Ihm entspricht aber in diesem Fall auf deranderenSeite des Bogens derNamenszug »G Hunde (in Kursivschrift).Nach Auskunft der Deutschen Bücherei in Leipzig zeigt diese Kombi­nation die Papiermühle Hasserode im Harz an. Der Besitzer derVordermühle ist von 1810 bis 1850 G. Hund gewesen. Auch andereHarzer Papiermühlen haben zur selben Zeit das Drei-Kronen-Motivgeführt. Nachzuweisen ist ferner, daß es auch anderswo, wenn auchetwas später oder früher, verwendet wurde, so in der Mitte desJahrhunderts in der Papiermühle Bernburg (Sachsen-Anhalt) und nach1805 in Weihenzell/Bayern.Die Initialen »C F S« sind im Zusammenhang mit dem Drei-Kronen­Wappen bisher nicht nachgewiesen. Die Unterlagen, der Deuts.chenBücherei weisen die Initialen »C F S« als GegenzeIchen zu einempreußischen Adler aus. Sie wurden in dieser Kombinat~on 179~/97verwendet und zeigen den PapiermacherC.F. Schmutzler m Bad Bibra

+I

(preuß. Provinz Sachsen) an. Die Drei- Kronen-Wappen sind imübrigen in allen Papieren, in denen sie um 1820 auftreten, sehr ähnlichausgeführt. Die Deutsche Bücherei meint, daß solche sehr ähnlichenWasserzeichen an verschiedenen Stellen auf eine einzige Formenma­cherwerkstatt hinweisen. (Für umfassende Auskünfte, die durch FrauEva Ziesche vermittelt wurden, dankt der Herausgeber Dr. WolfgangSchlieder von der Deutschen Bücherei.)Zusammenfassend kann aufgrund der materiellen Befunde von Ein­band und Papier gesagt werden, daß nichts dagegen spricht, daß dasManuskript der Nachschrift in unmittelbarem zeitlichen Zusammen­hang mit Hegels Vorlesung, und zwar in Berlin, entstand und daß esnoch vor der Publikation von Hegels eigenem Werk »Grundlinien derPhilosophie des Rechts« gebunden wurde.

2. Der Weg der Nachschrift

Das Manuskript enthält keinen Hinweis auf seinen ursprünglichenBesitzer oder auf einen Nachbesitzer, in dessen Hand es vor demÜbergang in das Eigentum der University of Indiana war. In K '34,25ist dargelegt, daß das Manuskript eine kleine Zahl späterer Randbemer­kungen und eine erhebliche Zahl von Unterstreichungen in andererTinte enthält, die in der Edition stillschweigend eliminiert wordensind. (Von derselben Hand wurden auf die Innenseite des rückwärtigenDeckels Wiederholungen seiner Randbemerkungen auf den Seiten 484und 49' des Originals mit Seitenangaben geschrieben.) Der Schrifttypdieser nachttäglichen Randbemerkungen läßt hinsichtlich der Zeitdieser Benutzung und Eintragungen auf die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts schließen. Wie ebenfalls in K '34,25 ausgeführt wurde,finden sich im Manuskript auch einige Bleistiftanstreichungen, die aberkeinen Rückschluß auf eine bestimmte Zeit erlauben. Daß die auf demknapp 2 cm breiten, durch Knick entstandenen Rand der Seiten derHandschrift in ihrem ersten Teil eingetragenen Paragraphenzahlen ausder Zeit der Niederschrift des Manuskriptes selbst stammen, ist imSonderkommentar I gezeigt worden. Die Ausfüllung von zwei durchden Abschreiber leer gelassenen Stellen auf Seite 5I des Manuskriptsistgleichfalls, wenn auch durch andere Hand, zur Zeit der Herstellung derAbschrift erfolgt (vgl. K 67,21).So ergibt sich der Befund, daß das Manuskript nach dem ursprüngli-

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ehen Besitzer zumindest noch einen weiteren Besitzer in Deutschlandhatte, der nicht sein Zeitgenosse war und der, wie die Inhalte derRandbemerkungen zeigen, auch kaum noch Kontakt zu Problemstel­lungen Hegels hatte.Dieser Befund stimmt gut zur Erwerbungsgeschichte durch die Uni­versity of Indiana. In ihrAkzessionsverzeichnis wurde derBand am 22.Mai 1896 eingetragen. Er wurde von der Firma Lemcke und Buechnererworben, und zwar für einen Preis - man liest es heute mit Staunen ­von 1 Dollar und 56 Cents. Lemcke und Buechner war eine hochange­sehene Buchhandlung in New York, die ursprünglich »G. u. B.Westermann« geheißen hatte und die bei ihrer Gründung eine Filialeder Braunschweiger Westermann-Firma gewesen war. 1852 wurde dieFirma selbständig und von Bernhard Westermann geführt, der eineeigene Agentur in Leipzig eröffnete (vgl. -Publishers' Weekly' vom3· Dezember 1898). Lemcke und Buechner hatten also ausgezeichneteBeziehungen zum deutschen Buchmarkt. Zusammen mit dem Hegel­manuskript akzessionierte die Bibliothek zwei weitere rechtstheoreti­sche Titel in deutscher Sprache, die ebenfalls, abernicht unbedingt ausdemselben Angebot, bei Lemcke und Buechner erworben wurden,nämlich J. von Holtzendorff, Encyclopädie der Rechtswissen­schaft ..., Leipzig t 870, und Kants Metaphysische Anfangsgründeder Rechtslehre. Der Kam-Band wird seit '96, vermißt, der Holtzen­dorff-Band weist keine Benutzungsspuren auf, die denen in derHegelnachschrift entsprechen.So kann zusammenfassend gesagt werden, daß das hier publizierteManuskript durch mindestens zwei deutsche Besitzerhände ging, bises, vermutlich von Leipzig aus und möglicherweise zusammen mitanderer rechtstheoretischer Literatur, von Lemcke und Buechnergekauft und auf dem amerikanischen Markt angeboten wurde. Seit demErwerb durch die Universiry of Indiana ist es, vermutlich weitgehendunbenutzt, in deren Besitz gewesen.Klarheit über den Weg des hier publizierten Manuskripts ist auchdeshalb erwünscht, weil anfänglich vermutet werden konnte, daß dieüberraschend in Indiana gefundene Hegel-Nachschrift in irgendeinemZusammenhang mit der in Illinois, in der Universitätsbibliothek derNorthwestern University in Evansron, aufbewahrten Nachschrift zur-Geschichre der Philosophie, steht. Diese Nachschrift gehört zu derBibliothek von Johannes Schulze, der Hegels Freund und BerlinerNachbar war. Obwohl er als »Geheimer Oberregierungsrat undwirklicher vortragender Rat im Ministerium der geistlichen und Unter-

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richtsangelegenheiten« der engste Mitarbeiter des Ministers Altensteinwar,. hat er, und zwar gerade in den Jahren 1819 bis 1821, »täglich inzwei Abendstunden sämtliche Vorlesungen Hegels« besucht. Er selbstberichtet weiter: Ich »scheute die Mühe nicht, mir den Inhalt sämtli­cher Vorlesungen durch sorgfältig von mir nachgeschriebene Heftenoch mehr anzueignen« (vgl. C. Varrentrapp, ]ohannes Schulze unddas preußische Unterrichtswesen in seiner Zeit, Leipzig 1889, S. 432).Da Schulze unter den Kursen Hegels, die er besuchte, auch ausdrück­lich die -Philosophie des Rechts.erwähnt, war davon auszugehen, daßSchulze Hörer von Hegels Vorlesung im Winter 1819120 gewesen seinkann. Und da das in Evanston aufbewahrte Manuskript eine Nach­schnft 1st,.war mc.htauszuschließen, daß auch die in Indiana gefundeneNachschnft zumindest zu Schulzes Bibliothek gehört hat. Daß dieNachschnft..etwa auf Schulzes eigene Mitschrift in den VorlesungenHegels zuruckgehen k?nnte: ist allerdings durch das mangelhafteVerstandms bei der Mirschrift während des ersten Semesterdrittelsausgeschlossen. Und der Nachweis, auf welchem Weg die Nachschriftnach Indiana gelangte, schließt auch aus, daß sie einmal Teil vonSchulzes Bibliothek gewesen ist. Diese Bibliothek wurde , 869geschlossen auf Vermittlung des in Europa reisenden Professors D.B~nbrightvon der Northwestern University erworben. Nur die Stückeblieben ausgeschlossen, die für die Familie persönliche Bedeutunghatten. (Vgl. Meyer, Karl M., Geschichte der Bibliothek des wirk!.geh. Oberregierungsrats D. Johannes Schulze zu Berlin, in: Zentral­blatt für das BibI. Wesen 42, '925, S. 6'5-620, spez. S. 620.) DieserUmstand erklärt gut, daß sich heute in der Northwestern Universitynur die Nachschnft der -Geschichte der Philosophie, befindet, die nichtvon Schulzes Hand stammt. Der eigenhändige Katalog Schulzes, derebenfalls mEvanston aufbewahrt wird, führt übrigens in seinemsechsten Band außer dieser Nachschrift nur zwei weitere Nachschriftenvon Hegel-Vorlesungen an, die im Unterschied zur genannten alsO~tavm~uskripte »von ]. Schulze« durch ihn selbst ausgewiesen sind.DIese belden Nachschriften sind aus dem angegebenen Grund wahr­scheinlich gar nicht nach Evanston gelangt, wo sie wirklich nichtvorhanden sind. Da aber der Katalog nur diese beiden Nachschriftenerwähnt, bleibt es nicht ganz ohne Zweifel, ob Schulze wirklich vonallen Vorlesungen Hegels selbst Hefte nachgeschrieben hat, die denZustand einer in einer Bibliothek zu verwahrenden Nachschrifterreichten. Es bleibt aber festzuhalten, daß von den eigenhändiggeschnebenen Heften Schulzes, von denen zumindest zwei auch in

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seiner Bibliothek Platz fanden, bisher keines aufgetaucht ist. So ist esnicht unwahrscheinlich, daß einmal eine Nachschrift von seiner Handauch zur Vorlesung über Rechtsphilosophie von ,8'9120 gefunden

wird.

3. Die Nachschrift als solche

Das hier publizierte Manuskript ist sicher nicht während der Stundenvon Hegels Vorlesung selbst entstanden. Es ist von einem Abschreibernach Notizen in Reinschrift gebracht worden. Diese Notizen enthiel­ten, wie die vielen sinnlosen oder in ihrem Zusammenhang sinnlosenWörter der Abschrift zeigen, zahlreiche Abkürzungen, so wie sie ausden Nachschriften bekannt sind, die während der Vorlesungsstundenselbst entstanden sind. Daß sie vielfach zu sinnlosen Sätzen aufgelöstwurden, zeigt weiter, daß der Abschreiber selbst kein Verhältnis zu derim Manuskript behandelten Materie gehabt hat, daß er also sicher nichtder Hörer Hegels gewesen ist, der im Kolleg die Vorlage niederschrieb.So ist die Nachschrift also auch nicht als eine Ausarbeitung von eigenerHand nach einer selbst geschriebenen Notizenvorlage anzusehen. DieVorlage dieser Nachschrift muß darum auch im wesentlichen aus vollausformulierten Sätzen bestanden haben, da der Abschreiber außer­stande war, unvollständige Sätze selbst zu ergänzen, und da dasManuskript nur sehr wenige unvollständige Sätze enthält. Man kanndarum vermuten, daß derjenige, der im Kolleg die Nonzen nieder­schrieb, welche der Nachschrift zugrunde liegen, sie vor der Abgabe anden, der die Abschrift erstellte, noch vervollständigt haben könnte.Dafür spricht auch, daß er jedenfalls die Gelegenheit hatte, im erstenTeil am Rande Paragraphen aus dem Diktat des vorausgehendenWintersemesters zu seinem Text hinzuzufügen, was sicherlich nicht inder Vorlesung selbst geschehen konnte (vgl. Sonderkommentar I).Beim selben Arbeitsgang konnten auch die Überschriften, die im Texterscheinen, zu der vergleichsweise großen Kohärenz und Eindeutigkeitgebracht werden, welche sie in der Abschrift aufweisen (vgl. Sonder­

kommentar 11).Da das Manuskript weder in der Vorlesung aufgenommene Notizennoch eine Ausarbeitung dieser Notizen noch eine vom Hörer selbstangefertigte Reinschrift von eigenen Notizen sein kann, ist nun zubestimmen, um welche Art von Abschrift nach fremder Vorlage es sich

3°2

handelt. Dabei ist zwischen vier Möglichkeiten zu unterscheiden:(r} Eine Gefälligkeitsabschrift von Studierenden für unbestimmteZwecke, (2) eine Gelegenheitsabschrift durch einen bezahlten Schrei­ber, (3) eine Abschrift zum Zwecke des Verkaufs oder der Abgabe anInteressenten und (4) eine Abschrift eines Schreibers bei einer Behörde.Die erste Möglichkeit scheidet wegen der ausgeschriebenen, reifenSchriftzüge und auch deshalb aus, weil der Abschreiber nicht im Fachvorgebildet gewesen sein kann. Die dritte Möglichkeit ist mit dergeringen Qualität in der sinngerechten Wiedergabe im ersten Viertelder Nachschrift nicht vereinbar. Die vierte Möglichkeit scheidet aus,weil die Schrift nicht die für Kanzleischriften charakteristische peinli­che Akkuratesse bei der Führung der Zeilen und bei der Zahl der Zeilenpro Seite aufweist. Ihr fehlt auch die Höhenlage der Stilisierung imSchriftduktus, die, je höher die Behörde, um so mehr gefordert war. Sospricht alles dafür, daß die Abschrift der zweiten Klasse zugehört. Siewurde also von einem Hörer von Hegels Vorlesung bei einem bezahl­ten Abschreiber in Auftrag gegeben. Dafür spricht auch, daß esIndizien dafür gibt, daß das Manuskript nicht als ganzes zu einemZeitpunkt, sondern stückweise zur Abschrift gegeben wurde: Die vomSchreiber, wegen Verständnismängeln, offen gelassenen Lücken kön­nen am ehesten auf dem Wege einer Konsultation mit dem Auftragge­ber ausgefüllt worden sein. Auf der Originalseite ror wurden zweiLücken von anderer Hand ausgefüllt, vermutlich vom Auftraggeberselbst (vgl. K 67,21 und die Reproduktion auf Seite 304). Später scheintder Auftraggeber nicht mehr wegen der Ausfüllung von Lücken mitdem Abschreiber verhandelt zu haben (vgl. K 67, 21; Sonderkommen­tar I). Es ist möglich, daß dies mit erklärt, daß der Abschreiber bei derAuflösung der Kürzel, die für -Identitat- und -Idealität- stehen, die imSonderkommentar 111 erschlossenen rigiden> aber nicht adäquatenRegeln befolgte.Ganz ausgeschlossen kann nicht werden, daß die Vorlage der Abschriftauf mehrere Schreiber zurückgeht. Das würde voraussetzen, daß sichmehrere Hörer von Hegels Vorlesung bei der Erstellung einer Nach­schrift zusammengetan haben. Und es würde erklären,wie in den Textdie große Qualitätsdifferenz zwischen dem ersten und den späterenTeilen kommen konnte. Möglich wäre auch, daß ein Hörer von HegelsVorlesung andere Hörer um deren Ausarbeitung gebeten hat> um siedem von ihm angestellten Abschreiber vorlegen zu können. Ebensomöglich ist es> daß er während der späteren Teile der Vorlesung miteinem anderen Hörer bei der Herstellung einer Vorlage für die

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Abschrift zusammenarbeitete. Aber für alle diese und beliebige an~ere

Hypothesen gibt es keine Begründung, und es gibt auch keinenhinreichenden Anlaß, irgendeine solche Hypothese.~uen.twl~keln. Esist in sich plausibel genug und mit den Befunden i~ Uberem.snmmu?-g,daß sich ein Hörer, der zunächst Anfänger und nicht sehr mteressiertwar, in die Vorlesung und in deren Stoff schnell einarbeitete und daß sodie in der zweiten Hälfte ganz vorzügliche Vorlage zustande gekom-

men ist. Er hat dann die von ihm in Auftrag gegebene Abschrift auchalsbald in der Weise binden lassen, in der sie noch heute vorliegt.Es gibt zur Zeit keine Möglichkeit zu bestimmen, wer unter den 53Hörern Hegels in diesem Semester die Vorlage für die Nachschrifterstellte und ihr erster Besitzer gewesen ist. Zwar existiert ein allgemei­nes Studentenverzeichnis der Berliner Universität für das Winterseme­ster I8I9ho. Aber Hörerlisten zu dieser Vorlesung Hegels sind nichtüberliefert. Die Schriftprobe auf der Originalseite IOI läßt aber einekünftige Identifizierung des Hörers als nicht ausgeschlossen er­scheinen.

4. Hegels Vorlesung

Die Vorlesung begann am 25. Oktober 1819 und endete am 18. März1820. Sie fand fünfmal wöchentlich von 16 bis 17 Uhr und imunmittelbaren Anschluß an Hegels Vorlesung über Naturphilosophiestatt. Dieser Zusammenhang erklärt die große Zahl der Anspielungenauf Theoreme der Naturphilosophie, die in den Erläuterungen behan­delt worden sind.Wir besitzen einen Bericht von Anlage und Stand der Vorlesung Hegelsaus einem Brief von Richard Rothe an seinen Vater vom z r. IZ. I8I9(vgl. G. Nicolin, Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, HamburgI970, Dokument 3IZ). Dieser Bericht gibt eine sowohl treffende wieoriginelle Charakterisierung von Hegels Standpunkt, die mehr enthältals das, was aus dem Material hervorgehen würde, das der Schreiber derhier publizierten Nachschrift bis zum Datum des Briefes aus HegelsVorlesung festgehalten hatte. Man kann aber annehmen, daß sich dieStudenten über Hegels Standpunkt im privaten Gespräch verständig­ten, und wir wissen, auch aus dieser Nachschrift, daß die Diktate,somit wohl auch Nachschriften, aus dem vorausgehenden Winterseme­ster im Umlauf waren. Rothes Brief ist hier auch deshalb von Interesse,weil er Auskunft darüber gibt, bei welchem Kapitel Hegel vor Weih­nachten I8I9 angelangt war: »Wir stehen jetzt gerade bei der Ehe) woHegel, wie die Leute sich ausdrücken, sehr poetisch isr« (a. a.0., amSchluß des Dokuments). Dem Herausgeber ist die genaue Zahl derVorlesungstage vor und nach der Weihnachtspause nicht bekannt. Esist aber anzunehmen, daß nach Weihnachten um etwa zwei Wochenmehr Zeit als vor Weihnachten zur Verfügung stand. Hegel wird also

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seine Vorlesungszeit in diesem Semester zur Hälfte auf die Kapitel vonder bürgerlichen Gesellschaft an verwendet haben. In der hier publi­zierten Nachschrift entspricht dem ein Textvolumen von fast zweiDritteln. Da schon der Abschnitt über die Ehe und das vorausgehendeKapitel über das Gute und das Gewissen fast ebenso ausgiebig wie diefolgenden Abschnitte ausgearbeitet sind, zeigt sich erneut, wie ver­gleichsweise verkürzend die Nachschrift in den früheren Abschnittenist. Man kann vermuten, daß der Hörer einzelne Stunden versäumteoder nur fragmentarisch mitschrieb. Die Konkordanz des Textes mitden Paragraphen der .Rechtsphilosophie- macht solche Lücken aufSeite 65 und 85 wahrscheinlich.Diesem Befund entspricht, daß im hier publizierten Text auf die Teile-abstraktes Recht- und -Moralitat- nur etwa ein Viertel der Masse desTextes kommt, während die Nachschriften Horhos und v. Griesheimsauf diese Teile etwa 40% bzw. bis zu 50% verwenden. (Die Verteilungder Textmengen auf die Kapitel im vorliegenden Text entsprichtallerdings in etwa der in der Bewahrung von Hegels Vortrag ziemlichvollständigen Nachschrift von Wannenmann.) Die Ausarbeitung v.Griesheims ist insgesamt erheblich länger als die hier publizierte, dieauch noch von der Hothos deutlich übertroffen wird. Im Teil -DieSittlichkeit- aber erreicht die hier publizierte Nachschrift beinahe dasVolumen der von Hotho. Ihr Kapitel über die bürgerliche Gesellschaftübertrifft das Hothos und kommt dem v. Griesheims sehr nahe. DaHotho und v. Griesheim besonders verläßliche Schüler Hegels waren,die seine Ausführungen möglichst vollständig erfassen wollten, kannangenommen werden, daß auch die hier publizierte Nachschrift im Teilüber die Sittlichkeit Hegels wirklichen Vortrag dem Inhalt nach nahezuvollständig erfaßt. Homeyers Nachschrift hält zusätzlich zu denDiktaten nur Stichworte zu Hegels Vortrag fest.Im Sonderkommentar I wird dargelegt, daß es wenig Wahrscheinlich­keit hat, daß Hegel in diesem Semester Paragraphen diktierte. Erkonnte hoffen, das zeitraubende Diktat werde. durch die baldigePublikation des Lehrbuches überflüssig, und wohl auch meinen,Diktate seien in der Unsicherheit der allgemeinen Situation nichtratsam. Ihm lag aber sicher ein Manuskript vor, das eine Einteilungnach Paragraphen enthielt. Und da er erwartete, daß seine Vorlesungmitgeschrieben würde, und auch mit Rücksicht darauflangsam sprach,und weil er überhaupt zum stockenden Reden tendierte, konnten ausseinem Manuskript Formulierungen in die Hefte der Mitschreibendengeraten, die den Formulierungen der später gedruckten -Rechtsphi-

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[osophiec sehr nahekommen. Dennoch war sein Vortrag nicht auf dieErläuterung von schon vorliegenden Paragraphenabgestellt, so daß erdie Flüssigkeit und Übersichtlichkeit in der Entfaltung des ganzenGedankens gewinnen konnte, welche nur diese Nachschrift auszeich­nen. Das muß allerdings nicht bedeuten, daß diese Nachschrift als eineArt von Stenogramm angesehen werden sollte. Sie hat aus Notizen, diezwar Hegels Wortlaut zu folgen versuchten, die aber manches inseinem Vortrag auch nur in ausgiebigen Stichworten festhalten konn­ten, einen fortlaufenden Text gemacht, der dem Hegels so nahe wiemöglich kommen sollte.

5. Zu Hegels Manuskript

Die Frage, nach welchem Manuskript Hegel seine Vorlesung vorgetra­gen hat, greift in so viele und in den letzten Jahren so ausgiebig undkontrovers erörterte Fragen ein, daß an dieser Stelle nur einige sichereDaten und einige wenige Vermutungen ihren Platz haben können. Sieist insbesondere verknüpft mit der Frage, inwieweit Hegel zu Beginndes Wintersemesters über eine Druckvorlage für eine Publikation zurRechtsphilosophie verfügte und aus welchen Gründen er deren Publi­kation nicht eingeleitet hat. Daß er die Drucklegung eines Grundrisseszur Rechtsphilosophie in Arbeit hatte, ergibt sich mit Gewißheit ausseiner Vorlesungsankündigung »ad compendium proxime in lucemproditurume (Briefe 4,1, hrsg. F. Nicolin, Hamburg t977, S. It4)zusammen mit dem Brief an Creuzer vom 30. Oktober 1819, in demvon »ein paarBogen Paragraphenüber Rechtsphilosophie« die Rede istund in dem es heißt: »Ich wollte eben anfangen drucken zu lassen, alsdie Bundestagsbeschlüsse ankamen.« So ist unstrittig, daß Hegelzumindest für den ersten Teil über eine Druckvorlage verfügte, welcheauch die Bestimmung hatte, in seiner Vorlesung als »compendium«zugrunde gelegt zu werden.Fast außer Zweifel steht ferner, daß Hegel für die beiden vorausgehen­den Vorlesungskurse über Rechtsphilosophie voneinander verschie­dene Diktatvorlagen erarbeitet hatte. Denn schon das kleine Fragmentaus der Heidelberger Vorlesung von 1817h8, das F. Nicolin in einersekundären Quelle aufgefunden hat (vgl. Hegelstudien X, 1975, S. 82),stimmt weder in der Zählung der Paragraphen noch dem Inhalt nachmit dem entsprechenden Diktat in Homeyers Nachschrift überein, in

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der die Diktate des folgenden Winters und somit aus der ersten BerlinerVorlesung über Rechtsphilosophie erhalten sind (vgl. Nicolin, a.a.0.,S. 8)). Inzwischen sind durch die Nachschrift von Wannenmann diesehr weitgehenden Differenzen zwischen der Paragraphenfolge derKurse von 1817/I 8und 18I 8/I9 vollständig belegt. Nicht auszumachenist, ob Hegel diese Diktatfolgen entwickelte, während das Semestervoranschritt, oder ob er sie im voraus bereits erstellt hatte. Ohne einesichere Übersicht über den Gang der Vorlesung insgesamt konnte erjedenfalls so gut organisierte Vorlesungen wie die von Wannenmannund Homeyer überlieferten nicht anlegen. Und in jedem Fall fühlte sichHegel sehr sicher, für den Winter 1819120 nunmehr eine gedruckteDiktatenfolge benutzen zu können. Wir wissen nicht, ob die bei Hegelnotorischen Konzeptions- und Schreibschwierigkeiten allein dafürmaßgeblich waren, daß er die Drucklegung auch noch nach demZeitpunkt verzögerte, an dem das preußische Zensuredikt bekanntgeworden war und Hegel wissen konnte, »woran wir mit unsererZensurfreiheit sind« (Brief an Creuzer vom )0. Oktober 1819). DieAbsicht, die Paragraphen über Rechtsphilosophie »nächstens in Druckgeben« zu wollen, wurde jedenfalls nicht eingelöst. Und es sprichtvieles dafür, daß sich dies zumindest auch aus Rücksicht auf dieZeitumstände und die noch fehlenden Erlahrungen mit der Zensurerklärt. Mit Sicherheit aber dürfen wir voraussetzen, daß Hegelzumindest einen Teil des Manuskripts der für das Wintersemester1819120 und zugleich für den zu druckenden Grundriß ausgearbeitetenParagraphenfolge bei Semesterbeginn druckfertig vorliegen hatte unddaß er für den Rest der Paragraphenfolge über Vorbereitungen ver­fügte, die so weit gingen, daß er den Beginn.des Druckes für sinnvoll,also die Vollendung des Grundrisses während des Wintersemestersoder allerspätestens direkt nach dessen Ende für möglich ansehenkonnte. Wir wissen weiter, daß ihm - ganz abgesehen von seinem inJena und Nürnberg erarbeiteten Material - zwei nicht nur nachParagraphen, sondern auch in den Notizen zu deren Erläuterungdurchgearbeitete Vorlesungsmanuskripte zur Verfügung standen, dievielleicht in irgendeiner Weise ineinandergearbeitet waren. Dennobgleich es noch keine selbständige Untersuchung über Hegels Art,Vorlesungen zu halten, gibt, wissen wir doch, daß er niemals ganz freilas, was ohnehin kaum einer seiner Zeitgenossen je tat. Und es sindauch sowohl breit ausgearbeitete Vorlesungsmanuskripte (zur Reli­gionsphilosophie, hrsg. v. Ilting, Napoli 1978)als auch stichwortartigeNotizen für die Kommentierung von zuvor publizierten Paragraphen-

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folgen erhalten (der Enzyklopädie und der Rechtsphilosophie, vgl. Ih.4, 75) ff., Ilr. I, 27ff., Ilr. 2 auf den jeweils rechten Seiten. ZurNaturphilosophie ist der Bericht überHegels Präparationen zu verglei­chen, der wegen der Hinweise auf möglicherweise von Semester zuSemester wechselnde Praktiken und auf den gleichzeitigen Gebrauchmehrerer Hefte interessant ist; in: Jubil.Ausg. 9,14. - Auch dieVorworte zu den Bänden I I, 12, 15 und 17 geben über Hegels Art,Vorlesungen zu erarbeiten und zu halten, wichtige Auskünfte.)Auch im Winter 1819120 muß Hegel nach einem Manuskript gelesenhaben, das mehr enthielt als nur die schon vorbereitete Paragraphen­folge. Es ist sicher auch auszuschließen, daß sich dieses Manuskript inseinem Inhalt gänzlich von der zum Druck vorbereiteten Paragraphen­folge unterschied. Wir wissen nur nicht, ob es mit der Druckvorlageoder mit einer Kopie von ihr identisch war, zu der Hegel weitereNotizblätter hätte ausarbeiten können, oder ob es ein eigenständigesManuskript gewesen ist, in das Hegel dann aber wahrscheinlich dieschon vorbereiteten Paragraphen der Druckvorlage wörtlich odernahezu wörtlich aufgenommen hätte. In keinem Fall kann das Gerüstder Vorlesung sehr wesentlich von der inneren Ordnung und von denInhalten der für den Druck vorgesehenen Paragraphenfolge abgewi­chen sein. Daß es sich wirklich so verhielt, läßt sich indirekt darausschließen, daß die Paragraphen der späteren -Rechtsphilosophie, zudem Gang der Vorlesung in der Nachschrift zwar nicht durchgängig inKorrelation, aber doch in eine sehr nahe Entsprechung gebrachtwerden können (vgl. die Konkordanz). Das Ausmaß, in dem dasgedruckte Werk dem Gang der Vorlesung entspricht, muß von demAusmaß übertroffen worden sein, in dem die Vorlesung der geplantenDruckvorlage des Herbstes '819 entsprach, die der Vorgänger dergedruckten >Rechtsphilosophie< gewesen ist, ob er nun mit demVorlesungsmanuskript ganz oder teilweise identisch oder ihm nur nahebenachbart war.Es ist eine Ausarbeitung Hegels zur Rechtsphilosophie überliefert, diein der ersten Hälfte des Jahres 1820 entstanden sein muß und die amleichtesten früh im Jahr entstanden sein kann (vgl. Hegelsrudien VII,'972, S. 23 und die Erläuterung von H. Schneider, a.a.O., S. 51). Sieentspricht § 286 der gedruckten -Rechtsphilosophie., der in der hierpu.blizierten Nachschrift keine unmittelbare Entsprechung hat. Diebeiden letzten Sätze der Nachschrift über die fürstliche Gewalt(25J>3 2ff. dieser Ausgabe) enthalten einen Gedanken, welcher derFunktion, aber nicht dem Inhalt nach dem § 286und der Ausarbeitung

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zur Rechtsphilosophie entsprechen. Da der vorausgehende § 285 dergedruckten -Rechtsphilosophiec in sehr genauer Korrespondenz zurNachschrift steht, ist die folgende Hypothese möglich: Hegel hat auseiner Anmerkung, die in seiner Vorlesungsvorlage dem Paragraphenangeschlossen war, welcher § 285 der gedruckten -Rechtsphilosophie­entspricht, eine weiter ausholende Überlegung und schließlich aucheinen selbständigen Paragraphen entstehen lassen. Und er hat dieseÜberlegung zunächst ihrem Verlauf nach skizziert, ohne daß schon dieAbsicht erkennbar ist, einen selbständigen Paragraphen zu formulie­ren. Daß Hege! damit rechnete, daß die Anmerkung zu einer der imzweiten Abschnitt der -Vorrede- von 1820 erwähnten »weitläufigerenAnmerkung« hätte werden können, kann vielleicht aus der Gliederungnach Hauptgesichtspunkten geschlossen werden, welche die Notizaufweist. Daß schon an eine bestimmte Stelle im Text gedacht war,könnte aus dem Verweis am Schluß der Notiz »wie vorher bemerkt«hervorgehen, der sich am ehesten auf den Gedanken beziehen kann, derin der gedruckten .Rechrsphilosophie- im ersten Teil der Anmerkung2U §279 ausgearbeitet ist. In der ausgeführten Anmerkung desgedruckten § 286 ist er allerdings zu einem Verweis auf den Anfang unddas Corpus des Paragraphen selbst geworden. In jedem Fall ist ausdem, was als Anmerkung konzipiert erscheint, ein neuer Paragraphgeworden. So können wir also wenigstens an dieser einen Stelle vonferne etwas von dem Arbeitsgang beobachten, in dem aus demManuskript, das bei der Vorlesung von 1819120 zugrunde lag, die imSommer 1820 in den Druck gegebene -Rechtsphilosophie. erarbeitetworden ist.Andere Grundlagen für Rückschlüsse, welche den Fortgang vonHegels Arbeit von Druckvorlage und Vorlesungsmanuskript desHerbstes 1819 zum im Sommer 1820 in Druck gegebenen Werk ausdirekten Evidenzen aufklären können, stehen uns derzeit nicht zurVerfügung. Aber die hier publizierte Nachschrift gibt sehr vieleMöglichkeiten zu indirekten Folgerungen an die Hand, die auszuarbei­ten Sache der Forschung, nicht der Edition ist. Eine besondersinteressante Frage ergibt sich schon aus dem Verhältnis der Einlei­tungsstunde der Vorlesung zur .Vorrede. des gedruckten Werkes. DieEinleitungsstunde folgt bereits dem Grundaufbau der>Vorrede. und siegebraucht auch einige von deren eindrucksvollsten Metaphern, worausübrigens folgt, daß Einleitung der Vorlesung und Vorrede der Publika­tion in einem Gang konzipiert wurden, so daß schon die Druckvorlagevon 1819 eine entsprechende Vorrede besessen haben kann. Aber die

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später wirklich gedruckte Vorrede ist nicht nur um weitere Metaphernbereichert und mit Invektiven gegen Hegels und seiner Oberen Oppo­nenten durchsetzt, sondern auch in ihrer philosophischen Positionverschoben, wenn auch im Rahmen von Hegels Grundposition (vgl.oben S. 13H.).Vielleicht wird sich einmal genauer aufklären lassen, wieder Produktionsprozeß beschaffen war, in dem sich diese Verschie­bung ergeben hat.

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E ERLÄUTERUNGEN

46,14 Dies ist die erste einer Reihe von wahrscheinlichen implizitenBezugnahmen auf den Standpunkt von Jacob Friedtich Fries (1773­1843), Hegels Gegner seit der gemeinsamen Jenaer Dozentenzeit. Inder Vorrede zur Rph. sind sie in explizite Bezugnahmen verwandelt;vgl. 51,1-4; 209,3f. dieser Ausgabe.

47,9 Zu vergleichen ist das ganze 5. Buch von Platos »Politeia«:besonders aber 473 b H.

47,28 Anspielung auf das Kirchenlied ,0 Gott, du frommer Gott­(johann Herrmann, 1630):»0 Gott, du frommer Gott, du Brunnquell guter Gaben,ahn den nichts ist, was ist, von dem wir alles haben«.-Die Idee- wird so als das eigentliche Wesen des -frommen Gottes­eingesetzt.

48,23 Plato, Politeia; in diesem Zusammenhang besonders 464 a-d,vgl. S. '49 f. dieser Ausgabe.

49,16 Vgl. Enz. H § 290.

49,17 Vgl. Enz. B § )60, besonders den Zusatz.

52,r7 Vgl. Enz. H §§ )02, )66, )87f. in Verbindung mit 58,8H. dieserAusgabe.

57,1 »omnis definitio in iure civili periculosa«. Digests IustinianiAugusti L '7, zoz; vgl. Rph. § 2.

57,4 Enz. H § 400.

57,7 Vgl. Enz. H § Z99·

57,8 (I) Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, III, Kraft undVerstand, Erscheinung und übersinnliche Welt (Werke 9, 99f.), Enz.H § )09 und die Anmerkung zum §.

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57,8 (2) Vgl. Hege!, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten E

des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie, und seinVerhältnis zu den positiven Wissenschaften (Werke 4, 46)-467); _ders., Logik, Metaphysik, Naturphilosophie. Fragment einer Rein­schrift (1804/05), Naturphilosophie, System der Sonne (Werke 7,188­192) .

57,14 »magnetischer Schlaf«, auch magnetisches Schlafwachen,Clairvoyance: Zustände, hervorgerufen durch eine -magnerische­Behandlung nach der Lehre Mesmers (1734-1815), einer spekulativenVorform der modernen Hypnose. Im m. S. soll bei äußerlich verschlos­senen Sinnen die Fähigkeit bestehen, aufgrund eines Vermögens derIntuition Vorgänge und Objekte wahrzunehmen, die mit normalenSinnen und im gewöhnlichen Wachheitszustand nicht wahrgenommenwerden können, z. B. Vorgänge in weiter räumlicher Entfernung oderin der Zukunft; vgl. Enz. B § 406, besonders den Zusatz.

57,15 »pyrornantisch«: Von Pyrcmantie, die Wahrsagung ausOpfer­feuern.

58,19 Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik, ). Buch, 2. Abschn., 2.Kap., B, Der Prozeß (Werke 12,250).

58,26 Vgl. S. 55 dieser Ausgabe.

59,8 Vgl. Enz. H § 220 und Enz. B § 276, besonders den Zusatz.

59,14 Vgl. Enz. H §§ 27)-275.

59,27 Vgl. Enz. H § Z41.

59,30 »Gymnosophisten«: Asketen, Jogis, Personen, die Joga üben.

60,IZ Vgl. vor allem Hegel, Wissenschaft der Logik, 1. Buch, 2.Kap., c., (Qualitative) Unendlichkeit (Werke r r, 78-8).

61,2; Der Zusammenhang von Begriff, Subjektivität und Schluß istThema des 1. Abschnitts des). Buches der »Wissenschaft der Logik­(Werke 12, 3'-'26).

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E 62,25 Vgl. Enz. H §§ 293, 392.

63,19 Psalm IU,IO; Sprüche 1,7; 9,10. Vgl. auch zu den heidenfolgenden Sätzen Hegel, Phänomenologie des Geistes, IV, A, Selbstän­digkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins. Herrschaft undKnechtschaft (Werke 9, II4)·

67,5 Im Text selbst fehlt die Beziehung; vgl. aber Homeyer-Nach­schrift (Ilt. r, 239f.).

68,22 Johannes Manlius, Loci communes, Basileae 1563, II, 290, gibtden Satz als Wahlspruch Kaiser Ferdinands I. (reg. r556-r564) an.

69,29 Kanr, Die Metaphysik der Sitten, r. Teil, Das Privatrecht, §§IO, Ir, 18 (Akad. Ausg. 6, z6of.; 271). Hegel kritisiert Karrt nur,insofern er die Termini -Personen« und -Sachenrechte verwendet; dieSubstanz der Kritik geht auf die Auffassung der Freiheit der Person alseines besonderen Status, also auf das römische Recht; vgl. Rph. § 40.

7r,19 Vgl. E 57,8(2).

73,1 Vgl. E 84,26.

73,4 Vgl. S. 67f. dieser Ausgabe.

77,7 »die bloßen Herrlichkeitsrechte«: Gemeint ist das Eigentums­recht (Dominium) im Lehnsverhältnis. Nach Hegel hat sich dieAuffassung durchgesetzt, daß im Lehnsverhältnis das jeweilige GU1von zwei Eigentümern besessen wird, also gemeinsames Eigentum ist;vgl. Rph. § 62, dem gemäß es -Herrschattsrechtee heißen müßte, undGriesheim-Nachschrift (Ilt. 4, 219f.).

77, I 5 »Reallasten«: Privatrechtliche Belastungen eines Grundstücks,kraft deren dem Berechtigten wiederkehrende Leistungen zu entrich­ten sind (Naturalien, Geld, Dienstleistungen).

77,16 »Sozietatsvertrage«: Über gegenseitige Leistungen zu einembestimmten ideellen oder wirtschaftlichen Zweck abgeschlossene Ver­träge.

314

78,3 Hegel bezieht sich hier auf die römischen leges agrariae. Die Egroßen, hauptsächlich durch militärische Expansion gewonnenen Län­der wurden Eigentum des römischen Staats, ager publicus. Es gab aberzugleich ein Okkupationsrecht, das grundsätzlich jedem Bürgererlaubte, für sich soviel Land in Beschlag und in tatsächlichenGebrauch zu nehmen, wie er durch .Hausleure- und Sklaven dauerndzu bewirtschaften imstande war. Diese besondere Bestimmung war derGrund dafür, daß trotz formaler Gleichheit vor dem Gesetz dieoccupatio agri publici in Wirklichkeit nur Vermögenden zugute kam.Die Agrargesetze waren dazu bestimmt, den durch das Okkupations­recht angeeigneten, nach anderer Auffassung aber nur in Benutzunggenommenen Besitz zu beschneiden, um so Bürgern ohne VermögenLandteile zukommen lassen zu können. Die Frage der Ausnutzung deseigentlich öffentlichen Bodens wurde schon sehr früh Gegenstand vonKämpfen der politischen Parteien in Rom. Der Konflikt gipfelte in derRevolution der Gracchenzeit, nach der sich die Patrizier endgültigdurchsetzten; vgl. Griesheim-Nachschrift (Ilt. 4, 189f.).

81,23 Vgl. E 82,27.

82,12 Rousseau, Du contrat social Oll principes du droir politique,1,6; 1I,3 (CEuvres completes, edition publiee sous la direction de B.Gagnebin et M. Raymond, Paris 1959ff., Bd. 3, S. 360-62, 37rf.); vgl.S. 212f. dieser Ausgabe und Rph. § 258.

82,2.0 »laesio ultra dimidium«: Ein Tausch- oder Kaufvertrag kannfür ungültig erklärt werden, wenn eine 1. u. d. vorliegt, d. h. wenneinem der Vertragspartner durch das Geschäft ein Schaden entsteht, derdie Hälfte des wahren Wertes der von ihm eingebrachten Sacheübersteigt.

82.,27 »Realvertrag«: Ein Vertrag, der, um rechtswirksam zu werden,neben der Willenseinigung die Übergabe einer Sache erfordert; z. B.Leihe, Darlehen, Verwahrung, Tausch.»Konsensualvertrag«: Ein Vertrag, der durch beiderseitige Willenser­klärungen rechtswirksam wird.

83,1 (I) Fichte, Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publikumsüber die Französische Revolution, 1. Buch, 3. Kap. (GA I, I, S. 260­264).

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E 83,1(2) Zur Begründung des infiniten Regresses vgl. Rph. § 79.

83,17 »depositum«: Die Hingabe einer beweglichen Sache zu unent­geltlicher Aufbewahrung.

84,z6 Alle diesespekulativen Urteilsformen finden ihreDefinitioninder »Wissenschaft der Logik«, 3. Buch, I. Abschn., 2. Kap., A, b) undc) (Werke rz, 64-70).

86,1 Vgl. S. '77f. dieser Ausgabe.

86,28 »demnachst«: Im Sinne von -sodann-. In derselben Bedeutung:87,6; 124,II; 206,15; 237,15; 247,13; 279,21; 279,26; 287,24; 288,30.

86,32 Z.B. Montesquieu, Esprit VI, raf.

87,2 Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775-t833), Revision derGrundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts, Erfurt'799, 1. Teil, 1. Kap., Über den Begriff der bürgerlichen Strafe und dasRecht dieselbe zuzufügen, S. 1-108, besonders 48-56; - ders., Lehr­buch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts,Gießen 1801, §§ '7-23, S. '5-20.

87,6 Vgl. E 86,28.

88,23 »jus talionis«: Recht der Wiedervergeltung mit einem demVerbrechen gleichen oder möglichst gleichartigen Übel.

97,20 Die Lehre Jacobis (1743-1819), auf die Hegel sich hier bezieht,ist besonders deutlich ausgesprochen in: Ueber die Lehre des Spinozain Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (Friedrich Heinrichjacobi's Werke, 6 Bde., Leipzig 1812ff., Bd. IV, 1, S. 2101.).

97,32 Thukydides, Der Peloponnesische Krieg; direkt ausgespro­chen wird dies im 2. Buch, 8,4-

99,5 »Aristides«: Atheniensischer Politiker zur Zeit der Perserkriege. EAls Vertreter der agrarischen Interessen in Athen wurde A. zumHauptopponenten gegen die Pläne des Themistokles, Athen zu einerSeemacht umzurüsten. Themistokles konnte sein Vorhaben erst durch­führen, nachdem A. 482 durch Ostrakismos verbannt worden war.Plutarch, Aristides VII, 1-7 erklärt das Ergebnis des Ostrakismos ausdem Neid des Themistokles und der Mehrzahl der Bürger auf dieUnbestechlichkeit und Gerechtigkeit des A.; vgl. E 102,3'.

102,10 Goethe, Was wir bringen, Lauchsrädr, 19. Auftritt.»Wer Großes will muß sich zusammen raffen.In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.«(Soph. Ausg., Bd. '3, S. 84).

102,3' Vgl. E 99,5. Die Gerechtigkeit des Aristides rühmte schon im5. Jahrhundert Herodot, Historien VIII, 79. Seit dem 4. Jahrhunderterscheint er dann mit dem Beinamen -der Gerechte-.

105,6 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2. Abschn.»Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollenkannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.« (Akad. Ausg. 4, 42I);­ders., Kritik der praktischen Vernunft, 1. Teil, 1. Buch, I. Hauptst.§ 7. »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich alsPrinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.« (Akad. Ausg.5,30). Dem Sinn Kants nach ist also der Text so zu lesen: »sie als Gesetzbestehen könne». Hegel kann aber gemäß dem Wortlaut des vorliegen­den Textes meinen, das> »was ich tun wille, könne unter Gesetzesbe­dingungen nicht bestehen.

108,13 Der heilige Crispinus stahl Leder, um daraus Schuhe für dieArmen zu machen; vgl. Rph. § 126, Zusatz.

108,32 Eine klassische Begründung für die Position, daß es keinenbösen Willen gibt, läßt sich aus Plato gewinnen; vgl. z. B. Plato,Protagoras, 358 c-d. Es ist aber unwahrscheinlich, daß Hegel an Platodenkt; vgl. Rph. § '40, Anmerkung, d).

III,15 Goethe, Zur Farbenlehre, Historischer Teil I, 2. Abteilung,Die Römer (Soph.Ausg. II, 3, S. 127).

317

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E II2,IO Römerbrief 4,15.

113,) Hegel bezieht sich hier und im folgenden bis 113,16 interpretie­rend auf]acobi, Jacobi an Fichte (Friedrich Heinrich Jacobi's Werke, 6Bde., Leipzig ,8IZff., Bd. 3, S. 37'4')' Zu HegeIs Interpretation dieserPassage vgl. Über: Friedrich Heinrich Jacobi's Werke, Dritter Band(jubil.Ausg. 6, 330-335; besonders 333f.).

"3,3' Friedrich Schlegel ('77Z-,829), Lyceumsfragment 42 (Kriti­sche Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. v. E. Behler unter Mirw, v.].-J. Anstett und H. Eichner, München, Paderborn, Wien, Zürich'967, Bd. 2, S. '52).

II4,4 Homer, Ilias, 1. Gesang, 599; Odyssee, 8. Gesang, 326.

"4,5(1) Dies Zitat läßt sich bei Homer nicht nachweisen. Es mußsich um einen Irrtum Hegels und nicht des Verfassers der Nachschrifthandeln, da sich in den Vorlesungen über die Ästhetik, 3· Teil, 3·Abschn., 3. Kap., III, A, 2, b, Die individuelle epische Handlung(jubil.Ausg. '4, 37')' eine Parallelstelle findet. Wahrscheinlich denktHegel an Ilias, 21. Gesang, 424f.: Aphrodite erhält von Athene einenSchlag auf die Brust und sinkt ohnmächtig zu Boden oder a. a. 0., 49':Artemis wird von Hera ihr eigener Bogen um die Ohren geschlagen,und sie flieht weinend zu Vater Zeus.

"4,5 (2) Homer, Ilias, 5· Gesang, 859f.

,,6,28 August Hermann Niemeyer ('754-,828, Theologe und Päd­agoge in Halle), Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts fürEltern, Hauslehrer und Schulmänner, Halle '796.

"7,24 Vgl. S. 208f. dieser Ausgabe.

117,31 Hege! bezieht sich auf die »Orestie« des Aischylos. Orest, derSohn des Agamemnon und der Klytaimesrra, rächt die Ermordungseines Vaters an seiner Mutter und ihrem Liebhaber Aigisthos. Vgl.Vorlesungen über die Ästhetik, 2. Teil, 2. Abschn., 1. Kap., ab, Diealten Götter im Unterschiede zu den neuen (Iubil.Ausg. '3, 50f.).

II8,27 Fichte, Das System der Sittenlehre nach den Principien derWissenschaftslehre, 3. Hauptst., § 23, 11 (GA I, 5, S. 256).

318

120,21 Vgl. S. 5' und "0 dieser Ausgabe.

123,24 1. Korintherbrief 10,31.

12),25 1. Mose, 1,21.

'24," Vgl. E 86,28.

125,21 Xenophon, Memorabilien, I, 3, 1.

126,5 Aristoteles, Nikomachische Ethik, 11, 6; "06 b 36 - "07 a 6.

127,9 Anspielung auf Aristoteles, Metaphysik, XII, 7; '°72 a 25-27.

129,10 »Laren«: Altrömische Schutzgeister von Örtlichkeiten; dielares familiares sind die Schutzgeister von Haus und Familie. »Pena­tene : Altrömische Hausgötter. Die Bedeutung beider wird schon sehrfrüh nicht mehr deutlich unterschieden.

129,23 Goethe, Die Braut von Corinth, Vers 123. »Eins ist nur imandern sich bewußt.« (Soph.Ausg. Bd. r S. 223).

'29,30 Shakespeare, Romeo and Juliet, Act 11, Scene 11, 'Hf.»•..••..•.. The more I give to thee,The more I have, for both are infinire.«

130,13 »mutuum adjutorium«: Wechselseitiger Beistand.

'30,23 Vgl. zu der mit diesem Satz beginnenden Passage (bis 13',9)Rph. § 161 und Enz. H § 167ff., § 288ff. sowie Enz. B §§ 367-369,besonders den Zusatz zu § 369. Dem § 369 der Jubil.Ausg. entsprichtder § 370 aller anderen Ausgaben.

IJ 1,17 Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1. Teil, Privatrecht, § 24(Akad.Ausg. 6, 278).

132,5 Vor allem im »Symposion-: z. B. 210 c, 204 b.

'32,'3 Christopli Martin Wieland (1733-,8'3). Als Beispiele ausseinem ffiuvre könnten Hegel dienen: Der Sieg der Natur über die

E

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E Schwärmerey, oder die Abenteuer des Don Silvio von Rosalva, DIrn'764; _ Geschichte des Agarhon, Frankfurt a.M.fLeipzig '766/67;­Geheime Geschichte des Philosophen Peregrinus Proteus, Weimar1788/ 89. In der Griesheim-Nachschrift (Ilt. 4, 435) ist vorsichtigerformuliert: »Es ist dies ein Gegenstand ... vieler, fast aller RomaneWielands.«

133,21 Matth. 19,8; Mark. 10,5 f.

'36,8 Hegel denkt vor allem an die Liebe der Phaidra zu ihremStiefsohn Hippolytos in Euripides' Tragödie »Hippolytos«. Vgl. Vor­lesungen über die Äsrhetik, 2. Teil, 3. Abschn., 2. Kap., 20, Begriff derLiebe (jubil.Ausg, '3, 180).

136,13 Homer, Ilias, 6. Gesang.

'36,25 Hegel bezieht sich auf die Liebe Haimons zu Antigone. Vgl.Vorlesungen über die Ästhetik, 2. Teil, 3. Abschn., 2. Kap., 20, Begriffder Liebe (jubil.Ausg. '3, 180).

'36,34 Vgl. E 58,19.

140,3 Schiller, -Tugend des Weibes«»Tugenden brauchet der Mann, er stürzet sich wagend ins Leben,Tritt mit dem stärkeren Glück in den bedenklichen Kampf.Eine Tugend genüget dem Weib, sie ist da, sie erscheinet,Lieblich dem Herzen, dem Aug' lieblich erscheine sie stets!«(Schillers Werke, Nationalausgabe, hrsg. v. J. Petersen und F. Beißner,Weimar I943ff., Bd. I, S. 286.)

141,25 Helena, die Gattin des griechischen Königs Menelaos, wurdevom Troer Paris entführt; die Folge war der Trojanische Krieg.

141,26 Livius, Ab urbe condita, I, 57,6- 59,6, erzählt, daß Lucretia,die Gattin des Collatinus, vom Königssohn Sextus Tarquinius verge­waltigt wurde. Nachdem sie ihren aus dem Feld zurückgerufe?enMann, ferner den L. Iunius Brutus und P. Valerius zur Racheverpfhch-

320

tet hatte, beging sie Selbstmord, was schließlich zum Sturz und zur EVertreibung der Tarquinier führte.

'43,7 »glebae adscripti«: Leibeigene. Vgl. Rph. Wannenmann § 83,S. 138.

'44,26 »kindische«: Der Sinn ergibt sich aus Rph. § '75.

145,4 »majorenn«: Volljährig.

145,5 »peculium castrense«: Im Felde (Kriegsdienst) erworbenesVermögen, das dem Sohn zur freien Verfügung gehörte. Hegel nennt es»Kriegsraub« ; vgl. Rph. § 180.

145,21 Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wis­senschafrslehre, 2. Teil oder Angewandtes Naturrecht, Grundriß desFamilienrechts. § 60 (GA I, 4, S. 148).

'49,'7 Hege! bezieht sich ganz allgemein auf Rousseaus Schriften:Discourse qui a remporre le prix a l' Academie de Dijon, Geneve o. J.[1750]; - Discourse sur ['origine et les fondemens de inegalite parmiles hommes, Amsterdam 1755.

149,26 Vgl. S. 48 dieser Ausgabe.

'52,9 Hegel bezieht sich hier nicht auf Fichtes Definition desNotstaates. vgl. Fichte, Das System der Sittenlehre nach den Principiender Wissenschaftslehre, 3. Hauptst., § 18, V. (GA I, 5, S. 215)Vielmehr hat Hege! das von Fichte in seinem Naturrecht entwickelteStaatskonzept im Auge; vgl. S. 190 dieser Ausgabe. Dieser Staat stelltaber nach Fichtes ausdrücklicher Auskunft eine höhere Staatsform alsder Notstaat dar; vgl. Fichte, Naturrecht nach Principien der Wissen­schaftslehre. 2. Teil oder angewandtes Naturrecht, 3. Abschn. derStaatsrechtslehre. § 21 (GA I, 4, S. 92).

158,34 Adam Smith (1723-179°), An Inquiry into rhe Nature andCauses of the Wealth of Nations, London 1776.

'59,9 A. a. 0., I, I, S. 6f.; vgl. auch Hegel, Jenaer Systementwürfe I,Fragment 22 (Werke 6, 323).

32'

Page 161: Hegel Phi Lo Sophie Des Rechtes Vorlesung 1819 1820

E 159,28 Vgl. HegeI, Wissenschaft der Logik, 3· Buch, 2. Abschn., 3·Kap., C, Der ausgeführte Zweck (Werke [2, 166).

161,26 Vgl. S. 74 dieser Ausgabe.

162,17 -Chili«: Die zu Hegels Zeiten noch gebräuchliche Schreib­

weise für -Chile-.

163,10 Vgl. S. 259ff. dieser Ausgabe.

165,1l Friedrich Creuzer (1771-1858, Philologe und Archäologe,Professor in Heidelberg), Symbolik und Mythologie der alten Völker,besonders der Griechen. 4 Bde., Leipzig und Darmstadt 18[2, Bd. 4,

S. 477-499,54 ',5450 555·

'7',5

»12 Tafeln«: Das Zwölfrafelgesetz um 45' v. Chr. ist dieAufzeichnung des bis dahin geltenden römischen Gewohnheitsrechts.

171,6(1) »Senatuskonsulte«: Senatsbeschlüsse. Sie wurden fortlau­fend registriert und in Form von Jahrbänden gesammelt.

17 1,6 (2.) »responsa juris consultorum«: Rechtsbescheide und Ent­scheidungen, die bei zweifelhaften Rechtsfällen von einem dazubestellten Rechtskollegium oder einer Juristenschule gutachtlich erteiltwurden. Die r. j. c. wurden als Kommentare zur Rechtsordnunggesammelt.

'7','3

Sir William Blackstone (1723-1780, englischer Jurist), Com­mentaries on the Laws of England in Four Books, 10. Aufl., London

'787, Bd. I, S. 69·

'72, I Vgl. Rph. § 215. Quelle nicht nachgewiesen.

172.,4 Horaz, Sermones (Satiren), I, r, 69f. »Mutato nomine de te

fabula narratur«.

172,7 Die vom römischen Kaiser Iustinianus (reg. 527-565) veran­laßre Gesetzessammlung enthielt den codex vetus und den codexrepetitae praelectionis, welche alle geltenden Kaisergesetze zusammen­faßten, sodann die das Juristenrecht autoritativ dokumentierenden

digesta, die der Einführung von Studenten gewidmeten institutiones E

und endlich die nicht mehr zu Iustinians Zeit gesammelten novellae.

'72,25 Die Verbrennung fand auf dem Wartburgfest am 18. Oktober1817 statt. Die Liste der dort verbrannten Bücher kann eingesehenwerden bei D. E. Kiefer, Das Wartburgfest, Jena 1818; vgl. S. 38.

'72,29 Phaedri fabularum aesopiarum libri V, ed. L. Mueller, Leipzig1877, I, 21. Die Fabel veranschaulicht folgende Lebensweisheit.-Quicumque amisit digniratem pristinamIgnavis etiam iocus est in casu gravi.«

173,28 »Majorennität«: Volljährigkeit.

'74,'3 Vgl. S. Ipff. dieser Ausgabe.

175,16 Esprit, I, 3.

'75>25 In Hegels »Berliner Schriften«, hrsg. v, J. Hoffmeister.Hamburg '956, findet sich auf Seite 720 ein Auszug Hegels aus der-Quarrerly Review- aus dem September 1818, dem Hege! die Bemer­kung vorausstellte: »Pedanterei und Formalismus in der Gerichts­pflege«. Der Auszug hält dieselbe Geschichte fest, aber ohne denNamen -Thompson- zu erwähnen. So hat Hegel wahrscheinlich nocheine andere Quelle gehabt.

176,22(1) »zierliches Testament«: Ein Testament) bei dessen Abfas­sung die geltenden Vorschriften genau beachtet worden sind.

176,22(2) Vermutlich Samuel Stryk (1640-1710), Jurist an der Uni­versität Halle.

'78,3' Carl Ludwig von Haller (1768-1854), Restauration der Staats­wissenschaft, oder Theorie des natürlich-geselligen Zustands, derChimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt, 6 Bde., Winter­th.~r 1816-1834, Bd. 1,5. 297. »Hilfe von einem Mächtigeren unpar­teiisch zuerkannt und kraftvoll geleistet, heißt die Gerichrsbarkeit.«,Bd. 2, S. 223f. und 254f.; vgl. Rph. §§ 219, 258.

323

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E 179,22 »Klientschaft«: Im altrömischen Recht war ein Klient einePerson aus dem Kreis der Plebejer, der seinem patrizischen PatronGefolgschaft und Treue schuldete, während der Patron ihn vor Gerichtvertrat und ihm in Notlagen Hilfe zukommen ließ.

180,10 »jus de non appellando«: Recht der letzten Instanz.

182,21 »Prätor«: Höchster römischer Justizbeamter.

182,.13 Im sogenannten Formularverfahren des altrömischen Rechtsist es die Aufgabe des Prätors, Formel und Richter den Parteienzuzuweisen und den Judicationsbefehl an den Judex ergehen zu lassen,dessen Aufgaben dann Beweisaufnahme und Urteilsspruch sind.

187,14 Vgl. S. 163f. dieser Ausgabe.

190,34 Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wis­senschaftslehre, 2. Teil oder Angewandtes Naturrecht, 3. Abschn. derStaatsrechtslehre. § 21 (GA I, 4, S. 87); vgl. Hegel, Differenz desPichte'schen und Schelling'schen Systems der Philosophie rwerke 4,56Anm.).

194,26 Matth. II,5; Luk. 7,22. »Den Armen wird die Frohe Bot­schaft verkündet.« Hegel verändertden Indikativ des Christus-Wortesin den Imperativ, - was im gegebenen Zusammenhang sinnvoll undnotwendig ist; denn Hegel konstatierte zuvor das Faktum, daß denArmen das Evangelium nicht gepredigt wird.

'96,7 Vgl. S. 100,9-28 dieser Ausgabe.

206,15 Vgl. E 86,28.

.108,.1.1 Vgl. E 119,10.

208,28 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, 2.Band, 2. Abschn., II, C. a, Die Gesinnung (Jubil.Ausg. 16, '33 f.), DerGegensatz der Gesetze, unter denen Staat und Familie stehen, wird inder "Phänomenologie des Geistes«, VLA., entfaltet (Werke 9,240 ff.).

208,33 Sophokles, Antigone, Vers 456f.; vgl. Hegel, Phänomenolo­gie des Geistes, V. C. c. (Werke 9, 236).

324

208,34 Sophokles, Antigone, Vers 777-80; vgl. 75-77, 5'9-24, 749, E1070 -76.

.110,26 Aristoreles, Politik, I, 2; 1253 a 27-29.

211,.18 »passive Obedienz- wurde in der Restaurationszeit in Eng­land als Ergänzung der Doktrin vom -divine right of king. vor allemdurch die anglikanische Geistlichkeit geforden. Auseinandersetzungenüber diese Forderung begannen 1661/62 mit dem CorporationAct unddem Act of Uniformiry, die beide einen Non-resistance-Eid enthalten.Eine besondere Non-resistance-Bill ist 1675 im Unterhaus gescheitert.Mit den -Non-jurors- um Sancroft wird die -passive obedience- 1689erneut zum Problem; vgl. A. Seiler, The History of Passive Obediencesince the Reformation, Amsterdam 1689. (Für freundliche Auskünftedankt der Herausgeber Wemer Conze und Eike Wolgast.)

21.1,23 Vgl. E 8.1,1.1.

214,16 Vgl. S. II3ff. dieser Ausgabe.

.115,11 Matth. 5)39; Luk. 6)29.

217,16 Vgl. Enz. H § 295.

217,24 Vgl. Enz. H § 3'5.

119,2 Apostelgeschichte 5,29·

222,27 Joh. 18,36.

223,20 Matth. 6,33; Luk. 12,31.

.123,.11 I. Korintherbrief 13,1.

1.14,14 »Eigenturn in der toten Hand«: Eigentum der Kirche, dasnicht in den Prozeß den Eigentumswechsels in der bürgerlichenGesellschaft einbezogen ist; vgl. Griesheim-Nachschrift (Ilt. 4, 449und 666).

.1.19,)2 Am 30. April 1817 erschien in London und Brüssel ein»Manuscrit venu de Sainte-Helene d'une maniere inconnue«, das dann

325

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E 1821 auch in Paris bei Boudouin Fils (am 14. Juli) erschien. In der Pa­riserAusgabe findet sich aufSeite I rof. folgende Passage:»Si j'avais eheplus patient j'aurais suivi cette marche. Mais je crus que le resultat etantle rneme, les Espagnols accepteraient apriori un changement de dy­nastie que la position des affaires rendait inevitable.« (Eine deutscheÜbersetzung erschien in Göppingen 1822.) Als Quelle für Hegels Zitatkommt, wegen der Zeit, zu der erdie Vorlesung hielt, nur dieBrüsselerAusgabe in Frage. In Brüssel hatte Hege! Schüler und Freunde. DerGedanke des Manuscrit ist nicht genau der von Hege! zitierte. Aber es istleicht möglich, daß Hegel den Zusammenhang in dem von ihm vor­getragenen Sinn verschoben erinnerte. - Das Manuscrit stammt nichtvon Napoleon selbst, sondern von einem mit seinen Gedanken wohl­vertrauten Verfasser, dessen Identität noch immer ungeklärt ist. (Für diefreundliche Bemühung um die Aufklärung dieses besonders schwernachzuweisenden Zitates dankt der Herausgeber Jacques d'Hondt.)

230,1 Vgl. Rph. Wannenmann § 146, S. )22.

230,25 Vgl. Enz. H § 212.

230,30 Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik, J. Buch, 2. Abschn., 2.Kap., C, Übergang des Chemismus (Werke 12, I52f.).

2.31,2.2 Anspielung auf Plato, Timaios, 29 e.

232,22 Vgl. S. 250f. dieser Ausgabe.

2.34,12. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien derWissenschaftslehre, 3. Hauptst., § 16. (GA I, J, S. 440-460); - ders.,(Rez.) Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf von Imma­nuel Kant (GA I, J, S. 225f.).

2)4,16 Spinoza, Tractatus Theologico-Politicus, Cap. XVII (Spi­noza opera, hrsg. i. A. der Heidelberger Akad. d. Wiss. v. C. Gebhard,Heidelberg o. J., Bd. 3, S. 217).

2.34,18 Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wis­senschaftlehre, 3. Hauptst., § 16. »Welches für einen bestimmten Staatdie bessere Regierungsverfassung sei, ist keine Frage der Rechtslehre,sondern der Pclink.« (GA I, 3, S. 44z).

J26

234,22 A.a.O., S. 449. E

235,14 Esprit III, 3.

235,15 Esprit III, 6.

235,3'A.a.O.

236,9 Esprit III, 4; V, 8.

2.37,2 Vgl. Rph. Wannenmann § 136, S. 283.

237,15 Vgl. E 86,28.

239,7 Vgl. S. 275-80 dieser Ausgabe.

2.4°,18 Vgl. E 59,8.

2.4°,3° Vgl. Enz. H § z rof.

2.4 1,16 Vgl. Enz. H § 276.

2.42,21 Herodot, Historien, I~, 6If.

246,9 Vgl. Rph. Wannenmann § 86, S. 146.

247,10 »Mandatar«: Jemand, der im Auftrag (kraft Vollmacht) einesanderen handelt; Mandatsträger.

2.48,33 Priedrich d. Gr., Memoires pour servir a l'hisroire de lamaison de Brandebourg (1751) (CEuvres de Frederic le Grand, hrsg. v.J. D. E. Preuss, Berlin I846f., Bd. I, S. 123; vgl. Bd. 8, S. 65; Bd. 9, S.197; Bd. 24, S. 109; Bd. 27, S. 297). Vgl. auch Griesheim-Nachschrift(Ilt. 4, 661).

2.50,2.1 Esprit 111, 3.

25',2 Vgl. Rph. Wannenmann § 137, S. 182.

25',3 Vgl. Rph. Wannenmann § II6, S. 219.

327

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E 252,19 Shakespeare, King Lear, Act I, Scene IV, 29f. » ..• you havethat in your countenance which I would fain call master.«

255,14 »Machiavell«: Zeitgenössische Schreibweise für -Machiavellic

255,19 Machiavelli, Il Principe, Cap. 26, Esorrazione a pigliare laItalia e liberarla dalle mani dei barberi (Machiavelli, Opere, ed. S.Bertelli, Milano I960ff., Bd. I, S. 101-105).

258,2 Die Stelle reflektiert Hegels Stellungnahme zur Entlassungvon de Wette. Vgl. die Einleitung von K.-H. Ilting in Ilt. I, besonders44- 64.

259,23 Vgl. S. 232-34 dieser Ausgabe.

260,2 »Konkurrenz«: Im alten Sinne von -Mirwirkung-,

260,21 Vgl. E 260,2.

262,15 Vgl. E 260,2.

264,10 »bedingen-: Eine Arbeit gegen Bezahlung in Auftrag geben.

266,31 Vgl. S. '42-46 dieser Ausgabe.

271,22 Vgl. E 247,10.

272,20 Den ersten wörtlichen Beleg des Spruches bietet Petrus Ble­sensis (1130- rzoo), ep. 15 (Patrologiae cursus completus, series latina,accurante J.-P. Migne, Paris I878ff., Bd. 207, S. 54C).

275>25 Vgl. Enz. H § 277 und Enz. B § 354.

278,31 »Traktate«: Verträge.

279,1 Vgl. E 182,21.

279,3 Kant, Zum ewigen Frieden, 2. Definitivartikel (Akad. Ausg. 8,354-357)·

279,9 Vgl. S. 238f. dieser Ausgabe.

279,12 Vgl. E 260,2.

279,2I Vgl. E 86,28.

279,26 Vgl. E 86,28.

280,11 Anspielung auf die Schlußzeile der vorletzten Strophe vonSchillers Gedicht »Resignation«: »Die Weltgeschichte ist das Weltge­richt«. (Schillers Werke, Nationalausgabe, hrsg. v. J. Petersen undF. Beißner, Weimar I943ff., Bd. I, S. 168.) Vgl. Rph. Wannenmann§ ,.64, S. 225.

283,32 Schelling, System des transzendentalen Idealismus, 4- Haupt­abschn., III, C (Schellings sämtliche Werke, hrsg. von K.F.A. Schel­ling, Stuttgarr und Augsburg I856ff., I, 3, S. 60) f.); - ders., Vorlesun­gen über die Methode des akademischen Studiums, 8. Vorlesung(a.a.O. 1,5, S. 290).

284,2 Vgl. Enz. H § 320.

285,12 Kyros II., der Begründer des persischen Weltreiches, fiel 529auf einem Feldzug.

285,28 Bei Elie Faure, Napoleon, Paris 1929, S. 197 findet sichfolgende Äußerung Napoleons: »Personne que moi n'est cause de machute. J'ai ete mon principal ennerni, I'artisan de mes malheurs. J'aivoulu trop embarrasser.« Die Quelle von Faurehat nicht nachgewiesenwerden können, so daß also offen bleiben muß, woher Hegel seineKenntnis bezog. Hegel hat schon 1814 Napoleons Sturz so diagnosti-

329

E

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E ziert (Brief an Niethammer vom 20. April 1814), und er konnte sichdabei sogar auf seine eigene Prognose in der »Phänomenologie desGeistes« (Werke 9, 323) beziehen. (Für freundliche Auskünfte danktder Herausgeber wiederum Jacques d'Hondt.)

287,31 Statius, Achilles, I, 269.

288,1 Vg!. HegeI, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie,2. Band, I. Abschn., 3. Kap., B, Philosophie des Aristoteles (jubil.Ausg. 8, 301-303).

288,9 »Eumolpiden«: Atheniensisches Adelsgeschlecht, das bei deneleusinischen Mysterien die Priesterfunktionen ausübte. .

288,20 »Naturpenaten«: Mit dem unüblichen Ausdruck ist ange­zeigt, daß das Familienprinzip der Patrizier, repräsentiert durch diePenaten, ein Element von Natürlichkeit einschließt, das dem Prinzipder freien Persönlichkeit entgegengesetzt ist.

288,28 »Matronen«: Freigeborene, verheiratete Römerinnen. Vgl.Rph. § 180 und Griesheim-Nachschrift (Ilt, 4, 453)'

288,29 »vestalische Jungfrauen«: Priesterinnen der Vesta, für die dasKeuschheitsgebot galt.

288,30 Vg!. E 86,28.

289,3 »Pantheon«: Ursprünglich ein Heiligtum, das nicht einemeinzelnen Gott, sondern allen Göttern geweiht ist. Hegel verwendet,P.< schon in der übertragenen Bedeutung, in der es die von einem Volkverehrten Götter in ihrer Gesamtheit meint.

33°

KOMMENTARE

46,1 Es sind zunächst die Gründe anzugeben, welche zur Wahl desTitels »Philosophie des Rechts« für diesen Band geführt haben. Hegelhatte seine Vorlesung mit einem von ihm oft gebrauchten Titelangekündigt, der zwei Hälften hat, von denen wiederum die erste selbstein Doppeltitel ist: »Narurrecht und Staatswissenschaft oder Philoso­phie des Rechts«; »Ius naturae et civiratis, i. e. philosophia iuris« (vgl.Berliner Schriften, ed. Hoffmeister, S. 743; Briefe IV, I, ed. F. Nicolin,S. 114). Der eigene Titel der hier publizierten Nachschrift »Rechrsphi­losophie und Politik« muß als eine Kontamination aus den beidenTitelhälften angesehen werden: Der Hörer Hegels hat »Naturrecht« inder ersten Titelhälfte durch »Rechtsphilosophie« ersetzt, »Polirik«aber als Äquivalent zu »Staatswissenschaft« beibehalten. Damit wollteer wohl unterstreichen, was in der Tat für Hegel charakteristisch ist,daß nämlich die Inhalte der staatswissenschaftliehen oder politischenDisziplin in den Bereich des von der Philosophie zu Behandelndenaufgenommen sind. Aber für Hegel selbst bezeichnete der im Sinneseiner Theorie zu verstehende Titel -Rechtsphilosophie- eben dieEinheit von Naturrecht und Staatswissenschaft. Auch im gedrucktenBuch sind beide Titel zu finden, und »Grundlinien der Philosophie desRechts« ist »Narurrecht und Staatswissenschaft im Grundriß« gegen­übergestellt (Rph. S. I und 2). Die Ausdrücke .Grundriß. und -Crund­linien- erklären sich als Hinweise auf den Status des Buches, derweiteren Ausführung, zumal in Vorlesungen, zu bedürfen. Hegel hat»Narurrecht und Staarswissenschaft« sicherlich auch deshalb angekün­digt, weil so das, was er wirklich zu behandeln gedachte, den Studentendeutlich (und womöglich interessant) werden konnte. Im gedrucktenBuch hat er diesen Titel weitergeführt, da es als Grundlage für künftigeVorlesungen gemeint war, die ebenfalls unter diesem Titel angezeigtwerden sollten. Aber in der Beschäftigung mit Hegel, für die einsolches Motiv wegfällt, hat sich die Rede von Hegels .Rechrsphiloso­phie- eingebürgert. Und da die hier publizierte Vorlesung auf dieentwickelten Gedanken Hegels, nicht nur auf deren .Grundriß< oder-Grundlinien- zuriickgeht, ist für sie die Verwendung des Titels»Philosophie des Rechts« geboten.

331

K

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K 48,5 »Nur haben sie den Spiegel der Wirklichkeit nicht rechr gehal­ten«: Je nachdem, ob man .der- als Genetiv oder Dativ liest, ergibtsichin diesemdunklenSatzein anderer Sinn. Ist -der, Dativ, so heißt es, daßgewisse Theoretiker der Wirklichkeit den Spiegel ihrer Theorie soschlecht vorhalten, daß sie sich selbst in ihm nicht erkennen kann. Ist.der- Genetiv, so habensich die Theoretikerden SpiegelderVernunft,welcher die in sich vernünftige Wirklichkeit selbst ist, nicht richtigvorgehalten, nämlich nicht der vernünftigen Betrachtung gemäß; vgl.282,19ff. dieser Ausgabe.

50,II »das Tun der Philosophie mit mikroskopischem Untersuchenverglichen«: Die Philosophie wird nicht mit jenem Mikroskopierenverglichen, das nur dem bloßen Auge unsichtbare Details finden will,sondernmit einerUntersuchung,die inallenEinzelheiten,der »buntenOberiläche« (Homeyer-Nachschrift, Ilt. I, 331), der »bunten Rinde«(Rph. S. 15), zum »Kern« (ebd.), zum .Einfachen-Allgemeinen- durch­dringt, was freilich nur möglich ist, »wenn man Idee mirbringr«(Homeyer-Nachschrift, a.a.Oi); vgl. 5o,zrf. dieser Ausgabe.

50,14 (Orig.) »willk.«: Die Konjektur -wirkliche- kann nicht alszwingend, sondern nur als überwiegend plausibel gelten. Daß hier ­ausnahmsweise - in der Abschrift eine Abkürzung auftritt, erlaubtübrigens den Schluß, daß dieselbe Abkürzung in ihrer Vorlage gestan­den hat.

50,20 (Orig.) »Unlusr«: Es könnte die wahre Verfassung der Wirk­lichkeit als Ganzer, jenseits aller subjektiver Interessen (50,r8) gemeintsein (Unlust = Lust-losigkeit = Freiheit von Lust). Der Terminus istaber bei Hegel ganz ungewöhnlich, und es ist ein Hör- oder Lesefehleranzunehmen. Eine Konjektur, die zwingend erscheint, kann nichtvorgeschlagen werden.

50,22 (Orig.) »Entheiligende«: Man kann, wie bei der vorausgehendkommentierten Stelle, den Versuch zu einer Not-Interpretationmachen: So wie im Besonderen die Lust ihren On hat, so auch dieErhöhung dieses Besonderen als solchem zum Wesentlichen: dasHeiligende. Das wahrhaft Allgemeine aber, sofern es Begriff ist, nimmtdem Besonderen sowohl seinen Charakter, in Lust gegründet, wie auchdie Qualität, als solches absolur und geheiligt zu sein. Mit ganzüberwiegender Wahrscheinlichkeit handelt es sich aber um einen

332

Verständnisfehler von Hegels Hörer oder um einen Lesefehler des K

Abschreibers. Wie in 50,20 ist auch hier keine einigermaßen sichereKonjektur vorzuschlagen.

50,24 (Orig.) "daß in der wirklichen Welt uns gelren kann.e: Es muß-nur- heißen. Man sieht, daß der Abschreiber hier eine schriftlicheVorlage gehabt haben muß, in deren Schriftbild -nur- und sunscleicht zuverwechseln sind, - anders als im Lautbild.

51,8 (Orig.) »gesteigerte Religion«: Man kann annehmen, daß in derVorlage eine Abkürzung wie etwa -geistg., gestanden hat, die zu dersonst kaum verständlichen Formulierung führte.

52,4-12 Die Passage gehört zu den dunkelsten der Nachschrift; schonder Schreiber der ursprünglichen Notizen kann Hegels Gedanken, dervermutlich am Schluß der ersten Vorlesungsstunde dargelegt wurde,nicht verstanden haben. Offenbar hat er ihn auch nicht nur gerafftnotiert, sondern sogar in der Notiz gedankliche Lücken entstehenlassen. Nur die Zielrichtung dieses Gedankens wird noch in etwadeutlich: Zum Wesen der Philosophie und zu den Bedingungen ihresAuftretens gehört wohl eine Trennung von der Welt (vgl. 51,15ff.).Aber sie ist nur ein Zeichen für einen Bruch, der in der Welt als solchergeschah, - nicht seine Ursache. Es ist der Geist selbst, der dieWirklichkeir verläßt, nicht nur die Philosophie. Die Philosophiebestand gar nicht, war also auch nicht in Übereinstimmung mit derWelt, bevor der Bruch geschah. Wäre der Bruch in der Welt dasResultat eines Abschieds der Philosophie von ihr, so könnte diePhilosophie auch gar nicht als das verstanden werden, was sie wirklichist. Sie ist nicht Opposition gegen die Welt, sondern auf das Ziel derVersöhnung hin orientiert: Sie soll die Trennung zwischen Bewußtseinund Weltzustand aufheben. Und darauf wirkt sie auch dort hin, wo sieaus einem Bruch die Konsequenz zieht und einem neuen Prinzipnachdenkt, das aus dem Bruch in der welt selbst hervorgeht.

53,13 (Orig.) »was dort im Zustande und Verhältnisse uns als ver­nünftig gilt«: die Verschreibung von -nur- zu -uns- kommt im Manu­skript mehrmals vor (vgl. K 50,Z4). Daß sie auch hier anzunehmen ist,ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang: Recht, das sich nur ausZuständen und Verhältnissen versteht, befriedigt nicht den Geist, deres als Wesen zu begreifen hat.

333

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K 54,21 Die Ergänzung rechtfertigt sich durch Rph. § r04.

55,1 (Orig.) »ihre Mehrheit ist ein drittes«: Die Ähnlichkeit desSchriftbildes von >Wahrheit, und .Mehrhei« erklärt diesen Abschreib­fehler.

56,18 (Orig.) »taktische«: Die Änderung rechtfertigt sich aus Rph.

§ 34°·

56,19 Die Änderung rechtfertigt sich aus 280,II dieser Ausgabe undaus Rph. § 340: Start -Volks.gericht muß es >Welt'gericht heißen; vgl. Ez80,n.

57,8 »Weltseele, reiner Äther«: Hegel charakterisiert den Geist inseiner Unmittelbarkeit nicht mit Hilfe von Beispielen aus seinerNaturphilosophie, sondern mit Begriffen aus der frühen Geschichteder Naturphilosophie, die auch Begriffe der Identitätsphilosophie derjeanaer Zeit waren; vgl. E 57,7; 57,8(1)-(2). Damit ist implizit gesagt,daß, was einst zur Bestimmung des Wesens der Natur gehörte, inWahrheit dem Geist in seiner Unmittelbarkeit entspricht.

57,2.8(1) Der einzige mit der Grammatik des Satzes vereinbare Sinnist der folgende: Das Denken hat jene höchste Srufe vollbracht, wenn,was ich denke, ganz das Meinige ist.

57,28(2) (Orig.) »denke ich der Welt«: Diese Rede ist in zeitgenössi­scher Sprache möglich, aber nicht Hegelisch.

57,29 (Orig.) »moralische«: Die Änderung ist aus Enz. H § 368begründet.

58,21 »(Satz.)«: Es hat elmge Wahrscheinlichkeit, daß Hegel andieser Stelle eine Bemerkung über die Implikationen des Satzes vomWiderspruch machte, die der Mitschreibende nicht näher festhaltenwollte oder konnte. 60,12 findet sich ein ähnlicher Zusatz: >(Logik.)<,allerdings nicht wie im Falle von >(Satz.)< in einer eigenen Zeile.Klammern, die Verweisungen anzeigen, kommen noch mehrfach imText vor, zum Beispiel 113,3.

60,4 Es ist sehr wahrscheinlich, daß statt des Fragezeichens eine >2.<zu stehen hat, die der >!.< auf 58,25 entspricht. Sehr leicht konnte der

334

Abschreiber eine >2< als ein Fragezeichen lesen. Doch ist auch möglich, Kdaß der ursprüngliche Schreiber die an dieser Stelle angemessene Ziffernicht mehr in Erinnerung hatte und deshalb das Fragezeichen (sozusa­gen als Platzhalter) setzte. Aber auch dann ist die >2.< dem Textverlaufangemessen.

60,2.7 »Der exemplarische Wille«: Das Wort ist bei Hegel nichtterminologisch festgelegt und möglicherweise ein Abschreibfehler, zudem aber kein Erklärungsvorschlag gemacht wird.

6I,r6 (Orig.) »daß und ob wir fest stehen«: Die Änderung ist durchRph. § 4, Anmerkung begründet.

61,27 (Orig.) »fesre Wille«: Diese Wendung ergibt sich aus derfalschen Auflösung eines Kürzels; vgl. Rph. §§ ro und 21, sowie 64,30und 81,15 dieser Ausgabe.

62,3 Die Passage »will. Der Geist ist das System dessen was« istzwischen zwei Zeilen der Handschrift eingefügt. Offenbar war derAbschreiber, wie es oft geschieht, von dem -will- am Anfang dieserPassage abgekommen und auf das zweite -will- übergegangen, das denSatz der zitierten Passage vollendet: -ist das System dessen, was erwilleMan kann erwägen, ob man daraus schließen soll, daß in der Vorlagedes Abschreibers die beiden .will. übereinander gestanden haben. Sowürde das Überspringen auf die nächste Zeile am leichtesten verständ­lich. Daraus würde dann folgen, daß eine Zeile in der Vorlage nur umweniges länger als eine Zeile in der Abschrift gewesen sein kann. Unddas würde dann weiter bedeuten, daß in der Vorlage die Anzahl derKürzel nicht sehr groß gewesen sein kann. Dem steht aber entgegen,daß der Text Indizien für einen häufigen Gebrauch von Kürzelnenthält, - entsprechend dem Befund der erhaltenen Mitschriften ausHegel-Vorlesungen. Am Anfang der Zeile, die der eingeschobenenfolgt, steht -er will-. Der Abschreiber hatte zunächst korrekt -er­geschrieben, dies -er- aber in -es- korrigiert, - entweder als er dieSinnlosigkeit des Satzes bemerkte, der zufällig durch die Auslassungentstand, oder in der irrigen Meinung, nach dem Entdecken derAuslassung sei eine Anpassung an den schon niedergeschriebenenZeilenanfang nötig. Jedenfalls muß die Verbesserung des Abschreiberszurückgenommen werden, was im hier publizierten Text geschehen ist.

335

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K 62,9 (Orig.) »Reizungen«: Die Änderung rechtfertigt sich aus Rph.§ II; vgl. 68,22 dieser Ausgabe.

64,1 »in sichgliederndes System«: Die Wendung ist nicht Hegelisch,macht aberguten Sinn, weil Hegels -Geist- als ein dynamischesSystemdargestellt werden kann, das sich selbst gliedert, - also differenziert

und entwickelt.

64,30 (Orig.) -feste Wille«: Vgl. K 6,,27·

67,J Hier tritt zum ersten Mal am Rand eine Paragraphenzahl auf. Zuden Problemen dieser Angaben und den Schlüssen, die sich aus ihnen

ziehen lassen, vgl. Sonderkommentar 1.

67,12 (Orig.) »eine Bekräftigung»: Die Version des Originals machtkeinen Sinn. Im Zusammenhang ist die gewählte Konjektur gerechtfer­tigt, und sie greift am wenigsten in den Textbestand ein. Weitergehendwäre die Ersetzung von .Bekräftigung- durch .Schwachung-.

67,21 Dies ist die ersteStelle, zu der aufgrunddersehr viel geringerenSchriftgröße des Einschubs mit Sicherheit gesagt werden kann, daß derAbschreiber zunächst einen Raum offengelassen hat, in den er späterdie Wendung -absolute Negativität< eingetragen hat. 98,14 und 98,16

sind die einzigen weiteren Stellen, von denen mit derselben Sicherheitzu sagen ist, daß auch an ihnen eine nachträgliche Ausfüllung vorliegt.(Im Falle von 98,14 und 98,16ist sie jedoch wahrscheinlich von andererHand als der des Abschreibers erfolgt.) 63,20 enthält wahrscheinlichebenfalls eine solche nachträgliche Ausfüllung. Sie wird, abgesehen vonder gedrängteren Schrift, auch dadurch wahrscheinlich gemacht, daßsie wie 67,21 den Terminus .Negativitä« enthält, der dem Abschreiberwohl nicht vertraut war. Daß der Raum für die nachträglichen Eintra­gungen zu knapp bemessen ist, versteht sich wahrscheinlich daraus,daß die Vorlage an dieser Stelle Kürzel enthielt.Zu den beiden Eintragungen von 98,14 und 98,16 sei zunächst nochdies bemerkt: Das Wort >Wissenschaft< (98,14) ist auf einen etwas zuknapp bemessenen Raum in der Zeile eingefügt, das Wort )Denk~n<(98,16) am Schluß der Zeile in einem ausreichend großen Raum. BeideWorte sind mit einer anderen (hellbräunlichen) Tinte oder mit eineranders verdünnten Tinte, also sicher nicht gleichzeitig geschrieben.Das Schriftbild von ,Wissenschaft< auf 98,14 weicht sehr deutlich von

de.m des Abschreibers ab. Das Schriftbild von -Denken- auf 98,16 Kkonnte nicht mrt SIcherheit auf einen anderen Schreiber schließen~~ssen? aber ~s stimmt mit dem von >Wissenschaft< in 98,14 besserüberein als mit dem des Abschreibers. Dieser Abschreiber hat noch das-in-vor -Denken-geschrieben, woraus sich das Recht der Korrektur zu-im. ergibt.

Nach den Ei.ntragu~gen von wahrscheinlich fremder Hand auf 98,14und 98,16 findet SIch noch auf 165,20 ein offener Raum der imOrigin~l für ~ine Einsetzung vorgesehen war, die dann nich: erfolgte(un.d die somit vom !'!erausgeber dur~h eine Konjektur zu füllen war).Es 1St denkbar, daß rm Text noch wertere nachträgliche Eintragungenerfolgten, die sich nicht mehr gut ausmachen lassen und zwar an denZeilenen.de~, w~ oft hinreichend Raum zur Verfü~ng stand, so daßdas Schriftbild nicht verkleinert werden mußte. Aber nach 165,20 gibtes nur noch eine Passage, von der vermutet werden kann, daß sienachtr~gliche Ei~tragungen enthält, nämlich auf Seite 255 die Wörter,Mach~avell< (ZeIle 14), -Maximen. (Zeile 16) und -Machiavell- (Zeile28). Die Anhaltspunkte dafür sind aber sehr unverläßlich. Man wird imübrigen annehmen, daß der Abschreiber im Laufe seiner Arbeit den fürdie Ausfüllung von Kürzeln nötigen Raum besser zu disponierenlernte, so daß Ausfüllungen, sofern es sie überhaupt gibt, nicht mehrgut erkannt werden können; vgl. auch K 177,17.Daraus, daß gesicherte spätere Eintragungen im Text nur im frühen~eil der Abschrift zu finden sind, daß dann Eintragungen von vermut­hch fremder Hand erfolgten und daß schließlich ein offener Raumunausgefüllt blieb, wird man mit Wahrscheinlichkeit die folgendeSchlußfolgerung herleiten können: Der Abschreiber konsultierte zu­nächst seinen Auftraggeber (vgl. Sonderkommentar I, S. 35 I f.). Daraufhatte.~r Erlaub~.is,wenige unausgefüllte Räume dem Auftraggeber zurAusfullung zu überlassen, der einen letzten offenen Raum schließlichig~orierte o~~r .übersah: Das würde einschließen, daß auf Seite 255k~me nachtraghchen Eintragungen vorliegen. - Als Alternative zu~leser ~utmaßung bietet sich an, daß die nachträglichen Eintragungenüberwiegend auf erfolgreiche Deutungsversuche des Abschreibersselbst zurückgehen. Diese Alternative erklärt aber nicht die Eintragungvon fremder Hand und den unausgefüllt gelassenen, aber einer Eintra­gung bedürftigen Raum auf 165,20.1s: aber die erste Alternative diejenige, die zutrifft, und steht auch dieDIfferenz der Handschrift des Abschreibers zu der Schrift, in welcherder Eintrag erfolgte, außer Frage, so haben wir einen starken Grund zu

337

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K der Vermutung, daß wir in dem Eintrag der Wörter >Wissenschaft<(98,14) und .Denken. (98,16) eine Handschriftenprobe des Auftragge­bers besitzen, - damit wohl auch des Hörers oder eines der Hörer vonHegels Kolleg, der oder die für die Abschrift die Vorlage herstellte(n).

68,22 (Orig.) »Reizungen«: Vgl. K 62,9·

69,25 (Orig.) »idealisch«: Es muß -identisch- heißen. Das ergibt sichaus der Grammatik des Satzes insofern, als -idealisch- die Bezeichnungeiner Eigenschaft ist, die zusammengehörige Bestimmungen dannhaben, wenn sie sich aus ihrem Zusammenhang nicht lösen können,aber kein Ausdruck für eine Relation. Der Text hat aber -idealischmit ...< also einen Relationsausdruck. Das -mite zeigt zudem genauden Typ von Relation an, dem auch die Identität angehört. In anderenWorten: etwas kann nicht -idealisch mit< etwas sein, muß aber .iden­tisch mit- etwas sein. - Im übrigen ergibt sich die Notwendigkeit derÄnderung aus dem Zusammenhang des Textinhalts, der das Unter­schiedensein und zugleich Identischsein mit anderen als der Personwesentlich behauptet (aus dem Konflikt zwischen beiden geht dasUnrecht hervor). Vgl. im übrigen Sonderkommentar III und 7,,28;

81,14; 92>3; 102,5; IOh7 und besonders die Kommentare zu diesenStellen.

69,28f. (Orig.) »Personrecht« und »Sacherecht«: Der Sprachge­brauch des Manuskriptes ist auch zeitgenössisch nicht möglich gewe­sen; es mußte entweder -Sachrecht- oder -Sachenrecht- und in jedemFall -Personenrechc- heißen.

70,13 »und spinnt sich in einem Gegenstand an«: Gewiß keineHegelsche Wendung und somit vermutlich Folge eines Hör- oderLesefehlers, aber notfalls mit Hegelisehen Thesen zu vereinbaren: DIePerson gewinnt Halt, Dasein in einem Gegenstand.

7,,28 (Orig.) »Idealitäte: Der Zusammenhang des Gedankens ver­langr die Veränderung in Identität (deren Möglichkeit dadurch geSI­chert ist, daß eine analoge Veränderung in 69,25 notwendig war); In

71,2rf. heißt es, daß Besitz und Eigentum seigentlieh nur Seiten einesund desselben- seien. Eine so starke Identitätsthese hinsichtlich vonEigentum und Besitz findet sich nicht in der Rph., wo § 45 der hierkommentierten Stelle entspricht und nahekommt, und auch nicht In

den anderen Vorlesungsnachschriften; vgl. Sonderkommentar BI.

72,10 Das Wort »Sache« ist unterstrichen: Hier liegt eine Unterstrei- K

chung vor, die nicht einen Akzent setzt, sondern einen Terminusmarkiert. Andere Unterstreichungen im Original sind als Hervorhe­bungen gemeint.

75,10 (Orig.) »Prüchte«: Wahrscheinlich ist ein Mitschreibefehleranzunehmen und (nach Rph. § 55) .Sachen. zu lesen. Aber es bestehtein Sinnzusammenhang zwischen .Früchten- und den 75,16 themati­schen -Erzeugnissen-.

75,15 »hören der Natur der Sache nach nicht auf> mein Eigentum zuseine: Hegel tritt der Meinung entgegen, daß das herkömmlicheStrandrecht ein unbeschränktes Recht aus »natürlicher Akzession- sei;vgl. Rph. § 55. Er will die Regelung der Inbesitznahme von Strandgutder positiven Gesetzgebung überlassen, die zwischen dem Recht desursprünglichen Besitzers und dem Recht der Anwohner des Strandesnach Verstandesgründen zu entscheiden hat. Vgl. Rph. Wannenmann§ 20, S. 24: »Mit dem Strandrecht verhält es sich so, daß das Strand­recht offenbar ein Unrecht ist.«

78,10 (Orig.) »Erwerbung«: Die Änderung rechtfertigt sich aus Rph.§ 64·

80,28 »Ein«: Entsprechend der zeitgenössischen Unterscheidung desZahlwortes .Ein- vom unbestimmten Artikel seine.

81,4 »ein Anderes»: In der Rph. § 71 heißt es -Iür ein anderes«. Aberauch die Wendung dieser Nachschrift macht Sinn: Jeder freie Einzelneist einer unter anderen, somit selbst ein Anderes, was dann auchimpliziert, daß er für sie ein Anderes ist.

81,14 (Orig.) »Die positivere Idealitat«: Der Sinn ist in seinemSatzzusammenhang deutlich; aber der Ausdruck -positivere Idealitar.ist unpräzise, und es ist schwer, zu einer vertretbaren Lesart zukommen: Der entsprechende § 73 der Rph. legt dar, daß das Daseinmeines Willens -reell. wird in der -Einheit unterschiedener Willen<.Dem entspricht die Homeyer-Nachschrift, in deren Diktat (Ilt. 1, 265)-das reelle Dasein- in der -Idenritar mit anderen freien Personen- liegt.Es hat zwar den Anschein, als ob im hier kommentierten Text.Idealitat- stehen müsse, da der vorausgehende Satz mit deren Gegen-

339

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K teil, der -Realität-, anhebt; aber hier ist das Verhältnis der beidenTerme, anders als in 91,24, nicht das einer alternativen Begriffsent­wicklung. Obgleich also >positivere Identität< selbst noch ein unange­messener Ausdruck ist, gibt er doch einigermaßen das Gemeintewieder, das etwa so formuliert werden kann: Im Vertrag, der Einheitvon Willen, ist die Identität des Willens mit seinem Dasein dieangemessenere; vgl. K 92,3 und Sonderkommentar IH.

81,15 (Orig.) »[ester Wille«: Vgl. K 61"7·

8',13 (Orig.) "dieser ist das gerade jenes Substantielle«.: Es gibt hierzwei Konjekturmöglichkeiten : a) Streichen des .das-, b) Einfügung von>Gegenteil< hinter .gerade-, so daß sich dann -das gerade GegenteIl JenesSubstantiellen- ergibt. In jedem Fall erwähnt Hegel den Staat Rous­seaus im Gegensatz zu dem Gedanken vom eigentlichen Staat.- Da dieEinfügung von >Gegenteil< die im äußerlic~en Sinne weit~~gehendeVeränderung ist, wurde die erste MöglichkeIt im Text realIsIert.

84,.8 (Orig.) »verlangt«: Die Änderung ist durch die Homeyer­

Nachschrift (Ilt. I, '7', 5f.) begründet.

85,II-I3 Der undeutliche Text ist nach Rph. § 91 zu verstehen.

88,3 (Orig.) »substituiert«: Die Änderung rechtfertigt sich aus Rpb.

§ 100.

90,9 (Orig.) »forteilende«: Die Änderung folgt aus Rph. § 102.

91,24 »Idealität«: Daß der Abschreiber jedenfalls und vermutlichauch seine Vorlage so sagen wollten, ergibt sich in diesem Fall un.danders als bei 8I,I4ff. aus dem Gegensatz zur vorausgehenden -Reali­tatc Der Sache nach könnte allerdings .Idealitat- der Moralität zugeord­net werden und entsprechend ebenso -Realitat-umgekehrt wie im Text.Vgl. aber Rph. § 106, wo die Moralität die »reale Seite« des Begriffs derFreiheit ist; und vgl. allgemein K 81,14 und Sonderkommentar IH.

92 ,2 Der Text ist hier korrupt. Gemeint ist, daß das Recht~ von seinerTat zu wissen, nicht impliziert, daß deren Gehalt Pflicht rst.

92,3 (Orig.) »Idealität«: Die Änderung rechtfertigt sich aus § 109undbesonders § 110 der Rph.; vgl. Sonderkommentar IIl.

9',7 (Orig.) »d. Wahl«: Die Änderung (ebenso 9.,12) ergibt sich aus KRph. § "4.

98,14 Vgl. K 67,'1.

100,3 Das Semikolon steht im Original; der Nachsatz interpretiertalso den vorhergehenden Nebensatz als Ganzen.

10',5 (Orig.) »Idealirat«: Die Änderung rechtfertigt sich aus derGrammatik des Satzes (vgl. K 69,'5) und aus Rph. § IHf. inVerbindung mit der Griesheim-Nachschrift (Ilr. 4, 349); vgl. Sonder­kommentar IH.

103,15 »Es ist also das allerbeste Denken ...« ; -Das allerbeste- mußi~onisch gemeint sein oder wäre in .das allerschlechteste- zu korri­gieren.

'04,8 Vermutlich sagte Hegel: »Des auf dem moralischen Stand­punkte diese Pflichten zu entwickeln wären.«

105,7 (Orig.) »Satz der Idealitat«: Einen solchen Satz gibt es weder in~er Logik noch auch in Hegels spekulativer Theoriesprache. DieAnderung ist also zwingend erforderlich. Daß -Identitat- zu setzen ist,e:gibt sich im übrigen daraus, daß der Text eindeutig Kants Moralprin­ZIp derselben Leerheit bezichtigt, die auch der -leeren Versrandesform­des Satzes der Identität eignet.

Il9,9 »enthalt den Ausspruche: Obgleich man meinen kann, daß dieKorrektur .Anspruch. geboten ist, läßt sich die Wendung des Manu­skriptes dann vertreten, wenn -Ausspruch. soviel wie -Satz- heißen soll.

122,19 »Das Gute hat jetzt die unendliche Form ...«: Der Satz istschwer verständlich und vom Schreiber nicht verstanden. Es wird derUnterschied gemacht zwischen der unendlichen Form, die den Unter­schied in sich enthält, und der reinen Form in diesem Ganzen, welchedem Unterschied gegenübersteht.

124,13 (Orig.)>>Wissens«: Die Änderung erfolgt aufgrund von Rph.

§ '43·

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K 128,13 Das Manuskript beginnt den Unterabschnitt-Die Familie- miteiner Aufzählung von drei Momenten, der Familie, der bürgerlichenGesellschaft und des Staates. Die Titelformulierung >I. Die Familie­tritt im Zusammenhang dieser Aufzählung auf, und dennoch wird,ganz richtig, das >1. Die Familie- als Abschnittsüberschrift vomAbschreiber in die Mitte der Textkolonne gesetzt. Darin könnte einHinweis darauf gesehen werden, daß dem Abschreiber schon eineausgearbeitete Version einer Vorlesungsnachschrift vorlag, - nicht nurein in der Vorlesung selbst geschriebener Text. Allerdings kann der inder Vorlesung selbst geschriebene Text auch nachträglich, etwa amRande, mit Kapitelüberschriften oder mit hinreichend eindeutigenSchreibanweisungen versehen worden sein.

129,10 »d. h.«: Die Laren und Penaten sind Götter eines Stammes(vgl. auch 146>33), insofern sie Götter einer Familie über die Folge derGenerationen hinweg sind, - also nicht einer Familie in dem Sinn, indem Hegel die Familie im Gang der Rechtsphilosophie zum Themamacht (vgl. Rph. §§ 178, 180). Diese Familie geht in die bürgerlicheGesellschaft über und ist insofern der bürgerlichen Kleinfamilie ver­wandt, die sich auf das Verhältnis von Eltern und Kindern beschränkt.Allerdings ist auch schon in der Theorie der Familie als solcherbegründet, daß mit Familie ein besonderes festes Eigentum über dieGenerationen verbunden sein kann, das dann in der Ständelehre in derForm des Bodenbesitzes eine noch weitergehende Bedeutung erhält,­und zwar sowohl für die bürgerliche Gesellschafr (Rph. § 203) wie fürdie innere Organisation des Staates (Rph. §§ 305H.).

131,9 »gewußtes und gewolltes, wesentliches Verhältnis«: DasKomma kann als korrekt gelten: Das Verhältnis ist gewußt und gewolltund als solches wesentlich.

132,32 »heruntergesetzt«: Hat hier den Sinn von: als bloßes (Natur-)Moment der ganzen Sittlichkeit -subordiniert.: vgl. Rph. § 163.

134,25 An dieser Stelle erscheint zum ersten Mal an der rechten Seitedes Textes eine Anstreichung und Notiz von einer anderen Hand alsder des Abschreibers, und zwar ein )N.B.< Die Tinte dieser undfolgender Anstreichungen, Unterstreichungen und Randbemerkungenist sicher eine andere als die des Manuskriptes, fast schwarz und nurnoch eben als tiefbraun zu bezeichnen; die Schriftzüge gehören einer

späteren Schriftform an, wahrscheinlich einer um die und nach der K

Jahrhundertmitte gebräuchlichen. Außer den Unterstreichungen, diesich vor allem im Abschnitt über den Staat gelegentlich häufen, findensich noch ein weiteres >N.B.< (Originalseite 409 oben), sowie -Legiri­mitat- am Rande von Originalseite 484 unten, -Gönliche Authorität<am Rande von Originalseite 491 Mitte, -Peter 1.< am Rande vonOriginalseite 495 Mitte und -Owehl. am Rande von Originalseite 497unten. Alle Unterstreichungen und Bemerkungen, die mit Sicherheitnicht zum ursprünglichen Text gehören, sind in dieser Ausgabestillschweigend weggelassen worden. Kennzeichen der nachträglichenUnterstreichungen, die sie von den Unterstreichungen im Zuge derNiederschrift des Originals unterscheiden, sind, abgesehen von derTinte, die auch auf den Fotos klar erkennbaren folgenden Eigentüm­lichkeiten: ihre Dicke; ihre unregelmäßige Führung aus ungeübterHand, nicht Schreiberhand; daß der Strich fast regelmäßig durch dieUnterlängen von Buchstaben des Originals geht, was vom Schreiberdes Manuskripts zumeist vermieden wurde. - Weggelassen wurden imübrigen auch einige dünne Bleistiftan- und Unterstreichungen, zumTeil am inneren Seitenrand, die wahrscheinlich von einem anderenspäteren Gebrauch des Manuskriptes als dem stammen, der zu denAnstreichungen, Unterstreichungen und Bemerkungen in Tintegeführt hat.

1)5,32 »sich für Zwecke«: Das ausradierte Wort zwischen >für< und-Zwecke- ist noch als -eine- zu entziffern. Es kann eine Verschreibungvon -seine- gewesen sein, die entfernt wurde, weil der Satz auch ohne-seine-, aber nicht mit -eine- seinen klaren Sinn hat.

142,17 »und die Bedürlnisse anderer«: Der Sinn ergibt sich aus 161,3­10.

148,8 Im Original heißt es eindeutig »Darstellung«: In -Vorsrellung,geändert nach 167,20.

160,32 »Es macht sich ...«: Dies hat den Sinn von -es ergibt siehe

163,26 »die sich selbst machen«: vgl. Rph. § 202: "Die Ständebestimmen sich nach dem Begriffe . . .«.

166,29 »das dritte Geschäft«: Es wird jetzt der dritte Stand als solchereingeführt, während zuvor die Unterscheidung des zweiten Standes,

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K des Standes des Gewerbes, in seine drei .Geschafte- dargelegt wurde;vgl. Rph. § 204 f.

169,15 »Dieses Wissen vom Gelten ...«: Das Recht hat, wie derNachschreiber versteht, zusätzlich dadurch Geltung und Macht, daß esals ein Geltendes gewußt wird. Vgl. Rph. § 209: »und vermittelt durchdies Gewußt- und Gewolltsein Gelten und objektive Wirklichkeit zuhaben.«

175,22 Als gleichwertige Alternative zur gewählten Textform kannfolgende Wendung gelten: 'nicht ohne die Taxe zu bezahlen-.

'77,5 (Orig.) »Andeurung«: Die Änderung rechtfertigt sich durchdie Griesheim-Nachschrift (Ilt. 4, 549)'

196,15 Dieser schwer verständliche Satz gibt eine Voraussetzung für Kdie im folgenden Satz behauptete Korrespondenz zwischen der Pöbel­haftigkeit in Armut und Reichtum an: Gerät die vereinigte Substanz inAuflösung, so ergibt sich auf seiten eines jeden der zuvor Vereinigtendieselbe Enrwicklung.

196,16 Der relativ weitgehende Eingriff in den Text versteht sichdaraus, daß die zweite Satzhälfte mit ihrem -aufder andern Seite- in derersten Hälfte -auf der einen Seite- zwingend verlangt, woraus sich dieanderen Änderungen ergeben.

'97,'5 (Orig.) »der Überfluß von Arbeit-e Die Änderung wird auchdurch Rph. § 245 bestätigt.

201,1 »Bemerkung«: Im Sinne von -Beobachrung..

21s,,27 (Orig.) »was sich dahin bezieht«: Es ist in diesem Satz voneinem Handeln die Rede, das unter den Geboten zustande kommt.Insofern ist die originale Wendung mit -dahin- nicht ohne Sinn; siebesagt soviel wie: >Was sich aus diesen Geboten versteht und orien­tiertc Dennoch wurde um der Beseitigung der Befremdlichkeit derFormulierung willen die sinnäquivalente Formel -was sich daraufbezieht- gewählt.

205,3 »Was der Gegenstand ist«: Der Text wurde nicht verändert, daer wenigstens möglicherweise den folgenden Sinn haben kann: ,Was inder bürgerlichen Gesellschaft der Gegenstand der Ehre ist ...<

210,12 Mit der Unterstreichung von -Existenz- beginnt hier dieHauptperiode der Unterstreichungen von fremder Hand mit fastschwarzer Tinte; vgl. K '34,25.»kleines«: Unsichere Leseart, vermutlich mit -Verbrechen- zu

180,13 »den weitläufigen Prozeßgang zu verfolgen«: Im Sinne von-sich auf den weitläufigen Prozeßgang einzulassen-,

'77,27ergänzen.

184,15 »darin berechnet«: D~es meint soviel wie -damit Rechnunggetragene

177,16 »der Chor«: Das Wort könnte vom Abschreiber zunächstnicht entziffert gewesen sein, was erklären würde, daß in diesem Satzdrei Änderungen notwendig sind. Das WOrt -Chor- scheint etwasspäter eingefügt zu sein, kaum als Auflösung eines Kürzels, sondernwohl vom Abschreiber selbst schließlich entziffert; vgl. K 67,11.

,88," Die Doppelschreibung dieses Satzes erklärt sich dadurch, daßder Abschreiber, indem er die Worte -diese Weise der Beseitigung­niederschrieb, welche in der Vorlage den Anfang des Satzes machen,der auf den zu streichenden Satz folgt, durch das Wort -Beseitigung­wieder in den vorausgehenden Satz zurückgeriet, der mit den Wörtern-Die Beseitigung- beginnt.

217,21 (Orig.) »sie geht nur beim Denken hin«: Nimmt man an, daßdie Vorlage für die Abschrift ursprünglich Kürzel hatte, so läßt sichleicht verstehen, wie aus der anzunehmenden Originalform -nicht zum.die vorliegende Textgestalt entstehen konnte: Dem Abschreiber mag esfern gelegen haben, daß die Religion nicht zum Denken gelangt,während ihm nahegelegen hat, daß sie mit dem Denken einhergeht.

'93,9 (Orig.) »bürgerliche Familie«: Die Änderung ist auch aus Rph.§ 240 begründet.

222,26 »Alle Verbesserungen sind vom Staate in der Religion geho­ben worden«: Für den eindeutig entzifferten Text wird hier keine

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K sichere Interpretation vorgeschlagen. Würde man statt -inder Religion.-in die Religion- lesen, so ergäbe sich über eine geringe Änderung desTextes (in der Vorlage kann leicht das Kürzel -d., gestanden haben)folgender Sinn: Alle Verbesserungen im Staate sind, vom Staateausgehend, in die Sphäre der Religion eingegangen. Dieser Gedankestimmt mit der -unmittelbaren Konsequenz- (222,28 f.) überein, welchenach Hegel das WOrt -Mein Reich ist nicht von dieser Welt< hat(vgl. auch 29°,32-29',2 und dazu Rph. Wannenmann § '58, S. 365). Inumgekehrter Entsprechung zu diesem Übergang von Fortschritten ausdem Staat in die Religion steht der grundlegende Einfluß der Religionauf Prinzipien des Staates, auf den Hegel in der Folge sogleich zusprechen kommt (222,30-223,5). Vgl. etwa auch Rph. § 270, S. 229f.und Griesheim-Nachschrift (Ilt, 4, 65').

233,27 »Identitär«: Diese Stelle ist unter allen, bei denen in Fragesteht, ob statt -Identitat- vielmehr -Idealitat- zu lesen ist, diejenige, beider die Vermutung am meisten für sich hat, daß in der Vorlage-Idealitat-stand. Sie ist Rph. § 276 sehr nahe; auch dort ist die .Einhei«des Staates als -Idealirä« näher qualifiziert. Und wirklich wird eineEinheit dadurch -Idealität., daß sie -subjektiv- wird und daß in ihr-Gegensatze aufgelöst< sind. Wenn dennoch auf die Konjektur verzich­tet wurde, so deshalb, weil es wegen der Übersetzbarkeit von -Idealitat­in eine spezifierte -Identitat- wenigstens möglich bleibt, daß Hegel inder Vorlesung die subjektive Einheit des Staatesüber die -Identitat- derSphären des Staates beschrieb, die von derfalschen Theorie der Teilungder Gewalten nur als -Gegensatze- aufgefaßt werden. Rph. § 276 sprichtnicht von Gegensätzen, sondern nur von den Gewalten als -besonde­ren-, Allerdings erwähnt die Abschrift wenig später (237,'7) den Staatals -das Ideelle seiner verschiedenen Spharen-: vgl. SonderkommentarIII.

237,26 Zu verstehen als: Und dies ist ein Abbild derselben (der Idee).

239,8 »Identität«: Von hier bis 240,18 und 240,30 findet sich insge­samt neunmal dieser Terminus. Wegen der Entsprechung zu Rph.§§ 262, 266ff. scheint zunächst die Veränderung in .Idealirar- geboten.Doch ist eine solche Veränderung in einigen Fällen sogar ausgeschlos­sen. Auch in der Rph. spricht Hegel im Zusammenhang mit -substan­riell. von -Einheit-, nicht von -Idealitär-, vgl. auch § 238. - Auch239,30ff. schließt eine Änderung zu -Idealirat- eher aus. Denn diese

Passage handelt von der Notwendigkeit des Übergangs von Subjektivi- K

tät zum einzelnen Subjekt, der das Verhältnis von reiner und nochformeller Identität zur Einzelnheit des Ich durchaus entsprechen kann.- Im Falle von 240,17 ist zwar -Idealitat- im Original eher zu vermuten.K zu dieser Stelle zeigt aber, daß auch -Idenritat- dem zulässigenSprachgebrauchnicht entgegensteht; vgl. im übrigen Sonderkommen­tar II!.

239,30 »Identität«: Vgl. K 239,8.

240,17 »Identitat«: Daß die Änderung in -Idealitar- trotz der Paralle­lirät zu Rph.§278 nicht geboren ist, erhellt besonders aus einemWechsel in der narurphilosophischen Analogie. In Rph. § 278 liefert dieTheorie des Organismus das Beispiel. Auf ihn ist wirklich die Kategorieder -Idealitat- und nicht die der .Idemitat- mit Prägnanz anzuwenden(vgl. Enz.B § 343, Zusatz). In der Vorlesung dient dagegen als Beispieldas Licht. Das ist zwar auch (Enz.B § 276) als .marerielle Idealitar­bestimmt, zugleich aber, und anders als der Organismus, ebensogut als-Identitat- zu fassen, wie § 275 Enz.B zeigt. Und in eben diesem Sinnhat auch die hier publizierte Vorlesung zuvor schon (59,8) vom -reinenLichte gesprochen; vgl. K 239,8 und Sonderkommentar III.

242,32 »Identitat mit sich«: Obgleich man aus der redundantenVerdoppelung schließen möchte, daß es an der Stelle des zweitenAuftritts von -Identitat- -Idealirat- heißen sollte, ist eine Änderungausgeschlossen, und zwar wegen der Grammatik der beiden Terme;vgl. K 69,25; vgl. auch die analoge Wendung auf 25 t,,6; vgl. Sonder­kommentar II!.

247,13 »Das Deutsche Reich hat demnächst ...«: -demnachsr- hathäufig im Text den Sinn von -sodann-, - auch hier: Das Deutsche Reichgibt -sodann- (als zweites Beispiel) Rat aus der Geschichte, und zwardurch seinen Unrergang; vgl. E 86,28.

267,22 (Orig.) »burgerliche«: Die Änderung ergibt sich aus Rph.§ 308.

269,12 »ihres«: Diese Wendung erklärt sich daraus, daß in derFormulierung des Gedankens vom -Adel- zu den .Adeligen. überge­gangen worden ist.

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K 278,21 (Orig.) »Identitat«: Hier ist der Text in -Idealitär, abgeändertworden. Sonderkommentar III zeigt, daß es dafür aus dem engerenZusammenhang der Stelle keinen zwingenden Grund gibt. Seite 252,7hat sogar eine dieser Stelle nahezu wörtlich entsprechende Wendungmit -Identitatc Wenn dennoch der Änderung der Vorzug gegebenwurde, so wegen zwei anderen SteHen, die im Textzusammenhangdieser Stelle noch viel näher stehen und die statt -Identitate -Idealitat.haben: 275>'9; 279,6 (entfernter auch 284,27). Daß die Annahmebegründet werden kann, daß Hegel selbst den Gebrauch von -Idealirär­im äußeren Staatsrecht zur Dominanz brachte, zeigt Sonderkommen­tar IH. Und der Grundsatz, im gleichen Sachzusammenhang einegleiche Wendung zu haben, sollte gegen das Prinzip, nur zwingendeÄnderungen vorzunehmen, in diesem einen Fall das größere Gewichthaben.

280,22 (Orig.) »was es ist«: Der Abschreiber hat ursprünglich -er­geschrieben und dieses Wort in -es- korrigiert, wahrscheinlich inAngleichung an das .es- in der zweiten Satzhälfte (Zeile 23). Dennochmuß es im Text .er- heißen. Der Geist, wenn er erfaßt, was er ist, isteben nicht mehr in dem, worin er war, solange er sich nicht erlaßt hatte.Sofern er es begreift, muß also das Verlassene im Neutrum als -es­bezeichnet werden, während es vor dem Erfassen und im Zustandseiner wirklichen Geistigkeit auch als -er-, nämlich als der Geist, zubezeichnen war.

283,12 »Gesetze sind die Gegensätze«: Hegel scheint die wörtlicheBedeutung von -Gesetz- aus einer Abkürzung von -Gegensatz- als-Gesatz- gegen das bloße Meinen erläutert zu haben.

285,3° (Orig.) »Naturgangee: Zur Begründung der Änderung vgl.Rph.§J55.

287,1 (Orig.) »Brahma oder Barabrahma«: Der Text ist geändert inAnlehnung an Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 2. Teil, t.

Abschn., t. Kap., B. 2. Gubil.Ausg. 12, 457): »Brahma, die hervor­bringende zeugende Tätigkeit, der Weltschöpfer, Herr der Götteru.s.f. Einerseits wird er von Brahman (als Neutrum), von demobersten Wesen unterschieden, und ist dessen Erstgeborener, anderer­seits aber fällt er auch wieder mit dieser abstrakten Gottheit zusam­rnen.« Dem Text des Originals kann sehr leicht ein Hörfehler zugrundeliegen, der sich in der Vorlage auswirkte.

SONDERKOMMENTAR I

Paragraphenziffern der Vorlesung von 1818h9in der Nachschrift von 1819120

Auf einem etwa knapp 2 Zentimeter breiten, durch leichten Knickentstandenen Rand der hier publizierten Nachschrift findet sich eineReihe von Paragraphenziffern. Sie reichen von ,§ '7' (Originalseite 37)bis ,§ 54' (Originalseite 79), also vom Beginn des Teils -Das abstrakteRecht. bis in die Mitte des Unterabschnitts -Das Unrecht< im selbenTeil. Ihre Folge ist nicht geschlossen, sondern deutlich in Gruppengetrennt, zwischen denen zum Teil erhebliche Sprünge liegen (Gruppe1: §§ '7, ,8, '9; Gruppe 2: §§ 28, 30; Gruppe 3: §§ 33, 34, 35, 36,37,38,4" 39,4°,4',43,44; Gruppe 4: § 54)·Es läßt sich zeigen, daß diese Paragraphenangaben den Diktaten derVorlesung von 1818/l9 entsprechen, also einer Niederschrift vonHegels Vorlesung aus dem vorausgegangenen Wintersemester oder nurder in ihr gegebenen Diktate (vgl. Ilt. r 2'7ft) entnommen wordensind. Dafür spricht zunächst die genaue Korrespondenz zwischeneinigen der Paragraphen aus Homeyers Nachschrift und dem Inhalt deshier veröffentlichten Manuskriptes. Eine solche Entsprechung bestehtbei § ,8 (Personbegriff), § 28 (Formierung), § 30 (Bezeichnen), § 34(Fortdauer der Äußerung des Willens), § 35 (Entäußerung), § 36(Entäußerung der Persönlichkeit), § 37 (Einführung des Vertrags), § 38(zwei Selbständige im Vertrag), § 4' - erste Erwähnung- (Tauschver­trag), §§ 39, 40 (Stipulation des Vertrags, Fichte, Vertragstbeorie), § 4'- zweite Erwähnung - (Schenkungsvertrag), § 43 (Beginn desUnrechts), § 44 (bürgerlicher Rechtsstreit), § 54 (Subsumption desVerbrechers unter sein eigenes Recht). Es fällt auf, daß die Entspre­chungen zu fast allen diesen Paragraphen aus Schlüsselworten in denParagraphenersichtlich sind. Die Angaben der Gruppe 2 verstehen sichdadurch, daß im Falle der Formierung und der Bezeichnung die direkteEntsprechung über ein Schlüsselwort besonders deutlich zutage liegt.In Gruppe I ist die Zuordnung der nicht so offensichtlich zuzuordnen­den §§ '7 und '9 dadurch zu erklären, daß § ,8 direkt zuzuordnen istund daß die Zuordnung von § '7 über den Anfang des Teils über dasabstrakte Recht unmittelbar plausibel wird. § '9 ist offenbar inAnlehnung an die leichte Zuordnung von §§ '7 und ,8 erfolgt. Die

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isolierte Zuordnung von § 54, der hier als .Gruppe 4< geführt wird, istwieder in einer besonders offensichtlichen Entsprechung begründet.Ein eigentlicher Beweis dafür, daß die Paragraphenziffern den Diktatendes vorausgehenden]ahres entnommen sind, läßt sich aus dem doppel­ten Auftritt des >§ 41< gewinnen. In der hier publizierten Nachschrifterscheinen die Stichworte .Tauschverrrag. und -Schenkungsvertrag­zum ersten Mal in Passagen, die durch die Erörterung der Stipulationvoneinander getrennt sind. In dem Diktat von 1818/19 erscheinen siezusammen in § 41. Diesem Umstand hat die Person, welche dieParagraphenzahlen zuordnete, durch die doppelte Erwähnung von>§ 41< Rechnung getragen.Aus diesem Befund ergeben sich nun zwei Fragen: I. Wurden dieParagraphenangaben nachträglich in die Handschrift eingefügt, oderstanden sie in deren Vorlage? 2. Welche Gründe veranlaßten dieParagraphenangaben?I. Die erste Frage läßt sich recht sicher beantworten. Zunächst ist dabeidie Art der Niederschrift der Paragraphenziffern zu beachten. Sieerfolgte von derselben Hand und mit derselben Tinte, welche auch inder hier publizierten Nachschrift insgesamt benutzt ist. >§ 17<, die ersteParagraphenangabe, ist dick unterstrichen, >§ 18< dünn unterstrichen,während die folgenden Paragraphenangaben nicht mehr unterstrichensind, mit der Ausnahme von >§ 44<. Diese Abweichungen wären sehrunwahrscheinlich, wenn die Paragraphenfolge in einem Zug am Randenachgetragen worden wäre. Die Paragraphenangaben finden sich auchmeist im Zug der einzelnen Zeile der Nachschrift, der sie zugeordnetsind. Das ist besonders deutlich im Falle von >§ 38<: das letzte Wort derZeile (sunmittelbaree) ist über den Knickrand der rechten Seite hinaus­geschrieben, und die Paragraphenangabe folgt auf genau gleicherHöhe. ,§ 41< (zweite Erwähnung 83,9) erweckt am ehesten denEindruck, nachträglich hinzugefügt worden zu sein. Diese Angabesteht aber am linken Seitenrand, kann also unmittelbar nach Nieder­schrift der Zeile hinzugefügt worden sein, wobei der Schreiber, um dienoch frische Tinte nicht zu beriihren, die Feder steif ansetzte; so würdeder Schriftverlauf von links unten nach rechts oben erklärt sein.Ähnliches gilt für >§ 19<, wo nur die Neigung der Schrift, nicht derGesamtverlauf der Paragraphenangabe linkslastig ist.Alle diese Befunde sind noch nicht wirklich zwingend. Dagegen istzwingend eine Folgerung, die sich aus dem Textbestand im Falle desdoppelten Auftritts von >§ 41< ergibt: Die erste Erwähnung von >§ 41<wurde vom Schreiber zunächst als >§ 42< geschrieben und dann mit

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dickem Strich und Punkt über dem Hauptstrich der >I< in >§ 41<korrigiert. Die Korrektur findet sich an der ersten und einzigen Stelle,in der die Folge des Auftritts der Paragraphenangaben von der Folgeder Paragraphenziffern selbst abweicht. Nun hat die VoraussteIlungvon >§ 4 t c vor die Paragraphenangaben der §§ 39 und 40 ebenso wie diedoppelte Erwähnung von >§ 4t< den guten Sinn, daß § 41 der Vorlesungvon 1818!I9 wirklich zweimal eine Korrespondenz im vorliegendenText findet. Dieser Sachverhalt konnte aber für den Abschreiber nichtersichtlich sein; und es war zu erwarten, daß er durch die Verschiebungin seiner Vorlage in Verwirrung geriet. Diese Verwirrung mußte um sogrößer werden, als wenig später und möglicherweise sogar auf derschon aufgeschlagen vor ihm liegenden Heft-Doppelseite die Angabe>§ 41< ein zweites Mal erschien. So konnte er leicht einen Irrtum seinesAuftraggebers vermuten und veranlaßt werden, auch die nähere Umge­bung des Textes seiner Vorlage in den Blick zu nehmen. In ihr folgtenun auf >§ 41<in der zweiten Erwähnung >§ 4)<, unter Auslassung von§ 42. Von der Erwähnung von >§ 39< und >§ 40< an fand sich so bis,§ 43<(und auch >§ 44<) eine der Zahlenreihe entsprechende Paragraphen­folge, in der nur § 42 übersprungen war. Mit einiger Intelligenz konnteder Abschreiber leicht zu dem Schluß gelangen, daß der Schreiberseiner Vorlage offenbar § 42 vorziehen wollte. Denn die doppelteErwähnung von >§ 41< erschien ihm sinnlos, und eine Korrektur deszweiten Auftritts von >§ 41< erschien ganz unbegründet angesichtsdessen, daß er auf,§ 40< folgt und >§ 43< vorausgeht. Und so ergab sichdann die Meinung, daß statt >§ 41< vielmehr >§ 42< zu schreiben sei.Dafür, daß der Abschreiber wirklich irritiert war und in der Vorlageblätterte, haben wir ein ziemlich schlüssiges Indiz: Auf der Seite,welche der ersten Erwähnung von >§ 41< folgt und auf der sich dessenzweite Erwähnung findet, hat der Abschreiber die falsche Seitenzahlgesetzt, nämlich statt der nötigen ?o< eine >6o<. Das ist der einzigeIrrtum dieser Art in der gesamten Nachschrift.So bleibt die Frage, warum dann schließlich doch die Korrektur derAngabe >§ 42< in die korrekte Angabe von >§ 41< erfolgte. Dafür kann esnur zwei Erklärungen geben: Entweder besann sich der Abschreiberseines Auftrags zur korrekten Abschrift der Vorlage, oder er korri­gierte aufgrund einer Verständigung mit seinem Auftraggeber. DasZweite hat viel Wahrscheinlichkeit für sich. Denn es finden sich in derNachschrift noch einige andere Stellen, an denen (schwierige, zumeistterminologisch fixierte) Wörter nachträglich in zuvor offen gelasseneZwischenräume eingefügt wurden, und zwar von der Hand des

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Abschreibers selbst. Die offen gelassenen Räume sind kleiner als derschließlich eingefügte Text, was annehmen läßt, daß sich in der Vorlageein Kürzel befunden hat. Das zwang zur Verkleinerung der Schrift undmacht für uns den Einschub als solchen gut erkennbar. Es ist vielwahrscheinlichet, daß der Verlasser der Vorlage die Auflösung solcherschwierigen Kürzel lieferte, als daß der Abschreiber selbst in nachträg­licher Überlegung z'! ihrer Auflösung kommen konnte. Be, solcherGelegenheit hat auch die Paragraphenangabe ,§ 42< in die erste Erwäh­nung von >§ 41< korrigiert werden können. (Vgl. zu den späterenEintragungen in zunächst freigelassene Räume K 67,21.)Dafür, daß die Paragraphenangaben schwerlich aufgrund der Nach­schrift haben zugeordnet werden können, kann noch ein beinahezwingender Grund gegeben werden: Auf Originalseite 55 hat derAbschreiber das Wort -Bezeichnene oder ein Kürzel WIe -Bezhn.s nichtrichtig entziffert und statt .Bezeichnen- -Beziehen- geschrieben, :waseinen beinahe, unverständlichen Text ergibt, der, sofern man Ihmüberhaupt einen Sinn geben kann, gewiß nicht mehr dem Sinn desentsprechenden Paragraphen in der Homeyer-Nachsc~rift .zuzuord­nen ist. So hätte allein aufgrund des Textes der Abschnft die Zuord­nung des im übrigen § 28 von 1818/19 eindeutig entsprechenden Textesauch nicht mehr geschehen können. .2. Die zweite Frage zu beantworten und einen Grund dafürzu sichern,der das Auftreten der Paragraphenangaben aus der Vorlesung von1818/19 erklärt,ist Aufgabe der Forschung, nicht der Edition. Die For­schung hat auch auszumachen, ob Hegel im Wintersemester 1819120Paragraphen diktierte -, wie im vorausgehenden Winter und w~e esseiner Gewohnheit entsprach. Aber einige Erwähnungen zu dieserFrage, die mit dem Textbefund zu tun haben, gehören doch an dieseStelle. Nach dem unter I. Dargelegten kann es als erwiesen gelten, daßder Schreiberder Vorlage des hier publizierten Manuskripts (oder einerseiner Mitstudenten) die Paragraphenangaben hinzufügte, bevor dieNachschrift zur Abschrift an den Abschreiber ging. Es ist unwahr­scheinlich, daß er dies tat aufgrund einer Erwähnung der Paragraphen­zahlen des vorausgegangenen Wintersemesters durch Hegel selbstinnerhalb seines Kollegs. Denn einmal wären dann die Angabenschwerlich auf das Kapitel über das abstrakte Recht beschränkt. Undzum anderen würde der Befund nicht erklärt, der dahin geht, daß dieunvollständige Zuordnung offenbar so zustandekam, daß zunächsteindeutig zuzuordnende Paragraphen ermittelt wurden und daßsodann in deren Umgebung weitere Zuordnungen erfolgten. Das setzt

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voraus, daß sich der Schreiber der Vorlage selbständig um die Zuord­nung zu bemühen hatte. Im übrigen hat es wenig Wahrscheinlichkeit,daß Hege! eine Paragraphenfolge zitierte, die dem Aufbau des Gedan­kens der Vorlesung von 1819120 nicht mehr voll entsprach.Der Schreiber der Vorlage oder sein Mitstudent hat sich keine großeMühe gegeben, zur Vollständigkeit bei der Zuordnung zu kommen. Erhat sich im wesentlichen an sichere und leicht erkennbare Korrespon­denzen an der Oberfläche des Gedankenganges gehalten. Und er hatseine Bemühung sehr schnell (nach ,§ 44<) erlahmen lassen und nochinnerhalb des Kapirels über das abstrakte Recht aufgegeben. So geringeAnstrengung wäre wohl gar nicht aufgebracht worden, wenn dieVorlesung Hegels selbst eine eigene neue Paragraphenfolge bereitge­stellt hätte.Hege! hätte einen guten Grund gehabt, seine Vorlesung ohne Diktateverlaufen zu lassen: Er konnte damit rechnen, daß sein Buch bald undvielleicht noch während des Wintersemesters selbst erscheinen würde.Wäre es erschienen, so wären die Diktate nutzlos gewesen und hättenunnötig einen erheblichen Teil der Vorlesungsstunden in Anspruchgenommen. Und selbstfür den Fall, daß das Erscheinen des Buches erstfür das Frühjahr zu erwarten war, konnte Hegel das Diktat fürentbehrlich halten, - in der sicheren Erwartung seines Erscheinens undseiner Verfügbarkeit für seine Studenten. Doch ist es nicht gänzlichausgeschlossen, daß Hegel selbst auf die im Umlauf befindlichenDiktate als provisorische Stabilisierungshilfe für das Verständnis ver­wies oder gar empfahl, sie zu kopieren.Folgt man solchen Überlegungen, dann erkiärt sich auch die besondereVerfassung der Nachschrift, gegen Homeyer an Inhalt viel reicher undgegen die späteren Nachschriften von Hotho und Griesheim vielflüssiger zu sein: Vor der Zeit, in der mit dem Erscheinen desLehrbuches sicher zu rechnen war, mußte ein Text zeitraubend diktiertwerden. Später aber war auf das logische Gerüst der Argumentationund die schon vorliegende Paragraphenfolge des Buches ausführlicheinzugehen.Der Auftraggeber der Nachschrift vermißte jedenfalls die Stützungdurch authentische Paragraphen und versprach sich Hilfe durch dasihm zugänglich gewordene Diktat des vorausgehenden Jahres. Daswird dann am besten verständlich, wenn man annimmt, daß das BuchHegels zur Zeit der Niederschrift des hier publizierten Manuskriptsnoch nicht erschienen war. Man könnte versucht sein, weiter zuschließen, daß das Buch herauskam, als die Arbeit des Abschreibers am

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Ende des Teils über das abstrakte Recht angekommen war. Aber nachallem, was wir aus der Art seiner Arbeit von dem, der die Paragraphen­angaben hinzufügte, erfahren können, ist die Annahme bei weitemplausibler, daß er seine ohnedies nicht sehr angestrengten Versucheangesichts von deren überwiegendem Mißerfolg aufgegeben hat, ehe siedurch die Publikation von Hege!s .Rechrsphilosophie- überflüssiggeworden waren.Nach allen diesen Überlegungen muß es nun als ganz unwahrscheinlicherscheinen, daß die Niederschrift und die Abschrift der hier publizier­ten Vorlesung nach der Publikation von Hege!s -Rechtsphiloscphie.erfolgten. So wird sie also auch aufgrund der Folgerungen, die sich ausder Paragraphenzuordnung gewinnen lassen, als ein einigermaßenauthentisches Dokument und Echo von Hegels wirklicher Vorlesunggelten dürfen, das in zeitlicher Nahe zur Vorlesung selbst entstandenist.

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SONDERKOMMENTAR II

Inhaltsanzeige, Überschriften und Einteilungenin der Nachschrift von 1819120

Die Schlußfolgerungen, zu denen im ersten Sonderkommentar zukommen war, gehen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dahin, daßHege! in der Vorlesung von r8r9120 keine Diktate gab und daß die hierpublizierte Nachschrift zu einer Zeit zustande kam, zu der die »Grund­linien der Philosophie des Rechts« noch nicht erschienen waren. Hörerund Nachschreiber befanden sich also in einer Situation, in der Hege!dafür zu sorgen halte, daß sie während der Vorlesung über den Aufbauseiner Theorie und über die Abfolge seiner Theoreme die Übersichtgewinnen und halten konnten. So stellt sich die Frage, auf welche Weiseer dies bewirkte. Und diese Frage wirft unmittelbar das Problem auf,wie die sInhaltsanzeigee und wie die den Text der Nachschrift gliedern­den Überschriften zu erklären sind.Die Erörterung dieses Problems hätte eigentlich in einem sehr weitenZusammenhang zu erfolgen. Denn Hege! hielt, insbesondere währendder Berliner Jahre, eine große Anzahl von Vorlesungen, für die Diktateoder ein Lehrbuch niemals vorgesehen waren. Und er gab, zumal in derJenaer Zeit, Vorlesungskurse, für die ein Lehrbuch zwar vorgesehen,

. aber über viele Jahre nicht wirklich verfügbar war. So müßten alleManuskripte Hegels, die als Grundlagen für Vorlesungen niederge­schrieben worden sind, und die sehr große Zahl der Berliner Nach­schriften vergleichend in Betracht gezogen werden> um HegelsGewohnheiten im allgemeinen und dann sein Vorgehen im Kolleg überRechtsphilosophie von 1819120 möglichst sicher zu ermitteln. DieVoraussetzungen dazu können derzeit nur in sehr aufwendigen Manu­skript- und Archivstudien gewonnen werden. Man kann aber auchohne solche Studien, was die hier publizierte Nachschrift anlangt, zuhinreichend sicheren Ergebnissen kommen. Und man kann insbeson­dere sicherstellen, daß sich aus der Gliederung der Nachschrift durchÜberschriften kein Einwand gegen die im Bericht zur Edition und imersten Sonderkommentar erreichten Schlußfolgerungen herleitet, diedahin gehen, daß die Nachschrift bald nach den Vorlesungen und vordem Erscheinen der »Crundlinien der Philosophie des Rechts«zustande kam und daß Hegel in ihr keine Diktate gegeben hat. Vorallem deswegen sind die folgenden Überlegungen anzustellen.

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Ist eine Vorlesungsnachschrift durchgängig und konsistent mit ~.b~r­schriften versehen, ohne daß in der Vorlesung selbst wohlorganisierteDiktate gegeben wurden, so liegen zunächst einmal zwei VermutuD.gennahe: Hegel könnte zumindest im vorhinein. eine Inhaltsübersichtdiktiert haben, oder es könnte dem Nachschreiber entweder aus demKolleg eines vorausgehenden Semesters oder aus einer später erfolgt~n

Publikation eine Inhaltsübersicht zur Verfügung gestanden haben. DIeerste Vermutung könnte mit dem Verweis auf die dem ersten Teil derhier publizierten Nachschrift zugeordneten Paragraphen aus der Vor­lesung von 18181r9 gestützt werden; die zweite würde dann Haltgewinnen, wenn die Überschriften der Nachschrift mit denen dergedruckten »Grundlinien der Philosophie des Rechts« zusammenfallen

würden.Die Erörterung des Problems hat also einerseits den in:er~en ~efundder Nachschrift andererseits die in Homeyers Nachschrift überlieferteVorlesung von' t818!I9 und die gedruckte .Rechtsphilosophiec zuberücksichtigen. Die späteren Nachschriften zu Hegels Vorlesungenüber die Philosophie des Rechts hatte~ sich, .wie diese.Vo.rlesungenselbst, an der publizierten -Rechtsphilosophie- zu ortentreren undkamen somit unter gänzlich anderen Bedingungen zustande.Der hier publizierten Nachschrift ist arn Ende eine sauber geschriebeneund genau gegliederte .Inhaltsanzeige- beigegeb~n. Sie w:eichtv~n derInhaltsangabe der gedruckten -Rechtsphilosophie- auf eme Welse ab,die es ausschließt, daß sie von ihr übernommen sein könnte. So ist vorallem das >I. Kapitel- des -Zweiten Teils- unter den Ti:el »Ha~dlungund Vorsatz« gestellt, während die gedruckte -Rechrsphilosophie-, an­gemessener, den Titel als»DerVorsatzunddieSchuld« formulierthat. .Die Formulierung der Nachschrift entspricht der Sache na~h der, ~Ie

sich in Homeyers Nachschrift der Vorlesung von 1818!I9.fmdet. HIerist sie zwar mit den bestimmten Artikeln ausgestattet: »DIe Handlungund der Vorsatz« (Ilt. 1,283). Aber dieser Unterschied kann sich auseiner Besonderheit in Homeyers Aufnahme des Titels erklären. In emeranderen Nachschrift der früheren Vorlesung könnte der Titel »Hand­lung und Vorsatz- gelautet haben, so daß sich der N achsc~reiber derhier publizierten Vorlesung an eine solche andere Nachschrift gehaltenhaben könnte.Dennoch ist die Vermutung auszuscheiden, daß sich Inhaltsanzeigeund die im Text auftretenden Titel der hier publizierten Nachschrift ausder übernahme einer Inhaltsübersicht aus einem Manuskript verste­hen, das aus Hegels Vorlesung vom vorausgehenden Wintersemester

hervorgegangen ist, und zwar aus der Kombination der folgendenÜberlegungen:1. Es wäre denkbar, daß die Inhaltsanzeige der hier publiziertenVorlesung schon vor der Nachschrift oder doch bald nach ihremBeginn zur Verfügung stand. Doch dann wäre anzunehmen, daß die imText selbst auftretenden Titel dem akkuraten Aufbau dieser Inhalts­übersicht sehr nahekommen würden. Das ist aber nicht der Fall. InderAn der Niederschrift und auch der terminologischen Form dieser Titelgibt es erhebliche Inkonsistenzen. (Aus dem hier publizierten Textgehen sie nicht allesamt hervor, da er nicht dem Ziel einer diplomatischgetreuen Ausgabe folgt.) Die Unterstreichungen sind sehr unregelmä­ßig gehandhabt. So sind, um ein Beispiel zu nennen, im Kapitel über diebürgerliche Gesellschaft der Titel des Kapitels und der Abschnitt-c. Die Polizei- ohne Unterstreichung, während die Titel derAbschnitte a, und b. unterstrichen sind. Gewichtiger ist, daß diewörtliche Form der Titel im Text nicht mit den Titeln der -Inhaltsan­zeige-durchgängig koinzidiert. Im Text steht »Besitz und Eigentums,wo in der Inhaltsanzeige nur »Das Eigentum- steht, im Text wird»c. Auflösung der Familie überhaupt, Erziehung der Kinder- forrnu­liert, wo die Inhaltsanzeige nur »c. Auflösung der Familie« hat.2. Man könnte, alternativ, meinen, daß die Inhaltsanzeige nachträglichaus einer Quelle übernommen sein könnte, die auf das vorausgehendeWintersemester zurückgeht. Aber dazu ist wiederum die Nähe derTitel im hier publizierten Text zu dem Aufbau der Inhaltsanzeige zugroß. Schon die Verwendung der Nomenklaturen -Teil. und -Kapitekfür die Abschnitte, die in der gedruckten -Rechtsphilosophie- .Teil. und-Abschnirt- heißen und die bei Homeyer als -Abreilung- und nachrömischen Ziffern geführt sind, stellt eine sehr große Nähe zwischenden Titeln im Text und der Inhaltsanzeige des hier publiziertenManuskriptes her. Und es ist im übrigen auch ohne weiteres möglich,die rigide 5chematik der Inhaltsanzeige aus den im Text selbst auftre­tenden Titeln abzuleiten. Denn in der InhaItsanzeige wird konsequentals -Kapitel- aufgeführt, was im Text selbst teils diese Bezeichnung, teilsnur eine Ziffer aufweist. Und die Abweichungen in der Formulierungder Titel läßt sich ohne weiteres so erklären, daß bei der Abfassung derInhaltsanzeige verkürzte Formulierungen gewählt wurden, die eineHarmonie zwischen der Länge der verschiedenen gleichgestellten Titelzur Folge haben. Es besteht also kein Grund zu einer anderenHypothese als der, daß die Inhaltsanzeige nachträglich aus dem Textder Vorlesung selbst gewonnen worden ist.

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3. So bleibt die Möglichkeit, daß während der Nachschrift derVorlesung oder jedenfalls VOr der Abschrift der Nachschrift eineschriftliche Inhaltsübersicht zur Verfügung stand, die nicht mit derInhaltsanzeige des Manuskriptes selbst identisch gewesen ist. Daß essich so verhielt, ist nicht auszuscWießen und sogar wahrscheinlichangesichtsdessen, daß die amRandeaufgeführtenParagraphen aus derVorlesung von r8r8!I9 kaum aus einem Manuskript übernommenwerden konnten, das keinerlei Inhaltsübersicht auswies. Aber derRückgangaufdie Inhaltsübersicht eines anderenManuskriptes ist nichtnotwendig, um irgendeinen Gebrauch von Überschriften in dieserNachschrift zu erklären. Denn dieTitel tretenimText nirgendsaufeineWeise auf. die zu der Annahme zwingt, sie seien zu einer Niederschriftnachträglich hinzugefügt worden, welche ohne von Hegel selbstgegebene Hinweise auf die Gliederung des Gedankens und die für siestehenden Titel erfolgte. Und umgekehrt finden sich solche Titel, diesich am besten aus dem Vortrag Hegels selbst erklären. Ein solcher Fallist der Titel »ß. Die Regierungsgewalr« (254). Er ist unmittelbar in denText einbezogen, der im Anschluß an den Titel so fortfährt: »Diese hatdas Allgemeine der Gesetze und die Verfassung im Besonderen geltendzu machen ..." (254,4f.). Nimmt man an, daß der Titel nachträglicheingefügt wurde, so wäre der vorauszusetzende Text ohne eindeutigenSinn. Man müßte dann also zumindest annehmen, daß der Nachschrei­ber um der Hervorhebung eines Titels willen nachträglich in den Texteingegriffen hat.Dem steht freilich entgegen, daß die hier publizierte Nachschrift einigeTitel an Stellen aufführt, welche nicht die für den logischen Aufbau desGedankens markantesten Einschnitte darstellen. So kann man finden,der eigentliche Ort für den Titel »2. Der Vertrag- sei nicht 81,1,sondern nach 81,7; der für den Titel» I. Kap. Handlung und Vorsatz­nicht 93,1, sondern nach 93,16. Und man kann insbesondere finden,daß sich die Stellung des Titels »r. Die Familie- (I28) arn leichtestendurch einen nachträglichen Eingriff erklärt (vgl. K 128,13). Denn dieserTitel tritt als Bestandteil einer Übersicht auf, die im fortlaufenden Textgegeben worden ist, aber so, daß er aus diesem Zusammenhang durchdie Stellung auf der Seite und die Unterstreichung herausgehoben ist.Der beste logische Ort für diesen Titel wäre der nach 128,25 ge­wesen.Aber alle diese Abweichungen von der optimalen Lozierung der Titelim Text erfordern und berechtigen nicht die Annahme, daß dieGliederung des Textes nach Titeln und Ziffern überhaupt eine andere

Grundlage als Hegels eigenen Vortrag gehabt hat. Es ist möglich, daßder Hörer, der, wie die beigegebene Konkordanz ausweist, möglicher­weise am Semesteranfang einige Stunden versäumte, für die richtigeReproduktion der Titel bei anderen Hörern nachzufragen oder die ihmverfügbare Paragraphenfolge des vorausgehenden Wintersemesters zukonsultieren hatte. In allem Wesentlichen wird er sich aber auf vonHegel selbst in seinem Vortrag gegebene Gliederungshinweise gestützthaben. Das anzunehmen ist allein schon deshalb geboten, weil Hegelohne mit Sorgfalt gegebene Hinweise gar nicht damit rechnen konnte,daß der Aufbau des Kollegs durchsichtig werden und übersichtlichmitgeschrieben werden konnte. Insbesondere dort, wo die Titel vonTeilen des Kollegs zu Titeln von Abschnitten und Unterabschnitten inder richtigen Beziehung zu sehen waren und wo zwei Titel gleichzeitigeinzusetzen gewesen sind, war auch im mündlichen Vortrag derGebrauch von Ziffern und Nomenklaturen praktisch unvermeidbar.Aber auch unabhängig von solchen prinzipiellen, aber allgemeinenErwägungen wird diese Vermutung aus dem Vergleich mit dem Befundvon Homeyers Nachschrift überzeugend. Im Winter 18181r9, demSemester von Homeyers Nachschrift, diktierte Hegel Paragraphen.Aber die Nomenklatur und die Stellung der Titel in HomeyersManuskript weisen Schwankungen und Inkonsistenzen von etwaderselben Art auf, die für die hier publizierte Nachschrift charakteri­stisch sind. So entspricht in Homeyer eine erste und eine zweite,Abteilung< einem dritten -Theik (Ilt. I, 253, 280, 290). Und derGebrauch von Ziffern und Zahlwörtern weist ebensolche Schwankun­gen auf, wie die es sind, die sich in der hier vorgelegten Nachschriftfinden und wie sie im übrigen im Fall der Aufnahme von Ziffern ausdem gesprochenen Won zur gleichzeitigen Niederschrift kaum ver­meiden lassen. Doch steht aus der Homeyer-Nachschrift fest, daßHegel in diesem Kolleg zusätzlich zu den Diktaten auf die Vermittlungeiner lückenlosen Einteilung des ganzen Gedankens in Ober- undUntergliederungen Wert legte. Denn die Nachschrift weist durchgän­gig eine solche Einteilung auf, obwohl ihr nirgends, wie im Falle derhier publizierten Nachschrift, eine detaillierte Inhaltsanzeige ent­spricht. Aus der -Einreilung., die Homeyer am Anfang seines Heftesaufführt (Ilt. r, 235), konnte er die gliedernden Titel seines Texteskeinesfalls gewinnen. Es ist anzunehmen, daß Hegel auch dann, wenner aus guten Gründen darauf verzichtete, Diktate zu geben, an denguten Gründen festhielt, die Gliederung des Werkes sicher zu vermit­teln.

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Daß Hegel dafür wirklich Sorge rrug, geht deutlich auch daraus hervor,daß die Nachschrift des fortlaufenden Textes selbst eine Reihe vonÜbersichten aufweist, die sich zum Teil sogar überschneiden. Auf denSeiten 54 bis 56 enthält er eine »Einteilung«, welche dem in HomeyersNachschrift, jedenfalls in der Darbietung durch Ilting (Ilt. t, 235),abgesetzten Inhaltsverzeichnis entspricht (auch bei Homeyer hat es denTitel -Einrheilung«). Sieerscheint indemhierpublizierten Manuskriptzu RechtalsTeil desTextes,dasie inSätzenformuliert istund dasie dieBezeichnungen der Abschnitte zusammen mit Erläuterungen zu derenGehalt gibt. Weitere Teilübersichten finden sich: zum abstrakten Recht(69), zur Moralität (9d.), zur Sittlichkeit insgesamt (I28), zur Familie(I29), zur bürgerlichen Gesellschaft {r j r f.), zum Staat (2251.) undzum inneren Staatsrecht (237). Diese Übersichten entsprechen bei derArt, wie die einander folgenden Abschnitte durch Ordnungswörtervoneinander unterschieden werden, weder den dann später folgendenÜberschriften als solchen noch der am Ende stehenden »Inhaltsan­zeige«. Das versteht sich auch daraus, daß diese Übersichten im Text infortlaufender Rede gegeben wurden. In solcher Rede liegt es nahe,nicht nur von Titeln und deren Folge, sondern von der Ordnung derInhalte zu sprechen, also zum Beispiel von einer »ersten Srcfe« stattvon einem »ersten Teil« (69) oder von »dem Ersten« statt von »)I.

Kapite]« (9I). Die in den Überschriften gewählten Terme, Zahlen undBuchstaben könnten also nicht einfach aus diesen Teilübersichtenabgelesen worden sein. Und ohnedies mußte Hegel, wenn er zu einemAbschnitt gelangte, der nicht der erste nach einer solchen Übersichtwar, den Übergang zu diesem Abschnitt markieren und auch inirgendeiner Weise seine Stelle in der Ordnungsfolge bezeichnen, in derer von anderen Abschnitten unterschieden ist. Ob er dabei genau diegliedernden Terme, Zahlen und Buchstaben selbst gebraucht hat,welche die Nachschrift, beinahe konsistent, benutzt, ist von unterge­ordneter Bedeutung. Im Zusammenhang der hier anzustellendenÜberlegung genügt es, daß Hegels Hinweise ausreichten, in derVorlesung selbst oder bald danach, gelegentlich auch mit Hilfe vonZuriickblättern im schon geschriebenen Text, zu diesen Überschriftensamt ihren Bezeichnungen zu gelangen.So ergibt sich diese Schlußfolgerung: Die Inhaltsanzeige des hierpublizierten Textes ist von den Titeln der Nachschrift selbst und vonderen Gliederungen abgeleitet (was übrigens auch die Stellung derAnzeige am Ende des Originalmanuskriptes der Nachschrift aufsEinfachste erklärt). Und diese Titel gehen, abgesehen von möglichen

Rückgriffen auf die verfügbare Diktatfolge aus dem vorausgegangenen~mte~semester, im wesentlichen auf Hegels eigene Angaben zurück,die er m der Vorlesung auf hinreichend eindeutige Weise zu machenhatte.

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SONDERKOMMENTAR III

Identität und Idealität im Text der Nachschriftder Vorlesung von 1819120

Die Auftritte dieser beiden Termini führen an vielen Stellen des hierpublizierten Textes zu Fragen, die nur im Zusammenhang beantwortetwerden können und die deshalb eine besondere Erörterung ver­langen.Zunächst ist eine Übersicht über diese Auftritte zu geben. Sie lassensich in sechs Gruppen gliedern. In Gruppe I (69,25 bis 105,7) erscheintzehnmal -Idealitar- oder -idealisch- in Zusammenhängen, die mit einerAusnahme (91,24) eine Korrektur in .Identuat- oder -identisch- not­wendig oder überwiegend wahrscheinlich machen. - In Gruppe 2

(114,1 bis 161,27) tritt -Identitat- in verschiedenen Zusammenhängen inausschließlich korrektem Gebrauch auf. - Als Gruppe J kann eineZwischenphase im Text zwischen Gruppe 2 und 4 gelten, in der sichgelegentlich ein korrekter Gebrauch von -ideell, und -Das Ideelle­findet; der Term -ideell- ist aber auch schon auf Seite 55,I und 5 inkorrektem Gebrauch. - Zu Gruppe 4 ist dann eine große Anzahl vonStellen zusammenzufassen, an denen durchweg .Identitat- unter Bedin­gungen auftritt, welche beim Vergleich mit dem gedruckten Werk-Rechtsphilosophiee eine Korrektur in .Idealitat- nahelegen (233,27 bis252,7). - Ihr folgt eine Gruppe 5, in der ein der gedruckten -Rechtsphi­losophie- ganz entsprechender Gebrauch von .Idealitat. vorherrscht(275)'0 bis 279,6); mit der einen Ausnahme von 278,21.- Im Schlußab­schnitt über die WeiIgeschichte (Gruppe 6) treten -Identitat- und'-Idealitat- in vereinzeltem und jeweils akzeptablem Gebrauch auf.Der Herausgeber muß erwägen, ob den unvermeidlichen Änderungenin Gruppe I von -Idealitate zu -Identität- entsprechend in Gruppe 4umgekehrt Änderungen von -Identitat- in -Idealirat. vorzunehmensind. Und er muß fragen, welche Hypothesen die Geschlossenheil dereinzelnen Gruppen in Sachen des Gebrauchs der beiden Terme erklärenkönnten.Dabei ist, was den Textbefund betrifft, zunächst des weiteren zuberücksichtigen, daß, wie in allen Fassungen der Rechtsphilosophie,auch im hier publizierten Text ein weiterer Terminus Begels inkorrektem Gebrauch auftritt: das Prädikat -ideell-, das dem Substantiv

-Idealitar- in einer der Bedeutung von -idealisch- entsprechenden Weisezuzuordnen ist. (Auch von -Idealismus- in einer rein logischen Bedeu­tung, die dennoch dem umgangssprachlichen Sinn dieses Wortesnahekommt, kann in diesem Zusammenhang die Rede sein; vgl. Rph.§ 278.) Der reinen Wortgestalt nach sind die Prädikate -ideell- und-identisch- viel deutlicher voneinander unterschieden als die Substan­tiva -Idealität- und -Identirät-, was Einfluß auf die Eindeutigkeit beimGebrauch von Kürzeln und auf die Verläßlichkeil bei ihrer Auflösunghaben kann.Es ist notwendig, zunächst etwas über die Bedeutung dieser Terme inHegels spekulativer Sprache zu sagen. Die Analyse von -Idealitat­findet sich in besonders durchsichtiger und auch für die Rechtsphiloso­phie verbindlicher Form in der ersten Auflage der»Wissenschaft derLogik- (I. Buch, I. Abschn., Kap. 3, A). In der Bestimmung der-Idealirar. sind die Momente des Seins, das nur -Für-sich-Sein- ist,zusammengefaßt. -Idealita« ist so »verschwindende Trennung«, »sichaufhebendes Andersseine. In allem, auf das die Bestimmung -Idealitat­zutrifft, gibt es keine real abgrenzbaren, in irgendeiner Weise auchselbständigen Aspekte oder Bestimmeheiren. Diese Aspekte oderBesrimmrheiten sind insofern nur .ideell-, als sie lediglich in und durchdie Selbstbeziehung des Fürsichseins so etwas wie ein Dasein haben.Nur im Zusammenhang des Bestands des Einen, das für sich ist, habensie ihrerseits überhaupt einen Bestand. In seiner Einheit sind sie so auchunmittelbar aufgehoben. In diesem Sinne sind Vorstellungen in derSeele -ideell-, ohne Dasein außerhalb von deren Fürsichsein, - ebensodie Ziele des Willens, die Ziele nur insofern sind, als der Wille in seinemFürsichsein sie intendiert. In einer anderen Gebrauchsweise kann aberauch dieser Einheit als solcher, der der Seele oder des Willens also,-Idealirar. zugesprochen werden. Sie ist von der Art, daß Differenzen,die in Beziehung auf sie gelten, überhaupt nur für sie sind. Aber auchWirkliches, das selbständige Differenzen zuläßt und entwickelt, istdann ein »Ideelles«, wenn diese Differenzen auf keine Weise »in dieÄußerlichkeit und in das Anderssein verlorene sind (ebd.), sondernwesentlich von der Art, daß sie gänzlich »fur« jenes sind, das so als»Ideelles« zu charakterisieren ist. In diesem Sinne sind »Geist, Gott,das Absolute überhaupt, ein Ideelles- (ebd.), und im selben Sinne istnach der gedruckten .Rechrsphilosophie- ein solches Ideelles auch derStaat.»Identitat« gehört einer anderen "Gruppe spekulativ logischer Begriffezu, der der »Reflexionsbestirnmungen« (Wissenschaft der Logik, 2.

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Buch, I. Abschn., Kap. I, A). In ihnen kommt zum Ausdruck, wie eineBeziehung so beschaffen sein kann, daß ihre Relata ihr Bezogensein aufdas jeweils andere Relatum, das sein Gegenstück oder gar Gegenteil ist,sowohl negieren als auch wesentlich einschließen. »Identirar« ist soNichr-Unterschiedenheir, die aber wesentlich durch die Beziehung aufUnterschied definiert ist. Bloß -formelle. Identität ist die Aufhebungjeden Unterschieds, dann aber auch jeder Bestimmtheit, die sich mittels»Identitat« denken ließe. Dagegen ist »Identitar« in ihrem spekulativgefaßten Begriff jene Nicht-Unterschiedenheit und wesentliche Ein­heit, die auch die Unterschiedenen als solche in sich einbegreift. Soweist die Familie solche Identität in ihren doch real unterschiedenenMitgliedern auf, - ebenso die bürgerliche Gesellschaft durch diewesentliche Abhängigkeit der zugleich doch als selbständig gesetztenBürger voneinander.Wird die Bestimmung der Idealität so gebraucht, daß andere und weiterentwickelte Begriffsbestimmungen nicht vorausgesetzt sind, so läuft sieauf die Aufhebung aller realen Unterschiede hinaus. Identität rein nurfür sich gebraucht läßt solche Unterschiede zu, artikuliert aber ihrewesentliche Abhängigkeit voneinander, die sich aus der ihnen zugrun­de liegenden Einheit versteht. Die Bestimmung der Idealität kann aberauch dort verwendet werden, wo die Bestimmung der Identität zuvorangemessen hat verwendet werden können. Sie besagt dann, daß die inder Identität aufgehobenen Unterschiede nicht nur an sich oder ihremBegriffe nach in und aus der Einheit des Identischen sind, sondern daßaus der Weise ihres Unterschiedenseins ihre Unselbständigkeit unmit­telbar hervorgeht und dies, daß sie nur in Einem und für dies Eine sind.In diesem Sinne ist das Absolute, das als Geist gedacht wird, Identitätund Idealität zumal. Und es ist wenigstens möglich, in der gleichenWeise die Verfassung dessen zu denken, was diesem Absoluten in derrealen Welt entspricht: die sittlichen Einheitsformen und insbesondereder politische Staat.Was nun den Gebrauch der beiden spekulativen Termini in derRechtsphilosophie betrifft, so ist zunächst festzustellen, daß Hegel indem gedruckten Werk von 1820 und besonders in dessen Theorie desStaates -Idealitat- ausgiebig gebraucht. Der Staat ist zunächst dieIdealität der beiden Sphären der Familie und der bürgerlichen Gesell­schaft (§ 262) - wie auch schon in Rph. Wannenmann § 69, S. 105 undin einem Zusatz zu § 4)0 der Enz. H (Ilt. I, 18))-, ist dann aber auchdie Idealität der Institutionen, in die er sich organisiert (§ 266). JeneSphären existieren unselbständig in ihm, diese Institutionen bestehen

nicht nur im Staat, sondern sind so verfaßt, daß das ihnen eigentümli­che Bestehen wesentlich ein Bewußtsein vom Staate als ihrem Zweckund ihrer Einheit einschließt. Die Unselbständigkeit der Institutionenund die Einheit in der sie ihr Bestehen haben, hat ihre eigene Existenzin der -fürstlichen Gewalt< (§ 276), welche gegen die Verselbständigungdes Wirkens der Institutionen steht und die Individualität und Selbstge­nügsamkeit des Staates sowohl repräsentiert als her~tellt..Aber. diese-Idealitat- aller Institutionen wird schließlich auf Ihre eigentlichsteWeise verwirklicht im Verhältnis des Staates nach außen: in derSouveränität gegen außen und besonders im Krieg (§ )21, §325). ?ieBedeutung der negativen Außenbeziehung des Staa:es f~r d~e Defini­tion seiner Idealität ist so groß, daß Hegel für die Einleitung zurTheorie der Verfassung die innere Verfassung als Selbstdiffere?zierungdes Staates von der Souveränität nach außen so unterscheidet, daßüberhaupt erst im letzteren -die bestehenden Unterschiede- in derinneren Organisation -in ihrer Idealität< gesetzt werden (§ 271). ~mübrigen wird. wie schon angemerkt, in der Einleitung (§ yff.) und I~

Zusammenhang der Theorie des Willens die These entfaltet, daß dieBestimmungen des Willens wesentlich -ideelle. .sind, -. in voller. Ent­sprechung zu allen Varianten der Rechtsphilosophie. In diesemGebrauch ist Idealität nicht eine weiter qualifizierende Bestimmungvon etwas, dem wesentlich Identität zukommt. Der Wille muß erstdadurch, daß er in sich selbst zum Denken und Sich~selbst-Denken

wird und so Objektivität gewinnt, in die Möglichkeit kommen, alsreales System zu existieren, das Identität in sei~en Bestimmungen undzugleich Idealität dieser Bestimmungen aufweist. . .Daß Hegel -Idealitat. zur beherrschenden spekulativ-logischenBegriffsbestimmung des Staatsrechts gemacht hat, legt es ~un nah~, .~n

Gruppe 4 des hier publizierten Textes, in der .durchgängig. >!dentltat<auftritt, -Idenrirat- auch durchgängig in -Idealität- zu korrigieren. !mBestand der gedruckten .Rechtsphilosophie- läßt si~h aber auch emeDominanz des äußeren Staatsrechts gegenüber dem mneren erkennen,welche die -Idealitat- des Staates eigentlich in seiner Außenbeziehungverwirklicht sein läßt. Daraus kann ein Grund dafür gewonnen wer­den an der Version des hier publizierten Textes festzuhalten, der iminneren Staatsrecht durchgängig -Identitat- gebraucht und im äußerenStaatsrecht (Gruppe 5) ebenso durchgängig -Idealitat- verwendet. .Wendet man sich nun den anderen überlieferten Texten zur Rechtsphi­losophie zu, die der Vorlesung von 18I9/z0 und dem gedruckten Werkvorausliegen. so zeigt sich, daß in ihnen der Gebrauch von -Idealitar,

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gegenüber dem gedruckten Werk weit weniger ausgeprägt ist. DieHeidelberger Enzyklopädie bestimmt den Staat ganz ohne denGebrauch von -Idealitat. und unter gelegentlicher Benutzung von-Idenritat- bei der Entwicklung des Verhältnisses zwischen den Interes­sen des Einzelnen und der Substanz als -absolutefr) Einheit- (§ 432).Noch wichtiger ist der Befund der Homeyer-Nachschrift (Ilt. I,219ff.). In der Definition des Willens ist zwar gesagt, daß für ihn alleBesonderheit -ideell- gesetzt ist (§ 6, Ilt. I, 242f.; vgl. auch § 114, Ilt. I,324). Die Theorie des Staatsrechts macht aber ebenfalls von -Idealität­keinen Gebrauch. Die fürstliche Gewalt wird als das Organ gefaßt,kraft dessen der Staat »ein wirkliches Eins- ist (§ 122, Ilt. I, 33I). DieAußenbeziehung des Staates wird aus der »unendlichen Beziehung derIndividualität auf sich selbst« (§ '30, Ilt. I, 338) gegenüber den»berechrigren und befestigten besonderer Sphären« (a. a. 0.) entwik­kelt. Das entspricht der logischen Form der Idealität; der Terminus-Idealitat- bleibt aber außer Gebrauch. Für jeden, der nicht schon inHegels spekulative Sprache eingeführt ist, der aber über etwas philoso­phische Bildung verfügt, wird auch die Assoziation von -Einheit- und-Individualitat- mit -Identitat- weit näher liegen als mit dem nur Hegeleigentümlichen, wenngleich bedeutungsträchtigeren Teminus -Ideali­tat., - Noch in der gedruckten -Rechrsphilosophie- bewahrt derTerminus .Einhei« bei der Auffassung des Wesens des Staates eine von-Idealitate relativ unabhängige Funktion. -Substantielle Einheit- (§ 258)bleibt .Grundbesrimmung. (§ 276) des politischen Staates. Sie mußallerdings »als Idealität seiner Momente« (§ 276) näher bestimmtwerden. Doch ist immerhin ein bestimmter Sinn von Einheit, der sichauch als bestimmter Sinn von Identität fassen ließe, in eben dem Sinne,in dem ihn die Homeyer-Nachschrifr kennt, weiterhin Grundlage derStaatsdefinition. und dies ist auch gar nicht anders zu erwarten, soll dieKontinuität der Staatslehre mit der grundlegenden Definition vonSittlichkeit nicht verlorengehen (§§ I42ff.). Die doppelte Idealität desStaates (nach innen und nach außen) ist nur deren höchste Realisie­rung.So ergibt sich der Befund, daß .ideell- in der Definition der Willensbe­stimmung gebraucht wird und daß .Idealitat- die innere Einheit desStaates in der äußeren Beziehung auf andere Staaten charakterisiert,noch ehe die -Identitat- des Staates in dem inneren Verhältnis seinerInstitutionen gleichfalls konsequent durch deren .Idealirär. näherbestimmt wird. Dies wird nun auch durch die Rph. Wannenmannbestätigt. Sie verwendet .ideell- bei der Charakterisierung der Art der

inneren Einheit alles Subjektiven eher häufiger als die gedruckte.Rechrsphilosophie. (z.B. Rph. Wannenmann §§ 5,9, 64f.) und auchim Umkreis der Charakterisierung der Beziehung des Eigentums zurPerson (§§ '5, 25). Schließlich charakterisiert -Idealitat- schon dieAußenbeziehung des Staates (§ 160, S. 370), wenn auch auf andereWeise, als die gedruckte -Rechtsphilosophie- die Souveränität gegenaußen durch die Idealität des Ganzen des Staates auffaßt (Rph. §§320f.). Die innere Staatseinheit wird aber durch Identität gekennzeich­net (§ 123, S. 244); nur ein okkasioneller Gebrauchsfall von -ideell- beider Verhältnisbestimmung des Staates zum Zwangsrecht (§ 128) antizi­piert, aber ohne die Folge definitorischer Festlegung bei der Begriffsbe­stimmung des Staates, die Bedeutung von -Idealitat- in der Staatsdefini­tion der gedruckten -Rechtsphilosophie-.In den späteren Nachschriften Hothos und Griesheims ist sowohl beiminneren wie beim äußeren Staatsrecht die Kategorie der -Idealitat- inpraktisch derselben Weise gebraucht wie in Hegels gedrucktem Werk.Diese Vorlesungen sind nach Hegels Handbuch gehalten und gehörtworden, so daß ein anderer Befund höchst überraschend wäre. Dochfinden sich auch in ihnen bei der Definition des Staates Beispiele einesspezifischen und weitgehenden Gebrauchs von -Identitate, so etwa infolgender Passage: »Diesist die zweite Gestalt der Identität, sie ist nichtnur die einfache Form der Gesinnung, sondern die der Organisation,der politischen Verfassung.« (Griesheim-Nachschrift, Ilt. 4, 644.)Faßt man zusammen, so ergibt sich einmal, daß -Idealitat. zwar diegegenüber -Identitat- höhere Präzision bei der begrifflichen Fassungder Staatstheorie hat, daß aber auch -Identität- zusammen mit dennötigen Spezifikationen dieselben Sachverhalte ausdrücken kann; undes ergibt sich zum anderen, daß Hegel zum extensiven Gebrauch von.Idealitar- in seiner Theorie und Vorlesung über das Staatsrecht, durchden die besondere Einheit des in allen seinen Institutionen sichwissenden Vernunftstaates besonders prägnant ausgedrückt wird,nicht vor dem Jahre 1819 gelangt ist.Aus dieser Erörterung kann man also nunmehr ausdrücklich dieFolgerung ziehen, daß der gehäufte Auftritt von .Identität- in der hierpublizierten Nachschrift an eben den Stellen, an denen nach dergedruckten -Rechtsphilosophie- -Idealirä« zu erwarten wäre, nochkeinen zureichenden Grund für eine Konjektur im Text abgibt.Obgleich diese Folgerung nur negativ ist, hat sie Gewicht angesichtsder Häufung von Stellen mit -Identitat-, die auf den ersten und zweitenBlick eine Konjektur zu fordern scheinen. Sie rechtfertigt die auch in

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diesem besonderen Fall ohnedies allgemein gut begründete Maxime,daß nur im Zusammenhang jedereinzelnen Stelle zu entscheiden ist, obhinreichender Grund besteht, -Identität- durch .Idealitat- zu er­setzen.Die Kommentare zu Stellen mit -Identitat- in der Gruppe 4, diezweifelhaft erscheinen können oder müssen, nennen auch im einzelnendie Gründe> die dazu geführt haben, an allen diesen Stellen mit nureiner Ausnahme (278,2') von einer Konjektur abzusehen (vgl. K233,27; 239,8; 24°,17; 242,32; 278,21). Diese Gründe haben verschie­dene Grade von Stringenz. In einigen Fällen (239-40), wo Konjekturenbesonders nahezuliegen scheinen, erweist sich, daß sie sogar zuSinnwidrigkeiten führen würden.In anderen Fällen, vor allem auf Seite 233,27, würde man sich zurKonjektur entschließen, wenn nicht der in Frage stehende Auftritt von-Idealität- in einem Umfeld von Auftritten von .Identitat- eine uner­wünschte Inkonsistenz geschaffen hätte. Auch die einzige Änderung(278,21) ist nicht etwa unerläßlich; sie wurde am Ende nur vorgenom­men um des konsistenten Gebrauchs einer nahezu identischen Wen­dung im engsten Textzusammenhang willen, also ohne den Anspruchauf Gewißheit über das, was in der Vorlage des Abschreibers wirklichgestanden hat oder stehen sollte.Der Gang der Überlegungen zu allen Stellen mit -Identirat und-Idealitar- im Zusammenhang und der Prüfung jeder der Stellen imeinzelnen hat so ein Ergebnis, das ein weiteres Problem aufwirft. Esbetrifft die Niederschrift des hier publizierten Manuskripts im ganzen;Es war zu konstatieren, daß der Abschreiber in der ersten Phase derAbschrift viele Male -Idealitat- dort schreibt, wo zwingend -Identitat­stehen muß (vgl. K 69,25 und die dort gegebenen Verweise). DerTerminus ist ihm also so geläufig, daß man annehmen kann. erhabe vonseiner Verwendung geradezu abgebracht werden müssen. Angesichtsder sachlichen Notwendigkeit, -Identitat- in den Text zu nehmen. wirdman annehmen können, daß die Vorlage für die Niederschrift Kürzelenthielt (wie etwa -Idt.eoder -Idtat.e),die mit beiden Termen aufzulö­sen waren. Doch hat das Schriftbild der beiden Terme bei eiligerMitschrift im Kolleg auch so ähnlich sein können, daß Lesefehler aufseiren des Abschreibers im Spiel gewesen sein können.In der folgenden Gruppe 2 hat der Abschreiber dann durchgängig-Identitat- geschrieben, und zwar aller Vermutung nach auch durch­gängig korrekt. Und .Identitat- ist auch der einzige von ihm in derwichtigen Gruppe 4 gebrauchte Terminus, dem in der gedruckten

-Rechtsphilosophie- viele Gebrauchsfälle von -Idealitat- entsprechen.Während also am Anfang des Manuskripts .Idealitat- ganz unberechtigtvorherrscht, ist im Hauptteil des Manuskripts -Idenritat. zu ebensoausschließlicher Vorherrschaft gebracht. Doch damit ist die Entwick­lung des Gebra\lchs dieser Termini noch nicht zum Abschluß gekom­men: Mit dem Ubergang zum äußeren Staatsrechtsetzt eine Phase derDominanz von -Idealitat- ein, in welcher der hier publizierte Text zumersten Mal mit dem Sprachgebrauch in Hegels gedrucktem Handbuchübereinstimmt. Wie läßt sich dieser Befund erklären?Der Herausgeber schlägt eine Kombination von zwei Hypothesen(A,B) vor'. Deren erste ist zwar ziemlich sicher, die zweite aber sehrungewiß, obgleich sie, träfe sie zu, Aufschluß über ein Detail desallmählichen Aufbaus der logischen Form von Hegels Rechtsphiloso­phie ergäbe.A) Die Häufung von Stellen mit dem jeweils gleichen Term kann ambesten durch einen Verhaltensgrundsatz des Abschreibers erklärtwerden: Daß im selben engen Textzusammenhang derselbe Term zustehen hat. Siemuß auf diese Weise erklärt werden, wo der durchgängiggewählte Term die durchgängig falsche Textgestalt ergeben hat, - alsoim Falle von Gruppe r. Aber auch in den Gruppen 4 und 5wird dieserGrundsatz zur Wahl desselben Terms im selben Textzusammenhanggeführt haben. Da nun -Idealitar- zunächst vorherrscht und da dieserTerm nicht der natürlichen Sprache des Abschreibcrs angehörenkonnte, muß man annehmen, daß der Abschreiber von seinem Auf­traggeber bei einer ersten Verständigung über die Auflösung vonKürzeln den Hinweis auf Auftritte von -Idealitat. im Text der Nach­schrift erhalten hatte. (Zu Verständigungen zwischen dem Abschreiberund seinem Auftraggeber vgl. K 67,2' und Sonderkommentar 1.) Derwahrscheinlich zwingende Anlaß zu einer solchen Verständigung ergabsich daraus, daß schon in der einleitenden WiIlenstheorie der Terminus-ideell. verwendet wird, in seinem eigentümlichen Hegelisehen unddem Abschreiber sicher nicht vertrauten Sinne. Der Abschreiberkonnte schon bei einer frühen Verständigung auf diese Schwierigkeithingewiesen worden und durch diesen Hinweis dann zur stereotypenAuflösung auch der Kürzel für Identität im Sinne dieses Hinweisesveranlaßt worden sein. Später wird er bemerkt oder erfahren haben,daß oft -Identitar- gewählt werden muß. Und das führte dann zumWechsel seiner Gewohnheit bei der Auflösung von Kürzeln oder beimLesen von Wörtern, bei denen undeutlich war, ob -Identitar- oder-Idealitar, zutrifft. In der Schlußphase der Vorlesung und in Gruppe 5

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muß dann aber Anlaß gewesen sein, wieder zum durchgängigenGebrauch von -Idealitat- überzugehen. Er könnte wohl aus einerneuerlichen Verständigung mit dem Auftraggeber erklärt werden.B) Es ist nun aber durchaus möglich, daß dieser letzte Wechsel von-Identitat- zu -Idealitar-wirklich durch einen Wechsel in der Termino­logie von HegeIs Vorlesung selbst gedeckt und begründet gewesen ist.Verhielte es sich so, würde dies zu folgern sein: Hegel hat in derVorlesung von 1819/20 in der Theorie des inneren Staatsrechts ganz sowie 1818119 die Organisation des Staates aus seiner -Einhei« oder-Identitat- begrifflich gefaßt. Er hat aber im Übergang zum äußerenStaatsrecht, in dem auch nach der gedruckten sRechtsphilosophiec die-Idealitar- der Staatsorganisation im eigentlichsten Sinn verw-irklichtwird, auch den Terminus -Idealität- zuerst in Gebrauch genommen. Imgedruckten Werk hätte er dann die Kategorie der Idealität auch in dieTheorie des inneren Staatsrechts als Explikationsmittel für die innereSouveränität des Staates übernommen. Und so würde es sich erklären,daß auch das Buch selbst noch Spuren einer Bindung von -Idealitat-andas äußere Staatsrecht erkennen läßt. Das wurde schon durch einenVerweis auf § 27' dargetan; (vgl. oben S. )65). So stellen sich hier alsoFragen zur Analyse der begrifflichen Form von HegeIs Rechtsphiloso­phie und zu deren Entwicklung. Sie weiter zu erörtern bleibt Sache derForschung.

37°

NACHTRAG

Anmerkungen zum Verhältnis der Vorlesung von 18qlr8zur Vorlesung von 1819/20

Der Text dieser Edition war schon umbrochen, als bekannt wurde, daßeine Nachschrift von HegeIs Heidelberger Rechtsphilosophie-Vorle­sung in den Besitz des Deutschen Literaturarchivs in Marbach gelangtist. Diese Nachschrift besteht aus 401 Seiten, die in 170 Paragraphengegliedert sind. Die Paragraphen gingen aus Hegels Diktaten hervorund können somit als authentische Hegeltexte gelten. Die Nachschriftist vom Hörer der Vorlesung, dem Jurastudenten Wannenmann,eigenhändig aufgrund seiner Notizen ausgearbeitet worden. Ihr folgt(5. 401-422) im selben Band noch die Ausarbeitung der Einleitung zuder ersten Berliner Rechtsphilosophie-Vorlesung Hegels, die zuvorschon durch Homeyer überliefert war (Ilt. I, 227ff.). Offenkundig istWannenmann Hegel nach Berlin gefolgt. Ob er die Berliner Vorlesungweiter gehört und in einem anderen Band ausgearbeitet hat oder ob eralsbald nach Heidelberg zurückkehrte, ist nicht bekannt.Die Nachschrift Wannenmanns ist leicht zu entziffern. Sie weist- ganzanders als das hier publizierte Manuskript - nur wenige Passagen auf,die der Konjektur bedürfen. Es ist also damit zu rechnen, daß sie baldpubliziert werden kann. Da sie im Besitz einer der bedeutendstendeutschen Bibliotheken ist und da sie zufällig auftauchte, also nicht imGange der Suchaktion eines Forschers zutage kam, kann sogar mitkonkurrierenden Editionen gerechnet werden. Wirklich haben sowohlKarl-Heinz Ilting als auch das Hegel-Archiv in Bochum jeweils einesolche Ausgabe angekündigt.'Seit der Ausgabe der »Grundlinien der Philosophie des Rechts« durchEduard Gans in der Werkausgabe der Freunde und Schüler Hegels vorbald 150 Jahren ist das Material für unsere Kenntnis von HegelsRechtsphilosophie nur durch Splitter vermehrt worden. Alle wichtigenManuskripte und Nachschriften befanden sich seit langem in deutschenöffentlichen Bibliotheken. Daß nach dem Fund der hier veröffentlich­

I Ich danke dem Literaturarchiv Marbach für die Genehmigung zur Benut-zungundzumZitieren derNachschriftundwiederumKarl-HeinzIltingundDr. Meistvom Heget-ArchivfüreinenGedankenaustausch zu diesemneuenManuskript.

37'

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ten Nachschrift durch ihren Herausgeber in der Lilly Library so baldschon eine weitere Nachschrift zu einem bisher nicht dokumentiertenKurs Hegels über die Rechtsphilosophie aufgetaucht ist, stellt einenglücklichen Zufall von hoher Unwahrscheinlichkeit dar. Er zeigt auch,wie viel von einer wirklich systematischen Suche nach Hegeldokumen­ten auch in den europäischen Bibliotheken zu erwarten wäre (vgl. obenS. 12).Für den Herausgeber entstand unabweisbar die Aufgabe, die Nach­schrift Wannenmann zu studieren und zu prüfen, inwieweit aus ihr diein der vorliegenden Ausgabe vorgenommenen Konjekturen gestütztoder angezweifelt werden könnten. Gleichzeitig hat er den Anhang derErläuterungen und Kommentare durch wichtige Hinweise auf den Textder Vorlesung von I8I7h8 in der Nachschrift von Wannenmannergänzt. Obschon deren Edition noch aussteht, ist damit die vorlie­gende Ausgabe der Nachschrift von t8t9120 bereits so gehalten, daß siedurch die zu erwartenden Editionen der Vorlesung von 1817!I8 nichtunzulänglich werden kann und daß sie auch in Beziehung auf einesolche Edition zu benutzen ist.Über diese Erklärung hinaus sind im Nachtrag nur noch einigeAnmerkungen zu Problemen des Gehalts der Rechtsphilosophie He­gels zu machen, - und zwar zu solchen Fragen, die auch die Verhältnis­bestimmung des Heidelberger Vorlesungskurses und der BerlinerKurse zur Rechtsphilosophie betreffen. Sie bleiben auf Hinweise undauf die Probleme eingeschränkt, die auch schon in den Analysen der»Einleitung des Herausgebers- und des »Berichrs zur Edition« Themagewesen sind. Ausführung und Erörterung der Verhälmisbestimmungund Entwicklungsgeschichte der verschiedenen Varianten der Rechts­philosophie Hegels werden die Forschung erneut für lange Zeit zubeschäftigen haben.1. Der Doppelsatz aus Hegels Einleitung zu seiner Vorlesung von1819120, der sich so gewichtig von dem Doppelsatz der gedrucktenVorrede unterscheidet (vgl. oben S. 13-17), kann nun in eine Beziehungzu seinem Vorgänger im ersten Rechtsphilosophie-Kolleg von 1817!I8gebracht werden: Hegel hat nach dem Gespräch, von dem Heineberichtete, als mögliches Äquivalent für den Doppelsatz eine andereFormulierung angeboten, die teils als aufklärend, teils als wenigeranstößig als der gedruckte Doppelsatz erscheinen mochte: »Alles, wasvernünftig ist, muß sein« (vgl. oben S. 14). Wannenmanns Nachschriftenthält nun gerade diese Formulierung in unterschiedlichem Zusam­menhang und über den Text des ganzen Semesters hinweg mehr als

372

zehnmal. Siefungiert wie ein metaphysisches Leitmotiv im politiktheo­retischen Zusammenhang der Vorlesung: Es ist seine Rolle, die rechts­philosophische Thesenfolge immer wieder mit der Einsicht zu ver­knüpfen, daß Wirklichkeit in Vernunft begründet und daß sie somitgegenüber Vernunft nicht widerständig ist. Und diese seine Rollemacht es verständlich, wie der Grundsatz nun, als Doppelsatz formu­liert, schließlich zum monumentalen Eingangsmotto der Rechtsphi­losophie werden konnte. Schon am Eingang in die Mitte des Ganzengestellt, brauchte er im Gang des Kurses nicht wiederholt zu werden.In Wannenmanns Nachschrift tritt der ursprünglich von Heine über­lieferte Satz nirgends in Doppelform oder mit einem Ansatz zu einerFormulierung in der Doppelform hin auf. Die durch das »mulj«indizierte Notwendigkeit im Dasein des Vernünftigen ist auch nichtdurchgängig geschichtstheoretisch gefaßt, also als Ausdruck für dieUnwiderstehlichkeit des historischen Ganges des Geistes zur ganzenwirklichen Freiheit, so wie die hier publizierte Vorlesung den Doppel­satz verwendet. Das »muß« kann sich auch aus der Notwendigkeit imBegriffszusammenhang erklären, die von allem Wirklichen von vorn­herein zu erfüllen ist. Aber auch diese Affirmation der Vernunft in derWirklichkeit wird nirgends so behauptet und aufgerufen, daß als ihrprimärer Zweck die -Rechtfertigung der bestehenden Institutionengegenüber jedem Denken oder Verlangen auf Fortgang hin erscheinenkönnte. Das »muß«, wenn es nicht direkt aus geschichtstheoretischenIntentionen kommt, hat jedenfalls nur die Bedeutung einer Rechtferti­gung aus der Ontologie der Idee. Das zeigt sich unter anderem daran,daß das »muß« der Vernunft in HegeIs Formulierungen auch dasunbedingte Recht des einzelnen Subjektes zum Gegenstand habenkann; »Die Substanz muß sein, und der einzelne muß sein ... « (§ 69Anm.). Überhaupt neigt Hegel durchgängig dazu, immer dann, wenner feststellt, daß das Allgemeine notwendig wirklich werden muß,zugleich auch festzustellen, daß dies aber nur im Bewußtsein oderdurch den Einzelnen geschehen könne (§§ 1J2, 136). Im übrigen wirddas ontologische Leitmotiv der Vorlesung überwiegend in seinergeschichtstheoretischen Ausprägung aufgenommen: »Der Volksgeistist die Substanz, was vernünftig ist, muß geschehen, indem überhauptdie Verfassung eine Entwicklung ist ...« (§ 134 Anm.); »weil dieSittlichkeit der Standpunkt der Wahrheit ist, muß sie Existenz haben,muß verwirklicht werden« (§ 69 Anm.).2. Neben dem Doppelsatz in geschichrstheoretischer Formulierunghinterläßt Hegels Analyse der Dynamik der bürgerlichen Gesellschaft

373

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in der hier publizierten Nachschrift den nachhaltigsten Eindruck (vgl.oben S. 18-2)). Viele der Motive, die in diese Analyse und in ihrePhänomenologie des Rechtes der Subjektivität der Armut eingehen,finden sich auch im Text der Nachschrift von Wannenmann. Sie sindhier aber verstreut und bilden nicht den Zusammenhang aus, aus demHegels Vortrag von r819hQ bis zur sachlichen Konsequenz einesNotrechts zum Aufruhr vorgestoßen ist. Das mag sich zum Teil darauserklären, daß Hege! durch den Wegfall der Diktate Zeit und rhetori­sehen Schwung für die Entfaltung eines Zusammenhanges gewann, derin der Diktatfolge nur zur Erläuterung hatte dienen können. Derbesonderen Anlage des Vortrags von 18I9/20 verdanken wir also aucheine der gehaltreichsten Analysen zu einem historisch bedeutendenThema, zu der es auch weiterhin im Werke Hegels kein Pendant gibt.Man kann allerdings mutmaßen, daß Hegel auch vor seinen Studentengern die Gelegenheit wahrnahm, seine Kraft zur kritischen Diagnosevon Weltverhältnissen in Beziehung auf die bürgerliche Gesellschaft zugebrauchen, die auf dem Gebiet der Theorie des Staates durch dieVerteidigung des eigentlich Gegenwärtigen gegen die abstrakten Idealeder vergangenen Revolution gebändigt und stillgestellt war.3. Die Nachschrift von Wannenmann enthält gleichfalls nicht dieausführliche Kritik des moralischen Bewußtseins (vgl. oben S. I7f.).Auch sie bleibt also ein nur der Nachschrift von I8I91zo eigenerBestand, durch den sie mit den kritischen Überlegungen zu KantsMoraltheorie aus Hegels Jugendzeit verbunden ist. Auf andere Weiseist allerdings das Kolleg von I8I7II8 noch enger an die ursprünglichenMotive von Hege!s Rechtsphilosophie angeschlossen: Die Bezug­nahme auf Kantische Fragestellungen und die Darlegung der Notwen­digkeit, sie zu übersteigen, ist noch als ein Grundzug im Aufbau derRechtsphilosophie insgesamt deutlich zu erkennen.4. In der Theorie der fürstlichen Gewalt (vgl. oben S. 24-26) stimmendie Nachschriften von den Kursen von I8I7h8, I8I8h9 und I8I91zoim wesentlichen miteinander überein. »Man hat viel darüber räso­niert, daß unsere Regenten fast nichts tun als ihren Namen unterschrei­ben; aber man sieht den Wert dieses Formellen nicht ein« (Rph. Wan­nenmann § 138). Dennoch muß man sagen, daß die Weise, in der Hegeldie Theorie des Staates entfaltet, in Heidelberg einen anderen Ton undDuktus hat, als der es ist, den wir aus allen Nachschriften seinerBerliner Zeit kennen. Hegels Staatsbegriff ist auf der These begründet,daß in der Verfassung der modernen konstitutionellen Monarchie diesittliche Substanz und deren objektive Vernünftigkeit und die Subjekti-

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vitar des Einzelnen in eine vollständige Integration kommen. Und diesist gleichbedeutend damir, daß der Wille in seinem ganzen UmfangEinsicht wird. Diese Einheit konstituiert schon nach Hegels Willens­theorie den Geist als objektiven. Stets hat man es in diesem Sinne zuverstehen, wenn Hegel den Staat als die Wirklichkeit der sittlichen Ideedefiniert. Aber die Nachschrift Wannenmann betont weit mehr als alleBerliner Nachschriften die ursprüngliche und gleichberechtigte Bedeu­tung der Einzelheit und des Subjektiven in der Gesamtverfassung desStaates. Auch in ihr tritt Hegel allen Auswirkungen einer Subjektivitätentgegen, die sich aus dem substantiellen Zusammenhang von Geistund Institutionsgefüge der Verfassung abscheiden oder in imaginärenTheorien lossprechen will. Aber die Subjektivität, welche diese Institu­tionen mit konstituiert und wissend verwirklicht, hat in dem besonde­ren Aufbau dieser Institutionen einen jeweils eigentümlichen Ort undAuftrag. So wird (§ 129) die Staatsverfassung von vornherein nach zweiSeiten betrachtet, nach der ihrer »inneren organischen Bestimmung­und der von »Zuteilung und ... Anteil der Individuen an (den)allgemeinen Geschäfren«. Dieser Ansatz, der durch die Grundlagenvon Hegels Konzeption voll abgedeckt ist, hat Auswirkungen inHegels Analyse vieler Staatsinstitutionen, - am auffälligsten in derTheorie der gesetzgebenden Gewalt. Hier, wie auch in der Theorie deröffentlichen Meinung, hat man noch nicht zu lesen, daß die Subjektivi­tät in der modernen Verfassung nur ihre Anerkennung und ihrGewähren zu finden hat. Sie ist vielmehr positiver Grund der Verwirk­lichung auch im Sinne der Durchsetzung ihrer Vernünftigkeit. Sokommt in Hegels Darlegung mehrfach ganz selbstverständlich dasArgument auf, daß die Korporationen als Organe der »Selbstverwal­tung« bis hin zu ihrer Rolle bei der Konstitution der gesetzgebendenGewalt die Funktion einer Garantie gegen Beamtenwillkür (§ 145) unddagegen haben, daß der Staar als Regierung zur bloßen Herrscherge­walt werde (§ 148). So zeigt sich, daß die These, derzufolge dieIndividuen kein Recht an den Staat haben, weil sie alle Rechte durch ihnhaben (Homeyer Nachschrift, Ilt. I, p8), durchaus mit einer Theorievereinbar ist, nach der die Verfassung des Staates selber und in sich dasInstitut von Rechtsgarantien der Verfassungsorgane gegeneinandervorsieht. In der gedruckten -Rechrsphilosophie- wird der Gedanke vonGarantien bei der Entfaltung des Staatsbegriffes dem abstrakten Den­ken angelastet. Und die Bezugnahme auf Kontrollen und Sicherungen,die sich auch in dem gedruckten Werk durchaus findet (Rph. §§ 295>297) isr so abstrakt gehalten, daß sie das Bild einer politischen

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.

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Lebenswelt nicht beeinträchtigt, die sich unter der fürstlichen und derregierenden Gewalt harmonisch-konfliktlos entfaltet. Sie scheint dieVernunft der Einzelnen über besondere Institutionen nur noch in sicheinzubinden. Deren Vernunft ist so nur die der Einsicht und des tätigenDienstes, der aus solcher Einsicht folgt, - nicht die der anderenArt vonWirkung, die aus Einsicht in das Vernünftige und seine Wirklichkeitkommt, die aberauch für den kleinen Teil des einzelnen Lebens jeweilsund auch über möglichen Widerstand hinweg ins Werk zu setzenbleibt.Es muß wohl angenommen werden, daß eine solche Verschiebung inder Entfaltungsweise von HegeIs politischer Theorie mit dem Wechselin der politischen Umgebung HegeIs beim Übergang aus dem schonwirklich liberalen badischen Heide!berg in das preußische Berlin ineinen Zusammenhang zu bringen ist. Es ist aber wichtig, sich deutlichzu machen, daß diese Verschiebung ohne Veränderung im eigentlichenspekulativ-begrifflichen Fundament von Hegels Theorie zustandekommen konnte. So zeigt sich - wie auch im Fall der Differenzenzwischen der Vorlesung von ,8'9120 und dem gedruckten Werk desgleichen Jahres - erneut, daß das Auditorium und die Rahmenbedin­gungen von Hege!s Vortrag erheblicheAuswirkungenhatten. Siedürfennur nicht Anlaß dafür sein, eine Wandlung im theoretischen Gehaltseines Denkens anzunehmen. Über die Gründe für diese Differenz undden weiten Spielraum zu ihrerAusfüllung bleibt weiter nachzudenken;mehr noch über die Möglichkeit zum Aufbau einer politischen Theo­rie, die nicht schon mit ihrem Ansatz hinter Hegels Werk und die inihm erreichte Einheit von ontologischer und politischer Theoriezurückfallen müßte.

---....,..-i

KONKORDANZ

Im folgenden werden die Paragraphen der, 82' von Hege! publizierten»Grundlinien der Philosophie des Rechrs« dem fortlaufenden Text derhier veröf~ent.lichten Nachs~h:ift der Vorlesung von 1819120zugeord­net. Dabei WIrd nur das Minimum der Leistung angestrebt, die einesolche Konkordanz erbringen könnte: Den fortlaufenden Ausführun­gen des Vorlesungstextes werden nur die wesentlichen Themen undThesen der Paragraphenvon 1821und ohne eigene Hervorhebung ihrerAnmerkungen koordiniert. Auf diese Weise wird dreierlei auffälliggemacht: I. I~wlewelt der innere Aufbau der Vorlesung dem desBuch.~s entspricht, 2. an welchen Stellen die Vorlesung weitläufigeAusfuhrungen enthält, die im gedruckten Werk fehlen, J. wo dieNachschnft vermutlich Lücken aufweist. Vor allem aber soll dieparallele Benutzung dieser Edition und der von Hegel publiziertenRechtsphilosophie erleichtert werden.Weitergehende sachliche Schlußfolgerungen zum Verhältnis der beidenVarianten der Rechtsphilosophie zueinander könnten nur aus einer vollausgearbeiteten Konkordanz hergeleitet werden, in der die Formulie­rungen und die Inhalte der Thesen der beiden Texte im einzelnenaufeinander zu beziehen wären. Sie würde selbst den Umfang einesBuches annehmen, - und eines starken Bandes dann, wenn auch dieanderen Nachschriften und Hegels Ausarbeitungen zu seinen Vorle­sungen berücksichtigt würden.Die angege~enen.Seiten- und Zeilenzahlen sind die der vorliegendenAusgabe. D!e. Seltenangabe bezieht sich jeweils auf den Anfang derPassage, der die Ausführung eines der Paragraphenoder seiner Anmer­kungen entspricht. Der doppelte Auftritt von Paragraphenzahlen kannSIch durch.em verändertes Arrangement von Paragraphen, etwa durchden .,Auftntt von ~nmerkungen in einem anderen Zusammenhangerklären, - zum Tell aber auch aus einem wiederholenden Überblickden Hege! am Beginn einer neuen Vorlesungsstunde gegeben hat. '

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Grundlinien Nachschrift der § 42 72,9der Philosophie Vorlesung von I8I9/20 § 43 Anm. 72, 11des Rechts in dieser Ausgabe § 53 72,27

§ 47 73, 3Vorrede 46,3-52, 12 §57 73, '7Einleitung Übersicht der Wissenschaft § 44 74, 16§4 52, 14 § 49 74, 18§ 3 53>3 § 50 74, 31§ 33 54, 10 §jI 75, 3§2 56, 23 § 52 75, 6§ 5 58,27 A. Besitznahme§ 6 60, 5 § 55 75, 9§ 8 60, 15 § 56 75, 22§9 60, 19 § 58 75, 27§7 60,22 B. Gebrauch der Sache§ 10 62, I § 59 75> 3'§II 62,9 § 61 76, 5§ '5 63, I § 62 76,7§ 20 63, 5 § 63 76, 14§ '9 63,25 § 62 77, 2

§ 18 63,27 § 64 78, 5§ 21 64, 12 C. Entäußerung des Eigentums§22 65, '3 § 65 78, 12§ 33 65, 18 § 66 78, '5Erster Teil Erster Teil § 67 79, IDas abstrakte Recht Das abstrakte Recht § 68 79,9§34 67, '7 § 69 79,25§ 35 67, 21 § 70 80,9§ 36 67, 25 Übergang von Eigentum 2. Kapitel§37 68, '9 zum Vertrag Der Vertrag§ 38 68,24 § 7' 8I, 2§ 39 69, 10 Zweiter Abschnitt§ 40 69, 17 Der VertragErster Abschnitt I. Kapitel § 72 81, 8Das Eigentum Besitz und Eigentum § 75 81,25§ 4'

7°,21 § 76 82, 14§ 42 70, 27 §77 82, 16§ 43 7', 3 § 78 82,21§ 44 71,9 § 80 83,9§ 45 71, 21

378 379

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3. Kapitel § ,,8 94,7Das Unrecht Zweiter Abschnitt

§ 81 83,26 Die Absicht und das Wohl

Dritter Abschnitt § "9 95, I

Das Unrecht § 120 95,9§ 82 84,7 2. Kapitel

§ 83 84, 12 Wohl und Absicht

A. Unbefangenes Unrecht § 121 95,20

§ 85 84,27 § 122 95> 25B. Betrug § 123 95,27C. Zwang und Verbrechen § 124 96, 12

§ 90 85, 8 § 125 100, 9

§ 9' 85, " § 126 100, I I

§ 92 85, '4 § 127 100, I5

§ 93 85, 16 3. Kapitel

§ 96 85, 27 Das Gute und das Gewissen

§ 97 86,} § 128 101, 3

§ 98 86,4 Dritter Abschnitt

§ 99 86, I I Das Gute und das Gewissen

§ 100 87, '3 § 129 101, II

§ 101 88,21 § '3 'rOI, 19

§ 102 89, '5 § '34 102, 3

§ 103 89,24 § '48 1° 3, 27Übergang vom Recht Zweiter Teil § '35 104, 25in Moralität Die Moralität § 1}2 106,3

§ 104 9 1 , 3 § '40 106, 20

Zweiter Teil § '37 Irr, 3I

Die Moralität § '39 112,2

§ 105/7 91, 14 § '40 II3, 24§ 108 91, 27 Übergang von der Moralität

§ "4 92, 3 in Sittlichkeit

§ 108 92, 15 § '4 '120, 22

I. Kapitel Dritter Teil Dritter TeilHandlung und Vorsatz Die Sittlichkeit Die Sittlichkeit

§ "3 93, 3 § '42 122,6

§ "4 93, 10 § '44 122, 19

Erster Abschnitt § '46 123, 9Der Vorsalz und die Schuld § '47 123, 27

§ "5 93, '7 § '52 124, 13

§ "7 93,22 § '5 '124, 20

380 38I

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§ 146

§ '5°§ 156

§ '55

§ '57Erster AbschnittDie Familie§ 158

§ '59§ 160A. Die Ehe§ 161

§ 164§ 163§ 176§ 162§ 166

§ 167§ 168B. Das Vermögen der Familie

§ '7°§ '7 'C. Die Erziehung der Kinderund die Auflösung der Familie

§ 173

§ '74§ '75§ '74§I75§ 178

§ '79§ 180Übergang der Familie in diebürgerliche Gesellschaft§ 181Zweiter AbschnittDie bürgerliche Gesellschaft§ 18)

124, 29125, 15126, 10

127, I

1. KapitelDie Familie128, 10

128, 26129, 12

129, 17a. Die Ehe13°,9IJl, '913 2, I4133,21

134,4'35, 26140,7140, 20

b. Eigentum der Familie142, 2

142 , 17c. Auflösung der Familie

143, 12

143, 14143, 18

143,20

143, 29145, 11

146, 3146, I I

146, 282. KapitelDie bürgerliche Gesellschaft147, 5

§ 182

§ 184§ 187§ 189§ 185§ 188A. Das System der Bedürfnissea) Die Art des Bedürfnissesund der Befriedigung

§ '9°§ 189

§ '9 '§ '92

§ '93§ '94§ '95b) Die Art der Arbeit

§ '96

§ '97§ 198c) Das Vermögen

§ '99§ 200§ 201§ 202

§ 2°3§ 206

§ 2°3§ 2°4§ 2°5§ 2°7§ 208B. Die Rechtspflege§ 2°9a) Das Recht als Gesetz§ 21 I

§ 21 5§ 212§ 214

'47, '3148,4148, 22

'48,27148, 3°I y r, 27

a. Das System der Bedürfnisse

152, 12

152, 22

'5), '3'55, 5'55,9I5S,21

'55,33

'5 6,4157, 13158,25

160, 3161, 5161,3 1163, 1616 3, 23163, 25164, '5166,3166, 29167, 12167, 26

168, II

b. Die Rechtspflege169, 27171, 28

173,3'73, 2)

Page 192: Hegel Phi Lo Sophie Des Rechtes Vorlesung 1819 1820

199, '9200,3

201, 12

230, 20

234, 32a. Die fürstliche Gewalt238:,20238, 23239, 6239, I3239, 29242, 29

245, 8249, 12

251, 1325 I, 26

252,3 2253, 18253, 27

202, 232° 3, 2203, 232 ° 4, IJ206,8

2°7, I5207, 173. KapitelDer Staat208, 17

2°9, 321 3, 2 5225, 23a. Das innere Staatsrecht226, I I

226,25227, 22

228,4230, I I

§ 246§ 247§ 249b) Die Korporation§ 25 I

§ 212§ 254§ 253§ 25°§ 255§ 256Dritter AbschnittDer Staat§ 257§ 258

§ 27°§ 259A. Das innere Staatsrecht§ 260§ 264§ 268

§ 269§ 27 1

I. Innere Verfassung für sich§ 272§273a) Die fürstliche Gewalt§ 278§ 279§ 276§ 277§ 279§ 280§ 281§ 286§ 278§ 282

§ 283§ 284

§ 285

'93, 5193, I I

193, 16'94, 16196, 30'98, 14198, 33'99, 5199, 10

189, 7189, 22

189, 3419°, 5190, II

190, 16

191, 15191, 29192, 26

174,3175, 28'76, 26

'78,9'78, 16178, 22

'79, 5179, 17

'79, 33ISO, 10

181, 16182, 5182, 32183, 4184, '3c. Die Polizei

§ 229 187, 2C. Die Polizei und Korporation§ 230 187, 12a) Die Polizei§ 23

'§232§ 233§ 234§ 235§ 236§ 237§ 238§ 239§ 24°§ 24

'§ 243§ 244§ 245§ 248§ 246§ 247§ 245

b) Das Dasein des Gesetzes§ 216§ 217§ 218c) Das Gericht§ 219§ 220§ 219§ 220§ 221§ 222§ 223§ 224§ 225§ 226§ 227§ 228

Page 193: Hegel Phi Lo Sophie Des Rechtes Vorlesung 1819 1820

b) Die Regierungsgewalt ß. Die Regierungsgewalt§ 287 254,4§ 288 254, 12§ 289 254, 23§ 290 256, 16§ 29' 256, 29§ 292 256, 33§ 294 257, 8§ 296 258, '3§ 297 258, 20c) Die gesetzgebende Gewalt y. Die gesetzgebende Gewalt§ 298 259,4§ JOD 259, 11

§ JOI 259, '9§ 299 261, '7§ 30J 264, 28§ J05 266, I§ J06 266, 12§ 307 266, 26§ J08 267, 21§ J09 268, 4§ 3'0 268,20§ J 12 268, JO§ JI4 270, JO§ JI5 270, J2§ JI6 27', '7§ J I7 27

',29§ 318 272,23§ JI9 27J,20§ J20 275, 2Ir. Die Souveränität gegen außen§ J21 275, 26§ J22 276, J§ J24 276, 7§ J25 276, 33§ J26 277, 8§ J27 277, 22§ J28 277, 28

b. Das äußere Staatsrecht§ 329 278, 21

r

B. Das äußere Staatsrecht

§ 330

§J33§ J29§ JJ2§ JJ8§ 34°C. Die Weltgeschichte

§ 34'§ J4 2

§ J43§ 344§ 345§ 346§ 347§ 349§ J50

§ J5 I

§ J5J§ J54§ 348§ J55§ J56

§ 357§ 358

§ 359§ J60

278, 27278, 29279,7279, 14279, 20279, 31c. Die Weltgeschichte280, I I

280, 16280, 19281,728 I, 12

28 I, 24

28 r, 33283, 8284, 5284, 10284, 12285, I

285, 6285, 29287, 4288, I289, 6290, I

290, 23

Page 194: Hegel Phi Lo Sophie Des Rechtes Vorlesung 1819 1820

PERSONENREGISTER

Orts- und Götternamen sind nicht aufgenommen. Vornamen nur)wenn eine Verwechslung möglich erscheint. Die Schreibweise ist dieheute gebräuchliche, nicht norwendig die des Originals.

Stryk 176Thompson, Bartholomäus '75

Thukydides 97Wieland 1}2

Achill 287Alexander 102, 285,287Andromache IJ 6Antigone r r y, 136, 208Aristides 99. 102

Aristoteles 51. 126, 210, 287Blackstone I7I

Brutus I I I

Caesar 98, 102, I Ir, 285Cassius I I I

Christus '}}, '94, 222f.Creuzer, Friedrich 165Crispinus r08

Cromwell 218Descartes 5I

Dionysius 171 f.Euripides IJ6Feuerbach, Paul Johann

Anselm 87Fichte 82,113,118,145,152,

190, 234Friedrich der Große 248Goethe 102, II I, I29

Haller, Car! Ludwig v. '78Hektor 1}6Helena 141

Herkules 125Herodot 48Horner 48, 114

Jacobi, Friedrich Heinrich 97,II}

Julia 129

Justinian 172

Karrt 69, 87, I04f., 113, 120,

131,279Kar! I (von England) 218Kar! der Große 285, 287Kent 252

Kreon 208

Kyros 285Lear 252

Lucretia 141

Ludwig XVI 249f.Machiavelli 255f.Montesquieu 175.235 f., 250Moses 13}

Napoleon 172,229,285Niemeyer I 16Ödipus 9}f.Orest 117Pausanias 242Platon 47f., 51, 132, I49f.) 290Robespierre 2 I 8Rousseau 82, 149, 212f.Salomon 219,245Schelling 28}Schiller 1} 9Schlegel, Friedrich II}

Shakespeare 129Smith, Adam Ij8f.Sokrates 51,110, II3, 120, 125Solon 261Sophokles 48, '36, 208Spinoza 2}4