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Christine Beckerle Alltagsintegrierte Sprachförderung im Kindergarten und in der Grundschule Evaluation des »Fellbach-Konzepts«

Beckerle Alltagsintegrierte Sprachförderung im ... · Die Autorin Christine Beckerle, Jg. 1985, Dr. phil., ist Mitarbeiterin am Institut für Sonder-pädagogik an der Leibniz Universität

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Christine Beckerle

Alltagsintegrierte Sprachförderung im Kindergarten und in der GrundschuleEvaluation des »Fellbach-Konzepts«

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Christine Beckerle Alltagsintegrierte Sprachförderung im Kindergarten und in der Grundschule

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Christine Beckerle

Alltagsintegrierte Sprachförderung im Kindergarten und in der Grundschule Evaluation des „Fellbach-Konzepts“

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Die Autorin Christine Beckerle, Jg. 1985, Dr. phil., ist Mitarbeiterin am Institut für Sonder-pädagogik an der Leibniz Universität Hannover. Aktuell arbeitet sie in einem Evaluationsprojekt der Initiative „BiSS – Bildung durch Sprache und Schrift“. Diese Arbeit wurde 2015 an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt als Dissertation eingereicht.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme. Dieses Buch ist erhältlich als: ISBN 978-3-7799-3445-5 Print ISBN 978-3-7799-4509-3 E-Book (PDF) 1. Auflage 2017 © 2017 Beltz Juventa in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel Werderstraße 10, 69469 Weinheim Alle Rechte vorbehalten Herstellung: Ulrike Poppel Satz: Helmut Rohde, Euskirchen Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany Weitere Informationen zu unseren Autoren und Titeln finden Sie unter: www.beltz.de

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DANKE für die Wegbegleitung …

… an erster Stelle an die beiden Betreuerinnen meiner Arbeit, Diemut Kucharz und Katja Mackowiak, die ich sehr schätze. Ich danke euch für die bisherige gemeinsame angenehme und anre-gende Arbeitszeit, für euer Vertrauen in mich, alle beruflichen Möglichkeiten, die ihr mir schon geboten habt, und ganz beson-ders für eure kontinuierliche fachliche und menschliche Unter-stützung, durch die ich mich immer gut weiterentwickeln konnte. Durch euch habe ich mich in der Welt der Wissenschaft eingefunden, und durch euch hat sich meine Freude und mein Interesse am Forschen verstärkt. Ich hoffe, dass wir weiterhin vielfältige Wegabschnitte teilen werden!

… an meine Eltern und Brüder – wie gut ich es habe, dass es euch vier gibt!

… an meine Kolleg/innen der Uni Hannover, u. a. Jonas Dalhoff, Sarah Deutscher, Thorben Lahtz, Marian Laubner, Ulla Licandro, Carina Müller, Gwen Reimann, Martina Ruhmland, Satyam Schramm, Heike Wadepohl und Marie Wolf.

… an die Projekt-Hilfskräfte, u. a. Lena Bogena, Nicole Buchcik, Sarah Jonas, Natalie Spohn und Carolin Wicker, sowie Nina Weiß.

… an die am Fellbach-Projekt beteiligten Mitarbeiter/innen der Stadt, Erzieherinnen, Grundschullehrerinnen, Eltern und Kin-der.

… an die Robert Bosch Stiftung, das Forschungskolleg Frühkindli-che Bildung und meine Mentorin Lilian Fried.

»This above all: to thine own self be true.« (Shakespeare)

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Inhalt

Einleitung 9

THEORETISCHER TEIL 13

1. Verschiedene Arten der Sprachförderung und deren

Wirksamkeit 14 1.1 Verschiedene Arten der Sprachförderung 14 1.2 Wirksamkeit von Sprachförderung 22 1.3 Fazit 37

2. Sprachförderaufgaben und -kompetenzen von Pädagog/innen 39 2.1 Aufgaben und Kompetenzen von Pädagog/innen im Bereich

alltagsintegrierter Sprachförderung 40 2.2 Exkurse zu ausgewählten Aufgaben und Kompetenzen im

Bereich alltagsintegrierter Sprachförderung 48 2.3 Aufgabenbewältigung und Kompetenzstand von Pädagog/innen

im Bereich alltagsintegrierter Sprachförderung 65 2.4 Fazit 81

3. Weiterqualifizierungskonzepte zu alltagsintegrierter

Sprachförderung und zu deren Wirksamkeit 83 3.1 Weiterqualifizierungskonzepte zu alltagsintegrierter

Sprachförderung 86 3.2 Wirksamkeit von Weiterqualifizierungskonzepten zu

alltagsintegrierter Sprachförderung 92 3.3 Fazit 98

EMPIRISCHER TEIL 101

4. »Fellbach-Konzept« 102 4.1 Konzeption 102 4.2 Erprobung des Konzepts 106

5. Methode 108 5.1 Fragestellungen 108 5.2 Untersuchungsdesign 113 5.3 Stichprobe 115

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5.4 Datenerhebung 118 5.5 Datenaufbereitung 126 5.6 Datenauswertung 129

6. Ergebnisse 142 6.1 Ergebnisse der Interviewauswertung 142 6.2 Ergebnisse der Videoauswertung 181 6.3 Ergebnisse der Sprachtestauswertung 208

7. Gesamtdiskussion und Ausblick 220 7.1 Bewertung des »Fellbach-Konzepts« und Implikationen für

Weiterqualifizierungen im Bereich alltagsintegrierter Sprachförderung 220

7.2 Bewertung der »Fellbach-Evaluationsstudie« und Forschungsausblick 226

7.3 Schlusswort 231

Zusammenfassung 233

Literaturverzeichnis 234

Abbildungsverzeichnis 261

Tabellenverzeichnis 263

ANHANG 266

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Einleitung

Die Entwicklung von Sprachkompetenzen zählt zu den zentralen Entwick-lungsaufgaben von Kindern (vgl. Weinert & Lockl 2008), Sprachkompeten-zen dienen als Basis für einen erfolgreichen Bildungsweg (vgl. Gogolin et al. 2003; Holler 2007) und werden als »Lebenschancen« betrachtet (vgl. Kraus 2004; Auernheimer et al. 2006). Es zeigt sich aber, dass viele Kinder nicht über ausreichende Sprachkompetenzen im Deutschen verfügen, was teil-weise schon im Kindergarten erkannt, oftmals aber erst beim Übergang in die Grundschule verstärkt in den Blick genommen wird. Dies betrifft – abgesehen von Kindern mit entwicklungsbedingten Verzögerungen oder Störungen im Bereich Sprache – insbesondere Kinder, die in ihren Familien durch soziale Benachteiligung oder Mehrsprachigkeit weniger angemessen unterstützt werden können (vgl. Mengering 2005; Dubowy et al. 2008; Be-cker et al. 2013; Gesundheitsberichterstattung für Niedersachsen 2013).

Vor diesem Hintergrund besteht ein breiter Konsens darüber, dass es die Aufgabe von Pädagog/innen ist, die kindliche Sprachentwicklung in Kin-dergärten und Schulen zu begleiten und zu unterstützen. Eine professionelle Sprachförderung in pädagogischen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen wird von der öffentlichen, bildungspolitischen, wissenschaftlichen und pädagogisch-praktizierenden Seite gefordert. Ausgelöst und immer wieder verstärkt wurde die bis heute anhaltende und aktuelle Diskussion über Sprachförderung in Deutschland insbesondere durch Veröffentlichungen von ernüchternden Ergebnissen international vergleichender Studien zur frühen Bildung (z. B. »Starting Strong – Early Childhood Education and Care«, OECD 2001, 2006) und zum schulischen Lernen (z. B. »Programme for International Student Assessment (PISA)«, OECD 2015). Seit etwa 15 Jahren scheint das Thema Sprachförderung nicht an Brisanz verloren zu haben.

In diesem Zeitraum hat sich unter Einbringung vieler Ressourcen schon sehr viel in Deutschland bewegt: Es wurden Sprachförderprogramme zum Einsatz in Kindergärten und Schulen entwickelt, Sprachförderkurse für Vorschulkinder eingerichtet und Sprachförderangebote in Zusammenarbeit mit Eltern etabliert; all diese Sprachfördermaßnahmen adressieren vor-nehmlich Kinder mit sprachlichen Rückständen und verfolgen ein kompen-satorisches Ziel. Zudem wurde die durchgängige und alltagsintegrierte

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Sprachförderung als Teil des Bildungsauftrags von Kindergärten und Schu-len formuliert; dabei sind alle Kinder, unabhängig von ihren Sprachkom-petenzen zu berücksichtigen, da diese Sprachförderung eine primär prä-ventive Funktion hat (vgl. Fried 2009; Lisker 2011; Kiziak et al. 2012; Schneider et al. 2012; Kammermeyer & Roux 2013).

Während die Bildungspolitik in diesem Zusammenhang eine Steue-rungsfunktion im Hinblick auf die pädagogische Praxis (z. B. Etablierung von Orientierungsplänen und Bildungsstandards) und die Wissenschaft (z. B. Vergabe von Geldern und Auftragsforschung) einnimmt, betreiben verschiedene Wissenschaftsdisziplinen notwendige Grundlagen- sowie Evaluationsforschung, um die Effektivität von Sprachförderung in deut-schen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen zu analysieren und zu opti-mieren. Die Hauptverantwortung und -arbeit liegt jedoch bei Erzieher/ innen1 und Lehrer/innen, die in der Praxis mit Kindern arbeiten und sprachförderlich tätig sind. Die Kooperation der bildungspolitischen, wis-senschaftlichen und pädagogisch-praktischen Ebene gelingt in Einzelpro-jekten bereits gut und wird aktuell auf deutschlandweiter Ebene durch Ini-tiativen unterstützt (z. B. »Offensive Frühe Chancen«, BMFSFJ 2014; »Bil-dung durch Sprache und Schrift (BiSS)«, DIPF 2015).

Erstaunlich ist, dass trotz aller Bemühungen bis heute nicht vollständig geklärt ist, wie wirksame Sprachförderung aussieht, welche Gestaltungs-merkmale Erfolgsindikatoren sind und auf welche Kompetenzen von Päda-gog/innen es besonders ankommt (vgl. Knapp et al. 2010; Lisker 2011; Roos et al. 2011b; Tracy 2011; Schneider et al. 2012; Hardy & Steffensky 2014; Lee et al. 2014). Relativ klar wird aber der Standpunkt vertreten, dass den sprachfördernden Erzieher/innen und Lehrer/innen eine bedeutungsvolle Rolle zukommt und dass das Gelingen von Sprachförderung maßgeblich von ihnen und ihren Sprachförderkompetenzen abhängt (vgl. Fried 2008; Fried & Briedigkeit 2008). Jedoch sind Pädagog/innen im Bereich Sprach-förderung meistens noch nicht so gut ausgebildet, dass sie den anspruchs-vollen Aufgaben gerecht werden können, weshalb hier ein hoher Weiter-

1 In dieser Arbeit wird der Begriff »Erzieher/innen« stellvertretend für alle Pädagog/innen ge-nutzt, die im Elementarbereich arbeiten, obgleich damit eigentlich nur eine bestimmte schulisch ausgebildete Berufsgruppe gemeint ist und in Kindergärten vielfältige Berufsgrup-pen, auch akademisch ausgebildete Kindheitspädagog/innen, vertreten sind. Diese begriffli-che Vereinfachung wird vorgenommen, da andere Berufsgruppen nur einen geringen Anteil des Personals ausmachen, Kindheitspädagog/innen erst seit kurzer Zeit in die Praxis eintre-ten (vgl. Fröhlich-Gildhoff et al. 2014) und in der vorliegenden Studie nur fachschulisch ausgebildete Erzieherinnen beteiligt waren.

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qualifizierungsbedarf besteht (vgl. Fried 2010; Kany & Schöler 2010; Knapp et al. 2010; Schneider et al. 2012; Kammermeyer & Roux 2013).

Die vorliegende Dissertation verfolgt das Erkenntnisinteresse, das Sprachförderkonzept »Durchgängige alltagsintegrierte Sprachförderung im Kindergarten und in der Grundschule in der Stadt Fellbach« (Kucharz & Mackowiak 2010, 2011; Kucharz et al. 2015), das auf einer Weiterqualifizie-rung für Erzieher/innen und Grundschullehrer/innen beruht, hinsichtlich seiner Wirksamkeit zu untersuchen und mögliche Merkmale effektiver alltagsintegrierter Sprachförderung abzuleiten.

Es wird davon ausgegangen, dass die teilnehmenden Pädagog/innen durch die Weiterqualifizierung ihre Sprachförderkompetenzen ausbauen, dadurch ihren Sprachförderaufgaben noch besser gerecht werden und sich dies in einer optimierten Sprachförderung im Kindergarten- und Grund-schulalltag niederschlägt, von der die Kinder profitieren, indem sie ihre Sprachkompetenzen optimaler weiterentwickeln.

Im Theorieteil dieser Arbeit wird der theoretische und empirische For-schungsstand zu drei wesentlichen Themen dargestellt und diskutiert: In Kapitel 1 werden verschiedene Arten der Sprachförderung, nämlich addi-tive und alltagsintegrierte Ansätze, vorgestellt und hinsichtlich ihrer bisher erforschten Wirksamkeit diskutiert. In Kapitel 2 werden die Sprachför-deraufgaben und -kompetenzen von Pädagog/innen zusammengestellt; ebenso wird anhand des Forschungsstands herausgearbeitet, inwiefern sie bereits die Aufgaben alltagsintegrierter Sprachförderung bewältigen und über die erforderlichen Kompetenzen verfügen. In Kapitel 3 werden Kon-zeptionen von Weiterqualifizierungsmaßnahmen im Bereich alltagsinte-grierter Sprachförderung beleuchtet.

Im Empirieteil dieser Arbeit steht die Evaluation des »Fellbach-Kon-zepts« im Vordergrund. In Kapitel 4 wird die Konzeption, die im Auftrag der Stadt Fellbach von Kucharz und Mackowiak (2010, 2011; Kucharz et al. 2015) entwickelt wurde, sowie deren Erprobung in Fellbacher Einrichtun-gen im Projektjahr 2010/11 vorgestellt. In Kapitel 5 werden die Fragestel-lungen und Hypothesen sowie das methodische Vorgehen der Evaluations-studie geschildert. Die erzielten Evaluationsergebnisse werden in Kapitel 6 dargestellt und interpretiert. Eine Gesamtdiskussion mit einem Ausblick bildet in Kapitel 7 den Schluss dieser Arbeit.

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THEORETISCHER TEIL

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1. Verschiedene Arten der Sprach-förderung und deren Wirksamkeit

In den letzten Jahren ist in Deutschland eine kaum zu überblickende Viel-falt an Konzepten, Trainingsprogrammen und Materialien zur Sprachförde-rung in pädagogischen Institutionen zu verzeichnen (vgl. Lisker 2011; Ki-ziak et al. 2012; Schneider et al. 2012).

Im vorliegenden Kapitel wird der Versuch unternommen, diesen regel-rechten „Angebotsdschungel“ (Jampert et al. 2007: S. 12) an Sprachförder-maßnahmen – dieser Terminus wird übergreifend für Konzepte, Trainings-programme und Materialien verwendet (vgl. Bunse & Hoffschildt 2014) – zu durchschauen. Hierzu werden verschiedene Arten der Sprachförderung im pädagogischen Kontext vorgestellt (Kapitel 1.1) und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit diskutiert (Kapitel 1.2). Ein Fazit schließt dieses erste Kapitel ab (Kapitel 1.3).

1.1 Verschiedene Arten der Sprachförderung

Der Begriff »Sprachförderung« ist seit einigen Jahren in aller Munde – in der pädagogischen Praxis, in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen (z. B. Pädagogik, Psychologie, Linguistik, Sprachdidaktik), in der Bildungspolitik wie in der Öffentlichkeit. Obgleich in den meisten Kontexten die Bedeutung dieses Begriffs nicht hinterfragt wird, weil diese klar zu sein scheint, fällt bei genauerer Betrachtung auf, dass der Begriff unterschiedlich genutzt und ausgelegt wird. Zudem existieren in diesem Themenbereich auch viele wei-tere Begriffe, die mit unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen Ver-wendung finden. Daraus resultiert, dass sowohl unterschiedliche Arten der Sprachförderung auf den ersten Blick als sehr ähnlich als auch ähnliche Maßnahmen als sehr unterschiedlich aufgefasst werden können (vgl. Fried 2009; Schneider et al. 2012; Jungmann & Albers 2013; Kammermeyer & Roux 2013).

Um zu klären, was unter dem Begriff »Sprachförderung« verstanden werden kann und welche weiteren Begriffe in diesem Themenbereich vor-kommen, werden im Folgenden zuerst grundlegende Begriffsklärungen

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vorgenommen (Kapitel 1.1.1) und anschließend Merkmale von Sprachför-dermaßnahmen abgeleitet, die deren Charakterisierung und Systematisie-rung dienen (Kapitel 1.1.2). In einem weiteren Schritt wird der zentrale Begriffsgebrauch für die vorliegende Arbeit bestimmt (Kapitel 1.1.3).

1.1.1 Begriffsklärungen im Bereich Sprachförderung

Sprachförderung als Begriffsklammer

Der Begriff »Sprachförderung« wird als „Begriffsklammer für unterschiedli-che Sachverhalte verwendet, die häufig nicht klar unterschieden bzw. nicht präzise bezeichnet werden“ (Fried 2009: S. 173; vgl. auch Reich 2008; Schneider et al. 2012; Kammermeyer & Roux 2013). Diese übergeordnete Begriffsbedeutung vereint die gemeinsame Schnittmenge der Gesamtheit an verschiedenen Definitionen:

Sprachförderung bedeutet eine „positive Beeinflussung der Sprachentwicklung

von Kindern“. Sie ist „möglich, weil bei der Sprachentwicklung von Kindern

nicht nur biologische, sondern auch umweltspezifische Faktoren eine bedeu-

tende Rolle spielen“ (Fried 2009: S. 173).

Sprachförderung wird demnach als Begleitung und Unterstützung der na-türlichen Sprachentwicklung verstanden. Durch den Einsatz verschiedener Methoden soll die kindliche Sprache zur Weiterentwicklung angeregt wer-den, was entweder einen Aufbau, eine Stabilisierung oder einen Ausbau der Sprachkompetenzen bedeuten kann.

Sprachförderung vs. Sprachbildung

Der Begriff »Sprachförderung« bezeichnet zugleich eine bestimmte Art, die kindliche Sprachentwicklung in pädagogischen Institutionen zu begleiten und zu unterstützen. In diesem Zusammenhang wird ihm meist der Begriff »Sprachbildung« gegenüberstellt, der eine andere Art umfasst, die kindliche Sprache in Erziehungs- und Bildungseinrichtungen anzuregen. Diese sys-tematisierende Terminologie wird auch in der »BiSS-Expertise« von Schneider et al. (2012) verwendet, die im Folgenden als Grundlage dient.2

2 Im Jahr 2012 wurde die »BiSS-Expertise« als „ein Vorschlag für eine neue gemeinsame Initiative von Bund und Ländern im Bereich der Sprachförderung“ (Schneider et al. 2012: S. 4) veröffentlicht und fungierte als Anstoß zu einem großen wissenschaftlich begleiteten Forschungsvorhaben zur Verbesserung der Sprachförderung (sowie Sprachdiagnostik und

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Unter Sprachförderung fassen Schneider et al. (2012: S. 9) den Einsatz von Sprachförderprogrammen, d. h. die Durchführung vorgegebener mo-dularisierter Fördereinheiten, mit denen „spezifische Kindergruppen und/ oder Kinder mit spezifischem Sprachförderbedarf“ in ausgewählten Sprach-kompetenzbereichen, z. B. der phonologischen Bewusstheit oder dem Wortschatz, gefördert werden. Die Förderung erfolgt meist im letzten Kin-dergartenjahr für die Kinder, die in der Sprachstandserhebung der Ein-schulungsuntersuchung aufgefallen sind. Gefördert wird zu bestimmten Zeiten „außerhalb des üblichen Alltagsgeschehens“ oft in einer „unter-richtsähnliche[n] Struktur“.

In Abgrenzung dazu verstehen Schneider et al. (2012: S. 8–9) unter Sprachbildung „die Unterstützung der Sprachentwicklung“ aller Kinder als „eine zentrale Aufgabe der Erziehung, Bildung und Betreuung in Kinderta-geseinrichtungen“, die auch in den Bildungsplänen aller Bundesländer ver-ankert ist. Dabei kommt die „Gestaltung einer sprachförderlichen Umge-bung“ zum Tragen, im Sinne einer „Herstellung spezieller sprachförderli-cher Situationen (z. B. Vorlesen, Rollenspiele)“ sowie einer „Beachtung der Möglichkeiten einer Unterstützung der sprachlichen Bildung im gesamten Alltag“.

Eine derartige systematisierende Gegenüberstellung zweier unterschied-licher Arten von Sprachförderung im pädagogischen Kontext findet sich bei vielen Autor/innen wieder, die jedoch nicht stringent mit der Terminologie von Schneider et al. (2012) arbeiten. Stattdessen wird eine große Bandbreite an Begriffspaaren genutzt – eine Auswahl3 befindet sich in Tabelle 1.1 –, wobei deren Bedeutungen den Definitionen von »Sprachförderung« und »Sprachbildung« nach Schneider et al. (2012) sehr ähnlich sind.

Tab. 1.1: Bezeichnungen verschiedener Arten von Sprachförderung im pädagogischen Kontext

Autor/innen Sprachförderung (Schneider et al. 2012)

Sprachbildung (Schneider et al. 2012)

Reich (2008) --- Sprachbildung/Sprachförderung im engen Sinne

Fried (2009) Sprachförderung/spezifische Sprachförderung

Sprachbildung/allgemeine Sprachförderung

Leseförderung) in ganz Deutschland, das aktuell umgesetzt wird. Das grundlegende Doku-ment wird daher vielfach im wissenschaftlichen Kontext zitiert.

3 Ausgewählt wurden wissenschaftlich gängige theoretische Arbeiten im Bereich Sprachförde-rung, nicht etwa Veröffentlichungen zu speziellen Sprachfördermaßnahmen.

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Autor/innen Sprachförderung (Schneider et al. 2012)

Sprachbildung (Schneider et al. 2012)

Knapp et al. (2010)

Inszenierte Sprachförderung Sprachförderung im Alltag

Lisker (2010, 2011)

Sprachstrukturelle Förderpro-gramme/additive Sprachförde-rung

Ganzheitliche Sprachförderkon-zepte/alltagsintegrierte Sprach-förderung

Adler (2011) Spezifische Sprachförderung/ Sprachförderung im engen Sinne

Allgemeine Sprachförderung/ Sprachförderung im weiten Sinne

Kiziak et al. (2012)

Sprachförderung in gesonderten Kleingruppen/inszenierte Sprachförderung

Alltagsintegrierte Sprachförderung

Ruberg & Roth-weiler (2012)

Strukturorientierte Sprachförde-rung/Sprachförderung mit Pro-grammen in Kleingruppen

Nicht strukturorientierte Sprach-förderung/Sprachförderung im Alltag

Günther & Trömer (2013)

Sprachförderung ---

Kammermeyer & Roux (2013)

Sprachförderung/additive Sprach-förderung

Sprachbildung/alltagsintegrierte Sprachförderung

Bunse & Hoff-schildt (2014)

Sprachstrukturelle Sprachförde-rung/Sprachförderung mit Pro-grammen

Programmunabhängige Sprach-förderung im Alltag

Kurtz et al. (2014) Additive Sprachförderung Sprachintensiver Unterricht

Bei den Bestimmungen dieser Begriffe nennen die Autor/innen weitere charakteristische Merkmale der beiden verschiedenen Arten von Sprach-förderung im pädagogischen Kontext, mit denen sich die Definitionen von Schneider et al. (2012) ergänzen lassen: Sprachförderung wird eine kompensatorische bzw. sekundär präventive

Funktion zugeschrieben (vgl. Fried 2009; Kammermeyer & Roux 2013), da fehlende bzw. unzureichende sprachstrukturelle Kompetenzen kompensiert werden sollen (vgl. Adler 2011; Ruberg & Rothweiler 2012; Günther & Trömer 2013; Bunse & Hoffschildt 2014). Allerdings wird die Förderung meist nicht mit den Ergebnissen von Sprachstandserhebungen verknüpft, weshalb sie „in der Regel nicht speziell auf die festgestellten sprachlichen Defizite Bezug“ (Kiziak et al. 2012: S. 13) nimmt. Die Verwendung von vorgegebenen modularisierten Sprachförderprogrammen wird teilweise als „ekletizistisch“ (Kammermeyer & Roux 2013: S. 515) beschrieben. Im Schulbereich findet die Förderung häufig in Form von Deutsch-Förder-stunden statt (vgl. Kurtz et al. 2014). Sprachbildung hingegen gilt als universelle bzw. primäre Prävention (vgl.

Kammermeyer & Roux 2013) und soll Kinder „so anregen, dass sich deren Sprache in all ihren Facetten optimal entfaltet“ (Fried 2009: S. 173). Geför-

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dert werden Kinder in Interaktion mit der Umwelt entsprechend dem indi-viduellen kindlichen Entwicklungsstand (vgl. Adler 2011; Kiziak et al. 2012; Ruberg & Rothweiler 2012). Dabei wird nicht „oberflächlich und unspezi-fisch“ (Adler 2011: S. 18), sondern gezielt vorgegangen, aber die Umsetzung kann „mehr oder weniger »förderlich«, d. h. mehr oder weniger umfang-reich, vielfältig, anregend (…) sein und dem Kind entsprechend größere oder geringere Chancen der Sprachaneignung bieten“ (Reich 2008: S. 13; vgl. auch Ruberg & Rothweiler 2012). Zentral ist eine „sprachförderliche Grundhaltung“ (Kiziak et al. 2012: S. 13) der Pädagog/innen in Form einer „sprachlich-kommunikative[n] Zuwendung“, die als „Nährboden jeder Sprachentwicklung“ und „Rohstoff jeder Sprachaneignung“ (Reich 2008: S. 13) gilt.

Allerdings werden in einigen wenigen Veröffentlichungen auch Merk-male eingebracht, die sich nicht mit den Definitionen von Schneider et al. (2012) vereinbaren lassen und bei denen unklar ist, wie sie sich praktisch realisieren lassen:

Zur Sprachförderung heißt es teilweise, dass sie „kein exklusives Zusatz-angebot“ sein muss, sondern „ein inklusives tägliches Förderangebot“ (Günther & Trömer 2013: S. 245) sein kann, von dem alle Kinder profitie-ren, z. B. in Form einer „individualisierte[n] Begleitung von Schülern mit besonderem Sprachförderbedarf“ (Kurtz et al. 2014: S. 6) eingebettet im Regelunterricht. Zur Sprachbildung wird vereinzelt erwähnt, dass auch mit vorgegebenen modularisierten Sprachförderprogrammen gearbeitet werden kann.

Sprachbildung, Sprachförderung und Sprachtherapie im Drei-Stufen-Modell

Bunse und Hoffschildt (2014) machen einen erweiternden Systematisie-rungsvorschlag und verorten die beiden Arten von Sprachförderung im pädagogischen Kontext in einem Drei-Stufen-Modell: Auf der ersten Stufe befindet sich Sprachbildung und auf der zweiten Stufe Sprachförderung; diese Stufen werden um eine dritte Stufe, nämlich die Sprachtherapie, er-gänzt.

Mit diesem Modell veranschaulichen Bunse und Hoffschildt (2014), dass die Begleitung und Unterstützung der kindlichen Sprachentwicklung stu-fenweise expliziter und spezifischer wird, weil die erste Stufe eine Art sprachlicher Basisförderung im pädagogischen Kontext darstellt und bei der zweiten und dritten Stufe ausgewählte Kinder »on top« in gesonderten pä-dagogischen oder therapeutischen Kontexten im Bereich Sprache gefördert werden. Bunse und Hoffschildt (2014) weisen darauf hin, dass die Maß-

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nahmen auf den verschiedenen Stufen auch parallel zueinander umgesetzt werden können und nicht als miteinander konkurrierend zu verstehen sind, da es Kinder gibt, die neben einer Förderung im Alltag zusätzlich eine För-derung in Kleingruppen in Erziehungs- und Bildungseinrichtungen brau-chen, um ihre Rückstände zu kompensieren, und es Kinder gibt, die neben dieser Förderung auch eine Therapie benötigen, in der intensiv an der je-weiligen individuellen Verzögerung oder Störung gearbeitet wird4 (vgl. auch Fey & Proctor-Williams 2000; Hacker 2002; Tracy 2003; Maihack & de Langen-Müller 2006; Reich 2008; Fried 2009; Baumgartner 2010; Jampert et al. 2011a; Hellrung 2012; Kiziak et al. 2012; Schneider et al. 2012).

In diesem Systematisierungsvorschlag von Bunse und Hoffschildt (2014) wird also der Zusammenhang zwischen pädagogischen und therapeuti-schen Maßnahmen, die kindliche Sprachentwicklung zu begleiten und zu unterstützen, inhaltlich ausformuliert. Dies erweist sich als Besonderheit, da in anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen mit pädagogischer Fe-derführung darauf verzichtet wird. Hier wird die Abgrenzung zwischen Sprachförderung im pädagogischen Kontext und Sprachtherapie vereinzelt gar nicht thematisiert (vgl. z. B. Reich 2008; Adler 2011) und größtenteils nur ganz kurz aufgezeigt (vgl. z. B. Jampert 2007; Fried 2009; Knapp et al. 2010; Günther 2010; Hellrung 2012; Schneider et al. 2012; Kurtz et al. 2014). In sprachtherapeutischen Veröffentlichungen hingegen werden die Unter-schiede ausführlicher geschildert (vgl. z. B. Maihack & de Langen Müller 2006; Schrey-Dern 2006; Baumgartner 2010; Neumann & Euler 2013).

1.1.2 Merkmale von Sprachfördermaßnahmen

In einigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen wird nicht explizit zwi-schen den beiden Arten von Sprachförderung im pädagogischen Kontext unterschieden, sondern es werden Merkmale erwähnt, anhand derer sich verschiedene Maßnahmen charakterisieren und systematisieren lassen.

Während in manchen Quellen nur einzelne Merkmale in den Fokus ge-stellt werden (vgl. z. B. Weinert & Lockl 2008; Redder et al. 2010, 2011; Ruberg & Rothweiler 2012; Bunse & Hoffschildt 2014), anhand derer Sprachfördermaßnahmen nicht in ihrer Gänze beschrieben werden können, werden in anderen Quellen Kombinationen oder umfassende Raster vorge-

4 Eine Beleuchtung von Sprachtherapie geht über diese Arbeit hinaus, weil dieser Bereich nicht in der Verantwortung von Pädagog/innen in Krippen, Kindergärten und Schulen liegt (vgl. Maihack & de Langen-Müller 2006; Baumgartner 2010; Kany & Schöler 2010; Grohn-feldt 2012; Schneider et al. 2012; Bunse & Hoffschildt 2014).

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20

stellt (vgl. z. B. Jampert 2007; Jampert et al. 2007; Kany & Schöler 2010; Knapp et al. 2010; Kammermeyer & Roux 2013), die die Komplexität von Sprachfördermaßnahmen eher abbilden. Auch hier ist eine unterschiedliche Begriffsnutzung der verschiedenen Autor/innen erkennbar.

Tab. 1.2: Merkmale von Sprachfördermaßnahmen5

Merkmale von Sprachfördermaßnahmen

Herkunft • Praxis vs. Wissenschaft • Pädagogisch vs. linguistisch vs. interdisziplinär

Institution • Vorschulischer vs. schulischer Bereich • Krippe vs. Kindergarten vs. Grundschule* • In einer Institution vs. durchgängig in verschiedenen Institutionen*

Zielsprache • Deutsch/Einsprachigkeit vs. Herkunftssprache/Zweisprachigkeit vs. Fremdsprache/Mehrsprachigkeit

• Alltagssprache vs. akademische/Bildungssprache*

Weiterqua-lifizierung

• Vorhanden vs. nicht vorhanden

Evaluation • Vorhanden vs. nicht vorhanden

Art Additive Sprachfördermaßnahmen

Alltagsintegrierte Sprachfördermaßnahmen

Typ Programm Konzept

Funktion Kompensatorisch/sekundär präventiv Universell/primär präventiv

Setting In gesonderten Situationen Durchgängig im Alltag

Zuständige Fachkräfte

Einzelne interne oder externe Fachkräfte Alle mit den Kindern arbeitenden Fachkräfte

Zielgruppe Einzelne Kinder z. B. mit Sprachförderbedarf (Risiko, Verzögerung, Störung), mit spezifischen Störungsbildern, mit Deutsch als Zweitsprache, mit sozialer/Bildungsbenachteiligung, aus spezifischen Altersgruppen

Alle Kinder

Sprach-kompe-tenzberei-che

Einzelne Sprachkompetenzbereiche z. B. Laut-wahrnehmung und -bildung, Wortschatz, Kom-munikation/Pragmatik, Grammatik/Sprach-strukturen, Literacy/Schriftspracherwerb, Sprachbewusstheit/metasprachliche Kompe-tenzen, Wahrnehmungs-/Gedächtnistraining

Gesamte Sprachent-wicklung

Methoden Strukturierte Sprachübungen mit vorgegebenem Material

Sprachanregende Inter-aktionsgestaltung

5 Vgl. Jampert 2007; Jampert et al. 2007; Weinert & Lockl 2008; Kany & Schöler 2010; Knapp

et al. 2010; Redder et al. 2010, 2011; Ruberg & Rothweiler 2012; Kammermeyer & Roux 2013; Bunse & Hoffschildt 2014.

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21

In Tabelle 1.2 wurde der Versuch unternommen, einen inhaltlichen Über-blick über die gefundenen Merkmale zu schaffen, wofür eine ausgewählte Terminologie genutzt wurde. Da sich bei der Erstellung der Tabelle ergab, dass einzelne für die Autorin relevant scheinende Merkmalausprägungen von Sprachfördermaßnahmen in den Quellen nicht vorkamen, wurden diese mit einem * versehen ergänzt.

Während die ersten fünf Merkmale – Herkunft, Institution, Zielsprache, Weiterqualifizierung und Evaluation – von Sprachfördermaßnahme zu Sprachfördermaßnahme unterschiedlich aussehen können, unterscheiden sich die weiteren sieben Merkmale in ihrer Ausgestaltung grundsätzlich dahingehend, ob es sich um Sprachförderung oder Sprachbildung handelt. Beiden Sprachförderarten können nämlich jeweils bestimmte Typen, Funk-tionen, Settings, zuständige Fachkräfte, Zielgruppen, Sprachkompetenzbe-reiche und Methoden zugeordnet werden, die auch schon bei den Definiti-onen in Kapitel 1.1.1 Erwähnung fanden. Die Unterscheidung zwischen Sprachförderung und Sprachbildung wurde daher in die Tabelle integriert.

Zu kurz gegriffen erscheinen in der Tabelle zu Recht die Sprachförder-methoden, was wie folgt zu begründen ist: Die Sprachfördermethoden wer-den in den verschiedenen Quellen sehr heterogen beschrieben. Die Band-breite an Gestaltungsmöglichkeiten ist generell groß, und je nach Maß-nahme werden spezielle Schwerpunkte gesetzt. Zudem sind insbesondere in diesem Bereich die verwendeten Bezeichnungen bzw. Beschreibungen so divergierend, dass sich oft nicht feststellen lässt, ob von gleichen oder ver-schiedenen Methoden die Sprache ist. Auf dieser Grundlage war eine fun-dierte Kategorisierung der Sprachfördermethoden nicht möglich. Auf die methodische Gestaltung alltagsintegrierter Sprachförderung wird in Kapi-tel 2 aber weiter eingegangen.

1.1.3 Definitionen in der vorliegenden Arbeit: »Additive Sprachförderung« und »alltagsintegrierte Sprachförderung«

Nach der Diskussion um die in der wissenschaftlichen Literatur vorkom-menden Bezeichnungen und Beschreibungen von Sprachfördermaßnah-men werden an dieser Stelle die Definitionen festgehalten, die in der vorlie-genden Arbeit Verwendung finden.

Die beiden zu unterscheidenden Arten der Sprachförderung im pädago-gischen Kontext werden in Anlehnung an Lisker (2010, 2011) sowie Kam-mermeyer und Roux (2013) als »additive Sprachförderung« und »alltagsin-tegrierte Sprachförderung« bezeichnet.

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Zur additiven Sprachförderung werden – wie in der wissenschaftlichen Literatur üblich (vgl. z. B. Schneider et al. 2012) – Maßnahmen gezählt,

• die eine kompensatorische bzw. sekundär präventive Funktion haben,

• die sich an einzelne Kinder mit sprachlichen Schwierigkeiten im Deutschen richten,

• die in zeitlich und räumlich begrenzten Settings außerhalb des Kindergarten- bzw. Schulalltags stattfinden,

• die oft auf Sprachförderprogrammen bzw. -übungen zu spezifi-schen Sprachkompetenzbereichen basieren

• und die von ausgewählten Sprachförderkräften durchgeführt wer-den.

Unter alltagsintegrierter Sprachförderung werden – wie auch in vielen ande-ren wissenschaftlichen Quellen (vgl. z. B. Schneider et al. 2012) – Maßnah-men verstanden,

• die eine universelle bzw. primär präventive Funktion haben, • die alle Kinder ansprechen können, • die immer und überall im pädagogischen Alltag und durchgängig

in allen pädagogischen Institutionen umgesetzt werden können, • die meist auf einer an den individuellen Sprachstand der Kinder

angepassten bewussten sprachanregenden Interaktionsgestaltung beruhen

• und die von allen mit den Kindern arbeitenden Pädagog/innen durchgeführt werden.

1.2 Wirksamkeit von Sprachförderung

Trotz der enormen Bedeutung wirksamer Sprachförderung wurden bisher in Deutschland nur einzelne Sprachfördermaßnahmen auf ihre Wirksam-keit hin geprüft. Die existierenden Befunde sind teilweise widersprüchlich. Zudem entsprechen nicht alle Evaluationsstudien wissenschaftlichen Qua-litätsstandards, wozu u. a. (1) eine ausreichend umfangreiche Stichprobe, (2) ein Längsschnitt- und (3) ein Kontrollgruppendesign sowie (4) ein sys-tematisches Vorgehen bei der Datenerhebung mittels den Gütekriterien entsprechenden Erhebungsmethoden gehören, weshalb nicht alle Ergeb-nisse zweifelsfrei interpretiert werden können (vgl. Bortz & Döring 2006;

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Böttcher et al. 2006; Esser 2011; DeGEval 2014). Es gibt also noch einen großen Bedarf an Wirksamkeitsforschung im Bereich Sprachförderung, da noch kein Konsens darüber besteht, wie eine erfolgreiche Sprachförderung gestaltet werden kann. Insbesondere Fragen nach den differenziellen Effek-ten, der Stabilität von Effekten und den Transferwirkungen auf andere Sprach- bzw. Entwicklungsbereiche sind bislang nur unzureichend geklärt (vgl. Jampert 2007; Jampert et al. 2007; Weinert & Lockl 2008; Fried 2009; Knapp et al. 2010; Redder et al. 2010, 2011; Strehmel 2010; Lisker 2011; Reichert-Garschhammer & Kieferle 2011; Ricart Brede 2011; Roos et al. 2011a; Kiziak et al. 2012; Kuger et al. 2012; Ruberg & Rothweiler 2012; Schneider et al. 2012; Schröder & Schründer-Lenzen 2012; Kammermeyer & Roux 2013; Schneider et al. 2013; Lee et al. 2014; Stamm 2014).

In den folgenden drei Unterkapiteln werden der Reihe nach Wirksam-keitsbefunde zu additiven (Kapitel 1.2.1), alltagsintegrierten (Kapitel 1.2.2) sowie kombinierten alltagsintegrierten und additiven (Kapitel 1.2.3) Sprachfördermaßnahmen aus Deutschland vorgestellt – dabei sind jeweils die Forschungsdesigns der Evaluationsstudien hinsichtlich der Einhaltung der vier genannten Kriterien kritisch zu beleuchten.6 Im Anschluss wird ein Einblick in den internationalen Forschungsstand geboten (Kapitel 1.2.4).

1.2.1 Nationale Befunde zu additiven Sprachfördermaßnahmen

Obgleich in Deutschland additive Sprachförderung auf eine mehrere Jahr-zehnte umfassende Tradition zurückblickt, liegen nur einige Evaluations-studien zu solchen Maßnahmen vor. Die Befunde sind ernüchternd, da manchen Maßnahmen keine Wirksamkeit zugeschrieben wurde, teilweise verschiedene Studien zur selben Maßnahme zu unterschiedlichen Ergebnis-sen kamen und sich positive Effekte ausschließlich auf einzelne Kinder-gruppen oder einzelne Sprachkompetenzbereiche bezogen und von kurzer Dauer waren (vgl. Schneider et al 2012; Kammermeyer & Roux 2013).

6 Diese basiert auf einer umfangreichen Literaturrecherche, jedoch kann aufgrund der Fülle an Initiativen und Veröffentlichungen kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden.

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Tab. 1.3: Evaluierte additive Sprachfördermaßnahmen in Deutschland

Tab.1

.3:E

valuierteadditiveSprachförderm

aßnahmeninDeutschland

AdditiveSprachförderm

aßnahmen

Evaluationen

AnzahlderKinder

AlterderKinder

BesonderheitenderKinder

Prä-Post-Vergleich

Modell-Kontroll-Vergleich

Spracherhe-bungsmethoden

UntersuchteSprachkompe-tenzbereiche

Wirksamkeits-befunde:Kinder

»WürzburgerTrainingsprogramm

zur Förderung derphonologi-

schenBewusstheit«(Küsp

ert&Schneider1999)

Rotheetal.(2004)

103

4–6

xx

Test

PB

(+)P

honologische

Bewusstheit

Weberetal.(2007)

438

5–6

xx

Test

SG,P

B(+)P

honologische

Bewusstheit

»KonstanzerLa

bor(Kon-Lab)«(Penner2003)

Penner(2005)

?4–6

mehr

xx

Test

Syn,M

or

(+)S

yntaxundMorphologie

beim

ehrsprachigenKindern

Pröscholdtetal.(2013)

439

4–6

xx

Screen,Test

SG,P

ho,P

B,S

em,

Syn,M

or

»HandlungundSprache«(Häuser&Jülisch

2006)

Wolfetal.(2011)

709

4–6

schwach

xx

Test

Sem,S

yn(+)S

emantikbeisprach-

schwach

en Kindern

»Deutsch

für denSchulstart«(Kaltenbacher&Klages2007)

Sachse

etal.(2012)

125

5–6

mehr

xTest

SG,P

ho,S

em,S

yn,

Mor

»Lobovom

Globo«(Fröhlichetal.2009)

Fröhlichetal.(2009)

191

5–7

xx

Test

PB

(+)P

honologische

Bewusstheit

»FitinDeutsch«im

LandNiedersachsen

Koch

(2009)

37

?schwach

xBeob

Pho,S

em,S

yn,M

or,

Pra,S

F

(+)K

ommunikation/

Pragm

atikbeisprachschwa-

chenKindern

VerschiedeneProgramme,u.a.»Kon-Lab«(Penner2003),

»WürzburgerTrainingsprogramm

zur Förderung derphonologi-

schenBewusstheit«(Küsp

ert&Schneider1999)und»W

irver-

stehenunsgu

t«(Sch

lösser2007),im

Rahmenvon »Sag‘mal

was–Sprachförderungfür Vorschulkinder«(Baden-

Württemberg

Stiftung2011)

Gasteiger-Klicpera

etal.

(2010)

1150

4–6

schwach

xx

Screen, Frage

SG,P

ho,S

em,S

yn,

Mor,SF

»Kon-Lab«(Penner2003), »Sprachliche Frühförderung«

(Tracy

2003)u

nd»Sprach

förderungim

Vorschulalter«(Kaltenbacher&

Klages2005)im

Rahmenvon »Sag’malw

as–Sprachförderung

für Vorsch

ulkinder«(Baden-W

ürttemberg

Stiftung2011)

Roosetal.(2010)

544

4–6

schwach

xx

Test

Sem,S

yn,M

or

AdditiveSprachförderungnach

dem

»BIVEM-Konzept«desBer-

linerInterdisziplinären VerbundesfürMehrsprachigkeit

Gagarinaetal.(2014)

112

2–4

mehr

xx

Test,B

eob

Sem,S

yn,M

or,Pra

(+)M

orphologiebei

mehrsprach

igenKindern

Posseetal.(2014)

162

2–4

mehr

xx

Test

Sem,S

yn,M

or

(+)P

roduktionbei

mehrsprach

igenKindern

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In Tabelle 1.37 werden verschiedene additive Sprachfördermaßnahmen auf-gelistet, von denen sich fast alle an sprachlich schwächere bzw. mehrspra-chige Vorschulkinder richten und die auf eine kurze Förderzeit zum Ende der Kindergartenzeit beschränkt sind. Je nach eingesetztem Programm wird entweder nur eine spezifische Sprachkompetenz oder die gesamte Sprach-entwicklung bei der Förderung in den Blick genommen. Den Maßnahmen zugeordnet sind jeweils die veröffentlichten Evaluationsstudien, deren Er-gebnisse im Folgenden dargestellt werden.

Eindeutig positive Effekte

Eindeutig positive Effekte, die sich auf alle Kinder sowie auf die gesamte Sprachentwicklung beziehen, liegen für keine additive Sprachfördermaß-nahme vor.

Teileffekte

Fünf additiven Sprachfördermaßnahmen wurden Teileffekte zugeschrieben; diese Ergebnisse können fast alle als belastbar angesehen werden, da die entsprechenden Evaluationsstudien die Kriterien wissenschaftlicher Evalu-ationsstudien erfüllten:

Dem »Würzburger Trainingsprogramm zur Förderung der phonologi-schen Bewusstheit« (Küspert & Schneider 1999) wurde in mehreren Studien, u. a. von Rothe et al. (2004) und Weber et al. (2007), eine unmittelbare Wirkung auf die Verbesserung der phonologischen Bewusstheit von Vor-schulkindern mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache sowie mit und ohne Sprachförderbedarf attestiert. Allerdings wurden keine langfristigen Aus-wirkungen auf Lese-Rechtschreibkompetenzen nachgewiesen (vgl. Stark 2011). Dass die Förderung der phonologischen Bewusstheit mit additiven Sprachfördermaßnahmen kurzfristig erfolgreich sein kann, wird durch die Evaluation weiterer Programme, z. B. »Lobo vom Globo« (Fröhlich et al. 2009), untermauert (vgl. Fröhlich et al. 2009).

7 Legende zu den Tabellen 1.3, 1.4 und 1.5: Besonderheiten der Kinder: schwach = schwache

sprachliche Ausgangsleistungen; mehr = mehrsprachig, sozial-/bildungsbenachteiligt, mit Migrationshintergrund, oft zusätzlich schwache sprachliche Ausgangsleistungen; ein = Deutsch als Erstsprache, keine Sprachentwicklungsstörung/Sprachtherapie; Spracherhe-bungsmethoden: Screen = Sprachscreening; Test = Sprachtest; Probe = Sprachprobe; Beob = Sprachbeobachtung; Frage = Sprachfragebogen; Untersuchte Sprachkompetenzbereiche: SG = Sprachgedächtnis; Pho = Phonetik/Phonologie; PB = Phonologische Bewusstheit; Sem = Semantik/Lexik; Syn = Syntax; Mor = Morphologie; Pra = Pragmatik; SF = Sprechfreude; Wirksamkeitsbefunde: + = positive Effekte; (+) = Teileffekte; ‒ = keine Effekte.

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Wolf et al. (2011) bestätigten dem Programm »Handlung und Sprache« (Häuser & Jülisch 2006) für sprachschwache Vorschulkinder kurzfristige Effekte auf der semantischen, nicht aber auf der syntaktischen Ebene. Die Autor/innen erläuterten, dass es den Pädagog/innen eventuell nicht gelun-gen war, die Kinder so individuell und adaptiv wie vorgesehen zu fördern, und dass das Programm über eine zu kurze Förderdauer verfügt.

Gagarina et al. (2014) und Posse et al. (2014) untersuchten bei mehr-sprachigen zwei- bis vierjährigen Kindern die additive Sprachförderung nach dem »BIVEM-Konzept« des Berliner Interdisziplinären Verbundes für Mehrsprachigkeit im Vergleich zu einer alltagsintegrierten Maßnahme. Bei Gagarina et al. (2014) ergaben sich Wirksamkeitseffekte in der Morpholo-gie, nicht aber in der Semantik, bei Posse et al. (2014) in der Sprachproduk-tion, nicht aber in der Sprachrezeption, was laut den Autor/innen entweder mit der kurzen Förderdauer oder der fehlenden Effektivität des Konzepts zu begründen ist.

Lediglich die Befunde von Koch (2009) für das Programm »Fit in Deutsch« im Land Niedersachsen sind nur vorsichtig zu interpretieren, da der Stichprobenumfang gering war, ein Kontrollgruppen-Vergleich fehlte und keine fundierte Sprachdiagnostik durchgeführt wurde. Es ergaben sich minimale Effekte bei sprachschwachen Vorschulkindern im kommunika-tiv-pragmatischen Bereich, aber keine im grammatikalischen Bereich, und die Kinder blieben nach der Förderung sprachlich auffällig, was die Autorin damit erklärte, dass in der Förderung der kommunikativ-pragmatische Bereich fokussiert wurde und grammatikalische Fähigkeiten implizit geför-dert werden sollten, was sie als schwieriges Unterfangen ansieht.

Keine bzw. widersprüchliche Effekte

In zwei groß angelegten wissenschaftlich fundierten Studien (Gasteiger-Klicpera et al. 2010; Roos et al. 2010) wurde das baden-württembergische Projekt »Sag’ mal was – Sprachförderung für Vorschulkinder« (Baden-Württemberg Stiftung 2011) evaluiert, in dessen Rahmen u. a. das »Würz-burger Trainingsprogramm zur Förderung der phonologischen Bewusstheit« (Küspert & Schneider 1999) und die Programme »Kon-Lab« (Penner 2003), »Sprachliche Frühförderung« (Tracy 2003), »Sprachförderung im Vorschul-alter« (Kaltenbacher & Klages 2005) sowie »Wir verstehen uns gut« (Schlös-ser 2007) für die Förderung von Kindern mit Sprachförderbedarf Einsatz fanden. Für alle verwendeten Sprachförderprogramme zeigten sich keine Effekte, d. h. die Kinder in der Modellgruppe verbesserten sich sprachlich nicht mehr über die Zeit als die Kinder in der Kontrollgruppe, und die Kin-der mit Sprachförderbedarf erreichten durch die Förderung nicht den

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Sprachstand der Kinder ohne Sprachförderbedarf. Auch bei der Analyse einzelner Sprachkompetenzbereiche sowie einzelner Kindergruppen erga-ben sich keine kurz- oder langfristigen Effekte. Zusammenfassend heißt es bei Roos et al. (2010: S. 1): „Der erwartete, über die normale Entwicklung hinausgehende Effekt einer gezielten zusätzlichen Förderung durch ge-schulte Kräfte ist nicht beobachtbar, sodass die vorliegende Untersuchung mehr Fragen aufwirft, als sie Antworten geben kann“. Die Autor/innen schlossen aus ihren Ergebnissen, dass eine kurze spezifische Sprachförde-rung vor der Einschulung nicht ausreicht, um die Sprachentwicklung von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache zufriedenstellend zu fördern, und es daher „über die Rahmenbedingungen von Sprachförderung“ (Gasteiger-Klicpera et al. 2010: S. 206) nachzudenken gilt. Als entscheidende Punkte wurden die Qualifikationen der Pädagog/innen, die Interaktionsgestaltung zwischen Pädagog/innen und Kindern, die didaktische sowie organisatori-sche Gestaltung der Förderung und die Zusammenarbeit mit Eltern ge-nannt und bei den Ausführungen dieser Punkte auf besser qualifizierte Pädagog/innen und alltagsintegrierte Sprachfördermaßnahmen verwiesen.

Das Programm »Kon-Lab« (Penner 2003) wurde auch in zwei weiteren Evaluationsstudien, die den wissenschaftlichen Qualitätsstandards nachka-men, auf seine Wirksamkeit hin überprüft: Pröscholdt et al. (2013) fanden keine Programmwirkung. Penner (2005) selbst belegte dem Programm eine positive Wirkung für mehrsprachige Vorschulkinder, jedoch stellte er her-aus, „dass das übergeordnete Ziel, nämlich »Chancengleichheit« bei der Einschulung, im letzten Halbjahr im Kindergarten nicht vollumfänglich erreicht werden kann“ (Penner 2005: S. 16).

Eine Weiterentwicklung des Programms »Sprachförderung im Vorschul-alter« (Kaltenbacher & Klages 2005), nämlich »Deutsch für den Schulstart« (Kaltenbacher & Klages 2007), evaluierten Sachse et al. (2012), jedoch ohne Kontrollgruppen-Vergleich. Sie fanden keine Effekte, was sie damit erläu-terten, dass die Umsetzung des Programms sehr unterschiedlich gestaltet wurde, die Förderung oft nur wenig Zeit in der Woche einnahm, in großen Gruppen sowie separiert vom Alltag durchgeführt wurde und die Pädagog/ innen wenig sprachförderliches Interaktionsverhalten zeigten.

1.2.2 Nationale Befunde zu alltagsintegrierten Sprachfördermaßnahmen

Aktuell vermehrt im Aufkommen in Deutschland sind alltagsintegrierte Sprachfördermaßnahmen, zu denen es erste Evaluationsstudien gibt. Die bislang gewonnenen Befunde weisen überwiegend in die Richtung, dass Kinder von solch einer Förderung profitieren können, also diese Art der

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Förderung erfolgversprechend sein kann. Ob unmittelbare positive Effekte auch von langfristiger Dauer sind, bleibt abzuwarten (vgl. Schneider et al 2012; Kammermeyer & Roux 2013; Lee et al. 2014).

In Tabelle 1.4 sind verschiedene alltagsintegrierte Sprachfördermaß-nahmen festgehalten, die die multidimensionale Sprachentwicklung von allen Kindergartenkindern und teilweise speziell von Krippenkindern oder sprachlich schwachen und mehrsprachigen Kindern langfristig begleiten und unterstützen wollen. Den Maßnahmen sind jeweils die Evaluationsstu-dien zugeteilt, auf die im Weiteren detailliert eingegangen wird.

Die folgenden Evaluationsergebnisse sind vor dem Hintergrund zu be-leuchten, dass die ausgewählten alltagsintegrierten Sprachfördermaßnah-men alle auf Weiterqualifizierungen beruhen und somit die Frage offen ist, inwieweit die Pädagog/innen über die relevanten Sprachförderkompetenzen bereits verfügten und diese umsetzten.

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29

Tab. 1.4: Evaluierte alltagsintegrierte Sprachfördermaßnahmen in Deutschland

Tab.1

.4:E

valuiertealltagsintegrierteSprachförderm

aßnahmeninDeutschland

Alltagsintegrierte

Sprachförderm

aßnahmen

Evaluationen

AnzahlderKin-der

AlterderKinder

BesonderheitenderKinder

Prä-Post-Ver-gleich

Modell-Kontroll-Vergleich

Spracherhe-bungsmethoden

UntersuchteSprachkompe-tenzbereiche

Wirksamkeits-befunde:Kinder

»ErzieherqualifizierungzurErhöhung dessp

rach

lichenAnre-

gungsniveausinTa

geseinrich

tungenfürKinder«(Belleretal.

2007)

Belleretal.(2007)

155

1–3

xx

Beob,Test,

Screen

SG,P

ho,S

em,S

yn,

Mor

+

»Language

Route«(ProLo

g2007)

Motsch

&Schütz(2012)

200

3–6

xx

Test

SG,P

ho,S

em,M

or

+

»PräventionvonSprachentwicklungs-undSch

riftsp

rachstörun-

gen beiK

indern

imVorschulalterundzum

EintrittinsSch

ulalter

(PräSES)«(Siegmülleretal.2007)

Siegm

üller(ohneJahr)

205

2–7

xx

Test

Sem,S

yn+

»Systematischesp

rach

licheAnregungim

Kindergartenalltagzur

Erhöhung derBildungschancen4-und5-jährige

rKinderaus

sozialsch

wach

enundMigrantenfamilien«(Beller&Beller2009)Beller&Beller(2009)

151

4–6

xx

Test

Sem,S

yn,M

or

(+)Vierjährige Kinder

»HeidelbergerTrainingsprogramm«(Buschmann&Jooss

2010)

Buschmannetal.(2010)

33

1–3

schwach

xx

Frage

Sem

(+)N

omenbeisprach-

schwach

en Kindern

Buschmannetal.(2010);

Sim

on&Sachse

(2011)

146

3–5

schwach

xx

Test,B

eob

SG,S

em,M

or,Syn,

SF

(+)Sprechfreudebei

sprachschwachen

Kindern

»MitKindern

imGespräch

«(Kingetal.2011)

Kingetal.(2011)

65

1–3

xBeob

SF

+

Leeetal.(2014)

470

2–6

xTest

SG,S

em,S

yn,M

or

»Kompetenzenalltagsintegriertschützenundstärken(KOM-

PASS)«(Jungm

annetal.2012)

Jungm

annetal.(2013b);

Morawiaketal.(2014)

465

3–6

xx

Screen,B

eob

SG,S

F(+)S

prechfreu

de

»AlltagsintegrierteSprachförderung beiein-undzw

ei-bzw

.mehrsprachigaufwach

sendenVorsch

ulkindern«(Jungm

annet

al.2013a)

Jungm

annetal.(2013a)

263

3–6

xTest

SG,S

em,S

yn,M

or

+

»Dialoge

mitKindern

führen«(Laier&Nunnenmach

er2014)

Leeetal.(2014)

470

2–6

xTest

SG,S

em,S

yn,M

or

AlltagsintegrierteSprach

förderungnach

dem

»BIVEM-Konzept«

desBerlinerInterdisziplin

ären VerbundesfürMehrsprach

igkeit

Gaga

rinaetal.(2014)

112

2–4

mehr

xx

Test,B

eob

Sem,S

yn,M

or,Pra

(+)S

emantikundMorpho-

logiebeimehrsprach

igen

Kindern

Posseetal.(2014)

162

2–4

mehr

xx

Test

Sem,S

yn,M

or

(+)P

roduktionbei

mehrsprachigenKindern

»Mehrsprach

igaufwachsendeKindersp

rach

lichfördern

(MAUS)«(Sch

uleretal.2014)

Schuleretal.(2014)

135

3–6

xx

Test,B

eob

Sem,S

yn,S

F+