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Value of tumor debulking in gastrointestinal tumors Summary. Tumor debulking of gastrointestinal tumors for the reduction of tumor mass is intended to improve subsequent treatment efficacy. However, in advanced malignant disease, this therapy is often associated with increased morbidity and lethality. Adjuvant therapies cannot be initiated when needed. Therefore, long-term survival remains unaffected. Advances in biomedical science provide preliminary explanations for these ther- apeutic problems. Modern therapeutic concepts like neoadjuvant therapy for locally advanced tumors are based on these findings. The probability of complete R0 resections, necessary to improve long-term survival, can be enhanced by these therapies. The ongoing pro- spective neoadjuvant studies for gastrointestinal tumors are already very encouraging. Keywords: Tumor debulking – Neoadjuvant therapy – Cellular mechanism. Zusammenfassung. Durch das Tumordebulking gastro- intestinaler Tumoren soll eine Tumormassenreduktion zur Erhöhung der Wirksamkeit nachfolgender Thera- piemodalitäten, erfolgen. Bei diesen fortgeschrittenen Carcinomleiden ist eine solche Therapieform mit einer erhöhten Morbidität und Letalität verbunden. Adju- vante Therapien gelangen fristgerecht nicht zur Anwen- dung. Ein Langzeitüberleben kann dadurch nicht ver- bessert werden. Fortschritte der biomedizinischen Grundlagenforschung vermögen erste Erklärungsversu- che für dieses Therapieversagen zu geben. Auf ihnen basieren neuere Behandlungskonzepte wie das der neo- adjuvanten Therapie lokal fortgeschrittener Tumoren. Die Rate, der zur Verbesserung des Langzeitüberlebens notwendigen R0-Resektion, kann dadurch möglicher- weise verbessert werden. Erste prospektive, neoadju- vante Studien gastrointestinaler Neoplasien, sind be- reits sehr ermutigend. Schlüsselwörter: Tumordebulking – neoadjuvante The- rapie – zelluläre Mechanismen. Die Chirurgie nimmt eine zentrale Position in der Be- handlung onkologischer Krankheiten ein. Die Indikati- on zur chirurgischen Intervention bei soliden Tumoren basiert auf folgenden Prinzipien: • Die radikale Tumorextirpation und Lymphadenekto- mie im Sinne eines kurativen Behandlungsziels – die Mehrzahl der an einem soliden Tumor erkrankten Pati- enten, qualifiziert für eine solche Behandlung. • Palliative Operationen mit dem Ziel konservativ nicht beherrschbare Komplikationen (z. B. Blutungen, Stenosen) bei fortgeschrittenen onkologischen Erkran- kungen zu beseitigen oder zu verhindern. Diese Verfah- ren streben als primäres Ziel eine Verbesserung der Le- bensqualität des Patienten an. Eine Verbesserung der Überlebenszeit für den Patienten ist durch eine palliati- ve Therapie, nur selten zu erzielen. • Dem gegenüber wird derzeit die Indikation zur cyto- reduktiven Chirurgie (cytoreduction od. sog. „Tumor- debulking“) bei fortgeschrittenen Carcinomleiden als Therapieprinzip kontrovers diskutiert. Beim Tumorde- bulking wird bei ansonsten nicht kurativ operablen Pati- enten, zum Zwecke der Tumorvolumenreduktion, be- wusst das Belassen von Residualtumor (d. h. R1- oder R2-Resektion) eingeplant und in Kauf genommen. Die dadurch erzielte Tumorzellreduktion soll nachfolgende, nicht chirurgische Therapiemodalitäten in ihrer Wirk- samkeit verstärken. Tumordebulking mit nachfolgender multimodaler Therapie basiert auf folgenden theoretischen Überle- gungen: Im Laufe des Fortschreitens des Tumorwachstums verschlechtert sich die Durchblutung des Tumors, wo- bei sich zunehmend Nekrosen ausbilden. Infolge der sich verschlechternden Sauerstoffversorgung ist die Wachstumsfraktion gering. Große Tumoren sprechen deshalb nur unbefriedigend auf konservative Thera- peutika an. Kleinere Tumoren hingegen weisen größe- re Anteile sich aktiv teilender Zellen auf und sind da- her einer nichtchirurgischen Behandlung eher zugäng- lich. Chirurg (1999) 70: 1408–1414 Bedeutung des Tumordebulkings bei gastrointestinalen Tumoren M. Puhlmann, U. Fink und J. R. Siewert Chirurgische Klinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. J.R. Siewert), Technische Universität München Ó Springer-Verlag 1999

Bedeutung des Tumordebulkings bei gastrointestinalen Tumoren

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Page 1: Bedeutung des Tumordebulkings bei gastrointestinalen Tumoren

Value of tumor debulking in gastrointestinal tumors

Summary. Tumor debulking of gastrointestinal tumorsfor the reduction of tumor mass is intended to improvesubsequent treatment efficacy. However, in advancedmalignant disease, this therapy is often associated withincreased morbidity and lethality. Adjuvant therapiescannot be initiated when needed. Therefore, long-termsurvival remains unaffected. Advances in biomedicalscience provide preliminary explanations for these ther-apeutic problems. Modern therapeutic concepts likeneoadjuvant therapy for locally advanced tumors arebased on these findings. The probability of completeR0 resections, necessary to improve long-term survival,can be enhanced by these therapies. The ongoing pro-spective neoadjuvant studies for gastrointestinal tumorsare already very encouraging.

Keywords: Tumor debulking ± Neoadjuvant therapy ±Cellular mechanism.

Zusammenfassung. Durch das Tumordebulking gastro-intestinaler Tumoren soll eine Tumormassenreduktionzur Erhöhung der Wirksamkeit nachfolgender Thera-piemodalitäten, erfolgen. Bei diesen fortgeschrittenenCarcinomleiden ist eine solche Therapieform mit einererhöhten Morbidität und Letalität verbunden. Adju-vante Therapien gelangen fristgerecht nicht zur Anwen-dung. Ein Langzeitüberleben kann dadurch nicht ver-bessert werden. Fortschritte der biomedizinischenGrundlagenforschung vermögen erste Erklärungsversu-che für dieses Therapieversagen zu geben. Auf ihnenbasieren neuere Behandlungskonzepte wie das der neo-adjuvanten Therapie lokal fortgeschrittener Tumoren.Die Rate, der zur Verbesserung des Langzeitüberlebensnotwendigen R0-Resektion, kann dadurch möglicher-weise verbessert werden. Erste prospektive, neoadju-vante Studien gastrointestinaler Neoplasien, sind be-reits sehr ermutigend.

Schlüsselwörter: Tumordebulking ± neoadjuvante The-rapie ± zelluläre Mechanismen.

Die Chirurgie nimmt eine zentrale Position in der Be-handlung onkologischer Krankheiten ein. Die Indikati-on zur chirurgischen Intervention bei soliden Tumorenbasiert auf folgenden Prinzipien:

· Die radikale Tumorextirpation und Lymphadenekto-mie im Sinne eines kurativen Behandlungsziels ± dieMehrzahl der an einem soliden Tumor erkrankten Pati-enten, qualifiziert für eine solche Behandlung.· Palliative Operationen mit dem Ziel konservativnicht beherrschbare Komplikationen (z. B. Blutungen,Stenosen) bei fortgeschrittenen onkologischen Erkran-kungen zu beseitigen oder zu verhindern. Diese Verfah-ren streben als primäres Ziel eine Verbesserung der Le-bensqualität des Patienten an. Eine Verbesserung derÜberlebenszeit für den Patienten ist durch eine palliati-ve Therapie, nur selten zu erzielen.· Dem gegenüber wird derzeit die Indikation zur cyto-reduktiven Chirurgie (cytoreduction od. sog. ¹Tumor-debulkingª) bei fortgeschrittenen Carcinomleiden alsTherapieprinzip kontrovers diskutiert. Beim Tumorde-bulking wird bei ansonsten nicht kurativ operablen Pati-enten, zum Zwecke der Tumorvolumenreduktion, be-wusst das Belassen von Residualtumor (d.h. R1- oderR2-Resektion) eingeplant und in Kauf genommen. Diedadurch erzielte Tumorzellreduktion soll nachfolgende,nicht chirurgische Therapiemodalitäten in ihrer Wirk-samkeit verstärken.

Tumordebulking mit nachfolgender multimodalerTherapie basiert auf folgenden theoretischen Überle-gungen:

Im Laufe des Fortschreitens des Tumorwachstumsverschlechtert sich die Durchblutung des Tumors, wo-bei sich zunehmend Nekrosen ausbilden. Infolge dersich verschlechternden Sauerstoffversorgung ist dieWachstumsfraktion gering. Groûe Tumoren sprechendeshalb nur unbefriedigend auf konservative Thera-peutika an. Kleinere Tumoren hingegen weisen gröûe-re Anteile sich aktiv teilender Zellen auf und sind da-her einer nichtchirurgischen Behandlung eher zugäng-lich.

Chirurg (1999) 70: 1408±1414

Bedeutung des Tumordebulkings bei gastrointestinalen TumorenM. Puhlmann, U. Fink und J. R. Siewert

Chirurgische Klinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. J. R. Siewert), Technische Universität München

Ó Springer-Verlag 1999

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Durch ein Tumordebulking soll soviel Tumorvolu-men wie möglich von nicht im Zellzyklus befindlichenZellen, entfernt werden. Theoretische Modelle und ex-perimentelle Beobachtungen stützen die Annahme,dass kleine Tumoren besser auf eine Chemotherapie an-sprechen als groûe. Allerdings haben viele klinische Da-ten gezeigt, dass Mikrometastasen wie auch Resttumo-ren (Residuen) zur Eradikation die selbe Dosisintensi-tät wie klinisch messbare Tumoren benötigen. Durchchirurgische Tumorvolumenreduktion soll eine Zunah-me der Wachstumsfraktion in dem verbliebenen Resttu-mor erreicht werden, wodurch es zu einer verbessertenWirkung der anschlieûenden Strahlen- oder Chemothe-rapie, oder einer entsprechenden Kombinationsthera-pie, kommen soll.

Obgleich in zahlreichen tierexperimentellen Studientheoretisch belegt, lieû sich dieses Behandlungskonzeptnicht in den klinischen Alltag übertragen. Oft wird derkonzeptionelle Fehler begangen, den durch Tumorde-bulking verbliebenen Resttumor mit anderen Mikrome-tastasen, z. B. Lymphknotenmetasten, gleichzusetzen.Das biologische Verhalten unterscheidet sich jedoch inbeiden Situationen sehr voneinander. Während das Tu-morgewebe einer Mikrometastase meist klonaler Her-kunft ist, findet sich im Resttumorgewebe nach Debul-king oftmals heterogenes, durch Selektion besondersmalignes und therapieresistentes Gewebe. Aufgrunddessen können viele, in Tierversuchen mit klonalen Tu-moren erfolgreiche, Therapien nicht auf die Situationbeim Menschen übertragen werden.

Weitere Gründe für die unbefriedigenden Ergebnis-se des Tumordebulkings sind einerseits in den unmittel-baren Folgen des chirurgischen Eingriffes auf den tu-morerkrankten Menschen und der zugrunde liegendenmalignen Grunderkrankung zu sehen. Zum anderen re-sultiert eine Cytoreduktion aufgrund Veränderungendes biologischen Milieus in einem veränderten biologi-schen Verhalten des verbleibenen Resttumors oder sei-ner Metastasen. Beide Aspekte, sowohl die chirurgi-schen Auswirkungen, als auch die tumorbiologischenFolgen des Tumordebulkings, sollen im Folgenden dar-gestellt und diskutiert werden.

Ergebnisse des Tumordebulking

Tumordebulking (cytoreductive surgery) ist das bewuû-te Belassen von Tumorgewebe in situ. Dabei müssenfolgende 3 onkologische Situationen unterschieden wer-den:

1. Im prätherapeutischen Staging ergibt sich der Nach-weis von Organmetastasen die nicht R0 resezierbarsind (R2).2. Intraoperativ stellt sich aufgrund neuentdeckterFernmetastasen oder lokaler Fortgeschrittenheit, dieUndurchführbarkeit einer kompletten Resektion her-aus (R2).3. Der lokal resezierte Tumor zeigt in der histopatholo-gischen Befundung Resttumor (kurative Intention,aber R1).

Der Begriff des Tumordebulkings bezieht sich in ersterLinie auf die Situationen 1 und 2. Eine kurative Intenti-on ist hierbei nicht zu erkennen, der Verbleib von Rest-tumor wird also eingeplant und in Kauf genommen. An-ders ist die Situation in 3. zu bewerten. Trotz kurativerIntention gelingt es leider nicht, einen lokal fortge-schrittenen Tumor vollständig zu entfernen. Ein solchesErgebnis ist zwar nicht erwünscht, muss jedoch aus-drücklich von den ersten 2 klinischen Situationen einesgeplanten Debulkings unterschieden werden. Immerhinlag hier ein kurativer Therapieansatz zu Grunde.

Aus den publizierten postoperativen Verläufen vonPatientenkollektiven, welche histopathologisch keinerR0-Resektion unterzogen wurden, können indirektRückschlüsse auf die Ergebnisse des Tumordebulkingsgezogen werden. Auf diese Weise kann trotz Fehlensvon spezifischen ¹Tumordebulkingª-Studien auf eingroûes, bereits publiziertes, Kollektiv nicht-R0-resezier-ter Patienten, zurückgegriffen werden.

Für die weitere Diskussion bedarf es zunächst aberder genaueren Charakterisierung der Patienten unddes Ausmaûes ihrer Erkrankung. Erwartungsgemäûhandelt es sich um Patienten mit fortgeschrittenen Car-cinomerkrankungen, bei denen zum Zeitpunkt der Dia-gnose entweder lokal fortgeschrittene Primärtumoren,oder bereits Fernmetastasen vorlagen. So lag im Rah-men der Deutschen Magencarcinom-Studie von 1992eine R1-oder R2-Resektion, trotz kurativer Intention,in 28,5 % aller Fälle, vor [28]. 44% dieser Tumoren wur-den histologisch als pT3 und 62,5 % als pT4-Tumorenklassifiziert. Bei Infiltration lokaler oder regionalerLymphknoten (pN1 oder pN2), konnte in 32 % und42%, keine R0-Resektion erzielt werden. Entspre-chend korreliert das Tumorstadium mit der Häufigkeiteiner R1- oder R2-Resektion. So konnten 20% bzw.21,5 % der Magencarcinome im UICC-Stadium IIIAund IIIB nicht mehr kurativ reseziert werden, währenddies bei 66,5 % des Stadiums IV der Fall war [28]. Eshandelt sich bei den R1- oder R2-operierten Patientenalso wie erwartet um sehr fortgeschrittene Tumorstadi-en.

Erfahrungsgemäû ist diese Patientengruppe jedochbereits durch ihre fortgeschrittene Tumorerkrankungin ihrem Allgemeinzustand sehr eingeschränkt. Diesspiegelt sich in einer erhöhten postoperativen Kompli-kationsrate wieder. Chirurgische Resektionen lokalfortgeschrittener Tumoren bedürfen groûer Operatio-nen, oft in Form von Multivisceralresektionen. Umfang-reichere Operationen bedeuten aber einen Anstieg derMorbidität. Klinische Daten untermauern diese Beob-achtung. Unabhängig vom R-Stadium weist eine totaleGastrektomie bereits eine Komplikationsrate von30,0 %, gegenüber der Komplikationsrate einer subtota-len Magenresektion mit 19,9%, auf [6]. Wird zusätzlichzur totalen Gastrektomie eine Splenektomie durchge-führt, steigt die Rate der Gesamtkomplikationen auf31,7 %. Obgleich nicht signifikant unterschiedlich ge-genüber den nicht-splenektomierten Patienten, führtedies doch zu einer statistisch signifikant häufigeren Abs-zessbildung (7,1 vs. 2,7 %; p = 0,013). Im Falle einer zu-sätzlichen Pankreaslinksresektion klettert die Rate sep-

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tischer Komplikationen gar auf 18 %. So kann der Ein-fluss erweiterter Operationsverfahren auf die Morbidi-tät statistisch gesichert werden (p < 0,0001) [6].

Ein weiterer wichtiger Faktor für die zu erwartendeKomplikationsrate ist der Allgemeinzustand des zuoperierenden Patienten, welcher sich im Karnofsky-In-dex niederschlägt. Gerade ältere Patienten mit lokalfortgeschrittenem oder gar systemisch dissiminiertemCarcinomleiden, sind den physischen Anforderungenbelastender Operationen nicht mehr gewachsen. Ent-sprechend zeigt die univariate Analyse der patientenbe-zogenen Variablen einen eigenständigen Einfluû desPatientenalters auf die Morbidität (p = 0,008). Die mitsteigendem Alter häufiger auftretenden Begleiterkran-kungen verstärken das Risiko (p < 0,0001) [6]. Patien-ten, die sich intraoperativ als unresezierbar erwiesen(UICC Tumorstadium IV) und somit lediglich einer dia-gnostischen Laparotomie unterzogen wurden, ent-wickelten trotz des relativ kleinen Eingriffes in 12,2 %Komplikationen. Für andere Organe des Gastrointesti-naltraktes ist die Morbidität palliativer Operationen be-deutend höher, wie z. B. am Pankreas [10].

Operationen bei fortgeschrittenen Tumorstadiensind auûerdem mit einer erhöhten Letalität verbunden.In der Deutschen Magen Carcinom-Studie von 1992lieû sich ein deutlicher Anstieg der 30- und 90-Tages Le-talität nach R1- bzw. R2-Resektionen von 4,8 % und7,8 % (nach R0-Resektion) auf 8,7 % und 17,6 % zeigen[28]. Diese Unterschiede waren statistisch signifikant.

Die weitere Analyse wichtiger Risikofaktoren be-züglich der 30-Tage Letalität identifizierten den Karnof-sky-Index (p < 0,0001) sowie das Vorliegen von Begleit-erkrankungen (p < 0,0001) neben dem Tumorvolumen(p = 0,001) als unabhängige Variabeln [6]. Wie zu erwar-ten bestimmen die physiologisch-funktionellen Fakto-ren die 30-Tages Letalität. Ein niedriger Karnofsky-In-dex und das Vorliegen vor allem kardiovasculärer Be-gleiterkrankungen, beeinfluûen die unmittelbare post-operative Rekonvaleszenz negativ.

Interessanterweise findet sich unter den Risikofakto-ren für die 90-Tage Letalität neben dem Karnofsky-In-dex als wichtigsten Faktor, auch der Residualtumor alszweiwichtigster Faktor. Danach folgen wiederum die Be-gleiterkrankungen. Ob die Bedeutung des Residualtu-mors im Zuge einer chirurgischen Resektion nun im Vor-liegen einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung, undder damit verbundenen Verschlechterung des Allge-meinzustandes bzw. einer höheren Komplikationsrate,liegt, oder aber bereits für lokale, direkt tumorbedingteKomplikationen sorgt, kann nur spekuliert werden.

Einen entscheidenden Einfluû übt das Resttumorvo-lumen in jedem Fall auf das Langzeitüberleben aus. Inunserem eigenen Patientengut zeigen Patienten mit Ma-gencarcinom, unabhängig vom T-Stadium, nach R0-Re-sektion eine mediane Überlebenszeit (median survival)von 44,8 Monaten auf (n = 509) [5]. Dem gegenüberüberleben Patienten nach R1- (n = 77) oder R2-(n = 116) Resektionen nur 8,9 bzw. 8,2 Monate. Wäh-rend Patienten mit Magencarcinomen des UICC Stadi-ums IV in unserem eigenen Patientengut nach R0-Re-sektionen eine ähnliche mediane Überlebenszeit haben

(8,6 Monate), waren immerhin 8 % dieser Patienten-gruppe nach 5 Jahren noch am Leben. Dagegen über-lebte kein Patient nach R1- oder R2-Resektion 5 Jahre.Unabhängig vom UICC Stadium überlebten 46,1 % al-ler R0-resezierten Patienten 5 Jahre [5]. Die schlechteLangzeitprognose der Magencarcinompatienten nachTumorresektion mit verbleibendem Residualtumor istunabhängig von der Tatsache, ob eine R1- oder R2-Re-sektion vorlag. Eine mögliche Erklärung dieser Beob-achtung konnte durch die direkte Korrelation der lym-phogenen Metastasierung des Magencarcinoms auf dieInfiltrationstiefe begründet sein. So findet sich einLymphknotenbefall bei Tumoren mit Infiltration derSubserosa (pT3) in 70% aller Fälle, bei Befall oder garDurchbruch der Serosa (pT4) sogar bis zu 90 %.

Auswertungen im Rahmen der deutschen Multizen-terstudie für colorectale Carcinome zeigen einen gerin-gen Überlebensvorteil der lediglich R1-resezierten Pati-enten gegenüber R2-resezierten Patienten [16]. So hat-ten Patienten mit mikroskopischem Residualtumor(R1) eine mediane Überlebenszeit von 18,7 Monatengegenüber 10,0 Monaten in R2-Situationen. Hinsicht-lich der Lokalisation des Residualtumors zeigt sich,dass das Vorliegen von Fernmetastasen gegenüber loko-regionaler Tumorrezidive, die Prognose eindeutig un-günstiger beeinflusst. Unabhängig des R-Stadiumsüberlebten Patienten mit lokoregionaler Erkrankung17,4 Monate. Fernmetastasen verkürzen die medianeÜberlebenszeit auf 9,8 Monate. Im Falle des gleichzeiti-gen Vorliegens eines lokoregionalen Residualtumorsund Fernmetastasen erfolgt eine nochmalige Reduktionder Überlebenszeit auf 6,7 Monate [16].

¾hnlich schlechte Überlebenszeiten bestehen beimexokrinen Pankreascarcinom. Bedingt durch die anato-mische Lage des Pankreas ist die Resektabilität durchdie frühe Infiltration in benachbarte Gefäûstrukturenhäufig limitiert. Die Resektionsraten liegen unverän-dert zwischen 10 und 30 %, im eigenen Patientengut er-reichen wir R0-Resektionsraten von 44,2% [29]. Bei91% der R1/R2-resezierten Patienten lag der tumorbe-fallen Absetzungsrand retroperitoneal. Diese Patien-tengruppe wies bereits in 72% einen Lymphknotenbe-fall auf, im Vergleich zu 48 % der R0-resezierten Patien-ten. Die mediane Überlebenszeit der R1- oder R2-rese-zierten Patienten betrug 9 bzw. 7 Monate im Vergleichzu 13 Monaten der R0-resezierten Patienten. Amerika-nische Gruppen bestätigen die schlechte Prognose desfortgeschrittenen Pankreascarcinoms [10].

Im klinischen Alltag verzögern die kompliziertenpostoperativen Krankheitsverläufe dieser Patientenmit fortgeschrittenen Tumoren den postoperativen Ein-satz potenziell toxischer Therapieverfahren wie Chemo-therapie, Strahlentherapie oder einer Kombinationsthe-rapie. In aller Regel kann selbst nach einer komplettenResektion und glattem postoperativen Verlauf, eine ad-juvante Therapie in der Mehrzahl der Patienten erst4±6 Wochen postoperativ begonnen werden. Im Opera-tionsgebiet verbliebene Tumorzellen (tumor cell en-trapment) werden inzwischen durch Fibrin eingefangen,abgekapselt und in der sich bildenden Narbe, einge-schlossen.

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Um therapeutisch wirksame, intrazelluläre Konzen-trationen zu erreichen, sind Chemotherapeutika aufdie Integrität der Durchblutung angewiesen. Postopera-tiv im Zuge der fibrotischen Narbenbildung mit Tumor-zelleinschlüssen, ist dies nicht mehr gewährleistet.

Zusammenfassend lässt sich folgern, dass ein Tumor-debulking aus klinischer Sicht und orientiert an den vor-liegenden Fakten, gefährlich ist, den Patienten äuûerstbelastet und mit einer erhöhten Morbidität und Letali-tät einhergeht. Die Prognose nach R1- und R2-Resek-tionen gastrointestinaler Tumoren ist extrem schlecht.Allein aufgrund dieser Fakten kann ein Tumordebul-king nicht empfohlen werden. Eine theoretisch notwen-dige postoperative additive Therapie ist in der Regel in-nerhalb nützlicher Frist in Anbetracht der o. g. Kompli-kationenraten und des reduzierten Allgemeinzustandesdes Patienten nicht möglich.

Tumorbiologische Argumente

Für den äuûerst unbefriedigenden Einfluû des Tumor-debulkings auf das Langzeitüberleben gibt es zahlreichetheoretische, inzwischen aber in den ersten Ansätzenauch klinisch gestützte Erklärungsmöglichkeiten. Dermolekularbiologische Fortschritt der letzten Jahre er-laubte erstmals einen Einblick sowohl in die Stoffwech-selvorgänge von Tumorzellen, als auch in die Interakti-on zwischen Tumor und Mikroenvironment. Über dieWechselwirkung zwischen Primärtumor und Metasta-sen wird seit vielen Jahren spekuliert. Nach einer Tu-morresektion können mehrere physiologische Verände-rungen beobachtet werden.

Innerhalb von 24 Std findet sich ein Anstieg derDNA-Synthese sowohl der lokal verbliebenen Tumor-zellen, als auch der Metastasen (meûbar am sog. ¹label-ling indexª, LI) [13] mit einer Verkürzung des Zellzy-klus und einer damit erniedrigten Verdoppelungszeit,d. h. einer erhöhten Verdopplungsrate des Tumors.Gleichzeitig erhöht sich die Fraktion der sich aktiv tei-lenden Tumorzellen (tumor growth fraction = GF) [7].Der Wachstumsschub (proliferative recovery) scheinteng mit der Tumordurchblutung gekoppelt zu sein. Jeschlechter die Durchblutung des Tumors, d. h. je gröûerdie Distanz der Tumorzellen von der Tumorkapillare,desto geringer ist die Wachstumsfraktion des Tumors.Ein Anstieg der GF resultiert in Tumorwachstum undKrankheitsprogression. Wird hingegen im Zeitraumdieses Wachstumschubes, also der gesteigerten DNA-Synthese und gesteigerten GF, eine multimodale The-rapie mittels Chemotherapie und/oder Strahlentherapiepostoperativ angeschlossen, ist aufgrund einer gestei-gerter Therapiesensitivität ein Ansprechen auf dieTherapie zu erhoffen [13]. Der Anstieg des LI kann fürca. 4±7 Tage beobachtet werden, um sich danach aufden ursprünglichen Wert zu normalisieren. Eine solchegesteigerte Therapiesensibilität konnte bisher lediglichim Tierexperiment therapeutisch genutzt werden. Imklinischen Alltag, selbst bei glattem, postoperativenVerlauf, kommt ein so früher Einsatz potenziell toxi-scher Substanzen, nicht in Frage. Die Ursache des An-

stiegs der mitotischen Aktivität ist bis heute noch un-klar. Es steht jedoch auûer Frage, dass sich sowohl dasWachstum des Primärtumors als auch der Metastasengegenseitig beeinflussen und die Anwesenheit von Blut-gefäûen Voraussetzung für jede Therapie ist.

Die Arbeitsgruppe um Judah Folkman postuliertedaher eine Bildung sowohl angiogener als auch antian-giogener Faktoren durch den Tumor selbst. Dies führtezur Isolierung von Angiostatin [23, 24]. 1997 isoliertedie gleiche Arbeitsgruppe Endostatin, einen weiterenangiogenen Inhibitor [25]. Beide Substanzen zeigen kei-nerlei direkte cytotoxische Wirkung auf Tumorzellen.Die Behandlung eines s. c. Tumors (z. B. einer ¹Haut-metastaseª) mit Angiostatin inhibiert das Gröûen-wachstum des Tumors jenseits 2±3 mm. Für eine weitereGröûenzunahme ist die Neubildung einer Tumorgefäû-versorgung (tumor neovasculature) absolut notwendig.Histologische Untersuchungen der Implantationsstellezeigten weiterhin mitose-aktive Tumorzellen. Gleich-zeitig fand sich ein ebenso groûer Anteil der Tumorzel-len in Apoptose, also dem programmierten Zelltod.Das Absetzen der antiangiogenen Therapie führte raschzur Wachstumsprogredienz des Tumors. Die Verände-rung der Balance zwischen angiogenen und antiangio-genen Faktoren kann demnach zur raschen Krankheits-progredienz eines metastasierten Krebsleidens führen.

Voraussetzung für ein solches Geschehen ist eine be-reits erfolgte Dissemination von Tumorzellen. Hatteman in der Vergangenheit angenommen, es handelesich dabei um ein eher selteneres Ereignis, so mehrensich die Hinweise, dass die systemische Ausschwem-mung von Tumorzellen eher ein häufiges Geschehendarstellt. Die ursprüngliche Lehrmeinung vertrat dieAnsicht, ausgeschwemmte, sich im Kreislauf befindli-che Tumorzellen seien aufgrund der vorherrschendenhämodynamischen Einwirkungen extrem instabil undwürden rasch zugrunde gehen. Das Verlassen derStrombahn und Eindringen der Tumorzelle in das peri-vasculäre Gewebe (extravasation = EV) seien auûer-dem rezeptorvermittelt und galten als der limitierendeSchritt im Metastasierungsgeschehen. Demzufolgewäre die Bildung einer Metastase ein eher seltenes Er-eignis. Ann Chambers et al. gelang es, den Vorgang derEV in vivo zu beobachten [9]. Die Mehrzahl der injizier-ten Krebszellen tolerierte nicht nur die systemische In-jektion ohne zugrunde zu gehen, nach dem mechani-schen Festsetzen in den Kapillaren (lediglich aufgrundeiner mechanischen Filterfunktion) gelang den meistenTumorzellen die EV in das Endorgan. Die so entstande-nen Mikrometastasen können im perivasculären Gewe-be i. S. einer ¹dormancyª für lange Zeiträume klinischstumm verbleiben, ohne eine klinisch relevante Wachs-tumstendenz zu zeigen. Obgleich mitoseaktiv findetsich in diesen ¹dormantª Mikrometastasen eine erhöhteApoptosisrate, welche der Teilungsrate der Tumorzel-len entspricht und sie damit neutralisiert [17].

Vermutlich beeinflussen auch lokale, paracrineWachstumsfaktoren die Kinetik von Mikrometastasen.Erst im Rahmen einer zunehmenden Entdifferenzie-rung entwickelt der Tumor die Fähigkeit, durch die Pro-duktion autokriner Wachstumsfaktoren, ungehemmt zu

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wachsen. Wir wissen heute, dass die Latenzzeit einersolchen Mikrometastase in ¹dormancyª bis zur klini-schen Manifestation einer Metastase z. B. für das Mam-macarcinom, mehrere Jahrzehnte andauern kann [11].Sämtliche Faktoren, welche das lokale Milieu einer sol-chen ¹stummenª Mikrometastase verändern, wie z. B.der Wegfall antiangioner Inhibitoren durch den Primär-tumor, etwa nach Tumordebulking, vermögen eineplötzliche Krankprogression auszulösen.

Durch den Einsatz spezifischer monoklonaler Anti-körper gelang es erstmals, das Ausmaû dieser Dissemi-nierung von Tumorzellen zu ermitteln [32]. Für das colo-rectale Carcinom zeigte Schlimok Cytokeratin-positiveTumorzellen im Knochenmark in 16 von 88 Patienten.Bei pT1 oder pT2 Tumoren entwickelten 2 von 20 Pati-enten mit negativem Knochenmarksbefall im Beobach-tungszeitraum Rezidive, während dies bei 4 von 9 Pati-enten mit positivem Knochenmarksnachweis der Fallwar [22]. Für das Magencarcinom wird gar eine höhereMetastasierungsrate im Knochenmark beschrieben. Ineiner Untersuchung an der LMU-München wiesen 51%der in kurativer Intention operierten Patienten Tumor-zellen im Knochenmark auf [19]. In einer anderen Seriemit 20 Patienten mit Magencarcinomleiden, steigt derProzentsatz gar auf 77 % [8]. Dabei fand sich bereits beieinigen T1-Tumoren eine Knochenmarksabsiedelung.Beim Pankreascarcinom wurden auch in 58,6% der inkurativer Absicht operierten Patienten Tumorzellen imKnochenmark nachgewiesen [34]. Bei solch hohen Dis-seminationsraten stellt sich die Frage nach der klinischenBedeutung dieser Tumorzellen.

In einer Meta-Analyse publizierter Studien zwischen1980 und 1997 untersuchten Funke und Schraut die kli-nische Wertigkeit von Mikrometastasen im Knochen-mark. Die Autoren konnten den Nachweis von dissemi-nierten Tumorzellen im Knochenmark nicht als eineneigenständigen prognostischen Faktor identifizieren.Lediglich in der Peritonealhöhle hat die Diagnose freierTumorzellen einen unabhängigen prognostischen Ein-fluss auf das Langzeitüberleben von Patienten [3]. Einemögliche Erklärung könnte in der sog. ¹dormancyª-Theorie dieses Mikroinvolvement zu finden sein. Beiausbleibendem angiogenem Reiz liegt ein Gleichge-wicht zwischen sich teilenden und apoptotischen Zellenvor. Herkömmliche Chemotherapie ist für diese Mikro-metastasen aufgrund des geringen Anteiles sich teilen-der Zellen, nicht wirkungsvoll. Erste Versuche, diesedisseminierten Tumorzellen durch die Gabe von spezifi-schen Antikörper zu eliminieren, sind erfolgsverspre-chend und werden in zahlreichen Studien auf ihre Wirk-samkeit überprüft [27].

Die hier vorgelegten Daten verändern unser Ver-ständnis über das Metastasierungsverhalten solider Tu-moren. So muss, wenigstens bei lokal fortgeschrittenenCarcinomen, zum Zeitpunkt der Diagnosestellung,auch ohne Vorliegen klinisch manifester Metastasen,von einer bereits systemischen Erkrankung ausgegan-gen werden. Inwieweit ein Tumordebulking indirekt sti-mulierend auf diese ¹schlafendenª Tumorzellen wirkenkann, ist in die Überlegungen zur cytoreductive surgerymit einzubeziehen.

Ob ein vorliegender Immundefekt oder eine post-operative Immunsuppression für die Entstehung odergar Dissemination maligner Erkrankungen verantwort-lich ist, wird seit langem äuûerst kontrovers diskutiert.Einige Tumorentitäten können bereits durch Immun-therapie mit Erfolg behandelt werden [30]. Aus unserereigenen Erfahrung wissen wir um die erhebliche Beein-trächtigung der Immunfunktion unmittelbar postopera-tiv durch einen groûen chirurgischen Eingriff [15]. Vorallem die T-Zellfunktion wird innerhalb der ersten zweipostoperativen Tage supprimiert. Da diese für die Ab-wehr von Pathogenen wie z. B. Bakterien, notwendigist, könnte dadurch die erhöhte Rate septischer Kompli-kationen erklärt werden. Obgleich die Relevanz dieserBeobachtungen für den natürlichen Verlauf einer mali-gnen Grunderkrankung unbekannt ist, beeinflusst einegesteigerte Morbidität und Mortilität den weiterenKrankheitsverlauf doch erheblich. Onkologische nichtsinnvolle Operationen sollten daher vermieden werden.

Lösungsansätze durch Verbesserungder lokalen Radikalität

Prinzipiell böte sich die Möglichkeit, die lokale Radika-lität eines Tumordebulkings durch multimodale Kon-zepte intraoperativ und postoperativ zu verbessern z. B.mittels einer:

· Intraoperativen Strahlentherapie (intraoperative ra-diotherapy = IORT),· intraoperativen Chemotherapie,· frühen, postoperativen peritonealen Chemotherapie(early postoperative intraperitoneal chemothe-rapy = EPIC),· neoadjuvanten multimodalen Therapie.

Die IORT erlaubt die lokale Bestrahlung des Tumorsunter weitgehender Schonung von gesundem, strahlen-sensiblen Gewebe wie z. B. der Ureteren oder desDünndarms entweder durch die chirurgische Mobilisati-on oder durch das Abschirmen der Strukturen durchStrahlenschutzschilder. Die postoperative ergänzendeperkutane Strahlentherapie wird von dem gesunden,umgebenden Gewebe meist komplikationslos toleriert.Die Effektivität dieser Methode wurde bisher vor allemfür Pankreasneoplasien sowie Rectumcarcinome, unter-sucht. Kleine Fallzahlen und heterogene Patientengrup-pen erschweren den Vergleich der einzelnen Studien.Für das Pankreascarcinom konnte im Rahmen eineramerikanischen multi-institutionellen Studie der Radia-tion Therapy Oncology Group (RTOG) zwar dieDurchführbarkeit einer solchen Therapie mit akzepta-bler Komplikationsraten (12 %) demonstriert werden,eine Verbesserung des Überlebens zeigte sich jedochnicht [33]. In einer zweiten Multizenterstudie derRTOG für fortgeschrittene Rectumcarcinome korre-lierte die lokale Tumorfreiheit mit dem histopathologi-schen R-Stadium unmittelbar vor Bestrahlung. Im Falleeiner R1-Resektion konnte eine lokale Tumorfreiheitnach 2 Jahren Beobachtungszeitraum in 77% der Pati-

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enten beobachtet werden, während dies bei R2-Resek-tionen nur in 10% der Fall war (p = 0,001) [21]. Der An-stieg der lokoregionalen Tumorfreiheit spiegelte sich im2-Jahresüberleben der Patienten wider (R1: 89%; R2:45%; p = 0,006). Die Nachteile dieser Therapiemodali-tät liegen im hohen technischen und personellen Auf-wand. Daher dürfte, nach weiteren notwendigen Studi-en, eine solche Therapie nur einigen wenigen Zentrenvorbehalten sein.

Über 50% aller Magencarcinome rezidivieren intra-peritoneal. Da der perioperativen Tumorzellaussaat da-bei eine wichtige Bedeutung zugeschrieben wird, ent-wickelte Koga 1988 das Konzept der intraoperativen,peritonealen Chemotherapie [20]. Die aus Lymphgefä-ûen und Tumorgewebe disseminierten Tumorzellen sol-len so innerhalb des Peritonealraumes eliminiert wer-den. Die Applikation von Chemotherapeutika ge-schieht dabei meist in Verbindung mit Wärme, da hier-durch der cytotoxische Effekt der Medikamente syner-gistisch verstärkt wird [20]. In einer randomisierten Stu-die zeigte Fujimara die Wirksamkeit einer kontinuierli-chen, hyperthermischen Peritonealperfusion (con-tinuous hyperthermic peritoneal perfusion, CHPP) fürdie Vermeidung intraperitonealer Metastasen nach ku-rativen Magenresektionen. Patienten nach CHPP wie-sen 3-Jahresüberlebensraten von 68% gegenüber 23%ohne CHPP auf (p < 0,01). Bei bereits stattgefundenerPeritonealcarcinose ist die Wirksamkeit dieser Therapiejedoch auf Tumorknoten von 2±5 mm Gröûe begrenzt[37], was etwa der Diffusionstiefe des Chemotherapeu-tikums entspricht. Tumoren gröûer als 5 mm werdendurch diese Therapie wenig beeinflusst.

Pharmakologisch liegt das Problem dieser Behand-lungsmodalität in der nur sehr kurzen Exposition undEinwirkungszeit des Chemotherapeutikums auf den Tu-mor. Eine Lösung dieses Problems bietet die Kombina-tion einer CHPP mit einer EPIC. Dabei werden im An-schluû einer CHPP vom 1.±5. postoperativen Tag, über2 liegende intraperitoneale Drainagen, täglich Chemo-therapeutika in den Bauchraum injiziert. Die Draina-gen werden anschlieûend abgeklemmt und die Medika-mente i. p. für 24 Std belassen. Man erhofft sich insbe-sondere durch häufiges Umlagern der Patienten einegleichmäûige Verteilung der Substanzen im Bauch-raum. Zur Gewährleistung einer ausreichenden Vertei-lung bei Patienten mit Voroperationen im Bauchraum,muss intraoperativ eine ausgedehnte Adhäsiolysedurchgeführt werden. Dadurch steigt nicht nur potenzi-ell die Morbidität, die erneute Ausbildung von Adhä-sionen setzt diesem Behandlungskonzept eine natürli-che zeitliche Limitierung. Eine weitere Sorge betrifftden Einfluû der Cytostatika auf vorhandene Anastomo-sen und einem damit verbundenen Anstieg der Insuffi-zienzraten [35]. Die Relevanz dieser tierexperimentel-len Ergebnisse für den klinischen Alltag sind noch unge-wiss. Erste klinische Ergebnisse lassen keinen signifi-kanten Anstieg der Anastomoseninsuffizienzen vermu-ten [38]. Die Wirksamkeit und das Abschätzen der Aus-wirkungen diese Behandlungskonzeptes bedarf aller-dings weiterer Studien.

Schlussfolgerungen

Aus unserer Sicht sollte immer eine R0-Resektion an-gestrebt werden. Nur diese kann die Prognose des Pati-enten langfristig positiv beeinflussen. Die Resektabili-tät lokal fortgeschrittener Tumoren kann im Rahmenneoadjuvanter, multimodaler Therapien verbessertwerden [36]. Prinzipiell findet die präoperative multi-modale Therapie ein noch intaktes Gefäûsystem zumErreichen pharmakologisch notwendiger cytotoxischerKonzentrationen von Cytostatika bei systemischerTherapie vor. Die Patienten befinden sich meist in ei-nem besseren Allgemeinzustand und tolerieren diedoch sehr anstrengende Therapie besser. Dadurch kön-nen angewendete Chemotherapeutika in höheren Kon-zentrationen zur Verwendung gelangen. Der Allge-meinzustand des Patienten bessert sich sogar bei ent-sprechendem Therapieansprechen. Überhaupt profitie-ren in erster Linie sog. ¹Responderª von diesen Thera-pieprinzipien. Trotzdem ist die präoperative Radioche-motherapie mit einer erhöhten Morbidität und Mortali-tät beim Oesophagus- und Rectumcarcinom verbunden[4]. Primäres Ziel dieses Therapiekonzepts liegt in derTumorvolumenreduktion und der damit verbessertenResezierbarkeit. Ein Anstieg der R0-Resektionen so-wie eine Reduktion von Lymphknotenmetasten kanndadurch erzielt werden [2]. In einer prospektiven PhaseII Studie konnte im Anschluû einer neoadjuvantenChemotherapie bei Patienten mit Magencarcinom Sta-ge III und IV in über 80% aller Patienten eine R0-Re-sektion durchgeführt werden [12]. Acht von 27 Patien-ten mit wenigstens 2 Zyklen Chemotherapie zeigten da-bei endoskopisch eine vollständige Tumorregression(complete response, CR), 9 eine mehr als 50 %ige Tu-morvolumenreduktion, weitere 9 ein geringes klini-sches Ansprechens. Ein ¹downstagingª konnte in 12von 24 R0-resezierten Patienten beobachtet werden.Patienten nach neoadjuvanter Chemotherapie undnachfolgender R0-Resektion zeigten eine 2-JahresÜberlebensrate von 36 %. Verglichen mit einer ledig-lich chirurgisch behandelten Kontrollgruppe konntezwar aufgrund der noch geringen Fallzahlen, kein signi-fikanter Unterschied beobachtet werden (p = 0,07), eindeutlicher Trend bezüglich der Überlebenszeit hinge-gen war klar ersichtlich.

Diese Beobachtungen wurden von einer Reihe ande-rer Gruppen bestätigt [1, 31, 37]. Weitere Evaluierun-gen dieses Therapieansatzes durch randomisierte, pro-spektive Studien werden derzeit durchgeführt.

Das Tumordebulking gastrointestinaler Tumorenträgt nicht zu einer Verbesserung des Überlebens bei.Die Prognose nach R1- und R2-Resektionen ist extremschlecht, der entsprechende operative Eingriff geht miteiner erhöhten Morbidität und Mortalität einher. DieEinleitung additiver Therapien wird dadurch verzögert.

Indikationen des Tumordebulkings

Generell erscheint ein operatives Tumordebulking le-diglich sinnvoll für langsamwachsende Tumorentitäten

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oder in klinischen Situationen zur Verminderung vonKrankheitssymptomen wie dem:

· Hochdifferenzierten Pseudomyxoma peritoneii (G1)ausgehend vom Appendix vermiformis [18] (entspre-chend auch beim Ovarial-Carcinom),· gut differenzierten neuroendokrinen Tumoren (v.a.bei Hormonproduktion) [26],· gut differenzierten Stromatumoren wie z. B. denLeiomyomen.

Bei diesen Tumoren ergibt sich die Notwendigkeit zurResektion, obwohl eher langsam wachsend, aufgrundder klinischen Symptomatik oder um die hormonprodu-zierende Tumormasse zu reduzieren.

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Prof. Dr. J. R. SiewertChirurgische Klinik und PoliklinikTechnische Universität MünchenIsmaninger Straûe 22D-81675 München

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