13
Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey Gert Hullen, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung beim Statistischen Bundesamt Workshop „Soziale Kohäsion in der zweiten Lebenshälfte“, Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin, 26.-27. April 2007

Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Befragungserfahrungen

Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen –

Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Gert Hullen, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung beim Statistischen Bundesamt

Workshop „Soziale Kohäsion in der zweiten Lebenshälfte“, Deutsches Zentrum für Altersfragen,

Berlin, 26.-27. April 2007

Page 2: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Ausschöpfung, Reliabilität und Validität als qualitative Merkmale

Gefährdungen:

• systematische Ausfälle

• fallweise Ausfälle

• itemweise Ausfälle

• soziale Erwünschtheit

Gefährdungen kumulieren bei Befragungen von

Ausländern, z.B. beim GGS 2006

Die Probleme mit den so genannten „heiklen

Fragen“, die zum Abbruch und zur

Wertlosigkeit von Interviews führen, sind die

Spitze des Eisbergs

Page 3: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Heikle Fragen

• in den 50er Jahren große Überraschung der

Sozialwissenschaftler (und

Sexualwissenschaftler) über

Auskunftsbereitschaft über intime Fragen

(„Kinsey-Report“; Hymann u.a., 1954,

Interviewing in Social Research; von

Friedeburg, 1953, Die Umfrage in der

Intimsphäre)

• Kulturelle Bedingtheit? (Beispiel Japans

selbstausgefüllter GGS)

• Werden die Versprechungen von

Vertraulichkeit usw., auf denen die

Offenheit der Interviewten eventuell

aufbaut, konterkariert durch Panels?

Page 4: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Befragung durch Fremde

• sozialwissenschaftliche Befragungen sind

notwendigerweise Befragungen durch

Fremde

• Fremdheit trifft generell nicht auf Offenheit,

manchmal aber auch erstaunliche Offenheit

gegenüber Fremden (Simmel)

Page 5: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Der Typus des Fremden (Simmel)

Der Typus des Fremden

Es gibt aber eine Art von Fremdheit, bei welcher man den

Anderen gerade die menschlichen Eigenschaften

abspricht. Hier hat der Fremde keinen positiven Sinn –

Beziehung zu ihm ist Nicht-Beziehung – er ist von der

Gruppe ausgeschlossen. Fremde werden als

bestimmter Typus, nicht aber als Individuen

wahrgenommen. In diesen Fällen werden dem

Fremden Eigenschaften zugeschrieben, die man mit

dem Fremden nicht gemeinsam hat. (Hautfarbe,

Religion, Sprache). Der Fremde wird nicht als

Individuum, sondern als Träger einer bestimmten Rolle

wahrgenommen.

Georg Simmel: Soziologie

Untersuchungen über die Formen der

Vergesellschaftung

Duncker & Humblot, Berlin 1908 (1. Auflage)  /

http://socio.ch/sim/soziologie/soz_2.htm

Page 6: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Vorbehalte der Interviewten gegenüber den Interviewern

• „Wenn da jemand kommt, anders aussehend schon

durch andere Kleidung, vielleicht auch noch mit

einem Notebook, das er auf den Tisch stellt, der

wird nicht die richtigen Antworten bekommen,

sondern etwas, was man für die richtigen

Antworten gegenüber einem deutlich höher

gestellten Fremden hält“ (mdl. Äußerung von Sutay

vom MPIDF bei der Vorbereitung des GGS 2006)

• „... those whites, they want to know what we think

and they go back and laugh ...“ (Gwassi 1995: 12;

zit. nach Weinreb 2006: 1019)

Page 7: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Interviewereffekte

• "... the responses to female insider-

interviewers appear least prone to the

social desirability bias

• [...] a plurality of the most socially

desirable responses [...] were given to %

%male%% insider interviewers [...]

• stranger-interviewers are frequently no

better and no worse than insider

interviewers" (longitudinal research study

in rural Kenya; Weinreb 2006, S. 1031)

Page 8: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Die Befragung in Deutschland lebender Türken (GGS 2006)

Grundgesamtheit beim GGS Türken sind die in Deutschland

gemeldeten türkischen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis

79 Jahren.

Dreistufige Auswahl:

1. Feststellung der Anzahl der Zielpersonen auf Ebene der

kommunalen Ausländerbehörden (ABH)

2. Schätzung der Anzahl der Zielpersonen auf

Gemeindeebene; gezogen wurden für West 386 Points (in

89 Gemeinden) und für Ost 14 Points (in 4 Gemeinden).

3. Zufallsauswahl von Zielpersonen in den

Einwohnermeldeämtern der gezogenen Gemeinden; je

Point 100 Adressen

Interview in Deutsch, türkischsprachige „Übersetzungshilfe“,

anwesende Dritte wurden toleriert, manchmal sogar

gebraucht

4045 auswertbare Interviews

Page 9: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

GGS-Erfahrungen

• Bei zwei Drittel der Interviews wurde die

Übersetzungshilfe genutzt

• 73 min Interviewdauer, 16 Minuten länger als

mit den deutschsprachigen Zielpersonen des

GGS 2005; Gründe:

– größere Haushalte und Familien

– geringere Bildung der Zielpersonen

– Verständigungsschwierigkeiten

• Ausschöpfung 34,1 %

• Wiederbefragungsbereitschaft über 60 %

Page 10: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Systematische Ausfälle durch Mängel der Adressgrundlage

Insgesamt 257 Fälle von Abweichungen zu den

Einwohnermeldeamtsangaben traten beim GGS

Türken auf. 128 Fälle ließen sich durch zentrale

Nachfragen bei den Zielpersonen klären. In 64

Fällen war keine Telefonnummer zu ermitteln,

aber der Interviewer konnte eine schriftliche

Bestätigung der Zielperson für die korrekte

Durchführung des Interviews beibringen. In

weiteren 19 Einzelfällen wurde ermittelt,dass

fälschlicherweise der gleichnamige

Familienangehörige befragt wurde.

Page 11: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Vorbereitung auf „heikle Fragen“

• >>Mit diesem Schreiben möchten wir Sie um Ihre Teilnahme an dem „Generations

and Gender Survey“ – kurz GGS – bitten. Der GGS ist eine der größten Umfragen in

Deutschland zu bevölkerungspolitischen Fragestellungen. Ziel dieser

wissenschaftlichen Studie ist es, u. a. Informationen über das Leben in Deutschland

(u. a. Familienverhältnisse) und die zu erwartende Entwicklung der gesamten

Bevölkerung in Deutschland zu gewinnen.

• In 2005 fand der GGS bereits bei der deutschsprachigen Bevölkerung statt. In einem

zweiten Schritt soll nun in 2006 diese Umfrage zusätzlich bei türkischen

Staatsangehörigen durchgeführt werden, um diese Studie nicht nur – wie leider sonst

allzu üblich – alleine auf die deutschsprachige Bevölkerung zu beschränken. <<

Page 12: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Fragen zu Einstellungen mit signifikanten Antwortausfällen bei türkischen Befragten

• Vorschulkind leidet bei

Erwerbstätigkeit der Mutter (F111306)

• Kinder erst, wenn Paarbeziehung

gesichert ist (F111309)

• Kinder als Alternative bei schwieriger

Arbeitsmarktlage (F111249)

• beste Betreuung sind eigene Eltern

(F111453)

• Ehe lebenslange Verbindung, sollte

nicht beendet werden (F110703)

• Mann braucht Kinder für erfülltes

Leben (F110706)

• religiöse Hochzeit für Brautpaar

wichtig (F110302)

• ehrliches oder ausnutzendes Verhalten

der Menschen (110600)

Interpretation: Es sind weniger die „heiklen“ Fragen, die ohne Antwort blieben, sondern

Fragen, die von für die Befragten fremden Gedankengängen ausgehen.

Page 13: Befragungserfahrungen Interviewführung bei fremdsprachigen Zielpersonen, Ausschöpfung, heikle Fragen – Erfahrungen mit dem Generations and Gender Survey

Untererfassung bei retrospektiv erhobenen Daten

Kohortenfertilität lt. amtlicher Statistik1930 1,791931 2,311932 2,321933 2,291934 2,291935 2,271936 2,241937 2,221938 2,181939 2,141940 2,171941 2,131942 2,081943 2,021944 1,971945 1,941946 1,881947 1,871948 1,851949 1,831950 1,831951 1,811952 1,801953 1,801954 1,801955 1,801956 1,801957 1,79

Kohortenfertilität in Westdeutschland (links) und Ostdeutschland (rechts) der Männer und Frauen, nach Geburtskohorten, Quelle: GGS 2005

1,0

1,2

1,4

1,6

1,8

2,0

1920-29 1930-39 1940-49 1950-59 1960-69

Geburtskohorte

1,0

1,2

1,4

1,6

1,8

2,0

1920-29 1930-39 1940-49 1950-59 1960-69

Geburtskohorte ◊ Männer; x Frauen; Messpunkte und Spline-Approximation