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Obere Extremität 2:112–113 (2007) DOI 10.1007/s11678-007-0043-4 A. K. Martini Begutachtung von Handverletzungen – Fallbeispiel Der 34-jährige Mann ist von Beruf Heizungsbauer und war früher aktiver Fußballspieler. Er erlitt im Mai 2001 einen Arbeitsunfall. Ein schwe- rer Heizkörper hat sich aus der Halterung rausgelöst und ist ihm auf die offen gehaltene rechte Hand und den Unterarm gefallen. Eine Woche später stellte sich der Unfallverletzte beim Unfallarzt wegen anhaltender Beschwerden vor. Zunächst konservative Behandlung unter der Diagnose: Prellung des rechten Handgelenkes. Keine Besserung der Beschwerden, daraufhin folgte die Kernspintomo- graphie 3 Wochen nach dem Unfall. Diese ergab folgenden Befund: Läsion des Diskus triangularis, St. 1 B nach palmar bei Ulnaplusvariante, möglicherweise einem ulnaren Impingementsyndrom entsprechend. 5 Wochen später erfolgte die Handgelenksarthroskopie mit folgendem Befund: Ein kompletter Verlust des SL-Bandes, im Diskusbe- reich zeigt sich ein Einriss, welcher mit dem Punch ge- glättet wird. Der klinische Befund war zu dieser Zeit bis auf die Druckempfindlichkeit des gesamten Handgelenkes unauffällig. Vor allem keine Karpusinstabilität. Rönt- genologisch zeigten die Funktionsaufnahmen keine In- stabilität der Handwurzelknochen und keine Ulnaplus- variante. Ein Nervenblockadetest zur Schmerzausschaltung des Handgelenkes schlug fehl. Eine erneute Kernspintomo- graphie, 6 Monate nach der ersten MRT, zeigte ein Kno- chenödem im ulnaren Abschnitt des Os lunatums. Der Diskus triangularis scheint kontinuierlich intakt. Ein Arbeitsversuch ist wegen anhaltender Beschwerden gescheitert. Schließlich wurde eine STT-Arthrodese durchgeführt. Die Arthrodese wurde mit Klammern durchgeführt, später hat sich eine Klammer gelockert, die Arthrodese ist knöchern durchbaut. Der Patient kann seinen Beruf nicht mehr ausüben, hat weiterhin Schmerzen im Handgelenk mit Bewegungs- einschränkung,dazu ein Taubheitsgefühl im Bereich des Handrückens, des Daumens und des Zeigefingers. Mehrere Gutachten wurden erstellt. Der Unfallzusam- menhang wird von einigen Gutachtern angenommen und von den anderen abgelehnt. Die Befürworter argumentieren wie folgt: Der Unfallhergang war geeignet einen Diskusscha- den zu verursachen (schwerer Heizkörper) Der Schaden wurde im MRT und bei der Arthrosko- pie festgestellt. Die Brückensymptomatik ist typisch. Die Gegenargumente sind: AUS DER GUTACHTENPRAXIS Obere Extremität 2 2007 In dieser Rubrik möchten wir Fälle veröffentlichen, die vom Verlauf, Beurteilung, Diagnostik oder Thera- pie eine Besonderheit zeigen und besonders lehr- reich sind. Solche Fälle sollen auch Diskussionsforum sein, wo man bei der Beurteilung geteilter Meinung sein kann. Prof. Dr. med. Abdul Kader Martini Sektion Handchirurgie Orthopädische Universitätsklinik Schlierbacher Landstraße 200a 69118 Heidelberg, Germany Tel.: +49-6221/96-6320 Fax: +49-6221/96-6356 E-Mail: [email protected]

Begutachtung von Handverletzungen – Fallbeispiel

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Page 1: Begutachtung von Handverletzungen – Fallbeispiel

Obere Extremität 2:112–113 (2007)DOI 10.1007/s11678-007-0043-4

A. K. Martini Begutachtung von Handverletzungen –Fallbeispiel

Der 34-jährige Mann ist von Beruf Heizungsbauer undwar früher aktiver Fußballspieler.

Er erlitt im Mai 2001 einen Arbeitsunfall. Ein schwe-rer Heizkörper hat sich aus der Halterung rausgelöstund ist ihm auf die offen gehaltene rechte Hand und denUnterarm gefallen.

Eine Woche später stellte sich der Unfallverletztebeim Unfallarzt wegen anhaltender Beschwerden vor.Zunächst konservative Behandlung unter der Diagnose:Prellung des rechten Handgelenkes. Keine Besserungder Beschwerden, daraufhin folgte die Kernspintomo-graphie 3 Wochen nach dem Unfall.

Diese ergab folgenden Befund:Läsion des Diskus triangularis, St. 1 B nach palmar

bei Ulnaplusvariante, möglicherweise einem ulnarenImpingementsyndrom entsprechend.

5 Wochen später erfolgte die Handgelenksarthroskopiemit folgendem Befund:

Ein kompletter Verlust des SL-Bandes, im Diskusbe-

reich zeigt sich ein Einriss, welcher mit dem Punch ge-glättet wird.

Der klinische Befund war zu dieser Zeit bis auf dieDruckempfindlichkeit des gesamten Handgelenkesunauffällig. Vor allem keine Karpusinstabilität. Rönt-genologisch zeigten die Funktionsaufnahmen keine In-stabilität der Handwurzelknochen und keine Ulnaplus-variante.

Ein Nervenblockadetest zur Schmerzausschaltung desHandgelenkes schlug fehl. Eine erneute Kernspintomo-graphie, 6 Monate nach der ersten MRT, zeigte ein Kno-chenödem im ulnaren Abschnitt des Os lunatums. DerDiskus triangularis scheint kontinuierlich intakt.

Ein Arbeitsversuch ist wegen anhaltender Beschwerdengescheitert. Schließlich wurde eine STT-Arthrodesedurchgeführt. Die Arthrodese wurde mit Klammerndurchgeführt, später hat sich eine Klammer gelockert,die Arthrodese ist knöchern durchbaut.

Der Patient kann seinen Beruf nicht mehr ausüben, hatweiterhin Schmerzen im Handgelenk mit Bewegungs-einschränkung,dazu ein Taubheitsgefühl im Bereich desHandrückens, des Daumens und des Zeigefingers.

Mehrere Gutachten wurden erstellt. Der Unfallzusam-menhang wird von einigen Gutachtern angenommenund von den anderen abgelehnt.

Die Befürworter argumentieren wie folgt:– Der Unfallhergang war geeignet einen Diskusscha-

den zu verursachen (schwerer Heizkörper)– Der Schaden wurde im MRT und bei der Arthrosko-

pie festgestellt.– Die Brückensymptomatik ist typisch.

Die Gegenargumente sind:

A U S D E R G U T A C H T E N P R A X I S

Obere Extremität 2 2007

In dieser Rubrik möchten wir Fälle veröffentlichen,die vom Verlauf, Beurteilung, Diagnostik oder Thera-pie eine Besonderheit zeigen und besonders lehr-reich sind.

Solche Fälle sollen auch Diskussionsforum sein, woman bei der Beurteilung geteilter Meinung sein kann.

Prof. Dr. med. Abdul Kader MartiniSektion HandchirurgieOrthopädische UniversitätsklinikSchlierbacher Landstraße 200a69118 Heidelberg, GermanyTel.: +49-6221/96-6320Fax: +49-6221/96-6356E-Mail: [email protected]

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– Der Unfallhergang war nicht geeignet, keine Distor-sion oder Überstreckung des Handgelenkes.

– Patient hat nach dem Unfall eine Woche schwer gear-beitet

– Patient war aktiver Fußballer mit Handgelenksbe-schwerden, die vor dem jetzigen Unfall eine einma-lige Arztkonsultation erforderlich machten.

Folgende Fragen sind zu diskutieren:1. War der Unfallhergang geeignet eine schwere Verlet-

zung des Handgelenkes zu verursachen, insbeson-dere einen Diskusriss?

2. Wie zuverlässig ist die Kernspintomographie? In diesem Falle hat die Arthroskopie auch einen

Diskusriss gezeigt, welcher mit einem Punch geglät-tet und entfernt wurde. Die MRT-Kontrolle zeigte 6Monate später einen unauffälligen Diskus. Ist ein sol-cher Verlauf regelrecht?

3. Das arthroskopisch festgestellte Fehlen des SL-Ban-

des war bisher klinisch stumm, auch die mehrfachdurchgeführte Röntgenkontrolle und Funktionsauf-nahmen zeigten weder statische noch dynamischeInstabilität der Handwurzelknochen.

Die Frage stellt sich in diesem Zusammenhang:Passen der klinische und röntgenologische Befundzu dem arthroskopischen Befund und ist die STT-Ar-throdese in diesem Fall berechtigt?

Ich finde diesen Fall insofern interessant, weil man so-wohl in diagnostischer, als auch therapeutischer Hin-sicht von der Wertigkeit und dem Sinn jeglicher Maß-nahmen, die man vornimmt, genau überlegt und sichnicht von irgendwelchen fraglichen Befunden zu gravie-renden Maßnahmen zwingen lässt.

Man darf die Zusammenhänge unter Berücksichtigungder Handfunktion nicht außer Acht lassen.

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