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Beihefte der Francia Bd. 60 2005 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi- kationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht- kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich ver- folgt werden.

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Beihefte der Francia

Bd. 60

2005

Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi-kationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich ver-folgt werden.

NORBERT CONRAD S

Das Incognito

Standesreisen ohn e Konventione n

Man kann aus unterschiedlichen Gründe n nach Paris kommen, vielleicht um sich hier zu amüsieren , i n de r Hoffnung , dabe i gan z unbeobachte t z u bleiben , vielleich t abe r auch, um bestimmte Leute zu treffen , namhaft e Historike r zu m Beispiel , denen ma n sich gerne vorstellen möchte . Im ersten Falle bleibt man lieber incognito, im zweite n trägt man am Revers sein Namensschild 1.

Daß es sich dabei um eine Form des Nachlebens von Verhaltensweisen aus der Zeit des Grand Tour handelt , ist ganz offenkundig. Jedem , der sich mit Fragen des Reise-verhaltens in der Frühen Neuzei t befaß t hat , ist geläufig, daß insbesondere fürstlich e Personen au f ihre n Reisen nicht nur Ruhm un d Applaus suchten , sondern of t genu g danach trachteten, wie man aller Aufmerksamkeit un d dem lästigen Protokoll entge -hen könne . Da s lie ß sic h a m einfachste n arrangieren , wen n ma n i n ein e neu e Roll e schlüpfte, seine n Name n verändert e ode r wechselt e un d somi t vorübergehen d ein e neue fingierte Existenz annahm. War der Zweck dieser Maskerade erfüllt, konnte man das Incognito halb ode r gan z lüfte n un d wa r wieder dieselb e Person wie zuvor . Er -staunlich daran war nur, daß in einer Welt, die peinlich genau jede Ehrbezeigung un d jede vermeintliche Ehrabschneidung registrierte , eine freiwillige Verbergun g und Er -niedrigung, der Verzicht auf Titel, große Namen, Standes- und Prestigeansprüche oh -ne nachteilige Folgen blieb.

Im Gegenteil , nach vollendeter Reis e legte man die gespielte Rolle ab, war wiede r der große Herr wie zuvor und genoß es, vor der Welt als ein Ulysses dazustehen2, de r alle Abenteuer und Gefahren tugendhaft überstande n hatte. Oft genu g war es die letz-te Aufgabe de r Reisehofmeister , de r staunende n Mitwel t davo n i n Buchform z u be -richten. Die alteuropäische Adelsgesellschaft hatt e dafür Forme n und Spielregeln ge-funden, di e allgemein galten, zunächst auf Reisen, bald auch bei anderer Gelegenheit 3.

Das war nicht immer so . Wäre es denn einem Herrscher de s hohen Mittelalter s i n den Sinn gekommen, di e eigene Würde und de n eigenen Namen z u verkleinern, nu r um e s auf Reise n bequemer z u haben ? Man mag bezweifeln, o b die Kenntnis Piato s verbreitet genu g war, wonach Namen auc h immer der adäquate Ausdruck de r Ding e seien. Ein Nachhal l davo n finde t sic h noch i n Goethe s Faust : »Be i Euch, ih r Herrn ,

1 Leich t veränderte und mit den erforderlichen Nachweisen versehene Fassung des Vortrages im DHI Pa -ris vom 25. November 2000.

2 Ulysse s als Vorbild des reisenden Fürsten ist ein gängiger Topos und findet sich schon im Titel der Rei-seschriften von Thomas Sagittarius (1621), Abraham Gölnitz (1631) und Sigismund von Birken (1668).

3 Milo s VEC , Zeremonialwissenschaft i m Fürstenstaat. Studien zur juristischen und politischen Theori e absolutistischer Herrschaftsrepräsentation , Frankfur t a. M. 1998 (lus Commune, Sonderheft 106) .

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kann man das Wesen gewöhnlich aus den Namen lesen«4. Am Hofe Karl s des Großen las ma n stattdessen de n spätantiken Philosophe n Boethius , de r sich zu r Frage von Namen und Benennungen etwas prosaischer geäußert hatte: »Ein Hirsch ist ein Hirsch und kein Pferd« 5.

So weit die Theorie. Sie schließt nicht aus , daß auch hohe Herren gelegentlic h aus Klugheit oder List anders handelten, wenn sie sich einer Gefahr entziehe n oder eine n Gegner täuschen wollten. Namensänderung, Namensfrevel, Namenstausc h ode r Na-mensübertragung habe n in Geschichte, Mythologie und Märchen eine lange Traditi-on6. Das muß hier ebens o übergange n werde n wie der Komplex literarische r Pseu -donyme7. Für all dies sind jedem zahlreiche Beispiele geläufig .

Gleichwohl unterla g de r Umgan g mi t de m eigene n Name n eine m historische n Wandel, wobei man annehmen darf , daß die spielerische Distanzierung vom eigenen Rang und Namen ein e ausgesprochen neuzeitlich e Verhaltensweise ist 8. Wollte man aber Zei t un d Or t de r Entstehung de s Incognito bestimmen, s o wird de r Kundig e manch überraschend frühe s Beispie l anführe n können , wobei ältere s und moderne s Verhalten vermutlich lange nebeneinander herliefen. War das Incognito aber erst ein-mal eingeführt und Konvention geworden, so konnte es eine ungeahnte Variation und Anwendungsbreite erlangen .

Über weit e Strecke n de s Mittelalters gal t ein ominöses Namensverständnis , gan z gleich, ob man zu Hause war oder au f Reisen. Name und Bedeutung waren eng an-einander gebunden. Einer hohen Person war es geradezu unmöglich, eines davon ab-zulegen. Die sakrale Weihe verlieh dem mittelalterlichen Herrscher , wie Chroniste n berichten, einen geradezu überirdischen Glanz . Selbst wenn Kar l der Große einer so beiläufigen Beschäftigung wie dem Schachspiel nachging, war er nicht zu verwechseln. Vom kaiserlichen Antlitz ging ein Leuchten aus, das ihn sofort erkennen ließ. So wuß-te es später der Pfaffe Konrad 9.

Auch wen n solch e Berichte an der Bibel orientier t un d sakral überhöht sind , mit anderen Worten keine Realität wiedergeben, so machen sie doch verständlich, warum Kaiser und Könige sich nicht als etwas anderes geben konnten als das, was sie waren. Nach mittelalterlichen Vorstellungen war es absurd, das König- oder Papstsein zu ver-leugnen. Dabe i war unerheblich, o b ein Name genann t wurde , denn de r geheiligte n Person standen die Zeichen ihrer Würde auf die Stirn geschrieben .

4 Johan n Wolf gang VON GOETHE , Faust , 1 . Teil, Vers 1332-1333. 5 Arn o BORST , Kaisertum und Namenstheorie im Jahre 800; in: Festschrift Perc y Ernst Schramm zu sei-

nem siebzigsten Geburtstag , Bd. 1, Wiesbaden 1964 , S. 36-51, hier S. 39. 6 Wilhel m SCHMIDT , Die Bedeutung des Namens im Kult und Aberglauben, in: Beitrag zur vergleichen-

den Volkskunde, Darmstad t 1912 ; Josef A . SINT , Pseudonymitä t i m Altertum, ihr e Formen un d ihre Gründe, Innsbruck 1960.

7 Michae l HOLZMANN , Han s BOHATTA , Deutsche s Pseudonymen-Lexiko n au s den Quellen bearbeitet , Wien 1906 , Neudruck Hildeshei m 1961.

8 Claudi a SCHNITZER , Höfisch e Maskeraden . Funktio n un d Ausstattun g vo n Verkleidungsdivertisse -ments an deutschen Höfen de r Frühen Neuzeit, Tübingen 199 9 (Frühe Neuzeit, 53) , hier S. 37ff. auc h ein Abschnitt über das Incognito.

9 Andrea s GESTRICH , Absolutismu s und Öffentlichkeit. Politisch e Kommunikatio n i n Deutschland z u Beginn de s 18 . Jahrhunderts, Göttinge n 199 4 (Kritische Studie n zu r Geschichtswissenschaft , 103) , S. 39f .

Das Incognito 593

Fernreisen kannt e das Mittelalter i n reicher Zahl . Die wenigsten davon geschahe n unbemerkt. Dem europäischen Adel, der im 14. Jahrhundert zu den Preußenreisen auf-brach, hätte es ganz ferngelegen, di e eigene Identität zu verbergen. Ein Zweck diese r Reisen war es doch, Ehre einzulegen, diese zu mehren und so stattlich wie nur irgen d möglich aufzutreten . Da s konnt e nu r erreich t werden , wenn ma n Namen un d Ran g überall herauskehrte und von jedermann unterwegs erwartete , geehrt und prachtvol l begrüßt und bewirtet zu werden. Den Namen oder Rang zu verheimlichen, würde den Sinn solcher Reise n geradez u verfehlen . Werne r Paravicin i hat e s wie folgt beschrie -ben: »Unsere Preußenfahrer ginge n nicht zu Fuß, demütig mit Pilgerstab und Pilger -tasche, sondern si e zogen, ihren üblichen Lebenssti l fortsetzend, hoffärti g einher« 10. Ein solches Auftreten mußte , nebenbei gesagt , eine Einladung an professionelle We -gelagerer sein, denen nichts willkommener war als eine prominente Geisel, für die sich ein stattliches Lösegeld erpressen ließ . Aber selbs t solche Eventualitäten veranlaßte n die Preußenfahrer nich t zu größerer Bescheidenheit .

Konnte man für die Preußenfahrer noc h das edle Motiv des Heidenkampfes gelte n lassen, so zogen andere Ritter allei n durch Europa, neugierig , kraftprotzend un d au f Selbstbestätigung erpich t wie etwa in den Jahren 148 3 bis 148 6 Nikolaus von Popp -lau. Er hatte etwas von einem fahrenden Ritter , der von Hof z u Hof zog , überall sei-ne Ankunft vermeldete , um sich dann beschenkt, mit Anerkennung und Geleitbriefe n versehen, zu m nächste n z u begeben 11. Nur i n Frankreich bzw . in der Bretagn e hiel t man ihn für einen Kundschafter ode r Hochstapler. Das mag als indirekter Beleg dafü r gelten, daß nicht alle unter ihrem wirklichen Namen reisten. Umso mehr hatte er dann Anlaß, die Großherzigkei t de r deutsche n Fürste n z u rühmen , di e ihn reic h entschä -digten.

Im Prinzip ähnlich, wenngleich gesitteter, begab sich ein Jahrhundert später Michel de Montaigne au f sein e Europareise. Überall, wohin e r gelangte, meldete e r sich mi t Namen an und erwartete , standesgemäß begrüßt und bewirte t zu werden. Wo es ihm gefiel, hinterließ er sein Wappen - scho n Popplau tat desgleichen -, und die Wirte muß-ten versprechen, es nie zu entfernen12. Wenn er gelegentlich den großen Unbekannte n spielte, so war es mehr ein Test auf die Wirkung seiner Persönlichkeit. Nachdem er sich bei seiner Reise durch Deutschland 158 0 in allen deutschen Städten angesagt und de n Willkommenstrunk genosse n hatte , ließ er in Augsburg die Stadtväter absichtlich i m Unklaren, welch vornehme Person ihnen die Ehre erwies. Den ganzen Tag stolzierte der geheimnisvolle Fremde allein durch Augsburg, nur um die Wirkung seiner Person zu erproben. Nicht Standesverheimlichung war seine Absicht, sondern die gegenteili-

10 Werne r PARAVICINI , Die Preußenreisen des europäischen Adels, Teil 1, Sigmaringen 198 9 (Beihefte de r Francia, 17/1) , S. 224.

11 Reisebeschreibun g Nicla s von Popplau Ritters , bürtig von Breslau, hg. von Piotr RADZIKOWSKI , Kra -kau 1998 ; Werne r PARAVICINI (Hg.), Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters, eine analytische Bibliographie, Tei l 1 , bearb . vo n Christia n HALM : Deutsch e Reiseberichte , Frankfur t a.M . 1994 , S. 320-323. Eine bisher unbekannte oder zumindest verschollene Handschrift dieses Reiseberichtes fand ich in der Biblioteka Narodowa i n Warschau, Sign . akc. 4791. Diese Handschrift - etw a aus dem Jahr 1700 - stamm t aus der Bibliothek des schlesischen Magnaten Johann Anton Graf Schaffgotsch .

12 Miche l de MONTAIGNE , Tagebuch einer Reise durch Italien , die Schweiz und Deutschland i n den Jah-ren 158 0 und 1581 , hg . von Otto FLAKE , Frankfurt a . M. 1988 (Insel Taschenbuch, 1074) , S. 262.

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ge Hoffnung, ma n möge ihn für noc h vornehmer halten , al s er ohnehin war 13. Mon -taignes Spie l setz t freilic h voraus , daß unte r wirklic h große n Herre n da s Incognito schon üblich war.

Als letztes Beispiel für Reisen alten Stils mag noch Herzog Heinrich XI. von Lieg-nitz angeführt sein , dessen zahlreiche Eskapaden quer durch Europa sein Hofmeiste r Schweinichen festgehalten hat 14. Wenn man so geltungsbedürftig un d zugleic h unbe-mittelt wie dieser fürstliche Herumtreibe r war , dann bo t das damalige Gastrecht im -mer Möglichkeiten, sich selbst einzuladen und auf Kosten anderer zu leben. Obwoh l seine Fahrte n vo n manche n Peinlichkeite n begleite t waren , be i dene n ander e sic h lieber versteckt hätten, so konnte diese Schmarotzerei nur dann erfolgreich sein , wenn man überall kund und zu wissen gab, welch hochgestellte Persönlichkeit im Anzug sei. Das funktionierte , wei l auch Städt e und Höf e a n Ehre z u verlieren hatten . Nämlic h dann, wenn sie die üble Nachrede zu fürchten hatten , sie wüßten nicht, was man einem Fürsten schuldig sei. Di e Möglichkeit des Reisens al incognito war übrigens dem Her -zog bekannt, aber es zu benutzen, hätte ihm keinen Vorteil gebracht .

Von allen hier erwähnten Reisen unterscheiden sich die fürstlichen Jerusalem-Wall -fahrten15. Der Fürst reiste mit einem Gefolge, führte als o seinen kleinen Hofstaat mi t sich, in dem die gewohnten Hierarchie n bewahr t blieben , auch wenn all e das gleich e Pilgergewand trugen . So konnte man nach außen möglichst unerkannt und unbeach -tet bleiben. Das machte allen Pilgern die demütigenden Bedingungen erträglicher, mit denen ma n konfrontier t wurde , sobald ma n im palästinensischen Jaffa a n Land ging . Hier herrschte n die Gesetze einer fremden, manchma l sogar feindlichen Welt . Jeder-mann, o b Fürs t ode r Begleiter , wurde ähnlic h schlech t behandel t un d mußt e i n de n stinkenden Gewölben des Hafens au f den Guardian aus Jerusalem warten, der für da s freie Gelei t an die heiligen Stätten zuständig war 16.

Entweder i n Jaffa ode r späte r mußte n sic h die Pilger eine r Personenüberprüfun g unterziehen. Die Umstände diese r Anmeldung waren freilich orientalisch . So erlebte es eine Pilgergruppe von 1493 . Hie r hot ie glich er Pilgerinn seinen Namen müssen nen-nen und auch seines Vaters Namen, do ist des Soldans [Sultans ] schraiber gewest und sie aufgezaicht 17. E s war gefährlich, einen falschen Namen anzugeben. Die mameluki-schen ode r türkische n Sultan e hatte n ja gleichfall s ei n legitime s Sicherheitsinteress e und mochte n überdie s jede Täuschung al s Mißachtung de s Gastrechte s ode r Anzei -chen feindlicher Gesinnun g deuten . Diese Erfahrung macht e 155 6 eine adlige Pilger -gruppe, die wegen Angabe falscher Namen in die Sklaverei verschleppt wurde. Durch französische Fürsprach e beim Sultan kam die Gruppe nach zwölf Jahren wieder frei . Wobei eine r de r Betroffene n namen s Wol f vo n Oppersdor f (1532-1572 ) beinah e

13 Ibid . S. 62. 14 Han s VO N SCHWEINICHEN, Denkwürdigkeiten , hg . von Hermann OESTERLEY , Breslau 1878. 15 Daz u zusammenfassend Folke r REICHERT , Erfahrung de r Welt. Reisen und Kulturbegegnun g i m spä-

ten Mittelalter, Stuttgart 2001 , S . 137-157; Gerhard FAIX, Folker REICHERT , Eberhard i m Bart und di e Wallfahrt nach Jerusalem im späten Mittelalter, Stuttgart 1998 (Lebendige Vergangenheit, Zeugnisse und Erinnerungen, 20).

16 Heinric h MEISNER , Reinhol d RÖHRICHT , Di e Pilgerfahrt de s Herzogs Friedrich I L von Liegnit z un d Brieg nach dem Heiligen Lande, in: Zeitschrift de s Deutschen Palaestina-Vereins 1 (1878) S. 124f .

17 Reinhol d RÖHRICHT , Die Jerusalemfahrt de s Heinrich von Zedlitz, in: Zeitschrift de s Deutschen Palae-stina-Vereins 1 7 (1894)S.193.

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zurückbehalten wurde, denn er hatte über seinem Unglück vergessen, welchen Namen er vor zwölf Jahren benutzt hatte 18.

Wie fürstliche Pilge r sich der Personenkontrolle stellten , welche Namen und Tite l sie angaben, bleibt in den meisten Pilgerberichten unerwähnt . Herzo g Ott o vo n de r Pfalz hatt e sic h be i seiner Pilgerfahr t vo n 146 0 unter sei n Gefolg e gemisch t un d di e Verheimlichung seines Namens und Standes noch auf der Rückfahrt aufrechterhalten . Erst als man endlich in Zypern »auße r Sorgen« war, wagte man den Schleier etwas zu lüften19. Herzo g Albrecht von Sachsen hatte 1476 das Heilige Land besucht. Aber als sein Schiff ablege n wollte, versuchten »di e Heiden« e s zu verhindern. Ihnen war be -kanntgeworden, unter den Pilgern befänden sic h zwei Könige, und das sei ihnen ver-schwiegen worden. Der Chronist Hans von Mergenthai berichtete, wie man sich dar-aufhin die Abfahrt des Schiffes mit dem Schwert erkämpfen mußte. Als man aufs Meer hinaussegelte, war endlic h die Zeit der Demütigungen vorüber . Triumphal lie ß Her -zog Albrecht sei n großes Hauptbanne r hissen , und all e sangen das »Te deum lauda -mus«20. Albrecht hatte also unerkannt das Heilige Land besucht. Daß er sich dabei des Namens »Albrech t von Grimm « bedien t habe , findet sic h nicht be i Hans vo n Mer -genthal, sondern ers t 200 Jahre späte r be i Sigmund von Birken 21. Woher Birken sei n Wissen bezog, bleibt unerfindlich. Ha t er , der ja auch sonst fabulierte, die Geschichte nur s o vervollständigt, wi e e r e s vermuten konnte ? Z u seine r Zei t benutzte n sächsi -sche Prinzen gerne Incognito-Namen, in denen der Geburtsort des Fürsten aufschien . Sollte sich aber Birkens Angabe bestätigen lassen , wäre es der früheste Bele g für ein e Namensbildung nach dem Muster späterer Incognito-Namen .

Wie der württembergische Herzog Eberhard im Barte 1468 das gleiche Problem lö-ste, daz u schweig t sein Reisebericht. Gleiches gil t für Herzo g Friedrich von Liegnit z 1507. Auc h er wollte unerkannt bleiben. Erst 15 0 Jahr e später kursierte in Liegnitz die Anekdote, Herzog Friedrich sei beim Gebet am Ölberg von einer Zigeunerin berühr t worden, di e ih n aufforderte : »Ste h auf , Herzo g Friedric h vo n Liegnitz!« . De r er -schrockene Herzog habe dringend gebeten, nicht verraten zu werden . Er wolle der Zi-geunerin und ihre r Familie einen solchen Dienst reichlich entgelten, wenn si e einmal nach Schlesien kämen 22.

18 Konra d WUTKE , Schlesisch e Wallfahrte n nac h de m heilige n Land , in : Studie n zu r schlesische n Kir -chengeschichte, Breslau 190 7 (Darstellungen und Quellen zu r schlesischen Geschichte , 3), S. 165f .

19 Dorothe a A . CHRIST , Da s Familienbuc h de r Herre n vo n Eptingen , Liesta l 199 2 (Quelle n un d For -schungen zur Geschichte und Landeskunde des Kantons Basel-Landschaft, 41) , S. 284. Im Wortlaut bei Hans Bernhard von Eptingen: Do kam zue unns deß königs Botschafft, frogten unns ob ein herr under unns were, dofrogte mich mein herr Hertzog Oth waß sy seyeten, do sagt ichs ihme was sye gefrogt ket-ten, do redt er mit seinen gesellen unnd mir was Ihme zuthun were dann er sich vohrmahls uff der fahrt untz dar zue keinem herren hat zuerkhennen gehen, sprach ich er wer nun usser sorgen er gehe sich wol zuerkhennen doch Niemanden alls dem könig unnd seinen Räthen, unnd daß mann sonsten nit der-gleichen thete, do volgete er mir, darauff nam ich drey der obersten deß königs, Und seyte ihnen wer mein herr hertzog Otth were.

20 S o in Hans von Mergenthal s Bericht , fol. 23v. Den Hinwei s dank e ich Folker Reichert , Stuttgart , de r die Handschrift Chart . B 415 in der Forschungs- und Landesbibliothek Goth a auswertete .

21 Sigmun d VON BIRKEN, Königlich Polnischer, Chur- und Fürstlich Sächsischer Helden-Saal, o. J. [1677], Teil 2, S. 92.

22 Johan n Peter WAHRENDORFF, Lignitzische Merckwürdigkeiten oder historische Beschreibung der Stadt und des Fürstenthums Lignitz , Bd. 2, Budissin 1724 , S. 87.

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Die auf jeder Fahrt geübte Geheimhaltung wurde nur einmal durchbrochen, bei m Ritterschlag am Heiligen Grabe . Adligen Palästinapilgern war neben dem Besuch der heiligen Stätte n diese r Moment da s eigentliche Zie l und de r Höhepunk t ihre r Fahrt . Einem Geor g vo n Ehinge n gal t sein e Pilgerfahr t überhaup t al s »Reis e zu r Ritter -schaft«. Grabesritte r wurd e ma n in einer gena u festgelegten Zeremonie , in der jede r Anwärter seine ritterliche Geburt beeiden mußte. Außer der persönlichen Vorstellung bedurfte e s noch des Nachweises der Vorfahren von vier Schilden her23. Nur eine Per-son, di e selbs t bereit s Grabesritte r war , durft e de n Ritterschlag erteilen , i m übrige n aber beanspruchten die ranghöchsten Personen dieses Recht für sich. Folglich wurden anwesende Fürsten als erste zum Ritter geschlagen, um anschließend denselben Dienst an ihrem Gefolge verrichten zu können. Für di e kurze Frist dieser mitternächtliche n Zeremonie war also die Welt wieder in höfischer Ordnung. Aber mit dem Augenblick, da man di e Grabeskirch e verließ , mußte ma n zurüc k i n jene Rolle schlüpfen , i n de r man das Heilige Land betreten hatte .

Beim Ritterschlag in der Grabeskirche hätte ein Beobachter als o notieren können , wer unte r de n anonyme n Pilger n Fürs t wa r un d welch e Namen all e in Wirklichkei t trugen. Doch Fremde waren hier nicht zugegen. So wie die Christen nicht die islami-sche Tempelmoschee betrete n durften , ga b es in der Grabeskirch e kein e islamische n Zeugen. Der Ritterschla g fan d nacht s i n hermetischer Abgeschlossenhei t statt , den n man wurd e vo n de n islamische n Wächter n eingeschlossen 24. Ein e schriftlich e Beur -kundung, die dann wohl Namen und Titel der neuen Ritter hätte nennen müssen, gab es ebensowenig. Nur da s Jerusalemkreuz, das man dann seine m Wappen hinzufügte , bewies den Ritterschlag und notfalls auc h die Zeugen, die man später nennen konnte .

Der Begrif f de s Incognito ist italienischer Herkunf t un d läß t sich im Italienische n weit zurückverfolgen25. In seiner speziellen Bedeutung des Reisens unter anderem Na-men stammen abe r auch hier die Erstbelege aus dem 16 . Jahrhundert . Von Italien ge-langte der Begriff in s übrige Europa, zuerst nach Frankreich, wo Lexika ihn seit 1581 buchen26. I n Deutschland is t wohl noch nicht gründlic h genu g recherchiert worden . Jedenfalls wär e es verwunderlich, wenn Sigismun d von Birkens »Brandenburgische r Ulysses« 166 8 der gedruckte Erstbeleg bliebe27.

Schon Birkens Buchtitel war eine allegorische Anspielung auf jenen brandenburgi-schen Prinzen Christia n Erns t von Brandenburg-Bayreuth, de n Birken durch Italie n führte. Auch Odysseus, der Listenreiche, wechselte ja auf seinen Fahrten Namen un d

23 De r für den Ritterschlag in Jerusalem zuständige Laienbruder verlangte 1493 , man solde Im keynen der-zue lassen, der nicht von seinenn vier Schildenn geboren wer. Reinhold RÖHRICHT , Die Jerusalemfahr t des Heinrich von Zedlitz, in: Zeitschrift de s Deutschen Palaestina-Vereins 1 7 (1894) S. 282.

24 Jürge n KRÜGER , Die Grabeskirche zu Jerusalem. Geschichte - Gestal t - Bedeutung , Regensburg 2000, S. 172ff.

25 Salvator e BATTAGLIA, Grande dizionario della lingua italiana, Bd. 7, Turin 1972, S. 702 ; Ald o DURO u. a., Vocabulario della lingua italiana, hg. von Istituto della enciclopedia italiana, Bd. 2, Rom 1987 , S. 13.

26 Dictionnaire alphabétiqu e et analogique de la langue français e d e Pau l ROBER T (L e Gran d Robert) , 2. Ausg. , Paris 1985, S. 478: »Condé partit d'Agen incognit o e t déguisé«.

27 Sigmun d VO N BIRKEN , Hoc h Fürstliche r Brandenburgische r Ulysses : oder Verlau f de r Lände r Reise , Welche .. . Christia n Ernst/Marggra f z u Brandenburg .. . verrichtet . Bayreuth 1668 . Hier: »Unterthä -nigste Zuschrift« . Weiter e Belege be i Hans SCHULZ , Deutsche s Fremdwörterbuc h 1 , Straßburg 1913 , S. 294f.

Das Incognito 597

Aussehen. Aber wenn Birken dem Incognito sozialpolitische Motive unterlegte, weil es dem Fürsten den unmittelbaren Kontakt mit dem »gemeinen Volk« erlaube, so wird man hie r gehörig e Abstrich e vornehme n müssen . Haru n a l Raschi d wa r sicherlic h nicht der Urahn des Incognito. Bei Birken heißt es: Es ligt auch einem Fürsten viel dar-an, daß er die Sitten der Untern kenne: daher von vielen gelesen wird, daß sie zuwei-len verkleidet unter das gemeine Volk gegangen. Ein Fürst gelanget durch Reisen zu diesem Zwecke: sonderlich wann er incognito oder unbekandt reiset. Das Moti v de s Fürsten, de r - se i es auf Reise n ode r dahei m - unerkann t un d vo r alle m spätabend s durch die Residenz oder über die Promenaden wandert, ja der sich in die Wirtshäuser begibt, um di e Wahrheit übe r sein e Regierung un d di e Stimmung de s Landes z u er -fahren, zieh t sich nicht erst seit Birkens Ulysses durch die Literatur28. Auch wenn ein Autor es vom anderen übernahm, so handelt es sich doch um einen populären Topos, der als solcher eine eigene Untersuchung verdiente .

Wenn man sich vor allem anhand deutscher Beispiele mit dem Incognito befaßt, s o ist zunächs t festzuhalten , da ß es der deutsch e Hochade l war , der mi t dem Aufkom -men de s Gran d Tou r dies e Vereinfachung de s Reisezeremoniells aufgriff . Ei n Fürst , und se i es nur ei n Prinz, der sich auf Reisen begab, wäre an jedem Or t un d Ho f ver -pflichtet gewesen , sich auf ein Begrüßungszeremoniell einzulassen , das jede Reise auf-halten un d überau s kostspieli g mache n mußte . D a nu n de r erklärt e Zweck e solche r Reisen ei n bildungspolitischer war , wäre das Studium de r Sprachen , Sitten und Kul -turen zu kurz gekommen .

Wer einen großen Namen trug, konnte auch seinen fürstlichen Ran g nicht verleug-nen. Man mußte also mit dem Namen auch den hohen »Charakter« ablegen. Reisen al incognito hieß, sich eines anderen Namens und Charakters zu bedienen. In der Regel konnte ma n al s Fürst au f geringer e Tite l zurückgreifen , übe r di e man unter andere n auch verfügte. Seltene r war die Ausleihe fremder Namen . Reisen al incognito konnte sehr verschieden ablaufen . Ma n konnte ei n totales Incognito anstreben, bei dem ein e strikte Geheimhaltun g verabrede t war , so daß au f de r ganze n Reise die Anonymitä t eines Prinzen gewahr t blieb . Oder ma n führte ei n offenes Incognito, und jederman n wußte, der hier auf Grand Tour durchreisende Gra f is t in Wirklichkeit jener bekann -te Prinz , de r abe r nich t weite r belästig t z u werde n wünschte . Beide s lie ß sic h nu r schwer durchhalten, weil auch Prinzen ihr Prinzsein nur schwer unterdrücken konn -ten. Ein Fürst , der al s Graf reiste , wollte dann doch wie ein Fürst gewürdig t werde n oder er wechselte, je nach Gelegenheit, immer wieder die Rollen.

Zunächst noc h einig e grundsätzliche Überlegungen , di e anschließend a n konkre -ten Beispielen illustriert werden sollen. In die deutschen Lexika gelangte das Stichwort »Incognito« mit der zu erwartenden Verzögerung. Im Zedlerschen Universal-Lexicon wird e s knapp berücksichtigt 29. Di e im Vormärz erscheinend e Allgemein e Enzyklo -pädie von Ersch und Grube r ha t das Wort bereit s wieder aussortiert . Stichworte wi e Hofreise, Staats-Reis e oder auch Grand Tour kommen in beiden nicht vor.

28 Juliu s Bernhard VO N ROHR, Einleitun g zur Ceremoniel-Wissenschaf t de r großen Herren , Berlin 1733, Neudruck Weinheim 1990 , S. 33; Friedrich Car l VO N MOSER, Teutsches Hof-Recht, i n zwölf Bücher n entworfen, Bd . 2, Frankfurt, Leipzi g 1754, S. 422.

29 Johan n Heinrich ZEDLER (Verleger), Grosses vollständiges Universal Lexicon aller Wissenschaften un d Künste, Bd. 14, Neudruck Gra z 1982 , Sp. 607.

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Zum Incognito bringt Zedier folgende Definition: Incognito seyn heisset / wenn ein vornehmer Herr sich vor eine Privat-Person ausgiebet / damit er verborgen bleiben möge. Es hat seine Gradus [als o Abstufungen], denn halb incognito seyn/ ist wenn ein grosser Herr zwar äusserlich einen geringen Namen /jedoch die Ehren-Bezeugungen als [wie etwa] Escorte bey der Einhohlung / Visite und Wache annimmt; oder wenn er alles dergleichen abschlaget und sich gar nicht zu erkennen giebet 30.

Zieht man die zeitgenössische Zeremonialliteratur heran , so enthält Gottfried Stie -ves Europäische s Hoff-Ceremoniel l vo n 171 5 noch kein e speziell e Behandlun g de s Gegenstandes, obwoh l sei n Buc h beiläufi g da s Incognito erwähnt31. I m selbe n Jah r veröffentlichte de r sächsische Prinzenerzieher Julius Bernhard von Rohr eine »Einlei-tung zu de r Klughei t z u leben« , die sich unter andere m mi t dem Für und Wide r de s Reisens befaßte. Das Buch war auf ein breiteres Publikum gerichte t und enthiel t zu m Beispiel den Ratschlag, auf Reisen einen Trauerfall vorzutäuschen, weil man sich dann mit einem einzigen schwarzen Kleid begnügen könne. Denn so brauchst du nicht viel Kleider .. . und kanst in alle Compagnien gehen, dich auch in einem schwarzen Kleide ausgeben, vor wem du wilst 32. E r fügt abe r gleich eine Warnung hinzu, bei der scho n das vertrauliche »du« erkennen läßt, daß sie für die Normalsterblichen unter den Tou-risten gedach t war: Verläugne niemals, weder in Gasthöfen, noch sonst auf der Reise, deinen Namen, ob du gleich bisweilen Raison hast, deinen Stand, Profession und an-dere Umstände zu verstellen. Denn du wirst sonst, wenn es heraus kommt, daß du dei-nen Namen verändert, vor einen Spion gehalten und kannst in groß Unglück kommen.

Das Zedlersch e Lexiko n übernah m Rohr s Empfehlunge n i n seine n aufschlußrei -chen Artikel »Reisen«. Freilich sollte derselbe Autor Rohr 1733 noch eine »Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaff t de r große n Herren « verfassen , un d fü r groß e Herre n galten andere Maßstäbe. Ein eigenes Kapitel handelte hier »Von den Reisen der Fürst -lichen Herrschafft« . Hie r finden sic h grundsätzliche Bemerkunge n z u den Vorzüge n des Incognito-Reisens 33.

Es ist nicht zu übersehen, daß Rohrs Ausführungen bereit s der Zeit des aufgeklär -ten Absolutismus angehörten . Hinter der Widersprüchlichkeit ode r der sozialen Dif-ferenzierung seiner Auskünfte ließ sich die kontrollierende Neugier des modernen Po-lizeistaates erkennen. Reisen und Reisende hatten sich einer staatlichen Aufsicht zu un-terwerfen, vo r de r e s kein e Geheimniss e gebe n durfte . Andererseit s konnt e di e Verminderung ode r ga r Abschaffun g de s Zeremoniell s jetz t al s Handlun g au s de m Geist der Aufklärung interpretier t werden. Der zeremonielle »Stilbruch« des 18 . Jahr -hunderts began n bekanntlic h mi t de m Regierungsantrit t de s preußische n König s Friedrich Wilhel m I. 171334. Für aufgeklärt e Herrscher , welch e täglich Unifor m an -stelle de r Gala-Garderob e truge n un d sic h selbs t al s erst e Diene r ihre s Staate s ver -standen, wurde das Incognito etwas Alltägliches.

30 Ibid . 31 Gottfrie d STIEVE , Europäisches Hoff-Ceremoniel , Leipzi g (be y Joh. Friedr . Gleditschen s seel . Sohn)

1715,S.404f. 32 Zitier t nach ZEDLE R (wie Anm. 29) Bd. 31, Sp . 369f. 33 Juliu s Bernhard VO N ROHR, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft de r großen Herren, neue Aufla -

ge, Berli n 1733 , S. 124ff. 34 Pete r BAUMGART , Friedric h Wilhel m I. (1713-1740), in: Preußens Herrscher . Von den erste n Hohen -

zollern bis Wilhelm IL, hg. von Frank-Lothar KROLL , München 2000, S. 134-159.

Das Incognito 599

So mag die Aufklärung noc h einma l zu eine r Spätblüte des Incognito beigetragen haben, weshal b Friedric h Kar l von Mose r i n seine m Teutsche n Hofrech t 175 4 ver -wundert das immer mehr Mode werdende Reisen al incognito vermerkt35. Das nimm t er zum Anlaß, gründlicher al s kein anderer vor ihm, Geschichte und Recht des Inco-gnito zu analysieren . Hier wird die Frage daß und ob ein Herr incognito da seye, aus drei Perspektiven betrachtet, die er anschließend näher erklärt. Das Incognito eines ho-hen Herrn lasse sich feststellen erstens an seiner Person, zweitens an dem Betragen des Hofs gege n ihn und drittens in seinem Betragen gegen den Hof 36.

Moser, der sein Thema mit gründlichem Ernst zergliederte, ging noch nicht auf den Wandel des Incognito ein, der längst ein weites Anwendungsfeld erreich t hatte. Aber später, als Moser das Reichsgeschehen publizistisch kommentierte , muß ihn die spie-lerische Ironie, mit der Kaiser Josef II. sein Incognito instrumentalisierte, fasziniert ha -ben.

Wie jedoch da s Incognito in seinen Anfängen praktizier t wurd e und welch e Ent -wicklung es nahm, läßt sich am besten aus den Quellen selbs t belegen. Ein gutes Bei-spiel für den Ablauf einer Incognito-Reise bietet die Italienreise des Herzogs Friedrich von Württemberg 1599 . Sie ist durch di e bereits 160 3 erfolgte Veröffentlichun g un d Quellenpublikation gu t belegt 37. Friedric h nannt e sich , d a e r »unbekannt « bleibe n wollte (das Wort Incognito fehlt im ganzen Buch), einfach Junker Fritz von Sponeck , denn ihm gehörte das Bergschloß Sponec k bei Breisach. Um abe r die Verwirrung z u steigern, behauptete er, ein Bayer zu sein. Zu seiner Begleitung gehörten drei Edelleu-te, di e ihren Namen behielten, und mindestens vier Bedienstete. Letztere mußten sich auf Befehl des Herzogs als auch vom Adel nennen und schreiben, denn das machte die Tarnung perfekter . Ein e größer e Bedienun g hätt e sofor t de n Verdacht geweckt , hie r reise ein Fürst. Man wollte aber den Anschein erwecken , es handle sich um eine gute Gesellschafft etlicher Teutschervom Adel, welche, miteinander etwas zu versuchen, sich zusamen gethon betten, inmassen dann unsere Kleidungen, wie anfangs gemeldet, be-schaffen waren 3*. Der ganze Vorgang ist recht erstaunlich. Um das Incognito des Für-sten abzusichern, werden seine Diener zu Adligen erklärt. Mehr ist leider nicht zu er -fahren. Auch nicht, ob für diese n Zweck der Zusatz des schlichten Wörtchens »von « ausreichte oder ob sie glaubhaftere Adelsname n erhielten .

Wie jeder Italienreisende mußte auch diese Gruppe Gesundheitsatteste vorweisen , die man »Vede « nannte. Sie lauteten von Or t z u Or t rech t gleich und verbrieften da -bei das Incognito. Der Stadtammann von Bregenz besiegelt e also dem Edel und Vest Fritz von Sponeck auß dem Land Bayern, Zeiger diß Brieffs e r sei vermittelst Göttli-cher Hülff unnd Gnaden, nacher Italien zuziehen willens und Vorhabens un d wede r

35 Friedric h Carl VON MOSER, Teutsches Hof-Recht. In zwölf Büchern entworffen, Bd. 1, Frankfurt, Leip -zig 1754 , S . 260.

36 Vgl . den Text im Anhang. 37 Heinric h SCHICKART von Herrenberg, Beschreibung einer Raiß, welche ... Frideric h Hertzog zu Würt-

temberg .. . im Jahr 159 9 .. . i n Italiam gethan . Tübingen be y Erhard o Cellio , im Jahr 1603 ; Wilhelm HEYD, Handschriften un d Handzeichnungen des herzoglich württembergischen Baumeisters Heinric h Schickhardt, Stuttgart 1902 .

38 SCHICKARD T (wi e Anm . 37 ) S . 7 ; HEY D (wi e Anm . 37 ) S . 72 .

600 Norbert Conrad s

in der besuchten Herberge zu r Cron noch in der Stadt habe es pestilenzische Krank -heiten gegeben 39.

Es bereitete dem Herzog sichtlich Freude, in der Herberge zu Mailand oder auf die Domglocke den Namen Sponeck schreiben zu lassen. Bei Pavia kam ihnen eine deut-sche Reitergruppe entgegen , auch sie incognito, aber eindeutig Fürst Philipp Ludwi g von Pfalz-Neuburg mi t Gefolge . Man tat, als kenne man sich nicht und beschleunig -te den Ritt . Auch in Rom, dem Ziel der Reise, verriet man nichts . Von einem Gerüs t für vornehme Personen aus sah der Herzog zum Greifen nahe den Papst. Zur Andacht bestand keine Veranlassung, denn just bei dieser Gelegenheit wurde ihrer Fürstliche n Gnaden ein schlagendt Uhrlein aus dem Hosensack gestolen 40.

Auf der Rückreise stattete man der Deutschen Nation in Bologna einen Besuch ab. Hier sprach sich herum, daß Junker Sponeck ein Fürst sei. Aber der Herzog lehnte je-de Einladung ab . Der Aufenthalt i n Bologna is t auch durch den Eintrag in die Matri-kel der deutschen Nation bezeugt. Mit eigener Hand und mit seinem vollen fürstliche n Titel schrieb e r sich ein41. Die Consiliaren , die damit in s Vertrauen gezoge n wurden , mußten versprechen, die Matrikel einen Monat lang niemandem zu zeigen. Eine Mei-le vor Florenz wartete schon der Hofmeister de s Großherzogs Antonio de Medici auf die württembergisch e Reisegruppe , u m si e i n de n Palas t einzuladen . Al s ma n sic h sträubte, präsentierte de r Hofmeiste r seine n Befehl, und ma n sah, die Einladung wa r auf de n Duc de Mercure ausgestellt. Man war das Opfer eine r Verwechslung gewor -den. Erleichter t konnt e ma n danken , abe r um eine n Besuch , doch obnerkandt, ka m man nicht herum. Die freundliche Aufnahme lie ß die Württemberger schließlich nicht unbeeindruckt. Be i ihrer Ankunft i n Pisa beendeten si e das Spiel und gabe n sich dem Großherzog z u erkennen . Noc h i n Lucc a erreicht e Herzo g Friedric h ei n Schreibe n Papst Klemens' VIII., wie sehr ihre Heiligkeit bedauerten, daß ihre fürstliche Gnade n von Württemberg sic h nicht zu erkennen gegebe n hätten. Ihr wäre sonst in Rom viel Ehre und Gute s widerfahren. Sei t Pisa verbreitete sich die Nachricht, wer der Junker Sponeck sei . Ein e leichte Erkrankung der Reisenden gab dem Herzog von Mantua Ver-anlassung, den eigenen Leibarzt zur Verfügung z u stellen, der die bald wieder genese-ne Reisegruppe bis nach Stuttgart begleitete .

An Berichten dieser Art gibt es viele. Es war die Zeit, in der ein württembergischer Prinz nach dem anderen zum Gran d Tour aufbrach, s o daß der Stuttgarter Reisehof -meister Johann Henne r sein e gesammelte n Erfahrunge n 160 9 in eine m »Politische n Diseurs« zusammenfaßte42. E r schrieb, trotz alle r Bedenken seien die fürstlichen Bil -dungsreisen unverzichtbar . Jährlich zöge n meh r al s zwanzig deutsch e Prinze n nac h Italien und all e kämen wohlbehalten zurück . Er empfehle , ein e fürstliche Reisegrup -pe auf sechs bis sieben zu beschränken. In den Herbergen soll e man weder sagen, wer

39 SCHICKARD T (wie Anm. 37) S. 6f.; HEY D (wi e Anm. 37) S. 71. Di e Bedeutung dieser Fede oder Patenta hebt auch Furttenbach hervor. Joseph FURTTENBACH, Newes Itinerarium Italiae, Ulm 1627 , zitiert nach der Neuausgabe Hildeshei m 197 1 mit einem Vorwort von Hans FORAMITTI , S . 2.

40 HEY D (wi e Anm . 37 ) S . 143 . 41 L a matricola 1573-1602 , 1707-1727 a cura di M. Luisa ACCORSI , Bologna 199 9 (Natio germanic a Bo -

noniae, 1) , S. 87, Nr. 20. 42 Johanne s HENNER , Politische r Diseurs de arte apodemica seu vera peregrinandi ratione das ist eigentli-

che Beschreibung der Pérégrination, Tübingen (i n der Cellischen Truckerey) 1609 .

Das Incognito 601

man sei, noch wohin man ziehe (das Wort »Incognito« kennt er noch nicht). Es sei rat-sam, nur das notwendigste Bargeld bei sich zu führen, denn bei Bedarf könne man sich Geld durc h Wechse l verschaffen . I n Religionssachen gelt e es vorsichtig z u sein und Disputationen zu meiden. Nicht zuletzt müsse man auch unterwegs ein christlich Le-ben führen, sons t provoziere man die Strafe Gottes 43.

So verlockend die Reise nach Italien und Frankreich auch war, sie führte für Prote-stanten in eine katholische Welt, die man bisher vielleicht nur aus dem Zerrspiegel kon-fessioneller Polemik kannte. Nichts fürchteten fürstlich e Eltern mehr, als daß ihr Sohn in die Fänge der Jesuiten geraten und dem wahren Glauben verloren gehen könne. Bei-spiele für konfessionell e Abwerbun g ga b es im 17 . Jahrhundert s o viele, daß Volker Press vo m »Jahrhunder t de r Konvertiten « gesproche n hat 44. Die Instruktionen vo r Reiseantritt enthielte n dahe r strikt e Mahnungen, wie man sich im katholischen Um-feld zu verhalten habe. Notfalls standen evangelische Reisebreviere zur Verfügung, das von Mayer oder von Königsmann. Sie sollten den anpäbstische Oerter reisenden Lu-theraner i n seinem Glauben festigen 45.

Daß sich unter den deutschen Scholare n viele Protestanten befanden , wa r in Itali-en bekannt. Für sie gab es manche Studienerleichterungen. Aber Protestant und Prinz zu sein, war gefährlich. Für viele besorgte Eltern war daher die Einrichtung des Inco-gnito auch aus konfessionellen Gründe n hochwillkommen . Am besten blieb man auf der ganzen Reise verborgen, hielt sich an das Gefolge und schlief mit diesem auf Stroh oder auf der Bank, ja man leistete dem eigenen Hofmeister Dienste , nur, um nicht ent -tarnt zu werden. So hielt es der spätere Kurfürst Johann Georg von Sachsen, der 1601 als Johann vo n Nißmitz Italie n kennenlernte . E r gab sich al s jüngerer Vette r seine s Hofmeisters Geor g von Nißmitz aus. Zwischen Piacenza und Mailand hatten sie übri-gens das Unglück, in die Hand eine r Räuberbande zu fallen. Sie konnten abe r glaub-haft machen , nur deutsche Studente n z u sein, und erhielten gege n ein Lösegeld von 60 Kronen ihre Pferde zurück 46. Es ist ein Beispiel, das um zahlreiche andere ergänz t werden könnte .

Eine ergiebige Quelle für den Nachweis fürstlicher Reise n und die dabei geführte n Namen sind die Eintragungen in Matrikeln von Universitäten und Hochschulen. Als erstes seien die wenig bekannten Matrikeln von Ritterakademien genannt . Sie enthal-ten prinzipiell keine Eintragungen unte r anderem Namen, denn hier gab es nichts zu verbergen. An ihnen war der Adel unter sich , man kannte einande r bzw. wollte sic h kennenlernen. Alle Gründe, ein Incognito zu führen, mußte n hier entfallen 47.

43 Ibid . Kap. 3. 44 Volke r PRESS , Krieg e un d Krisen , Deutschlan d 1600-1715 , München 199 1 (Die neue deutsch e Ge -

schichte, 5), S. 303f. Zahlreiche Belege für diesen Eindruck biete t Andreas RÄss , Die Convertiten sei t der Reformation. 1 3 Bde., Freiburg i . Br. 1872-1880.

45 Johan n Friedrich MAYER , Der an päbstische Oerter reisende und daselbst wohnende Lutheraner , Leip-zig 1687 u. ö. Ähnlich Andreas Ludwig KOENIGSMANN, Verthädigung der wahren Religion... zu m Nut-zen solcher Personen, welche .. . sic h wollen auf Reisen begeben, Lübeck 1749.

46 Erns t REIMANN , Prinzenerziehun g i n Sachsen am Ausgange des 16. und im Anfange de s 17 . Jahrhun -derts, Dresden 1904 , S. 144f.

47 Norber t CONRADS , Ritterakademie n de r Frühe n Neuzeit . Bildun g al s Standesprivile g i m 16 . und 17. Jahrhundert , Göttinge n 198 2 (Schriftenreihe de r Historischen Kommissio n be i der Bayerische n Akademie de r Wissenschaften, 21) , S. 180ff. Als Beispiel eine r solchen Matrike l se i die des Collegium

602 Norbert Conrad s

Aber dieselben Personen verhielten sich anders, sobald sie an einer Universität vor-beikamen. Sie betrachteten Universitätsmatrikeln al s eine Art Gästebuch. So sahen es auch die Universitäten ode r die deutschen Nationen selbst , wenn sie um eine fürstli -che Eintragun g baten . Matrikelbüche r ware n i n de r Rege l hierarchisc h gegliedert . Ganz vorn e bliebe n einig e Seite n fü r reisend e Bischöf e un d Fürste n reserviert . Manchmal hatte n auc h höhere r un d einfacher Ade l eigen e Rubriken . S o war es be-sonders in Italien. Wenn aber ein Fürst sich mit vollem Namen eintrug , war das noch kein Beweis für eine offene Reise . Es konnte sein, daß er für einen Moment sein Inco-gnito abgelegt und die Universität zu striktem Stillschweigen über seine Anwesenhei t verpflichtet hatte . Oder e r trug sich bescheiden bei den Grafen ode r anderen Schola -ren ein . War aber der »Charakter« de s Immatrikulierenden de r Universität bekannt , so waren di e Immatrikulationsgebühren fürstlich . Nu r Incognito-Eintragungen mi t unauffälliger Gebüh r sind Belege für ein völliges Incognito. Wenn man es nicht aus an-derer Quell e wüßte , säh e man der Eintragung de s Johann vo n Nißmitz i n Bologn a nicht an, daß es sich um den sächsischen Kurprinzen handelte 48.

Kaiser und Könige reisten nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ . Das galt im Fal-le des Reiches, Frankreichs ode r Spanien s auc h für die Söhne, die erst ga r nicht auf Grand Tou r geschickt , sondern am Hof erzogen wurden. Ausnahmen bestätige n die Regel. Für die Habsburger reichte der zeremonielle Aufwand und die Erhabenheit des Herrschers bereit s i n solche Höhen , da ß seit 166 4 kein habsburgische r Kaise r meh r zum Reichstag nach Regensburg kam49. Ohne die Frankfurter Krönungsreise n ging es freilich nicht . Unter Kaiser Karl VI. glaubt e man, dem Zeremoniell einen solchen Auf-wand schuldig zu sein, daß Reisepläne den Staatshaushalt bedrohten50. Ähnlich war es unter Maria Theresia, der alle Reisen zuwider waren. Deshalb hatte sie kein Verständ-nis fü r ihre n Soh n Josef, de r diese Selbstisolierun g durchbrach . Kar l VI. und Mari a Theresia konnten sic h auch nicht herablassen, den Ausweg des Incognito zu wählen. Nur einma l spielte Maria Theresia mit diesem Gedanken, um die Krönung ihres Soh-nes in Frankfurt erlebe n zu können 51.

Zu den wenigen Ausnahmen habsburgischer Incognitoreisen gehören zwei Italien-fahrten. Erzherzo g Ferdinan d von Innerösterreich, de r spätere Kaise r Ferdinand IL, hatte bereits das väterliche Erbe angetreten , als er sich 1598 das Incognito eines Gra -fen von Cilli zulegte52. Sein Sohn, der spätere Kaiser Ferdinand III., nannte sich 1626 einen Herzog von Sagan53. Sowohl im Fall der slowenischen Grafschaf t Cilli , als auch des schlesischen Herzogtums Sagan standen beide Namen ziemlich am Ende des län-

illustre in Tübingen angeführt : Jacob RAMSLER , Blume n des fürstlichen Collegi i zu Tübingen, das ist kurzes Verzeichnis , dari n alle r hohe n un d edlen Standts-Persone n .. . angedeute t werden , Tübinge n 1627.

48 L a matricola (wie Anm. 41) S. 186, Nr. 2564. 49 Anto n SCHINDLING , Die Anfänge de s Immerwährenden Reichstag s zu Regensburg: Ständevertretun g

und Staatskuns t nach dem Westfälischen Frieden , Mainz 1991 , S. 118f. 50 Hann s Le o MIKOLETZKY , Hofreise n unte r Kaise r Kar l VI. , in: Mitteilungen de s Instituts fü r öster -

reichische Geschichtsforschung 6 0 (1952) S. 265-285. 51 Monik a ZELLMANN , Hof reisen Maria Theresias, ungedr. phil. Diss. Wien 1965. 52 Fran z X. KRONES, Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz , Graz 1886 , S. 11. 53 Di e Matrikel der deutschen Nation in Siena (1573-1738), hg. von Fritz WEIGLE, 2 Bde., Tübingen 1962,

hier Bd. 1, S. 40, Nr. 56. Weigles Hinweis auf Ferdinand IL ist unrichtig.

Das Incognito 603

geren Volltitels. Über de n Verlauf beide r Fahrten wüßte man gerne mehr. Abgesehen von diesen beiden Ausnahmen gib t es keine habsburgischen Belege mehr, bis die Söh-ne Maria Theresias di e Tradition de s Incognito wieder aufnahmen : Josef I L al s Gra f von Falkenstein, Leopold IL als Markgraf vo n Burgau 54.

Wenn Habsburge r nich t au f eigen e Tite l zurückgriffen , s o wa r Konspiratio n i m Spiel, und da s wäre etwas anderes al s Incognito. Der ehrgeizig e Erzherzog Matthia s setzte sich über all e Vorbehalte de r Familie hinweg, als er 157 7 Europa durchquerte , um die Statthalterschaft de r Niederlande an sich zu reißen. In seiner fünfköpfigen Rei -segruppe spielt e e r den Diene r seine s Vertrauten vo n Dannewitz 55. Ähnlic h verhiel t sich der Fürstbischof un d Erzherzog Karl , als er im Jahr des böhmischen Aufstande s 1618 seinen Bruder Erzherzog Albrecht zu politischen Gesprächen in den Niederlan-den aufsuchte . Dafür lie h er sich von einem seiner Adligen den Namen »vo n Poser«, was von jener Familie noch lange als Auszeichnung gewerte t wurde56.

Es sei hier angemerkt, daß man im alten Europa seh r wohl zwischen eine r adligen Bildungsreise un d eine r konspirative n ode r militärische n Missio n z u unterscheide n wußte. Hoyer nennt mehrere Beispiele für den vermuteten Mißbrauch des Incognito, der vo m politische n Gegne r nich t tolerier t wurde . Deshal b seie n Fürs t Johann vo n Nassau i n Neapel ode r Pfalzgraf Ruprech t (woh l 1659 ) in Frankreich verhafte t wor -den57. Man könnte von hier aus zu den Decknamen richtige r Spione übergehen, abe r das wäre ein anderes Thema. Bekanntlich unterhielt Prinz Eugen ein eigenes Spiona-genetz, das ihn regelmäßig informierte, und er war sicher nicht der erste in diesem Me-tier58.

Es ließen sich weit mehr Beispiele von Incognito-Reisen deutscher Fürsten nennen. An Stoff fehlt e e s nicht. Es sei beim Beispiel des Junkers Fritz von Sponeck belassen . Aber, was Fürsten einma l vorgeführt hatten , wurde die Standestreppe hinab nachge -ahmt. Bekannt is t das Beispiel des pittore Miller, de r 178 6 aus Rom a n seine Mutte r Catharina Elisabeth Goethe schrieb: Ich bin .. . hergekommen, ganz allein und unbe-kannt, auch hier oberserviere ich eine Art Incognito59.

Reichsgrafen, gelegentlich auch böhmische Grafen haben das Incognito benutzt, ob auch Barone , ist schwere r nachzuweisen . Fü r einfach e Adlig e galte n scho n di e Risi -ken, die Hofmeister vo n Rohr beschriebe n hatte . Doch im 18 . Jahrhunder t nah m de r Anwendungsbereich des Incognito erheblich zu. Das diplomatische Zeremoniell ent -deckte viele praktische Verfahre n zu r Überwindun g heikle r Präzedenzfragen , wen n

54 Ada m WANDRUSZKA, Leopold IL, Erzherzog von Österreich, Großherzog von Toskana, König von Un-garn und Böhmen, römischer Kaiser , 2 Bde., Wien 1963-1965 , hier Bd. 2: 1780-1782, S. 344.

55 Jose f SEIDL , Die Statthalterschaf t de s Erzherzogs Matthia s i n den Niederlanden , ungedr . Diss . Wien 1907, S . 57.

56 Car l Friedrich VO N POSER , Sammlun g genealogische r Nachrichte n vo n dem schlesischen Geschlecht e derer von Poser , Jauer 1767 , S. 23f.

57 Eberhar d HOYER , Corpus Juris Militaris, das ist ein vollkommenes Kriegs-Recht , Berlin 1693, S. B 83f . 58 Ma x BRAUBACH , Di e Geheimdiplomati e de s Prinzen Euge n von Savoyen , Köln 196 2 (Wissenschaftli -

che Abhandlunge n de r Arbeitsgemeinschaf t fü r Forschun g de s Lande s Nordrhein-Westfalen , 22) , S. 26f .

59 Johan n Wolfgang vo n GOETHE , Briefe , Bd. 2. Briefe de r Jahre 1786-1805 , hg. von Kar l Robert MAN -DELKOW, Hamburg 1964 , S. 17f.; Carl Otto CONRADY , Goethe , Leben und Werk. Bd. 1, Königstein i . T. 1982, S . 432.

604 Norbert Conrad s

Herrscher un d Politike r einande r begegnen wollten. Das bekannteste Beispie l is t die Incognito-Reise des Zaren Peters des Großen und seine Begegnung von 1698 mit Kai-ser Leopold I. in Wien60.

Von hier aus wird die technische Praktikabilität, die Bürokratisierung und Verbür -gerlichung dieser adligen Sitte unübersehbar. In den sechziger Jahren des 18 . Jahrhun -derts war e s eine preußische Behörde , die einem adligen katholischen Prälate n eine n Incognito-Paß ausstellte, um ihm die Möglichkeit zu verschaffen, sic h diskret über den Stand des preußischen Schulwesens zu informieren 61.

Ein Thema wie das vorliegende kommt gar nicht umhin, mit der Persönlichkeit und dem Auftreten Kaise r Josefs II. zu schließen , de r das Incognito ad absurdum führte , weil e r e s zum Bestandtei l seine r öffentliche n Selbstdarstellun g machte 62. E r wollt e schon als Mitregent und dann als Kaiser nicht darauf verzichten , die Welt kennenzu -lernen. Das trug ihm den Ruf ein, er regiere seine Monarchie vom Postwagen aus63. Sei-ne 176 6 aufgenommenen Staatsbesuch e un d Inspektionsreise n al s Gra f vo n Falken -stein wurden i n der Presse angekündigt, s o daß jedermann den unauffällig vorbeirei -senden ode r au f de r Wiese kampierenden Kaise r bestaune n konnte . Das tru g mi t z u jener Volkstümlichkeit bei , die sich in Gedichten, Schriften , Anekdotensammlunge n und Gedenkmünze n au f de n Grafe n vo n Falkenstei n niederschlug . Da s kaiserlich e Beispiel konnte sogar einen Papst veranlassen, es genauso zu halten. Als Papst Pius VI. sich 1782 zum Bittgang nach Wien entschloß, geschah es den längsten Teil des Weges incognito, unter Verzich t au f ein e angemessene Begleitung durch Kardinäl e und Be -dienung64. Das Ende des Ancien Régime war spätestens auch das Ende adliger Reise-kultur. Einen exakte n Zeitpunk t wir d ma n nich t nenne n können . Wie sehr sich abe r die Zeiten änderten, läßt sich am Beispiel des preußischen Kronprinzen Wilhelm (des späteren Kaisers) zeigen. Weil er in der Revolution von 1848 auf das Volk schießen ließ, mußte e r nach England fliehen . E r benutzte dabe i ein Berliner Incognito und nannt e sich schlicht »Lehmann« 65.

60 Reinhar d WITTRAM , Peter I. Czar und Kaiser . Zur Geschichte Peters des Großen und seiner Zeit, Bd. 1, Göttingen 1964 , S. 129-167.

61 Ulric h KRÖMER , Johan n Igna z vo n Felbiger , Lebe n un d Werk , Freibur g 196 6 (Untersuchunge n zu r Theologie der Seelsorge, 22), S. 29.

62 Wol f gang MAY, Reisen »al incognito«. Zur Reisetätigkeit Kaise r Josephs IL, in: Mitteilungen des Insti-tuts für österreichisch e Geschichtsforschung 9 3 (1985) S. 59-91.

63 Pau l VON MITROFANOW, Joseph IL Seine politische und kulturell e Tätigkeit, Bd. 1, Wien 1910 , S. 93. 64 Elisabet h KOVACS , Der Pabst in Teutschland: die Reise Pius VI. im Jahre 1782 , München 1983 . 65 Be i Jürgen ANGELOW , Wilhel m I. (1861-1888), in: Preußens Herrscher . Von den ersten Hohenzoller n

bis Wilhelm IL, hg. von Frank-Lothar KROLL , München 2000, S. 250, heißt es freilich, e r habe England unter dem Incognito-Namen »Oelrichs « betreten .

Das Incognito 605

R E I S E N A L I N C O G N I T O

Definitionen be i Friedrich Car l von MOSER , Teutsches Hof-Recht. I n zwölf Bücher n entworfen, Bd . 1, Frankfurt un d Leipzig , in Commission bey Johann Benjami n An -drea 1754 , S. 266f, § 7:

Daß und ob ein Herr incognito da seye, erkennt man 1. an seiner Person, 2. an dem Betragen des Hofs gege n ihn, und 3 . in seinem Betragen gegen den Hof .

I.

An seiner Person ist eine der Haupt-Merckmahle, wann ein Herr unter einem andern Character un d Nahmen , al s de n e r eigentlic h ordentliche r Weis e führet , ankommt . Hiebey ist zu mercken :

1. Daß der Titul allemahl geringer seyn müsse, als den er öffentlich führet . 2. Daß zu dem Nahmen mehrentheil s der Nähme eine r Provinz oder Statt von

dem Gebiet des Herrn genomme n werde . 3. Chur-Fürsten und Fürsten reisen gemeiniglich unter dem Titul eines Grafen ,

offt auc h dise nur unter den Nahmen eine s Edelmanns. 4. Zuweilen führt ei n Herr seinen angebohrnen Characte r und ist doch al inco-

gnito da, weil er nehmlich sagt und sich ausbedingt, daß er incognito da seyn wolle.

II.

Das Betragen des Hofs gegen einen al incognito anwesenden Gas t äussert sich darinn, daß er

1. nicht solenn empfangen wird , 2. er bekommt kein Ceremoniel , 3. die militärische Ehren-Bezeugungen gege n ihn werden unterlassen , 4. er bekommt kein e solenne Visiten und Gegen-Visiten , 5. die Staats-Bedienung bey der Tafel wird nicht gegen ihn beobachtet , 6. er wird nich t leicht in das Schloß logirt , wann ihm gleich sonst dise Ehre zu

Theil worden wäre .

III.

In Absicht au f den Hof bemerck t man bey einem Gast al incognito, daß er 1. seine Ankunfft nich t zu dem Ende vermelden läßt , um das Recht der erste n

Visite zu erlangen, sondern er bittet zugleich bey der Notification um Audi -enz oder Erlaubniß nach Hof z u kommen .

2. Weil er gekommen ist , um die Späne des Ceremoniels zu vermeiden, so ver-langt e r auc h keins , al s in de r Mittel-Proportio n zwische n seine m wahren , dem Hof bekannte n und dem angenommenen Stand , folglic h

606 Norbert Conrad s

3. gibt e r auch denen Visiten, welchen e r sons t wegen de r Rang-Streitigkeite n keine hätt e gebe n können , ode r wege n seine r angebohrene n Würd e gebe n wollen, wie er dann auc h

4. in vilen Neben-Umständen sic h herunter läßt : z. E. mit dem nicht-Fähren in Hof.

C H R O N O L O G I S C H E S V E R Z E I C H N I S N A C H W E I S B A R E R I N C O G N I T O - F Ü H R U N G

1577 Erzherzo g Matthias von Österreich als Diener 1584 Markgra f Philip p IL von Baden als Philippus a Rosa 1590 Ei n Graf von Manderscheid al s Henrich Berche m 1591 Herzo g Heinrich Wenzel d. Ä. von Münsterberg-Oels als Wenzel von Constadt

(= Kunstadt ) 1592 Unbekannte r Herzo g von Sachsen angeblich als Andreas Rekardus, Sveckus 1596 Ludwi g V von Hessen-Darmstadt al s Ludwig von Baumbac h 1596 Philip p IL Herzog von Pommern al s Christian von Sehe 1597 Ludwi g Fürst von Anhalt als Ludwig von Linda u 1598 Erzherzo g Ferdinand von Innerösterreich (später Kaiser Ferdinand IL) als Graf

von Cill i 1600 Friedric h I. von Württemberg al s Fritz von Sponeck aus Bayern 1600 Friedric h und Philipp von Hessen-Homburg al s Grafen von Die z 1601 Johan n Geor g von Sachsen als Johann von Nißmit z 1613 Geor g Rudolf von Liegnitz als Giorgio barone di Grätzberg, nach einem Kam-

mergut des Herzog s 1613 Johan n Erns t von Sachsen-Weimar al s Herr von Hornstei n 1618 Erzherzo g Kar l von Österreich al s Herr von Pose r 1624 Juliu s von Württemberg al s ein burgundischer Capitain 1625 Kronprin z Wladyslaw Wasa von Polen als Herr Snopkowsk i 1626 Erzherzo g Ferdinand (späte r Kaiser Ferdinand III.) als Herzog von Sagan 1628 Heinric h und Friedrich von Hessen als Grafen von Nidd a 1660 Ei n Markgraf vo n Baden-Baden al s Freiherr von Eberstei n 1660 Juliu s Franz von Sachsen-Lauenburg al s Freiherr von Eitze n 1668 Dre i Brüder von Württemberg-Oels al s Grafen von Sternber g 1672 Johan n Anton und Christoph Christian Grafen von Leiningen-Westerburg al s

Herren von Oeynhause n 1681 Zwe i Prinzen von Pfalz-Neuburg al s Grafen von Greisbac h 1685 Johan n Geor g (IV) von Sachsen als Graf von Barb y 1687 Friedric h August von Sachsen (August der Starke) als Graf von Leisnig, bei an-

derer Gelegenheit als Graf von Meißen 1689 Friedric h Kraf t un d Johann Erns t von Hohenlohe al s Barone von Kranichfel d 1692 Friedric h I. von Hessen-Kassel al s Graf von Schaumbur g 1695 Friedric h I. von Hessen-Kassel al s Graf von Lipp e

Das Incognito 607

1697 Za r Peter I. von Rußland al s Peter Michailo w 1699 Kar l von Hessen al s Reichsgraf vo n Solms 1708 Friedric h IV. von Dänemark al s Graf von Oldenbur g 1711 Friedric h August von Sachsen als Graf von Barby 1714 Kar l XII. von Schweden al s Hauptmann Pete r Frisk, seine Begleiter Otto vo n

Düring al s Eric h vo n Ungern , Gusta v Friedric h vo n Rose n al s Johan Palm , Friedrich Ernst von Fabrice als von Blume oder von Stain

1735 Fran z Stefan von Lothringen (späte r Kaiser Franz I.) als Graf von Blamon t 1738 Friedric h Christian von Sachsen als Comte de Lusace 1740 Augus t Wilhelm von Preußen als Graf von Schaffgotsc h 1741 Kurfürs t Kar l Albrecht von Bayern als Graf von Fugge r 1766 Kaise r Josef II. als Graf von Falkenstein, danach noch öfte r 1791 Kaise r Leopold IL als Markgraf vo n Burgau 1982 Kaiseri n Zita von Habsburg als Herzogin von Bar