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Beitr~ge zur Physiologie der Sehnenreflexe. Von $. Pfahl. (Aus der Inneren Abteflung des Krankenhauses der Barmherzigen Briider in Bonn [Diroktor Prof. Dr. Rumpf].) Mit 2 Textfiguren. (E{ngegangen am 19. April 1910.) Prfift man den Patellarreflex, w~hrend der Untersuchte auf dem Untersuehungstische sitzt und der Unterschenkel fiber dessen Rand herunterh~ngt, so kehrt dieser im allgemeinen gleich nach der reflek- torisch erfolgenden Streekbewegung wieder in die Ausgangsstellung, also in Beugestellung zuriick. Das k6nnte lediglich Folge der Schwer- kraft sein. Untersueht man nun in der Seitenlage, wobei man zweck- m~Bigerweise den Unterschenkel etwa in einen Winkel von 150--160 Grad zum Oberschenkel bringt, w~hrend man das Knie etwas von dem darunterliegenden Beine abhebt und unterstfitzt, so erfolgt auf die, durch den Schlag auf die Patellarsehne ausgel6ste Streckbewegung gleichfalls eine Beugung, die in der Seitenlage selbstverst~ndlich nicht durch die Schwere des Unterschenkels, sondern offenbar zu einem gro[ten Teile durch eine Kontraktion der Beugemuskeln hervorgerufen wird und durchaus den Charakter einer Reflexbewegung hat. Mit der bekannten Tatsache, da[t sieh vielfach gleichzeitig mit dem Muskel, dessen Sehne beklopft wird, noeh andere Muskeln kon- trahieren, oder mit dem sogenannten p a r a d o x e n K n i e p h ~ n o m e n, bei welchem start einer Streekbewegung eine Beugebewegung auftritt (weft die gleichzeitig einsetzende Kontraktion der Beuger, die des Quadriceps an St~rke fiberwiegt) und welches wiederholt besehrieben worden ist, hat diese Erscheinung nichts zu tun und ist bisher meines Wissens wenig beaehtet worden. Sternberg 1) gibt in seiner Arbeit ,,Uber Hemmung, Ermfidung und Bahnung der Sehnenreflexe im Rfickenmark" folgendes an: Bei den normalen Reflexen kommt es vor, dab auf die zuerst ausgeffihrte Streekbewegung eine Beugebewegung erfolgt. Nach meinen Untersuchungen handelt kS sich dabei aber, wenigstens beim Patellarreflex, um etwas sehr H~ufiges, wenn 1) M. Sternberg, Hemnmng, Ermiidung, und Bahnung der Sehnenreflexo im Riickenmark. Aus den Sitzungsberichten der k~is. Akad. der Wissensch. in Wien. Juni 1891.

Beiträge zur Physiologie der Sehnenreflexe

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Page 1: Beiträge zur Physiologie der Sehnenreflexe

Beitr~ge zur Physiologie der Sehnenreflexe. Von

$. Pfahl.

(Aus der Inneren Abteflung des Krankenhauses der Barmherzigen Briider in Bonn [Diroktor Prof. Dr. Rumpf].)

Mit 2 Text f iguren .

(E{ngegangen am 19. April 1910.)

Prfift man den Patellarreflex, w~hrend der Untersuchte auf dem Untersuehungstische sitzt und der Unterschenkel fiber dessen Rand herunterh~ngt, so kehrt dieser im allgemeinen gleich nach der reflek- torisch erfolgenden Streekbewegung wieder in die Ausgangsstellung, also in Beugestellung zuriick. Das k6nnte lediglich Folge der Schwer- kraf t sein. Untersueht man nun in der Seitenlage, wobei man zweck- m~Bigerweise den Unterschenkel etwa in einen Winkel von 150--160 Grad zum Oberschenkel bringt, w~hrend man das Knie etwas von dem darunterliegenden Beine abhebt und unterstfitzt, so erfolgt auf die, durch den Schlag auf die Patellarsehne ausgel6ste Streckbewegung gleichfalls eine Beugung, die in der Seitenlage selbstverst~ndlich nicht durch die Schwere des Unterschenkels, sondern offenbar zu einem gro[ten Teile durch eine Kontrakt ion der Beugemuskeln hervorgerufen wird und durchaus den Charakter einer Reflexbewegung hat.

Mit der bekannten Tatsache, da[t sieh vielfach g l e i c h z e i t i g mit dem Muskel, dessen Sehne beklopft wird, noeh andere Muskeln kon- trahieren, oder mit dem sogenannten p a r a d o x e n K n i e p h ~ n o m e n , bei welchem s t a r t einer Streekbewegung eine Beugebewegung auftr i t t (weft die gleichzeitig einsetzende Kontrakt ion der Beuger, die des Quadriceps an St~rke fiberwiegt) und welches wiederholt besehrieben worden ist, hat diese Erscheinung nichts zu tun und ist bisher meines Wissens wenig beaehtet worden.

S t e r n b e r g 1) gibt in seiner Arbeit ,,Uber Hemmung, Ermfidung und Bahnung der Sehnenreflexe im Rfickenmark" folgendes an:

Bei den n o r m a l e n R e f l e x e n k o m m t es v o r , dab a u f d ie zuerst ausgeffihrte S t r e e k b e w e g u n g e i n e B e u g e b e w e g u n g e r f o l g t .

N a c h m e i n e n U n t e r s u c h u n g e n handelt kS sich dabei aber, wenigstens beim Patellarreflex, um e t w a s s e h r H ~ u f i g e s , w e n n

1) M. Sternberg , Hemnmng, Ermiidung, und Bahnung der Sehnenreflexo im Riickenmark. Aus den Sitzungsberichten der k~is. Akad. der Wissensch. in Wien. Juni 1891.

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n i c h t K o n s t a n t e s . Ich habe schon seit l~ngerer Zeit bei der Unter- suchung yon Kranken auf das Ph~nomen geachtet und auch eine gro]]e Zahl yon Gesunden daraufhin untersucht. Dabei ergab sich be i de r P r f i f u n g in d e r S e i t e n l a g e , dal3 fiberall da, wo der Patellarreflex deutlich war, auch die sekund~re Beugebewegung jedesmal prompt eintrat. Sie war im allgemeinen um so deutlicher und stiirker, je starker die prim~re Bewegung war. War die beim Klopfen auf die Patellarsehne erfolgende Streckbewegung lebhaft, so war es auch die Beugebewegung, so dab der Unterschenkel gew6hnlich wieder zu sei- nem Ausgangspunkte oder doch ann'~hernd zu diesem zurfickkehrte.

War sie schwach, so war auch die Beugebewegung schwach, vielfach so- /~ / ~ _ _ / ~ _ / ~ gar weniger ausgiebig, als die Streck- / ~ bewegung, so dab bei mehreren, auf- einanderfolgenden Versuchen der ------ Winkel, den der Unterschenkel in der Ruhestellung bildete, allm~hlich immer grSi~er wurde und das Bein schlie[31ich fast in Streckstellung kam (s. Fig. 1).

Bei krankhaft gesteigerten Reflexen war die sekund~re Beuge- bewegung des Unterschenkels gew6hnlich ausgiebiger, als die Streck- bewegung, bewegte den Unterschenkel fiber den Ausgangspunkt zurfick und 16ste ihrerseits wieder eine Streckbewegung aus. Der ganze Vor- gang wiederholte sich dann unter Umst~nden noch ein oder mehrere Male.

Die vorhin beschriebene Erscheinung bietet nun an und f fir sich nichts AuffaUendes. Wir wissen, daB die beim Klopfen auf die Sehne erfolgende Zuckung des betreffenden Muskels nicht Folge der Rei- zung der sensiblen Nerven in der Sehne ist, sondern dutch die r a s c h e D e h n u n g des in einem g e w i s s e n S p a n n u n g s z u s t a n d e sich be- findenden Muskels und der dadurch ausgel6sten Schwingungen des- selben resp. der in ihm befindlichen Nerven verursacht wird, wobei die Sehne nur eine vermittelnde, rein mechanische Rolle spielt.

DaB dies so ist, geht aus Tierversuchen hervor, bei denen s~mtliche zur Sehno fiihrenden Nerven durchschnitten worden sind. Es geht welter aus einem Ver- suche hervor, den Sternberg in seiner vorhin erw~hnten Arbeit anfiihrt: Er konnte bei Kaninchen unter Ausschaltung der Sehne reflektorische Muskelzuckun- gen auch dadurch hervorrufen, dab er den betreffenden Muskel mit einem Faden umschniirte, diesen anspannte und dann beklopfte, also bei einer gewissen Span- nung ihn und die in ihm verlaufenden Nerven schnell dehnte.

Die Tatsache, da[~ auf die rasche, reflektorische Zusammenziehung eines Muskels eine solche des, oder der Antagonisten erfolgt, bietet als0 au und flir ~ich nichts Auffallendcs, da die letzteren dureh die Kon- traktion des ersteren ja rasch gedehnt werden. Sie ist aber, wie be- merkt, bisher wenig beachtet worden und verdient schon aus diesem

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Grunde, dal3 ausdriicklich darauf hingewiesen wird. Wenn wit irgend- einen Vorgang, also hier den, der gew6hnlieh als Patellarreflex be- zeichnet ~Srd, studieren oder beschreiben, so soll dies auch m6glichst genau gesehehen.

lch halte das Ph~nomen aber weiter deshalb fiir erwiihnenswert, weft es unter Umst~nden auch eine gewisse diagnostische Bedeutung gewinnen kann. Ist, wie oben gesagt, der Patellarreflex deutlich zu erzielen, so tr i t t bei einem Gesunden auch fast konstant die nach- folgende Beugebewegung auf, die, wie bemerkt, durchaus den Eindruck einer Reflexbewegung macht. Danach wiirde ihr Ausbleiben bei deut- lich ausgesprochenem oder gar lebhaftem Patellarreflex auf eine St6- rung in dem betreffenden Reflexbogen hindeuten. Nun ist zwar nicht bekannt, an welcher Stelle des Riickenmarks fiir diesen Beugereflex der ~bergang des Reizes yon den betreffenden sensiblen Bahnen zu den motorischen stattfindet. Man wird aber annehmen k6nnen, dab dieser Vorgang sich etwas tiefcr abspielt, als wie der entsprechende fiir den Patellarreflex.

Wie es nun bei beginnender Tabes wiederholt beobachtet worden ist, dab der Achillessehnenreflex schon fehlt, w~hrend der Patellarreflex noch deutlich ausgesprochen ist, ebenso k6nnte in einem solchen Falle bei vorhandenem Patellarreflex auch die sekund~re, reflektorische Beuge- bewegung ausbleiben. Das gleiche gilt fiir andere Erkrankungen in der Lendenanschwellung, wie Tumoren, Verletzungen usw.

Unter Umstgnden k6nnte das Symptom hier Bedeutung fiir die Segmentdiagnose gewinnen. Selbstverstgndlich k6nnte es auch bei jeder anderen St6rung im Reflexbogen (bei Neuritis, Isehias usw.) zur Beobachtung kommen.

Es wird namentlich dann an Bedeutung gewinnen, wenn auf der einen Seite der sekund/ire Reflex ausbleibt, w~hrend die andere nor- males Verhalten zeigt, noch mehr dann, wenn man Gelegenheit hat, zu beobachteu, dab eine vorher vorhandene, sekund~re reflektorische Beugebewegung im Verlaufe einer Erkrankung zum Schwinden kommt.

Ich habe in der Tat auch bei einem Patienten, der an einer links- seitigen Ischias litt und bei dem der Achillessehnenreflex auf der linken Seite fehlte (w~hrend er rechts deutlich auszul6sen war) bei normalem Patellarreflex das Fehlen der sekund~ren Beugebewegung beobachtet. Bei einem anderen, an Tabes leidenden Patienten, fehlte der Achilles- sehnenreflex beiderseits, w/~hrend der Patellarreflex rechts yon mitt- lerer St~rke war und auch links noch deutlich, wenn aueh nut schwach, auszul6sen war. Bei diesem fehlte der sekund~re Beugereflex zwar nicht, er war aber bier beiderseits sehr schwaeh.

Eine ganz besondere praktische Bedeutung hat das Symptom je- doch fiir den, der sich mit der graphischen Aufzeichnung yon Reflex-

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bewegungen beschs Nur das Auftreten der sekunds reflek- torischen Anspannung der Antagonisten erkls es uns z. B., weshalb bei gesteigertem Patellarreflex, also da, wo die Streckung mit groBer Anfangsgeschwindigkeit erfolgt und der aufsteigende Tell der Kurve sehr steil verl~uft, der Unterschenkel trotzdem vielfach weniger hoch gehoben wird und der entsprechende Teil der Kurve dementsprechend niedriger sein kann, als bei schws Reflexen, und weshalb bei gesteigertem Reflex die Abszisse kfirzer sein kann, als beim normalen, ws das Unlgekehrte der Fall sein miiBte, wenn bloB die Erhebung des Unterschenkels durch die reflektorische Anspannung der Streek- muskulatur, die Riickwi~rtsbewegung (bei der Priifung im Sitzen) da- gegen lediglieh durch die Schwere erfolgte. In Wirklichkeit verh~lt sich die Sache aber so, dal~ die Aufw~rtsbewegung (Streckung) lange, bevor sich die Kraft des Auftriebes ersehSpft hat, dutch die sekundi~r auftretende, kriiftige Beugung gehemmt und unterbrochen wird. Fehlte diese Hemmung, dann wiirde der Untersehenkel, wenigstens bei ge- steigertem Reflex, mit Wucht bis zur vSlligen Streckung geschleudert werden und dann durch sein Gewicht zuriicksinken. Er wiirde dann, wenigstens ffir den letzten Vorgang, mehr Zeit gebrauchen, als wenn er nicht v011ig gestreckt worden wiire. Insbesondere wiirde dann die Geschwindigkeit im Anfange der Riickw~rtsbewegung langsamer sein.

Die Beugebewegung wirkt iibrigens gewissermaBen als Schutz- vorrichtung und verhindert bei sehr lebhaften Reflexen eine zu heftig erfolgende resp. vSllige Streckung oder gar Uberstreckung im Knie- gelenk.

DaB bei der graphischen Aufzeiehnung von Reflexbewegungen bei gesteigerten Reflexen der ~bergang yon der Hebung zur Senkung schneller erfolgt, als bei Pendelbewegungen, hat schon S o m m er 1) in seinem Lehrbuche der Psyehopathologisehen Untersuchungsmethoden erw/ihnt und auch in der Weise gedeutet, dab es sieh dabei wohl um eine Wirkung der Antagonisten handele (S. 40--42).

Dagegen findet So mmer keine bestimmte Erkli~rung fiir die Tat- saehe, dab bei n o r m a l e n Reflexen nach der ersten Hebung viel we- niger Schwingungen auftreten, als man bei einfaehen mechanischen Pendelbewegungen an der Leiehe erhiilt. Er sagt welter: ,,Es wirken demnach irgendwelehe Kr/ffte ein, welehe die mechanische Pendel- bewegung vorzeitig hemmen. Im Hinblick auf die vSllige Sehlaffheit, welche die Glider in Zust~nden yon Narkose und tiefem Schlaf er- langen, ist es wahrseheinlich, dab diese Hemmungen nicht in dem Mechanismus der Gelenke liegen, sondern durch Innervationszusti~nde bedingt s i n d . . . Wie weir diese Ver/~nderungen der einfaehen Pendel*

1) R. S o m m e r, Lehrbueh der psychopathologischen Untersuehungsmethoden. Berlin und Wien 1899.

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kurve von Nervenzust~nden, speziell von Zust~,nden der cerebralen Apparate abh~ngen, ist ein wesentliches Problem bei unseren weiteren Untersuchungen" (s. S. 29). Und S. 43 heiI~t es: ,,Sehon die normal- physiologische Abweichung von dieser Form (der einfachen mecha- nisehen Pendelkurve), welche darin besteht, dab die Gipfel meist we- niger flaeh sind, als beim Leichenexperiment, ist wahrscheinlich da- durch bedingt, da[3 normalerweise die Pendelbewegung durch Nerven- kr~fte bei den Uberg~ngen besehleunigt wird."

Vergegenw~rtigen wir uns das oben Gesagte, so sehen wir sofort, dab die Vermutunge yon S o m m e r durchaus zutreffend war. Es wird eben nicht nur beim gesteigerten, sondern auch beim normalen Pate]lar- reflex wenigstens sehr h~ufig die erste Streckbewegung durch die nach- folgende, yon der raschen Dehnung ausgel6ste reflektorische An- spannung der Antagonisten vorzeitig gehemmt. Die letztere ruft dann ihrerseits vielfach wiederum eine Bewegung des Gliedes im entgegen- gesetzten Sinne und gleichzeitig wieder eine Dehnung des zuerst durch Beklopfen zur Kontraktion gebrachten Muskels hervor. Auf diese Weise kann sich der Vorgang der reflektorischen Streckung und Beugung unter Umst~nden auch beim Normalen noch ein oder mehrere Male ~dederholen. Im allgemeinen kommt jedoch, wenn man in der Seiten- lage priift, das Bein meist schon nach der ersten sekund~ren Beugung zur Ruhe. Die Erkl~rung dafiir, dab es sich nicht in ldonischer Weise lange Zeit bin und her bewegt, scheint mir einfach zu sein : Die Beugung ~drd in der Seitenlage im allgemeinen langsamer erfolgen, Ms die pri- m~re Streckbewegung, offenbar deshalb, weil in dem Momente, wo die Anspannung der Beugemuskeln in Wirkung tritt , der Unterschenkel sich noch im Sinne der Streckung bewegt, wodurch die Wirkung der Beugemuskeln abgesehw~cht wird, w~ihrend der Streckmuskel auf ein in Ruhe befindliches Glied eingewirkt hat. Auf diese Weise werden die folgenden Bewegungen immer schw~cher werden, Ms die vorhergegan- genen, so da$ das Bein bald zur Ruhe kommt. Bei gesteigerten Re- flexen kann es aber auch in der Seitelflage zu einer klonischen Be- wegung kommen.

Will man nun den ganzen Vorgang graphisch registrieren, so ergibt sich weiterhin die Forderung, dal~ man die gleiehartige und gleich- wertige Streek- und Beugebewegung aueh unter gleichen physikalisehen Verh~ltnissen prfift. Das ist aber nur in der Seitenlage mSglich. Die- jenigen Apparate, bei denen der Patellarreflex im Sitzen gepriift wird, halte ieh danaeh im Prinzip fiir verkehrt konstruiert. Ich werde an anderer Stelle auf diesen Punkt n~her zuriiekkommen.

Ebenso wie beim Patellarreflex kann man, unter entsprechender Versuchsanordnung, auch bei der Prfifung der 5brigen Reflexe, we- nigstens sehr h~ufig/ einen sekund~ren Reflex in den betreffenden

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Antagonisten ausl6sen resp. beobachten. VerhKltnism~$ig am schwersten gelingt es, das Symptom bei der Priifung des Achillessehnenreflexes einwandsfrei zur Anschauung zu bringen. Am bequemsten 1/~$t sich dieser Reflex ja im Knien priifen; doch kann das Resultat bei dieser Art der Untersuchung nicht als Beweis ffir die obige Annahme gelten. In der Seitenlage l~{]t sich abet der Achillessehnenreflex ohne gleich- zeitigen Druck gegen die Fut3sohle, also ohne kiinstliche Beeinflussung, schwer ausl6sen.

Immerhin gelingt dies auch hierbei wenigstens h~ufig, wobei man dann gleichfalls feststellen kann, da[3 auf eine kr~ftige reflektorische Anspannung der Wadenmuskulatur, auch eine solche der Antagonisten mit Dorsalflexion des Ful3es erfolgt.

Bei der Priifung des Beuge- und Streckreflexes des Vorderarmes (bei horizontal gehaltenem Arm) ist, wenn diese Reflexe primKr deut- lich auszulSsen sind, auch durchweg die sekund~re Bewegung im ent- gegengesetzten Sinne deutlich. Eine diagnostische Bedeutung hat das Symptom hier jedoch wohl kaum, da der betreffende Reflex, wenn iiberhaupt, ja auch primKr ausgel6st werden kann, wi~hrend dies bei den Beugemuskeln an der Hinterseite des Oberschenkels weniger leicht ge- schehen kann.

Fiir die graphische Aufzeichnung und deren Deutung kommen hier selbstverst~ndlich die gleichen Gesichtspunkte in Betracht, wie sie oben schon fiir den Patellarreflex angegeben sind.

Als Resultat aus den vorstehenden Ausfiihrungen ergibt sich fol- gendes :

1. Klopfen auf die Patellarsehne hat nicht nur eine Kontraktion des Quadriceps zur Folge, sondern diese 16st ihrerseits durch die rasehe Dehnung der Beuger, die sie bewirkt, wiederum eine naehfolgende reflektorische Zusammenziehung der zuletzt genannten Muskeln aus. Dieselbe Erscheinung macht sich, wenigstens vielfach, auch bei an- deren Reflexen bemerkbar.

2. Abweichungen yon dieser Regel kOnnen unter Umst~nden dia- gnostische Bedeutung gewinnen.

3. Die unter 1. angefiihrte Tatsache hat die grSl3te praktische Be- deutung fiir die Anwendung graphischer Methoden und die Deutung der damit gewonnenen Resultate, insbesondere was die Reflexbewe- gungen anbetrifft.

4. Die sekundKren Reflexe kSnnen gewissermaSen als Schutz- vorriehtung aufgefaf3t werden.

In den vorstehenden Ausfiihrungen ,habe ieh angenommen, dab die beim Patellarreflex auf die prim~re Streckbewegung folgende Beugebewegung, wenigstens zu einem groBen Teile dureh eine refiek-

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torische Anspannung der Beuger des Unterschenksls zustaade komme. Allerdings ist es sehr wahrseheinlich, dab dabei aul3erdem noch Elasti- zit~tskri~fte sine Rolle Sl)ielen. Das diirfte aus folgendem Versuch her- vorgehen: Bringt man das Bein des Untersuehten, der auf der Seite liegt, in vSllige Streckstellung, h~It es in dieser etwa 1--2 Sekunden fest und liiflt es dann los, so kehrt es ebenfalls wieder in Beugestellung zuriick. Hier kann es sich wohl kaum um eine Reflexbewegung han- deln. Es ist vielmehr wahrscheinlieh, dal3 dieser Vorgang Elastizit~ts- wirkung ist. Die Frage, inwieweit dabei die Beugemuskulatur oder der Bandapparat oder beide zusammen beteiligt sind, diirfte sich schwer entscheiden lassen. Diese B e u g u n g erfolgt b e s o n d e r s d a n n a u s - g i e b ig u n d s e h n e l l , wenn man das Bein in vS l l i ge S t r e c k u n g oder gar Uberstreckung bringt. Streckt man es dagegen nur bis zu einem Winkel von etwa 170 Grad und l~13t es dann los, so srfolgt die Riickw~rtsbewegung im allgemeinen entschieden langsamer und we- niger ausgiebig, als bei einer reflektorischen Streekung yon dem glei- chen Umfange. Offenbar wirken also bei der letzteren auch noch an- dere Kr~fte mit. Besonders beweisend ffir diese Annahme scheint mir auch noch das Verhalten der Reflexe bei einem Patienten zu sein, dessen linker Unterschenkel in der Mitte amputiert war. Es ist kein Grund vorhanden, anzunehmen, dal3 die Elastizit~tsverh~ltnisse hier ver- schieden waren. Die Reflexe zeigten dagegen sehr verschiedenes Ver- halten. Rechts war der Patellarreflex normal, wiihrend der Stumpf der linken Seite in klonischer Weise sehr rasch hin und her bewegt wurde, offenbar deshalb, weil die erste reflektorische Anspannung des Quadriceps den leichten Stumpf sehr schnell bewegte, dadurch wieder sine kr~ftige reflektorische Anspannung der Beuger hervorrief und der Vorgang sich auf diese Weise noch mehrmals wiederholte. (Die be- treffenden Kurven werde ich demn~chst in einer anderen Arbeit ver- 5ffentlichen.)

Im Anschlusse an die vorstehenden ErSrterungen mSchte ich hier noch folgendes bemerken:

Von Zeit zu Zeit wird immer wieder versueht, neue Reflexe zu be- schreiben. Demgegeniiber scheint es mir richtig, einmal nachdriicklich auf einige allgemeine Gesiehtspunkte, die bei der Entstehung der Sehnenreflexe wirken, hinzuweisen:

Eine reflektorisehe Muskelspannung entsteht unter anderem dann, wenn eia in einem gewissen Spannungsgrade befindlicher Muskel rasch gedehnt wird. Auf welche Wcise diese Dehnung erfolgt, ist ziemlieh gleichgiiltig. Vielfach kann z. B. schon unter normalen Verh41tnissen die Wadenmuskulatur fast ebensogut durch Schlag auf die Ful3sohle (am besten in der Gegend zwischen den beiden Zehenballen), ~ie durch

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Beklopfen der gespannten Achillessehne zur Kontraktion gebracht werden, die Streckmuskulatur des Oberschenkels, wenn der Patient auf dem Untersuchungstische so sitzt, dal~ seine Unterschenkel fiber dessen Rand henmterh~ngen, fast ebensogut durch Schlag auf das Schienbein in seinem unteren Tefle oder die Vorderseite des Sprunggelenks, wie durch Beklopfen der Patellarsehne. Auch kann der Quadriceps unter Ausschaltung des untersten Teiles der Patellarsehne, den wir sonst bei der Prfifung des Patellarreflexes beklopfen, sehr gut auf folgende Weise zur reflektorischen Kontraktion gebracht werden: Man legt den linken Zeigefinger an den oberen Rand der Kniescheibe, drfickt diese nach abw~rts, spannt dadurch den Quadriceps an und ffihrt nun mit dem Perkussionshammer einen kurzen Schlag gegen den linken Zeigefinger in der Weise, dal~ dieser den Quadriceps rasch dehnt. Es tritt dann prompt eine reflektorische Zuckung in letzterem ein. - - Die reflekto- rische Anspannung des Quadriceps und der Wadenmuskulatur ruft, wie ich oben hervorgehoben habe, schon unter gew6hnlichen Verh~lt- nissen durch die rasche Dehnung der Antagonisten eine reflektori.sche Zusammenziehung dieser Muskeln hervor.

Ist gar die Re- flexerregbarkeit ~ ~ ,

gesteigert, so ge- r niigt sehon eine

weniger starke, passiv oder aktiv oder reflektorisch

Fig. 2. erfolgende Deh- nung irgendeines Muskels dazu, um ihn zur reflektorischen Anspannung zu bringen. Das, was sich dem Untersucher hier bei der Prfifung der pas- siven Beweglichkeit als spastischer Widerstand ffih macht oder walbars dem Patienten bei der AusfShrung aktiver Bewegungen als Steifig- keitsgefiihl zum Bewul~tsein kommt, entsteht ja durch nichts anderes, als dureh eine reflektorisch hervorgerufene Kontraktion derjenigen Mus- keln, die unter den genannten Umst~nden passiv oder aktiv gedehnt wer- den. Fig. 2, welche die m6glichst rasch ausgeffihrte, willkfirliche Streck- und Beugebewegung im Ellenbogengelenke eines Hemiplegikers wieder- gibt, bringt dies deutlieh zur Anschauung. An dem aufsteigenden Schen- kel der Kurve sehen wir, da~ die anfangs rasch erfolgende Streckung ungef~hr in der Mitte durch eine (reflektorische) Beugung von geringem Umfange unterbrochen wird und dann langsamer verli~uft.

Unter normalen Verh~ltnissen ist zum Zustandekommen eines Sehnenreflexes das w i e h t i g s t e , dal~ der Muske l s ich in e i n e m gewissen Grade der S p a n n ung b e f i n d e t und da[~ seine D e h n u n g rasch erfolgt (wie das geschieht, ist eine rein praktische Frage).

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Ein Schlag auf die Sehne, wenn sie nicht gespannt ist, geniigt durch- aus nicht, mn eine Reflexbewegung auszul6sen. Das l~ftt sich sehr leicht demonstrieren, wenn man den Unterschenkel passiv v611ig streckt odor den Fuft in starke Plantarflexion bringt und dana auf die Patellar- oder Aehillessehne klopft. Es t r i t t dann gewShnlich keine Zuckung ein.

H~lt man sieh das Gesagte stats vor Augen, so braueht es nicht wunder zu nehmen, daf~ es namentlich bei gesteigerter Reflexbarkeit gelingt, die verschiedensten Muskeln reflektorisch zur Anspannung zu bringen.

Eher ist es nach meiner Ansicht wunderbar, daft dies nieht schon unter normalen Verh/iltnissen m6glieh ist; doeh lassen sich bei einigem Nachdenken aueh hier Grfnde ffir die Tatsache finden, dab nicht alle Muskeln gleich gut zur reflektorischen Anspannung gebraeht werden k6nnen. Wie oben bemerkt, muft, um eine solche auszul6sen, 1. der Muskel sich in einem gewissen Grade von Spannung befinden und 2. muB die Dehnung rasch erfolgen. Diese Bedingungen lassen sich aber nirgendwo leichter schaffen, als gerade bei denjenigen Sehnen- reflexen, die in der Norm am konstantesten vorkommen, also beim Patellar- und Aehillessehnenreflex. Die hier in Betraeht kommenden Sehnen sind viel weniger, als die anderer Muskeln durch darfiber- oder darunterliegende Weichteile oder Knochen behindert, rasch gedehnt resp. in Schwingungen versetzt zu werden. Auch gelingt es gerade bier leicht, die zugeh6rigen Muskeln in den richtigen Grad von Span- hung, die Antagonisten zur Entspannung zu bringen. Bei den anderen Sehnen und Muskeln, insbesondere aueh denjenigen der Arme, liegen diese rein mechanischen Verh~ltnisse entschieden ungiinstiger. Das erkl~rt uns allerdings nicht a]lein die Tatsache, dab die Sehnenreflexe an den Armen weniger konstant sind, als an den Beinen, da sie ja bei einzelnen Individuen an St~rke sehr verschieden sind. Hier mfissen also noch andere Momente, die mehr funktioneller Natur sind, in Frage kommen. Es gelingt aber auch an den Armen schon beim Normalen, wenigstens in vielen F~llen, durch rasche Dehnung die verschiedensten Muskeln zur reflektorischen Anspannung zu bringen. Erst recht ist dies bei gesteigerter Reflexbarkeit der Fall. Diese Tatsache hat nach dem oben Gesagten nichts Auffallendes. Sie hat aber aueh kaum eine prak- tische Bedeutung, da wit schon aus dem Verhalten der konstanten Reflexe schlieften k6nnen, ob die Reflexerregbarkeit gesteigert ist, oder nicht. Das Fehlen von Sehnenreflexen hat aber nur dann diagnostischc Bedeutung, wenn es sich um solche handelt, die auch in der Norm kon- stant sind oder dann, wenn wir im Laufe der Beobachtung feststellen k6nnen, dab vorher vorhandene Reflexe sehwinden. Das Beschreiben von neuen Reflexen hat daher meines Erachtens nur Zweck, wenn es sich um konstante Erscheinungen handelt.