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Beitr~ige zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung ~). II. Schizoid, Schizophrenie, Dementia praecox. (Vorstudie zur Untersuchung der Schizosen.) Von Prof. Dr. Josef Berze, Wien-Steinhof. (Eingeffangen am 17. Januar 1925.) Wer daran geht, die Vererbung der Schizosen bzw. der Psychopathien und Psychosen, deren Zugeh6rigkeit zum ,,Erbkreise der Sehizophrenie" angenommen wird, zu untersuchen, st6f3t auf eine ganze Reihe von Problemen, deren L6sung vorerst versucht oder zu denen wenigstens, wenn ihre vollgiiltige LSsung noch nicht gelingt, vorerst in einer dem heutigen Stande unseres Wissens entspreehenden Weise Stellung genom- men werden mug. Als eines der wichtigsten von diesen Problemen mul3 das des Schizoids, seines psychopathologischen Wesens und seines erbkonstitutionellen Verh~,ltnisses zur Schizophrenie wegen, angesehen werden. Der erste, der sich eingehend mit diesem Gegenstande besch/iftigt hat, nach- dem ich in meiner Arbeit fiber die ,,heredit/~ren" Beziehungen der Dementia prae- cox (1910) die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hatte, ist Medow. In einer griind- lichen Studie weist er ganz besonders auf die ,,Mannig/altigkeit der Bilder" und auf die ,,Verschiedenartigkelt des Verlaufs" der psychopathisehen Formen in der Verwandtschaft der Schizophrenien" him Oft war es in seinen Fi~llen zweifel- haft, ,,ob eine Charakterabnormit/~t noch eine selbst/indige Erscheinung oder bereits Folge des fortschreitenden Krankheitsprozesses war". Im wesentliehen scheint es sich ihm ,,teils um Psychopathien mit komplizierten Charakterver- anderungen, besonders in Gemiitsverarmung und Unstetigkeit sich zeigend, tefls um neurasthenische Zustandsbilder zu handeln". Ein Anhaltspunkt, ,,nur die eine Form als wesentlich und die andere als Zufallserscheinung aufzufassen," ergab sich ihm nicht. Einzelne von seinen F/~llen waren vielleicht als ,,leichte F~ille yon Schizophrenie aufzufassen". Ffir die grol3e Mehrzahl der F~lle scheint ihm jedoeh ,,eine Gleichsetzung der Bilder unter Annahme nur gradueller Verschiedenheit unang~ingig zu sein, vielmehr sind die Symptome bei genau beobaehteten Bildern doch durch eine weite Kluft getrennt". Die psychopathisehen Formen sind also nicht ,,als intermedidre Zwischengliedcr zwischen pathologisehem Merkmal und gesunder Form anzusehen". 1) I. Teil der ,,Beitr/tge" in Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 87, 94ff. 1923.

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Beitr~ige zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung ~).

II. Schizoid, Schizophrenie, Dementia praecox. (Vorstudie zur Unte r suchung der Schizosen.)

Von

Prof. Dr. Josef Berze, Wien-Steinhof.

(Eingeffangen am 17. Januar 1925.)

W e r da ran geht , die Vererbung der Schizosen bzw. der P s yc hopa t h i e n und Psychosen, deren Zugeh6r igkei t zum , ,Erbkre ise der Sehizophrenie"

angenommen wird, zu untersuchen, st6f3t auf eine ganze Reihe von Problemen, deren L6sung vorers t versucht oder zu denen wenigstens,

wenn ihre vollgi i l t ige LSsung noch n ich t gelingt , vorers t in einer dem

heut igen S tande unseres Wissens en tspreehenden Weise Ste l lung genom-

men werden mug. Als eines der wicht igs ten von diesen P rob lemen

mul3 das des Schizoids , seines psychopathologischen Wesens und seines e rbkons t i tu t ione l l en Verh~,ltnisses zur Schizophrenie wegen, angesehen werden.

Der erste, der sich eingehend mit diesem Gegenstande besch/iftigt hat, nach- dem ich in meiner Arbeit fiber die ,,heredit/~ren" Beziehungen der Dementia prae- cox (1910) die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hatte, ist Medow. In einer griind- lichen Studie weist er ganz besonders auf die ,,Mannig/altigkeit der Bilder" und auf die ,,Verschiedenartigkelt des Verlaufs" der psychopathisehen Formen in der Verwandtschaft der Schizophrenien" him Oft war es in seinen Fi~llen zweifel- haft, ,,ob eine Charakterabnormit/~t noch eine selbst/indige Erscheinung oder bereits Folge des fortschreitenden Krankheitsprozesses war". Im wesentliehen scheint es sich ihm ,,teils um Psychopathien mit komplizierten Charakterver- anderungen, besonders in Gemiitsverarmung und Unstetigkeit sich zeigend, tefls um neurasthenische Zustandsbilder zu handeln". Ein Anhaltspunkt, ,,nur die eine Form als wesentlich und die andere als Zufallserscheinung aufzufassen," ergab sich ihm nicht. Einzelne von seinen F/~llen waren vielleicht als ,,leichte F~ille yon Schizophrenie aufzufassen". Ffir die grol3e Mehrzahl der F~lle scheint ihm jedoeh ,,eine Gleichsetzung der Bilder unter Annahme nur gradueller Verschiedenheit unang~ingig zu sein, vielmehr sind die Symptome bei genau beobaehteten Bildern doch durch eine weite Kluft getrennt". Die psychopathisehen Formen sind also nicht ,,als intermedidre Zwischengliedcr zwischen pathologisehem Merkmal und gesunder Form anzusehen".

1) I. Teil der ,,Beitr/tge" in Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 87, 94ff. 1923.

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R~tdin TM) konstatiert dann die in Dementia praecox-Famflien ,,nicht so selten vorkommenden ,versehrobenen' Psychopathen, die man auch wohl infolge man- cher psyehopathologischer Beriihrungspunkte mit eigentlichen Dementia praeeox- Kranken . . . als schizophrene Psychopathen bezeichnet hat". Es handle sich da weder ,,immer lediglieh um leichtere Grade der Dementia praecox", noch seien diese schizophrenen Psychopathen ,,irgendwelchen anderen ,Psychopathen' vSllig gleichzusetzen". Jedenfalls finde sieh ,,diese Sorte yon Psychopathen auffallend h/~ufig gerade in Familien, in denen auch ausgesprochene Dementia praecox zu Hause ist". AuBerdem aber sei festzuhalten, ,,dab auch nlchtschizophrene Psycho- pathen in Dementia praecox-Famflien vorkommen, z. B. haltlose, in krimineller Hinsicht eigenartig hartn~ckige und unverbesserliche Psychopathen, denen schizo- phrene Ziige nicht anhaften, es sei denn, dab man den Begriff des schizophrenen geistigen Verhaltens so sehr erweitere, dab schlielllich kein Mensch mehr davon frei genannt werden kann".

Ho]]mann ist dann viel weiter gegangen. Er findet unter den Naehkommen von Dementia praecox-kranken Eltern ,,psyehopathologische Typen" recht ver- schiedener Art, die er in 8 Gruppen anfiihrt. Sie alle stellen ihm die ,,schizoide PersSnlichkeit" dar, deren Hauptcharakteristikum ,,das antistische Verhalten", worunter, ,,ganz allgemein gesagt, die Tendenz, die AuBenwelt zu ignorieren, sich von der Wirklichkeit abzusehliel~en", zu verstehen ist, ,,und die mangelnde affek- tive Resonanzf/~higkeit" bildet. Da diese Hauptcharakteristica seiner Ansicht nach unter anderem auch fiir die Gruppe der ,,haltlosen leichtsinnigen Verschwender, die es im Leben zu niehts bringen und allm~hlich auf der sozialen Stufenleiter langsam herabsinken, ohne dab man sie als Dementia praecox auffassen miiBte"~ lind aueh fiir die Gruppe der ,,typischen Degenerierten tefls mit, teils ohne hyste- rischen Einschlag" zutreffen, miissen sie hSchst dehnbarer Natur sein. Im iibrigen fiihrt Ho]]mann aus: ,,Der Begriff des Sehizoiden deckt sich keineswegs mit dem Begriff des psychopathisch Krankha]ten; den schizoiden Temperamenten kommt eine weitgehendeVariationsbreite zu, die bis in das ,Normale' hineinreieht. Immer- hin sollen damit nur eharakterologisch au]]allende PersSnlichkeiten bezeiehnet werden." Damit steht er bereits unter dem Einflusse Kretschmers, dessen ,,cha- rakterologische Riehtlinien", wie er selbst sagt, durch die Ergebnisse seiner Unter- suehung best~tigt werden.

Kretschmers Ansicht kleidet Gaupp in seinem Vorwort zu dem Buche ,,KSrper- bau und Charakter" in folgende Worte: ,,Der schizophrene Kranke hat im ,,Schi- zoiden' seine Abortivform und im ,sehizothymen' Gesunden sein charakterologisches Rudiment oder vielmehr seinen weiten biologischen Rahmen." ,,Die Grenzen zwisehen Krankheit und Gesundheit verschwimmen immer mehr." Kretschmer ist der Meinung, die ,,Grundziige der schizoiden Temperamente", wie er sie an den ,,pri~psychotischen PersSnliehkeiten sp~ter Geisteskranker" finder, ,,da und dort mit Ziigen aus den schizophrenen Psyehosen, aus den postpsychotischen PersSn- lichkeiten und "con den nicht geisteskranken Schizoiden aus der Verwandtschaft Geisteskranker" nicht nur ,,erg~nzen" zu diirfen, sondern sogar erg/inzen zu miissen, ohne dab es ,,m6glich oder notwendig w~re, diese allenthalben ineinander iibergehenden Dingo durchweg auseinanderzuhalten". Was yon diesem Verfahren zu halten ist, wird an geeigneter Stelle zu bespreehen sein. Hier sei nur bemerkt, dab yon ,,nichtschizophrenen" Psychopathen, wie sie Mollweide und auch noch R~din in Dementia praecox-Familien konstatiert haben, yon nichtschlzoide~ Psychopathem, wie man jetzt wohl sagen miiBte, bei Kretschmer nicht die Rede ist. Freflich liegt es nicht im Plane der Kretschmerschen Untersuchung, diesen Gegenstand genauer zu erSrtern, war es ihm doch fast ausschlieBlieh darum zu tun, die angeblich durehgangige l~bereinstimmung der psyehischen Wesensart v o n d e r

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Schizophrenie tiber das Schizoid bis zum gesunden Schizothymen aufzuzeigen. Aber sagen h~tte er doch zumindest mtissen, wie er die nichtschizoiden Psycho- pathen, die es in Schizophreniefamflien ja zweifellos gibt, von den schizoiden ge- schieden hat, wie er seine Schizoiden - - aach allen Seiten hin und nicht nur gegen die Zykloiden! - - abgegrenzt hat.

Was Riidin noch als unsinnig abgewiesen hat, n~mlich eine so weitgehende Erweiterung des Begriffs des schizophrenen geistigen Verhaltens, ,,dal3 schlieB- lich kein Mensch mehr davon frei genannt werden kann," ist bereits wahr geworden, ist doch das Schizoid in der neuesten Fassung ,,ein Typus psychischen Seins und psychischer Reaktionen, der bei jedem mehr oder weniger ausgesprochen vor- handen, in seinen krankhaften Schattierungen als Schizophrenie in die Erscheinung tritt, in seiner mittleren Aushildung abet bei den bisher als Schizoide bezeichneten Psychopathen auff~llt" (Bleuler). Wenn es so ist, dann muflte freilich Kretschmers Weg zu dem gesuchten Ziele fiihren!

An gesunder Reaktion gcgen diese Anschauungeu Ho/[manns, Kretschmers, BIeulers fehlt es nun aber keineswegs. Im Gegenteile, sie ist unter den praktischen Psychiatern schon recht welt gcdiehen, noch betriichttich welter, als uus der Lite- ratur ersichtlich ist. (~berall fragt man sich: Ja, was ist denn nun eigentlich schi- zoid? Ist am Ende alles Psychopathische, das nicht zykloid ist, schizoid ? Wie grenzt sich das Schizoide gegen das Schizophrene einerseits, gegen das Normale andcrerseits ab? usw.

Ewald sagt mit Recht, das Schizoid sei ,,wirklich zu dem Ziehharmonikabegriff geworden, den man ihm weissagen mu]te". ,,Wo sind", ruft er aus, ,,die Charak- tere, die wir bisher als relativ labile, als hysterische, als phantastische zu bezeichnen pflegten ? ~Vo sind die paranoid eingestellten und wo die epileptoiden ? Wo sind die Haltlosen und die Sthenischen, die mit labilem PersSnlichkeitsbewuBtsein und die Starrk6pfigen ? Alle nimmt die weite Mutter des Schizoids in die Arme." ,,Der schizothyme Charakter ist innerhalb der Breite der Normalit~t nach Kretsch- mer das, was man einen ausgeprggten Charakter nennt, das Schizoid ist der Sammel- begriff ftir alle abnormen Charaktere." Ewald vermag ein solches Schizoid als umschriebene Psychopathengruppe und den Be~iff der Schizothymie nicht an- �9 ztler]~iennen. ~:

Bumke hat sich ,,bisher nich~ davon iiberzeugen k6nnen, dab die yon Kretsch- met, Ho/]mann und Bleuler fiir das Schizoid bzw. die Schizothymie in Anspruch genommenen Charakterztige etwas anderes darstellen als normale Eigenttimlich- keiten der menschlichen Seele, die wir iiberall, wenn auch in verschiedener Aus- pr~tgung, finden werden, wo wir nach ihnen suchen." Er ist mit vollem ]~echt der Meinung, da[3 wir zu allerni~chst versuchen miissen, ,,aus den Psychopathen die Falle herauszulSsen, die in Wirklichkeit verkappte Schizophrenien sind" bzw., (lab wir auf diesem bereits von Wilmanns mit Erfolg eingeschlagenen Wege fort- fahren miissen. Auch ist ihm beizupflichten, wenn er sagt, da ]es ,,eine organische Krankheit (sc. wie die Dementia praecox), die sich schlieBlich bis zu einem nor- malen Temperament verdiinnt," doch wohI nicht geben k6nne, und wenn er cr- kl~trt, dab das Schizoid Kretschmers ,,eine ktinstliche Konstruktion" sei, ,,die in die normale menschliche Psyche einzelne schizophrene Ziige willkiirlich und unor- ganisch hineingebaut hat," und dal~ nach einem anderen brauchbaren Begriff des Schizoids erst noch gesucht werden mtisse, nach dem Begriff eines Schizoids, das ,,sich nicht bei allen Menschen finder" und das dann erst ,,greifbare Anhaltspunkte fiir Erblichkeitsstudien g~tbe".

Was zur Bi ldung des Begriffs Schizoid geffihrt hat, ist die Tatsache,

dal3 in Schizophreniefamilien neben ausgesprochen Schizophrenen, also

Geisteskranken, in auffallend grol3er Zahl Psychopathen vorkommen,

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606 J. Berze :

die ,,manche psychopathologische Beri~hrungspunlcte" (Ri~din) mit jenen aufweisen. Hervorgegangen also aus der Annahme der erbbiologischeu ZugehSrigkeit gewisser Psychopathien zur Schizphorenie hat der Begriff cinen psychologlschen (psychopathologischen I Inhal t crhalten. Schizoid bedeutet danach: der Schizophrenic (psychopathologisch) ~ihnlich, was j a auch das Wort besagt.

Welter sind dann aber auch, yon Kretschmer sogar vor die Schizo- phrenien selbst geriickt, die ,,pr(ipsychotischen PersSnlichkeiten sp~tter Geisteskranker" als ma]gebcnd fiir die Zcichnung der ,,Grundzfige der schizoiden Temperamente" angcsehen worden. Schizoid bedeutete nunmehr auch oder gar vor allem: der pr~ischizophrenen PersSnlichkeit i~hnlich.

Damit war ursprfinglich keineswegs eine Erweiterung des psycho- pathologischen Inhalts des Begriffs Schizoid beabsichtigt. Denn dem Versuche der Stfitzung des Begriffs durch die Bczugnahme auf die pri~psychotischen PersSnlichkeiten lag die unklare Vorstcllung zu- grunde, dal~ die pr~psychotische PersSnlichkeit, wenn auch sozusagen im Kcime, bereits die psychischen Eigenschaften zeige, welche in der sp~tteren Psychose in voller Entwicklung auffallig werdcn. Diese Vor- stellung ist nun aber falsch 1). Dcnn, da die Krankheit Schizophrenic eben eine Krankhei t ist, die, sobald sie fiber die PersSnlichkeit kommt, deren weitere Entwicklung im pathologischen Sinne beeinflui~t, ,,ab- biegt", , ,abknickt", und da gerade erst die neuen psychischen Eigen- schaften, welche sich aus dieser pathologischen Veriinderung ergeben, die ffir die Schizophrenie eigentlich typischen sind, geht es nicht an, den Unterschied zwischen den pri~psychotischen und den psychotischen Erscheinungen fiir einen blol~ quanti tat iven zu halten. Es wird also durch die Einbeziehung der Eigenschaften priipsychotischer PersSn- lichkeiten in die Charakteristik des Schizoids bzw. der Schizoide, der psychopathologischc Inhal t des Begriffs Schizoid -- unbeabsichtigter und, wie betont werden mul~, unbeachteterweise - - erweitert, und zwar um Ziige, welche der Schizophrenie nicht nur fremd, sondern zum Teil

1) Die Genese dieser Vorstellung ist klar: es werden, gerade im Schizophrenie- kreise, oft Pers5nlichkeiten fiir pri~psychotisch gehalten, die in Wirklichkeit psy- chotisch oder postpsychotisch sind. Oft genug, und zwar gerade in der Zeit, d~ sich der Charakter entwickelt bzw. charakteristische Eigentiimlichkeiten auf- zufallen beginnen, schleicht sich ja auch die Krankheit unbemerkt ein, so daB die Richtung und Art der Charakterentwicklung, obwohl bereits unter dem Einflusso der Krankheit abwegig gestaltet, als blol~ durch die abgeartete Konstitution be- stimmt erscheinen kann. Oft auch werden erst Krankheitsschfibe verkannt oder iibersehen, besonders wieder, wenn sie schleichend einsetzen und verlaufen, oder auch, wenn sic unter irgendeiner ungewShnlichen Maske vor sich gehen, so dab wieder leicht in Residuarzust~nden nach solchen Schiiben begriindete psychische Eigenschaften fiir Ergebnisse der bloB konstitutionell determinierten Entwicklun~ gehaltcn werden kSnnen.

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sogar, wie gezeigt werden wird, den korrespondierenden schizophrenen Zfigen entgegcngesetzt sind.

Man kann zweifellos den Begriff des Schizoids auch in seiner jetzt gel~ufigen, im erw~hnten Sinne erweiterten Fassung akzeptieren. Dann wird man aber, wcnn man das Schizoid psychopathologisch oder patho- genetisch zu erforschen strebt, m. E. die Zfige, welche sozusagen v o n d e r Schizophrenie hergeholt sind, und die Ziige, welehe yon den pr~psycho- tischcn Pers5nlichkeiten abgeleitet sind, gerade si~ubcrlich yon einander scheiden miissen.

Unter den Personen, die sp~tter an Schizophrenic erkranken, finde~ sich, abgesehen yon einer geringen Anzahl, die keinerlei auff/~llige psychische Anomalien aufweisen, die verschiedensten Psychopathen. Sollen wir sic nun allc als ,,schizoid" nehmen ? Dies h/~tte wohl keinen Sinn. Welche aber dann ? Ewald fragt anl~Blich der Besprechung eines Psychopathen, der keinerlei sichere Zeichen der Zugeh6rigkeit zur Schizophreniegruppe bot : ,,War er ein ,schizoider' Psychopath ? Kann sein. Es kann sein, dal] wir in diesen Typen einmal die Vorl/~ufer finden werden ffir die Schiziophrenie, es kann aber auch anders sein." Er scheint also zu meinen, dab als schizoide Psychopathen diejenigen zu nehmen w~ren, welche als ,,Vorl~ufer" fiir die Schizophrenic erkannt werden. ,,Vorl/iufer sein" besagt m. E. aber auch nicht viel mehr, als mit dem Ausdruck ,,pr~psychotische Pers6nlichkeit" gemeint ist. Unter den Vorl~ufern der Schizophrenie linden sich solche mit und solche ohne ,,psychopathologische Berfihrungspunkte" mit der Schizophrenic. Often- bar kann man doch nur die ersten schizoid nennen. Doch sollte man m. E. die ,,psychopathologischen Berfihrungspunkte", die da gemeint sind, nicht blo] in den ,,-/t'hnlichkeitsbeziehungen" mit der Schizo- phrenie erblicken, sondern auch schon im genetischen Zusammenhange, der -- wie noch zu zeigen sein wird -- auch zwischen undhnlichen Symptomen der Vorli~uferpsychopathie einerseits, der sp~teren Psychose anderseits bestehen kann. --

Hebt man nun aus der Gesamtheit der Psychopathen in Schizo- phreniefiillen zun~ichst die der Schizophrenic iihnlichen heraus, so wird man es in der Regel mit solchen zu tun haben, die als leichte Schizo- phrenien bzw. als postpsychotische Pers6nlichkeiten nach leichten schizophrenen Schfiben zu erkennen sind oder doch Zfige aufweisen, welche fiir ihre Auffassung a]s ,,verkappte Schizophrenien" (Bumke) sprechen. Auch Kretschmer finder ,,manchmal Schizoide, die so aus- sehen, als wenn sic gleichsam schon vor der Geburt eine schizophreno Psychose durchgemacht hi~tten, die yon Kindheit auf schon so schwach- sinnig, st6rrisch, versehroben, feindselig und untraktabel sind, wie es die meisten schizoiden Menschen erst spitter werden, wenn sic schon Psychosen hinter sich haben". GewiB, abet auBer solchen schweren

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608 J. Bel~e :

Fi~llen ,,angeborenen antisozialen Sehwachsinns dieser sehizoiden Fi~r- bung," auBer diesen ,,schweren, ruinenhaften Defektzust~nden", gibt es auch ,,schizoide" Defektzust~nde aller leichteren Grade, darunter namentlich solche, die sieh nur in ge~issen Charakteranomalien und in einem mit ihnen innig verfloehtenen, mehr oder weniger deutlich hervor- tretenden Autismus, der je nach Art der psychischen Gesamtkonstitution des Individuums die verschiedensten Formen annimmt, kundgeben.

Den Charaktereigenschaften, welche bei dieser Kerngruppe der Schizoiden die vorherrsehenden sind, ist fast durehweg ein ffir die Umgebung unangenehmer, ein in sozialer Hinsieht negativer Zug gemein- sam (Riicksichtslosigkeit, Herzlosigkeit, steife, sehroffe, harte, herrisehe, tyrannische, unzugiingliche Art, Ungeselligkeit mit mehr oder weniger betonter Menschenfeindschaft, Eigensinn, Streitsueht, Heftigkeit, Recht- haberei, Unbelehrbarkeit, Borniertheit, Eigenbr6telei, h~misches, bSs- artiges, bissiges Wesen, insidi6s qui~rulatorische Verfolgungssueht, kalte Brutaliti~t, roher Zynismus, verschlossenes, autistisches Wesen, miirrische Sehweigsamkeit, Humorlosigkeit, ,,nervSse" ~berspanntheit, fiberheblich unduldsames Wesen, erh6hte Neigung fibel zu nehmen, unangenehm berfihrt, beleidigt, gekr~nkt zu sein, Argwohn, MiBtrauen, Unfi~higkeit, auf die Argumente anderer einzugehen, sie zu wfirdigen, daher ,,Diskutierunf~higkeit", hartn~ckiges, sich besserer Einsicht ver- schlieBendes Festhalten an gewissen Gedanken und Strebungen usw.). Ob es unter den Schizoiden, die der Gruppe der ,,verkappten" Sehizo- phrenien angehSren, auch solehe mit hervortretenden positiven sozialen Eigenschaften, also z. B. feinffihlige, lenksame, gutmfitige Schizoide (vgl. Kretschmer) gibt, erscheint mir zweifelhaft.

Man gewinnt den Eindruck, dal~ die Sehizoiden dieser Gruppe arm sind an positiven Geffihlen, und dab daher nur die ,,pers6nlichkeits. eigenen" Strebungen ihres engen ,,primi~ren" Ichs oder ihres armselig ,,erweiterten" Ichs positive Betonung erhalten k6nnen, wogegen ffir alles ,,PersOnlichkeitsfremde" nut negative T6ne fibrig bleiben. Sie haben, mit anderen Worten, ffir all das, was fiber ihren eigenen Inter- essenkreis hinausgeht, ,,nichts fibrig". Was heiBt dies nun? Es heiBt nach meiner Auffassung, dab nur die spontanen, d. h. dem Ich selbst ent- springenden Strebungen in solcher Weise einsetzen und verlaufen, dab sie yon Lust begleitet sein k6nnen, wogegen alle, dem Ich aufgezwun- genen, alle reaktiven Erregungen etwas mit sich bringen, was Unlust erregt. Daher wird alles ,,Pers6nliehkeitseigene" mit Hartn~ckigkeit, Eigensinn, Verbissenheit, Unkorrigierbarkeit festgehalten, alles ,,Per- s6nlichkeitsfremde" dagegen nach M6glichkeit ferngehalten und ab- gewehrt, und zwar je nach der individuellen Gemfitsart in mehr scheuer, sehfichterner oder in mehr heftiger, brutaler, in mehr fiberheblich tyran- nischer, cder in mehr h~imischer, b6sartiger, bissiger Art.

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Was ist es ram, worin die Unlustbetonung der reaktiven Vorg~nge (im eben erw~hnten Sinne) begriindet ist ? Jedermann erlebt ~hnliches in Zust~nden der geistigen Ermiidung, der Abspannung; w~hrend man noch den eigenen Gedanken nachzuh~ngen, auch noeh im Sinne seiner eigenen Strebungen zu handeln vermag, ohne grS~ere Unlust zu empfin- den, als aus dem Ermiidungsgefiihl und aus dem Gezwungensein zu starkerer Anstrengung entspringt, wird jede Inanspruchnahme von anderer Seite als unangenehme StOrung empfunden und mit unwilliger Ablehnung beantwortet. Das gleiche gilt ffir den Zustand, der Schl~frig- keit genannt wird, und das gleiche auch ~5r krankhafte Zust~nde, in denen, 5hnlich wie bei der Schlgfrigkeit, die psychische Aktivit(it herab- gesetzt ist. Ich nehme daher auch an, dab jene Schizoiden, welehe wir, mit Bumke und anderen als , ,verkappte" Schizophrene aufzufassen haben, all der gleichen, wenn auch in geringerem MaBe ausgebildeten, psychi- schen GrundstOrung leiden wie die ausgesprochen Schizophrenen, n~m- lich an einer Insu//izienz der psychischen A]ctivit~it.

Sie ist es, aus der sich m. E. die Beschrankung des Strebungslebens auf einen engen Kreis von festgelegten, unabgnderlichen und unablSs- baren, zu zwingenden Gewohnheiten 1) gewordenen Strebungen, die Ein- engung des geistigen Horizonts, die Versimpelung des Ichs, der Zwang zur Abwehr aller die Erhaltung der Ich-Einheit bedrohenden, ,,persSn- lichkeitsfremden" Tendenzen und damit der Autismus im Denken und im hu6eren Verhalten ergeben. Sie ist es auch, worin es begrfindet ist, da{3 der Sehizoide dieser Art nicht wie der Normale darauf bedacht ist bzw. nicht darauf bedacht sein kann, seine dissozialen Regungen zu be- k~impfen, zu mildern, zu verbergen, sondern diesen Regungen sozusagen freien Lauf la6t, so dab die negative soziale Einstellung zu einer um so (~uH~illigeren Charaktereigenschaft wird. Sie ist es sehlie[tlich, die eine Mangelhaftigkeit gewisser Geistesdisloositionen , wie der Besonnenheit, der m~iltigenden Bedachtsamkeit, der verst~ndigen Selbstbeherrsehung (der ve~q)~oo~(,r~]), mit sich bringt, welche den Charakter zu einem, wenn ich so sagen darf, wohltemperierten, machen, so dab anstat t eines solchen ein ,,auffalliger", sin ,,ausgesprochener", ein ,,ausgepr~gter" Charakter mit scharfen, markanten, schroffen, ungemilderten Zfigen zu Tage tritt, -- worin ja sicherlich ein Hauptmerkmal der schizoiden PersSnlichkeiten zu erblicken ist, soweit sis der Gruppe der verkappten Schizophrenien angehSren.

So best~tigt m. E. auch die psychopathologische Untersuchung die Richtigkeit der Annahme Bum]ces, da6 ,,schizoide Psychopathen offen- bar an einer unvollkommen geheilten, oder an einer abortiven Form"

1) Das H~ngen an Gewohnheiten, ja das Aufgehen in Gewohnheiten, ist einer der Hauptziige vieler Schizoider. Dies ist von den Autoren, die sich mit diesen Psychopathen bisher eingehender befaBt haben, viel zu wenig beachtet worden.

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. XCVI . 39

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610 J. Berze:

der Dementia praecox leiden. Nur fragt es sieh, ob Bumke auch reeht hat, wenn er diese Annahme verall(jemeinert bzw. wenn er zwischen den , ,verkappten Schizophrenien" und jenen von Kretschmer gezeichneten Unterformen des schizoiden Temperaments, welche er ,,sehlechthin fiir gesund" halt, keinen PersSnlichkeitstypus mehr findet, der auf die Bezeichnung schizoid im Sinne einer Psychopathic Anspruch hi~tte, wenn er die yon anderen so gedeuteten Formen vielmehr - - gestiitzt auf die an und fiir sich gewi~ einwandfreie These, dal~ es ,,eine organische Krankhei t (sc. wie die Dementia praecox), die sieh schlief~lieh bis zu einem normalen Temperament verdtinnt", doch wohl nicht geben kSnne -- ohne Ausnahme als ,,Spielarten der gesunden physischen Anlage", denen ,,seelisch Varianten des normalen psychischen Verhaltens entsprechen", auffaBt.

Wenn man alle die Schizoiden abzieht, die mehr oder weniger deut- lieh als verkappte Schizophrenien charakterisiert sind, also vor allem die gemiitsstumpfen, gemfitskalten, gemiitslosen, manche yon den ethisch defekten, viele von den versehlossenen und verschrobenen Sehizoiden, so bleiben m. E. doch noch einige Typen iibrig - - sic stehen in Kahns Typenreihe, die mit den gemiitsstumpfen Schizoiden beginnt, am Ende - - , die sich in das Schema der verkappten Sehizophrenien nicht fiigen, ich meine vor allem die rein Sensitiven .und manehe yon den hypoehon- drisch-nerv6sen, weiter aber auch gewisse paranoide Schizoide. Wie steht es nun um die ,,psychopathologischen Beriihrungspunkte" dieser zweiten Hauptgruppe mit der Schizophrenie ?

Eine MSglichkeit, naher an dieses Problem heranzukommen - - allerdings wieder nur fiir einen Teil dieser zweiten Hauptgruppe - - , ergibt sich mir aus meiner Auffassung des Wesens der Dispositiou zur Schizophrenie einerseits, des Wesens der Kran]cheit Schizophrenic andrerseits. Die , ,verkappten Schizophrenen" - - nicht zu verwechseln mit den ,,latenten" Schizophrenen! - - sind, wie gesagt, bereits Tr~ger der Krankheit Schizophrenic bzw. eines nach durchgemachter Krank- heir zuriickgebliebenen Defektes des psychocerebralen Systems in , ,abortiver Form". Wie steht es nun, ist die Frage, mit denen, die blof~ Tr~ger der Disposition zur Schizophrenie, also nicht eines - - in der fiir diese Krankhei t spezifischen Art - - bereits geschi~digten, sondern eines blol~ erst zu einer solchen Schiidigung infolge seiner pathologiseh erhShten Vulnerabilit~t besonders disponierten psychocerebralen Systems sind ? Wirkt sieh etwa auch schon diese Vulnerabilitat psychopathologisch unter Umsti~nden im Sinne ,,schizoider" Erscheinungen aus ?

Wie schon angedeutet worden ist, liegt es nahe, sich die in der An- lage gegebene Vulnerabilitiit des psychocerebralen Systems, welche m. E. das Wesen der Disposition ausmacht, als eine (Jberempfind]ichkeit nicht nur ftir schi~digende Faktoren verschiedener Art, sondern auch fiir die

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Beitrltge zur psychiatrischen Erbliehkeits- und Konstitutionsforschung.. 611

Funktionsreize zu denken, in ihr also zugleich die Grundlage einer tiber die Norm hinausgehenden /unktionellen Ansprechbarkeit zu erblicken. Worin tri t t nun diese erh6hte funktionelle Ansprechbarkeit des psycho- cerebralen Systems psychisch zu Tage ? Man kann sich m. E. dariiber nur dann klar werden, wenn man sich vor einer Verwechslung der Aktivit~,t mit der Affektivit~t bzw. vor einer Identffizierung des Strc- bens (im weiten Sinne) mit dem Ffihlen htitet, und wenn man erfaf~t, dab die bezeichnete Anomalie in der Sphere des Geistes, in der Sphere des denkenden Bewul~tseins, und nicht in der des Geffihls, ihren unmittel- baren Ausdruek linden mull. Es ergibt sich dann, dab die t)bererreg- barkeit des psyehocerebralen Systems im Psychischen zun~chst niehts anderes bedeuten kann als eine erh6hte Bereitschaft zu jeglicher Form der psychischen Tgtigkeit, eine gesteigerte apperzeptive Irritabilitfit.

Diese Erscheinung beriihrt sich ohne Zweffel in gewisser Hinsicht mit der abnormen Erleichterung der Ausl6sung und des Ablaufs der noo- psychischen Vorggnge bei der manischen Erregung. Abet diese Be- rtihrung ist nur eine ~ullerliche. Zwischen den Ergebnisseu der apper- zeptiven T~tigkeit bei gesteigerter apperzeptiver Erregbarkeit und bei manischer Erregung besteht ein weitgehender Unterschied, ja in wesent- lichen Beziehungen sogar ein strikter Gegensatz. Der Fliichtigkeit, UnvoUstiindigkeit, Oberflgchlichkeit des manischen Denkens stehei~ Hartn~ckigkeitl), Vollst~ndigkeit, Eindringlichkeit -- Eigenschaften, die leicht in Verbohrtheit und tJberspitztheit ausarten -- des Denkens bei apperzeptiver 1Jbererregbarkeit gegentiber. Das ,,Nichtordnen- und NichtausdenkenkSnnen" (Bleuler) der Manischen hat sein Gegen. sttick in der oft hervortretenden Neigung der apperzeptiv 1Jberregten zur Prinzipienreiterei und in ihrer Sucht, im Denken auch unn6tigerweise stets die ~uBersten Konsequenzen zu ziehen. W~hrend das Denken des Manischen oft nur ein Spielen mit Gedanken ist, ist der apperzeptiv Ubererregbare ,,ganz bei der Sache". Den mit den jeweiligen sonstigen psychischen Inhalte rasch wechselnden Augenblickseinstellungen des Manischen stehen feste und hochwertige Leitideen beim apperzeptiv ]Ubererregbaren, der auch aus diesem Grunde als ,,ausgesprochener Charakter" erscheint, gegentiber.

Besteht bei gesteigerter Erregbarkeit in der Geffihlssph~ire erh6hte Neigung zu gemiitlicher Ergriffenheit, so bei der apperzeptiven t)ber- erregbarkeit zu geistiger Ergriffenheit, zu apperzeptiver Ergri//enheit. Das einzelne Erlebnis wirkt sich sozusagen, sobald es einmal Gegenstand der Aufnierksamkeit geworden ist, in erh6htem Marie apperzeptiv aus z).

1) Der Manische ,,kann nichts festhalten", der apperzeptiv t~bererregbaro h~tlt iiberm~Big fest.

2) Reim Manischen wirkt sich das einzelne Erlebnis vorwiegend assoziativ - - ohnc zureichende apperzeptive Leitung -- aus, woraus sich die Ideenfliichtigkeit ergibt.

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Dabei ist es auch mehr als unter normalen Verh~ltnissen der Deutung im Sinne der habituellen Leitideen, also der subjektiven Deutung, aus- gesetzt. Der apperzeptiv fibererregbare Schizoide denkt tiberhaupt mehr ,,subjektiv" als der apperzeptiv durehschnittlich Erregbare, an objektiver Unbefangenheit fehlt es ihm mehr als diesem. Dazu tr~gt nun allerdings auch ein affektives Moment bei, dessen selcunddre Natur aber nicht verkannt werden daft. Es bringt namlich die gesteigerte apperzeptive Tatigkeit auch eine Steigerung des Aktivit~tsgefiihls mit sich, aus der sich, da dieses ausgesprochen positive Gefiihl eine Hebung des Selbstbewul~tseins, eine ErhShung des Selbstvertrauens bewirkt, eine ]Jberwertung der ,,eigenen" Gedanken, Urteile, Schliisse und eine relative Unterwertung der von anderen fibermittelten Denkergebnisse ergibt.

In der Sphere der Strebungen kommt die apperzeptive Ubererreg- barkeit zunachst in einer Erleichterung des Einsetzens und in einer Versti~rkung der Strebungsakte zur Geltung. Zugleieh aber wird der Inhalt der Strebungen infolge der kraftvolleren Verankerung bestimmter Idee~ im ,,Zusammenhange des Ichbewuiltseins" und ihres daraus resul- tierenden Ubergewichts in einem die Norm fibersteigenden Ma[~e durch habituelle, im Sinne ,,sekundi~rer Triebe" wirkende Einstellungen bestimmt. Der apperzeptiv 0bererregbare ist mehr auf sich selber ge- stellt als der Durehschnittsmensch, ist weniger von Au~enweltseinfliissen abhi~ngig, auch weniger der Korrektur seiner Annahmen durch Aul~en- weltswirkungen zug~tnglich, steht ihnen als starrere Pers6nlichkeit gegen- fiber, verfolgt seine Zwecke und Ziele konsequenter, hartn~ckiger, aueh rficksichtsloser als dieser.

Durch die apperzeptive (~bererregbarkeit ist aber auch schon die Wahrnehmungsti~tigkeit beeinflu~t. Die Art dieser Beeinflussung ist in wesentlicher Hinsicht aueh durch die Alteration des Denkens und Strebens bestimmt, weshalb ihre Er6rterung mit Vorteil erst nach der Darstelhmg der letzteren erfolgt. Direkt ergibt sich aus der apperzepti- ven l~bererregbarkeit eine erh6hte Promptheit und eine intensivere Er- fassung bzw. Auffassung des Wahrnehmungsgegenstandes. Was die weiteren Verhi~ltnisse betrifft, wird die aktive und passive Apperzeption, also die (aktiv) vorbereitete und die unvorbereitete Wahrnehmung, ge- sondert zu betrachten sein. Bei der letzteren bringt die gesteigerte Er- regung eine st~trkere Akzentuierung des bei dieser Apperzeptionsform durch den unerwarteten Einbruch des Wahrnehmungsinhalts erregten Unlustgefiihls mit sich. Kretschmer schildert diese Erscheinung trefflich im Kapitel fiber die ,,soziale Einstellung" 16) bei Besprechung der F~lle, ,,wo der Autismus ganz vorwiegend ein ~beremp/indlichlceits- symptom ist", wie folgt: ,,Solche iiberreizbare Sehizoide empfinden all die lauten, kri~ftigen Farben und T6ne des realen Lebens, die dem

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X)urchschnittsmenschen und dem Zykloiden sein willkommenes und unentbehrlieh anregendes Lebenselement bedeuten, als grell, unsch6n, brutal, lieblos, ja geradezu als psychisch schmerzhaftl). '' Man kann j~ dieses Symptom, wie einige Autoren wollen, als psychische Hyperdisthesie oder auch als psychische Hyperalgesie bezeiehnen, muB aber jedenfalls daran festhalten, dab es sieh um (tas Ergebnis einer l~bererregbarkeit in der Wahrnehmungs- und nicht in der Geffihlssphiire handelt. Bei der vorbereiteten Wahrnehmung kommen im Falle der apperzeptiven [)berregbarkeit aus dem bei ErOrterung der DenkstOrungen bereits aus- geffihrtem Grunde habituelle Einstellungen als elektive Faktoren in einem das normale Mall fibersteigenden Grade zur Geltung; namentlich im Zustande der apperzeptiven Ergriffenheit. Mehr als beim Normalen zeigt es sich also, dab vorwiegend diejenigen Gegenst/~nde und Vor- g/~nge wahrgenommen bzw. ,,bemerkt" werden, welche mit der herr- schenden Einstellung in Einklang stehen. Da auBerdem die ,,Auffas- sung", die ,,Deutung" in der Wahrnehmung durch diese Einstellungen in einem erhShten Mal]e beeinfluBt ist, ffihrt die aktive Wahrnehmung zu einem Gesamtergebnis, dessert Einseitigkeit der Objektivitiit der Erkenntnis abtriiglich sein mu$.

Alles in allem hgtte man zu sagen, durch die apperzeptive Uber- erregbarkeit erfahre das ganze geistige Leben eine dynamisehe Stei- gerung. Darin liegt -- nebenbei bemerkt -- zweifellos eine Beriihrung mit dem Wesen des Genies, bei dem es sich aber offenbar mehr um die F~higkeit zu erh6hter apperzeptiver Anspannung als um habituelle apperzeptive ()bererregbarkeit handelt. Im Falle der letzteren ergibt sich, wie ausgefiihrt worden ist, eine Verminderung des Wertes der Ergebnisse der apperzeptiven Tiitigkeit, indem sich leicht fibermi~chtige Einstellungen, fiberwertige Leitideen einstellen, welche im Sinne vor- gefal3ter Meinungen das Urteil einseitig und in erh6htem M&Ile sub- jektiv gestalten und das Strebungsleben oft bis zu ausgesprochener Borniertheit einsehriinken.

Vergegenw~irtigen wir uns die Charakterzfige, die sich auf Grund solcher psychopathologiseher VerhSltnisse ergeben, so gewinnen wir ein Bild, das bestimmten schizoiden Formen der Autoren entspricht. Grund- zug ist die psychische Hyperdisthesie, welehe weiter zu einer gesteigerten Empfindlichkeit ffir die eigenen Interessen, zu einer fiber das normale MaB hinausgehenden Egozentrizit~t - - m i t der Kehrseite der psyehi- schen Unterempfindlichkeit ffir alles ,,Persbnlichkeitsfremde" -- fiihrt. Viele Eigenheiten lassen sich aus diesem Grundzug im Zusammenhalt mit dem Temperament des Individuums, mit der individuellen Gemiits- und Willensdisposition, und mit weiteren Auswirkungen der apper-

1) Vgl. auch meine Schilderung des Vorstadiums der ,,Paranoia" 1). Meine damaligen (1903) ,,Paranoiker" waren fast durchweg paranoide Schizot0hrenc.

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zeptiven Ubererregbarkeit unschwer ableiten, wie Feinsinnigkeit, ethischer und ~sthetischer , ,Idealistentypus", einseitige exzessive Lieb- habereien (Sammler, Biicherfreunde usw.), anspruchsvolles, anmal~en- des, pretiSses Wesen, despotisches Gehaben, , ,Herrennatur", starr- sinniges, hartn~ckiges Festhalten an Lieblingsideen, Pedanterie, Recht- haberei usw.

Ein Zug im psychischen Wesen apperzeptiv iibererregbarer Psycho- pathen sei, ob seiner Wichtigkeit, noch besonders hervorgehoben. Die apperzeptive Ubererregbarkeit ver~ndert das habituelle VerhMtnis zwischen Verstand und Gemiit. Wo sich unter normalen VerhMtnissen als unmittelbare Reaktion Gefiihlsregungen einstellen, schiebt sich bei apperzeptiver f~bererregbarkeit der Verstand vor, erdriickt sozusagen da~ urspriingliche Gefiihl und l~St eine eigentliche gemiitliche Ergriffen- heit i iberhaupt nicht aufkommen. Die iiberschnell einsetzende und iiber- m~l~ige Zensur dutch den Verstand l~l~t gleichsam nur karge und ver- standsm~l]ig modifizierte Gefiihlsregungen passieren. Die ,,natiirliche" Art der gemiitlichen Reaktion, die Gefiihlsw~rme, geht so verloren. Was den richtigen Kon tak t zwischen Mensch und Mensch schafft, fehlt; fiihlloses Verstehen, das sich auf kalte Uberlegung griindet, t r i t t bestenfalls, d. h. wenn nicht Voreingenommenheit, prinzipielle Ein- stellung u. dgl. d ~ Urteil triiben, an die Stelle des Mitgefiihls. Diese Emanzipation des Intellekts yon der A]/ektivitdt und diese Reduktion des Gemiitslebens durch den Intellekt sind es, welche das Erscheinungs- bild der apperzeptiv iibererregbaren schizoiden PersSnlichkeit oft gerade- zu beherrschen.

Kretschraers Verdienst ist es, als erster den ernstliehen Versueh gemaeht zu haben, die ,,schizoiden Charaktereigenschaften" in ihrer grol3en - - und nicht zu- letzt dureh sein eigenes Zutun geradezu uniibersehbar gewordenen - - Mannig- faltigkeit auf ihre gemeinsamen ,,Grundziige" zu untersuehen und den ,,Schliissel zu den sehizoiden Temperamenten" zu linden. Er hebt hervor, dal3 ,,die meisten Sehizoiden nicht entweder iiberempfindlich oder ktihl, sondern fiberempfindlieh und kiihl zugleich sind". Aul~er den ,,nach dor Seite der Stump]heir zu gelegenen Symptomen", die sehon lange in ihrer Wiehtigkeit erkannt sind, miissen wir die bislang noch viel zu wenig allgemein gewiirdigten ,,Symptome der seelischen Uber- .reizbarkeit besonders herausheben". ,,Die sehizoiden Temperamente liegen zwisehen den Polen reizbar und stumpf." ,,Das MisehungsverhMtnis, in dem beim einzelnen Schizoiden die hyperitsthetischen mit den an~sthetischen Elementen der schizoiden Temperamentskala sieh iiberschiehten, nennen wir seine psyeh~sthetisehe Pro- portion." W~hrend die Stimmungsproportion der Zykloiden ,,wellig sehwankt". ,,verschiebt sieh" die psych~tsthetische Proportion der Schizoiden im Laufe des Lebens, und zwar meist parallel der Normalentwiek[ung ,,in der Riehtung yore hyperasthetisehen zum an~sthetisehen Pol", wobei zuerst ,,die pers6nliehkeits- fremden Werte ihre affektive Resonanz verlieren," w~hrend die ,,pers6nlichkeits- eigenen" noch lange ,,ihren starken Akzent behalten" k6nnen.

Was an dieser Darstellung nach meiner Meinung auszusetzen ist, entstammt durehweg einem und demselben Fehler, n~mlich der Vermengung pr~psychotiseher, psychotischer und postpsychotischer Ziige. DaI~ die ,,meisten Schizoiden" - - ich

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weiB iibrigens nicht, ob es gerade sicher ,,die meisten" sind - - ,,iiberempfindlich und ktihl z~gleich" sind, kann so, wie Kretschmer es will, n~mlich, indem ,,beim ein- zelncn Schizoiden die hyper~sthetischen mit den angsthetischen Elementen der schizoiden Temperamentskala sich iiberschichten," nicht erklitrt werden. Diese ,,Temperamentskala" ist konstruiert, und zwar, indem Sehizoide mit ganz verschie- dener, bald inehr dem ,,hyperi~sthetischen Pol" naher, bald mehr in der Riehtung zum ,,amisthetischen Pol" verschobener ,,psych~sthetischer Proportion" und ande- rerseits (lie ,,Temperamente" einzelner Schizoider in verschiedenen Entwicklungs- phasen zusammengeworfen als Unterlage dienten. Das ,,iiberempfindlich und kiihl zugleich" aber ist nicht auf eine Mischung jener Elemente zu beziehen, sondern auf die psychisebe Hyperi~sthesie gewisser Sehizoider allein, welche es bewirkt, dab alles Pers6n|ichkeitseigene einen so hohen Strebungswert erreicht, dal3 das Per- s6nlichkeitsfremde dagegen im Bewerbe um Strebungs- und in weiterer Folge um Gefiihlswert gar nicht aufkommen kannl).

Die Stumpfheit aus ,,An~sthesie", die sich einstellt, wenn die ,,Verschiebung der psych~tsthetischen Proportion" nach dem ,,an~sthetischen Pol", d. h. die Affekt- verbl(idung durch den schizophrenen ProzeB, begonnen hat, und sich vertieft, je mehr diese fortschreitet, ist also genetisch yon der Stumpfheit fiir das Pers6n- lichkeitsfremde, wie sis bei apperzeptiv iibererregbaren Psychopathen zu beobaehten ist, verschieden. Erstere ist unmittelbarer Ausdruek der psychisehen Angsthesle, tetztere mittelbarer Ausdruck der psychischen HyTer(~sthesie. Die Stumpfheit des An~sthetisehen unterscheidet sich yon der des Hyper~sthetisehell abet aueh der Erscheinung nach. Die erstere ist eine aUgemeine und fiihrt daher mit dem Fort- sehreiten des Prozesses naeh dem Er]6schen der ,,allopsychischen Resonanz" uehlie~lich auch zum Erl6schen der ,,antopsychischen Resonanz"; da~, solange letzteres noch nicht im vollen Gange ist, ein ~hnliches MischverhMtnis zwisehen pers6nlichkeitsfremden und pers6nlichkeitseigenen Werten besteht wie bei psy- chischer Hyper/~sthesie, leuehtet ohne weiteres ein. Die Stumpfheit des Hyper- /isthetischea ist aber eine partielle, betrifft nur die persOnlichkeitsfremden Werte. Ist der hyper~tsthetischen Pers6nlichkeit - - well es nicht zum schizophrenen Proze$ kommt - - Gelegenheit gelassen, sich im Sinne der Tendenz, welche dem Grundzug ihres Wesens entspringt, welter zu entwiekeln, so erweitert sieh die Kluft zwisehen Pers6nlichkeitseigenem und Pers0nlichkeitsfreradem, zwischen l~berempfindlich- keit und Ktihle immer mehr. ])as Ich mit seinen Interessen schliel3t sich immer

1) Als fiir seine ,,Mischungs"theorie sprechend sieht es Kretschmer auch an, (iaI~ auch die Stumpfheit des Aniisthetischen ,,selten v6Hig affektlose Stumpfhei$" ist, sondern ,,einen deutlichen Einschlag yon Unlust, von direkter Ablehnung nach defensiver oder mehr offensiver Art" hat, da~ also die Unlust trotz aller ,,Proportionsversehiebung in der Richtung yore hypergsthetischen zum aniisthe- tischen Pol, yon der Reizung zur Li~hmung", bleibt. Ja, aber muB denn die Un- lust immer und unter allen Umst~nden sin ,,hypergsthetisehes" Zeiehen sein? Ist es erlaubt, das ,,sehmerzhafte" Reagieren des Hyper~sthetischen mit der ,,Unlust" des An~sthetischen so einfach zusammenzuwerfen? Kretschmer well3 so seh6n zwischen dem Autismus der ~berempfindliehen und der ,,vorwiegenden Angsthe- tiker" zu unterscheiden; warum soll diese Unterscheidung gerade nur fiir den Autis- mus und nicht auch fiir anddre Symptome gelten ? Die ,,Unlust" des Ani~sthetischen weist nach meiner Ansicht ebensowenig auf ,,hyperasthetische Elemente" wie sein Autismus, sie ist vielmehr die Affektlage, welehe der unwillig ablehnenden Haltung entspricht, die der Ani~sthetische der Umwelt gegentiber einnimmt, well bei seiner - - im Gegensatz zum Hyper~sthetischen - - herabgesetzten apperzeptiven Bereit- schaft jeder AnstoB zu apperzeptiver Ti~tigkeit als StSrung, als unangenehme Inanspruchnahme, empfunden wird.

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mehr yon dem AuBerich ab. Die Selbstiibersch/~tzung gedeiht oft bis zur Selbst- vergStterung, zum subjektiven ~bermenschentum. Wenn nicht zugleich der Zug der Schmerzhaftigkeit der Reaktion auf unvorbereitete Eindriickc ebenso exzessiv wird, so liegt dies daran, dab solche Psychopathen durch eine eigene Lebenstaktik, ,,m6glichst alle Aulenreize zu meiden, abzud~mpfen suchen" (Kretschmer). ,,Sie haben gesetzm/~lige Vorliebe ftir bestimmte Milieuformen, die nicht weh tun und verletzen," und erreichen so die ,,Schonung ihrer Hyper/~sthesie". Dagegcn ist der ,,Autismus der vorwiegenden An/isthetiker" - - auch nach Kretschmer - - nichts anderes als ,,einfache" Gemtitlosigkeit, Mangel an affektiver Resonanz fiir die Umwelt, die fiir sein Gefiihlsleben kein Interesse und ftir deren berechtigte Interessen er kein Gefiihl hat".

Kurz gesagt: Wenn wir den ,,Schltissel zu den schizoiden Temperamenten" wirklich finden wollen, so dttrfen wir nicht darauf ausgehen, uns eine rage Ge- samtvorstellung yon ,,den Schizoiden" zu machen und dann eine dieser Gesamt- vorstellung entsprechende einheitliche Formel zu pr/~gen, wie dies Kretschmer in absonderlichem Widerspruch zu seiner vortrefflichen Kleinmalerei verschiedener Typen schlieBlich tut, mtissen viehnehr zun~chst genau untcrsuchen, welche Type~ wir im Hinblick auf den Grundzug zusammenlegen diirfen und weIche wit aus- einanderzuhalten haben. Und da ergibt sich unter anderem die m. E. hochwichtige Unterscheidung zwischen gewissea hyper/~sthetischen (apperzeptiv iibererregbaren) Psychopathen und den anksthetischen (appcrzeptiv untererregbaren) ,,verkappten" Schizophrenen.

Haben wir nun ein Recht , die geschilderten apperzeptiv fibererreg- baren Psychopa then 1) als Sch i zo ide aufzufassen ? Ich meine j a; denn fiir sie trifft nicht nur die yon E w a l d hervorgehobene Voraussetzung zu, indem sie zweifellos zu den 1)sychopathen z/~hlen, welche wir un ter den ,,Vorl~ufern fiir die Schizophrenic" linden, sondern auch die yon mir betonte Voraussetzung, indem m. E. ebenso zweifellos ein genetischer Zusammenhang zwischen der GrundstSrung diescs Schizoids und der GrundstOrung der Schizophrenie insofern besteht, als erstere der psychi- sche Ausdruck jener Konsti tubionsanomalie ist, in welcher wir das Wesen der Disposition zu der Hirnver/~nderung, pri~ziser zu der Ver/~nderung im psyehocerebralen Appara t , zu erblicken habe, welche der letzteren zugrunde ]iegt. :Fiir den Ubergang yore Schizoid zur Schizophrenie trifft das Bild , ,yon der Reizung zur Li~hmung" m. E. so recht zu. So- lange dieser t3bergang nicht erfolgt ist, fehlen die im strengen Sinne sehizophrenen Ziige, fehlen die Symptome, welche auf die hypophrene StSrung, wie ich sage, zu beziehen sind. Bei aller, oft recht weitgehender, Absonderliehkeit des Charakters weisen daher derartige Schizoide, zum Unterschiede von denen, die wir als , ,verkappte" Schizophrenien e rkann t haben, nichts auf, was auf eine Tendenz zum PersSnlichkeitszerfall

x) Ich nehme selbstverst~ndlich keineswegs an, daB sich die Disposition zur Schizophrenie in allen F/~llen in apperzeptiver ]~bererregbarkeit kundgebe. In vielen Fiillen bleibt sie vielmehr bis zum Ausbruch der Schizophrenie gi~nzlich verborgen. Warum, ist einstweilen nicht zu entscheiden. Vielleicht handelt es sich um andersartige Dispositionen, m6glicherweise spielen Nebenfaktoren eine Rolle.

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Beitr~ige zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 617

wiese. Bei aller Hgrte und Kiilte, die solche Schizoide oft zeigen, ist

ihre ,,gemiitliche Resonanz" keincswegs verminder t , wenn auch der Anschein, dalt dies der Fal l sei, oft dadurch erweckt wird, da~ die tiber-

mgl~ige Eins te l lung auf die cigenen Interessen allem Pers6nlichkeits-

f remden sozusagen den Zugang zum Gcmiit verlegt. Wir k6nnen uns

in sic einffihlen, sic verstehen, uns mit ihnen in Beziehung setzen, soweit

sic sich i iberhaupt zug~nglich zeigen.

Welche Psychopathen sonst noch die Disposition zur Dementia praecox nfit sich tragen, l ~ t sieh bei der grol~en Mannigfaltigkeit der in Schizophreniefamilien vorkommenden Psychopathien kaum ermitteln. Jedenfalls ist keine Form bekannt, die umgekehrt vor der Dementia praecox gefeit w~tre; dies gilt insbesondere auch ftir die ,,Zykloiden", schl~gt doch nicht selten ein Zykloid in der Pubertatszeit in ein Schizoid urn, aus dem sich unter Umst~nden vollends eine Schizophrenie ent- wickelt. Bei solcher Sachlage darf auch die Frage aufgeworfen werden, ob nicht am Ende ]eder Mensch, Psychopath oder nicht, unter Umst~nden an Dementia praecox erkranken kann, ob nicht etwa ,,jcder Mensch einen Anlagefaktor besitzt, der zur Er- krankungan Dementia praecox disponiert" (Ho]/mann). Trifft racine Ansicht yore Wesen der Disposition zu dieser Krankheit zu, so ist dies sogar h6chst wahrscheinlich. Denn wenn die Disposition in nichts anderem gelegen ist als in einer fiber das nor- male Mall hinausgehenden Vulflerabilit~t des psychocerebralen Systems fiir ge- wisse Noxen, so kann die Krankhcit offenbar auch bei durchschnittlicher Vulnera- bflitat hervorgerufen werden, wenn nm' die betreffenden Noxen in entsprechender St~rke wirksam werden. Die Disponierten w~ren nur in dem Ma[te sthrker gefahrdet, als eben die Vulnerabilit~t ihres psychocerebralen Systems fiber das durchschnitt- liche MaB hinausgeht. Dal~ es bei Nichtdisponierten weit seltener zu schwere~ schizophrenen Syndromen kommen wird als bei ])isponierten, ist darnach wohl kaum zu bezweifeln. Man wird Bumkes Ansicht teilen miissen, dal~ ,,manche schizo- phrene K_rankheitsprozesse sehr wohl die schwerer verlaufenden oder gar unheil- bar gewordenen Analogien derselben Krankheitsvor#tnge sein k6nnen, die bei geringerer Sch~dlichkeit oder bei widerstandsfiihigerem Gehirn nur als sympto- matische Psychosen in die Erscheinung treten". Sage ich daher oben, dal~ man die geschilderten apperzeptiv t~bervrregbaren Schizoide nennen k6nnte mit Rtick- sicht auf die bei ihnen unter Umst~nden zutage tretende Reaktionsform, so kann dies nut heiBen, dab in ihrer Konstitution ein Moment liegt (erh6hte Vulnerabilit~t des psychocerebralen Systems), dutch welches die Disposition zu schizophrenen Psychosen erhSht und andererseits ,,symptomatischen" Psychosen, durch welchen Faktor immer sie herbeigefiihrt werden m6gen, um so sicherer und deutlicher eine der ,,schizophrenen Reaktionsweisen" aufgedrhngt wird, unter Zuriickdrhngung des Einflusses auf die Erscheinungsweise der Psychose, welche der in Betracht kommenden Noxe etwa durchschnittlichen Anlagen gegentiber zukommt.

Mit der Aufstel lung eincs besonderen Schizoidtypus, wie des der

apperzeptiv Ubererregbaren, erhebt sich n u n aber auch die Frage,

ob und inwieweit die M6glichkeit seiner Abgrenzung: 1. gegen

die normale psychische Pers6nlichkeit , 2. gegen andere psychio-

pathische Kons t i tu t ionen , 3. gegen die Krankhe i t Schizophrenie be-

steht. In dieser Hins icht ist es n u n aber unbes t re i tbar schlecht bestellt .

Wie von den verschiedenen anderen psychopathischen Kons t i t u t i onen

fiihrt auch von diesem Schizoid ein fliel~ender 13bergang ins Gebiet der

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618 J. Beme:

Norm. Kret~chmers Schizothymielehre basiert ja auf diesen Verh~lt- nissen. Die Abgrenzung gegen andere Konstitutionen, namentlich auch gegen die hysterische und die nervSse, unter UmstKnden auch gegen die manisch-depressive und gegen gewisse ,,paranoische" (Bumke), stSBt auf die grSBten Schwierigkeiten, abgesehen davon, dab es noch durchaus frag- lich ist, ob wirklich alle die genannten Konstitutionen als im wahren Sinne ,,andere" Konstitutionen aufzufassen sind oder ob sich nicht etwa manche von ihnen zumindest in einzelnen mehr oder weniger wesent- lichen Komponenten mit unserem Schizoid beriihren, woraus sich ergeben wfirde, dab sie iiberhaupt nicht scharf von diesem geschieden werden k6nnten. Psychopathologiseh besteht ja zweifellos eine gewisse ~Ver- wandtschaft der apperzeptiven (Jbererregbarkeit unserer Schizoiden mit der oft wohl fglschlich nur auf erh6hte affektive Erregbarkeit be- zogenen gesteigerten geistigen Ansprechbarkeit, sowie der apperzepti- yen Ergriffenheit unserer Schizoiden mit der Disposition zur patholo- gischen Einengung des BewuBtseins bei verschiedenen Formen der , ,degenerativen" Veranlagung. Was endlich die Abgrenzung gegen die Schizophrenie betrifft, ist zu betonen, da]) auf der Grundlage unseres Schizoids nicht selten Psychosen erwachsen, akute wie chronische, die unter Umst~inden ob ihres ,,schizophrenen" Gepr~ges leicht mit rich- tigen Schizophrenien verwechselt werden k6nnen.

Der eben erw~hnte Gesichtspunkt der Unterscheidung zwischen Psychosen au/ schizoider Grundlage -- vergleichbar den Psychosen auf der Grundlage irgendeiner degenerativen Veranlagung, z. B. der ,,spezi- fisch hysterischen Disposition" (Reichhardt) -- und den richtigen Schizophrenien halte ich ffir wichtig. Wahrscheinlich gibt es auch noch andere Schizoidformen, die die Grundlage ftir Psychosen abgeben k6nnen. Die von mir herausgehobene Form scheint mir dazu aber in beson- derem MaBe geeignet zu sein. Die apperzeptive (~bererregbarkeit mit ihren n~heren und weiteren Auswirkungen bietet zweifellos Ansatz- m6gliehkeiten in Fiille f(ir die Entwieklung yon Psychosen verschiedener Art. Das gesteigerte SelbstbewuBtsein einerseits, die erh6hte Verletz- lichkeit anderseitsl), dazu noch die im Sinne der psyehischen Hyper- ~sthesie ver~nderte passive Wahrnehmung, ergeben eine geeignete Grund-

1) Das gesteigerte Selbstbewufltsein ist eine Quelle der/nest, die erhShte Ver- letzlichkeit eine QueUe der Unlust. Aus beiden Momenten ergibt sich also eine eigen- artige ,,A[[ektmischung" aus Lust und Unlust. Diese Affektmischung hat Specht richtig beobachtet. Aber er hat sie auf ein primates krankhaftes Ergriffensein des Ge/i~hlslebens bezogen. Darin muB ich ihm, wie aus meinen Ausftihrungen her- vorgeht, heute gerade so widersprechen wie vor 22 Jahren (1). Das Prim~re ist m. E. in den zwei aus der apperzeptiven t)bererregbarkeit ableitbaren Momenten: gesteigertes Selbstbewul3tsein und erhShte Verletzlichkeit zu erblicken. Aus ihnen l~Bt sich leicht die Einstellung im Sinne des Mil3trauens bzw. ,,die psychologische Situation des paranoischen Sichverletztfiihlens" (Specht) ableiten.

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Beitrage zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 619

lage ffir die En twick lung paranoischer Zust~nde 1). I s t die pa rano ische

Eins teUung einma] gegeben ~), so is t der rege Geist des appe rzep t i v ~ b e r -

e r regbaren immer da rau f aus, nach neuen , ,Beweisen" zu suchen. Er f inder

sie auch immer , weil er un te r dem Einflul3e jener einseit igen, die K r i t i k immer mehr un te rd r i i ckenden Eins te l lung nur d ie jenigen Er lebnisse beachte t , welche ihm die M6glichkeit e iner paranoischen Aus de u t ung

bietena) . Daraus , dai3 sich dann alles so widerspruchslos zusammen- ffigt, sch6pft er eine um so sicherere Uberzeugung yon der Rea l i t~ t seiner W~hnideen, als die appe rzep t ive (~berer regbarkei t zugleich ein erh6htes

Ver t rauen in die R ich t igke i t des eigenen Denkens ver le iht . I n ex t r emen

F~illen ist nachgerade jeder eigene Gedanke , jedes eigene Urtei l , m i t

vol lem Geltungsbewul3tsein sozusagen yon Haus aus ausges ta t t e t . I )er

geste iger te Denk t r i eb b r ing t in die Psychose leicht einen Zug, der an

die frfiher sogenannte , ,kombina tor i sche" Pa rano ia gemahnt .

Der Quemflantenwahnsinn ist in den meisten F~tllen eine schizoide Psychose, die sich auf den durch ein vermeintlich oder wirklich erlittenes Unrecht gegebenen AnstoB hin auf Grund der apperzeptiven t~bererregbarkeit entwickelt hat. Ein ausgesprochen ,,manischer" Zug spricht noch keineswegs gegen die Zugeh6rigkeit eincs Falles zu dieser schizoiden Gruppe; denn dieser manische Zug ist beim Queru- lanten in der Regel nicht der Ausdruck einer primaren manischen Affektver- ~tnderung, sondern vielmehr ein Ergebnis der apperzeptiven ~bererregbarkeit. Sie ist es, aus der das gesteigerte SelbstbewuBtsein eines solchen Querulanten, seine iiberstiirzte Art, alles in sein System Eindeutbare aufzugreifen, sein starker Drang, sich in Wort und Schrift zu auSern, sein anmaBendes, riicksichtsloses, rechthaberisches Wesen, seine bald mehr einfach gehobene, bald mehr zornige Stimmung, sein Vertrauen in die Kraft seiner Argumente, sein Feuereifer in der Verfolgung seines Zieles, seine Zuversicht, dieses trotz aller Widerst~nde schlie~- lich doch zu erreichen, und viele andere manisch anmutende Ztige entspringen. Die Hartnackigkeit eines Querulanten ist einem konstitutionell Manischen wohl kaum zuzutrauen; sie ist ein ausgesproehen schizoider Zug.

Der ,,sensitive Beziehungswahn" (Kretschmer) ist nach meinem Dafiirhalten in vielen Fallen eine schizoide Psychose. Der Charakter der Kranken ,,zeigt auf der einen Seite eine au[~erordentliche Gemiitsweichheit, Schw~che und zarte Ver- wundbarkeit, auf der anderen Seite einen gewissen selbstbewuBten Ehrgeiz und Eigensinn". Auch in dieser Darstellung sind die Hauptziige der psychischen Hyper-

1) Mit Bleuler bin ich eines Sinnes, wenn er es fiir mSglich hMt, ,,dai3 die Para- noia nichts als eine krankhafte Reaktion eines Psychopathen auf gewisse unan- genehme Umstande sei. Nur mSchte ich betonen, dab es bei den Psychopathen, welche nach meiner Meinung die zur Paranoia disponierten sind, bei den apper- zeptiv ~bererregbaren, nicht erst besonderer, sozusagen objektiv unangenehmer Er- lebnisse bedarf, um die Entwieklung der Paranoia als ,,Reaktion" auszulSsen, sondern dal3 die apperzeptive Irritabilit~t viele alltagliche Erlebnisse zu sozu- sagen subjektiv unangenehmen ,,Umst~nden" macht und so die Paranoiaentwiek- lung begriindet und unterhalt.

3) Ich verweise an dieser Stelle auf meine Darlegung und Begriindung der erh6hten Disposition der apperzeptiv ~bererregbaren ztu" Bildung tiberm~Biger habitueller Einstellungen iiberhaupt.

a) Vgl. oben: Elektivitat der aktiven Apperzeption.

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~sthesie nicht zu verkcnnen. In der Tat gelingt denn auch bloB die Abgrenzung des sensitiven Beziehungswahns gegen die ,,schizophrenen und paraphrenen Grup- pen" in einwandfreier Weise (,,genetische Einftihlbarkeit, durchgi~ngige Erlebnis- zentrierung, psychologische Reaktiviti~t des Verlaufs11), nicht aber auch - - wenig- stens nach meinem Urtefl - - die gegen gewisse Formen des Schizoids, namentlich nicht gegen die yon mir als apperzeptive ~bererregbarkeit charakterisierte Form. Aus Kretschmers Ausftihrungen tiber einen Gauppschen Fall, der von ihm als echter sensitiver Beziehungswahn mit darauffolgender Paraphrenie gedeutet wird, geht iibrigens hervor, daB er auch selbst ftir diesen Fall, und so wohl auch fiir andere, an eine Konstitution denkt, die ,,nach ihrer psychologischen Seite bin zu reaktiv- psychopathischen Erkrankungen, nach ihrer biologischen Seite hin zu Prozessen disp0nieren kSnnte", und dem ,,scnsitiven Charakter"gegebenenfalls die Bedeutung eines Symptoms ,,der ihm zugrunde liegenden biologisehen Konstitution" bei- zumessen geneigt ist, ,,die ihrerseits die unmittelbare ProzeBursache bildet" 1). DaB auBer der Konstitution im Sinne meines apperzcptiv iibererregbaren Schizoids etwa noch gewisse individuelle Eigenschaften notwendig sein k6nnten, in denen vor allem das ,,vorwiegend asthenische" Wesen des sensitiven Charakters begrtindet w~re, stelle ich nicht in Abrede. --- Besonders bemerkt sei noch, dab die ,,lebhafte psychologische Reaktivit~t", nach Kretschmer ein Kennzeichen der ,,Sensitiv- psychose", sowie ,,die beispiellose Massenhaftigkeit und Feinverzweigtheit der Beziehungsideen" ganz entsehieden zugunsten der Annahme der apperzeptiven ~bererregbarkeit sprechen.

Auf dem Boden der Schizoidie k6nnen auch die mannigfaltigsten akuten Psychosen entstehen, wie namentlich amentiaartige mit oder ohne ,,katatone" Ziige, Dammerzusti~nde, manie- und melancholie- ~hnliche usw. Auch der ,,akute dissoziative Wahnsinn", der nach Kretschmer manchmal ,,als kritisches Stadium von kurzer Dauer auf dem Gipfelpunkte der schwersten sensi t iven Psychosen erscheint" , is t nach meiner Auffassung eine akute Psychose auf schizoider Grundlage.

Ich teile also Kretschmers Ansicht, dab diese Psychose, obw0hl sic ohne Kennt- nis der Vorgeschichte fiir eine schizophrene Geistesst6rung gehalten werden k6nnte, doch ,,mit der Dementia praecox nichts zu tun hat", und pflichte ihm auch bei, daB sic uns wieder lehre, daB die Dissoziation ,,kein ausschlieBliches Merkmal der schizophrenen Krankheitsprozesse oder tiberhaupt destruktiver seelischer Vorg~nge ist". Andererseits mSchte ich aber betonen, dab die Schizophrenie- ~hnliehkeit solcher Psyehosen m. E. manchmal darauf beruht, daB ihnen ein Zu- stand zugrunde liegt - - in Kretschmers Fall Renner handelte as sich um ,,eine extreme Steigerung des ErschSpfungszustandes", der sich seit l~ngerer Zeit ent- wickelt hatte - - , der vortibergehend und ausgleichbar die gleiche St6rung mit sich bi'ingt, die der SchizophrenieprozeB als bleibenden, unausgleichbaren Defekt ergibt, ni~mlich eine Herabsetzung und damit eine Insuffizienz der psychischen Aktivit~it.

Viele Widersprfiche, die sich aus der Vermengung der Schizoid- psychosen und der Schizophrenien ergeben haben, werden durch ihre

~) Im gleichen Sinno wirft Kretschmer die Frage auf, wie es komme, daB ,,eino so cxquisit sensitive Charakterentwicklung, wie die des Dichters H61derlin in schwer- ster schizophrener Verbl6dung endigen muBte," und finder, ,,dab die be~ngsti- gende ~berzartheit seiner psychischen Konstitution in der ersten Lebensperiodo mit ihrem verhgngnisvollen Zerfall in der zweiten innerlich irgendetwas zu tun haben muB".

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Beitriige zur l)syehiatrischen Erblichkeits- m~d Konstitutionsforschung. 621

Scheidung behoben, viele Irrtfimer beseitigt. Wir sehen z. B. nicht selten nach einer kurzen und nicht einmal sonderlich stfirmischen Krankheits- attacke das Bild einer voll entwickclten Schizophrenic mit weitgehendem Verlust der ,,affektiven Resonanz" oder gar eine ausgesprochene De- mentia praecox mit hochgradiger apperzeptiver und affektiver Ver- 6dung. Auf der anderen Seite aber sehen wir welt schwerere und auch langer dauernde Psychosen von unverkennbarem Schizophrenietypus in Heilung ohne ,,Defekt", pr~zise : ohne postpsychotischen Restzustand -- die bereits vor der Psychose etwa vorhanden gewesenen psycho- pathischen Zfige d/irfen selbstverst~ndlich nicht als Krankheitsrest gedeutet werden -- ausgehen. Im ersten Falle handelt es sich um wirk- liche ,,Schiibe" des zerst6renden Schizophrenieprozcsses, im letzteren Falle dagegen um Psychosen auf schizoider Grundlage, die nur oft irr- tfimlicherweise ob ihrer Ahnlichkcit mit der Schizophrenic als ,,Schiibe" gedeutet werden. -- So einfach liegt die Saehe nun aber keineswegs, da~ die Schizpidpsychosen glatt als durchweg heilbar den Schizo- phrenien als durchweg unheilbaren Psychosen gegeniibergestellt werden k6nnten, -- auch wenn man yon dem zu jeder Zeit, also auch w~hrend einer Schizoidpsychose, m6glichen lJbcrgange des Schizoids in die Sehizophrenie zun~tchst einmal absieht. Auch ohne echt schizophrene Komplikationen k6nnen sich aus akuten schizoiden Psychosen verschie- dene Residu~rerscheinungen ergeben, wie Ncigung zu vagen, fifichtigen Beziehungsideen, bald Grfibelsucht, bald Hang zum Querulieren, oft expansives, an Gr613enwahn gemahnendes Wesen, bald mehr trotzige, kampfbcreite, bald mehr timide, resignierte Einstellung zur Umwelt, iiberwertige Ideen, triebartige Strebungen, deren Ziel mit gro6er Hart- nackigkeit festgchalten und oft unter Entfaltung eines erstaunlich gro6en Ma6es yon psychischer Aktivitht vcrfolgt wird. Durchweg also Erscheinungen, die nichts fiir sehizophren-postpsychotische Zustgnde Charakteristisehes an sich haben, wogegen einige von ihnen, indem sic auf hohe psychische Aktivit~t weisen, geradezu im Gegensatz stehen zu gewissen Auswirkungen der Grundst6rung der echten Schizophrenie, welche ja in der Insuffizienz der psychischen Aktivitat zu erblicken ist. Der Widerspruch zwischen Schizophrenie~ihnlichkeit der Psychose und nichtschizophrenem Charakter des Residu~rzustandes 16st sich, wenn man die Psychose als eine auf schizoider Grundlage entstandene auffaGt und ihren Schizophrenietypus auf das tempor~re Wirken eines Faktors zurfickfiihrt, der die psychische Aktivit~t fiir die Dauer der Psychose herabzusetzen geeignet war, nach dessen Schwinden sich abet der frfihere, habituelle Stand der psychischen Aktivit~t wieder hcrstellen konnte. Manche F~ille machen fibrigens nach Ablauf der Psychose den Eindruck einer noch fiber das schon der pr~psychotischen Pers6nlich- keit eigen gewesene Mal3 hinaus gesteigerten apperzeptiven Irritabilit~t,

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also sozusagen einer Zunahme der ,,Reizung", im Gegensatz zu der sick aus schizophrenen Schiiben ergebenden ,,L~hmung". -- Schizoid- psychosen kSnnen wiederholt auftreten: 1. als mehrmalige sympto- matische Erkrankung bzw. als mehrmalige Reaktion auf Erlebnisse, die als psychische Traumen wirkten, 2. in periodischer Wiederkehr nach Art der periodischen Formen des manisch-depressiven Irre- seins, vielleicht auch in ~hnlicher Weise (endokrin?) bedingt. In beiden F~llen kSnnen die Attacken, auch wenn sie ausgesprochen ,,katatones Gepri~ge" zeigen, ohne dauernde Sch~digung im Sinne der Schizophrenie ablaufen. Ein Widerspruch ergibt sick wieder nut dann, wenn man diese Attacken irrigerweise ffir echt schizophrene Schtibe hMt.

Das Schizoid in der Form der apperzeptiven ~bererregbarkeit steht der Schizophrenie als dem Ergebnisse der Insuffizienz der psychischen Aktivit~t wie ein Positiv dem Negativ gegenfiber. Das Schizoid ist produktiv, ja iiberproduktiv, iiberaktiv, reich an Impulsen, ist kurzum Hyperfunktion, die Schizophrenie ist unproduktiv, unteraktiv, arm an Impulsen, ist kurzum Hypofunktion.

Gegen diese meine Auffassung der Schizophrenie ist eingewendet worden, dab es auch Schizol)hrene gebe, denen die ,,psychische Energie und Aktivit~t in vollem Ma[~e zur Verffigung stehen" (Bleuler), dab ,,doch in der Schizophrenie so viel Positives, Produktives stecke, wie etwa die Bet~tigung dieser Kranken in der Kunst erweise," dab in vielen Fi~llen der Dementia praecox ,,ein Plus an Impulsen" vor- handen sei, dal] ,,sich manche Verl~ufe oder Phasen der Schizo- phrenie durch ein Plus an seelischer Aktivit~t auszeichnen", dab es, kurz gesagt, auch ,,produk, tive Schizophrenien" (Gruhle) gebe. Was ist nun davon zu halten ? Nach meiner Meinung ist nicht alles positiv, was der Schizophrenie als ,,Positives" angerechnet wird. Namentlich mug ich Gruhle gegenfiber, wie seinerzeit Bleuler gegenfiber, wieder bemerken, dab ich das wochenlang fortgesetzte Toben eines Kata- tonikers nicht fiir etwas Positives im Sinne einer Hyperfunktion, die der Aktivit~tsinsuffizienz, wie ich sie meine, als Gegensatz ge- genfiberstiinde, halten kann. Das wochenlange Toben ist Ausdruck einer unverminderten und ungehemmten A//ektivitdt. Affektivit~t und psychische Aktivit~t sind aber scharf yon einander zu unterscheiden, wenn sie auch in vielfacher psychologischer Beziehung zueinander stehen. Affektivit~tts- und Aktivit~tsstSrungen miissen keineswegs parallel gehen; die Affektivit~tt als solche kann vielmehr in vollem Mal3e erhalten sein bei noch so fief gesunkener Aktiviti~t. Bei ge- sunkener Aktivit/~t kommt es seltener als unter normalen Verh~lt- nissen zu affektiver Ergriffenheit, weft die apperzeptive Ergriffenheit, der gegeniiber jene fiir gewShnlich sekund~r ist, zumeist ausbleibt. Kommt es aber einmal zur Affekterregung, auf welchem Wege immer

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Beitrtige zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 623

- - oft s ind die E r regungen der K a t a t o n i k e r wohl rein somat i sch aus . gelOst - - , so k o m m t das Gesunkensein der Akt iv i t / t t im Ausbleiben der , ,noopsychischen" Hemmung und Bremsung des Affekts zur Gel tung, und somit gerade in der Erscheinung, die Gruhle als Ausdruck eines Plus a n Aktivit i~t angesehen wissen mOchte. Auch da ran kann ich n ichts

in dem hier gemein ten Sinne Posi t ives erblieken, wenn ein Schizophrener

un te r dem Einflusse einer i rgendwann und i rgendwie fes tgelegten und

zu einem sekundi i ren Tr ieb gewordenen Idee 1) daue rnd eine wert lose

Sche inproduk t ion ent fa l te t , zu der seine herabgese tz te A k t i v i t ~ t eben gerade noch ausreicht . W e n n ich also manches yon den genann ten

Auto ren fiir pos i t iv Geha l tene n ieht als solches anerkennen kann, ver- kenne ich andererse i t s na t i i r l ich nicht , dag es un te r den Psychosen, welche wir heute als Schizophrenien bezeichnen, auch solehe gibt , in

denen zweifellos viel Posi t ives, viel P roduk t ive s s teck t bzw. in denen es Phasen gibt , die sich, wie Gruhle sagt, geradezu durch ein Plus an psy- chischer Aktivitii , t auszeiehnen. Mug ich dann aber n icht meine re in

, ,negat ive" Fas sung der sehizophrenen Grunds t6rung , wie Gruhle meint , aufgeben und mi t Gruhle auger meiner , ,Aktivi t i~tsinsuffizienz"

als ,,ein zweites Pr imi~rsymptom der Demen t i a p raecox" eine , ,Unord- nung des Ak t iv i t~ t shausha l t s und eine Anomal ie der Akt iv i t~ tsvor r i~ te"

annehmen, aus de r sich auch eine Hyperfunktion, eine Vermehrung

, ,nicht be s t immte r Impulse , sondern der Impul se i i b e r h a u p t " ergeben kann ? Durchaus nicht ! I ch meine vielmehr, dab es sich auch da wieder um einen jener Widerspr i i che handel t , die sich 1/3sen, wenn zwischen dem Schizoid in meinem Sinne und den auf seiner Grundlage erwachsenen nichtschizophrenen, aber unter Ums tgnden schizophreniei ihnl ichen

Psychosen einerseits, den r icht igen Schizophrenien anderse i t s unter -

1) Was in der pri~psychotischen Zeit Strebungswert erlangt hat, was in ihr ,,persSnlichkeitseigen" geworden ist, beh/ilt seinen ,,starken Akzent" unter Um- standen, d.h. wenn nicht Wahnideen, Negativismus oder andere schizophrene Mechanismen seine Abschwachung oder Tilgung ergeben, bis tief in die Schizo- phrenie hinein. Ja, man kann yon manchen Schizophrenien sagen, dal~ alles Streben, das in ihnen noch wirkt, aus der prapsychotischen Zeit stammt und nut gegebenen- falls durch den Einflug yon Faktoren, die aus der Krankheit hervorgehen, trans- formiert ist; an aktuellem, der jeweils gegebenen Situation entspringenden und entsprechendem Streben fehlt es in solchen Fallen g/~nzlich. Dies wissen auch manche I{a'anke ganz gut zu sagen, z. B. : ,,ich lebe in riicksti~ndigen Vorstellungen," ,,ich kann mich yore Friiheren nicht losmachen," ,,ist stehe zu sehr unter Nach- wirkungen," ,,ich kann nicht dem Leben neu entgegen". Da die Wirksamkeit in- veterierter Strebungen (Gewohnheiten) bekanntlich kein hohes Mal~ yon Aktivitfit erfordert, kann sie auch bei tier herabgesetzter Aktivitat erhalten bleiben, wahrend ,,neue" Strebungen dann nicht mehr oder doch nut' in betriichtlich vermindertem Mal3e aufkommen kSnnen. Unter den inveterierten Strebungen meine ich auch Denkgewohnheiten, habituell gewordene Einstelhmgen; so halte ich es denn aueh fiir[mSglich, dab die paranoische Einstellung in manchen Fallen arts der sehizoiden Phase stammt und in (lie schizophrene bloB tibergegangen ist.

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schieden wird. Die dem spezifischen Schizophrenieprozesse entsprechende GrundstSrung bleibt fiir reich nach wie vor, einzig und allein, die prim~re lnsu//izienz der psychischen Aktivit~t . Aber unter der ungeheuren

Menge mannigfat t igster Psychosen, die wir samt und sonders in den bekannten groBen Topf werden, gibt es neben zahlreichen ,,Prozefl"- Schizophrenien, echten Schizophrenien, den Schizophrenien also, bei denen jenes ,,zerst6rende Element seine Hand im Spiele hat, das prozelt- haf t fortschrei tend in kurzem die ganze affektive Resonanz er tSte t" (Ewald), auch nicht wenige schizophrenie~hnliche Schizoidpsychosen bzw. Residui~rzusti~nde nach solehen, die von jenem zerst6renden Ele- mente verschont geblieben sind, bei denen es also auch nieht zur Aus- bildung der fiir die Schizophrenic spezifischen Aktivit~tsinsuffizienz gekommen ist. Wenn man sich die FMle nigher betrachtet , auf die da immer hingewiesen wird, wenn vom Produkt iven in der Schizophrenic die Rede ist, die , ,schizophrenen Weltverbesserer" und i~hnliche ,,schizo- phrene" Sonderlinge, so wird man unter ihnen ja ab und zu einmal viel- leicht eine richtige Schizophrenic, 6fter sehon eine postpsychotische Pers6nlichkeit nach einem oder mehreren leichten echt schizophrenen Schfiben 1), vor allem aber Schizoide finden, zum Teil mit mehr oder weniger deutl ichen , ,schizophrenen" Einschl~gen.

Einige Worte noch fiber das StimmungsbiId bei diesem Schizoid und bei der Schizophrenie i In der GrundstSrung ist weder beim Schizoid in der Form der apperzeptiven l~-bererregbarkeit (t~beraktiviti~t, ,,Hyperphrenie") noch bei der Schizophrenic (Unteraktivit~t, ,,Hypophrenie") eine Affektst6rung mitbegrtindet. Es gibt also weder in hypcrphrenen noch in hypophrenen Zust~nden eine prim(tre Affektveri~nderung - - ausgenommen selbstversti~ndlich, wenn eine Kombination mit manisch-depressiven Anlagebestandteilen oder mit exogenen Krankheits- faktoren, die primate Verstimmung zu begriinden verm(igen, vorliegt. Alle affek- ~iven Ver~nderungen in reinen Hyperphrenien und Hypophrenien sind sekund~rer iNatur. Dies ergibt sich m. E. bei zureichender psychologischer Analyse, die nicht bur den jeweiligen Status praesens, sondern aueh die Entwicklung des Zustandes erfal~t, zur Evidenz. Daher habe ich mich auch schon in der Arbeit fiber das ,,Pri- mi~rsymptom der Paranoia" auf das entschiedenste gegen die Ansicht gewendet, dab ,,bei der chronischen einfachen Verrficktheit... das Geffihlsleben primSr krankhaft ergriffen ist und dab einzig aus dieser Grundlage heraus sich das eigen- artige Bild der Paranoia, in erster Linie der paranoische Wahn, genetisch unserm Versti~ndnis einschliel~t" [Specht2].

1) Man kann oft ermittein, dab die das weitere Geistesleben eines Schizoiden beherrschenden Ideen aus schizophrenen Schfiben oder auch schizophrenie~hnlichen (hypophrenen, wie ich sage) Episoden stammen und auf Halluzinationen oder Wahn- erlebnisse in diesen Zusti~nden zuriickzuffihren sind.

2) DaB ich mich in dieser Arbeit 1) fast ausschlieBlich yon der Betrachtung hypophrener Paranoiker (FMle yon ,,Dementia paranoides") leiten lieB, wie Wey- gandt in einem Referate ausfiihrte, war ein Fehler, der eine gewisse Einseitigkeit der Ergebnisse zur Folge hatte. Die Grundidee: keine primi~re Gefiihlsst6rung, wird dadurch aber nicht tangiert.

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Beitrlige zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 625

Wie sind nun die sekunddren Geffihlsver~nderur~gen beim hyperphrenen Schizoid und bei der (hypophrenen) Schizophrenie beschaffen?

Hauptmann hat in einer vor kurzem erschiencnen vortrefflichen Arbeit l~ einen wichtigen Beitrag zu dieser Frage gebracht. Unter den Frauen, deren see- lisches Befindcn wi~hrend der Menstruation er untersuchte, fand er bei einer Gruppe yon ,,scelisch und nervSs durchaus vollwertigen Individuen" das psychische Niveau ,,erhSht", die psychische Leistungsfi~higkeit ,,gesteigert", entsprechend einer gesteigerten Sinnesempfindlichkeit, die Auffassungsf~higkeit ,,erlcichtert und verbreitert", den Gedankcnablauf beschleunigt - - alles bci guter Konzen- trationsfahigkeit. ,,Die psychische Maschincrie lief mit erhShter Tourenzahl bei gleichblcibcnder und doch verminderter Reibung." Bei ciner zweiten Gruppe, die yon Pcrsonen gebildet ist, die ,,fast s~mtlich eine gcwisse nervSse Konsti tution", abcr ohne jegliche ,,Anlagebcstandtcilc zu wirklichcn Psychosen" aufweiscn, ,,land sich auch nur eine quantitative Stcigcrung der Sinnesempfindlichkeit mit den gleichen Konsequenzen fiir das Seelenleben, aber doch mit andcren komplexcn Auswirkungen". An die Stclle der ,,allgemeinen Aktivit~tssteigerung" t ra t hier eine ,,leere Betriebsamkeit", in der sich hier der gesteigerte Antrieb gleichsam erschSpfte. - - Was Hauptmann da schildert, ist sensorische und apperzeptive ?2bererrcgtheit. (Ob er damit recht hat, da~ er lctztere dcr ersteren , ,entstammcn" l~Bt, soll hier nicht weiter untersucht werden.) Intcressant ist nun, wie sich in diesen Zust~ndcn die Stimmun9 zeigte. Hauptmann meint, es w~re ,,zu erwartcn gewesen, dab die erhShte Spannung, unter der sich alle sensorischen und psychi- schcn Gcbiete befandcn, auch eine crhShte Stimmungslage, also der manischen, expansiven Gemfitsverfassung entsprechend, mit sich gebracht hatte. Das war nun aber interessanterweise nicht der Fall. Wohl war die Stimmungslage eine zu- fricdene, aber sekundi~r infolge der Befriedigung fiber ihre Lcistungsf~higkeit, und es war nicht eine primi~re Euphoric, cine wirklich ,,gutc Laune" vorhanden. Bei der zweitcn Gruppe aber, bei welchcr ,,die (~berffille des herangeschwemmtcn gegenfiber der Verarbeitungsapparat versagte," da der ,,nerv6s minderwertige Organisnms nicht fiber dicse StcigerungsmSglichkeit seiner Bctricbskritfte, fiber diese Anpassungsfi~higkeit, die den vollwertigen auszeichnet, vcrffigt," bei dieser Gruppc war ein Teil, der die ,,passivsten Naturen" umfaf~te, ,,trotz seiner Lebhaftig- keit, trotz des Umhergetriebenwerdens, in seiner Stimmungslage gar nicht ver- andert," ein anderer Teil, die ,,weniger passiven" Personen, dagegen ,,iirgerlicher" Stimmung. Daraus ist zu entnehmen, da$ diese .~hnlichkeit nicht als einc ,,primdtre Ver/~ndcrung des Affektlebcns durch den endokrinen Vorgang" aufzufassen ist, sondern als die ,,subjektive (biologisch notwendige) affektivc Begleiterscheinung eincr Stellungnahmc dcr Pers6nlichkeit zu dem BewuBtwcrden der oben beschrie- benen t~berwi~ltigung des Wfllens". Namentlich ,,die Erfahrung yon der Frucht- losigkcit der Bemfihungen, sich durchzusetzen (sc. gegen die Vergewaltigung des Willcns), erzeugte die /~rgerlichc Stimmung". Bei den ,,passivsten Naturen" kam es nicht dazu, weil es bci diescn an solchen Bcmfihungen fehlt. Manche Menstruicrende sprachen yon einer ,,Reizbarkeit", womit sie ,,sehr viel eindeutiger die Hcrkunft des Unlustgeffihls bezeichneten". ]n der Bezeichnung ,,l~cizbar- kei t" ist fibrigens auch, wie Hauptmann mit Recht betont, m6glicherweise ,,noch mehr gelegcn, namlich, da$ ein an sich harmloses, biologisch nicht ungiinstiges Erlcbnis eine Verstimmung oder eine inadequate rcaktive Handlung bzw. eine paranoische Einstellung auslSscn kann". ,,Es kSnnte so scheincn, als ob es sich hier wirklich um einc primi~r veranderte Affcktlage, was ich ja gcrade bishcr abgelehnt hattc, handcltc, also darum, dai~ crst die pathologische Affektlage das ncutrale Erlcbnis zu cinem fcindlichen machtc. ])as ist abcr, wenn man n~her zusieht, doch nicht der Fall ." Bci eincr weiteren Gruppc von Frauen, die ,,durchaus nicht

z. f. d. g. Neut. u. Psych. XCVI. 40

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prSdisponiert zu paranoischer Auffassung ihrer Erlebnisse waren", begegnet man paranoischen ~ul~erungen. Das ,,Ich-Gefiihl" war bei ihnen zur Zeit der Menstrua, tion ein anderes geworden; ,,sie waren, wie man sagen kSnnte, ,potenziert weibllch' geworden". Das heiBt ,,das mehr unterbewullte, periphere Wissen um die Tdtig- keit ihrer Sexualorgane" hatte ihre ,,Einstellung zur Umwelt" in diesem Sinn ver- andert. Der Grundlage dieser Einstellung entspreehend waren ihre paranoiden Reaktionen ,,immer gerade aus ihrer Stellung als Frau zu verstehen"; sie ,,ffihlten sich in ihrer Weiblichkeit zu wenig respektiert". Ist die seelische Empfindlichkeit entsprechend groin, so kam es aueh zu einer dauernden paranoisehn Einstellung. Diese ist ,,gewissermallen gar keine Einstellung, nichts Standiges, Dauerndes, sondern eine immer wiederkehrende Reaktion 1), ein permanentes seelisches Ant- worten, ein fortwahrendes Stellungnehmen der PersSnlichkeit zu entsprechend erlebten Begebenheiten aus diesem Geffihl der potenzierten Weiblichkeit heraus. Es ist ein dauerndes Wissen um solehe schon eingetretenen (rein subjektiven) Ver- letzungen der weiblichen Schutzlosigkeit, und dieses Wissen ruft ein Warren auf neue gleiche Erlebnisse, als eine Art pri~ventiver Abwehrstellung2), hervor."

Diesen Feststellungen Hauptmanns ist eine welt fiber den Rahmen der Zu- st~nde, auf die sie sich zuni~chst beziehen, hinausreiehende psychopathologische Bedeutung beizumessen. Denn, wie immer in einem bestimmten Falle die apper- zeptive l~bererregtheit begrfindet sein mag, ob sie nun, wie Hauptmann fOr einen groBen Teil der Frauen in der Zeit der Menstruation annimmt, einer gesteigerten Sinnesempfindlichkeit entstammt, oder aber der Ausdruck einer primSren all- gemeinen apperzeptiven ~bererregbarkeit ist, wie ich for die apperzeptiv fiber- erregten Schizoiden annehme, immer wird sich ihr Einflu] auf die ,,Stimmungs- lage", auf die ,,Gemfitsverfassung", in der yon Hauptmann dargestellten Art geltend machen. Also: die Stimmungslage eines apperzeptiv Obererregten wird bestimmt durch das quantitative Verh~ltnis seiner apperzeptiven Erregtheit zu seiner ,,Verarbeitungsf~higkeit". Wo dieses VerhMtnis ein derartiges ist, dab die Verarbeitun~sf~higkeit zur BewMtigung des aus der apperzeptiven l~bererregt- heir resultierenden Plus an Anregungen - - ohne daB eine Unlust erregende An- spannung n6tig wi~re - - ausreicht, ergibt sich aus der Steigerung des Aktivit~ts- gefiihls, das der vermehrten psychischen Leistung entspricht, eine gehobene Stim- mung. Diese gehobene Stimmung, die sich also genetisch yon der echten manisehen Stimmung, die ja als prim/~re psychische Gegebenheit anzusehen ist, wohl unter- scheidet, ist von dieser in ihrer Erscheinungsweise unter Umst/mden kaum sicher zu unterscheiden. Daher k6nnen manche apperzeptiv fibererregbare Schizoide lange fOr hypomanische Pers6nlichkeiten gehalten werden, bis etwa eine wohl cha- rakterisierte Schizoidpsychose sozusagen die Szene beleuchtet. Wo dagegen die Verarbeitungsfi~higkeit zur Bew/~ltigung der vermehrten Anregungen nicht aus- reieht oder zu dieser eine fiber ein gewisses Ma~ hinausgehende Anspannung er- forderlich ist, wird die Stimmung im negativen Sinne, im Sinne der Unlust verandert, wobei die besondere Art sowie der Grad der Verstimmung, abgesehen vom Inhalte der zu Anregungen werdenden Erlebnisse, vom Charakter und insbesondere vom

1) In ~hnlicher Weise habe ich 1) (1903) ausgeffihrt, dab es sich bei der Para- noia nicht um eine AffektstSrung im Sinne des dauernden i2berwiegens eines be- stimmten Affekts handle, dal3 uns vielmehr ,,die rasche Au]einander/olge der Reaktionen im Sinne der Gereiztheit ein solches Kontinuum vorti~uscht".

3) So meinte auch ieh 1), dal3 sieh bei jedem Paranoiker ,,sekundi~r", ni~m- lich ,,im AnschluB an die ersten Verfolgungswahnideen, das Mifltrauen, ent- wickelt". Auch dieses MiStrauen ist yon mir als ,,eine Art pri~ventiver Abwehr- stellung" gedacht und ist als solehe m. E. noch besser eharakterisiert, als das einfache ,,Warren auf neue gleiche Erlebnisse".

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Beitr~ige zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 627

Temperament des Individuums bestimmt wird. Vom einfach resignierten Wesen ffihren fiber Verzagtheit und Verdrossenheit alle mSglichen StimmungsabtSnungen hierfiber bis zu der sich mehr aktiv gebi~rdenden Ver~trgertheit. Aus diesen Ver- stimmungen gehen unter bestimmten Umst~nden ,,Einstellungen" im Sinne der Abwehr, die leicht den paranoischen Charakter annehmen kSnnen, hervor.

Eine Frage wirft sich auf: Wie kann bei apperzeptiver 1]bererregtheit die ,,Verarbeitungsfi~higkeit" dem Zuwachs an ,,Anregungcn" gegeniiber versagen, wo sich doch aus jener, bei der aUgemeinen Bedeutung der ja aller geistigen Tiitig- keit zugrunde liegenden Apperzeption, eine ,,allgemeine Aktivit/i.tssteigerung" (Hauptmann), eine allgemeine Steigerung der psychischen Leistungsf/~higkeit, er- geben mui~ ? Wo die Dinge so liegen, dab die erhShte psychische Leistung einer gesteigerten Sinnesempfindlichkeit , ,entstammt", kann ja zweifellos der Fall ein- treten, dab die letztere fiber jenes MaB hinausgeht, dem die psychische Leistungs- f~higkeit, auch wenn sie selbst gesteigert ist, eben gerade noch gewachsen ist. Wie aber, wenn eine primiire apperzeptive t~bererregbarkeit vorliegt ? Warum soll sich da das Plus an apperzeptiver Leistung nur in einer Vermehrung der ,,An- regungen", pr/~zise: des apperzeptiv Aufgegriffenen und nicht auch in einer im gleichen MaBe weiter ausgreifenden ,,Verarbeitung" desselben auswirken? Ich meine, dab der Verarbeitung in vielen Fitllen jenes Moment entgegensteht, welches von mir als apperzeptive Ergri//enheit bezeichnet worden ist. LSst ein Erlebnis diese Ergriffenheit aus, so ,,nimmt es (sc. ftir die Dauer der Ergriffenheit) das ganze Denken ein". Es wird unter Umst/~nden vielleicht auch tin , ,Komplex" daraus, der zur sog. , ,katathymen Wahnbildung" ffihrt, die ,,allein oder in Ver- bindung mit Halluzinationen das paranoide Syndrom bildet" [Bleuler 1)]. Aber auch, wenn es nicht gerade zur Entwicklung eines paranoiden Syndroms kommt, wird die apperzeptive Ergriffenheit, wenn sie nur einmal Platz gegriffen und eine weitgehende Bindung der Aktivitiit an das betreffende Erlebnis ergeben hat, eine Verminderung der Verarbeitungsf/~higkeit allen anderweitigen Erlebnissen gegen- fiber mit sich bringen.

Bei apperzeptiv t~bererregbaren ist also (tas die Unluststimmung herbei- fiihrende Moment in einer sekunddren, auf dem Wege der apperzeptiven Ergriffen- heir durch ein entsprechend geartetes Erlebnis hervorgerufenen, allgemeinen Ver- minderung der Verarbeitungs/dhigkeit 2) zu erblicken. Wo nun aber eine prim4re Insuffizienz der psychischen Aktivit~t bcstcht, d. i. nach meincr Auffassung bei den Schizophrenen, ist damit auch die Verarbeitungsfi~higkeit sozusagen yon Haus aus unzul/inglich und wirken daher die zur Apperzeption dri~ngenden Erlebnisse unabl~ssig als Verlustreize. Damit allein ist schon der Grund gelegt ffir jene un- lustige, unwillige, unwirsche, mfirrische und oft geradezu feindselig abwehrende Stimmung, die uns die meisten echten Schizophrenen zeigen. Dazu kommt abet noch, dab in vielen F/illen die Wahrnehmung selbst schon erschwert ist - - eine Teil- erscheinung der Aktivit~tsinsuffizienz - - und daher auch schon als Unlustreiz wirksam ist, sowie, dab mit der Erschwerung (ler Wahrnehmung auch das ,,Ge-

l) Damit ist ist also einer der Wege gezeigt, auf denen sich auf dem Boden des apperzeptiv fibererregbaren Schizoids eine paranoide Psychose, eine Schizoid- Paranoia, entwickeln kann. Auch der ,,sensitive Beziehungswahn" hat oft diese Genese.

2) Nebenbei bemerkt, bertihrt sich die ,,Verarbeitungsf~higkeit" mit einer Seite der ,,intrapsychischen Aktivit/ i t" (Kretschmer). Denn diese geht nicht nur dahin, das Einzelerlebnis ,,auf dig HShe seiner psychischen Wirksamkeit zu bringen", wie Kretschmer einseitig ausftihrt, sondern auch, das Erlebnis zu er- ledigen, mit ihm fcrtig zu werden, und so das ,,AbstrSmenlassen", das nach Kretsch- mer das Werk der ,,Leitungsf/~higkeit ist, vorzubereiten und oft erst zu ermfiglichen.

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628 J. Berze :

fiihl des Erleidens", welches sich nach Wundt mit der ,,passivcn" Apperzcption verbindet, eine Akzcntuierung erfg~hrt, woraus sich ein Geftihl l~stiger, peinlicher Passivitat, die BewuBtheit, unfrei, den Ereignissen und Personen ausgeliefert zu sein, unter fremdem Einflusse zu stehen usw. ergibt, womit wieder - - gerade so wie mit dem gesteigerten Aktivit~tsgefiihl gehobene, expansive Stimmung - - ge- drtickte, depressive Stimmung mit mehr oder wcniger ausgesprochener Gereiztheit verbunden ist.

Gegen meine, aus der Beobachtung zahlreicher SchizophreniefMle

unmi t t e lba r abgelei te ten Lehre, die Grunds tSrung der Schizophrenie

sei eine primi~re Insuffizienz der psychischen Aktiviti~t, sind im Laufe

der Zeit einige Einw~nde gemacht worden. Da sich meine Ansicht aber

n ich t geiindert hat , mSchte ich diese Gelegenheit ergreifen, auf die wich-

t igs ten dieser E inw~nde kurz zu erwidern i).

Schilder hat sich vor allem gegen die Annahme gewendet, die Insuffizienz der psychischen Aktivitat sei in den Fallen yon Schizophrenie, in denen sie zu konstatieren sei, ]ceine primdre. Weft die Klagen meiner Schizophrenen ,,genau den Klagen der Depersonalisierten entsprechen", bei diesen aber - - nach Schilders Annahme - - die Aktivit~t nicht ,,vermindert, sondern anders verteilt" bzw. ,,durch Hintergrundserlebnisse abgezogen" ist, glaubt er nicht, ,,dab bei den Hypo- tonikern Berzes eine primate Insuffizienz besteht, sondern eine sekund~re". Ich bestreite nun durchaus nicht, da{~ es auch eine sekunddre Insuffizienz der psychi- schen Aktivit~t gibt, wie schon aus der ausdriicklichen Betonung, die Aktivitats- insuffizienz der Schizophrenen sei primdr, hervorgeht. Ich gebe auch zu, dab die Erseheinungen der Aktivit~tsinsuffizienz in manchen FMlen erst dann auff~llig werden, wenn die Aktivit~t ,,(lurch Hintergrundserlebnisse abgezogen" wird. Nur frage ich mich: Hat denn nicht jeder seine ,,Hintergrundserlebnisse"? Warum vermSgen nun diese Erlebnisse bei gewissen Personen die Aktivit~t so welt ,,abzu- ziehen", dab sich sekund~re Insuffizienz ergibt, w~hrend die groBe Mehrheit mit ihren Hintergrundserlebnissen ohne solchen Schaden Iertig wird ? Ausgeschlossen ist es nun freilich nicht, dab auch ein oder das andere Mal ein aus sich selbst iiber- m~chtiges oder ein auf Grund gewisser individueller psychischer Dispositions- momente iiberm~chtig gewordenes Hintergrundserlebnis bei yon vornherein zu- ~eichender Aktivit~t diese zu einem mehr oder weniger groBen Teile ,,abzieht", vielleicht sogar in dem MaBe, dab sich aus der so gesetzten sekundaren Insuffizienz zuzeiten schizophrenie~hnlichc Symptome ergeben kSnnen. Aber dal3 auf diese Art je einmal eine richtige Schizophrenie entstanden sei, glaube wieder ich nicht Meine Ansicht geht vielmehr dahin, dab der Grund dafiir, dal~ ,,Hintergrunds- erlebnisse" gerade bei Sehizophrenen 3) die yon Schilder bezeichnete Rolle in so auffalliger Weise spielen kSnnen, eben schon in der prim~ren Aktivits zu suchen sei, mit weleher zugleich eine Verminderung des Widerstandes gegen jenes Abgezogenwerden gegeben ist 3). DaB durch diesen Vorgang, der fiir die Dauer seines Anhaltens den Aktivitiitsdefekt zweifellos in einem betr~chtlichen MaBe steigern kann, in FAllen mit an sich relativ geringem pri m~re n Aktivit~tsdefekt

1) Ein Einwand Gruhles ist bereits oben besprochen worden. 3) Gar so tier im Hintergrunde liegen iibrigens die betreffenden Erlebnisse

bei den Schizophrenen in der Regel nicht; es gehSren daher auch kcine besonderen psychoanalytischen Ktinste dazu, sie zu ermitteln.

a) Ob es noch andere, in der Konstitution begriindete oder dutch Prozesse gesetzte Defckte gibt, die in gleichem oder ~hnlichem Sinne wirken, weifl ich nieht, halte es aber fiir mSglieh.

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Beifrfige zur psyehiatrischen Erbliehkeits- und Konstitutionsforschung. 629

(,,verkappte Schizophrenien" Bumkes) die Schizophrenie erst so recht offenkundig werden kann, liegt auf der Hand.

Einen anderen Einwand Schilders, der direkt der Lehre gilt, dab - - wie sich Schilder ausdriickt - - ,,durch eine primare Schwache der psychischen Aktivitiit Schizophrenie hervorgetrieben werde", mOchte ich hier nur leicht streifen, zumal ich mir vorbehalte, auf die Erfahrungen an Encephalitiskranken, aus denen Schilder seinen Einwand ableiten zu k6nnen glaubt, bei anderer Gelegenheit n/i~her einzu- gehen. Schilder wendet sich gegen Friinkels Ansicht, dab die psychischen StSrungen bei Erkrankungen der subcorticalen Ganglien nach ihrem Geprage fiir die Auf- fassung sprechen, ,,die in der Schwache der psychischen Aktivitat das Grund- symptom der Dementia praeeox sieht", und will im Gegenteile betont wissen, ,,dab wir bei den Encephalitiskranken einen Mangel an Antrieb sehen, und dab dieser Mangel an Antrieb nichts Schizophrenes produziert". Er gibt freilich gleiCh darauf die M6glichkeit zu, ,,daB es verschiedene AntriehsstSrungen gibt", und meint, da$ ich maine Lehre ,,mit einer solchen Annahme verteidigen" kSnnte. GewiB tue ich dies und weise zugleich darauf bin, dab es mir niemals eingefallen ist zu behaupten, da$ jade wie immer geartete subeorticale Antriebsst6rung Schizo- phrenia mache. Obrigens halte ich die Dezidiertheit, mit der Schilder die Ansieht Frdnkels ablehnen zu kSnnen glaubt, fiir unbereehtigt. Dal3 in vielen Fallen, viel- leicht sogar bei der wait tiberwiegenden Mehrheit der Falle, das Gesamtbild yon dam katatonen Stupor und yon der Schizophrenia ,,prinzipiell abzutrennen" sei, bestreite ich selbstversti~ndlieh nichtl). Abet andererseits muB ich doeh betonen, dab es nicht gerade wenige Falle gibt, deren psychischer Zustand nahezu g~nzlich gewissen hebephren-katatonen Bildern entspricht. Wenn sich durch die genauere Untersuchung auch bei solchen Fallen doeh gewisse Unterschiede yon richtiger Dementia praecox herausstellen, m~chte ich zu bedenken geben, ob nicht doch das Verbindende fiir unsafe Betrachtung weir bedeutungsvoller ist als das Trennende. DaB es in symptomatologischer Hinsicht nicht gleichgtiltig sein kann, ob die :Funktion eines subcorticalen Apparates durch encephalitische Ver~nderungen gest6rt ist oder, wie ich es fiir die Schizophrenie annehme, durch eine allmahlich zu einem pathogenetisch bedeutsamen Grade vorgeschrittene Abiotrophie herab- gesetzt ist, liegt auf der Hand; daraus allein schon wiirden sich vielmehr sogar reeht weitgehende symptomatologisehe Unterschiede selbst bei gMcher Lokalisation erkl/~ren k6nnen. Ganz besonders kommt es aber selbstverst~ndlich auf den Urn- fang der Ausbreitung und auf die vorwiegende Lokalisation der encepha.litisehen Veranderungen an. DaB bei Erkrankungen, die auf das striopallid/~re System be- sehrankt sind, nur ein Verlust an Bewegungsantrieben und an Initiative, aber keine spezifiseh sehizophrenen psyehischen Veranderungen zu beoaehten seien, ist aueh meine Meinung. Wie aber, wenn sieh die encephalitisehen VerKnderungen aueh auf den Thalamus erstreeken oder ihn gar in starkerem Mage treffen ? Es sind ja aueh F/tlle in grOl3erer gahl bekannt, in denen die Herde vom Gebiete ihrer sti~rksten Ausbildung im Mittelhirn her in beilaufig gleiehbleibender Diehte auf den Thalamus iibergreifen und erst im Streifenhiiget abnehmen, und es will mir naeh einem eingehenden Einbliek in die Literatur, obwohl es einstweilen noah an Untersuehungen fehlt, bei denen auf die hier in Betraeht kommenden Ver- hi~ltnisse, also auf eine Heraushebung der besonderen symptomatologisehen und insbesondere psyehotisehen Eigenheiten des Einzelfalles einerseits, der Besonder-

1) Die AntriebsstSrung ist in solehen Fallen nieht generell, sondern betrifft direkt bloB das Psychomotorium, so dab sieh intrapsychische Antriebsmangel nur sekundi~r, sozusagen als Riickwirkung vom Psychomotorium her, aus ihr ergeben k6nnen und psychosensorische Zeichen der Aktivitatsinsuffizienz ganzlich ab- gehen.

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heiten des anatomischen Befundes und seiner Ausbreitung andererseits, das be- sondere Augenmerk gerichtet worden w~re, doch scheinen, daft es gerade die F/~lle mit sti~rkerer Beteiligung des Thalamus sind, deren psychische StOrungen ein deut- licheres schizophrenes Gepr~ge zeigen. Schilder m6chte es auf eine mOgliche Mit- beteiligung des Cortex zurtickfiihren, dab ,,gelegentlich einzelne Bilder an Hebe- phrenie erinnern"; ich kann diese Annahme zumindest nicht ftir zureichend be- grtindet ansehen und halte es unter allen Umst/tnden ftir richtiger, an die zweifel- los gegebene ,,Erkrankung subcorticaler Apparate" zu denken als an die zweifelhafte intensivere Mitbetefligung des Cortex, zumal nicht einzusehen ist, warum die letztere im Gegensatz zu den Bildern, welche wir sonst hei diffusen Erkrankungen des Cortex zu seheu pflegen, gerade ein hebephrenieartiges Bild entstehen lassen soll. Wenn Schilder endlich ,,beztiglieh der vereinzelten Fi~lle, in denen auch psychisch ein schizophrenes Bild vorliegt", angenommen wissen will, , ,daf erschSpfende Ein- fltisse eine exogene katatone Psychose hervorgerufen haben, wenn man sich nicht damit begntigen will, darauf zu verweisen, daft auch bei sehr vielen anderen orga- nischen Rindenerkrankungen gelegentlich katatone Psychosen beobachtet werden", so m6chte ich doch meinen, da f man yon dieser stets bereiten Auskunftshypothese doch nur dann Gebrauch machen sollte, wenn wirklich triftige Grtinde dafiir sprechen, und dab man sie nicht dazu bentitzen darf, andere ~dberlegungen einfach yon der Hand zu weisen.

Bei dieser Gelegenheit m6chte ich nun aber auch zwei weitere Einw/~nde zur Sprache bringen.

Fi~n/geld hat es sich zur Aufgabe gemacht ,,festzustellen, ob im Thalamus solcher F~lle, bei denen klinisch bereits einwandfreie geistige Defektzust~nde vorlagen, pathoarchitektonisehe oder pathohistologische Befunde zu erhehen waren, die mit einiger Wahrscheinlichkeit auf den der Psychose zugrunde liegenden Hirnprozel3 bezogen werden konnten", und hat zu diesem Zweeke 5 Thalami auf Serienschnitten durchuntersucht. Bei den grofen Schwierigkeiten der Be- urteilung histologischer Befunde im Thalamus h~lt er es ftir m6glieh, dab seine bisherigen Ergebnisse in manchen Einzelheiten revisionsbedtirftig seien, glaubt sich aber tiber ihre grofen Ztige klar zu sein. Cyto- und myeloarehitektonisch erscheint der Thalamus und das zentrale HOhlengrau aller 5 F~lle vOllig unver/~ndert. ,,Histopathologisch zeigt sich eine geringe Atrophie einer An- zalM kleiner Ganglienzellen, besonders im ventralen Teil des medialen Kernes, in 3 F/~llen." In allen F/~llen besteht sicher ,,eine Vermehrung, teilweise Vergr61~e- rung der Gliakerne, sowie hier und da Mitosen", besonders ,,ira ventralen Teil des medialen Kernes, auch bei den F/~llen, die die oben erw/ihnte Atrophie der kleinen Zellelemente vermissen lassen. An derselben Stelle ist auch eine Vermehrung der Gliafasern bemerkbar". ,,VSllig intakt sind die ftir die einzelnen Kerne spe- zifischen grofen Ganglienzellen. Auch ihre Zahl ist keineswegs vermindert ." Fiin/geld ,,kann heute noch nicht entscheiden, ob die vorwiegende Beteiligung des ventromedialen Kerngeb ie t e s . . . auf ZufMligkeiten oder 5rtlichen Besonder- heiten beruht oder ob es sich bier doch um eine spezifische Lokalisatior~ des der Katatonie zugrunde liegenden Hirnprozesses handelt". Die Veri~nderungen in der Hirnrinde fibertreffen in seinen F~tllen die des Thalamus bei weitem. Da zu- dem Spielraeyer ,,die Thalamusver~nderungen mit allem Vorbehalt als reaktive infolge einer Parenchymdegeneration in der Hirnrinde deutet", kann sich Fftn/- geld ,,schwer zu der Annahme entschliefen, ein DegenerationsprozeB babe hier prim/~r zerst6rend mitgewirkt", and kann somit auch ,,bisher for diejenigen Theo- rien, die den Sitz der Grundst/Srung bei Schizophrenie in den Thalamus verlegen wollen, in seinen anatomischen Untersuchungen eine Stiitze nicht erblicken". - - Wenn man das Problem yon der anatomischen Seite her angehen will, mug man

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Beitrage zur psychiatrischen Erbliehkeits- und Konstitutionsforschung. 631

sich m. E. vor allem fragen, ob denn die Annehmbarkeit dieser Theorien fiberhaupt yon dem Naehweise histopathologischer Veri~nderungen abhangig sei und, wenn ja, wie diese Ver~nderungen etwa geartet skin mfiBten. Zun~chst muB wohl fest- gehalten werden, dab nichts der Annahme im Wege steht, dal3 der Funktionsdefekt des Thalamus, welcher die Grundst6rung ergibt, schon in der Anlage, konstitutionell, begrfindet sein k6nne und dab das Manifestwcrden dieser Grundst6rung in der dem Einsetzen eines Krankheitsprozesses vergleichbaren Art in gewissen Fi~llen nicht durch die Ausbildung sp~terer organischer Veranderungen im Thalamus, sondern durch den Eintritt gewisser Bedingungen (vor allem einer ,,sensiblen" Lebens- phase im Sinn H. Fischers, insbesondere der Pubertittsphase) bewirkt sei. Ein wahrer Verbl6dungsprozeB wird in solcher Weise freilich nicht begrfindet sein k6nnen; es ist abet auch falsch, die Schizophrenie yon vornherein ganz allgemein als Verbl6dungsprozeB aufzufassen, und es kann im Grunde nur behauptet werden, dab die Schizophrenie, wie sich Alzheimer einmal ausgedriickt hat, eine Geistes- krankheit mit ,,ausgesprochener Neigun9, in VerblSdungszusti~nde auszugehen", sei. In welchem MaBe diese Neigung im Einzelfalle gegeben ist, h~tngt offenbar - - a bgesehen ,/on etwa als besondere Krankheitsfaktoren wirksamen Noxen, namentlich endotoxischer Natur - - von dem Grade und der Art des konstitutio- nellen Anlagedefektes und der in ihm liegenden t3berverletzlichkeit des psycho- cerebralen Systems ab. DaB nun der subcorticale Anteil dieses Systems starker an den histopathologischen Veranderungen beteiligt sein mfisse, die sich aus dem der Verbl6dung zugrunde liegenden Hirnprozesse ergeben, als der Cortex, ist durch- aus nicht einzusehen, da doch, nach der Annahme, unter Umsfiinden schon der Anlagedefekt des subcorticalen Anteiles an und fiir sich geniigt, die Grundst6rung als eine ,,funktionelle" St6rung zu erkl~ren, und somit kein Grund vorliegt, einen histopathologischen Befund vorauszusetzen, aus dem sie als ,,organische" StOrung zu erkl/iren w~re. Es stimmt somit mit der Theorie auch ganz gut fiberein, wenn in Finn/gelds Fi~llen, in denen ,,bereits einwandfreie geistige Defektzust~inde vor- lagen", die Ver~nderungen in der Hirnrinde die des Thalamus welt fibertreffen. Die Verbl6dung als solche ist ja offenbar der Ausdruck der Ver~nderungen in der Hirnrinde, - - und nur, dab sie nicht als einfache ,,organische Verbl6dung", sondern als Dementia praecox charakterisiert ist, kommt auf Rechnung der Thalamus- ver~nderungen.

Es ist hier vielleicht am Platze, eine prinzipielie Bcmerkung einzuschieben: Man braucht durchaus nieht etwa ,,der anatomischen Forschungsriehtung ab- lehnend gegenfiberzustehen", kann im Gegenteile auf dem Standpunkte stehen, dab ihre Ergebnisse in Fragen wie die vorliegende in vollstem MaBe zu bertick- sichtigen, ja in mancher Hinsicht geradezu ausschlaggehend seien, und wird doch andererseits finden mtissen, dab es auch da Grenzen gibt, fiber welche diese For- schungsrichtung mit ihren Zensurbestrebungen nicht gut hinausgehen kann. Wenn sich Josephy auf Grund seiner anatomischen Befunde bei der Dementia praecox, nach denen das Wesentliche, und zwar ,,sowohl in bezug auf die Schwere und Ausdehnung als auch in bezug auf das regelmtil3ige Auftreten des Prozesses", in den Veri~nderungen der Rinde zu erblicken ist, gegen dig Theorie, nach welcher die schizophrene Grundst6rung in einem subcorticalen Funktionsdefekt begrtindet ist 1), weudet, so m6ge er doch auch die ihm ,,fast auffallig" erscheinende Tatsache bedenken, ,,wie wenig yon Entwicklungsanomalien u. dgl. sich in den untersuehten Gehirnen gefunden hat". Wie haben wir denn diese auff/~llige Tatsache zu deuten ? Etwa dahin, dab es tatsi~chlich keine Entwicklungsanomalien u. dgl. in diesen

1) Josephy spricht iibrigens yon der Theorie, ,,dal3 die Lokalisation der schizo- phrenen Erkrankung in bestimmten Teilen des zentralen H6hlengraus, besonders des Thalamus, zu suchen sei". Ich ftir meinen Tell akzeptiere diese Fassung nicht.

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Gehirnen gibt ? Oder reichen die Methoden der anatomischen Forschungsrichtung noch nicht dazu aus, aus ihren Ergebnissen diesen SchluB sicher zu ziehen ? Meines Erachtens unterliegt es keinem Zweifel, dab letzteres zutrifft. Absolut zwingend ist ja nun der SchluB freilich nicht, dab bei einer Krankheit, die so offenkundig kon- stitutionell begrtindet bzw. mitbegriindet ist wie die Schizophrenie, auch ein Defekt gerade der Hirnanlage vorliege, kann es doch immerhin nicht sicher ausgeschlossen werden, dab das wesentliche erbkonstitutionelle Moment in einem endogenen extracerebralen Defekt, etwa endokriner Natur, zu suchen sei. Aber die anato- mische Forschungsrichtung ist heute eben gewiB noch nicht immer imstande, sicher zu entscheiden, ob ein Hirnanlagedefekt da ist oder nicht. Sie kann daher auch nicht fiber den Wert einer Theorie aburteilen, die einen derartigen Defekt voraussetzt. Sie kann eine derartige Theorie aber auch nicht, sozusagen indirekt, durch den Hinweis auf die Erheblichkeit und das regelmifl)ige Auftreten der histo- pathologischen Ver~nderungen in der l~inde widerlegen. Denn es ist eben noch keineswegs sichergestellt, dab wir in diesen Veriinderungen den anatomischen Befund, dem die schizophrene StSrung selbst entspricht, zu erblicken haben. Meine eigene Meinung dariiber deckt sich mit der Bleulers: ,,Von den histologischerr Ver- ~nderungen wissen wir nicht, ob sie die Ursache der Psychose oder bloB den psy- chischen Symptomen parallele Erscheinungen sind, indem beispielsweise ein toxi- sches Agens einerseits die psychischen Symptome, andererseits die anatomischen Ver~nderungen hervorbringt." ]ch meine aber welter, dab dann, wenn sich solche anatomische Ver~nderungen in der Rinde entwickelt haben, sei es wegen der groBen Intensititt des toxischen Agens. sei es wegen der hochgradigen pathologischen Vulnerabilit~t des psychocorticalen Apparates, nicht mehr einfache Schizophrenie vorliegt, sondern wahre Dementia praecox, d. h. also, dab diese anatomischen Ver~nderungen nicht den Schizophrenie-, sondern den Dementia praecox-Befund bedeuten. Auf diesen Punkt werde ich iibrigens noch zuriickkommen.

Einen Einwand, der im Grunde nur zeigt, wie griindlich man miBverstanden werden kann, bringt Bleuler. Er gilt vor allem Ki~ppers, trifft aber auch mich, da gesagt wird, dab Kiippers ,,wie Berze u. a. geneigt sei, die ganze Aktivit~t in den Stamm zu verlegen". Unter anderem meint Bleuler: ,,Sollte die Rinde wirk- lich unter allen Organen das einzige ohne eigene Aktivit~t sein ? Ferner bilden die Vorg~nge des motivierten Entsehlusses, des Denkens und alles, was mit ~ber- legungen zu tun hat, eine so untrennbare Einheit, dab man sich dieselben nur schwer in zwei getrennte Funktionen zerlegt, geschweige an zwei Orten lokalisiert denken kann. ~berlegungen, also Rindenvorg~nge, sagen mir, da[~ ich einen bestimmten Brief schreiben soll. Wie kann irgend etwas im Stammhirn, das diese ~berlegung weder selbst machen noch verstehen kann, das also den Grund zum Briefschreiben gar nicht kennt, nur den Befehl zur Handlung des Schreibens geben ?" Ich weil~ nicht, ob Kiippers AnlaB zu derartigen Ausstellungen gegeben hat; ich selbst weiB mich frei yon solcher Schuld. Insbesondere ist es m i r n i e in den Sinn gekommen, die Vorg~nge des Denkens usw. ,,in zwei getrennte Funktionen" zu ,,zerlegen" oder gar ,,an zwei Orten lokalisicrt" zu denken. ]ch gehe sogar viel weiter in der Negation der ,,Zerlegung" als JBleuIer und bin welt davon entfernt, in dieser Hin- sicht die Konzession zu machen, die Bleuler macht, wenn er ,,/iir die LoIcalisatiou der Psyche" unterscheidet ,,die rein intellektuellen Funktionen (Noospyche Strans- Joys) und die Welt der Instinkte, Triebe, Affekte, des Wfllens, der ,Ergien', wie ich (Bleuler) die Gesamtheit dieser Begriffe genannt habe (Thymopsyche Strans- ]cys)", und wenn er in der Rinde bloB ,,das Organ der intellektuellen, der nach iiblicher Wertung ,hSchsten' Leistungen der Psyche" sieht. ]ch mache ,,fiir die Lokalisation" keinen Unterschied zwischen Noo- und Thymopsyche. Die beiden Funktionsqualit~ten sind so innig verflochten, indem jeder 10sychische Vorgang seine noo- und seine thymopsychische Seite hat, dab ich sie mir ganz unm6glich

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Beitr~ge zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 633

,,an zwei Orten lokalisiert" denken kann. Wenn ,,viele Erkrankungen des Stammes St0rungen der Affektivitiit zur Folge haben", so besagt dies nichts fiir die Lokali- sation der Affektivit~t als psychische Qualit~t, namentlich zugunsten der Annahme eines lokalisatorischen Unterschiedcs gegentiber den intellektuellen Vorgangen. Also alles Psychische (im gew6hnlichen Sinne) spielt sich nach meiner Auffassung in der Rinde ab. (Vielleicht meint Bleuler tibrigens dasselbe, wenn er sagt, dab von den Funktionen der Rinde auch die ,,Bewufitseinsqualitdt der Psyche" abhi~ngt.) Wie reich der Vorwurf treffcn soll, dari ich sozusagen die Denkvorg~nge zerlegt und an zwei Orten lokalisiert wissen wolle, sehe ich daher nieht ein. - - Im ganzen kann ich aber feststellen, dab Bleuler in seiner neuesten Schrift meinem Standpunkt schon recht nahegekommen ist. Aus der ,,Welt der Instinkte, Triebe, Affekte, des Willens" ist bereits - - welt allgemeiner - - die Welt der ,,Ergien" geworden, wie Bleuler ,,die Gesamtheit dieser Begriffe genannt" hat. ,,Ergie" ist ein ganz treff- licher Ausdruck ftir den Antriebsfaktor, wie ich ihn meine. Und wenn Bleuler sagt: ,,Ein elementarer Tell des Tricbwerkes, welcher Instinkte, Affektivitiit, Wille konstruieren hilft, ist aher auch jetzt noch in unteren Zentren, vornehm- lich in den Zentralganglien lokalisiert", und welter: ,,Was in meinen Instinkten liegt und teilweise oder ausschlierilich (I Verf.) yon unten kommen kann, das ist doch nur irgendein elementarer Trieb . . . . die Liebe, das Nahrungsbedtirfnis im weitesten Sinne, der Trieb, sich durchzusetzen, Rachedurst", - - ,,den ,,Rache- durst" m6chte ich, nebenbei bemerkt, als nicht mehr ganz ,,elementar" ausnehmen - - , so kann ich nur erklhren, dab ich mir das, was ,,von unten" kommt, niemals anders vorgestellt babe und dari Bleulers Annahme, ich h~ttte im Gegensatz zu ihm ,,unteren Zentren" auch eine unmittelbare Beteiligung an l~berlegungen u. dgl. zugeschrieben, in das Reich seiner Phantasie geh6rt. In einem recht wesent- lichen Punkte besteht allerdings noch eine Differenz zwisehen Bleuler und mir. Bleuler stellt die ,,intellektuellen Leistungen" seinen ,,Ergien" gegeniiber; erstere sollen das Ergebnis eincr eigenen, sozusagen autochthonen Aktivit~t der Rinde 1)

1) Bleuler fragt: ,,Sollte die Rinde wirklich unter allen Organen das einzige ohne eigene Aktiviti~t sein?" ]ch frage zuriick: ,,Welches Organ hat denn seine eigene Aktivit~t ?" Der Muskel hat die Funktion, sich zusammenzuziehen. Tut er dies aus Eigenem, hat er also eigene A]ctivitdt? Nein, sondern er muri erst dazu angeregt werden, er mul3 erst aktiv gemacht werden. Und so ist es, scheint mir, mit den Organen tiberhaupt. Wenn man nun aber einwerfen m6chte, die Sinnes- erregungen seien es, die den Cortex zu seiner Aktivits bringcn, es bediirfe dazu also nicht eines eigenen extracorticalcn Organes, das ihm die Aktivit~t versch~ffe, so muri dieser althergebrachte, immer wieder den Einbliek in den wahren Zusammen- hang hindernde Irr tum abgclehnt werden. Die Sinneserregungen, welche das Rinden- organ als Organ der ,,Mnemik", um mit Bleuler zu reden, speisen, sehaffen damit das Material ftir den Verstand, fiir den Intellekt, herbei, aber dari dieser, in der Phase des Wachens tatsi~chlich alctiv ist, im geistigen Erfassen des Materiales, im Begreifen, Verstehen, Denken, Urteilen, wiihrend er zu anderer Zeit, in der Phase des Schlafes, inaktiv oder (Traumbewuritsein) in vermindertem Marie aktiv ist, daftir kSnnen die Sinneserregungen nichts. - - Schlierilich lauft die ganze Streit- frage darauf hinaus: Ist das Rindenorgan mit seiner lntellektfunktion autarchiseh oder ist auch dieses Organ dienstbar dem individuellen Gesamtorganismus und im ,,teleologisch-personalen" Sinne dazu bestimmt, auf Grund der ,,Mnemik" und der dutch Erfassung der originalen Sinneseindriickc gewonnenen Orientierung seine TAtigkeit gem~ri den Antrieben zu entfalten, welche ihm yon unteren Zentren, in denen sozusagen alle F~den des Organismus zusammenlaufen, zugehen ? Fiir reich steht letzteres aul3er Frage; der psychocerebrale Rindenapparat ist nach meiner Auffassung ein im Dienste der Triebe stehendes und nur durch sie aktiviertes Organ.

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allein sein und mit den ,,Ergien" nichts zu tun haben. Ich dagegen verfechte die Ansicht, dab hinter jeder intellektuellen Leistung sozusagen Ergie steckt, dab Ergie zu jeder Aktiviti~tsentfaltung erforderlich ist, und in diesem Sinne ,,verlege" ich, wie Bleuler anfiihrt, in der Tat ,,die ganze Aktivit~t in den Stamm". Wenn mich Bleuler fragte, ob sich denn die spezielle Ergie bzw. ikre Materie, die im Einzel- falle wirksam ist, auch immer aufzeigen lasse, hi~tte ich nein zu sagen. Wenn Bleuler aber darum meine Annahme fiir hinfi~llig erkl/~ren wollte, muBte ieh ihm entgegen- halten, daB der Antrieb nach meiner Auffassung fiir gewShnlich ein genereller ist, d. h. dab im Wachzustande durch die Gesamtwirkung stets bereiter Ergien auf die Rinde eine allgemeine Bereitschaft zur Entfaltung psychischer Aktiviti~t bzw. zu intellektuellen Leistungen, gegeben ist, so dab es eines speziellen Antriebes, einer speziellen ,,Ergie", zur einzelnen intellektuellen Leistung nicht erst bedarf. Anderer- seits kann sich selbstversti~ndlich aus dem generellen Antrieb irgendein spezieller Trieb bzw. Affekt abheben, womit zugleich auch eine Determination der Richtung der Aktivit~tsentfaltung gegeben ist. Wer wie Bleuler einmal erkannt hat, dab elementare Triebe yon ,,unteren Zentren" her die Affektiviti~t, den Willen, konsti- tuieren helfen, kann m.E. nicht mehr prinzipieller Gegner der Annahme sein, dab die gesamte psyehische Aktivit~t, pr~ziser: der Zustand des Cortex, welcher Voraussetzung der Entfaltung psychischer Aktivit/~t in der dem physiologischen Wachzustande entsprechenden Weise ist, in gleicher Weise nur mit Hilfe einer Triebwirkung yon unteren Zentren her ,,konstituiert" werden kann. Der ruhige, nicht dureh Hervortreten eines bestimmten Triebes oder durch Farbung im Sinne eines bestimmten Affektes eingestellte bzw. eingeengte WachbewuBtseinszustand, das BewuBtsein im Zustande des ,,aequus animus", unterscheidet sich yon dem BewuBtsein, wie es sieh zur Zeit der Erregtheit eines speziellen Triebes oder des Bestehens eines Affektes darstellt, m. E. nur etwa so wie das farblose, das ,,weiBe" Licht, dem nicht anzusehen ist, dab verschiedenartige Bestandteile, verschieden- farbige Lichtstrahlen, es konstituieren helfen, yon den verschiedenen Lichtfarben, wie sie durch Zerlegung des weiBen Lichtes zutage treten.

Nach meiner Auffassung gibt es, wie ich ausgef i ihr t habe, ein wohl charak te r i s ie r tes Schizoid, dessen Grunds tSrung in appe rzep t ive r 1Jber- e r r egbarke i t gelegen ist. Zweifellos kann dieses Schizoid durch das ganze Leben u n v e r a n d e r t wei terbes tehen. Anderse i t s k a n n aus ihm eine Schizo-

phrenie hervorgehen, und zwar bei en t sprechend hochgradiger Vulner- ab i l i t a t des psychoeerebra len Sys tems wohl schon auf dem Wege der Abnt i t zung durch die gewShnlichen Lebensreize (Abiotrophie) , bei minder - g rad iger Vulnerab i l i t a t dagegen wohl nur durch den Einflul~ auftergew5hn- l icher Noxen, vor a l lem endotoxischer Na tu r . Der Prozel~ des Uberganges des Schizoids, welches sich diesfalls als p raepsychot i sche PersOnlichkei t

dars te l l t , in die Schizophrenie wird sich in Fa l l en ers terer A r t ausnahms- los schleichend, in Fa l l en le tz terer A r t dagegen un te r U m s t a n d e n , naml ich bei a k u t e m Einse tzen der Noxe oder bei a k u t e m Ans t ieg der

I n t e n s i t a t der Noxe oder bei a k u t e m Z u s t a n d e k o m m e n von Bedingun-

gen fiir eine erhShte W i r k s a m k e i t der Noxe, auch stf i rmisch vol lz iehen

in ba ld mehr ament iaa r t igen , ba ld mehr ka ta ton i schen , ba ld mehr affek- t i v be tonten , vornehml ich depress iv -parano iden oder auch pseudo-

manischen Zus tanden . I n al len Fa l l en mi t a k u t e m Beginn kSnnen sieh, als Fo lgen des Weichens der Noxe oder der A b n a h m e ihrer I n t e n s i t a t

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Beitr~tge zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 635

oder infolge einer ihrer W i r k s a m k e i t abtr~iglichen Anderung der Bedin- gungen, mehr oder weniger wei tgehende Remissionen, v ie l le icht auch

Hei lung ergeben. Die Fiil le ers terer A r t dagegen, die Fi~lle mi t schleichen-

dem Beginn, s ind in der Regel, unaufha l t s am for t schre i tender Ab io t roph ie verfal len, im s t r ik t e s t en Sinne unhei lbar und naturgem~i~ progress iv

bis zur Er re ichung eines s ta t ionhren Endzus tandes . Aku te r Beginn

k a n n auch vorge tausch t werden, indem in einem Fal le mi t schle ichender En twick lung in e inem fr i ihen und leichten S t a d i um des Prozesses durch

einen akz idente l len F a k t o r psychischer oder somat ischer N a t u r ,,eine

Phase von ausgesprochen psychot i scher E r r egung" herbeigef t ihr t wird, die n ich t auf e inem raschen Anst ieg der Intensit i~t des Grundprozesses , sondern auf einer aku t en , ,schizophren psychot i schen R e a k t i o n " be ruh t (Hinrichsen). Solche A t t a c k e n andern n ichts an dem vorgezeichneten

weiteren Verlauf des Prozesses.

Schizophrenie is t nun noch n icht Demen t i a praecox. Von le tz terer

soll te m a n nur reden, wenn wirkliche, echte Demenz vorl iegt . Die schizo-

phrene Ver~nderung an sich ist ja gewi[t ein Defekt , aber sie is t keine

Defektdemenz.

Hinrichsen weist in einer interessanten Arbeit11), die einstweilen in der Litera- tur noch nicht die ihr gebiihrende Wiirdigung gefunden hat, darauf hin, dab ,,Jaspers die StSrungen bei der Dementia praeeox als ,StSrungen ohne ZerstSrung' anspricht, w~hrend Kraepelin sagt, der Leichenbefund bei der Dementia praecox habe ,zerst6rende Krankheitsvorg~nge' als Grundlage des klinischen Bildes aufgedeckt", und ftihrt aus, man brauche ,,dies zweite gar nicht zu leugnen", und doch kSnne ,,die Jaspersehe Formel zu Recht bestehen". Ein Defekt sei auch bei der Dementia praecox da, aber er sei ,,erstens schwer bezeichenbar bzw. nur in der Weise, wie Bleuler yon Schizo-, Berze von Hypophrenie, yon der Insuffizienz der psyehisehen Aktivitiit, Stransky -~on intrapsychischer Ataxie usw. sprieht", und sei ,,zweitens in sehr unterschiedlicher St~rke vorhanden". Ein derartiger :Defekt sei ,,kein eigentlicher Defekt, und deshalb dtirfen wir bei der Schizophrenie sehon von StS- rungen ohne ZerstSrung sprechen". Doch komme es auch bei Schizophrenen ,,nicht nut zu einer schizophrenen, sondern auch zu einer Defektdemenz, zu einer Reduktion der seelischen Leistungsf~thigkeit im ganzen". Eine scharfe Trennung yon organischer und schizophrener Demenz sei unmSglich. Es h~nge ,,yon der St~rke des Grundprozesses und der Toleranz des betreffenden psyehocerebralen Systems ab, ob wir mehr funktionelle oder mehr organische StSrungen erhalten". Wie es in dieser Hinsicht im Einzelfal|e liege, lasse sich nach dem Stande der reak- tiven Empfindliehkeit beurteilen. ,,Defektdemenz macht psychisch reaktive bzw. psychogene StSrungen unmSglich." ,,Wo eine Demenz sich ausbildet, schwinden die seeliseh aktuellen StSrungen." ,,Damit es zu seelischen Verfassungen yon einer Sti~rke und Dauer kommen kann, dab sie uns als Zustandsschwankungen imponieren, ist notwendig, dab Verh~ltnisse wie beim Sehizophrenen vorliegen, der nicht organisch dement, defektdement ist, welcher der Leistung solcher see- lischer Verfassungen bzw. reaktiver Phasen (Syndrome) noch fahig ist." - - Meines Erachtens ist Hinrichsen roll beizupflichten. Nur mSchte ich yon einer schizo- phrenen Demenz ttberhaupt nicht reden. Die schizophrene StSrung ist nach meiner Auffassung die Hypophrenie und diese Hypophrenie an sich hat mit Demenz nichts zu tun. Wenn wir den Demenzbegriff nieht ganz verwi~ssern und entwerten wollen

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636 J. Berze:

- - im Gegenteil sell es ja unser Bestreben sein, endlich cinmal zu ciner klaren Fas- sung dieses Begriffes zu kommen- - , so diirfen wir StSrungen wie die hypophrene nicht mit der Demenz zusammenwerfen. Eine Maschine kann insuffizient in ihrer Leistung sein, weft sie ruiniert ist oder weft es ihr an der nStigen Feucrung fehlt. So kann der psychocerebrale Rindenapparat in seiner Funktion beeintr~chtigt sein, weft er selbst durch einen pathologischen ProzeB gesch~digt ist oder weft es ibm an dem erforderlichen Antrieb fehlt. In ersterem Falle liegt Demenz vor, in letz- terem die hypophrene StSrung. Die Verlockung, yon schizophrener Demenz zu reden, liegt darin, dab es Schizol)hrene sind, die da yon Demenz befallen werden, dab die Schizophrenie sozusagen unbemerkt in die Demenz ,,iibergcht" und dal3 die Demenz, selbst nech in recht vorgeschrittenen Stadien, als ,,schizophren" charakterisiert, d.h. durch die nebenher immer noch zur Geltung kommende hypophrene StSrung in ihrer Erscheinungsform bestimmt ist.

Zur Dars te l lung des VerhMtnisses, in welchem nach meiner Auf-

fassung Schizophrenie und Demen t i a praecox zue inander s tehen, greife ich wieder auf meine Ans ich t vom Wesen und yon der Loka l i sa t ion d e r

schizophrenen StSrung einerseits, auf die bei der Demen t i a p raecox

erhobenen h i s topa tho log ischen Befunde anderse i t s zurfick. Die hypo-

phrene StSrung ha l te ich ffir eine im P r inz ip /unk t ione l l e S tSrung des Psychocor tex , bed ing t in einer Insuff iz ienz jener subcor t ica len F u n k - t ion, aus welcher sich der An t r i eb zur A k t i v i t ~ t dieses cor t icalen Appa - ra tes ergibt . I ch sehe keinen zwingenden Grund, die spezifisch hypo- phrene (schizophrene) StSrung mi t den Rindenver~tnderungen, wie sie

sich bei der Demen t i a l inden, in Beziehung zu setzen. Dagegen ist m. E. n ich t d a r a n zu zweifeln, dal~ diesen Ver~nderungen zuzuschre iben ist , was der einzelne Fa l l an wahrer , an organischer, an De fe k t de me nz aufweist .

Josephy kommt auf Grund seiner anatomischen Untersuchungen an einem, wie er betont, wirklich grSBeren Material zu dem Ergebnisse, dab ,,beim Schizo- phrenen nicht nur die Psyche, sondern auch das Gehirn erkrankt sei", welches Er- gebnis wichtig sei ,,gegeniiber der Anschauungsweise, die heute mehr und mehr geneigt erscheint, in der Dementia praecox nur eine Steigerung normal-psychischer Ph/inomene zu sehen". Ich mSchte hier nur nebenbei bemerken, daft die Sache wohl nicht so einfach ist, wie sie Josephy sieht, und dab sie sich in einem anderen Lichte zeigt, wenn man nach meinem Vorgange zwischen Schizophrenie und De- mentia praecox unterscheidet. Dal3 bei der Schizophrenie immer auch ,,das Ge- hirn erkrankt" sei, d. h. die hypophrene StSrung eine Gehirnerkrankung unbedingt voraussetze, ist durchaus unerwiesen. Es kann ja freilich die Grundlage dieser StSrung in einer abiotrophischen Ver~nderung oder auch in einer ihr hinsichtlich ihrer psychopathogenetischen Bedeutung gleichkommenden Erkrankung im Be- reiche des subcorticalen Anteiles des psychocerebralen Apparates bestehen, anderer- seits kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dab die gleiche StSrung in ge- wissen F/~llen durch die Einwirkung eines endotoxischen Agens auch auf ein in diesem Anteile normal angelegtes und auch nicht pathologisch ver/~ndertes Ge- hirn hervorgerufen wird. Dab bei der Dementia praecox immer auch das Gehirn erkrankt sei, kann dagegen wohl als unbestreitbar gelten. Mit der yon mir be- tonten Unterscheidung steht folgcnde hochwichtige Konklusion Josephys in vollem Einklange: ,,Den prognostisch ungiinstigen, chronisch-progredient verlaufenden F~llen diirften histopathologisch die Beobachtungen entsprechen, die die Zell-

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Beitr~ige zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 637

ausf~lle aufweisen, wiihrend andererseits die Falle, die nach einem Schub weit- gehende Besserung und nur geringe Defekte zeigen, denen entsprechen diirften, die keine architektonischen StSrungen erkennen lassen. Die Histopathologie zeigt auch die Grundlage der bekannten klinischen Erfahrung, dab die Schwere der akuten Symptome fiir die Prognose des Gesamtverlaufes relativ unwichtig ist, und er- kl~rt andererseits, wie es kommt, dal3 ruhig verlaufende Falle yon vornherein absolut ungiinstig sein kSnnen." Die ,,prognostisch ungiinstigen, chronisch-pro- gredienten", dabei zumeist ,,ruhig verlaufenden" Falle sind eben diejenigen, bei welehen sich langsam aber stetig eine richtige De/ektdemenz entwickelt, - - womit natiirlich nicht gesagt sein soll, dab sich nicht auch einmal (relativ) akut, infolge groBer Intensiti~t oder besonders deletarer Natur der betreffenden Noxe, ein be- trachtlicher Grad yon Defektdemenz entwickeln kann. Dai~ aber die ,,Schwere der akuten Symptome fiir die Prognose des Gesamtverlaufes relativ unwichtig ist", erkl~rt sich daraus, dab die akuten Symptome - - gemeinhin - - der Ausdruek einer akuten Steigerung der t~ypophrenen StSrung sind, welch letztere als funktionelle Erscheinung mit den Rindenveranderungen, die fiir die Prognose des Gesamt- verlaufes in dem von Josephy gemeinten Sinne mal3gebend sind, wahrscheinlich nichts zu tun hat. Auch dab sich in gewissen F~llen ,,nach einem Schub weitgehende Besserung und nur geringe Defekte zeigen", finder darin seine Erkl~rung, dal3 diese Schiibe nicht, oder doeh in der Regel nicht, auf einer Exacerbation des Pro- zesses, welcher die Rindenver~nderungen und damit die Defektdemenz ergibt, sondern auf einer vortibergehenden Steigerung der/unktionellen hypophrenen St5- rung beruhen. Meines Erachtens steht aber aueh die Feststellung Josephys, ,,dab augenseheinlich weder die Schwere der psychischen Symptome noch auch die Dauer der Erkrankung bestimmte Beziehungen zu dem Entstehen yon Ausfi~llen an Ner- ~enzeUen in der Rinde hat" , nur scheinbar mit unserer Auffassung in Wider- spruch. Man braucht sich, um dies zu erkennen, nur wieder vor Augen zu halten, dab die ,,Schwere der psychotischen Symptome" nicht gleichbedeutend ist mit dem Grade der im Einzelfalle erreichten Defektdemenz, welch letztere allein es ist, yon der bestimmte Beziehungen zu jenen Nervenzellenausfallen vorausgesetzt werden kSnnen, und dab die Dauer der Erkrankung in dieser Hinsicht, abgesehen davon, dal~ der Prozel3 bald leiehter, bald sehwerer, und bald langsamer, bald rascher progredient sein kann, schon deshalb nicht in Betracht kommt, well sie keinen sicheren Schlul3 auf die Dauer des destruierenden Prozesses in der Rinde gestattet, der ja offenbar in vielen Fallen erst welt sparer einsetzt als die funk- tionelle hypophrene StSrung. So ist nach Josephys Auffassung ,,Vosse als Fall schwerer als Fello". Liest man aber die kurzen Krankheitsgeschichten, die Josephy fiir beide F~lle bringt, so mSchte man eher glauben, dab die De]e~ldemenz im Falle Fello vorgeschrittener war als im Falle Vosse, welcher nur ,,sehwerer" gewesen zu sein scheint, was die yon der funktionellen hypophrenen StSrung abhangigen psychotischen Symptome betrifft. - - Was mir in diesem Zusammenhang als be- sonders wichtig erseheint, ist, dal3 die Ergebnisse der anatomischen Forschung immer mehr erkennen lassen, dab die Rindenerkrankung, welche der Dementia praecox zugrunde liegt, die Cerebropathia dementiae praecocis (nieht schizo- phreniae ), eine spezifische ,,corticale Systemerkrankung" sei. Die Zellausfalle sind naeh Josephy ,,als etwas nur fiir die Dementia praecox Spezifisches und Cha- rakteristisches anzusehen", und als typisch sieht er es besonders an, dal~ vor allem die dritte Schicht betroffen ist. Von den tibrigen Schichten zeige ,,vor allem die fiinfte 5fter auch eine ziemliche Lichtung an Nervenzellen". Dabei sei es aber m(iglich, ,,dal3 die Zellausfalle in der ftinften Schicht einfach eine Folge der schweren Erkrankung der dritten sind". Zuweilen erscheint aber die dritte Schieht ,,iiber- haupt allein betroffen". Da die ,,Noxe, die die Hirnschadigung verursacht, sich

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6 3 8 J. Berze :

gleichmaBig, diffus im Gehirn verteilt", mfisse also wohl angenommen werden, dab ,,die Schichten, die besonders schwer geschadigt sind, yon sich aus empfind- licher" seien als die anderen. Wenn dem so ist, wenn die Rindenerkrankung bei der Dementia praecox wirklich eine spezifische Systemerkrankung ist, muB nun aber auch die MSglichkeit erwogen werden, dab das Spezifische an der Erschei- nungsweise der Dementia praecox, das sie yon anderen organischen Demenz- formen Unterscheidende, und vielleicht auch schon, wenn auch nicht alle, so doch gewisse Erscheinungen der Schizophrenie selbst, vor ihrem tJbergange in eigentliche Defektdemenz, mit diesem Spezifischen der gindenerkrankung in Zusammen- hung zu bringen sei. Dies ware auch mSglich, wenn - - nach meiner Annahme - - die hypophrene StSrung auf eine Insuffizienz des im Psychokortex wirksamen An- triebes zu beziehen ist; denn diese Insuffizienz kann wohl zunachst in einer ver- minderten Zufuhr des Antriebes yore Subcortex her, kSnnte andererseits aber auch in Rindenveranderungen, welche dem Wirksamwerden des, sei es auch in normalem MaBe zugeffihrten, Antriebes abtraglich sind, begrfindet sein. Es muB nun aber andererseits betont werden, dalt wir keineswegs mit Sicherheit sagen kSnnen, ob nieht etwa auch in den Fallen yon organischer Demenz anderer Art, in denen sich die Destruktion fiber die ganze Rindenbreite erstreckt, gerade die drit te Sehicht es ist, deren Betroffensein speziell ffir die Demenz maBgebend oder doch von besonderer Bedeutung ist. (Jedenfalls spricht - - nebenbei bemerkt - - die Tatsache, dab eine elektive Rindenerkrankung, die der Hauptsache naeh die dritte Schicht betrifft und manchmal geradezu auf diese Schicht beschrankt ist, eine riehtige Demenz bedingen kann, zugunsten der Annahme, dab die dritte Schicht einen wesentlichen Teil des ,,Assoziationsapparates", wie v. Monakow sagt, bzw. der ,,intentionalen Sphare" odor des corticalen Anteiles des psychocerebralen Apparates, wie ich sage, bildet.) Weiter ware es, wie ieh schon vor Jahren 3) betont habe, wenn die hsTophrene StSrung als reines Cortexsymptom anzu- sehen ware, nicht recht erklarlich, warum nicht auch bei anderen Rindensch/tdi- gungen, namentlich bei solehen, welehe sich fiber die ganze Rindenbreite erstrecken und somit auch die bei der Dementia praecox vornehmlich geschadigten Schichten sicher mit betreffen, in Stadien, in welchen die Demenz noch nieht so weir vor- geschritten ist, dab sie psychotische Erscheinungen irgendweleher Art sozusagen zu erdrficken vermag, in Stadien, die bei langsamer Progression des Prozesses von betrachtlieher Dauer sein k6nnen, welt 5fter, als es tatsachlich der Fall ist, Sym- ptome zu beobachten sind, welche der hypophrenen StSrung entsprechen oder, wenn auch entstellt durch anderweitige Wirkungen der allgemeinen Rinden- schadigung, doch wenigstens den MiteinfluB der hypophrenen Komponente erkennen lassen, zeigt uns doch unter anderem die progressive Paralyse, dab ein zu organischer VerblOdung ffihrender ProzeB oft fiir lange Zeit Raum laBt ffir die Ausbildung der verschiedenartigsten psyehotischen Zustande. Man k6nhte ein- wenden, es sei falsch, bloB die ]ertigen Rindenveranderungen, wie sie das anatomi- sche Bild zeigt, in Betracht zu ziehen, wenn man die Symptome mit ihnen in Be- ziehung setzen will, in diesem Falle habe man vielmehr vor allem die Genese der Rindenveranderungen und die At't, in welcher die Noxe, welche etwa den zur De- struktion fiihrenden ProzeB unterhalt, bis zum Eintri t te der schlieBlichen Ver- 6dung die Funktion der betroffenen Zellschichten beeinfluBt hat, zu berficksichtigen. Josephy hebt ja mit Recht hervor : ,,Das Bild, das diese AusfMle (die eharakte- ristischen Zellausfalle bei der Dementia praecox) bieten, ist zwelfellos ein End- stadium, und der ProzeB, aus dem es entstanden ist, ist in den Praparaten im allgemeinen nicht zu e r k e n n e n . . . Identisch sind die Falle zunachst nur in be- zug auf das histopathologische Bild des Endzustandes. Dem mag klinisch viel- leicht die Identi tat des Endzustan4es ,,Demenz" entsprechen". (Ich m6chte noch

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Beitrlige zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 639

betonen: des Endzustandes De/ektdemenz, um jeden Zweifel auszuschliel3en.) Ebensowenig laBt der anatomische Befund auf die /itiologie bzw. die Gleichheit des anatomischen Bildes in versehiedenen Fallen auf die gleiche Atiologie (Josephy) schliei~en. Was folgt nun aber aus alledem ? Etwa, dab wir der noeh nicht erkannten spezifischen Art der Genese bzw. J~tiologie der Rindenveranderungen das Spe- zifisehe, das wir in der hypophrenen St6rung erblicken, zuzuschreiben berechtigt seien? Meines Erachtens ware ein solcher SchluB durchaus willkttrlich; womit aber wieder nicht etwa behauptet sein soll, daB dieser Zusammenhang mit Sicher- heir ausgeschlossen werden kann, sondern nur, dab auch mit dem Hinweise auf die offenbar spezifische Genese der l~indenveranderungen die Annahme, daft die hypophrene St6rung funktionellcr Natur und durch eine subcorticale Hypofunktion indirekt bedingt sei, keineswegs widerlegt werden kann. Es ist nicht einmal wahr- scheinlich, dab die Rindenveranderungen, welche die Defektdemenz machen, zugleich wahrend ihrer Entwicklung die hypophrene StSrung hervorrufen. Im allgemeinen sind ja eben doch die Fiille, welche in eine richtige Defektdemenz miinden, also die Falle, fiir welche ich die Bezeichnung Dementia praecox reserviert wissen m6chte, - - zu einem groBen Teile - - yon vorneherein nicht nur durch die Ten- denz zur Verbl6dung, sondern auch dutch ein relativ geringes Hervortreten der hypophrenen St6rung, und zwar auch sehon in friihen Stadien, charakterisiert, wahrend im Falle des Zutreffens jener Annahme gerade bei diesen ,,chronisch- progredienten" Fallen in anfanglichen Stadien um so sicherer fiir mehr oder weniger lange Dauer eine besonders deutliche Akzentuierung der hypophrenen Komponente zu erwarten ware. Wie Josephy zeigt, ist zwischen ,,Dementia praecox-Fallen mit und ohne Sehichtst6rungen im Cortex" zu unterscheiden. Da die hypophrene St6rung bei beiderlei Fallen in Erscheinung tritt, und zwar bei denen ohne Schicht- st6rungen sogar unter Umstanden deutlicher, weft nicht durch die VerblSdung ent- stellt, kann den Schichtst6rungen bzw. Zellausfallen und sklerosierten Zellen, praziser dem Prozesse, welcher zur Ausbildung dieser Rindenveranderungen fiihrt, wohl kaum die in Betracht kommende spezifische Bedeutung zugesehrieben werden, man miiBte denn annehmen, dab die hypophrene StSrung verschiedene anatomische ,,Ursachen", darunter eben jene SchichtstSrungen, haben kSnne, was ja freilieh auch wieder nicht sicher yon der Hand zu weisen ist. Viel wahrscheinlieher ist es aber m. E., dab weder in den Fallen mit SchichtstSrungen noch in denen ohne solehe, aber mit irgendwelchen anderen mehr oder weniger sieher mit der Dementia praecox in Beziehung stehenden Rindenveranderungen, namentlich mit der ,,Ver- fettung der Ganglienzellen im Cortex" (Josephy), die Veranderungen im Cortex es tiberhaupt sind, worauf die hypophrene StSrung beruht, dal3 wir in ihnen viel- mehr Zeichen der Wirksamkeit einer Noxe zu erblicken haben, die zugleich an an- derer, anatomisch - - im allgemeinen oder im besonderen - - weniger vulnerabler Stelle angreifend, die funktionelle hypophrene StSrung hervorruft. Art und Aus- maB der Rindenveranderungen mSgen im Einzelfalle yon der Natur und Intensitat der Noxe oder auch yon Anlagemomenten abhangen.

W e n n ich die Ansicht vertrete, es sei zwischen Schizophrenie und

Dement ia praecox zu unterscheiden, je nachdem die hypophrene StS-

rung rein vorliegt oder zugleich wahre VerblSdung (Entwicklung einer

Defektdemenz) im Gange ist, meine ich n icht auch, daft im Einzelfalle

in jeder Phase aueh die Differentialdiagnose mSglieh sei. Viele F/~lle,

nament l ieh hebephrener, chronisch katatonischer und einfach dementer

Art, sind ja schon friihzeitig als Dement ia praecox zu erkennen. Ander-

seits gibt es aber zahlreiehe F~lle, die lange Jahre als keinerlei Zeichen

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einer wahren VerblSdung aufweisende chronische Schizophrenien ver- laufen, um sich schlieBlich doch als wahre VerblSdungsprozesse zu ent- puppen. Darunter finden sich auger FMlen, die als Paranoia im alten Sinne erscheinen, und solchen, die jenen Formen, die Kraepelin als Paraphrenien abzutrennen versucht hat, zumindest nahestehen, hypo- chondrische, pseudoneurasthenische und pseudohysterische Fi~lle, sowie auch solche, die gewShnlich als , ,Degenerationspsychosen" angesprochen

werden. Eine Friihdiagnose der wahren VerblOdung ist, einstweilen wenigstens, nur auf Grund des psychischen Befundes nicht mSglich. Viel- leicht wird es einmal mSglich sein, somatische Kriterien daffir zu linden.

DaB die hypophrene StSrung noch welt in die fortschreitende Demenz hinein zur Geltung kommen kann, zeigen mehrere von den Formen, die Kraepelin als Aus- gange der Dementia praeeox heraushebt, so namentlich der ,,halluzinatorische Schwaehsinn". Gefehlt ware es aber, alle schizophrenen Charaktere eines ,,Aus- ganges" auf eine zur Zeit noeh fortwirkende, noeh aktuelle, hypophrene Kompo- nente zu beziehen. Viele schizophrene Ztige der Ausgange sind vielmehr in den VerblSdungszustand mit hiniibergenommene Ergebnisse der hypophrenen StSrung in frtiheren Stadien. Dies wird namentlieh fiir die charakteristischen Ziige der ,,manierierten VerblSdung" anzunehmen sein, die wohl der Hauptsaehe nach auf zur Zeit des Vorherrsehens der hypophrenen StSrung entstandene sekundare Automatismen zuriickzufiihren sind, desgleichen fiir den Hauptzug der ,,negati- vistischen VerblSdung", da wohl auch das ,,triebartige Widerstreben" als ein sekundarer (generalisierter) Automatismus [vgl. a)] zu betraehten ist, endlieh aber auch fiir die wescntl~chen Merkmale der ,,faseligen VerblSdung", da die Zer- fahrenheit und die unsinnigen Wahnideen bei diesem Typus zweifellos auf die patho- logischen Veranderungen zuriiekzufiihren sind, welehe das psyehische Inventar in seinem Inhalte und in seinem Gefiige zur Zeit der Aktualitat der hypophrenen StSrung erfahren hat. Die unsinnigen Wahnideen werden im Stadium der Ver- blSdung nicht hervorgebraeht, sondern nur immer wieder, zumeist in deutlich stereotyper Weise und Folge, vorgebracht. Gerade darauf kommt es auch an, wenn es gilt, die Zerfahrenheit eines VerblSdeten yon jener oft nicht mindergradigen Zerfahrenheit zu unterscheiden, die sich bei fortdauernder schwererer hypophrener StSrung ohne eigentliche Defektdemenz entwickeln kann. Immer la~t sich in Fallen letzterer Art noch eine gewisse Produktivitat, als Neubildung, Umformung, Aus- bildung, Neuordnung der Wahnideen erkennen, abgesehen davon, dab sich fast in der Regel eine gegen deren grasse Sinnlosigkeit in auffalliger Weise kontrastie- rende Geordnetheit und Verstandigkeit des Handelns konstatieren laBt.

I m Gebiete der Schizosen unterscheiden wir, um zu resumieren, klinisch zwischen Schizoid (einschliel~lich akuten und chronischen Schizoidophrenien), Schizophrenie (chronische Formen, akute Syndrome, schizophrene Reaktionsformen) und Dementia praecox. Es handel t sich nun uni die Frage, ob diesem klinischen Unterschied auch ein geno- typischer entspricht, bzw. welches Verhaltnis in genotypischer Hinsicht zwischen den drei Gruppen sonst besteht. Der ErSrterung dieser Fragen mui~ m. E. die Feststellung vorausgehen, dal~ yon keiner der angeftihrten drei Schizosegruppen angenommen werden kann, dal~ sit als patho- genetisch und noeh weniger, dab sie als genotypisch einheitlich anzusehen

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Beitr~ge zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 641

sei. Was zunt~chst die Gruppe der Schizoide betrifft, werden wir die , ,verkappten Schizophrenien" yon vornherein auszunehmen haben, da selbstversttmdlich kein Grund vorliegt, fiir sie einen anderen Genotypus oder andere Genotypen in Erwtigung zu ziehen als ffir die voll aus- gebildeten Schizophrenien. Die iibrigen Schizoidformen aber lassen sich zum groI3en Teile einstweilen vie] zu wenig genau in ihrem Wesen erfas- sen, als da6 man ein halbwegs sicheres Urteil in der Frage ihrer patho- genetischen Grundlage ft~llen und damit eine Unterlage ffir die Beurtei- lung ihres genotypischen Verht~ltnisses untereinander und in weiterer Folge zu den anderen Schizosegruppen gewinnen kSnnte. Eine Aus- nahme bildet m. E. das Schizoid, welches sich nach meiner Auffassung als Hyperphrenie (apperzeptive ~';bererregbarkeit) darstellt. Da dieses Schizoid, wie ich zu zeigen versucht babe, der psychische Ausdruek der Anlage zur Schizophrenie ist, wird es in genotypischer Hinsicht mit der Schizophrenie zusammenzulegen sein, bzw. mit der korrespondierenden Schizophrenieform. Die Gruppe der Schizophrenien im engeren Sinne kann nttmlich w i d e r nicht vorweg als genotypisch einheitlich genommen werden. Selbst wenn meine Annahme der subkortikalen Genese der hypophrenen Sttirung fiir die Gesamtheit der Schizophrenien zutreffen sollte, bliebe immer noch die MSglichkeit, da6 die Hypofunktion des subkortikalen Organes, das den Antrieb im psychokortikalen Appara t herstellt, nicht immer auf einem A,dagedefekt dieses Organes beruht, sondern in gewissen Ft~llen durch die Einwirkung einer chemischen Noxe (endotoxische Substanz, hormonale Disfunktion bzw. Disharmonie) auf das normal angelegte Organ bedingt ist, was namentlich fiir gewisse rezidivierende und vielleicht auch periodische, unter dem mehr oder weniger ausgesprochenen Bride einer Intoxikat ion verlaufende Fttlle anzunehmen sein diirfte. Dann ist es aber auch wahrscheinlich, dal~ es zweierlei Gruppen von Schizophrenie-Genotypen gibt, yon denen die eine jenen Anlagedefekt, die an@re die konstitutionelle Grundlage der Produktion einer der in Betracht kommenden Noxen bedingt 1). Was end-

1) Darum halte ich es auch flit verkehrt, yon einem ,,Merkmal Schizophrenie" odcr ,,Merkmal Dementia praecox" zu reden. Und daran wiirde ich auch fest- halten zu mtissen glauben, wenn es sich herausstellte, dab nicht nur ,,der Grol~teil der F~lle durch psychopathologische Besondcrheiten zusammengehalten" wird [Kahn14)], sondern dal~ auch immer (lie gleiche GrundstSrung vorliege, ja auch dann, wenn bewiesen w~re, da~ diese GrundstSrung immer auf denselben psycho- cerebralen Funktionsdefekt zu beziehen w~re. Erst dann, wenn es sich ergttbe, da[~ dieser psychocerebrale Defekt auch immer in der gleichen Weise erbkonsti- tutione|l begrtindet sei, etwa in einer minderwertigen, die Abiotrophie bedingenden Anlage des psychocerebralen Systems oder eines bestimmten Anteiles desselben, erst dann wiirde ich die Bezeichnung als Merkmal, die ja erbbio]agisch gemeint ist, gerechtfertigt linden, und dann auch trotz aller ,,Ung]eichartigkeit der vielen Krankheitsbilder". Denn, wie Kahn richtig ausftthrt, ist ,,der Phtinotypus nicht die unmittelbare Auswirkung des Genotypus, sondern er erw~chst aus dem Zusammen-

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. XCVL 41

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lich die Dementia praecox in dem von uns abgegrenzten Sinne anbelangt, wird davon auszugehen sein, dab bei ihr der zu organischer Demenz ffihrende ProzeG in der Ri~wle yon wesentlicher Bedeutung ist, w~hrend der subcorticale Anteil des psychocerebralen Apparates an den krank- haften Ver~nderungen offenbar nicht unbedingt beteiligt sein mug und auch jenen Anlagedefekt nicht an sich zu haben braucht, den ich ffir die eine biologische Gruppe der Schizophrenien annehme. Davon, ob eine solche Ver~nderung oder ein solcher Defekt vorliegt, und yon dem Aus- maB der Beeintr~chtigung der Funktion, welche gegebenenfalls daraus resultiert, diirfte es vor allem abh~ngen, ob und in welchem MaBe im speziellen Falle zur Zeit des Einsetzens und im weiteren Verlaufe des Ver- blSdungsprozesses die hypophrene StSrung in Erscheinung tri t t , ob und in welchem MaBe also das Krankheitsbild in diesen Zeiten das charakte- ristische schizophrene Gepr~ge erhalt. Auch die Dementia praecox in unserem engeren Sinne sind wir nicht ohne weiteres als genotypisch einheitlich anzusehen berechtigt. Auf der einen Seite scheint es F~lle zu geben, die rein konstitutionell begrfindet sind, ffir die also mit voller Berechtigung yon einer Anlage zur Dementia praecox, im pr~zisen Sinne einer Krankheitsanlage (vgl. I. Teil dieser ,,Beitr~,ge"), gesprochen wer- den kann, auf der anderen Seite aber finden wir F~lle, ffir welche die Annahme n~her liegt, dab ihnen konstitutionell nur eine Disposition (vgl. 1. c.) zugrunde liege und dab an ihrer Genese auGerdem noch ge- wisse ~ul~ere Faktoren (Krankheitsfaktoren) beteiligt seien. Es kSnnte sein, dab die Fi~lle ersterer Art konstitutionell yon letzteren nur dadurch verschieden sind, daG bei ihnen auger dem Defekt der Hirnanlage noch eine weitere Konstitutionsanomalie, etwa im Bereiche der inneren Se- kretion, vorliegt, welcher dieselbe Rolle zuf~llt, wie bei letzteren dem ~tuGeren Krankheitsfaktor. Es ist aber auch mSglich, daG es sich bei ersteren nur um eine grSBere Anlagequantit~t des Hirndefektes handelt und aus diesem Grunde die Krankhei t auch ohne Mitwirkung eines wei- teren Faktors entstehen kann.

Bei der Zweifelhaftigkeit und, wie gesagt werden muG, hSchst ge- ringen Wahrscheinlichkeit der erbkonstitutionellen Einheitlichkeit jeder einzelnen Gruppe der Schizosen ffir sich ist es yon vornherein nahezu aussichtslos, fiber das konstitutionelle VerhMtnis der drei Grup. pen zueinander generell ins Reine zu kommen. Was zun~chst das Ver- hi~Itnis ,,des Schizoids" zu ,,der Schizophrenie" betrifft, glauben sich

wirken seiner genotypischen Grundlage mit der Umwelt", und dann ist der Geno- typus der Schizophrenie ,,eingeschlossen in eine ganze Anzahl yon anderen Geno- typen oder genotypischen Komplexen, mit denen zusammen er den Gesamt- genotypus des Individuums bildet, und yon deren wiederum durch ihre Beziehungen zur Umwelt modifizierten Auswirkungen eine Fiille yon Einfliissen auf ihn zu wirken scheinen" (Kahn).

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einige der neuesten Autoren dessen sicher sein zu k6nnen, dab zwischen beiden sozusagen eine erbbiologische Z/~sur zu machen sei, indem es des Hinzutrittes der Wirkung eines neuen Erbfaktors bediirfe, um aus dem Schizoid eine Schizophrenie hervorgehen zu lassen. Ich halte diese An- nahme fiir durchaus unbegrtindet und zumindest nicht ftir allgemein zutreffend. Ffir die Schizoidform, welche ich herauszuheben versucht habe, m6chte ich sie strikte ablehnen. Ob es eine andere Schizoidform gibt, fiir die sie etwa zutreffen k6nnte, weiB ich nicht. Jedenfalls miif3te die M6glichkeit ihres Zutreffens fiir jede einzelne Form erst besonders erwogen werden. Wir haben durchaus kein Recht, sieher darauf zu rechnen, dab der Ph~notypus, im allgemeinen und im Kreise der Schi- zosen im besonderen, dem Genotypus auch in dem Sinne ausnahmslos entsprechen m/isse, dab ,,unvollkommene" Erseheinungsbilder, als welche man ja die Schizoidie betrachten m6chte, auf ebenso unvoll- st/~ndige Genotypen, vollkommene Erscheinungsbilder, d . h . die der Schizophrenie bzw. Dementia praecox, auf vollstandige Genotypen schlieBen lieBen. Womit keineswegs bestritten werden soll, daI~ es auBer vollst~tndigen auch unvollsti~ndige Schizose-Genotypen gebe, - - ihre Existenz ist vielmehr durchaus wahrscheinlich --, sondern nur betont sein soll, dab wir unbedingt mit der M6glichkeit rechnen miissen, dab der Ph/~notypus auch bei vorliegendem vollstf~ndigem Genotypus iiberall dort, wo es sich nicht um ein sozusagen von Haus aus fertiges Merkmal, sondern um eine erbkonstitutionelle vorge- zeichnete Entwicklung handelt, wie dies ja fiir die Schizophrenie zutrifft, diese Entwicklung -- mangels der fiir ihren weiteren Fort- gang erforderlichen inneren oder iiuBeren Bedingungen -- in einer anfi~nglichen Phase, so hier in der des Schizoids, stecken bleiben k6nne. Dabei darf selbstverst~tndlieh wieder nicht iibersehen werden, dab es doch immerhin zu einem Teile auch am Genotypus gelegen sein kann, ob der Einzelfall mehr Aussicht hat, als Schizoid erhalten zu bleiben oder sich zur Schizophrenie weiter zu entwickeln, wird doch den ,,vollstEndigen" Schizose-Genotypen, und zwar auch denen yon gleieher Anlagequalitdt ihrer Teilfaktoren, nicht durchgehends die gleiche Anlagequantitdt eigen sein.

Auf Grund solcher Uberlegungen vertrete ich die Ansicht, dab -- wenigstens grunds~ttzlich -- an die Stelle der wohl fein ausgekltigelten, aber eben auch nur rein spekulativen Scheidung von unvollstitndigen Schizoid-Genotypen einerseits, einem vollsti~ndigen Schizophrenie- Genotypus anderseits, die Unterscheidung einer Mehrzahl yon Geno- typen, die zu einem Teile in gleicher Weise sowohl dem Schizoid, als auch der Schizophrenie zugrunde liegen und nur je nach Anlagequalit~t und Anlagequantit~t in verschiedenem MaBe zur vollen Entfaltung in der Schizophrenie treiben, zu treten habe.

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644 J. Berze :

Die Unterscheidung zwischen mehreren Schizophrenie-Genotypen, verschieden nach Anlagequalitat und -quantit~t der Komponenten, wird durch mehrere Tatsachen nahegelegt, die zum Teil noch keine rechte Beachtung gefunden haben. Zuni~chst mui~ es auffallen, dai~ manche Schizosefamflien reich sind an Schizoiden neben ausgesprochen Sehizo- phrenen, w~hrend es in anderen keine Sehizoiden, sondern nur Schizo- phrene und geistig Gesunde gibt. Ersterenfalls handelt es sich offenbar um Genotypen, zu deren w)ller Realisierung es des Zutreffens gewisser innerer oder ~ul3erer Bedingungen bedarf, so dab es also bei der unvoll. st#indigen Realisierung bleiben kann, wi~hrend in Fi~llen letzterer Art Genotypen vorliegen, deren volle Realisierung von solchen Bedingungen nicht abhi~ngig ist. Fiir diese Annahme m6chte ich mich um so mehr aussprechen, als naeh meiner Erfahrung auch zwischen dem Charakter der Vollpsychose im schizoidreichen Familien einerseits, in schizoid- armen anderseits gemeinhin ein unverkennbarer Unterschied besteht. Neben Schizoiden linden sich in der Regel vorwiegend oder ausschlieB- lich Schizophrene in dem yon mir gemeinten Sinne, wogegen die F~ille, welche in sehizoidarmen bzw. schizoidfreien Familien auftreten, fast ausnahmslos als Dementia praecox im engeren Sinne charakterisiert sind. Dies bestimmt mich auch vor allem zur Annahme, dab in erb- biologischer Hinsicht die, wie ich sage, schizoid -- schizophrene Gruppe der eigentlichen Dementia praecox gegeni~berzustellen sei. -- DaB es mehrere Schizophrenie-Genotypen gebe, ist aber auch darum wahrscheinlich, weil -- ich habe darauf schon vor 15 Jahren (2) hingewiesen -- die Er- scheinungsweise und der Gesamtverlauf der Psychose bei Personen aus einer und derselben Familie oft eine weitgehende (~bereinstimmung aufweist und sich dureh irgendwelche mehr oder weniger typische Einzelzfige auszeichnet, die man gewiB nicht durchweg oder auch nut vorwiegend auf genische Nebenfaktoren zu beziehen berechtigt ist. Das Vorkommen yon sogenannten Suieidfamilien unter den Schizose- familien ist schon lange bekannt. Manchmal mag da ja ein manisch- depressiver Einsehlag im Spiele sein. Es ware aber m. E. ein allzu billiges Auskunftsmittel, die Annahme eines solchen Einschlages auf alie Fami- lien der genannten Art auszudehnen, und wird man, namentlieh wenn sich nicht auch bei einzelnen Familiengliedern, die v o n d e r Schizose frei sind, ein manisch-depressiver Zug erkennen l~Bt, eben eher an eine Eigentiimliehkeit des betreffenden Schizose-Genotypus selbst denken miissen, in der zugleich die ~ngstlich-depressive F~rbung der Psychose bedingt ist, welehe in der Regel das die Selbstmordneigung unterhaltende Moment ist. Umgekehrt sehen wir in manchen Familien ein ausgespro- chen ,,pseudomanisches" Wesen der Psychose oder einen auff~lligen Wechsel zwisehen pseudomanischen und stuporartigen Phasen. -- Wahrscheinlich handelt es sich auch dann, wenn in einer Schizosefamilie

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Beitrlige zur psyehiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 645

mi t auffi~lliger Regelmiil~igkeit BewegungsstSrungen im Symptomenbi lde

der Psychose erscheinen, um einen eigenartigen Genotypus, der aul3er

dem Anlagedefekt , weleher die Schizophrenie i iberhaupt begrfindet,

vielleicht auch noch eine erhOhte Vulnerabiliti~t des striopallidi~ren

Systems ergibt, oder um einen Genotypus, der eine kOrperliehe StOrung

bedingt , aus der sich die Produkt ion einer Noxe ergibt, die auBer der

Schiidigung, welche die schizophrene StSrung begrtindet, auch noch

eine Sch~idigung des striopaledi~ren Systems zu setzen vermag.

Josephys Fall Wolf zeigte im Beginn der Beobachtung ,,sehwere katatone Symptome, Flexibilitas cerea usw., die im Verlaufe etwas mehr zuriickgetreten sind", und hat wi~hrend der ganzen Jahre ,,eine gewisse Steifigkeit und Manieriert- heit der Bewegungen und wohl auch eine ziemliche Regungslosigkeit der Mimik beibehalten". ,,Doch haben nie irgendwelche Symptome einer organischen Er- krankung im engeren Sinne, vor allem auch nicht die eines Parkinsonismus, be- standen". Bei der mikroskopischen Untersuchung des Gehirns haben sieh sowohl Veriinderungen im Cortex als aueh im tieferen Grau gefunden. Die letzteren ,,beschr~nken sich auf das Pallidum, erreichen aber ein AusmaB, das fiber das, was sich bei den bisherigen F~llen in dieser Gegend gefunden hat, ganz erheblich hinausgeht". Josephy meint annehmen zu diirfen, dab ,,die Erkrankung des Palli- dums bier kein unwesentlicher, fiir die Klinik bedeutungsloser Nebenbefund ist", sondern dab ,,gewisse, seit vielen Jahren bestehende Symptome des Falles dureh die Pallidumerkrankung zu erkliiren sind", n~tmlieh die Symptome, die ,,der SCarre der Pallidumkranken sehr ~hnlich sehen", und sieht den Fall als reeht beweis- kr~ftig ffir die MSglichkeit an, dab ,,gewisse Symptome der Dementia parecox, speziell die Katatonie, extracortical sind". Was die Frage betrifft, ob die Pallidum- erkrankung im Falle Wolf in irgendeiner Beziehung zur Dementia praecox steht, erkl/~rt Josephy, dab man bei vorurteilsfreier Deutung des Falles wohl ,,Rinden- und Pallidumerkrankung auf dieselbe Noxe zuriickffihren" werde und sich die Annahme nicht verschlieBen k6nne, dab ,,es sich nur um zwei verschiedene Lokali- sationen des gleichen Prozesses handelt, der sieh klinisch in einer Dementia praecox mit starker Unterstreichung motorischer Symptome im Sinne einer Akinese doku- mentiert hat". - - GewiB, die MOglichkeit ist nicht yon der Hand zu weisen, dab es auf die Eigenart der yon Josephy vermuteten ,,Noxe" zuriiekzufiihren sei, dab im Falle Wolf auBer der Rinde auch das Pallidum erkrankte. Aber kann man nicht, wo doch yon einem Nachweise einer spezifischen Noxe einstweilen keine Rede sein kann, ebsnsogut annehmen, dab die Miterkrankung des Pallidum auf eine konstitutionelle Infirmiti~t desselben, d.h. auf eine Besonderheit des Genotypus zurtickzuftihren sei, welche diese Anomalie, die sozusagen ein Augment der ge- wShnlichen Schizophrenie-Anlage darstcllte, mit hervorgehen lieB ? Erbbiologisch w~tre diese Frage vielleicht zu entscheiden.

Kleist ver t r i t t seit neuerem die Ansicht , dal~ die Schizophrenien mit

den systematischen Neuropa th ien (Heredodegenerationen) in Analogie

zu setzen und also als psychische Sys temerkrankungen aufzufassen seien.

,,Sie beruhen wahrscheinlich auf der Wirksamkei t endotoxischer Sub-

stanzen, die eine elektive Affiniti~t zu jeweils bes t immter Gehirn-

systemen 1) haben ." Beili~ufig, so meine ich es auch. Doeh mul3 ich an-

1) Namentlich unter Berufung auf Kleist wird jetzt aueh nicht selten yon verschiedenen psychischen Systemen gesprochen, - - in dem Sinne verschiedener

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nehmen, dab der Grol3teil der verschiedenen ,,psychischen System- erkrankungen", die da in Betracht kommen, doch eine weir innigere ,,biologische Einheit" bildet als die verschiedenen heredofamili~tren Erkrankungen des 2qervensystems, selbst wenn ich daran denke, dab die ,,unitarische Auffassung der heredofamili~ren Syndrome" (nament- lich KoUarits, zit. nach Jul. Bauer), die ,,Erkenntnis der biologischen Einheit der heredodegenerativen Abiotrophie" (Jul. Bauer) richtig sein kSnnte. Denn mag aueh die Abiotrophie bei gewissen Schizophrenien auch noch andere, und zwar nicht immer die gleichen cerebralen Par- t ialsysteme mitbetreffen, so ist doch aller Wahrscheinlichkeit nach das Betroffensein eines best immten Partialsystems allen jenen Schizophrenen gemeinsam, bei denen es sich iiberhaupt um eine Anomalie der Hirn- anlage spezifischer Art handelt. Die eben vorgebrachte Einschri~nkung ist m. E. notwendig, so lange wir nicht ausschliel3en kSnnen, dal3 es auch Schizophrenien gebe, deren konstitutionelle Grundlage nicht in einer cerebralen, sondern in einer extraeerebralen Anomalie besteht und so lange wir nicht wissen, ob eine erbkonstitutionelle Anomalie iiberhaupt zur Entstehung einer Schizophrenie unbedingt erforderlieh ist.

Zusammen/assung und vorlgu/ige Schluflbemerlcungen. Untersuchun- gen nach Art der vorliegenden mtissen ergeben, dal~ manche yon den Vor- aussetzungen, von denen man namentlich in der letzten Zeit bei dem Studium der Vererbung der Schizosen ausgegangen ist, durchaus proble- matisch, andere geradezu unhaltbar sind.

Vor allem haben wir kein Recht, die Gruppe der Schizophrenien von vornherein als erbkonstitutionell einheitlich anzusehen. Wahrscheinlich gibt es vielmehr eine betriichtliche Anzahl von Schizose-Genotypen, darunter einfache und zusammengesetzte. Dal~ die Dementia praecox im allgemeinen ,,kein monohybrides Merkmal zu sein seheint" (Riidin), wird ja zuzugeben sein; abet', daI3 sie nieht dennoch unter Umst~nden auch dureh einen einfachen Erbfaktor bedingt sein kOnne, kann um so weniger behauptet werden, als nicht einmal feststeht, dal3 diese Krank-

cerebraler Partialsysteme, von denen ein jedes eine besondere psychische Funktion habe. Kleist spricht aber meines Wissens nur von verschiedenen Gehirnsystemen. Nach meiner Auffassung gibt es nur eine einzige, einheitliche psychische Funktion, der auch nur ein Gehirnsystem, n/imlich das psychocerebrale, wie man es am besten nennt, entsprieht. Was es sonst an Gehirnsystemen gibt, ist motorischer oder sensoriseher Natur. Aus AuBerungen maneher Autoren w/ire zu entnehmen, dail sie die Affektivit/it als eine Funktion ansehen, die einem besonderen ,,psychischen System" zuzuschreiben w/ire. Aber die Affektivit/it ist als Allgemeinreaktion des KSrpers zu betrachten, und die Affektivit/it im engeren, im psychischen Sinne, ist sozusagen nur ein Ausschnitt aus dieser Allgemeinreaktion, welcher jene Reak- tionen umfaBt, mit denen das psychocerebrale System daran beteiligt ist, erstens indem seine eigene Funktion im Sinne der FSrderung oder der Hemmung beeinflu[~t wird, zweitens indem ibm die Eindriicke, welche aus den ,,1)hysiologischen Be- gleiterscheinungen" resultieren, zu gehen.

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Beitrage zur psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 647

heir nur erbbedingt, bzw. nur rein erbbedingt, auftreten kSnne. Der maggebende einfache Erbfaktor kOnnte vor allem nach der Anlage- quanti t~t variieren, aber aueh nach der Anlagequalit~t, wissen wir doch auch nicht, ob wir uns diesen Erbfaktor direkt cerebral oder extra- cerebral sich auswirkend zu denken h~tten, ob wir das Wesentliehe der Erbanlage also etwa in einer konstitutuonellen Hinf~lligkeit gewisser Hirnsysteme, bzw. eines bestimmten Hirnsystems, oder in konstitutionel- len Anomalien anderer Organe zu suchen h~tten, welche geeignet w~ren, z. B. auf dem Wege der Produktion oder der gest6rten bzw. verzSgerten Tilgung oder Ausschaltung biochemischer Noxen eine best immt geartete Hirnsch/~digung zu bedingen, oder ob vielleicht beides in Betracht komme. Handel t es sich aber in der Regel, wie die Autoren wahrschein- lich gemacht haben, um eine Mehrzahl von Erbfaktoren, so mtiBte man gar mit einer geradezu uniibersehbaren Ftille von Variations- und Kom- binationsm6glichkeiten rechnen x).

Ferner stellt sich die Annahme, dab der Schizoidformen durchwegs unvollstdndige Schizophrenie-Genotypen (d. h. Anlagen, in denen einer oder der andere , ,Dementia praecox-Bestimmer" oder ,,-Erg~nzer" fehlt oder durch Rezcssivit~t an der Entfal tung gehindert ist) zu- grunde liegen, als durchaus willkfirlich heraus. Es trifft ja zweifellos nicht zu, dab sich im Falle der Schizosen der Ph~notypus in diesem Sinne unbedingt mit dem Genotypus decken m/isse. Die volle Realisie- rung gewisser Schizophrenie-Genotypen ist vielmehr offenbar von Be- dingungen abhangig, bleibt daher mangels dieser aus. In diesem Falle kOnnen sich trotz ,Vollst/~ndigkeit" des Genotypus Psychopathien der verschiedensten Art ergeben, und zwar sowohl solche, die ,,schizoide" Z/ige aufweisen, als auch solchc, ftir die dies nicht zutrifft, schizoide und nichtschizoide Psychopathien.

Ebensowenig kann, wie bereits angedeutet worden ist, die Annahme, dab den Schizophrenieformen durchwegs vollstgndige Genotypen zu- grunde liegen, als gesichert gelten. Es ist unerwiesen, dab zur Ent- stehung einer richtigen Schizophrenie die Disposition, welche in einem

1) Trotz alledem w/~re es m6glich, dab unter den Genotypen, die Schizophrenie zu bedingen vermSgen, einer ist, der alle anderen an H/~ufigkeit des Vorkommens iibertrifft, dab es also eine genisch einheitliche Hauptgruppe unter den Schizo- phrenien gibt. Wenn dann die sichere Feststellung des diesem Genotypus eigen- tiimlichen Erbganges gel/~nge, k6nnte man mit Kahn daran denken, ,,aus der groBen Ftille von Erkrankungen, die uns zun/~chst klinisch als Schizophrenien imponieren, alle diejenigen auszuscheiden, die nicht dem dargestellten Erbgang entsprechen, und Bezeichnung und Begriff der Schizophrenien auf die immer noch sehr groBe Gruppe zu beschr/inken, die erbbiologisch charakterisiert ist", - - womit man allerdings den Stiel umgedreht und aus der Frage nach der genotypischen Zusammengeh6rigkeit der Schizophrenien diese Zusammengeh6rigkeit zu einer ,,Bedingung ftir das Vorliegen einer Schizophrenie, fiir die Stellung der Diagnose Schizophrenie gemaeht" haben wiirde (1. c. S. 134).

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,,unvollstandigen" Genotypus gegeben sein kann, als erbkonstitutionelle Grundlage nicht geniige, da~ dazu vielmehr noch ein weiterer Erbfaktor erforderlich sei, als ,,Dementia praecox-Erganzer", das ist als Krank- heitsfaktor, welcher den die Disposition begrtindenden Genekomplex zur vollen Krankheitsanlage erganzt. Nichts spricht dagegen, dab dieser genische Erganzer durch einen Faktor anderer Art ersetzt werden kOnne. Die Frage vor allem, ob wir in dieser Hinsicht nicht etwa Keimsch~digun- gen eine gewisse Bedeutung zuzuschreiben haben, ist noch nicht ge- klartl). Es ist selbstverst~ndlich unzulassig, ,,vollkommen hypothetische Keimschadigungsvorg~nge in genealogisch angelegte ErSrterungen hin- einzuziehen" (Kahn); ebenso unzulassig ist es aber, bei derartigen Er- 5rterungen fiber jene Vorgange, so ,,hypothetisch" sie auch sein mSgen, im Streben nach mSglichst baldigen Ergebnissen der Vererbungsforschung einfach hinwegzusehen, bevor sie sich als belanglos erwiesen haben. Aber abgesehen yon der M6glichkeit, da~ eine unv.ollst~ndige Erbanlage durch konkurrierende Keimsch~digung sozusagen zu einer vollst~,ndigen angeborenen (nicht ,,eingeborcnen") Anlage ausgebildet wird, mul~ immer bedacht werden, da[t den Krankheitsfaktor vielleicht auch ein oder der andere exogene Faktor, der erst spater im Leben einwirkt, abgeben kann.

Wenn so weder den Schizoidformen immer unvollstandige, noch den Schizophrenieformen immer vollstandige Genotypen entsprechen mfissen, f~,llt jeder zwingende Grund dafiir weg, einen generellen genotypischen Unterschied zwischen Schizoid und Schizophrenie anzunehmen. Es ist freilich mSglich, ja wahrscheinlich, daI~ die ,,Unvollstandigkeit" des Phanotypus gelegentlich auf einer ,,Unvollstandigkeit" des Genotypus

- - namentlich wird da an Unvollstandigkeit aus unterma[~iger Anlage- quantitat zu denken sein -- beruht. Aber als die Regel wird man dieses Verh~ltnis nicht ansehen kSnnen, und mit ihm, wie mit einer sicheren Tatsache zu rechnen, ist zweifellos falsch.

Das nachste Interesse der Vererbungsforschung auf dem Gebiete der Schizosen ware es, dariiber Sicherheit zu gewinnen, was es denn eigent- lich ist, was da vererbt wird (Bleuler). Die Psychopathien und Psycho- sen dieser Gruppe sind durch psychische Erscheinungen charakterisiert, die wohl auf bestimmte GrundstSrungen weisen mSgen, keineswegs aber die Natur der genotypisch bedingten Anomalien direkt erkennen lassen, welchen die Genese jener GrundstSrungen zuzuschreiben ware. Wahr- scheinlich wird es uns auf dem Wege psychopathologischer Zergliederung allein auch niemals gelingen, fiber die psychischen GrundstSrungen hinaus bis zu diesen ,,vererbbaren Anomalien" vorzudringen, wird uns vielmehr erst die grfindliche Erforschung der kSrperlichen Konstitution, wenn ihre Methoden entsprechend ausgebildet sein werden, allenfalls

1) Von diesen und anderen cinschl~gigen Fragen wird in einer sp~teren Arbeit ausftihrlicher die Rede sein.

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Beitrage zur psychiatrisehen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung. 649

dazu verhelfen kSnnen. Bis dah in aber werden wir im Dunke ln t a p p e n und werden Schizosen zusammenwerfen, die m6glicherweise auf die

verschiedensten ve re rbba ren Anomal ien zu beziehen sind, denen also auch die verschiedens ten Geno typen zugrunde liegen k6nnen l ) . Diese I r r t f imer g~nzlich auszuschlieBen, wird uns selbst dann k a u m gelingen,

wenn wir uns da rauf verlegen, den Erbgang der Schizosen in einzelnen

Fami l i en m6gl ichst genau zu erfassen und sodann nur die Schizosen

zusammenzulegen, deren Erbgang sich uns im wesent l ichen gleich dar -

stel l t . Denn Gleichhei t des Erbganges l~13t bei so kompl iz ie r ten Phano-

t y p e n wie die Schizophrenien noch lange n ich t den b indenden Schlul~

auf Gleichhei t des Geno typus zu, wenn auch ihre Wahrsche in l i chke i t in diesem Fa l le zweifellos grol3 ist. I m m e r h i n werden wir bei solchem

Vorgehen gr6bste I r r t f imer vermeiden k6nnen. An Be t r ach tungen fiber die A r t des Verh~ltnisses der Schizoid-

zu den Sch izophren ie -Genotypen wird m a n - - mi t einer gewissen Zu-

vers icht , auf fes tem Grund zu bauen - - erst gehen k6nnen, wenn aul3er- dem die Frage , ob und inwieweit das Ausma[3 der Real i s ie rung der in

Be t r ach t k o m m e n d e n Geno typen von Bedingungen abh~ngig ist, von

guBeren Bedingungen ( , ,Umwel t fak toren") , sowohl wie von inneren

(anderen E rban l age fak to r en von f6rdernder oder hemmende r Wirkung)

1) Kahn (1. c.) fiihrt aus: ,,Wir sehen in jedem Fall von Schizophrenie ein tiber- aus komplexes Gebilde, dessen Struktur wit kennenlernen wollen; wir mtissen zu- nachst den Phanotypus zergliedern immer uater Betrachtung der Erbtafel und machen bei dieser Zergliederung vorl/~ufig halt, wenn wir einfachere, hhnliche oder gleiche Ph~notypen in der Erbtafel finden." Wir machen ,,halt", weil ,,wir noch nicht so welt sind, jeden Ph~notypus so restlos zu zergliedern, dab wir ge- wissermaBen den ,,primitiven Ph~notypus" in der Hand haben, dessen Zusammen- hang mit einem primitiven Genotypus uns erlauben wiirde, den gesuchten Erb- gang, wie wir uns ausdriickten, ,,glatt abzulSsen". Wir diirfen der Erkenntnis nieht ausweichen, dab wit nur vorl~ufige Ergebnisse gewinnen, dab die Genotypen, auf die wir schliel3en, vielleicht noeh sehr komplex sind, und da[~ uns dadurch der Einblick in dis letzte biologische Gesetzm~iBigkeit noch lange versehlossen bleibt. Weiters ist aber m. E. noch zu bedenken, da[t wir selbst dann, wenn es uns gel~nge, wirklich primitive Genotypen auf diesem Wege zu erschliel3en, damit noch immer nicht zugleich die Gew~thr h~tten, dal~ die uns einheitlieh erscheinenden primi- tiven Ph~notypen auch genotypisch einheitlich seien. Die Einheitlichkeit des PhAno- typus, und sei er noch so primitiv, spricht verlhl31ich nut ftir Einheitlichkeit der GrundstSrung, nicht aber zugleich fiir die Einheitlichkeit der Anomalie, in der diese begriindet ist. Diese Anomalie aber, ihre Erbbedingtheit vorausgesetzt, ist es erst, was einem erbliehen ,,Merkmal" entspricht. Des ,,pathoplastisehen Beiwerks" (Birnba~tm) nach MSglichkeit entkleidet, stellen sieh nach meiner Auffassung viele Schizophrenien als Erscheinungsformen der primaren Insuffizienz der psy- chischen Aktivitat dar. Ein noch primitiverer Ph~notypus ist kaum denkbar. Aber diese Insuffizienz k6nnte auf die verschiedensten Anomalien, auf unmittel- bar cerebrale, aber auch auf verschiedene extracerebrale mit Rtickwirkung auf das psychocerebrale System, zurtickzufiihren sein. Und erst mit diesen Anomalien waren die Genotypen in Beziehung zu bringen.

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eine zureichende Klarung erfahren haben wird. Wit werden ja Kahn zuzustimmen haben, wenn ihm ,,die Annahme der rein zufallsmaBigen Pathogenese der Schizophrenie (sc. bei schizoiden Pers6nlichkeiten) unvereinbar scheint mit allen Erfahrungen der Klinik an denjenigen schizophrenen Erkrankungen, an deren ProzeBhaftigkeit kein Zweifel ist". Auch kann Kahn mit Recht sagen, dab wir ,,den Nachweis, dab schizophrene ProzeBpsychosen bei schizoiden Pers6nlichkeiten einfach unter den AuBeneinflfissen entstehen k6nnen, nirgends erbracht sehen". Anderseits ist aber, wie ja yon Kahn zugegeben wird, auch die Meinung, dab die schizophrene Destruktion immer ,,auf einer besonderen genischen Reprasentation" (sc. aul~er der ,,Anlage zu Schizoid") beruhe, nicht be- wiesen und kann die Meinung, dab die Schizophrenie gelegentlich ,,ledig- lich eine Steigerung des Schizoids" darstellt, ,,eine Steigerung, die dann zum mindesten in der Hauptsache auf die Wirkung yon konstellativen und Milieufaktoren zu beziehen ware", keineswegs abgewiesen werden. Man k6nnte zunachst annehmen, daB manche von den Schizoiden, welche als ,,verkappte Schizophrenien" (Bumke) aufzufassen sind -- ich m6chte sie/alsche (Pseudo-) Schizoide nennen --, in der Tat durch den EinfluB derartiger Faktoren zu voller Entfaltung gebracht werden k6nnen. Ffir hSchst wahrscheinlich halte ich es ferner, dab das Hervor- gehen der Schizophrenie aus dem von mir gezeichneten apperzeptiv iibererregbaren Schizoid bzw. der Hypophrenie aus der Hyperphrenie, nicht selten auf Milieufaktoren --, vor allem ware m. E. an psychische Traumen zu denken -- zuriickzufiihren sei. M6glicherweise gibt es auch noch andere echte Schizoide, ffir die das gleiche gilt. Und endlich mag es ja auch Schizoide geben, die durch das Wirksamwerden eines ,,neuen Keimfaktors" (Ho//mann), der bis dahin latent war, im langsamen, stetigen oder im,,treppenartigen" Anstiege ihren ,,l~bergang" in die Schizophrenie erfahren. Jedenfalls kann von einem einheitlichen genotypischen Ver- haltnisse zwischen Schizoid und Schizophrenie nicht die Rede sein.

Auch die Frage, ob die Dementia praecox in dem von mir gemeinten engeren Sinne, d. h. die Gruppe der Schizophrenieformen, bei welchen sich ein RindenprozeB, der zu echter organischer Demenz fiihrt, voll- zieht, eine genotypische Sonderstellung einnimmt, wird kaum ent- schieden werden k6nnen, bevor wir wissen, ob nicht etwa bei der Ent- stehung gerade dieser Formen auch nicht erbliche Faktoren eine wesent- liche Rolle spielen.

Kahn nimmt bekanntlich an, dab ,,in der Schizophrenie zwei An- lagen stecken", namlich die ,,Anlage zu Schizoid" und die ,,Anlage zur schizophrenen ProzeBpsychose". Die ,,schizophrene Destruktion" fiihrt er auf letztere Anlage zariick, wahrend er auf erstere die allen Schizoiden und Schizophrenen eigene Erscheinungsform der ,,psych- asthetischen Proportion" bezieht. Ist die ,,schizophrene" Destruktion

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nun aber wirklich an sich schon ein Moment, das einer eigenen ,,genischen Unterlage" bedarf? Besteht die Tendenz des (3berganges vom ,,Reiz zur Lahmung" nicht fiberall, wo es sich um eine fiberempfindliche, iiberverletzliehe Anlage handelt ? Wozu also diesen ~bergang auf einen besonderen Faktor beziehen ? Oder gar den ~bergang yon einem Schi- zoid, das, wie so viele, eigentlich schon eine (verkappte) Schizophrenie ist, zur ausgesprochenen Schizophrenie, woes also sicher nur um eine Steigerung des schon gesetzten Defektes handelt ? Da ist es wohl m. E. eher noch einleuchtend, jene Rindenveranderungen, welche die echte organische Demenz der Dementia praecox im engeren Sinne ergeben, auf einen besonderen Faktor, unter Umstanden auf einen besonderen Erbfaktor, zuriickzufiihren, welcher eine Verminderung der Wider- standsfahigkeit der Rinde gegen bestimmte Noxen bedingt. Also noeh nicht die schizophrene ,,Destruktion", die mir vielmehr im Wesen der schizoid-sehizophrenen Anlage an sich sehon konstitutionell zureichend begriindet erscheint, sondern erst jene organische Destruktion der Rinde, welche der Dementia praecox im engeren Sinne eigen ist, mag in gewissen Fallen eine besondere genische Grundlage haben, die vielleicht auch isoliert, d. h. ohne Kombination mit der schizoid-schizophrenen Anlage gegeben sein kann und sich dann wohl als einfache (d. h. nicht als schizo- phren charakterisierte) VerblSdung realisieren diirfte. Anderseits wird es aber wahrscheinlich auch echte Dementia praecox geben, die sich genotypiseh nieht blo$ durch ein Plus an Faktoren yon der schizoid- sehizophrenen Gruppe unterseheidet, sondern genotypisch iiberhaupt etwas ganz anderes ist als die letztere. Wie gro$ aber der Teilsatz der Dementia praecox (ira engeren Sinne) mit bereits genotypisch vorgezeich- neter organischer Demenz iiberhaupt ist, in welehem VerhMtnisse er zu dem der FMle steht, in welchen die organische Demenz etwa auf den Einflul~ bzw. auf den Miteinflu$ aul~erer Faktoren zu beziehen ist, last sich einstweilen noch nicht ermitteln.

So begegnen wir auf dem Gebiete der Sehizosen bei der genotypischen Einschatzung der EinzelfMle, sehon was die sozusagen zentrale klinisehe Gruppe der Sehizophrenien, noch mehr aber, was die beiden aul~ersten Fliigel der Schizosenreihe, die Schizoide auf der einen Seite, die Formen der wahren Dementia praecox auf der anderen SeRe betrifft, betraeht- lichen Schwierigkeiten. Einstweilen ist noch nicht abzusehen, ob es gelingen wird, sie zu iiberwinden. Hoffen dtirfen wi res nur, wenn wir uns darauf verlegen, ,,m6glichst viele gut durchgearbeitete grof3e Einzelfamilien" zu sammeln und sorgfMtig zu gruppieren, was ja auch Riidin jiingst wieder (20) als den sehnlichsten Wunseh des Mendel- Forschers erkli~rt hat 1).

~) R~din bekundet einen kraftvollen Optimismus, wenn er (1. c.) sagt: ,,Es muff sich ja durch umfassende Zusammenstellung identischer Erblagen unbedingt

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652 5. Berze : Beitriige z. psychiatrischen Erblichkeits- u. Konstitutionsforschung.

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mit der Zeit ergeben, wie groB die Erbkraft der verschiedenen Sehizoiden und Schizo- phrenien, mit und ohne Abhangigkeit yon AuBenfaktoren, ist, wie sich die domi- nanten zu den exzessiven Momenten verhalten, und wie ferner der genotypisehe Gehalt anderer Psychosen oder verschiedener Psychopathien in den betreffenden Sippen demjenigen der Schizophrenien gleichkommt." Meine Zuversieht ist wesent- lich geringer. Die ,,Manifestationsschwankungen" infolge Beeinflussung durch andere genische Faktoren, welche bei den Schizosen offenbar in hohem MaBe in Betracht kommen, scheinen mir die Beurteilung der Erblagen hinsichtlich ihrer Identit~t und damit auch die ,,umfassende Zusammenstellung identischer Erblagen" ungemein zu erschweren. VSllig identische Erblagen wird man h(iehst. selten finden. Fast immer gibt es Abweichungen. Darum erhebt sieh die schwierige, aber wichtige Frage, innerhalb welcher Grenzen Erblagen als ,,identisch" anzu- nehmen wi~ren. Theoretisch, mit, Zuhilfenahme verschiedener Hilfshypothesen, k~me man zweifellos auch bei recht weit gezogenen Grenzen zurecht. Aber je weiter diese Grenzen, desto zweifelhafter der Wert des Ergebnisses der Untersuchung, - - je enger, desto k~,rglicher das Material.

1) Ges. bedeutet: Zeitsehr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie.