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XIX. Beimlg zur Behandlung der gangr';in isen Hernien und des vdder- natih'lichen Ariel's,') YOII :Dr. Carl Koch in iN0.rnberg, In den letzten 2 Jahren, seitdem ich racine Praxis in Ntirnberg er~ffnet babe, hatte ich Gelegenheit 9 Herniotomien auszuttihren, die alle, mit Ausnahme eines gleich zu erwtthnenden desolaten Falles, vollsttindig gtinstig verliefen. Zweimal bin ich dabei gangrRnSsen Darmbrtichen begegnet. Die Krankengeschichten der letzteren sind tblgende: 1. Frau B..., 60 Jahre alt, vollst~ndig decrepit. Die Einklemmung bestand seit 2 Tagen, als ieh die Kranke in Behandlung bekam. Ieh land eine linksseitige 8ehenkelhernie yon HiihnereigrOsse; die Haut tiber der- selben bereits 0dematOs und ger0thet. Eine Incision entleerte aus dem Unterhautzellgewebe, alas nebst dem Bruchsack sehon gangr~int)s zerfallen war, und aus dem letzteren selbst missfarbigen tibelriechenden Eiter. Die vorliegende DUnndarmsehlinge war in toto blauroth verfiirbt und stark in- filtrirt; an der stitrksten Convexit~it derselben land sieh eine fast mark- sttiekgrosse gelbgrau verfiirbte Stelle, die vom Epithel entblOsst war und naeh Durehtrcnnung des einklemmenden Ringes wie eine schlaffe Membran unter alas ~iveau der sic umgebenden infiltrirten Darmwand einsank. Ich liess die Darmschlinge aussen liegen und befestigte sie mit einigen b~ihten. Das Operationsfeld wurde grtindlich mit einer 1 pro Mille SublimatlOsung desinficirt und ganz locker ein Verband mit 8ublimatgaze applicirt. Am 2. Tage nach der Herniotomie trat Perforation und am 3. Tage vollst~indige Abstossung tier gangr~tnSsen Pattie ein. Die Wu,~de begann yon da an gut zu granuliren. Weder Fieber noeh peritonitisehe Erscheinungen com- plicirten den Verlauf und doch erfolgte am 9. Tag der Tod dutch zuneh- menden Marasmus. 2. Frau M ..., 45 Jahre alt, gut gen~ihrt. Die Einklemmung bestand bereits 5 Tage, als ieh am 27. December 1884 gerufen wurde. Ieh fand 1) Naeh einem Vortrag, gehalten am 1. October 1885 im ~rztlichen Localver- ein zu Niirnberg.

Beitrag zur Behandlung der gangränösen Hernien und des wider-natürlichen Afters

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Beimlg zur Behandlung der gangr';in isen Hernien und des vdder- natih'lichen Ariel's,')

YOII

:Dr. Carl Koch in iN0.rnberg,

In den letzten 2 Jahren, seitdem ich racine Praxis in Ntirnberg er~ffnet babe, hatte ich Gelegenheit 9 Herniotomien auszuttihren, die alle, mit Ausnahme eines gleich zu erwtthnenden desolaten Falles, vollsttindig gtinstig verliefen. Zweimal bin ich dabei gangrRnSsen Darmbrtichen begegnet. Die Krankengeschichten der letzteren sind tblgende:

1. Frau B . . . , 60 Jahre alt, vollst~ndig decrepit. Die Einklemmung bestand seit 2 Tagen, als ieh die Kranke in Behandlung bekam. Ieh land eine linksseitige 8ehenkelhernie yon HiihnereigrOsse; die Haut tiber der- selben bereits 0dematOs und ger0thet. Eine Incision entleerte aus dem Unterhautzellgewebe, alas nebst dem Bruchsack sehon gangr~int)s zerfallen war, und aus dem letzteren selbst missfarbigen tibelriechenden Eiter. Die vorliegende DUnndarmsehlinge war in toto blauroth verfiirbt und stark in- filtrirt; an der stitrksten Convexit~it derselben land sieh eine fast mark- sttiekgrosse gelbgrau verfiirbte Stelle, die vom Epithel entblOsst war und naeh Durehtrcnnung des einklemmenden Ringes wie eine schlaffe Membran unter alas ~iveau der sic umgebenden infiltrirten Darmwand einsank. Ich liess die Darmschlinge aussen liegen und befestigte sie mit einigen b~ihten. Das Operationsfeld wurde grtindlich mit einer 1 pro Mille SublimatlOsung desinficirt und ganz locker ein Verband mit 8ublimatgaze applicirt. Am 2. Tage nach der Herniotomie trat Perforation und am 3. Tage vollst~indige Abstossung tier gangr~tnSsen Pattie ein. Die Wu,~de begann yon da an gut zu granuliren. Weder Fieber noeh peritonitisehe Erscheinungen com- plicirten den Verlauf und doch erfolgte am 9. Tag der Tod dutch zuneh- menden Marasmus.

2. Frau M . . . , 45 Jahre alt, gut gen~ihrt. Die Einklemmung bestand bereits 5 Tage, als ieh am 27. December 1884 gerufen wurde. Ieh fand

1) Naeh einem Vortrag, gehalten am 1. October 1885 im ~rztlichen Localver- ein zu Niirnberg.

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Behandlung der gangrhnOsen Hernien und des widernatttrlichea Affers. 363

eine wallnussgrosse Bruchgeschwulst der rechten Leistengegend. Sofortige Herniotomie. Nach ErStthung des Bruchsackes entleerte sich eine Menge eitrig-jauchiger Fltissigkeit, die mit zahlreichen Fibringerinnseln untermischt war. In das Oemenge eingebettet fand sich eine kleine Dtinndarmschlinge, all deren grSsster Convexit~tt eine etwa markstiickgrosse Partie gangr~tnOs war; yon derselben getrennt zeigte sich noch eine zweite streifenfOrmige, etwa der Gr6sse ether B~)hne entspreehende brandige Stelle, die durch directeu Druck des schntirenden Ringes selbst hervorgcrufen war. lch fixirte den Darm, den ich noch etwas vorgezogen hatte, vor der Bruch- pforte durch einige Nithte, desinficirte mit 1 pro Mille SublimatlSsung und [egte einen Sublimatgazeverband an. Am 3. Tage Pertbration der brandigen Theilc; die Abstossung derselben erfolgte erst naeh 8 Tagen, und zwar be- traf dieselbe eine welt grtissere Strecke, als man ursprtinglich hatte ver- muthen kOnnen; es gingen gewiss zwei Dritttheile der Circumferenz der vorliegenden DarrrJschlinge verlorcn. Im Uebrigen war der Verlauf vol[- st~tndig fieberlos und ganz ohne Reaction seitens des Peritoneum. Nnr wurde die Kranke viel dutch l~tstige Ekzeme, die sich fiber das ganze Ab- domen und den reehten Oberschenkel verbreiteten~ geplagt. In der ersten Zeit magerte auch die Kranke ziemlich ab, erholte sich abet nach Verlauf einiger Wochen wieder sehr gut, so dass ihr Ern~thrungszustand durchaus nichts zu wtinschen tibrig liess. Kaum 6 Wochen naeh der tterniotomie war die Schleimhaut des Darmes iiberall mit der ii.usseren Haut narbig vereinigt; es hatte sich ein sehr stark vorspringendes Promontorium aus- gebildet und das zuftihrende obere Darmstiick stiilpte sich oft fingerlang aus der 0effnung hervor. - - Mitre Februar 1885 dachte ich nun an die Beseitigung des widernatfirlichen Alters und nahm zuuiichst den Sporn mit- telst der D u p u y t r e n ' s c h e n Darmscheere in Angriff. Dreimal musste ich sic fiberhaupt anlegen. Das erste Mal geschah es am 20. Februar, das zweite Mal am 11. April und das dritte Mal am 8. Mat. Das zwischeu den Seheerenbranehen befindliche nekrotisehe Sttick hatte das erste Mal eine LRnge von 5 Cm., die beiden iibrigen Male eine L~tnge von 3 Cm.~ so dass im Ganzen etwa 11 Cm. abgeklemmt wurden. Nut die erste Application der Scheere war yon heftigen Reizungserscheinungen (kolikartigen Leib- schmerzen und wiederhoitem Erbreehen) innerhalb der ersten 24 Stunden gefolgt~ die anderen Male ging es nut mit etwas Leibweh ab. Die Darm- scheere fiel immer nactl einem Zeitraume yon 7 - - 1 0 Tagen ab; bevor ich sic von Neuem anlegte, liess ich jedesmal erst vSllige Vernal'bung der Sehleimhautwunde eintreten. Ende Mat schien mir das Darmlumen welt genug geworden und ich plante nun, am 8. Juni die letzte tiand anzulegen - - den Verschluss der AfterSffnung herbeizuftihren. Als Vorbereitung traf ich folgende Anordnungen. Die Patientin durfte 24 Stunden vor der Ope- ration gar nichts ausser ganz klarer Fleischbriihe und Milch geniessen; sie erhielt am Abend 20 Tropfen Tinct. opii simpl, und ein gleiches Quantum 1:2 Stunde vor Beginn der Operation. Ein Klystier hatte noeh am Tage vor derselben das Rectum yon einigen alten Kothmassen gereinigt. Aus- spiilungen des Darmes vonder Fistel0ffnung unmittelbar vor der Operation unterliess ich aus bestimmten Griinden. Der Verlauf der Operation war nun folgender. Nachdem die Kranke chloroformirt war, umsehnitt ich zu- niichst ringsum den durch die Vereinigung der Sehleimhaut und der iiusseren

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tlaut gebildeteu narbigen Ring und suehte die serSse Flliehe des Darmes und des Bruchsackrestes, die mit einander verwaehsen waren, stumpf zu trennen. Es gelang mir das verh~,tltnissmiissig leicht, nur an zwei Stellen hatte ieh nStbig~ festere Strange nach doppelter Unterbindung mit der Scheere zu durchsehneiden. Unter stumpfem Priipariren arbeitete ich reich also bis zur Bauchh6hle vor, und nachdem ieh mit dem in dieselbe einge- ftibrten Finger eonstatiren konnte, dass alle Adbitsionen geliist waren, zog ich den Darm ganz heraus. Es zeigte sicb, dass der zwischen zu- und abfiihrendem Darmrohr gelegene Theil des Mesenterium sehr stark ge- schrumpft war; beide Darmenden lagen nabezu parallel aneinander. Ich trug den narbigen Ring an der DarmSffnung, den ich anfiinglich hatte stehen lassen, mit der Seheere ab und ging zur Darmnaht tiber. Dicse legte ich in der Langsriehtung des Darmes mit Seide, und zwar in zwei Etagen nach C z e r n y ' s Methode an. Es waren zum v611igen Verschluss der Darmwunde circa 40 Niihte erforderlich. Wi~hrend der Operation waren nur ein paar ganz kleine KothbrSckel mit etwas glasigem Schleim hervor- gedrlingt worden; sie konnten leieht, ohne dass sie mit der Serosa in Be- rtihrung kamen, weggewischt werden. Nach Beendigung der Naht wurde der Darm noch einmal mit 1 pro Mille Sublimatl6sung abgewaschen und reponixt. Das Peritoneum wurde im Bereiche der Bruchpforte durch die fortlaufende bTaht geschlossen. Endlich wurden die iiusseren Weicbtheile durch einige tiefgreifende und eine Reihe oberfliichlicher ~ahte vereinigt. Ein kurzes Drainrohr sorgte for den Abfluss der Secrete. Al~tiseptiscber Verband (Sublimatgaze).

Abendtemperatur 38,0, Puls 10S, voll. 9. Juni. in der ~Nacht mehrmals Erbrechen (Chloroform?). Morgentem-

peratur 37,6, Puls 92. Leib unempfindiicb, leichter Icterus tiber den gan- zen K0rper. Subjectives Wohlbefinden. Unter Tags kein Erbrechen mehr. Abendtemperatur 38,2, Puls 104.

10. Juni. In der Nacht Menstruation eingetreten. Morgentemperatur 37,6, Puls S8. Icterus intensiv. Verbandwechsel, Entfermmg der Drainage und der meisten zNithte. Ekzem in der Umgebung der Wunde.

11. Juni. In der Nacht zum ersten Mal Flatus abgegangen. Morgen- temperatur 37~3, Puls 88, Abendtemperatur 37,3, Puls 84.

12. Juni. Morgentemperatur 37,2, Puls 92; Abendtemperatur 37,2, Puls 88.

13. Juni. Morgentemperatur 37,0, Puls 88; Abendtemperatur 37,4, Puls 92.

14. Juni. Morgentemperatur 36,8, Puls SS. Nachlassen des Icterus. Nachmittags fltissiger Stuhlgang, vorher 2 Stunden miissiges Leibweh.

18. Juni. In den letzten Tagen stets normaler Puls und normale Tem- peratur. Heute Morgen geformten Stubl ohne jede Beschwerden.

Von nun an regelte sieh der Stub]gang so, dass alle zwei Tage eine Entleerung stattfand. Aus dem Ubrigen Verlauf ist nur noch Weniges nach- zutragen. Die Wunde heilte vollsliindig prim. int. Die Diiit wurde in der Weise geordnet, dass Patientin in den ersien Tagen nur li~ffelweise Milch, Wein und Fleischbrtihen erhielt. Gegen den Durst wurden Eisstiickchen gereicht. Ausserdem wurden Nahrungsclysmata applicirt, bestehend in star- ken Fleischbrtlhcn mit Ei und Wein. Nach Verlauf yon 3--4 Tagen wur-

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den weiche Eier gestattet; festere Substanzen, wie Fleisch, Schinken, Bred u. s.w. erst, nachdem der Stuhlgang in Ordnung war. In den erstcn Tagen wurde vom Opium ausgiebig Gebrauch gemacht, Patientin erhielt tliglich 60 bis 70 Tropfen Tinct. op. siml)l.

Die t~,ranke crholte sich im Ganzcn sehr rasch and versorgte nach wenigen Wochen wieder ihren Haushalt. Sie trligt, seitdem sie das Bett verlassen hat, ein Bruchband; aber trotzdem driingt sich, wie ieh mieh vor Kurzem iiberzeugen konnte, schon wieder der Bruch etwas vor.

Die VerSffentliehung der beiden Krankengeschiehten, namentlieh der letzteren, hMt ieh deshalb fiir angezeigt, weil beztiglieh tier Be- handlung der gangritniisen Hernien und des Anus praeternaturalis ftir manehe Fragen eine definitive Entseheidung noeh nieht gegeben ist. Zur vNligen Klarlegung derselben ist meiner Ansieht naeh er- forderlieh, dass alle einsehliigigen Fiille, mSgen sie naeh der einen ocler anderen Methode behandelt sein und miigen sie einen gtinstigen oder ungUnstigen Verlauf genommen haben, publieirt werden.

Was nun zun~iehst die Frage anlangt, wie wit uns bet der Brueh- operation brandigen oder des Brandes verdaehtigen Hernien gegen- tiber verhalten sollen, so ist dieselbe noeh eine strittige. Der alten Methode der Anlegung des widernattirliehen Alters ist in der Neuzeit die prim~tre Darmreseetion im sofortigen Ansehluss an die Herniotomie gegentibergestellt. Die durehtrennten Darmenden sind sogleieh dureh die Naht zu vereinigen und zu reponiren~ und die Bauchhtihle ist dutch Niihte zu sehliessen. Dieses letztere Verfahren grtindet sieh auf die Erfolge der Antiseptik und die gerade in den letzten Jahren besonders ansgebildete Teehnik der Darmoperationen; es erstrebt, den ganzen Krankheitsverlauf mtigliehst kurz zu gestalten und sotbrt die normalen Passageverh~iltnisse ftir den Koth im Darm wiederher- zustellen~ mithin alle jene Missliehkeiten, die der Anus praeternatu- ralis mit sieh bringt, zu verhiiten.

Vergegenwiirtigen wit uns alle dieselben, bedenken wit das fort- wiihrende Besehmutztwerden des Kranken dutch den unaufhaltsam ausfliessenden Koth, die dadureh bedingten liistigen, oft weithin tiber den Ktirper sieh verbreitcnden Ekzeme, die Sttirung tier Ernahrung, die vorzugsweise bet hoehsitzender FisteRiffnung in Betraeht kommt, bertieksiehtigen wir ferner die ftir den Kranken wenig triistliehe Aus- sieht, dass, will er anders yon seinem traurigen Leiden befreit sein, el" sieh noeh naehtr~igliehen eingreifenden Operationen unterziehen muss, - - so werden wit gewiss in der prim~iren Darmreseetion mit der sofortigen Darmnaht, die mit einem Eingriff unleugbar all diese Unannehmliehkeiten zu umgehen vermag, das idealste Verfahren er- blicken mtissen. Sicherlieh wtirdeu wit uns gegebenen Falles stets

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ftir dasselbe entscheiden, wenn wir bezUglich der Erhaltunff des Lebens tin mindestens ebenso gUnstiges Resultat als mit der einst- weiligen Anlegung des widernattirlichen Alters und dessen nachtrag- lieher Beseitigung erwarten dUrften. Dem ist aber leider nicht so. Ueberaus gliinzend erseheinen zwar die Erfolge in einzelnen der publicirten Falle yon Darmresection bet gangr~in(isen Hernien~ im Grossen und Ganzen aber lehren uns statistische Berichte, dass die Mortalitiit bet diesem Verfahren erheblich griisser ist; sic lehren uns ferner, dass trotz der primaren Darmreseetion sieh in vielen F~illen nachtriiglich doch noch ein widernatUrlicher After~ resp. eine Koth- fistel ausgebildet hat. Wenn wit nun bedenken, dass es sieh in diesen letzteren F~llen um eine Ruptur des genKhten reponirten Darmes handelt, so kiinnen wi re s nur einem glticklichen Zufall zu- schreiben, dass der Kothaustritt naeh aussen und nieht ins Peritoneum erfolgte~ und dass mithin nicht auch in diesen Fallen das letale Ende eintrat. So kommt es denn, dass erst in den letzten Jahren wieder sich gewiehtige Stimmen gegen die Berechtigung der Darmresection bet gangr~tn~isen Hernien erhoben haben. Ich erinnere z. B. an v. B erg- m a n n ' s Vortrag: ,Zur Behandlung des widernattirlichen Alters" 1), und verweise ferner auf die ausftihrliche Arbeit R e i c h e l ' s : ,,Casui- stische Beitr~ige zur circuliiren Darmresection und Darmnaht." 2)

Die Grtinde, warum die Zahl der Misserfolge und der Todesfalle bet primi~rer Darmresection betrlichtlich grSsser ist, haben wir neben der Complicirtheit der mit der Herniotomie combinirten Operation in den ungUnstigen allgemeinen und loealen Verhi~ltnissen~ die wir beim brandigen Bruch vorfinden, zu suchen. Stets werden wit aueh bet ether noch so vollkommenen Operationstechnik mit denselben zu reehnen haben und so dUrfte auch nieht zu erwarten sein, dass die Resultate der prim~iren Darmresection im Allg'emeinen sich viel gtin- stiger gestalten werden als bisher.

Da ist zuv~rderst zu berticksichtigen, dass die Patienten infolge der langen Dauer der Einklemmunff meist schon ziemlich herabge- kommen und verfallen sind. Die Constriction des Darmes, die hef- tigen Schmerzen, das fortwahrende, sich bis zum Ileus steigernde Erbrechen, Alles das hat bereits einen llihmenden Einfiuss auf dis Herzkraft ausgeUbt. Wir erkennen das an der meist sehr elenden Beschaffenheit des Pulses. Zu dem kommen noeh die localen Entztin- dungserscheinungen, Temperatursteigerungen und manehmal Albumin-

1) Deutsche reed. Wochenschrift. 18S3. Nr. 1. 2) Diese Zeitschrift. XIX. Bd. 2. und 3. Heft.

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uric. Muthet man nun den Kranken, die durch Alles das bedeutend weniger widerstandsfahig geworden sind, noch eine complicirte Ope- ration, wie es die Darmresection ist, and eine langdaucrnde Chloro- fbrmuarkose zu, so kann es uns nicht Wander nehmen, wenn ein nicht gar kleiner Procentsatz bereits innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Operation unter den Erscheinungen des Collapses and Shocks erliegt.

Sind aber die ersten Gefahrcn des Collapses vortiher, so droht eine nieht minder gcf~hrliche Complication - - die septische Peritonitis. Schon w~hrend der Operation bietet sich zu einer Infection des Bauch- fells reichlich Gelegenheit. Wenn wit die Bruchoperation bet ciner g'angr~nSsen Hernie zu machen haben, so finden wir in den meisten F~illen bereits sehr erhebliche entztindliche Vcr~inderungen am and um den Bruch vor. Oit ist schon die Haut geriJthet and 5dematSs; das Untcrhautzellgewebe and der Bruchsack sind meist eitrig und jauchig infiltrirt oder gangri~nSs zerfallen, der Darm selbst entztindet and meist yon schmieriger, jauehigcr, graurSthlicher, manchmal fStidcr Fltissigkeit umsptilt. Mit einem Worte, wir haben es gewShnlich mit einer ganz abscheulichen localen Infection zu thun. Ziehen wit nun den zu rcsecirenden Darm noch welter aus dem Bruchkanal hervor und manipuliren wir mit demselbcn eine Stunde lang and l~inger, was nattirlich immer im Bcreiche der bereits septischen Wunde ge- schehen muss, so ist es ganz klar, dass trotz aller Vorsieht die Darm- wandungen mit der Jauche und mit dem Eiter in Begihrnng kommen mUssen. Wenden wir auch alle Sorgfalt an and ftihren wir den ganzen antiseptischen Apparat za Felde, so werden wit doch niemals im Stande sein, den einmal infieirten Darm wieder vollkommen zu desinficiren. Reponiren wir denselben, so laui~n wit stets Ge~ahr, auch septische Keime mit in die Bauchhtihle zu bringen, und die Peritonitis and deren Folgen sind unvermeidlich.

Ein zweites, das Zustandekommen der Peritonitis begtinstigendes Moment ist das Vordringen des Koths aus dem Lumen des durch- trennten Darmes, das Ueberstrtimen desselben tiber das Operations- feld and Eindringen desselben in die Bauchhiihle. Es ist erstaunlich, welch grosse Mengen yon Fiicalmassen meist oberhalb der strictu- rirten Stelle im zuftthrenden Darmtheile angehiiuft sind. Je praller die Anftillung ist, desto hitufiger wird uns, wenn einmal der Darm getiffnet ist, die peristaltische Bewegung den Inhalt tiber die Wunde hervorpressen; wit sind kaum im Stande, uns davor vtillig sieher zu stellen. Man hat zwar verschiedene Methoden zum provisorischen Abschluss des Darmes empfohlen and man hat dazu besondere In-

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strumente, Compressorien, ersonnen. Ich unterlasse es, hier dieselben eingehender zu beschreiben; sie haben sich alle als mehr oder we- niger unzuliinglich erwiesen. Und wUrde auch wiihrend der Operation die Zurtickhaltung der Kothmassen thatsiichlich bewerkstelligt werden k(innen, so wiirden dieselben doch nachher gegen die frische Naht- reihe andrlingen, die Sicherheit derselben gefiihrdend.

Ich komme somit auf einen weiteren sehr wiehtigen Punkt zu sprechen. Durchmustsrn wit die veriiffentliehtsn F~ille, so flillt uns auf, class eine grosse Zahl der Todesflille bedingt ist durch Perib- rationsperitonitis infolge Platzens der Raht. Es tr~igt meines Er- achtsns sicher die eben besprochene Anftillung des Darmes mit Koth ihren Tlmil bei; vielleicht mag aueh bei manehen der publieirten Fiills eine mangelhafte Technik der Rahtanlegung Sehuld gehabt haben. Der Hauptgrund aber ist wo anders zu suchen, niimlich darin, dass wir genSthigt sind, die Raht am erkrankten Darm anzulegen. Dauert die Incarceration liingere Zsit, so entwickeln sich, wie wir wissen, bald betriiehtliche CirculationsstSrungen und Entztindungserschsinun- gen am Darme. Wer 5fter liingere Zeit eingeklemmte Darmschlingen bei einer Bruchoperation zu beobachten Gelegenheit hatte, der weiss~ welch beiingstigenden Anblick dieselben bieten. Sis sind blauroth verfiirbt, ihre Wandungen 5demat(is durchtriinkt und mit zahlreicben Ekchymosen durchsetzt; dis gangriinSsen Partien sind ihres Epithels beraubt, grau- oder grtinschwarz oder gelblich verfiirbt, meist nach Durchtrennung des einklemmenden Ringes wis schtaffe Membransn unter das Riveau der starr infiltrirten Umgebung nach einwiirts sin- kend. Infolge der entzandlichen Infiltration wird das Gewebe sehr zerreisslich und briichig. Ylir selbst ist es fi'Uher einmal passirt, dass dsr anscheinend noch lsbensfiihige und reponirbars Darm bei einem ganz vorsichtigen Repositionsversuche einfach rupturirte. Es ist nun zwar richtig, dass der Darm oft reeht abel aussehen kann und sich da, wo er noeh nicht vollstiindig gangri~nSs geworden war, nach Beseitigung der Einklsmmung doch wieder erholen kann; aber eben- sogut steht die nachtriigliehe Gangriin der geschiidigten Darmpartie zu erwarten; ja es lehrt die Erfahrung, dass sis sogar oft an an- scheinend ganz lebensfiihigen Theilen in ungeahnter Ausdehnung ein- treten kann. So konnten wir z. B. bsi unserem oben besproshenen zweiten Fall beobachten, dass Partien der Darmwand, yon denen ich sicher geglaubt hatte, dass sie sich wieder erholen wtirden~ nach- tri~glich nekrosirten. Wir sind somit ausser Stands, die Grenzs der spiiteren Demarcation des Brandes mit Sicherheit vorauszubestimmsn. Bleibt absr bei der Operation jsnseits der Resectionsschnitts Darm-

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gewebe, das irgendwie noeh Neigung zur Gangranescenz hat, zurtiek, so wird dies vor Allem im Bereiche der Nahtlinie sich geltend machen. Denn die complicirte Naht, wie sie die Darmrescction er- fordert, tibt an und ftir sieh schon einen nachtheiligen Einflass attf den in seiner Ernahrung so sehr beeintriichtigten und der Erholung bedtlrf- tigen Darmtheil aus. Sind wir ja doeh bei der Darmnaht genSthigt, Sutur an Sutur in dichten Reihen anzulegen. Dadurch mtissen aber unzweifelhaft die in die Nahtlinie falleaden, ohnehin sehleeht er- n~hrten Gewebe des Darmes gehindert werden, ihre gest~rten Cireu- lationsverh~iltnisse wieder auszugleichen. Und so haben wir stets zu gewirtigen, dass die Wundriinder einer partiellen oder totalen Nekrose anheimfallen, die sleh unter Umstanden noeh welter auf die angrenzende Darmwand ausbreiten kann. Die Folgen davon sind Durchbrueh der gangritnSsen Theile~ Austritt yon Koth in die Baueh- hi3hle und Peritonitis.

Das Eintreten der Gangran an den Wundrandern naeh der Re- section kann aber noch dadureh begiinstigt werden, dass wir bei dieser Operation meist gen~thigt sind, Theile aus dem Mesenterium mit wegzunehmen. M a d e lun g hat uns dureh seine experimentellen Forsehungen dargethan, wie empfindlich schon der normale Darm gegen AbRisungen des Mesenterium yon seiner Wand reagirt, wie leicht es darnaeh zur Infarcirung und zur Gangran am Darme kommen kann. Am entztindeten Darm, an dem tiberdies betr~iehtliehe Cir- eulationsstSrungen bereits vorhanden sind, wird sich all Das noch welt eher geltend machen. Und so ist denn jede Lostrennung des Mesenterlum, auch wenn sie nur auf eine kurze Strecke zu geschehen hat, nieht ohne Gefahr fUr den betreffenden Theil der Darmwand, vor Allem fur den Bereieh der Nahtlinie.

Um das fatale Ereigniss der Perforationsperitonitis durch Ruptur des reponirten gen~hten Darmes infolge naehtri~glieher Gangri~n zu verhtiten, hat man vorgeschlagen (S chede), die reseeirte und genlihte Schlinge aussen liegen zu lassen, wenn noeh einigermaassen ein Gan- gri~neseiren derselben zu befiirchten ist. Ich kann darin keinen be- sonderen Vortheil gegentiber der tempor~ren Anlegung des wider- nattirliehen Afters erblieken. Denn aueh ieh glaube, dass das Aussen- liegenbleiben des gen~hten Darmes die Bildung einer Kothfistel beg|instigt, und dass wir somit den Kranken unn~thigerweise die ftir ihren geschwRehten Allgemeinzustand keineswegs gleichgtiltige Operation der Darmresection und Darmnaht zumuthen.

Wenn wir nun alle die eben gesehilderten ungtinstigen VerhNt- nisse bei gangr~ntisen Hernien bertieksiehtigen und wenn wit die

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daraus ftir die Darmresection sich ergebenden grossen Gefahren roll wiirdigen, so mtissen wit auch folgcnde yon R e i c h e l aufgestellte Satzc vollkommen anerkennen und untersttttzen:

,Die Darmnaht darf nur an gesundem und yon seinem In- halt mSglichst befi'eiten Darme ausgefUhrt werden. Daher sind die ga n g r ~ n 5 s e n H e r n i e n, Darmtumoren ~ Darmverschluss als In- dicationen ftir die Darmresection mit folgender Darmnaht fallen zu lassen. An die Stelle letzterer soll die Anlegung eines Anus prae- tcrnaturalis treten, der secundiir durch die Darmnaht zu schlies- sen ist."

Ich muss gestchen, weder frUher, noch auch in meiner jetzigen Praxis bin ich je in Versuchung gekommen, bet gangriinSsen Hernien primiir zu reseciren; stets habe ich den widernattirlichen After an- gelegt mit der Absicht, denselben spiiter operativ zu beseitigen. Dass in dem oben mitgetheilten crsten Falle der Tod, noeh ehe an eine zweite Operation gedacht werden konnte, an zunehmendem Maras- mus erfolgte, kiinnte uns den Gedanken nahe legen, ob nicht bet dem Mangcl anderer Ursaehen die durch die Kothfistel beeintr~ich tigte Erniihrung viel zu dem letalen Ende beigetragen habe, und ob nicht vielleicht die Kranke durch sofortige Resection und Naht des Darmcs hiitte gerettet werden kiJnnen. Wir mtissen dem gegentiber hervorhebcn, dass dcr Kriifte- und Erniihrungszustand der Kranken zur Zeit der Herniotomie ein derart elender war, dass sie einen so sehwcren Eingriff, wie die Darmresection und Darmnaht, wohl nicht einmal so l'ange Uberlebt hi~tte. Ueberhaupt glauben wir, dass die Gefahr dcr Inanition beim Anus praetcrnaturalis nicht so sehr zu ftirchtcn ist, als man das zu thun pflegt. Wo sie eintritt, da handelt es sich wohl meist schon um elcnde, wenig widerstandsfiihige Indi- viduen und wtirden diese zur primiiren Darmresection unserer An- sicht nach erst rccht nicht gecignet seth. Bet weniger herunterge- kommenen Personcn wird bet ordentlicher kriiftigender Diiit der Er- nlihrungszustand verhiiltnissmlissig wenig leiden. So hat sich z. B. unsere zweite Kranke, bet der wohl anfanglich, wie ich glaube, in- t'olge der in der ersten Zcit beschri~nkten Diiit Abmagerung eintrat, sehr rasch wieder erholt, sobald sie wieder reiehlichere ~Tahrung zu sich nehmen durfte; ja cs hat sich bet ihr ein ganz ordentlicher Pan- niculus adiposus entwickelt. Somit kSnnen wir auch in der zu ftirch- tenden Inanition ~eine Contraindication ftir die einstweilige Anlegung des widernattirlichen Afters erblicken.

Was nun die Operation zur Bcseitigung des Anus praeternaturalis betrifft - - yon der der Kothfistel wollen wir nicht wetter sprechen,

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sie ergibt sich ja dann yon sclbst - - , so kSnnen wit auf dreierlei Weise zu Werke gehen:

1. Wir zerstSren den Sporn mittelst der Dupuy t ren ' s chen Darm- scheere und suehen dann den Verschluss der abnormen Oeff- nung dureh Cauterisationen, Anfrisehung mit dem Messer, Lap- penbildung, AblSsen und N~ihen der Schleimhaut u. s.w. an- zustreben; oder

2. wir reseciren den Darm in seiner Continuitiit, eventuell mit einem Keil aus dem Mesenterium, und appliciren die Darmnaht. Darauf Reposition der gen~thten Darmschlinge und Verschluss der BauehhShle; oder

3. wit behalten die Zersti~rung des Spornes mit der Darmscheere als Voroperation bei und ni~hen dann die angefrisehre Oeffnung des aus der BauehhShle hervorgezogenen Darmes. Darauf gleichfalls Reposition des Dames und Naht der Bauchwunde.

Wenn wir vor die Nothwendigkeit gestellt sind, ftir einen gege- benen Fall zwischen den genannten Methoden zu wi~hlen, so haben wir uns ft~r die zweckm~tssigste zu entscheiden. Als solehe aber ist diejenige anzusprechen, welche in mSglichst kurzer Zeit unter mSg- lichst gel'ingen Gefahren t'tir das Leben des Kranken den normalen Zustand am Darm wieder herzustellen vermag. Die erste der drei Methoden gehSrt der vorantiseptischen Zeit an; trotz ihrer relativen Ungefahrlichkeit entspricht sie ihres langwierigen Vcrlaufes und ihres unsicheren Erfolges wegen nicht den Anibrderungen, die wit heutzu- rage an ein Operationsverfahren stellen. Sie dUrfte darum nur in Ausnahmef~llen in Betraeht kommen. Von den beiden tibrigen wtirde die Continuit~itsreseetion, die nur in einem einmaligen Eingriff be- steht, bei Weitem den Vorzug vor der letzten, die die Application der Darmseheere als Voroperation nSthig maeht, verdienen, wenn sie nieht gefiihrlieher w~tre. Die grSssere Gefiihrliehkeit liegt hier wie- der in der Complieirtheit der Operation. Wir brauehen nur an die gleiehzeitige Verletzung des Mesenteriums und die diffieile Naht zu erinnern. Nun ist es ja riehtig, dass die Verhi~ltnisse, unter welehen wir die seeund~tre Resection beim Anus praeternaturalis vorzunehmen h~itten, unvergleiehlieh viel gtinstigere sind, als wir sie far die pri- m~re im Anschluss an die Herniotomie bei gangr~nSsen Brttehen haben. Das Allgemeinbefinden der Kranken ist ein viel besseres; herzsehw~tehende Momente sind nieht direct vorausgegangen und lie- gen aueh nieht vor; die localen EntzUndungserseheinungen in den iiusseren Weiehtheilen und am Darm sind versehwunden, und es sind namentlieh die Circulations- und Ern~hrungsverhi~ltnisse des

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letzteren mittlerweile wieder normal geworden. Weiterhin verm~igen wir dutch Verabreichung yon Abftihrmitteln und Regelung der Di~t den Darm yon scincm Inhalte viJllig oder nahezu vSllig zu befreien. Es w~iren somit alle Vorbcdingungen, die uns einen gUnstigen Ver- lauf der Darmresection sichern k~nntcn, erftillt, und wir wtirden gegen dieselbe zum Zwecke der Bescitigung des widernattirlichen Alters nichts cinwendcn kiJnnen, wenn uns nicht das dritte oben angege- bene Verfahren durch seine Einfacheit und dadurch gesicherte gcrin- gere Gcf~ihrlichkeit noch mehr Vertrauen entgegenbriiehte. Haben wit n:,imlich zuniichst mittelst der Darmschecre den Sporn beseitigt, so bleibt uns nach Losl(isnng der Adh~isionen des Darmes nur noch die Anfrischung der Perforationsiiffnung seiner Wand und cine ein- fache Darmnaht tibrig. Das Mesenterium kommt also bet dem Haupt- acte dcr Operation gar nicht in Betracht, ein Vortheil, der gewiss nicht zu untersch~itzen ist. Denn eine Verletzung desselben dutch die Excision eines keilfSrmigen StUckes, wie es die Continuit~itsrescc- tion erfordert, ist schon wegen der Blntungen aus den Mesentcrial- gef~issen und der M~glichkeit ether nachtr~igliehen Gangr~n an den Wundriindern nicht glcichgUltig. Das Anlegen der Darmscheere da- gegen ist verh~iltnissm~ssig" ungefahrlich, wenn auch zuweilen sehr stUrmische, den Einklemmungserscheinungen iihnliche Symptome, wie heftige Leibschmerzen, Erbreehen u. s. w. darnach auftreten kSnnen. Dicselben lassen sich dutch Morphium, Opium u. s. w. mildern und werden nach einigen Tagen wieder rtickgangig. Nur in seltenen F~llen wurden ernstere Folgen dureh die Darmscheere beobachtet. H e i m a n n 0 hat unter 83 mit der D u p u y t r e n ' s c h e n Schecre be- handelten Fallen vier gefunden, bet denen tier Tod durch die Appli- cation dicses Instrumentes vcrursacht war. Zweimal war nlimlich Perforation und einmal diffuse Peritonitis nach dem Eingriff gefolgt. Meines Eraehtens kann man diese tiblen Zufiille nahezu ganz vermei- den, wenn man einigermaassen vorsichtig zu Werke geht. Ftirs Erste muss man, wie ich glaube, nach dem Anlegen des widernattirlichen Afters abwarten, bis tiberall vollst~indigc feste Vernarbung eingetreten ist, bevor man die Scheere appliciren kann. Und dann ist es wohl am zweekm~ssigsten, wenn man einen cinigermaassen grossen Sporn allmiihlieh und in mehreren Sttieken abklemmt. Jedesmal, bevor die Darmseheere yon Neuem angelegt wird, muss erst wieder die vorher- gesetzte Wunde v(illlg vernarbt seth.

Oanz besondere Beaehtung abet verdient bet diesem Operations-

i) Deutsche reed. Wochenschrift. ISS3. Nr 7.

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Behaudlung der gangriin0sen Hernien und des widernattirlichen Alters. 373

verfahren die Einfachheit der Darmnaht. Es bedarf wohl keiner weiteren Ausftihrung, dass die seitliche Naht nach der einfachen Anfi'ischung der Darm(iffnung unvergleichlieh viel leichter und siche- rer auszuftihren ist, als die circul~ire bei der Continuitlitsresection. Und ebenso einleuchtend ist es auch, dass die erstere infolge dessen uns welt bessere Chancen bezUglich ihrer Haltbarkeit bietet uud uns mithin weir chef einen gtinstigen Ausgang garantirt. Was noch die Frage anlangt, ob wir die Naht besser in der queren oder in der Liingsrichtunff des Darmcs anlegen sollen, so m~ichte ich mich ent- schieden ftir die Naht in der Liingsrichtung ausspreehen. Denn wir vermeiden dadurch sicher das Auftreten stenotischer Erscheinungen. - -

Aus all dem Gesagten geht hervor, dass wir mit den beiden Methoden, die auf dem Wege der Laparotomie vorgehen, zum gleichen Ziele gelanffen kSnnen. Das letzte Verfahren (Anwendung der Darmscheere und spiitcr folgende Darmnaht) scheint uns aber milder und weniger eingreifend als die Continuitiitsresection, und giht uns darum bestimmt mehr Garantie fur einen gUnstigen Ausgang. Dass es einen etwas liingeren Verlauf erheischt, fiillt in Anbetraeht der tibrigen Vortheile nicht in die Wagschale.

Und so miJchte ich denn auf Grund dieser Ausftihrungen em- pfehlen, beim Anus p rae te rna tu ra l i s~ w o e s i r gend geht, yon d e r C o n t i n u i t ~ i t s r e s e c t i o n Umgang zu n e h m e n und daftir de r e in fachen A n f r i s c h u n g und D a r m n a h t in der L~ings- r i e h t u n g d e s Darmes n a c h v o r h e r i g e r Ze r s tS rung d e r K l a p p e dutch die D u p u y t r e n ' s c h e Da rmsehee re den Vor- zuff zu geben. Die Continuitatsresection bei der einfachen Koth- fistel ist sicherlich vollst~indiff zu verwerfen.

~ur noch wenige Punkte bedtirfen einer kurzen Bemerkung. Der Verschluss der DarmSffnung darf erst vorgenommen werden,

wenn das Lumen des Darmes gcnUgend welt geworden ist; das An- legen der Darmscheere ist daher eventuell 5fter zu wiederholen.

Bedingunff fiir das Gelingen der Darmoperation ist die strengste Antiseptik; wir geben auch hier dem Sublimat den Vorzug. Der Darm muss yon seinem Inhalte mSglichst befreit sein. Wir erzielten das damit, dass die Kranke 24 Stunden vor der Operation nichts ausser geringen Mengen klarer Fltissigkeiten (Milch, Fleischbrtihe) zu sich nehmen durfte. Ausserdem ist die Peristaltik des Darmes mSglichst durch grosse Dosen Opium zu schw~ichen. Wir gahen am Abend vor der Operation 20 Tropfen Tinct. opii simpl, und ~/2 Stunde vor derselben ein gleiches Quantum und waren mit der Wirkung des- selben vollst~indiff zufrieden. Reinigung des Darmes mittelst Aus-

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sptilungen kurz vor der Operation ist zu vermeiden. Die Ftillung des Darmes regt die Peristaltik an und dann wird oft die kothige Fltissigkeit fiber das Operationsfeld hervorgedriingt; das Ueberfiiessen derselben l~tsst sich weit weniger beherrsehen~ als ein fester Koth- ballen, der etwa einmal zum Vorschein kommt. Vielmehr ist die An- wendung yon Abffihrmitteln einige Tage vor dcr Operation angczeigt.

Die Operation wird in der Weise ausgeftihrt, dass man zunttchst die lippenfSrmige Fistel umschneidet und dann den Darm mSglichst stumpf priiparirend yon seinen Adh~isionen fiott zu machen sucht. Hierauf wird der Darm hervorgezogen, seine Peribrationstiffnung an- gefi'ischt und geniiht. Die 5Iahtlinie ist in der Liingsrichtung des Darmes anzulegen. Es empfiehlt sich dazu am meisten die Czerny- sche Naht in zwei Etagen. Wir pfiegen stets ausgekochte Seide dabei zu verwenden; die bIadeln miissen fund sein. Ftir den Ab- schluss des Darmcs erwies sich uns die manuelle Compression dureh einen Assistenten vollsfiindig gentigend. Nach der Naht ist der Darm soibrt zu reponiren, das Peritoneum (am besten dureh die fortlaufende blaht) und die iiusseren Weiehtheile durch Knopfn~thte zu vereinigen. Die Bauchhtihle zu drainiren halte ich ftir tiberfiiissig, ja sogar ftir sch~tdlich; ein kurzes Drainrohr in die i~usseren Weichthei|e ein- gelegt, gentigt. Die Wunde ist durch einen antiseptischen (Sublimat-) Occlusivvcrband zu bedecken.

Die bIachbehandlung gestaltet sich sehr einfach. Grosse Dosen Opium haben fiir Ruhigstellung des Darmes zu sorgen. Vorsicht er- heischt die Regelung der Diiit. In den ersten Tagen dtirfen nut geringe Quantitliten Flfissigkeiten (Milch, Wein, FleischbrUhen) ver- abreicht werden, nSthigenfalls sind niihrende Klysmata in Anwen- dung zu ziehen. Erst wenn der Stuhlgang sich geregclt hat, dtirfen consistentere bIahrungsmittel (robes Fleisch, Sehinken, Eier u. s. w.) allmiihlich gestattet w e r d e n . -

Zum Schlusse mSgen mir nm" noch ein paar Worte gestattet sein. Ich bin mir wohl bewusst, dass ich mit meinen Ausffihrungen, die sich gegen die Prim~trresection des Darmes bei gangr~tniisen Hernien richten, nichts Neues bringe. Von mehreren Seiten ist ja, wie er- wiihnt, bereits die Verwerfliehkeit dieser Operation betont worden. Wenn ich trotzdem unter Mittheilung obiger Fiille auch meine Stimme in dieser Frage zu Gunsten der tempor~tren Anlegung des wider- nattirlichen Alters zu erheben mir erlaube~ so glaube ich deshalb dazu bereehtigt zu sein, weil uns immer wieder yon Neuem in der Literatur Mittheilungen yon Darmresectionen bei gangr~tn~isen Hernien begegnen, und weil uns somit der Operationsmuth mancher Chirurgen

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Behandlung der gangr~n6sen Hernien und des widernattirlichen Alters. 375

noeh zu welt zu gehen seheint. Ein etwa in dem einen oder anderen Falle erzielter gtinstiger Verlauf beweist im Allgemeinen bei der noto- rischen Gefahrlichkeit der Operation nichts gegen unsere Anschauung.

Aber aueh zur Beseitigung des widernatiirlichen Alters dtinkt uns die Continuitatsresection im Allgemeinen eine zu eingreifende Operation zu sein. In manehen Fallen mag sic sich ung|instiger Complicationen wegen am Ende nicht vermeiden lassen, in den mei- sten Fallen aber dUrfte sich das ~ltere D u p u y t r e n ' s e h e Verfahren mit der yon mir angegebenen Modification der Operation zum Ver- schlusse der DarmSffnung - - einfache Anfrisehung derselben und seitliche Naht - - welt mehr empfehlen; denn es ist welt einfacher und ungefahrlicher und versprieht darum auch viel eher t in gUnstiges Resultat. In dem yon uns behandelten~ oben mitgetheilten Falle (Nr. 2) kam es uns vortrefflich zu Statten.

Kurze Zeit~ nachdem ieh obigen Vortrag gehalten hatte, kam mir noch ein weiterer Fall wm Hernia gangraenosa zur Beobachtung. Obwohl die Behandlung desselben noch nieht zn Ende geftihrt ist, erlaube ich mir doch die Krankengeschiehte hier anzufilgen. Denn auch der Verlauf in diesem Falle spricht zu Gunsten der Anleg'ung des widernattirlichen Alters. Der Fall ist folgender:

Frau Z . . . . , in den 60er Jahren stehend, leidet schon langer an einer linksseitigen Hernie, die zuweilen hervorgetreten und oftmals schwierig zu- rttckzubringen war. Das letzte Mal trat sic in der Naeht yore 11.--12. No- vember 1885 hervor und verursaehte yon da an Einklemmungserseheinun- gen. Ieh sah die Kranke am 13. November. Ihr allgemeiner Ernahrungs- zustand leidlich gut; jedoeh war ein Gesiehtsausdruek vorhanden, der heftige Sehmerzen n. s. w. verrieth. Der Puls betrug 120 Sehlii.ge. In der linken Leistengegend war eine fast handtellergrosse Ansehwellung vorhan- den~ in deren Bereieh die Haut stark ger(ithet und 0demat(is war. Das Dnrchfahlen einer Hernie war nicht m~iglich, da die Gewebe alle ziemlich derb gleiehmiissig infiltrirt waren. Abdomen welch, sehmerzlos auf Druek. In der Chloroformnarkose incidirte ich tiber der Geschwulst. Das Unter- hautzellgewebe war stark (idematSs, zum Theil etwas sulzig durehtritnkt. Es maehte Sehwierigkeiten, die einzelnen Bindegewebslagen von einander zu 15sen und den Bruehsack zu erkennen. Sehliesslieh lag ein ziemlich derbes, gelblich aussehendes, undurchscheinendes Gewebe vor mir; es konnte das meiner Ansieht nach nur Bruehsaekwand sein, ieh incidirte vorsichtig an einer kleinen Stelle; es entleerte sich in reichliehem Strome missfarbige gelblichgraue, faculent riechende Fliissigkeit, so dass ich im ersten Augen- bliek glaubte~ den Darm erSffnet zu haben. Bei genauerem Zusehen je- doch erwies sieh die Fltissigkeit als der Inhalt des Bruehsacks; ich durch- trennte datum dureh einen langen Sehnitt das vorliegende Gewebe und es kam nun Folgendes zum Vorschein. Umsptilt vonder besehriebenen Fltts- sigkeit, lag im Bruchsack eine recht tibel aussehende Diinndarmsehlinge.

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376 XIX. KOCH, Behandlung der gangrhn. Hernien und des widernattirl. Alters.

An der grSssten Convexitat derselben war die Darmwand in tier GIiSsse eines Zweimarksttickes gelb verfarbt und verdiinnt; der tibrige Theil war blauroth aussehend, mit vielen Ekehymosen durchsetzt und entzfindlich in- filtrirt, bTeben der Darmschlinge lag noch ein gleichfalls gangranfses, kinderhandtellergrosses ~etzsttick, das mit dem Bruchsack lest verl(ithet war, vor. Ich suehte zunachst den einklemmenden Ring auf, derselbe ge- hOrte der ausseren Bruchpforte an (es handelte sich um eine Schenkel- hernie). Die Discision desselben machte Schwierigkeiten, da die Bruch- pforte ausserordentlich eng war. Nachdem sie gelungen war, zog ich den Darm noch wetter hervor und trug das vorliegende ~Tetzstfick nach mehr- maligen Durchstechungen und Unterbindungen ab. Den Darm fixirte ieh dureh ein paar b~i~hte an der Bruchpforte, desinficirte mit 1 pro Mille Subli- matliisung und applicirte einen kaum eomprimirenden Sublimatgazeverband. Wahrend der Operation war dutch eine plStzliche Bewegung der Patientin Folgendes passirt: Ein Haken, der nahe dem oberen Wundwinkel einge- setzt war, schlitzte, bevor er losgelassen werden konnte~ die Bauchhaut von der Fascie in einer nicht unerhebliehen Strecke ab. Der Puls hatte sich nach der Operation gehoben. Seine Frequenz war kanm noch 100 und ausserdem war er viel roller und kraftiger geworden.

Von dcm Collegen, der dig Gtite hatte, reich zur Ausftihrung der Operation zuzuziehen, und der die •achbehandlung tibernahm, erhielt ich folgende ftir den weiteren Verlauf interessante Notizen:

,22. :November 1885: Frau Z. hatte his jetzt keinen Stuhlgang, weder per auum, noeh aus der BruehSff~mng. Leib sehr aufgeblaht, spontane vorfibergehende, sehneidende Schmerzen; Aufstossen und wiederholtes gal- liges Erbrechen. Koth dutch die Bauchdecken fiihlbar. Keine Peritonitis. Temperatur im After gestern 38,5, Puls 104, allgemeine Schwaehe. Das gauze vorliegende Darmsttick - - sehwarzlich, pergamentartig, immer ohne Inhalt - - habe ich als todten Kiirper weggeschnitten. I~ der granulirenden Wunde ein rundliches von Koth fest angestopftes Darmsttick andrangend."

Ich rieth auf diese Mittheilungen hin~ mit einem weichen Katheter vor- sichtig in die DarmSff~mng einzugehen und husspiilungen vorzunehmen. Es wurde diese Manipulation jedoch nicht nothwendig T da sehon in den niteh- sten Tagen, wie ich erfuhr, spontane Kothentleerung aus der Wunde sieh einstellte. Durch einen harten Kothballen war die Ocffuung verlegt worden.

Am 11. December wurd¢ mir wetter briefiich Folgendes mitgetheilt: , S t a t u s praes . : Triehterf(irmige Wunde yon der Griisse und drei

Viertel Tiefe eines Fingerhutes. Wundgrund lebhaft granulirend. Naeh links befindet sich eine Spalte, aus weleher Stuhlgang kommt. Flatus dutch den After abgehend, Faces nieht. Umgebung der Wunde wenig arrodirt. All- gemeinbefinden sehr wohl."

Wie aus der Krankengeschichte erhellt, ist das bis jetzt erzielte Resultat ein recht gtiustiges. Es ist zunRchst das erreicht worden, was hat erreieht werden solleu - - die Erhaltung des Lebens. Was die Wunde anlaugt~ so ist der fernere Verlauf noch abzuwarten; es wet- den sich daruach die weiteren therapeutisehen Maassnahmen richten.