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MATERIALDIENST Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen 66. Jahrgang 1 / 03 ISSN 0721-2402 H 54226 Bekenntnis und Toleranz – ein Widerspruch? Im Gespräch mit der Flussgöttin – Marko Pogacnik in Dresden Antijudaismus bei Rudolf Steiner Konfessionslosenverbände protestieren gegen Staatsakt für Augstein in einer Kirche Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen

Bekenntnis und Toleranz – ein Widerspruch? Im … · Marko Pogacnik in Dresden Antijudaismus bei Rudolf Steiner Konfessionslosenverbände protestieren gegen Staatsakt für Augstein

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ST Zeitschrift fürReligions- undWeltanschauungsfragen

66. Jahrgang 1/03IS

SN 0

721-

2402

H 5

4226

Bekenntnis und Toleranz – ein Widerspruch?

Im Gespräch mit der Flussgöttin – Marko Pogacnik in Dresden

Antijudaismus bei Rudolf Steiner

Konfessionslosenverbände protestierengegen Staatsakt für Augstein in einer Kirche

Evangelische Zentralstellefür Weltanschauungsfragen

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Ulrich DehnBekenntnis und Toleranz – ein Widerspruch?Das Zusammenleben von Religionen gestalten 3

Harald LamprechtIm Gespräch mit der FlussgöttinMarko Pogacnik im Kulturrathaus 15

Jan BadewienAntijudaismus bei Rudolf Steiner 19

GesellschaftKritik an Staatsakt für Augstein 29

Politisches von „Fürbitte für Deutschland“ 30

Neuheidentun / Okkultismus / SatanismusEs wird leer unter dem Dach:Interne Differenzen und personelle Veränderungen bei Concilium GENA 31

BuddhismusTibetische Lamas im Internet 33

OffenbarungsspiritualismusGründer der St. Michaelsvereinigung verstorben 33

Andreas BenkModerne Physik und TheologieVoraussetzungen und Perspektiven eines Dialogs 35

INHALT MATERIALDIENST 1/2003

IM BLICKPUNKT

BERICHTE

INFORMATIONEN

BÜCHER

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Cordoba ist ein altes berühmtes Stichwortfür gelebte Toleranz. Die spanische Pro-vinzhauptstadt in Niederandalusien er-warb sich ihren unsterblichen Ruf in derZeit der islamischen Blüte unter denAbassiden vom 8. bis zum 13. Jahrhun-dert und insbesondere unter dem KalifenAbd ar-Rahman III.: Dieser ließ im 10.Jahrhundert Cordoba zum Zentrum vonMacht, architektonischer, kultureller undphilosophischer Blüte und interreligiösemMiteinander aufsteigen. Averroes, Mai-monides und Ibn Hasm wurden zu welt-berühmten Namen, und zumal das Juden-tum genoss unter ar-Rahman Respekt undAnerkennung, die es unter christlicherHerrschaft nie gefunden hatte und späternur noch selten wieder fand. Das „Experi-ment Cordoba“ fand ein Ende durch dieReconquista, die Stadt war fürderhinkatholisch.1 Die historische Episode darfsicherlich als Paradigma für islamischeToleranz nicht überstrapaziert werden,das Stichwort „Cordoba“ jedoch blieb iminterreligiösen Gedächtnis und ist voneiner Initiative als Modell für ein künftigesJerusalem vorgeschlagen worden: einequasi exterritoriale Stadt, die vomfriedlichen Miteinander der Religionenlebt – in Anbetracht der täglichen Nach-richten ein Traum, der schwerlich in Erfül-lung gehen wird. Zum Thema Religion und Toleranz drän-gen sich schnell dramatische Informatio-nen in den Sinn: Todesstrafe für Men-schen, die sich vom muslimischen Glau-

ben abgewendet haben, Brandschatzungchristlicher Kirchen in Pakistan oder In-donesien, die Inhaftierung christlicher Ent-wicklungshelfer und mutmaßlicher Mis-sionare in Afghanistan, Nordirlandkonfliktetc., blutige Auseinandersetzungen zwi-schen Hindu-Fundamentalisten und Mus-limen um die Babri-Moschee im nord-indischen Ayodhya. Etwas mehr Sorgfalt istvonnöten, um auch noch Nachrichten wiefolgende zur Kenntnis zu nehmen: Vanda-lisierung des muslimischen Pavillons aufder Expo 2000 in Hannover durch einenChristenmenschen, christliche Kolonisie-rung der ursprünglich fast ausschließlichmuslimischen Insel Mindanao in denPhilippinen durch die dortige Regierung,und ein wenig in die Geschichte gegra-ben: Zerstörung des Inventars buddhisti-scher Tempel im Japan des 17. Jahrhun-derts durch christliche Missionare. Undauch für den Buddhismus mit dem Imageder Sanftheit und Gewaltlosigkeit würdenwir zu diesem Thema erstaunlich fündigwerden: Mönchsarmeen, die sich in derfrühen Neuzeit den Verdrängungskämpfender japanischen Landesfürsten zur Verfü-gung stellten und gezielt militärisch gegenMitglieder der anderen buddhistischenSchulrichtungen und anderer Religionenvorgingen.Aufzählungen dieser Art sind aus ver-schiedenen Gründen nicht sonderlichaussagekräftig. Zum einen können, wo-rauf Reinhart Hummel hinweist, „his-torische Belege von Toleranz und Intole-

Ulrich Dehn

Bekenntnis und Toleranz – ein Widerspruch?Das Zusammenleben von Religionen gestalten*

IM BLICKPUNKT

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ranz gegenüber abweichenden Lehrenund Praktiken ... nicht unreflektiert mit-einander verglichen werden, sondern sindauf Zeit, Ort und Situation hin zu befra-gen. Das gilt vor allem für den Buddhis-mus, der sich mit unterschiedlichen Län-dern, Kulturen und politischen Konstella-tionen hat auseinandersetzen müssen“2 –ebenso aber auch für den Islam in der Zeitseiner schnellen Ausbreitung der erstenca. fünf Jahrhunderte seit Mohammed undinsbesondere für seine Akkulturation inder Diaspora. Zum anderen sind Informa-tionen der obengenannten Art, zumalwenn sie sich auf die Gegenwart be-ziehen, ein Bestandteil unseres journalis-tisch geprägten Weltbildes und sagen fastnichts über die Realität, mit der wir estäglich zu tun haben. Diese Realität wirdzumal von jedem einzelnen Menschen jenach Lebensumständen und Wohnort völligunterschiedlich erfahren und lässt je eigeneseelische Dynamiken zum Thema Toleranzentwickeln. Wir kommen unterschiedlichintensiv in Berührung mit Menschen an-deren Glaubens, viele sind nach wie vordarauf angewiesen, Begegnungen aus-drücklich zu inszenieren. Wessen Kennt-nisnahme der anderen Religionen auf dieleicht zugänglichen Massenmedien be-schränkt ist, bekommt die Stereotypenbestätigt. Auch eine vor kurzem abge-schlossene Medienanalyse fand heraus,dass nach wie vor mehrheitlich der Islamals tendenziell fundamentalistisch und miteinem eher ungebrochenen Verhältnis zurGewalt dargestellt wird, der Buddhismushingegen als sanft, weitherzig und gewalt-los. Beide Klischees können nur in dif-ferenzierten Auseinandersetzungen aufmehreren Ebenen überwunden werden.

Toleranztraditionen

Wie sieht es mit den Toleranztraditionenin den Religionen aus? Wir beginnen mit

dem Islam, dem zum einen unterstelltwird, dass er die größten Schwierigkeitenmit dem Thema hat, der uns zum anderendemographisch am nächsten ist: InDeutschland leben annähernd zwanzig-mal so viele Muslime wie Buddhisten.

Toleranz und Religionsfreiheit im Islam –eine Quadratur des Kreises?

Die verschriftlichte Rechtslage im Islamvom Koran über die Sunna bis hin zuheutigen Rechtsgutachten und der spezi-fischen Einschätzung für den Diaspora-Is-lam ist sehr komplex. Die Toleranzfrage istverknüpft mit der Frage der Religionsfrei-heit, d.h. der Frage der Konversionsfreiheitvom Islam weg. Als Grundlage muss deut-lich sein, dass der muslimische Glaubeerst in der jüngeren Vergangenheit undinsbesondere in der Diaspora auch als In-dividual- und Privatsache betrachtet wur-de, im Normalfall war er gemeinwesenbe-zogen3, ja bis zum Untergang des Osma-nischen Reiches zu Beginn des 20. Jahr-hunderts auch immer politik- und staats-bezogen. Der Nicht-Muslim war in derfrühen Geschichte des arabischen Islam inder Regel nicht nur eine potentielleGlaubensanfechtung, sondern ebensoeine potentielle Bedrohung des Friedensdes Gemeinwesens. „Intoleranz“ war in-sofern weithin ein anderer Name für poli-tische Verteidigungsbereitschaft. AdelKhoury drückt es so aus: „Der Glaube istdie Grundlage der Gemeinschaft. JederEinfluss, der den Glauben in Frage stelltoder gefährdet, jede Beziehung, die dieReinheit des Glaubens beeinträchtigt, undjede Haltung, die sich gegen die Annahmedes Glaubens stellt oder den bereitsangenommenen Glauben verleugnet, sindvon vorneherein verdächtig, gefährlich,unzulässig und verboten.“4 Diese strengeHaltung gilt für die Zeit Mohammeds inMedina und entstand nach der schroffen

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Ablehnung, die vor allem die jüdischenStämme Mohammed und seiner Botschaftentgegenbrachten. In dieser Zeit fandenzahlreiche militärische Auseinanderset-zungen mit jüdischen Stämmen und an-deren Gruppen statt, der Kampf umLebensraum und Herrschaft wurde vonallen Seiten mit dem Schwert ausgetragen.Zahlreiche Stellen im Koran, die in direk-ter Weise zum Kampf und zum Töten auf-fordern, sind keine allgemeingültigen Auf-forderungen zum Töten aller Nicht-Mus-lime, sondern sie entstammen konkretenSchlachtsituationen im gegenseitigen Ver-drängungskampf auf der arabischen Halb-insel, z.B. der siegreichen Schlacht beiBadr oder der Niederlage der Muslime beiUhud. Dies ist etwa der Fall mit Sure 47,4:„Und wenn ihr die Ungläubigen trefft,dann herunter mit dem Haupt, bis ihr einGemetzel angerichtet habt.“ Auf der an-deren Seite sind die Stellen zahlreich, indenen das Töten ausdrücklich verbotenwird und Juden und Christen ein Sonder-status eingeräumt wird; die Bestimmungenüber die „Schutzbefohlenen“ in einemmehrheitlich islamischen Staat stelleneine Art frühislamische Variante von „Aus-ländergesetzgebung“ dar. Ferner werdenAnhänger des muslimischen Glaubensdazu aufgefordert, sich mit Juden undChristen über biblische Traditionen zuverständigen, die auch im Koran vorkom-men (Sure 10,94 sowie 17,101)5: „Wenndu über das, was Wir zu dir hinabgesandthaben, im Zweifel bist, dann frag diejeni-gen, die (bereits) vor dir das Buch lesen“(10,94). Innerhalb der Sonderstellung, diedie Juden und Christen als „Leute derSchrift“ haben, werden an einigen Stellendie Christen bevorzugt: Sie stünden „denGläubigen in Liebe am nächsten“ (5,82).Diese Worte sind aber offensichtlichgeschrieben zu einer Zeit, als Mohammedmit den Juden auf besonders schlechtemFuß stand: Sie werden im Vers vorher

gemeinsam mit den Polytheisten alsFeinde bezeichnet, eine im Koran eherungewöhnliche Zuordnung. Es soll keine Zwangsbekehrungen geben(2,256), auch wenn die von der Auf-klärung herrührende Vorstellung von Reli-gionsfreiheit, die mindestens der Ideenach in westlichen Ländern herrscht,keinen vergleichbaren Anhalt in der isla-mischen Tradition hat. Aber die Toleranz,die im Koran ihren Niederschlag findet,stellt, so Monika Tworuschka, „für diedamalige Zeit etwas Einmaliges dar“.6Als Fazit zum Koran lässt sich sagen:Entsprechend den unterschiedlichen Le-bensphasen und Begegnungen Moham-meds mit Menschen, die seine monotheis-tische Botschaft und seinen Versuch einermonotheistischen Gemeinsamkeit der Re-ligionen nicht annahmen, sind die Aus-sagen sehr unterschiedlich: Aus heftigenFeindseligkeiten und kriegerischen Aus-einandersetzungen ging die Behandlungvon Nicht-Muslimen als „Feinde“ hervor,aus diesen Zusammenhängen stammendie Texte, die die „Ungläubigen“ (sowohlJuden/Christen als auch Polytheisten) derVerdammnis anheim geben. In stärkertheologisch orientierten Zusammenhän-gen, sofern keine scharfen Auseinander-setzungen anstehen, wird den Juden undChristen wiederum der Status der Schutz-befohlenen eingeräumt und ihre Nähe zu,wenn nicht gar Übereinstimmung mit derBotschaft des Mohammed herausgestellt.Es bedarf des Ambientes, der äußerenStimmigkeit zur Toleranz und gegenseiti-gen Akzeptanz. So stellt sich denn auch, wenn wir einenSprung in die Gegenwart machen, dasThema in der deutschen Gesellschaft ganzanders dar: In der im Februar diesen Jah-res veröffentlichten Islamischen Chartades Zentralrats der Muslime in Deutsch-land7 wird ausdrücklich die Religionsfrei-heit betont, d.h. das Recht auf Religions-

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wechsel und das Recht, gar keiner Reli-gion anzugehören. Insbesondere letzteresbedeutet einen Durchbruch auf dem Hin-tergrund der koranischen Ausführungenzu Religionen außerhalb der „Menschender Schrift“. Wenn die Charta in Abschnitt11 sagt, dass der Koran „jede Gewalt-ausübung und jeden Zwang in Angele-genheiten des Glaubens“ untersage, so istdies als zeitgenössische Interpretation indie deutsche Situation hinein ernst zunehmen. Der häufige Hinweis von Is-lamkritikern, dass Sure 2,256 („Es gibtkeinen Zwang in der Religion“) mög-licherweise eher aus Resignations- dennaus Toleranzmentalität entstanden sei (R. Paret u.a.), hat vielleicht historischeBerechtigung, könnte aber in der heutigenSituation leicht zu einem konterproduk-tiven „umgekehrten Fundamentalismus“führen: Liberalen und laizistisch gesonne-nen Muslimen wird vorgehalten, dass siees doch gemäß ihren Quellen „eigentlich“anders meinen müssten.Bei den guten Ansätzen, die die Chartabietet, muss jedoch auch kritisch gefragtwerden, ob z. B. der vom Grundgesetz ga-rantierten vollständigen Gleichberechti-gung von Mann und Frau mit dem Absatz6 und seiner Definition der gleichen Le-bensaufgabe und dem Ziel der „Erlangungvon Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit,Geschwisterlichkeit und Wohlstand“ Ge-nüge getan wird. Auch ist die Bejahungder vom Grundgesetz gerahmten Grund-ordnung (Absatz 11) so deutlich inhaltlichspezifiziert, dass leicht der Verdacht ent-stehen kann, dies sei im Sinne von (nichtgenannten) Vorbehalten und Einschrän-kungen gemeint. Dies gilt auch für dasverdächtige Wort „grundsätzlich“ für dieAkzeptanz der „lokalen Rechtsordnung“,das im juristischen Sprachgebrauch (wie-derum nicht genannte) Ausnahmen signa-lisiert. Ist der Verzicht auf einen „klerika-len ‚Gottesstaat’“ (Absatz 12) bereits der

völlige Verzicht auf einen politischen Is-lam? Diese und andere Stellen werdenGegenstand künftiger Diskussionen (auchinnerhalb der muslimischen Welt!) seinmüssen, die sicherlich in der Absicht derCharta stehen.8Derzeit sind Bemühungen im Gange, dieCharta in anderen europäischen Ländernbekannt zu machen und auch ins Franzö-sische, Englische, Türkische sowie ins Ara-bische zu übersetzen: auch ein Lern-prozess aus der „Diaspora“ in islamischeLänder hinein ist angestrebt und wäre imBlick auf eine Reihe von mehrheitlich is-lamischen Staaten auch wünschenswert.Der Islamrat, die andere große Dachor-ganisation in Deutschland, hat sich hinterdie Islamische Charta gestellt, die aller-dings insgesamt im deutschen Islam nichtunumstritten ist. Zahlreiche laizistisch ori-entierte Verbände haben die Charta fürüberflüssig erklärt, da sie längst von derRealität eingeholt worden sei. Etwas anders gestaltet sich die Tole-ranzbereitschaft des Islam, wenn es um als„Sekte“ identifizierte Gruppen geht. DieAhmadiyya-Bewegung aus Pakistan, die im19. Jahrhundert gegründet wurde und ihrencharismatischen Gründer Mirza GhulamAhmad (1835-1908) als „Propheten“verehrt, wurde vom pakistanischen Parla-ment 1976 offiziell aus dem Islam aus-geschlossen; diesen Schritt vollzog kurzeZeit später auch die Islamische Weltliga.Die Stigmatisierung und Verfolgung alsHäretiker im Islam, die auch für den 1914abgespaltenen kleinen Reform-Zweig derLahore-Ahmadi gilt (die Ghulam Ahmad nurals Reformer, nicht als Propheten sehen), er-leichtert den Mitgliedern u.a. Asylverfahren.Vergleichbar brisant ist das Verhältnis zwi-schen sunnitischem Islam und Alevitenhauptsächlich in der Türkei und schließlichdas zwischen schiitischem Islam und Babis-mus bzw. Baha’i im Iran.9 In allen genann-ten Kontexten werden jedoch sehr deutlich

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die religiösen Fragestellungen zwischen „or-thodox“ und „häretisch“ von politischenund mitunter ethnischen Fragen mitbe-stimmt, wenn nicht übermalt, so dass erst ineiner detaillierten komplexen AnalyseUrteile gefällt werden können. Hinzukommt die Notwendigkeit, diese Vorgängemit denen in anderen Religionen und derenUmgang mit „Sekten“ abzugleichen.

Buddhismus und Hinduismus – das weite Herz des Ostens?

Im Diskurs um religiöse Toleranz bekom-men traditionell die „östlichen“ Religio-nen bessere Noten als der Islam – undauch als das Christentum, wobei aller-dings das „Gute“ an der Note allemal eineFrage der Perspektive ist: Was aus einerRichtung als Toleranz und Bereitschaftzum friedlichen Zusammenleben und gar„Akzeptieren einer gemeinsamen Wahr-heit“ daherkommt, kann aus einer an-deren Richtung als Vergleichgültigung,Aufgabe von eigentlich Unaufgebbaremund „Beliebigkeit“ betrachtet werden. Auf Buddhismus und Hinduismus sinddiese Etiketten insofern wohlfeil anwend-bar, als es sich ohnehin mindestens beimostasiatischen Mahayana-Buddhismus unddem Hinduismus um Sammelbegriffe undnicht um gefügte Religionen mit klarenGrenzen und Bekenntnissen handelt. Dasjedoch, was jeweils „gesammelt“ wird,sind oft regionale Kulte um einzelne Gott-heiten, die im Zuge sozioökonomischerVeränderungen ihre Funktionen ändernoder von einer anderen Gottheit abgelöstwerden können, es sind einzelne Schul-richtungen mit einer geprägten Lehre undAusschließung davon abweichender Ele-mente und Lehren. Ein Versuch, ähnlichwie beim Islam eine Tendenz aus denheiligen Schriften zu erheben, würde unsvor eine unlösbare Aufgabe stellen: DasSchrifttum ist unübersehbar und heterogen.

So gibt es zum einen die großen Schulender Shivaiten, Vishnuiten und Shaktisten,die vom Phänomen her als monotheisti-sche Religionen mit dem Kult um jeweilseine bestimmte Gottheit wahrnehmbarsind. Zum anderen gibt es eine reichhal-tige Gruppen- und Sektenbildung, die imHinduismus einen ganz gewöhnlichenund unspektakulären Prozess darstellt, zu-mal es die Vorstellung von dem kanoni-schen „Einen“, das eigentlich zusam-mengehöre, nicht gibt. Somit sind in derRegel auch Fragen von Toleranz und Ein-ander-gewähren-lassen eher Fragen psy-chosozialer oder sozioökonomischer Be-ziehungsfähigkeit oder Rivalität als Fragenvon sich gegenseitig ausschließendenWahrheitsansprüchen. Streitigkeiten ent-stehen z.B. am Problem von Reinheit/Un-reinheit, an unterschiedlichen Ritenver-ständnissen und an der Rollenverteilungder Kasten. Wodurch wird ein Menschrein? Reicht eine symbolisch-rituelle Wa-schung, ist eine regelrechte Vollwaschungerforderlich? Wird der Mensch bereits un-rein, wenn er als rituell unrein geltendeMenschen berührt hat oder nur in ihrenSchatten geraten ist (Jainas!), oder wirdUnreinheit im allgemeinen hygienischenSinne definiert? Die unterschiedlich stren-ge Behandlung der „Unberührbaren“ (Da-lits) im traditionellen Indien war und ist inerster Linie eine psychosoziale Toleranz-frage par excellence. Ein Dauerbrennerim Konflikt zwischen Hindus und Musli-men ist die Babri-Moschee in Ayodhya inNordindien, die 1992 von extremistischenHindus geschleift wurde mit der Behaup-tung, es handele sich um den Geburtsortdes Gottes Rama, und auf dem gleichenGrund und Boden habe vor 500 Jahrenein Hindu-Tempel gestanden. Auch hierstehen scharfe soziale Konflikte im Hinter-grund, selbst wenn insbesondere dieKrishna- und die Rama-Anhänger desvishnuitischen Hinduismus vor religiösen

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Absolutheitsansprüchen nicht ganz gefeitsind. „Ich lehre die Erkenntnis dich undalle Weisheit ohne Rest, die dem, der sieerworben hat, nichts mehr zu wissenübrig lässt. … Ich bin der Ursprung dieserWelt, ich bin zugleich ihr Untergang. Esgibt nichts höheres als mich, das Einzig-Eine bin ich nur, um mich ist dieses Allgereiht wie Perlen an die Seidenschnur“,so spricht Krishna in der Bhagavadgita,die ansonsten als Zusammenfassungvieler indischer Traditionen auch alsManifest integrativen Denkens gilt!10

Die sprichwörtliche Toleranz der in-dischen Religiosität, die wir auch heutebei vielen im Westen lebenden Indernfinden, beruht z. T. auf Reformprozessenim 19. Jahrhundert, die bei uns unter demStichwort des „Neohinduismus“ zusam-mengefasst werden. Gemeint ist damitallerdings in erster Linie der im Westenprominent gewordene Swami Vivekanan-da als Exponent der von ihm gegründetenRamakrishna-Mission (im Westen: Ve-danta-Gesellschaft), während frühe Expo-nenten des Reformhinduismus wie derArya Samaj und der Brahma Samaj zwarwestliche Einflüsse aufnahmen, sich abernicht durch integratives Gedankengut undeine tolerante Mentalität auszeichneten.Zahlreiche reformhinduistisch orientierteGemeinschaften bieten sich als über denReligionen schwebendes spirituelles Dachan und beanspruchen für sich praktizierteToleranz. Hier lässt sich allerdings an-merken, dass Toleranz als Mentalitätsfak-tor ihre Plausibilität überhaupt erst amVorhandensein von Grenzen erweist, diein diesen Gemeinschaften oft ohnehinkeinen konstituierenden Sinn mehr haben. Im buddhistischen Schriftgut findet sichzum Thema der „Duldung“ und derBeziehung zum Feind bzw. zum Fremdar-tigen folgende Einsicht des Buddha imPali-Kanon: „Es wird ja Feindschaft nim-mermehr durch Feindschaft wieder aus-

gesöhnt: Nichtfeindschaft gibt Versöhnungan; das ist Gesetz von Ewigkeit. Die Men-schen sehn es selten ein, dass Dulden unsgeduldig macht; doch wer es einsieht, weres weiß, gibt alles Eifern willig auf.“11

Ausgelöst werden diese Worte durcheinen Streit unter der Mönchsgemein-schaft von Kosambi, den der Buddhaschlichten soll, während er sich gerade inKosambi aufhält. Zumal wenn der Buddhaselbst um ein Eingreifen gebeten wird,handelt es sich möglicherweise um einenklassischen Orthodoxie-Häresie-Streit, indem der Buddha beide Seiten zur Mäßi-gung ruft, zur gegenseitigen Duldung, dieallein zur Aussöhnung von Feindschaft,zum Beenden des „Eiferns“ führen könne.Ausdrückliche Verhaltensregeln gegen-über Nicht-Buddhisten wären dem Selbst-verständnis des frühen Buddhismus alseiner Erkenntnislehre eher fremd gewesen.Abweichende Meinungen werden eher alsein Diskurs- und Meditationsfall betrachtetdenn als ein Toleranzproblem.Zwei Beispiele aus dem Mittelalter undaus der Gegenwart sollen genannt wer-den, die zeigen, dass allerdings auch derBuddhismus als Erkenntnisphilosophieund Religiosität mit „sanftem“ Image sichunter bestimmten Umständen schwer tunkann mit der Toleranz. Der mittelalterliche buddhistische MönchNichiren in Japan im 13. Jahrhundert ver-trat gegen einen breiten buddhistischenStrom seiner Zeit die Meinung, dass einestrikte Rückkehr zum eigentlichen Bud-dha Gautama notwendig sei, und er stelltedie Lotos-Sutre in den Mittelpunkt seinerLehre und Anbetung.12 Nichiren als ein-ziger buddhistischer „Prophet“ im sozio-politischen Sinne des Wortes trieb es nunmit seinem prophetischen und sozialenEngagement so weit, dass er den anderen,seiner Ansicht nach von der rechten Lehreabweichenden Schulrichtungen dieSchuld am sozialen und politischen Not-

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stand Japans gab. Japan könne nur gerettetwerden, wenn der Glaubensbuddhismusdes Reinen Landes untersagt würde, derGnadenbuddhismus, in dessen Zentrumdie Anrufung des Bodhisattva Amithabasteht. Seine Schrift Risshoankokuron istein Dokument des religiösen Übereifers.13

Die Mongolen, die gegen Ende des 13.Jahrhunderts vergeblich versuchten, Japanzu stürmen, betrachtete er als Vollzugsin-strumente des Buddha gegen den Staat, dersoziale Ungerechtigkeit und den Gnaden-buddhismus zuließ, vergleichbar der Rolledes Kyros in der hebräischen Bibel.Lediglich die Tatsache, dass Nichiren denMongolenangriff auf Japan vorausgesagthatte, rettete (in einem Falle) sein Leben.14

Er beließ es bei scharfen Worten, die ergegen seine religiösen Gegner richtete, erselbst wurde jedoch mehrfach aus ver-schiedenen Anlässen zum Tode und einmalzum Exil auf der damals unwirtlichen InselSado verurteilt. Das andere Beispiel: Vor einigen Jahrenbrach erstmalig ein Konflikt auch inner-halb der buddhistischen Welt durch, derbereits vorher bei den Christen geschwelthatte, nämlich um den sogenannten„christlichen Zen“. In einer Leserbriefkon-troverse 1994/1995 in der buddhistischenZeitschrift Lotosblätter (Organ der Deut-schen Buddhistischen Union) warfen Zen-Buddhisten den zen-meditierenden Chris-tenmenschen vor, in fremden Gewässernzu fischen, obwohl es reichlich Fisch-gründe auch in ihren eigenen Teichengäbe. Zen wird hier als eine geschlossenebuddhistische Botschaft bezeichnet, dienicht in Lehre und frei verfügbare Me-thode aufgeteilt werden könne. Es gebekeine Gemeinsamkeiten mit der „abend-ländisch-christlichen Theologie“. Auf dereinen Seite stünde die Erfahrung der Leer-heit allen Seins, auf der anderen Seiteeine Welt des Dualismus und der Gegen-sätze. Eine in Berlin angesiedelte zen-

buddhistische Gemeinschaft richtete andie katholische Kirche die Bitte, ihremeditierenden Mitglieder und Priester zurOrdnung zu rufen. Eine buddhistischeStimme warf den Christen vor, sie würdenvermutlich bestimmte liturgische Mi-schungen wie z.B. „Heilige Mutter Tara,Mutter des Universums, du bist gebe-nedeit ... bitte für uns“ nicht ertragenwollen. Dass es natürlich auch auf christ-licher Seite Widerstände gegen diesespirituellen Wege gibt, muss nicht aus-drücklich erwähnt werden. Dass sich imZuge neuer Spiritualitäten auch eine me-thodisierende Umdeutung von Begriffenwie Zen im Sinne ungegenständlicherMeditation ereignet hat, die diese Medita-tionsform nur noch in lockeren Zusam-menhang mit buddhistisch-religiösenDenkstrukturen stellt, wird offensichtlichvon beiden Kritiker-Seiten nur unzurei-chend wahrgenommen.15

Der Bekenntnischarakter, den Buddhismusim Westen annimmt, trägt ihm auch diedamit verbundenen Abgrenzungsbedürf-nisse ein; die Deutsche BuddhistischeUnion hat sich 1985 ein Bekenntnis16

gegeben, das vergleichbar der „Basis“ desÖkumenischen Rates der Kirchen Kriterienfür die Aufnahme von Mitgliedern be-stimmt, aber zugleich auch ein gemein-sames Selbstverständnis formuliert. Damitzeigt sich der Buddhismus in Deutschlandals eine gewissermaßen „kanonisierte“Größe und büßt einen Teil seines asiati-schen Charmes ein. Auch sind damit, wiedie Debatte um den „vergesellschafteten“Zen zeigt, andere zwischen-religiöse Men-talitätsmechanismen verbunden, die dieVorstellung des „Eigentums“ an Traditions-elementen kennen und die Enteignungund gegenseitige Widerspiegelung vonElementen als Zumutung betrachten. ZumStichwort der Kanon-Mentalität wäre auchdie innerbuddhistische Debatte um bud-dhistische Organisationen, die zuweilen

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mit dem Stigma der „Sekte“ behaftet sind,zu erwähnen, wie die japanische Laienor-ganisation Soka Gakkai, über deren Mit-gliedschaft in Dachorganisationen, das Ko-operationsbedürfnis mit anderen Organi-sationen und Beteiligung in interreligiösenDialogen gestritten wird. Natürlich könnten aus dem Bereich desBuddhismus auch zahlreiche positiveBeispiele der Toleranzfähigkeit berichtetwerden, die eher seinen allgemeinen Leu-mund bestätigen. Dies fängt mit der Ba-nalität an, dass der Mahayana-Buddhismusnur kraft des Konglomerats aus tolerantenBeziehungsstrukturen zwischen unterein-ander völlig unterschiedlichen Ausrichtun-gen als solcher überlebt.17 Es kann auchverwiesen werden auf die Friedensaktivi-täten japanischer Buddhisten in derWeltkonferenz der Religionen für den Frie-den, die allemal dann auch die Unterwer-fung unter die Toleranzspielregeln einersolchen Kooperation erfordern.

Toleranz und ihre Kontexte und Grenzen

Der buddhistische Übergang von einerasiatischen Volks- und Ritenreligiosität ineine westliche Konfessionalität ist für unsinsofern interessant, als die Beispiele ausDeutschland sich somit gut in andere ausunserem Kontext einreihen lassen. Im Falledes Zen geht es allerdings weniger um dasVerhalten gegenüber einer in toto anderenReligion als vielmehr um das Phänomender Grenzbegehung. Hier mischt sich indie Frage der Hermeneutik des Anderenund des Fremden, das Problem der Misch-formen und der schwer erträglichen Nä-he, der Umgang mit dem Synkretismusund seinen notwendigen, aber bisweilenkoketten Elementen. Spirituelle Mischfor-men nehmen einen immer größeren Teilder religiösen Kultur innerhalb und außer-halb des Christentums in Anspruch undzwingen dazu, die konstruktiven Mög-

lichkeiten, aber auch die Grenzen derToleranz zu erproben.Die Frage, ob Toleranz positiv und ange-bracht ist, ergibt sich dann aus Anlass derEreignisse und Erkenntnisse seit dem 11.September 2001 noch einmal umso dring-licher auch in anderer Hinsicht: Toleranzkann nicht sinnvoll und möglich seingegenüber Gruppen und Einzelpersonen,die ihren Glauben in welcher Weise auchimmer mit gewaltsamen und rechts-feindlichen Positionen verbinden. Diestrifft auf eine sehr kleine Minderheit inDeutschland zu, die ohnehin durch denWegfall des Religionsprivilegs im Vereins-recht im Herbst 2001 deutlicher in denZugriff der Behörden gekommen ist. Eshandelt sich keineswegs nur um muslimi-sche Organisationen, aber das erste Resul-tat der neuen Gesetzeslage war das Verbotder Gruppe „Kalifatsstaat“ (ICCB) am 12.12. 2001. Diese Dimension der Grenzender Toleranz beziehen sich in erster Linieauf kollektives oder gar staatliches Verhal-ten. Im täglichen Miteinander in nach-barschaftlichen Bezügen oder in denBeziehungen zwischen Kirchengemein-den und benachbarten Moscheen wirdsich die Frage, ob der Gesprächspartnerein „Islamist“ oder gar ein („schlafender“)Terrorist sei, eher selten stellen. Es kannaber Themen geben, die Verständigung er-fordern: die Rolle der Frau im Islam (undim Christentum!), das Verständnis des Ver-hältnisses Religion – Staat, allgemein dieFrage von Privatheit und Öffentlichkeitder Religion. Beim Thema der reflektiertenGrenzen der Toleranz ist allerdings immerzu beachten, dass auch hier ein Gesprächauf gleicher Augenhöhe stattfinden muss.Die mit einem aufklärerischen Verständnisvon Menschenwürde konforme Lebens-form von Religion ist keine Erfindung desChristentums.Die Frage, ob Religionen tolerant seinkönnen, lässt sich also zunächst mit einer

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lapidaren Einsicht beantworten: Alle Reli-gionen haben entweder als ganze oder inTeilen Phasen der Intoleranz, der Abgren-zung und intensiven Identitätsfindunggehabt und haben sie z.T. aus jeweilsspezifischen Gründen auch in der Gegen-wart. Aber alle Religionen können gleich-zeitig Beispiele für positive Erfahrungenmit interreligiösem Respekt berichten undhaben jeweils den Anspruch, die Bereit-schaft und das Potential zur Toleranz undzum friedlichen Zusammenleben mit an-deren. Dies gilt wohlgemerkt, wie obenausgeführt, auch für den Islam: Wennnicht nur einer islamistischen Minderheit,sondern dieser Religion pauschal vorge-worfen wird, gewalttätig und nicht frie-densbereit zu sein, dann scheint hier dasProblem eines Toleranz- und Verständnis-defizits nicht auf Seiten des Islam, son-dern auf der der Kritiker zu liegen.18

Theologische Beobachtungen und ihre Grenzen

Ich möchte weitere Versuche aus ver-schiedenen Perspektiven unternehmenund zunächst mit einem theologischenHinweis beginnen, um dann einige Über-legungen anzustellen, die etwas mehr aufunsere Situation anwendbar sind. Wir können im Allgemeinen davon ausge-hen, dass die traditionellen Bekenntnisre-ligionen, der Islam, das Christentum, undin einem gewissen Sinne auch das Juden-tum, Probleme mit der Toleranz haben,und dies trifft auf den Buddhismus zu,sofern er sich im Westen bekenntnishaftorganisiert und sich in Verdrängungs-kämpfen behaupten muss. In diesem Fallewird das gefügte und formulierte Bekennt-nis dann zum Toleranzproblem und zumProblem einer defizitären Konvivenz-fähigkeit, wenn es automatisch mit Abso-lutheit gepaart wird, d.h. mit der Behaup-tung völliger Abgelöstheit von anderen re-

ligiösen Erkenntnisprozessen, d.h. wennes entsprechend nicht nur die subjektiveGlaubensgewissheit bezeichnet, sonderndarüber hinaus mit der Behauptung derobjektiven Ausschließlichkeit verbundenwird. Es sollte aber möglich sein, „Abso-lutheit“ als ein anderes Wort für „Treuezur eigenen Identität“, als Affirmation deseigenen Glaubens zu betrachten.19 Die„Absolutheitsgewissheit“ richtet sich da-mit nach innen, und nicht nach außen aufdie Beziehung zu den anderen Religio-nen. Es kann gleichzeitig anerkannt wer-den, dass es andere Identitäten miteigenem Recht auf ebensolche „Absolut-heit“, oder besser gesagt „Authentizität“gibt. Gedanken dieser Art hat das 2. Vati-kanische Konzil formuliert, und sie wer-den in Variationen von vielen Theologenaufgegriffen, die in letzter Zeit über dasVerhältnis des christlichen Glaubens zuden anderen Religionen nachdenken.Dieser Gedanke lässt sich mit der Einsichtergänzen, dass Gottes Wirken uns auchaußerhalb des Christentums und in Men-schen ernsthaften Glaubens begegnet, wieimmer dies dann im Einzelnen zu denkenist.20 Schon deshalb ist eine Absolutheitim ursprünglichen Sinne des Wortes, d.h.ein „Abgelöstsein“ von anderen Glau-bensformen, theologisch gar nicht denk-bar.21

Diese theologische Einsicht stößt aller-dings an ihre Grenzen in den Alltagssitua-tionen, in denen es um konkrete Begeg-nungen geht. Intoleranz und Konfliktver-halten haben in den wenigsten Fällen di-rekt und vorrangig etwas mit religiöserMotivation und mit religiösen Unterschie-den zu tun, sondern sind in der Regeleingebettet in ein Konglomerat von Angst-schwellen gegenüber dem Anderen/Frem-den. Hier wirken sozialisatorische Fak-toren, Erfahrungen, mitunter Einzelerfah-rungen, die verallgemeinert werden, unddie Arbeit der Massenmedien mit. Im

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Konzert solcher Prägungen spielt auch diereligiöse Komponente ihre Rolle. Men-schen, die ohnehin sozialisatorisch eherfür das Leben in homogenen Zusammen-hängen disponiert sind, erfahren in jahre-langem Wohnen in Berlin-Kreuzberg eineÜberdosis von Multikulturalität, fliehen inein Villenviertel im Südwesten undmöchten nie wieder in ihrem Leben einentürkischen Muslim zu Gesicht bekom-men, andere, evtl. selber Sprösslinge ausethnisch gemischten Familien, freuen sichschon das ganze Jahr über auf den pfingst-lichen Karneval der Kulturen in Kreuz-berg. Beides hat relativ wenig mit demWissen über das Toleranzpotential in denReligionen zu tun.

Zu einer Kultur des respektvollen Lebensmit Unterschieden

Ich möchte in einigen abschließendenPunkten erläutern, wie ich mir die Bedin-gungen für Toleranz und Respekt zwi-schen den Religionen vorstelle.

➢ Grundvoraussetzung ist der Respekt ge-genüber anderen Religionen in ihrer Wer-tigkeit als Heilswege, die Anerkennung,dass sie gleichberechtigte, seriöse und au-thentische Glaubensformen darstellen.Religionen begegnen uns in gläubigenMenschen, nicht als abstrakte Gebilde,und stehen unter der Vorgabe des Liebes-und deshalb auch Höflichkeitsgebots.➢ Für Christen gilt es besonders zu beher-zigen, dass die interreligiöse Begegnungnicht symmetrisch ist. In kultureller, juristi-scher und allgemein atmosphärischer Hin-sicht hat das Christentum „Standortvorteile“in Deutschland und gibt damit Machtstruk-turen vor, innerhalb derer sich tolerantesoder intolerantes Verhalten ereignet. DieseStrukturen gilt es zu vergegenwärtigen undgegebenenfalls punktuell zu umgehen.„Runde Tische“ oder die zahlreichen multi-

religiösen Initiativen sind Schritte in dieserRichtung.➢ Es geht um eine Kultur der Lernbereit-schaft und Hörbereitschaft, in der wir zurRationalisierung und Entzauberung vonWeltbildern bereit sind und bereitwilligneue Informationen aufnehmen undverarbeiten. Zur Rationalisierung vonWeltbildern gehört dazu, einzusehen, dasses kein „christliches Abendland“ gegeneine „islamische Bedrohung“ zu verteidi-gen gibt. Auf Toleranz trifft im Wesentli-chen das zu, was Brecht mit seinerberühmten Keuner-Geschichte zur Liebe22

ausdrückte: Ähnlich wie Herr Keuner ha-ben wir meist einen fertigen Entwurf von„den Religionen“ und schauen, dass un-sere Gesprächspartner diesem Entwurfähnlich sein mögen, zum Guten oder zumSchlechten. So entstehen die bizarren Ge-sprächssituationen z.B. mit dem Elementdes umgekehrten Fundamentalismus, indenen Muslimen, die die Friedensorientie-rung des Islam betonen, auf Grund vonKoran-Zitaten entgegengehalten wird, ihreReligion sei doch gewaltbereit und auf mi-litante Expansion angelegt.➢ Die von mir genannten Stichworte be-deuten nicht, dass eine von zwischenreli-giöser Toleranz und interkulturellem Re-spekt geprägte Kultur eine Kultur der per-fekten Harmonie, der für alle Zeit gelöstenoder verdrängten Konflikte sein soll. Esgeht nicht darum, dass Toleranz zur Vor-aussetzung haben muss, eine Art „Kom-promiss“ mit dem Gesprächspartner zufinden, eine „gemeinsame Wahrheit“ zuerarbeiten. Im Gegenteil ist Respekt vordem anderen allemal mit eigener Authen-tizität und Identität verknüpft. Toleranzsetzt ja den kognitiven Konflikt, die Wahr-nehmung von Unterschieden und die jeeigene Identität der Gesprächspartner al-lererst voraus. Wo sich nichts unterschei-det, muss allenfalls die Langeweile tole-riert werden. Eine Kultur der lernbereiten

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respektvollen Kommunikation kann dannauch in offener Atmosphäre Problemeund hermeneutische Schwellen themati-sieren und kann sich unpolemisch überdie Grenzen der Toleranz verständigen.23

In einer solchen Kultur können Konflikteohne Beziehungsbruch ausgetragen wer-den, und sie müssen ausgetragen werden,weil eine verschweigende Toleranz unter-schwelligen Zündstoff transportiert. ➢ Ein großes Thema stellt die Frage dertheologischen Toleranz dar: Wie ist mitdem Hinweis auf den einen und selbenGott umzugehen, zu dem Juden, Christenund Muslime beten? Wie stehen wir zu deroft erhobenen Forderung, Mohammed alsPropheten anzuerkennen? Was bedeutetfür uns die theologische Behauptung, nichtnur der Gott der drei monotheistischen Re-ligionen sei derselbe, sondern allen Reli-gionen ginge es letztlich um ein und die-selbe Wahrheit? Wie sind Bibel und Koranbzw. Bibel und Sunna miteinander ins Ge-spräch zu bringen? Können gemeinsameGottesdienste gefeiert werden? Gibt es „in-terreligiöse Gebete“?

Das sind wichtige theologische Fragen, diehier als Problemanzeigen zum Thema Tole-ranz nur in den Raum gestellt werden kön-

nen. Die Anerkennung von theologischenUnterschieden kann allerdings nur der Be-ginn von Toleranz und Dialog sein, nichtdas Ende. Wenn Muslime die KreuzigungJesu leugnen (Sure 4,157f.), weil sie ihnenmit der Würde Jesu Christi nicht vereinbarscheint, dann ist dies der Anfang eineswichtigen Gesprächs, nicht sein Ende! Ähn-lich kann es mit einer unterschiedlichenSicht auf das Leiden aus christlicher undbuddhistischer Perspektive sein. Und noch eine Schlussbemerkung: Ich habe die Begriffe Toleranz und Res-pekt nicht ausdrücklich definiert und gele-gentlich nebeneinander benutzt. Natür-lich kann es im gedeihlichen Zusammen-leben der Anhänger verschiedener Reli-gionen nicht nur Toleranz im Wortsinneeines gegenseitigen „Ertragens“ geben,einen Umgang miteinander, der mit demmühselig unterdrückten Gefühl der Unzu-mutbarkeit einhergeht. Wünschenswert istvielmehr ein menschenwürdiger, garliebevoller und respektvoller Umgangmiteinander. Aber das Normale sind im-mer noch die Situationen, in denen daseine, die Toleranz, schon viel wäre, unddas andere, der liebevolle Respekt, eineferne, aber schöne Vision darstellt.

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Anmerkungen

* Der Text basiert auf einem Vortrag, gehalten am6.7.2002 im Rahmen des Düsseldorfer Kirchentages.

1 Brockhaus. Die Enzyklopädie, Band 4, Mannheim201996, 681f.

2 Reinhart Hummel, Umgang mit „Sekten“ – Von denReligionen des Ostens lernen?, in: Michael Bergun-der (Hg.), Religiöser Pluralismus und das Christen-tum (Festgabe für Helmut Obst zum 60. Geburts-tag), Göttingen 2001, 174-188, 175.

3 Dies wäre ausdrücklich gegen Malise Ruthven (DerIslam, Stuttgart 2000, 121) festzuhalten, der dieSharia als „sowohl in der Theorie als auch in derPraxis kompromißlos individualistisch“ betrachtet.

4 Adel-Theodor Khoury, Toleranz im Islam,München/Mainz 1980, 26f.

5 Hartmut Bobzin, Der Koran. Eine Einführung,München 22000, 112.

6 Monika Tworuschka, Djihad im Islam – Bedeutungund Wandel eines Phänomens, in: M. Klöcker/U.Tworuschka (Hg.), Handbuch der Religionen, Mün-chen 1997ff. (Ergänzungslieferung 2002), IV–1.4, 9.

7 Vgl. islam.de/print.php?site = sonstiges/events/charta8 Neben zahlreichen Stellungnahmen zur Islami-

schen Charta, die tendenziell eher wohlwollendwaren, vgl. insbesondere die kritischen „Fragen undAnmerkungen“ von Johannes Kandel, Friedrich-Ebert-Stiftung (www.fes-online-akademie.de/down-load/pdf/KANDEL_ISLAMCHARTA.PDF), sowie dennachdenklichen Kommentar von Christian W. Troll,Islamische Charta für Deutschland, in: Stimmen derZeit 5/2002, 289f.

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9 Vgl. hierzu Werner Ende/Udo Steinbach (Hg), DerIslam in der Gegenwart, München 41996, ZweiterTeil, Kap. VII (Werner Schmucker: Sekten und Son-dergruppen); Ursula Spuler-Stegemann, Muslime inDeutschland, Freiburg i. Br. 1998, 51-59.

10 Bhagavadgita. Das Lied der Gottheit (aus dem San-skrit übersetzt von Robert Boxberger, hg. H. v.Glasenapp), Stuttgart 1992, 53 (Siebenter Gesang,Verse 2,6,7).

11 Die Reden des Buddha – Mittlere Sammlung, ausdem Pali-Kanon übersetzt von Karl Eugen Neu-mann, Herrnschrot 1995, 947f. (Dreizehnter Teil,Buch der Armut, Verschlackung).

12 Vgl. hierzu B. Petzold, Buddhist Prophet Nichiren –A Lotos in the Sun, Tokyo 1978; M. v. Borsig, Lebenaus der Lotosblüte. Nichiren Shonin: Zeuge Bud-dhas, Kämpfer für das Lotos-Gesetz. Prophet derGegenwart, Freiburg i. Br. 1981; U. Dehn, Diegeschichtliche Perspektive des japanischen Bud-dhismus – Das Beispiel Uehara Senroku, Ammers-bek bei Hamburg 1995, 31-41.

13 The Writings of Nichiren Daishonin, Tokyo 1999, 6-30. „Es [das Werk des Honen] stückelt alle ver-schiedenen Buddhas, Sutren, Bodhisattvas undGottheiten zusammen und sagt, man könne sie alle‚vergessen, wegschließen, ignorieren und entsor-gen’. Die Bedeutung dieses Textes ist absolut klar.Und als ein Resultat dessen haben alle Weisen dasLand verlassen, die wohlmeinenden Gottheitenhaben ihre Wohnorte aufgegeben, Hunger undDurst füllen die Welt und Krankheit und Pest brei-ten sich aus“ (a.a.O. 23, Übersetzung U.D.).

14 Vgl. die Darstellung bei H. W. Schumann, Hand-buch Buddhismus, Kreuzlingen/München 2000,309-313.

15 Vergleichbare Prozesse sind für andere Begriffe ausdem asiatischen Raum zu beobachten, etwa fürMandala als runde Ausmalbilder oder für die weit-hin säkularisierte Benutzung der Begriffe Yoga,Tantra, Qi Gong oder Taichi. Es ist eine „asiatischeEventisierung“ der deutschen Alltagssprache zubeobachten.

16 Das Bekenntnis der DBU ist Bestandteil ihrerSatzung, vgl. u.a. Die Deutsche BuddhistischeUnion (DBU) und ihre Mitglieder in Selbstdarstel-lungen, München 1991 (Anhang).

17 Der Hinweis auf die Heterogenität des Mahayana-Buddhismus steht unter dem Vorbehalt, dass fastalle Variationen im ostasiatischen Buddhismusbereits in den Ausrichtungen des indischen Bud-dhismus der frühen Jahrhunderte angelegt sind.

18 So zuletzt in dem Text Juden, Christen und Muslimevereint für den Frieden? Der Nahostkonflikt in bib-lisch-heilsgeschichtlicher Sicht – Eine evangelikaleOrientierungshilfe (Theologischer Konvent der Kon-ferenz Bekennender Gemeinschaften, in: idea132/2002, 7.11.2002).

19 Vgl. Reinhold Bernhardt, Der Absolutheitsanspruchdes Christentums. Von der Aufklärung bis zur Plura-listischen Religionstheologie, Gütersloh 21993, 238f.

20 Religionen, Religiosität und christlicher Glaube.Eine Studie, hg. im Auftrag der AKf und der VELKD,Gütersloh 21991, u.a. 125; EKD (Hg.), Zusammen-leben mit Muslimen in Deutschland, Gütersloh2000.

21 Vgl. zum Thema einer Theologie der Religionenu.a. U. Dehn, Religionstheologie in einer multire-ligiösen Welt, in: MD 1/2002, 1-14; Ders., DerGeist und die Geister – Religionstheologische Op-tionen und ein Vorschlag, in: Berliner TheologischeZeitschrift 1/2002, 25-44.

22 Vgl. Bertolt Brecht, Prosa Band 2 (von 4 Bde.),Frankfurt a. M. 1980, 386.

23 Zu den Stichworten der Rationalisierung von Welt-bildern, zur symmetrischen Kommunikation, zu den Vorgängen von Verständigung und Einver-ständnis in der Kommunikation vgl. allgemeinJürgen Habermas, Theorie des kommunikativenHandelns, Band 2: Zur Kritik der funktionalisti-schen Vernunft, Frankfurt a. M. 1995 (Erst-erscheinen 1981); vgl. auch Theo Sundermeier,Den Fremden verstehen – Eine praktischeHermeneutik, Göttingen 1996 (kritisch zu Haber-mas 84-92).

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Die Flut hat viele Fragen aufgeworfen.Eine erstaunlich positive Deutung gab ihrMarko Pogacnik bei seinem Auftritt am 29. 10. 2002 im Dresdner Kulturrathaus. Marko Pogacnik (geb. 1944 in Kranj, Slo-wenien) ist von Beruf Künstler, diplo-mierter Bildhauer an der Kunstakademiein Ljubljana. Darüber hinaus gehört er zuden bedeutenderen Vertretern der esoteri-schen Geomantie-Szene. Die Anhängerdieser Richtung verstehen die Erde alsbelebten und von zahlreichen feinstoffli-chen Wesenheiten (Feen, Elfen, Gnomeetc.) bewohnten Organismus, was inStädtebau, Architektur und Landschafts-gestaltung zu berücksichtigen sei. Schonseit 1979 ist Pogacnik in diesem Bereichaktiv und hat auch schon einige pres-tigeträchtige Projekte vorzuweisen. ZumBeispiel gelang es ihm, die Stadt Villachvon der Nützlichkeit der von ihm entwi-ckelten „Lithopunktur“ zu überzeugen.Dabei handelt es sich um eine Form derAkkupunktur, die auf die Erde als Organis-mus übertragen wird. So kam es, dass erdort 1997 in öffentlichem Auftrag zwölfSteinsäulen errichten durfte, um dieStörung durch eine von der Eisenbahnüberbaute Energiequelle „auszugleichen“(Profil Nr. 23, 2. Juni 1997). Ähnliche Pro-jekte gab es im Schlosspark Türnich undCappenberg sowie entlang der Grenzezwischen Nordirland und der Republik Ir-land bei Londonderry. Auch als Buchautorist Pogacnik aktiv. Mittlerweile sind neunBücher von ihm erhältlich, aufgrund seiner

internationalen Ausstrahlung teilweiseauch in englischer Übersetzung, und einnächstes ist bereits in Arbeit. Die bei vielen esoterischen Vordenkernanzutreffende Tendenz zur Bildung vonKlientengruppen ist auch bei MarkoPogacnik derzeit voll im Gange. Etliche Interessierte waren von seinen Vorträgenund Seminaren so angeregt, dass sie lokaleGeomantiegruppen bildeten. Im mittel-deutschen Raum bestehen solche Grup-pen in Dresden, Leipzig und Halle (Saale).Überregional haben sich diese Geoman-tiegruppen im „Lebensnetz – Netzwerk fürdie wechselseitige Inspiration von Erdeund Mensch“ zusammengeschlossen(www.lebensnetz.de). Mittlerweile gehö-ren in „mehr als 15 Ländern 85 Gruppen“zu diesem Netzwerk und tauschen unter-einander Informationen aus, organisierenVeranstaltungen und regen weitere Ge-meinschaftsbildungen auch auf europäi-scher und globaler Ebene an. Vor diesem Hintergrund war es interes-sant, Marko Pogacnik in Dresden zu er-leben.

Geomantiegruppe Dresden

Der Saal im Kulturrathaus war mit ca. 140Teilnehmern gut gefüllt, als eine ältereDame von der Geomantiegruppe Dresdendie versammelten „Freunde der Erde“ be-grüßte und einige einführende Worte zuMarko Pogacnik sagte. Seine Tätigkeit er-streckt sich demzufolge auf drei Bereiche:

Harald Lamprecht, Dresden

Im Gespräch mit der FlussgöttinMarko Pogacnik im Kulturrathaus

BERICHTE

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1. die Erforschung der feinstofflichen Ele-mente der Erde

2. die erdheilerische Tätigkeit mit Litho-punktur und Kosmogrammen sowie

3. die Weitergabe dieses Wissens in a) der Schule für Geomantie HagiaChora und b) seiner Vortragstätigkeit und den Erd-heilungsseminaren.

Die Geomantiegruppe in Dresden bestehtseit 1997 und ist aus einem solchen Erd-heilungsseminar von Marko Pogacnik her-vorgegangen. Als Künstler habe er ohne-hin seine ganz eigene Sichtweise auf dieNatur. Aber durch seine besondere Fähig-keit zum Erspüren der (normalerweise denSinnesorganen nicht zugänglichen) fein-stofflichen Elemente verfüge er überdarüber hinausgehende eigene Informa-tionsquellen. Dadurch würden viele As-pekte in seine Arbeit einfließen, die Men-schen ohne diese besondere Wahr-nehmung nicht sehen könnten. Nach einerkurzen Werbung für die nachfolgendenSeminare (bei denen rätselhafterweiseauch eine evangelische Kirchgemeinde alsEinlader fungiert) konnte dann MarkoPogacnik selbst das Wort ergreifen.

Geschulte Wahrnehmung

Der Beginn seiner Ausführungen erinnertemich an die Grundlegung anthroposophi-scher Erkenntnistheorie: Wir leben in einerZeit der Wandlung der Erde. Dies ge-schehe nicht nur in katastrophaler Weise,sondern auch allmählich und unbemerkt.In der Geomantie gebe es Menschen (wieihn), die ihre Wahrnehmungsorgane schu-len und verfeinern, damit sie dann denenBericht über diese Vorgänge geben kön-nen, die beruflich oder zeitlich nicht in derLage sind, es ihnen gleichzutun. Geoman-tie bedeutet das Deuten der Erde. Ge-wöhnlich sehen wir nur die äußeren

Prozesse, es sei aber die Kunst nötig, aufdas Innere zu hören und es zu verstehen.Diese inneren Prozesse vollziehen sich

a) auf der energetisch/feinstofflichen Ebene,b) auf der Ebene des Bewusstseins (der

Elementarwesen) undc) auf der geistigen Ebene des Kosmos.

Menschen früherer Zeiten (welche er ge-nau meint, sagt er nicht) hätten noch mitder Erde gelebt und geatmet, später habesich der Mensch getrennt und dieses Ver-mögen verloren. Nur Einzelne hätten esbislang wiedergewonnen.Es wird also eine Differenz im Erkennt-nisvermögen zwischen dem Vortragendenund dem Publikum aufgebaut, aus der her-aus das Nachfolgende quasi Offen-barungscharakter bekommt – auch wenndies nie so ausgesprochen wurde. Er hat eserspürt – wir dürfen es glauben.

Selbstheilungsprozesse der Erde

Zunächst unternimmt Marko Pogacnikeinen Rückblick auf seine Ausführungenwährend seines letzten Besuches in Dres-den zum Thema „Selbstheilungskräfte derErde“. Wie der Mensch nicht nur einHaufen von Knochen und Fett ist, sei auchdie Erde kein Steinhaufen, sondern habeEmotionen, Bewusstsein und eine Indivi-dualität. Die Erde habe das Handeln derMenschen verstanden und warte nicht aufeine Besserung des Menschengeschlechts,sondern habe ihre Selbstheilung be-gonnen, indem sie allmählich die Fre-quenzen ihrer Schwingungsebenen ver-schiebe. Sie konzentriere sich nun auf an-dere Ebenen. Ihre Aufmerksamkeit ver-schiebe sich vom Erdelement ins Luftele-ment (der Aquarius/Wassermann sei jaeigentlich ein Luftzeichen) und schaffedadurch eine neue Raumqualität, in diedas alte aufgenommen und integriert wird.

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Wir seien nun aufgerufen, uns an diesemProzess zu beteiligen. Ein zweiter Strangder Selbstheilung bestehe in der Ak-tivierung der inneren Reserven. Es werdenChakren aktiviert und geomantische Sys-teme verändert. Der dritte Strang liege inder Bewusstseinsentwicklung. Die Partner-schaft zwischen Erde und Mensch stehevor der Phase der Scheidung. Entweder wirproduzieren weiter und immer mehr künst-lich, oder wir verbinden uns wieder mit derNatur und geben dieser „Ehe“ noch eineChance. Die Natur – so hat es Pogacnikgespürt – gibt uns noch eine Chance undsieht die Möglichkeit zur Weiterentwick-lung. Sie will uns nicht wegstoßen, son-dern zu einer neuen Zivilisation her-anziehen. Dies brauche eine Sprache, diewir beide verstehen. Die Menschenmüssen die Sprache der Natur lernen, wiesie sich in den mysteriösen Kornkreisenoder auch in der Elbeflut ausdrückt.

Die Flut als Sprache der Natur

Als er im September in Prag war, hat er diedortigen Flutschäden kennen gelernt. DieElementarwesen des Flusses, die er ausfrüheren Jahren kannte, habe er in diesemJahr überall in der Stadt getroffen, überallwo das Wasser war. Aber er beschreibt diespositiv, mit einem Lachen im Gesicht:überall war es durchflutet mit dieser an-deren Qualität. Die Menschen haben denFluss als Feind gesehen, ihn begradigt,Ufer ausgebaut, in einen Panzer gesteckt,um zu verhindern, dass die Seele desFlusses atmet. Die (in populären neuheid-nisch-religiösen Systemen gebräuchli-chen) drei Aspekte der Göttin als Jungfrau(natürlich), Mutter (kreativ) und Grei-sin/schwarze Göttin (zerstörerisch) habeder Fluss auch in sich: als Quelle, Flusslaufund Flut. Die Menschen versuchen, dendritten Aspekt, die schwarze Göttin, zu eli-minieren. Lediglich als Jungfrau (Trink-

wasser) und Mutter (Schifffahrt) ist ihnender Fluss willkommen. Der Zyklus derNeuentstehung, der vorher das Sterbendes Alten benötigt, wird somit abgeschnit-ten. Die so zerstörten Wandlungsphasenkommen dann 100-fach über uns. DieErde wolle uns aber nicht zerstören, son-dern uns warnen und helfen, dass dieMenschheit sich auf die neuen Schwin-gungsebenen heraufarbeiten kann – soPogacniks Botschaft.

Flusschakra und Göttin

Lokalbezug bekommen seine Ausführun-gen, als er über seinen Stadtrundgang inDresden berichtet. Bei der Augustus-brücke, die aus energetischem Gesichts-punkt besser 100 m weiter flussaufwärtsstehen sollte, habe er ein großes Fluss-chakra entdeckt. Wie die sternförmigenZacken einer alten Stadtbefestigung habeer es wahrgenommen, an jeder Zacke miteiner grünen Kugel (dem Erdchakra). Aufeiner solchen Kugel stehe die Frau-enkirche, was sehr wichtig sei, denn sieleite diese Energien weiter. Ihn wunderte,dass er dieses Flusschakra nicht schon beieinem seiner früheren Besuche wahr-genommen hätte, aber offenbar wurde eserst durch die Flut aktiviert. Die Wandlungdurch die Flut stoße eben Befreiung undWiederbelebung an. An der Augustusbrücke habe er dann auchein Gespräch mit der Flussgöttin (demFluss-Bewusstsein) geführt. Dies war eineder amüsanten Stellen des Abends: Pogac-nik erläuterte, wie er die Flussgöttin ge-fragt habe, was er heute Abend als ihreBotschaft den Dresdnern verkünden solle.Sie hätte gesagt – hier stockte er in seinerbisher völlig frei vorgetragenen Rede,dachte nach und gestand: „Das habe ichvergessen.“ Allerdings ließ sich dieseGedächtnislücke durch ein eilig hinzuge-zogenes Notizbuch schließen, denn nun

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wollten wir schon wissen, was unser Flussuns zu sagen hat. Der Inhalt unterschiedsich (wie man erwarten konnte) eigentlichgar nicht von Pogacniks sonstigen Aus-führungen: Die Flussgöttin möchte mit unszusammen die neue Zivilisation schaffen,wir sollten uns nicht gegen Veränderungensträuben und auf ihr Begehren nach Part-nerschaft eingehen.

Wandlungen statt Katastrophen

Marko Pogacniks freundliche undunaufgeregte Art hat etwas Gewinnendes.Er spricht ruhig, mit einem Lächeln auf denLippen. Dramatisieren liegt ihm fern. ImGegenteil, immer wieder antwortet erbesänftigend auf unruhige Fragen aus demPublikum. Ob man angesichts der Um-weltzerstörung nicht Angst vor dem Welt-untergang haben müsse? Nein, denn dieErde als göttliches Wesen gebe auch an-deren Formen Raum. Zwar gebe es Zu-sammenbrüche (vgl. Atlantis), aber stetsauch Erben dieser Kulturen. Unter demEwigkeitsaspekt werden Katastrophen zuWandlungen. Das Gefühl von Zusammen-bruch entstehe lediglich aus Unverständ-nis für den geistigen Kern der Erde. Wasmit dem armen Elementarwesen ge-schieht, wenn ein Baum gefällt werde? Esfreut sich über seine Freiheit. Die Men-schen sollen lediglich den Baum daraufvorbereiten, ihm Danke sagen, dann kannsich der Baumgeist zurückziehen und hin-terlässt bloßes Holz. Alle Fragen hat er wahrscheinlich nicht zurZufriedenheit der Teilnehmer beantwortet.Viel Konkretes war von ihm nicht zu hören.Auf den Wunsch nach eindeutigen Hand-lungsanweisungen antwortete er auswei-chend. Was will der Fluss von uns? Waskönnen wir tun? Nicht viel. Bewusst mit-kommen. Wohin und auf welchem Weg,bleibt unkonkret wie manches andere andiesem Abend. Die kleinen Gruppen auf

dem richtigen Weg wirken gleichsamhomöopathisch für die gesamte Menschheit– ein Trost für die kleine Schar der Erdheiler.

Gott und das Göttliche

Theologisch wird es am Schluss der Ver-anstaltung. Fragen aus dem Publikumschneiden diese Themen an, die er bislangausgelassen hatte. Ist das Göttliche mit derNatur identisch, oder noch etwas anderes?Pogacnik unterscheidet drei Ebenen: dieErde, ihr Bewusstsein und die göttlicheEbene (Gaia). Darin seien wir Menschenihr ebenbürtig, denn jeder Mensch habeeinen göttlichen Funken in sich. Eine Teil-nehmerin stellt die Frage, ob die Kommu-nikation mit einer solcherart göttlich ge-dachten Erde einem Gespräch mit Gottgleichzusetzen sei? Seine spontane Ant-wort: „Ich glaube nicht an Gott“. Erbrauche nicht Gott als eine Hyperinstanz,um mit einer Göttin zu sprechen. DasGöttliche findet nach seiner Auffassungverschiedene Weisen, sich zu manifes-tieren. An ein abgesondertes (von derNatur unterschiedenes) göttliches Wesenglaube er nicht.Religionswissenschaftlich gesprochen stelltPogacniks Auffassung einen Rückfall in –oder positiver ausgedrückt: eine Wieder-belebung von archaisch-mythologischenSichtweisen dar. Gern nimmt er auch Kel-ten und Schamanen als Vorfahren seinerAuffassungen in Beschlag (selbst wenndiese sich noch nicht für Flusschakrenbegeistern konnten). Mit dieser pantheis-tischen Grundauffassung wird mit vielkünstlerischer Kreativität eine große Zahlesoterischer Traditionen geschickt ver-woben. Marko Pogacniks Weltbild weisteine nicht zu unterschätzende Komplexitätauf, was in seinen Ausführungen mitunteranklingt und sicher mit ein Grund für seineAttraktivität bei diesem mehrheitlich in-tellektuellen Publikum darstellt.

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Fazit

Im Anliegen eines verantwortungsvollerenUmgangs mit der Natur sind sich Christenund Geomantiegruppen einig – nicht aberin den dahinterliegenden Auffassungenvon der Natur und von den angemessenenWegen zu ihrer Gesundung. Es istzweifelsohne gut und richtig, die Natur alsPartner des Menschen anzunehmen. Dazubraucht es aber keine Vergöttlichung, imGegenteil: Indem beide, Natur und Men-sch, zum Bereich der Schöpfung Gottes

gehören, stehen sie auf einer Ebene. In derMitgeschöpflichkeit ist der partnerschaft-liche Umgang bereits angelegt. Vielechristliche Umweltgruppen sind seitJahren in diesem Sinn engagiert und habenim öffentlichen Bewusstsein schon vieldavon verankern können – auch ohne Fre-quenzverschiebung und Chakrenöffnung.Wird die Natur hingegen zur Göttin, dannmuss auch der Mensch selbst Gott sein, umeine Partnerschaft begründen zu können.Wo er dies versuchte, ist nie etwas Gutesherausgekommen, denn das ist er nicht.

Jan Badewien, Karlsruhe

Antijudaismus bei Rudolf Steiner1

1. Die aktuelle Diskussion um Steiners Rassismus

Um die Frage nach Rassismus und Judais-mus im Werk Steiners, in der Anthroposo-phie und in der Waldorfpädagogik ist esnach einigen erregten Debatten im An-schluss an die Report-Sendungen des SWRim Jahr 2000 wieder ruhig geworden. ZuUnrecht, sind doch die angesprochenenProbleme keineswegs ausreichend geklärt.In den Niederlanden sahen sich die An-throposophen genötigt, eine Kommissioneinzusetzen, um die erhobenen Vorwürfezu klären. Auf die Ergebnisse dieser Kommissionwird seitens der Anthroposophen immerwieder gerne verwiesen, spricht sie dochSteiner von allen Vorwürfen frei. Sie hattejedoch einen unaufhebbaren Geburts-fehler: es wurden nur Anthroposophen alsMitglieder berufen, da nur sie verstehenkönnten, was Steiner wirklich gemeinthabe.2 In einer Fleißarbeit sind viele rassis-tisch anmutende Zitate aus dem WerkSteiners zusammengetragen, kommentiert

und weitestgehend entschuldigt worden,so dass nur wenige selbst von dieser Kom-mission als rassistisch und nicht mehr ver-wendbar benannt wurden3 – und selbstdas hat unter deutschen AnthroposophenWiderspruch ausgelöst.4Hier sei zunächst nur festgestellt: dieserBericht kann nicht das letzte Wort bleiben,wenn Anthroposophen sich ernsthaft mitden problematischen Seiten ihrer Weltan-schauung im Blick auf Rassismus und Anti-judaismus auseinandersetzen wollen. Diefolgenden Ausführungen wollen dazu An-regungen geben, wobei hier insbesonderedem Vorwurf des Antijudaismus nachge-gangen werden soll.

2. Biographie Steiners und sein Antijudaismus

Rudolf Steiner lebte von 1861 bis 1925.Geboren wurde er in Österreich-Ungarn,den größten Teil seines Lebens verbrachteer in Deutschland, zuerst in Weimar alsMitarbeiter an der historisch-kritischenGoethe-Ausgabe. 1893 promovierte Stei-

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ner in Rostock im Fach Philosophie. SeinVersuch, eine Universitätslaufbahn einzu-schlagen, misslang: „Die Philosophie derFreiheit“ von 1894 wurde von der Philo-sophischen Fakultät der Universität Jenaals Habilitationsschrift abgelehnt.Seit 1897 lebte er in Berlin, zunächst alsMitherausgeber eines literarischen Maga-zins, dann als Lehrer an der sozialistischenArbeiterbildungsschule, schließlich – ab1901 und nach manchen anderen Ver-suchen, beruflich Fuß zu fassen – als Ge-neralsekretär der deutschen Sektion derTheosophischen Gesellschaft.Zwischen 1890 und 1901 gehört Steinerdurchaus zur literarischen GesellschaftWeimars und Berlins, man kann vielleichtsogar sagen zur Bohème. In dieser Zeitverspottet er die Theosophen ganz im Stilder Avantgarde der Zeit: sehr von obenherab verurteilt er sie als unglaubwürdig(„Magazin für Literatur“, 1897). Steinerspricht in seiner Autobiographie „MeinLebensgang“ über diese Zeit von der„Notwendigkeit, in das bürgerliche Wesenunterzutauchen, durch meine Tätigkeit inder Arbeiterschaft in das proletarische. Einreiches Feld, um die treibenden Kräfte derZeit erkennend mitzuerleben“ (GA 28, zit.nach der TB-Ausgabe S. 283).1901/2 wird Steiner Theosoph. Im erstenJahrzehnt des 20. Jahrhunderts – alsTheosoph also – schreibt er seine bis heutein der Anthroposophie als grundlegendgeltenden Werke. Sie formulieren nichtmehr eine intersubjektiv nachvollziehbareund wissenschaftlich begründete Erkennt-nistheorie, wie notfalls noch die „Philoso-phie der Freiheit“, sondern haben Titelwie: „Geheimwissenschaft im Umriss“,„Wie erlangt man Erkenntnisse derhöheren Welten“, „Aus der Akasha-Chro-nik“ – Bücher, die ihm eine kleine Scharvon Anhängern verschaffen, die aber seineReputation als Mitglied der literarisch/künstlerisch/wissenschaftlich interessier-

ten Gesellschaft Berlins beenden. Steinerformuliert seine okkulte – heute würdeman eher sagen: esoterische – Weltan-schauung in zahlreichen weiteren Schrif-ten, Artikeln und vor allem Vorträgen.1913 trennt er sich von der Theosophi-schen Gesellschaft und begründet die „An-throposophische Gesellschaft“. Nach dem 1. Weltkrieg erst beginnt diepraktische Phase seines Wirkens: aufGrund von Anfragen von Freunden undAnhängern gründet Steiner die Waldorf-schule mit der entsprechenden Pädagogik,den biologisch-dynamischen Landbau,Grundzüge der anthroposophischen Heil-kunde und er ist wesentlich beteiligt an derEntstehung der Christengemeinschaft.1925 stirbt er in Dornach bei Basel.

3. Von Planeteninkarnationen und Wurzelrassen oder: Grundzüge des anthroposophischen Geschichts-determinismus

Mit der Hinwendung zur Theosophie voll-zieht Steiner eine radikale und grundle-gende Wende in seiner Biographie. War erbislang ein Autor, der sich mit den ak-tuellen Gedanken und Denkern seiner Zeitauseinandergesetzt hatte – mit Nietzsche,Haeckel und der literarischen Avantgarde– so entwickelt er nun plötzlich eine eso-terische Weltanschauung, die er weitge-hend bei den Theosophen entlehnt (auchwenn er das später nicht wahrhabenwollte). Dazu gehört ein Erkenntnisweg,der zu einem Wissen über höhere Weltenführen soll und es gehören dazu angeb-liche Erkenntnisse aus einer Wel-tenchronik, die im Weltenäther vorhandensein soll, in der alles aufgezeichnet ist, wasjemals gedacht, gesagt und getan wurde.Diese Chronik sei die Quelle vonEingeweihten, die daher viel genauer undgültiger über die Gesetze der Welt undihre Geschichte Kunde zu geben vermö-

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gen als andere Menschen. Die Behaup-tung einer „Akasha-Chronik“ findet Steinerin den Werken der Gründerin der Theo-sophischen Gesellschaft, Helena PetrownaBlavatsky. Dort entlehnt er auch sein neuesBild von der Welt als eines sich über Wel-tensysteme hinweg entwickelnden Ge-bildes – eine Kosmosophie mit einer uni-versalen Schau verschiedener Inkarnatio-nen jenes Planetenwesens, das sich gegen-wärtig im Planeten Erde verkörpert. DieseSchau reicht ungleich weiter als alle natur-wissenschaftliche Erkenntnis oder Hy-pothese.Im Laufe der Entwicklung des Planetenwe-sens Erde entwickelt sich der Mensch, dernicht – wie in der naturwissenschaftlichenSicht – Spätling der Evolution ist, sondernvielmehr ihr Anfang. Seine Vervollkomm-nung (Vergeistigung) bildet das Movensder ganzen Evolution des gegenwärtigenWeltsystems (das sieben Planeteninkar-nationen umfasst). Mit Erreichen des Evo-lutionsstadiums „Erde“ besitzt der Menschbereits die niederen Wesensglieder, seinenphysischen Leib, seinen Ätherleib und As-tralleib, und erhält nun sein „Ich“, sein Be-wusstsein, seine ewige Individualität. Dieses Ich entwickelt sich im Laufe des Er-dendaseins mithilfe von „Wurzelrassen“,die jeweils Verantwortung tragen für dienächste Stufe der Vergeistigung des Men-schen. Die Stufenfolge geht von der pola-rischen Zeit zur hyperboräischen, vonLemuriern bis zu Atlantiern. Die 5. großeStufe der Erdentwicklung ist die gegenwär-tige: Sie wird von der Wurzelrasse derArier geprägt und entfaltet sich in sog.„nachatlantischen Kulturepochen“: vonIndern zu Urpersern, Chaldäern undÄgyptern, Griechen und Römern bis zuGermanen und in unsere Zeit hinein. Indiesen Stufen der Evolution entfaltet sichdas Bewusstsein – es ist am höchsten aus-gebildet in jenen Menschen, die dortleben, wo der Geist weitertreibt – und

nicht in jenen Kulturen, die er beiseitelässt. Dazu gehört, dass jedem Volk einebesondere Aufgabe für das Weltganzezukommt. Steiners Ausführungen sindgeprägt von einem gewissen Determinis-mus: Entwicklungen mussten sich abspie-len, wie sie es getan haben, damit eine Vo-raussetzung für die nächste Stufe geschaf-fen wurde usw. Dabei wird das Zusam-menspiel der Völker und Kulturen voneinem höheren Willen, einem geistigenGesetz, einem Ziel geleitet und bestimmt.Den Völkern sind Engelwesen, „Volksgeis-ter“, zur Anleitung beigegeben, damit sieihr Ziel im Rahmen der Evolution nichtverfehlen.

4. Antijudaismus in Steiners Geschichtsschau

Die genannte Stufenfolge geistiger Ent-wicklung ist tiefere Grundlage der Vor-würfe von Rassismus und Antijudaismusgegenüber Steiner und der heutigen An-throposophie: Wie in einer Stafette wirdder Geist zur weiteren Vervollkommnungweitergereicht – von einer Stufe zur nächs-ten. Und die anderen Völker und ihre Kul-turen haben nur beiläufige Bedeutung: diefür die Erde und die Menschheit entschei-dende Entwicklung spielt sich in dengenannten Epochen bei den sie bestim-menden Völkern ab. Daher ist derzeit dieEvolution der Europäer am höchsten fort-geschritten, die anderen Völker und„Rassen“ müssen sich drastisch abwer-tende Begriffe gefallen lassen: In diesen Kontext gehört Steiners Antiju-daismus. Dieser Begriff erscheint ange-messener als „Antisemitismus“, der vonder Konnotation „Nationalsozialismus“und Holocaust nicht mehr zu trennen ist.„Antijudaismus“ bezeichnet eine Abwer-tung des Judentums und der Juden insge-samt. Die Erkenntnis, das solche Abwer-tungen, auch wenn sie ohne Absicht

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geschehen, eine Abwertung der Menschenbis hin zu ihrer physischen Vernichtungnach sich zieht, ist relativ neu und ver-dankt sich intensiven Forschungen im An-schluss an den Nationalsozialismus undeiner selbstkritischen Haltung heutigerTheologie und Kirche zu vielen Strö-mungen in ihrer älteren und neuerenGeschichte. Wie steht nun Rudolf Steiner zum Juden-tum, zu den Juden? Es gibt in Steiners um-fangreichem Werk zahlreiche Stellen, diesich mit den „alten Hebräern“ – so eineLieblingsformulierung Steiners, wenn esum die Frühzeit Israels geht –, dem Juden-tum und den Juden befassen. Als erstes fällt auf, dass Steiner in seinentheo-/anthroposophischen Schriften undVorträgen die Juden (oder alten Hebräer)nicht in ihrer besonderen Existenz als Volk,als Religionsgemeinschaft würdigt. Siewerden nur gesehen als ein Volk, eineGemeinschaft, die eine Aufgabe für an-deres, Höheres zu besorgen hat. Die „al-ten Hebräer“ sollen darauf vorbereitetwerden, den Christus, den Sonnengeist, insich aufzunehmen. Steiner erbaut ein komplexes Welttheatermit lauter Notwendigkeiten: die Geschich-te Israels (der alten Hebräer) als eine Insze-nierung Jahwes dient nur einem einzigenZiel: den Leib des Jesus von Nazareth sozu formen, dass der Sonnengeist Christusin ihn einziehen kann. Immer und immerwieder schildert Steiner in seinen Vorträ-gen über die Evangelien – aber auch in an-deren Zusammenhängen – wie „die großeMutterloge der Menschheit“ oder die„Väter in den Himmeln“ durch das Blutder Geschlechterfolge wesentliche geis-tige Kräfte in das Volk der „alten Hebräer“fließen ließen – aber nicht, um es stark zumachen, um seine Identität zu stärken,sondern nur, damit die welthistorische Tatgeschehen kann, dass im Schoß diesesVolks jener Jesus von Nazareth geboren

werden kann, der fähig ist, den Christus insich aufzunehmen.5

Hierin besteht der erste Punkt des Antiju-daismus: Die Juden bzw. Hebräer mit allihrer Religion, ihrer Kultur sind nichtwichtig aus sich heraus, sondern nur imBlick auf die Inkarnation der Christus-We-senheit. Sie haben vorbereitende Funk-tion. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. In der Konsequenz bedeutet das: die welt-geschichtliche Rolle, die Bedeutung in derMenschheitsentwicklung, ist für das Juden-tum mit der Inkarnation der Christus-We-senheit in Jesus von Nazareth abge-schlossen. Dass sich die Juden diesemChristus nicht geöffnet haben, bezeichnetSteiner als Tragik und Fehler. Und von da-her ist es kein peinlicher Ausrutscher amRande, sondern eine konsequenteAntwort, wenn Steiner die fortdauerndeExistenz des Judentums als einen „Fehlerder Weltgeschichte“ bezeichnet:

„Das Judentum als solches hat sich aberlängst ausgelebt, hat keine Berechtigunginnerhalb des modernen Völkerlebens,und dass es sich dennoch erhalten hat, istein Fehler der Weltgeschichte“ (GA 32,Rezension zu „Homunkulus“ von Hamer-ling).

Diese Haltung Steiners zieht sich durchsein Werk hindurch: ab 1909 in den Evan-gelien-Vorträgen, bis 1924 in seinen sog.Arbeitervorträgen über „Die Geschichteder Menschheit und die Weltanschauun-gen der Kulturvölker“. 1924 antwortet erauf die Frage, „Hat das jüdische Volk seineMission in der Menschheitsentwickelungerfüllt?“ (GA 353, S. 196) mit langen Aus-führungen, die in folgendem Satz gipfeln:

„Es hat sie erfüllt; denn es musste früherein einzelnes Volk da sein, das einengewissen Monotheismus bewirkte. Heutemuss es aber die geistige Erkenntnis selber

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sein. Daher ist diese Mission erfüllt. Unddaher ist diese jüdische Mission als solche,als jüdische, nicht mehr notwendig in derEntwickelung, sondern das einzig Richtigeist, wenn die Juden durch Vermischungmit den anderen Völkern in den anderenVölkern aufgehen“ (S. 203, Hervorhebun-gen J.B.).

Nun kann man interpretieren, wie wir esbei Verteidigern Steiners lesen: er rede nurder Assimilation das Wort wie manchejüdische Wortführer auch. Doch bei allerInterpretation bleibt: die jüdische Missionist erfüllt. Jetzt können und sollen sie ihreIdentität aufgeben. Das ist – wie auch im-mer gemeint – gegen die Existenz des Ju-dentums als Religion, Kultur und persön-liche Identität gesprochen. Und es istwahrhaftig ein Unterschied, ob jemandüber Identität oder Assimilation der eige-nen Kultur und Religion redet, oder ob daseiner von außen tut. Hier liegt ein zweiterPunkt des Antijudaismus vor. Dabei mussdeutlich betont werden: natürlich hatSteiner nicht an eine physische Vernich-tung der Juden gedacht. Aber ihre Identitätsollen sie aufgeben – im Interesse einervon ihm, Steiner, erdachten Weltentwick-lung. Welch eine Anmaßung.

Zu einem dritten Punkt: Steiner qualifiziertden Gott der Juden ab. Steiner schaut, dassbei dem Geschehen, das in Gen 1geschildert wird, eine Siebenzahl von Elo-him (der hebräische Gottesbegriff, den esnur im Plural gibt) beteiligt gewesen seinsoll. In der Folge hätten sechs von ihnensich verbunden, auf der Sonne Wohnunggenommen und als Sonnengeist zumWohl der Menschen gewirkt. Einer aberhabe eine andere Entwicklung genom-men: er wurde zum Mondgott. Er hatte dieAufgabe, Weisheit auf die Erde zu strahlen– und zwar speziell für die alten Hebräer.Es ist Jahwe, der in vielen Mondfesten vonden Juden verehrt wurde und wird. Über

die Bedeutung Jahwes äußert sich Steinerimmer wieder – aber für ihn ist er derVolksgott der Hebräer, nicht die großeVatergottheit:

„Der Vatergott, den man noch dazu mitdem Jahvegott – der der jüdische Volksgottist – verwechselt, wird als der Schöpfergottangesehen, (während doch im Evangeliumsteht: Im Urbeginne war das Wort undalles ist durch dasselbe geworden, undaußer durch dieses Wort ist nichts vondem Entstandenen geworden).“6

Der Gott der Juden ist also nicht der Vater-gott, sondern nur Volksgott. Auch hier er-leben wir eine Herabsetzung des Juden-tums von außen. Dieser jüdische (hebräi-sche) Volksgott hatte eine begrenzte Auf-gabe, die mit dem Kommen des Christusendet (wie die Aufgabe seines Volkes):Vorbereiten sollte er auf das Kommen desChristus. Wir sehen erneut, wie Steinerden Juden keine eigene Wertschätzungentgegen bringt, sondern sie einzig inihrer Rolle in Relation zum Christen-tum sehen kann. Auch das Christentum,das die Schriften der Bibel als seineQuellen ansieht, wird hier getroffen, da esJahwe als Vatergott und Vater Jesu Christiverehrt.Die Bedeutung Jahwes wird aber noch en-ger an Christus gebunden – und die Un-terordnung unter Christus noch deutlicherformuliert. Immer wieder spricht RudolfSteiner davon, dass Jahwe ein Mondengottsei und dass er seine Vollmacht allein vonChristus hatte: Der Mond spiegelt das Son-nenlicht, Jahwe spiegelt Christus.

„Christus lebte schon im Jehova, im Jahve-gott; aber er lebte wie in seinem Abglanz.Wie das Mondenlicht das Sonnenlichtzurückstrahlt, so strahlt Jahve, die Wesen-heit, die dann im Christus lebte, zurück.Christus strahlte zurück sein Wesen ausdem Jahve- oder Jehovagott“ (Christus unddie geistige Welt, S. 72).

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Ähnlich in dem Vortrag „Vorstufen zumMysterium von Golgatha“ von 1913 (GA152):

„Wenn man einen Vergleich zwischen Je-hova und Christus ziehen will, so ist esgut, das Sonnenlicht und das Mondenlichtals Bild zu gebrauchen. Was ist Sonnen-licht, was ist Mondenlicht? Sie sind einund dasselbe und doch sehr verschieden.Das Sonnenlicht strömt von der Sonne aus,aber im Mondenlicht wird das Sonnenlichtvom Monde zurückgeworfen. In der glei-chen Weise sind Christus und Jehova einund dasselbe. Christus ist dem Sonnenlichtgleich, Jehova ist wie das reflektierte Chris-tus-Licht, insofern es sich der Erde offen-baren konnte unter dem Namen des Je-hova, ehe das Mysterium von Golgathaeintrat.“ (TB-Ausgabe S. 197f).

Es ist hier nicht der Ort, Steiners Christoso-phie zu untersuchen – sie spricht sehr an-ders von Jesus Christus, als die Schriftender Evangelien ihn darstellen.7 Als Quelleberuft Steiner sich auf seine Akasha-Chro-nik, in der er ein „Fünftes Evangelium“geschaut haben will.8 Aber schon die Tat-sache, dass Steiner das Judentum selbst inseinen innersten Mysterien, in seinemGottesverhältnis, allein im Blick auf denkommenden Christus funktionalisiert,zeigt, wie wenig er die Juden als eigen-ständiges Volk mit eigener Kultur, Religionund Sinnstiftung anerkennen kann. Dies bedeutet nicht, dass der Einfluss Jah-wes auf die Evolution der Menschheit vonihm als unbedeutend eingeschätzt wird,da Jahwe sich in der Begegnung mit Moseim Dornbusch selbst benennt mit: „Ichbin, der ich bin“. Damit wird Jahwe der„Schöpfer und Auswirker des mensch-lichen Ich“, die Voraussetzung dafür, dass„nach und nach der Mensch sich selbstentdeckt“ (GA 353, Geschichte derMenschheit, TB-Ausgabe S. 31f). Aber esbleibt bei der Eingrenzung: Vorbereitung,nicht eigenständige Würdigung.

Als vierter Punkt sei genannt: die Verwen-dung von antijüdischen Stereotypen, dieaus Unterschieden, die angeblich wert-neutral festgestellt werden, sehr schnell zuAbwertungen kommt. Steiner redet vonder Geistesart der Juden – nicht alsschlechter, aber sich von allen anderenVölkern unterscheidend (ebd. S. 78).

„Derjenige, der unterscheiden kann, kannimmer noch die besondere Geistesart derJuden von der Geistesart der anderen Men-schen unterscheiden. Damit ist gar nichtgesagt, dass sie schlechter ist, aber sie istunterscheidend“ (ebd. S. 78).

Und das, obwohl die Juden schon langebei anderen Völkern gelebt haben und vielvon ihnen angenommen haben:

„Nicht wahr, die Juden, die man heute inEuropa kennenlernt, die haben ja schonunter den anderen Völkern gelebt, und dahaben sie sich manches angeeignet“ (ebd.S. 78).

Was gehört zu solchen stereotypen Unter-scheidungsmerkmalen?

„Sie können überall nachforschen: die Ju-den haben eine große Begabung fürMusik, dagegen eine sehr geringe Be-gabung für die Bildhauerei, Malerei unddergleichen. Die Juden haben eine großeBegabung für den Materialismus, aberwenig Begabung für die Anerkennung dergeistigen Welt, weil sie von der ganzenaußerirdischen Welt einzig den Mondeigentlich verehrt haben“ (ebd. S. 78).„Wenn ein Jude Bildhauer wird, dannkommt eigentlich nichts Besonderes dabeiheraus, weil er dazu noch nicht veranlagtist. Er hat nicht diese bildhafte Veranla-gung; die geht ihm nicht ein“ (ebd. S. 199). „Und wenn sich die Juden beleidigtfühlen, wenn man sagt: Ihr seid keine Bild-hauer, ihr könnt da nichts leisten – so kannman sich sagen: Es müssen doch nicht alleLeute Bildhauer sein!“ (ebd., S. 202).

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Das ist schon fast zynisch. Steiners Bedie-nen der antijüdischen Stereotype erstrecktsich auch auf die Medizin:

„In die Medizin ist ein abstrakter Geist, einabstrakter Jehova-Dienst eingezogen, derheute eigentlich noch immer in der Medi-zin drinnen ist“ (ebd., S. 200).

Im Anschluss rekapituliert er das häufigkolportierte Vorurteil von der Überpropor-tionalität der Juden im Arztberuf. Hier wer-den zahlreiche Festlegungen für die Judenpauschal getroffen, die manchmal iden-tisch sind mit den Klischees, die in SteinersUmwelt umgehen: Juden seien ge-fühlskalt, berechnend, materialistisch, un-fähig für das Höhere, Geistige. Gerade inder Anthroposophie – der eine so starkeAbwertung von jeglichem Materialismuszu Grunde liegt – wird leicht aus dem Un-terschied eine Abwertung. Worin gründet nun aber dieser Unter-schied? Steiners Antwort: In der Beschrän-kung der Juden auf die Verehrung derMondenkräfte und dem Verlust der „Viel-geisterei“ (291), der ja in der Anthroposo-phie wahrhaft neue Urständ feiert.

„Sie wissen ja, daß man den Juden unter-scheidet von der anderen irdischenBevölkerung. Und dieser Unterschiedrührt schon davon her, daß durch dieJahrhunderte hindurch die Juden in derMondreligion erzogen worden sind undjeden anderen Einfluß in ihrer Seeleabgewiesen haben“ (ebd. S. 77f).

Wichtig ist: der von Steiner konstatierte,angebliche Unterschied des Juden vonallen anderen Menschen wird nicht his-torisch begründet, auch nicht aus derBeobachtung von Lebensformen in ver-schiedenen Ländern, sondern systema-tisch, aus der Anthroposophie heraus: Esist die Mondreligion, die Hinwendungzum Mondgott Jahwe, die unterscheidet.

Auch Juden könnten sicherlich sagen, dassder Glaube an Jahwe, seine Gebote undVerheißungen ihre Differenz zu allen an-deren Religionen begründet. Steiner ver-bindet den Unterschied aber mit „Volks-merkmalen“, eben mit Stereotypen: Jahwehat zu verantworten, dass „die Juden keinstarkes Interesse haben für das Irdische“(ebd., S. 43), was Steiner daran erkennt,dass „der“ Jude „gut denken“ kann, aber„nicht ein eigentliches Interesse für das,was in der Sinneswelt um ihn herum ist“,hat (ebd., S. 43). Ein weiteres Stereotyp des Antijudaismusist der Egoismus. Steiner behauptet, dassder Monotheismus der Juden, seinAnspruch, dass das Geistige nur in ihmvorhanden sei, verbunden mit der Bilder-losigkeit, zum Egoismus, ja, zu einem„gewissen Volksegoismus“ der Judengeführt habe (ebd., S. 199).

„Nun ist das Judentum genötigt gewesen[man beachte die angebliche Zwangs-läufigkeit! J.B.], weil es nur diesen einenGott sich vorstellte, überhaupt von diesemeinen Gott sich gar kein Bild zu machen,sondern diesen einen Gott ganz nur mitdem Inneren der Seele, mit dem Verstandezu begreifen. Aber es ist leicht einzusehen,daß sich damit eigentlich der menschlicheEgoismus im höchsten Grade verdichtete;denn der Mensch wird fremd alledem, wasaußer ihm ist, wenn er das Geistige nur inseiner eigenen Person sieht. Und das hatin der Tat einen gewissen Volksegoismusim Judentum hervorgebracht, das ist nichtzu leugnen“ (ebd., S. 198f).

Steiner greift auch in die innerjüdische De-batte um den Zionismus ein: Er lehntZionismus unbedingt ab als einen Versuch,einen Nationalstaat aufzubauen in einerZeit, in der doch die Völker sich zu eineruniversalen Einheit zusammenfinden sol-len. Den Zionismus als Nationalismusbringt Steiner dann in einen Zusammen-hang mit der Schuld am 1. Weltkrieg:

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„Ja, sehen Sie, meine Herren, dass dieMenschen die großen allgemeinmensch-lichen Prinzipien nicht mehr wollen, son-dern sich absondern, Volkskräfte entwi-ckeln wollen, das hat eben gerade zu demgroßen Krieg geführt! Und so ist das größteUnglück dieses 20. Jahrhunderts gekom-men von dem, was die Juden auch wollen.Da alles dasjenige, was die Juden getanhaben, jetzt in bewusster Weise von allenMenschen zum Beispiel getan werdenkönnte, so könnten die Juden eigentlichnichts Besseres vollbringen, als aufgehenin der übrigen Menschheit, sich vermi-schen mit der übrigen Menschheit, so dassdas Judentum als Volk einfach aufhörenwürde. Das ist dasjenige, was ein Idealwäre. Dem widerstreben heute noch vielejüdischen Gewohnheiten – und vor allenDingen der Hass der anderen Menschen“(ebd., S. 202, Hervorhebungen J.B.).

Steiner beschäftigt sich auch mit den anti-jüdischen Pogromen des Mittelalters undverurteilt sie, gibt aber auch den JudenSchuld durch ihr Beharren auf ihrer eige-nen Identität. Anschaulich macht er die vermeintlichejüdische Besonderheit am Beispiel einerDiskussion zwischen vier Nichtjuden undeinem Juden – angeblich, so Steiner, nichtfiktiv, sondern erlebt. Der Jude entwickeltnicht aus der Anschauung, sondern ausdem Begriff, das sei die „Jehova-Anschau-ung“: Jehova sagt! Und er schließt: „Siewerden auch so sein müssen wie die an-deren Menschen“ (ebd., S. 209, Hervorhe-bung J. B.). Darum geht es letztendlich.

Fazit: Es kann bei Steiner nicht der weitverbreitete Antisemitismus der Zeit um1900 festgestellt werden. Es ist aber erstaunlich, wie viele antijüdische Ste-reotype sich in seinem Werk finden. Und zwar nicht beiläufig, als persönli-che Wertung, sondern weitgehend alsKonsequenz seines anthroposophischenGeschichts- und Menschenbildes.

5. Zur gegenwärtigen Diskussion

Es gab auf die bislang erhobenen Vorwürfezahlreiche anthroposophische Repliken,die zumeist nicht vom Willen zum Dialoggetragen wurden. „Antisemitismus beiSteiner – eine Wahnidee“ formuliert StefanLeber. Das Fernsehen habe sich „von hart-gesottenen Anti-Waldorf-Missionaren vorden Dreckkarren spannen lassen“, be-hauptet Detlef Hardorp, immerhin „bil-dungspolitischer Sprecher“ der Waldorf-schulen in Berlin-Brandenburg. Manspricht von „selektiver Empörung“ undmöchte nachweisen, dass Steiner ein ak-tiver Gegner des Antisemitismus war. Einebesonders gründliche Studie von ManfredLeist, Lorenzo Ravagli und Hans-JürgenBader9 möchte dies recht detailliert be-gründen. Dabei fällt nicht nur auf, dass sieihren Gegnern vorwerfen, mit Zitaten zuarbeiten und selbst eine Fülle von Zitatenverwenden. Interessant ist vor allem, dassfast alle Belege für Steiners Gegnerschaftgegenüber dem Antisemitismus aus seinervor-theosophischen bzw. vor-anthroposo-phischen Zeit stammen, aus Artikeln im„Magazin für Literatur“ etwa, aus der Phi-losophie der Freiheit, aus Briefwechselnusw. Und es ist plausibel: Als modernerBohèmien, als Literat im Berlin des Fin desiècle war Steiner weder Antisemit nochRassist. Noch im September 1900 schreibter im „Magazin für Literatur“:

„Für mich hat es nie eine Judenfragegegeben... Ich habe den Menschen nienach etwas anderem beurteilen können alsnach dem individuellen, persönlichenCharakter“ (zit. nach Leist, u.a., S. 18).

Genau diese individuelle Sicht des Men-schen geht aber schlagartig verloren mitder Aufnahme der theosophischen Speku-lation einer Evolution der Menschheitnach geistigen Gesetzen, die nur schaut,wer in der Akasha-Chronik lesen kann.

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Hier liegt der entscheidende Bruch inSteiners Leben und in seiner Haltung zuden „Rassen“ insgesamt und zum Juden-tum im Besonderen. In der Folge wird dieSicht auf die Menschen als Individuenabgelöst von einem Reden von höherenWelten, Geheimwissenschaft, Akasha-Chronik und von dem Denken in geistigenGesetzen, Weltentwicklung, Planeten-inkarnationen und Wurzelrassen. Hier wird eine neue Dogmatik des Denkensübernommen und ausgeformt, die nicht mehrder Rationalität der Moderne verpflichtet ist,sondern einem voraufklärerischem Denkenin Notwendigkeiten, Geiststufen usw. unterBeteiligung bestimmter geistiger Wesen bishin zum Christus. Allen Völkern werden nunbestimmte Merkmale zuerkannt, ihre Kulturwird gemessen an esoterisch gewonnenenKriterien der Erfüllung von Aufgaben zumErreichen des nächsten kosmischen Zwi-schenziels. Und Steiner redet hinfort vondem Juden, dem Neger, dem Indianer, demMongolen, dem Franzosen usw.Hier haben alle mit Recht umstrittenen undbeleidigenden rassistischen Aussagen Stei-ners ihren Raum: die Stereotype über dieFranzosen, von denen er behauptet, ihre ge-genwärtige Haltung sei „das letzte Tobeneines untergehenden, eines aus der Erdent-wickelung verschwindenden Volkes ... dasfranzösische ist das am wenigsten lebens-fähige Element unter der romanischen Be-völkerung Europas“. Ihre Sprache seidiejenige, in der man „am leichtesten lügenkann“ (GA 300b, S. 277) und er würde es als„Kulturtat“ feiern, wenn das Französische, daser als „Leichnamssprache“ (282) bezeich-net, aus den Schulen verdrängt würde(280). Ähnliche und wesentlich schlimme-re Aussagen über die an ihrer Verhärtungzu Grunde gegangenen Indianer, die trieb-haften Neger, die „unvollkommenen Wil-den“ mit der „undifferenzierten, farben-armen Aura“10 usw. und eben über „die“Juden lassen sich in großer Zahl finden.

Es sind dies alles aber keine persönlichenEntgleisungen, sondern Konsequenzen auseinem theosophischen Denk-Korsett, indem Steiner verharrt und das er in denBereichen der Evolution („Weltentwicke-lung“ und „Entwickelung der Mensch-heit“) weitgehend übernommen und kaummodifiziert hat. Dabei sind Steiners Aussagen über die Ju-den nur ein besonders signifikantes Bei-spiel für die Art, wie er alle Kulturen be-urteilt: alle Religionen vor der Anthroposo-phie sind letztlich nur partiell gültig, unddamit Relikte einer früheren Zeit, die in derZukunft überholt sein werden. Daher auchSteiners Angriffe auf den Zionismus, dernach seiner Sicht in das überholte Schemahineinzielt. Erst die Anthroposophie – soder vermessene Anspruch – vermittelt einuniversal gültiges Wissen um die Welt unddas, was sie im Innersten zusammenhält.Sie soll die geistige Grundlegung für dienächste Stufe der kulturellen Entwicklungsein. So versteht Steiner seine Anthroposo-phie als „Testamentsvollstreckung“ desChristentums, als „drittes Kapitel desChristentums“11 und weltweit als „große,verständnisvolle Vereinigung, die Syntheseder religiösen Bekenntnisse auf derErde“.12

Die heutige Sensibilisierung im Blick aufdie Herabsetzung des Judentums ist sicherein wesentliches Resultat der historischenEntwicklung nach Steiner. Seine Aufforde-rung an die Juden, ihre kulturelle und reli-giöse Identität aufzugeben und seine Hoff-nung auf eine baldige kulturelle Erledigungdes Judentums wirken unerträglich ange-sichts der Geschehnisse des Holocaust. Das gilt ebenso für die Schriften vonSchülern, die Steiners Anschauungen in den antisemitischen Kontext gebrachthaben (zum Beispiel Ludwig Thieben, DasRätsel des Judentums, 1930, mit derberüchtigten Einleitung von ThomasMeyer 1991).

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Für die Entwicklungen des Antisemitismuswährend des sog. Dritten Reichs ist Steinerzwar nicht verantwortlich zu machen, je-doch die weit verbreitete „Ariosophie“13

seiner Zeit – die mythische Verherrlichungder Arier – hinterließ auch in der Anthro-posophie deutliche Spuren, ganz gleich,ob der Begriff der „Wurzelrasse“ irgend-wann gegen den der „Kulturstufe“ einge-tauscht wurde. Es war dieselbe Ariosophie,aus deren Dunstkreis auch der vernich-tende gewalttätige Antisemitismus derNazizeit Nahrung bezog. Es soll keineswegs verschwiegen werden,dass auch die Kirchengeschichte bis in dieGegenwart hinein zahlreiche Formen desAntijudaismus kennt. Aber hier wird sei-tens der Kirchen und der Theologie nichttabuisiert und auch nicht beschönigt, son-dern kritisch aufgearbeitet – von Kirchen-historikern und von allen anderen, die

bereit sind, sich in die Quellen einzuar-beiten. Hier werden die Versäumnisse dereigenen Vergangenheit und auch prob-lematische Denkstrukturen beim Namengenannt. Es ist höchste Zeit für die heutige Anthro-posophie, sich von den antijudaistischenAussagen Steiners zu distanzieren unddamit in ein kritisches Verhältnis zu ihremGründer einzutreten. Das wäre gewissleichter, wenn es sich um persönliche Ent-gleisungen handelte. Es ist eine schwereAufgabe, weil letztlich die ganze Theorieder geistigen Evolution und die Zuweisungvon jeweils dienenden Aufgaben derVölker zur Disposition stehen muss – unddas heißt: die Behauptung einer geistigenEvolution der Menschheit, wie sie vonSteiner geschaut wurde. Aber ohne solchegrundsätzliche Selbstverständigung wer-den die kritischen Anfragen nicht enden.

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1 Der Artikel geht auf Vorträge zurück, die vor der„Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenar-beit“ in Paderborn und Bielefeld gehalten wurden.

2 Der Zwischenbericht liegt auf deutsch vor unterdem Titel: Anthroposophie und die Frage derRassen, Info3-Verlag, Frankfurt a.M. 1998. Über dieZusammensetzung der Kommission informiert dasVorwort.

3 Die Kommission hat 50 Passagen als erklärungs-bedürftig eingestuft, 12 weitere als – nach heutigenMaßstäben – diskriminierend.

4 Z.B. Manfred Leist, Lorenzo Ravagli, Hans-JürgenBader, „Rassenideale sind der Niedergang derMenschheit“. Anthroposophie und der Antisemitis-musvorwurf, hg. vom Bund der Freien Waldorf-schulen, Stuttgart, 2. Aufl. Juni 2001.

5 Die Vorbereitung kulminiert in der Geburt zweierJesusknaben – der eine, von dem Lukas erzählt, um-schwebt von der Aura des Buddha, der andere, vondem Matthäus erzählt, als Inkarnation der ewigenIndividualität des Zarathustra. Auch diese Weltreli-gionen erhalten ihren Platz in der Vorgeschichte des– wohlgemerkt: anthroposophischen! – Christen-tums. Als der lukanische Jesus im Alter von zölfJahren von seinen Eltern mitgenommen wird zumTempel in Jerusalem, kommt es zu einer „Ich-Um-lagerung“: das Ich des Zarathustra verlässt denmatthäischen Jesus und geht in den lukanischen ein,der daher seinen Eltern wie verwandelt erscheint.Alle weiteren biblischen (und anthroposophischen)

Berichte handeln nun von diesem Jesus, der andereKnabe stirbt. Bei der Johannestaufe verlässt dasZarathustra-Ich den Jesus und die Christuswesenheit(der Sonnengeist) senkt sich in Jesus hinein.

6 GA 342, 100; Vorträge und Kurse über christlich-re-ligiöses Wirken I. Anthroposophische Grundlagenfür ein erneuertes christlich-religiöses Wirken(1921), Dornach 1993.

7 Dazu grundlegend: Klaus von Stieglitz, Die Chris-tosophie Rudolf Steiners, Witten/Ruhr 1955.

8 Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium,GA 148.

9 „Rassenideale sind der Niedergang der Men-schheit“. Anthroposophie und der Anti-semitismusvorwurf, 2. Aufl. Juni 2001, hg. vomBund der Freien Waldorfschulen (im Internet veröf-fentlicht).

10 Im Gegensatz dazu steht die „komplizierte Aura ei-nes europäischen Kulturmenschen“, in: Rudolf Stei-ner, Grundbegriffe der Theosophie, hier zit. nach:Wiederverkörperung. Themen aus dem Gesamt-werk Bd. 9, ausgewählt von Clara Kreutzer, Stuttgart1982, 64.

11 Das Johannes-Evangelium, 179 und 213.12 Rudolf Steiner, Christologie. Anthroposophie – ein

Weg zum Christusverständnis, Vorträge, ausgewähltvon Heten Wilkens (Themen aus dem Gesamtwerk,Bd 14), Stuttgart 1986, 92.

13 Vgl. Harald Baer, Arischer Rassenglaube – gesternund heute, EZW-Text 129, Stuttgart 1995.

Anmerkungen

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GESELLSCHAFT

Kritik an Staatsakt für Augstein. Miteinem Offenen Brief hatten zahlreiche Or-ganisationen der Konfessionslosen gegenden Staatsakt für Rudolf Augsteinprotestiert, der am 25. November 2002 inder Hamburger Hauptkirche St. Michaelisstattgefunden hat. Zu den Unterzeichnerngehörten die „Freien Humanisten Ham-burg“, der „Dachverband freier Weltan-schauungsgemeinschaften“, der „Deutsche Freidenker Verband“, der „Verband FreierWeltanschauungsgemeinschaften Ham-burg“ und der „Internationale Bund derKonfessionslosen und Atheisten“. In deman den Ersten Bürgermeister und den Senatder Hansestadt Hamburg adressiertenSchreiben heißt es, dieser Staatsakt ineiner Kirche sei „keine Ehrung, dies ist eine Verhöhnung des Verstorbenen,seiner Weltanschauung und seines Le-benswerkes“. Die Absender weisen darauf hin, dassAugstein bereits 1968 aus der Kirche aus-getreten sei und zitieren aus dem Vorwortzur Neuauflage seines Buches „JesusMenschensohn“ von 1999, wo er gleicheingangs klar stellt: „Spekulationen dar-über, dass ich – inzwischen 75 Jahre alt –die viel beschworene Umkehr vorgenom-men und mich nun eines besseren beson-nen hätte, gar in den ‚Schoß der Kirche’zurückkehren würde, dürften sich nachder vorliegenden Lektüre erübrigen.“ Er-wähnt wird auch eines seiner letzten In-terviews, in dem Augstein seine Distanzzum christlichen Glauben nochmals be-kräftigt hat. Auf die Frage, ob er an Gottglaube, gab er zur Antwort: „Nein. Ichkenne die Evangelien und die echtenBriefe des Apostel Paulus. Ich glaube nichtan die Auferstehung irgendeines Toten,

und dann muss ich mich damit weiterauch gar nicht beschäftigen.“Die Konfessionslosenverbände nahmendaran Anstoß, dass die offizielle Trauer-feier in einer Kirche stattfand und sahendarin einen Verstoß gegen die weltan-schauliche Neutralität des Staats. DiesemArgument war verschiedentlich mit demEinwand begegnet worden, der Staatsaktin einer Kirche sei keine kirchliche Ver-anstaltung. Die Absender des genanntenBriefes wiesen jedoch darauf hin, dass derHauptpastor des Hamburger Michel in derTageszeitung „Die Welt“ bereits voraberklärt hatte, er wolle „zu Ehren des Ver-storbenen, der nicht an die Auferstehungglaubte, von der christlichen Auferstehungpredigen“ – was jedoch so nicht geschah.Er würdigte den Verstorbenen und seinLebenswerk aus kirchlicher Perspektive. Indiese Perspektive gehört die in seinerPredigt zum Ausdruck gebrachte Über-zeugung, dass Gott auch an die glaubt,die „nicht an ihn glauben wollen oderkönnen“ und dies gelte „auch für den, derden Glauben für ein Herrschaftsinstru-ment einer Kirche hält, die die Menschenunfrei und klein macht“.Bereits im Vorfeld des genannten Schrei-bens und der geplanten Feierlichkeiten hat-ten Vertreter der Konfessionslosenverbändemit der Hamburger Senatskanzlei Kontaktaufgenommen. Von dort war ihnen mitge-teilt worden, dass „der Senat sich nicht mitder Religionszugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit seiner Ehrenbürger befasst“und folglich „die Kirche der anzu-nehmende Ort“ sei. Die Kritiker hieltendagegen: „Warum, fragen sich zu Rechtdie konfessionsfreien Bürger und Bürge-rinnen (immerhin ist über ein Drittel derHamburger Bevölkerung konfessionsfrei),ist eigentlich die Kirche immer ‚der an-zunehmende Ort’? Wo doch lediglich 54 %der Hamburger noch einer der beidengroßen christlichen Kirchen angehören.“

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INFORMATIONEN

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Interessant ist die weitere Argumentation:„Indem der Senat die Trauerfeier fürseinen konfessionsfreien EhrenbürgerAugstein als Gottesdienst zelebrierenlässt, grenzt er entweder die konfessions-freien Bürgerinnen und Bürger von einerTeilnahme systematisch aus, oder nötigtdiese, sich zu Ehren des Gedenkens einesKonfessionsfreien einer religiösen Kult-handlung zu unterwerfen und erklärtenkirchlichen Missionsabsichten auszuset-zen.“ Die Absender verweisen darauf,dass der Regierende Bürgermeister am 14.November 2002 bei der Abschlussver-anstaltung zum Hamburger „Tag der Welt-religionen“ ausgeführt hat: „Das Mitein-ander von Religionen erzeugt Respekt vorden Werten anderer. Der interreligiöseDialog trägt zu mehr Menschlichkeit undVersöhnung bei.“ Auf dem Hintergrunddieser Worte forderten die Absender denSenat auf, „diesem Anspruch auf Respektvor den Werten anderer auch im Hinblickauf die Konfessionsfreien endlich gerechtzu werden. Daher sollte die staatlicheTrauerfeier für das Nichtkirchenmitglied,den Christentumskritiker Rudolf Augsteineine weltanschaulich neutrale Gestaltungbekommen, die das Andenken des Ver-storbenen wirklich ehrt und es nicht ver-höhnt und auch der Unterschiedlichkeitder Weltanschauungen der Bevölkerunggerecht wird!“Die Diskussion offenbarte unterschied-liche Interessenlagen: Die Verbände derKonfessionsfreien machten mit ihrem „Of-fenen Brief“ deutlich, dass sie sich als An-walt der Konfessionslosen profilierenwollen, was ihnen zweifellos bis zueinem gewissen Grade auch gelungen ist.Selten hat eine Aktion der Konfessions-losenverbände vergleichbare Resonanzgefunden: So haben zahlreiche Tages-zeitungen den Offenen Brief (zumindestauszugsweise) zitiert bzw. die dort aufge-führten Argumente wurden bis in die

Wortwahl von den Medien übernommen,auch wenn mitunter nicht näher auf diesummarisch genannten „Kritiker“ einge-gangen wurde. Das Thema Augstein warklug gewählt, mit Blick auf ihre geringeMitgliederzahl erstaunt dennoch, wiescheinbar mühelos es den Konfessions-losenverbänden gelungen ist, ein wich-tiges Thema in die Debatte zu bringen. Siewerden sich also ermutigt sehen, auch inZukunft öffentlichkeitsrelevante Themenzu besetzen. Nachdenklich stimmen sollte an dieserAuseinandersetzung, dass die Klage vonder falschen Seite kam. Eigentlich hättenengagierte Christinnen und Christen ihreStimme dagegen erheben müssen, dassfür den scharfzüngigen Kirchen- undGotteskritiker in einem Gotteshaus einegroße Gedenkveranstaltung mit gottes-dienstlichen Elementen zelebriert wurde.Nichts gegen einen Staatsakt! Ohne Aug-stein und den SPIEGEL wäre die politischeKultur der Bundesrepublik wahrlichblasser. Aber hätte man nicht mehr Re-spekt vor der erklärten Weltsicht Augsteinszeigen können? Wie ernst nimmt dieKirche ihre Kritiker – wie ernst nimmt siesich selbst?

Andreas Fincke

Politisches von „Fürbitte für Deutsch-land“. Einen überraschend starken politi-schen Akzent hatte die Ausgabe 3/2002des Rundbriefs von „Fürbitte für Deutsch-land“, die kurz nach der Bundestagswahlerschienen ist. Die charismatisch geprägteGebetsbewegung forderte darin zumdringlichen Gebet auf gegen eine ver-meintliche „islamische Infiltrationsstrate-gie in die politischen Machtzentren unse-res Landes“. Ohne Bezugnahme auf poli-tische Ereignisse oder Vorgänge wurde„der langfristig angelegte Plan des Islam,unsere Nation zu übernehmen“ beschwo-

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ren und dies als „Bedrohung durch denGeist des Antichristen“ charakterisiert.Demgegenüber hofft die Bewegung aufeine „neue Reformation, die nicht nur dieGemeinde, sondern auch den politischenRaum erfassen wird“.Eine Ahnung vom Charakter dieser politi-schen Erweckung vermittelten des Weite-ren die etwa gleichzeitig veröffentlichten„Gebets-Mails“ vom Oktober und No-vember 2002. In deren Mittelpunkt standdie Kritik an der übermäßig hohen Steuer-last („Abgabenjoch“), die insbesondereHandwerker und Mittelstand in ihrer Exis-tenz bedrohe. Diese Klage ist im Raumder Politik nicht neu, auch nicht die For-derung nach „attraktiven Rahmenbedin-gungen für Unternehmertum“. Dass dieserWunsch aber nicht nur als Gebet for-muliert, sondern zugleich als „klarer Im-puls vom Herrn“ gekennzeichnet wird, istfreilich überraschend. Zweifellos musssich die Politik angesichts einer andauern-den schwierigen wirtschaftlichen Situa-tion in besonderer Weise dem Mittelstandzuwenden, es ist jedoch befremdlich,wenn sich öffentliche Gebetsanliegen aufWirtschaftsfragen oder auf die Abwehrnichtchristlicher Religionen reduzieren.

Andreas Fincke

NEUHEIDENTUM / OKKULTISMUS /SATANISMUS

Es wird leer unter dem Dach: Interne Dif-ferenzen und personelle Veränderungenbei Concilium GENA. (Letzter Bericht:9/2002, 282f) Für neue Irritationen undheftige Diskussionen in der okkult-magi-schen Szene hat der Austritt der umstritte-nen Thelema Society (TS) und des mit ihrfreundschaftlich verbundenen Vidar/Vali-Bundes aus dem Dachverband gesorgt. Dieinternen Auseinandersetzungen habenauch zu personellen Konsequenzen bei

Concilium GENA geführt: Der bisherigeVorsitzende, Federico Tolli, und drei wei-tere Mitglieder des Vorstandes traten wäh-rend der Mitgliederversammlung am 5.Oktober 2002 in Bergen/Dumme ge-schlossen zurück. Zu den Hintergründen: Noch in der Nachtteilte der führende Kopf der TS, Michael D. Eschner, im thelemitischen Internet-Diskussionsbereich von New Aeon Citymit: „Die TS ist am heutigen Tag aus demDachverband Concilium GENA ausge-treten. Grund: Dem Vorstand des DV[Dachverbandes; M.P.] zur Verfügung ge-stellte vertrauliche Unterlagen wurden imWeb veröffentlicht. Das verantwortlicheVorstandsmitglied konnte eindeutig identi-fiziert werden. Die TS stellte daraufhineinen Mißtrauensantrag gegen dieses Vor-standsmitglied. Der Mißtrauensantrag wur-de von der Mitgliederversammlung abge-lehnt. Obwohl das Abstimmungsverhaltender meisten Stimmberechtigten, wie sichim Nachhinein herausstellte, auf einemMißverständnis zu basieren schien, lehnenwir es ab, daß der absolut inakzeptableVertrauensbruch des betreffenden Vor-standsmitglieds nicht eindeutig als solchergekennzeichnet wird.“ Nähere Informationen über den Ablauf derEreignisse liefert eine Pressemitteilung, dieam 20. Oktober 2002 von der Pansophi-schen Gesellschaft in Hamburg (Vorsitzen-der: Federico Tolli) verbreitet wurde. Aus-löser für den Streit war offensichtlich dieEinschätzung eines Gerichtsurteils desAmtsgerichtes Dannenberg vom 15. April2002: „Ein Mitglied der TS wurde wegenAnstiftung zur Nötigung zu einer Geld-strafe verurteilt. Das Gericht war der Mei-nung, dass ein TS-Mitglied aufgrund derNötigung des verurteilten Mitgliedes zu‚üblichen’ Praktiken, so die Kammer, mitkörperlicher Gewalt gezwungen wurde.“Der Vorstand des Dachverbandes setzte„eine Kommission zur Untersuchung die-

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ses Falles“ ein. Unter der Leitung vonArndt Pipert kam diese Kommission zumErgebnis, dass dieses Urteil „nahe anRechtsbeugung“ grenzen und „in keinemFall die wahren Zustände in der TS“ wider-spiegeln würde. Dieser Auffassung sollTolli, den die Pressemitteilung an spätererStelle als „Theologen“ tituliert, sich wider-setzt haben, indem er auf weitere Aussa-gen (v.a. „von staatlichen und kirchlichenStellen“) hinwies, die die Auffassung derRichter untermauerten. Offensichtlich seidie Auseinandersetzung schließlich es-kaliert: „Der Streit spitzte sich zu, als dieschriftliche Urteilsverkündigung inklusivedes persönlichen Anschreibens des Amts-gerichtes an das angeklagte Mitglied aufeinem öffentlichen Forum im Internet pub-liziert wurde. ... Daraufhin beschuldigtedie TS den Vorsitzenden Tolli an dieserzweifelhaften Veröffentlichung beteiligt zusein. Da Kommission und zwei weitereVorstandsmitglieder von der TS das schrift-liche Urteil nebst Anschreiben erhielten,ging die TS von einem Vertrauensbruch ausund forderte in einem Misstrauensantragvon der MV [Mitgliederversammlung;M.P.] die Absetzung des Vorsitzenden.Dieser [Tolli; M.P.] gab zu, dass ihm dieUnterlagen bei einem Umzug abhandengekommen wären, bestritt jedoch jeglicheBeteiligung an der Veröffentlichung undreichte aus beruflichen und wegen Wand-lung seiner Weltanschauung seinen Rück-tritt ein.“ Völlig kampflos wollte Tolli dasFeld allerdings nicht räumen. Er fordertevon der Gruppe um Eschner „ein öf-fentliches Bekenntnis zu vergangenenFehlern und eine Erklärung, dass Praktikenwie Ekeltraining und erzwungener Bei-schlaf nicht mehr durchgeführt werden inder TS“. Aus der Sicht der PansophischenGesellschaft bzw. Tolli stellt sich der wei-tere Verlauf der Mitgliederversammlung sodar: „Dem widersprach die TS mit der Er-klärung Michael Eschners, dass solche

Praktiken, wie in der Urteilsschrift dar-gelegt, nie stattfanden.“ Offensichtlichkonnte sich die TS im Dachverband mitdem Versuch nicht durchsetzen, Solidaritäteinzufordern und Tolli als Vorsitzenden„unehrenhaft“ zu entlassen. Mit der TS istauch der Vidar/Vali-Bund aus demDachverband ausgetreten. Die inhalt-lichen Differenzen in diesem dispergieren-den Milieu, auf die hier schon öfter hin-gewiesen wurde, scheinen für diesen in-ternen Trennungsprozess den Ausschlaggegeben zu haben. Für den Vidar/Vali-Bund ließ „Nordolf“ am 11. Oktober 2002im Internet verlauten: „Die Ziele des Vidar/Vali-Bundes und des Dachverbandes er-schienen uns über Monate hinweg immerunvereinbarer. Viele Mitgliedsgruppen hat-ten das Interesse, einen gesellschaftsfähi-gen Okkultismus zu etablieren, also sichein ‚gemütliches’ Plätzchen in der bürger-lichen Gesellschaft einzurichten. Dies istaber definitiv nicht das Ziel des Vidar/Vali-Bundes. Uns wäre es im Dachverbandeher darum gegangen, mit okkulten/spiri-tuellen Ideen in die Gesellschaft einzu-greifen und den Okkultismus/Spiritualitätauch als Kraft zu verstehen, der dieseGesellschaft verändern kann.“Die Neuwahlen bei Concilium GENAbrachten folgendes Ergebnis: Neuer Vor-sitzender ist Michael Hamm aus Wies-baden, neuer Pressesprecher Ralph Ger-lach aus Dortmund, neuer Schriftführer istNico Zandomeneghi aus Köln, das Amtdes Kassenwartes versieht weiterhin HansGeorg Illig aus Mannheim. Als weitereVorstandsmitglieder wurden Iris Maier ausUdenheim und Berthold Röth aus Wormsim Amt bestätigt. Derzeit sind – so diePressemitteilung – im Dachverband neun„Gruppen, Logen und Organisationen ausdem okkulten und naturreligiösen Spek-trum vertreten“. Weitere Aufnahmeanträgewürden vorliegen. Die offizielle Internet-seite www.concilium-gena.org (Stand:

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29.10.2002) nennt folgende Mitglieds-gruppen: Celtsus-Wicca-MedizingesellschaftCommunitas SaturniIn Nomine SatanasLoge ChironMaya Nahual Tradition (Yok’ha Maya)Pansophische GesellschaftReformierter Alter und Universeller Ritus(R.A.U.R.)Saturngesellschaft DeutschlandsTyrclach Vikings.

Matthias Pöhlmann

BUDDHISMUS

Tibetische Lamas im Internet. Neuerdingsgibt es im Internet unter www.tibetan-lama.com eine Art Archiv, in dem dasLeben und Werk bedeutender tibetischerLamas der Gegenwart dokumentiert wer-den soll. Bemerkenswert daran ist alleinschon die Tatsache, dass dabei alle vierwichtigen Schulen des tibetischen Bud-dhismus quasi unter einem digitalen Dachversammelt sind und damit der Forderungdes Dalai Lamas nach Gleichberechtigungund Versöhnung der vier großen Lehrtradi-tionen Rechnung getragen wird. Das Pro-jekt hat daher auch den ausdrücklichenSegen des Dalai Lamas sowie der Abteilungfür Religion und Kultur der tibetischenRegierung im Exil. Lanciert wurde es an-lässlich des Kalachakra-Rituals in Graz.Das Angebot soll vor allem zur Unter-scheidung von authentischen und selbst-ernannten Lamas und Linienhaltern bei-tragen, auch wenn auf eigene Wertungenverzichtet wird. Karma Geleg Yuthok, derSekretär der Abteilung für Religion undKultur, erklärte dazu: „Spirituelle Schülerin die Fänge von falschen Lehrern undLehren geraten zu lassen, ist – selbst wennes ohne Absicht geschieht – ein großesProblem und eine schwere Sünde.“ Den

Tibetern scheint also (endlich!) bewusstgeworden zu sein, dass durch die Zer-streuung ihres Volkes im Exil die strengesoziale Kontrolle der religiösen Ausbil-dung kaum noch existiert und deshalb inder Frage der Authentizität von Lamas undLinienhaltern großer Handlungsbedarf be-steht. Im Moment befindet sich das Inter-net-Archiv zwar noch im Aufbau, es istaber geplant, die Texte in sechs weiterenSprachen, darunter Tibetisch und Deutsch,sowie herunterladbare und immer wiederaktualisierte Audiodateien von Belehrun-gen anzubieten. Initiiert wurde die Web-site von Sonam Topgyal, einem in Indientätigen tibetischen Unternehmer.

Christian Ruch, Zürich

OFFENBARUNGSSPIRITUALISMUS

Gründer der St. Michaelsvereinigung ver-storben. (Letzter Bericht: 6/1990, 166-169) Im Alter von 82 Jahren ist am 26. Sep-tember 2002 Paul Kuhn, der Begründerdes St. Michaelswerkes (Eigenbezeich-nung; andere Bezeichnung: St. Michaels-vereinigung), im thurgauischen Dozwil(Schweiz) verstorben. Wie die Gemein-schaft auf ihrer Internetseite mitteilt, erlager „nach jahrelangem Leiden seinen Al-tersbeschwerden.“1 Paul Kuhn wurde am10. Januar 1920 im schweizerischen Ro-manshorn geboren und wuchs im evange-lisch-reformierten Glauben auf.2 Im An-schluss an die Sekundarschule absolvierteer eine Gärtnerlehre. Im Alter von 22Jahren heiratete Kuhn. Aus der Ehe gingeneine Tochter und zwei Söhne hervor. Zwi-schen 1952 und 1962 betrieb Kuhn einenLaden für Gemüse, Zierfische und Sing-vögel. Während dieser Zeit wuchs bei ihmdas Interesse an übersinnlichen Themen.Er bildete sich nebenberuflich zum Coué-Lehrer aus und begann über diese Auto-suggestionsmethode, die der französische

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Apotheker und Psychotherapeut EmileCoué (1857-1926) entwickelt hatte, auchVorträge zu halten. 1965 kam es zumBruch mit der Coué-Bewegung, weil Kuhnzwei Frauen als Medien, durch die Engelund Heilige sprachen, in seine Bera-tungstätigkeit mit einbezogen hatte. DasMedium Maria Gallati (1919-1988), einedurch den traditionalistisch-marianischenKatholizismus geprägte Frau, übte einennachhaltigen Einfluss auf das allmählichsich abzeichnende Glaubenssystem aus.1971 entstand das heutige Zentrum, der„Gnadenort“, in Dozwil. Hier hielt Kuhnals „Priester“ der Gemeinschaft regel-mäßig „Messfeiern“ ab, die von An-hängern aus der Deutschschweiz und dembenachbarten Ausland besucht wurden.1974 tritt die Gemeinschaft offiziell unterdem Namen Ökumenische St. Michaels-vereinigung auf. Kuhn gilt als Reinkarna-tion des Apostels Paulus. In den achtzigerJahren spielten apokalyptische Botschaf-ten für die Gruppe eine immer größereRolle. Nach dem Tod des Mediums Gallatiam 16. Januar 1988 kam es zur Krise. Dieapokalyptischen Töne nahmen in denBotschaften zu. Der Weltuntergang wurdefür den 8. Mai 1988 erwartet. An diesemTag kam es in Dozwil zu Krawallen. DieAutorität der prophetischen Personen wardurch die Fehlprognose zutiefst erschüttertworden. Neue Prophetinnen begannensich hervorzutun, so etwa Monika Hoferaus Bayern. Sie stand bereits vor GallatisTod im Kontakt mit der Gruppe, verließ sieaber Anfang der 90er Jahre wieder. PaulKuhn legte das Werk Anfang der 90erJahren in andere Hände. Seither leitet derpensionierte Kantonsschullehrer UlrichAeberhard, der sich als Evangelist„Matthäus“ betrachtet, die Gemeinschaft.Er soll seit mehr als zehn Jahren über auto-matisches Schreiben, das die Gemein-schaft als „Geistgeführtes Schreiben“ be-trachtet, neue Offenbarungen empfangen.

Seit den gravierenden Ereignissen von1988 hat sich die Gemeinschaft stärkerdem missionarischen Anliegen geöffnet.Die neuoffenbarerische Gemeinschaft istvor allem im deutschsprachigen Bereichaktiv und zählt rund 4000 Anhänger. DieNaherwartung spielt nach wie vor einegroße Rolle. Allerdings ist nicht mehr vomWeltuntergang, sondern von der „Zeiten-wende“ die Rede. Im Internet heißt es:„Auch die Offenbarungen des Gnaden-ortes St. Michael beinhalten Aussagen zurZeitenwende. Zeitenwende bedeutet abernicht Weltuntergang. Die OffenbarungenGottes aus dem Gnadenort St. Michael er-läutern die Zeitenwende als Erneuerungder heutigen krisenbelasteten, oft chaoti-schen Welt. Sie bewirken eine Rückbesin-nung des Menschen auf ursprünglicheWerte, die Entthronung des materialisti-schen Denkens. Sie gebieten dem zer-störerischen Handeln an der SchöpfungEinhalt und fördern das Zurückfinden desMenschen zu ethischen und moralischenWerten und zur Einheit im Glauben inHarmonie mit den kosmischen Gesetzen.“Der Pressesprecher des St. Michaels-werkes, Thomas Graber, hat inzwischenangekündigt, die Vereinigung werde dem-nächst einen Nachruf auf Paul Kuhn veröf-fentlichen, „der den Medien unter der Be-dingung zur Verfügung gestellt wird, dasssie die Fehler der Vergangenheit endlichruhen lassen.“1 Vgl. hierzu die Internetpräsenz der Gemeinschaft:

www.benedicite.ch und www.st-michael.ch. 2 Weiterführende Informationen: Joachim Müller, Art.

Michaelsvereinigung, in: H. Gasper/J. Müller/F. Va-lentin (Hg.), Lexikon der Sekten, Sondergruppen undWeltanschauungen, Freiburg i. Br. 62000, 678-680;ders., Neue Botschaften des Himmels? DieMichaelsvereinigung in Dozwil, Fribourg 1994; Os-wald Eggenberger, Die Kirchen, Sondergruppen undreligiösen Vereinigungen, Zürich 1994, 197f.; Hans-Jürgen Ruppert, Okkultismus. Geisterwelt oder neuerWeltgeist?, Wiesbaden 1990, 125-127– Kritische Infor-mationen im Internet: www.relinfo.ch/dozwil.

Matthias Pöhlmann

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Andreas Benk, Moderne Physik und Theo-logie. Voraussetzungen und Perspektiveneines Dialogs, Matthias-Grünewald-Ver-lag, Mainz 2000, 280 Seiten, 24,50 €.

Der Autor lehrt zur Zeit als PrivatdozentKatholische Theologie / Religionspäda-gogik an der PH Heidelberg und an derKatholisch-Theologischen Fakultät derEberhard-Karls-Universität in Tübingen.Die vorliegende Arbeit ist seine leichtüberarbeitete Habilitationsschrift, die1999 von der Kath.-Theologischen Fa-kultät Tübingen angenommen und dannmit Unterstützung der Deutschen For-schungsgemeinschaft gedruckt wurde.Bereits im Vorwort benennt Andreas Benk das Ziel seiner Untersuchung, ermöchte die „Ausgangssituation der The-ologie für den Dialog zwischen Theologieund moderner Physik ... verbessern“ (9).Methodisch legt er keinen weiteren Kate-gorisierungsvorschlag zum Verhältnis„Glaube und Naturwissenschaft / Scienceand Religion“1 vor. Er möchte insbeson-dere nach adäquaten und richtungs-weisenden philosophischen Deutungender beiden großen physikalischen Theo-rien des 20. Jahrhunderts fragen: d. h., derallgemeinen und speziellen Relativi-tätstheorie, die untrennbar mit dem Na-men Albert Einstein verbunden ist (Dar-legung der wichtigsten physikalischenErkenntnisse, 45-58), sowie der Quanten-theorie, zu der die Namen Max Planck,Nils Bohr und Werner Heisenberg gehören(Darlegung der physikalischen Erkennt-nisse, 171-193).Seine Abhandlung durchzieht die zentraleThese, dass erfolgversprechende Aus-sichten für den genannten Dialog nur aufder Ebene der Philosophie (genauer derErkenntnistheorie bzw. einer Fundamen-

talontologie) möglich sind; folglich ver-wirft er ein direktes Anknüpfen der Theo-logie an Erkenntnisse der modernenPhysik ebenso2 (17f und passim) wie eine zur Metaphysik gesteigerte Physik(als Beispiele nennt er Stephen Hawking3, Paul Davies4 und vor allem Frank Tipler5).Auf den Seiten 59-98 bespricht Benkgeläufige Missverständnisse und antisemi-tisch motivierte Angriffe („arische Physik“)auf die Relativitätstheorie (59-65), bevorer auf ihre philosophischen Deutungennäher eingeht: Von Kantischer Transzen-dentalphilosophie ausgehend (Raum undZeit als synthetische Urteile apriori), wirddanach gefragt, ob diese grundsätzlich mitden Raum- und Zeitvorstellungen, die imUmkreis der Relativitätstheorie entwickeltwurden, vereinbar sei (72-86), und eswird die Diskussion des Logischen Posi-tivismus („Wiener Kreis“) um die Bedeu-tung der allgemeinen und speziellen Rela-tivitätstheorie kenntnisreich und prägnantdargestellt (86-95).Diesen philosophischen Deutungen, diein den 20er und 30er Jahren des letztenJahrhunderts vorgelegt wurden, be-scheinigt Benk ein außerordentlich hohesNiveau: „Die von den Vertretern des Logi-schen Positivismus geführten Diskussionenum die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie und um den damit inFrage stehenden erkenntnistheoretischenAnsatz Kants stoßen damals freilich nichtauf das Interesse der Theologie“ (97).Diese hier schon leicht anklingende Kritiksteigert sich bei Benks Untersuchung dertheologischen Reaktionen auf die Relativi-tätstheorie zu einem wahren Feuerwerk(99-170). Im einzelnen werden näher un-tersucht:

– die Relativitätstheorie als vermeintlicheBestätigung des Glaubens (100-104);

– die katholische Apologetik im Zugeder neuscholastischen Orientierung

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(Enzyklika Aeterni Patris von 1879,„Antimodernisteneid“, 105-130);

– die apologetischen Arbeiten KarlHeims (131-146) und

– Ansätze zu einer Neubestimmung desVerhältnisses von Physik und Meta-physik, insbesondere im Keplerbundund bei seinem zeitweiligen VorstandBernhard Bavink (147-170).

Die apologetischen Arbeiten K. Heimsfungieren für den Autor quasi als Negativ-folie für hoffnungsvolle – beinahe zeitglei-che – Neuansätze, die er vor allem im Kep-lerbund und beim „frühen“ B. Bavink aus-gemacht hat. „Heim will den Physikern einPhysiker werden, um sie mit ihren eigenenWaffen zu schlagen. Im Folgenden solldavon abgesehen werden, daß Heimkeineswegs die Höhe seiner Zeit zu errei-chen vermag und er schon darum seine Ab-sicht nicht realisieren kann.“ (143) Konkret wirft Benk K. Heim vor, erbetrachte die zu Debatte stehende Physikals etwas Feindliches, etwas zu Über-windendes (143), der modernen Physikwerde kein erkenntnistheoretischer Wertsui generis zugewiesen. Heim verschärfedie Entgegensetzung von Glaube undPhysik, indem er die Physik als „Welt desUnglaubens“ qualifiziert (144). „Die Cha-rakterisierung der neuzeitlichen Physikentspricht nicht deren Selbstverständnis.Der pauschale Vorwurf, daß die klassischePhysik [d.h. die Physik von J. Kepler, G.Galilei, I. Newton – M.R.] ihre Absoluta[Raum und Zeit – M.R. ] als Götzenverehrt habe und als Alternative zumGlauben aufgetreten sei, ist nicht richtig.[Die genannten Physiker] können dieVorstellung einer absoluten Zeit und einesabsoluten Raumes durchaus mit demGottesglauben verbinden“ (ebd.). Die un-terschiedliche theologische Beurteilungklassischer und moderner Physik, wie sieuns zum Beispiel in der Relativitätstheorie

und der Quantenmechanik gegenübertritt,sei nicht schlüssig, da die moderne Physikebenfalls Absoluta kenne (Naturkonstan-ten wie das Plancksche Wirkungsquantumoder die Lichtgeschwindigkeit) (ebd.).Heim begehe den hermeneutischenFehler, nicht zwischen physikalischer Aus-sage – wie sie im mathematischenFormalismus niedergelegt sei – und welt-anschaulichen Deutungsmöglichkeiten (!)zu unterscheiden. Seine Methode derAnknüpfung an physikalische Ergebnisse,die von spezifischen theologischen Mo-tiven geleitet sei, mache seine theologi-sche Argumentation vom jeweiligen Standder Naturwissenschaft abhängig (145). Die aufgeführten Einwände gegen HeimsMethode der Auseinandersetzung mit derPhysik ließen sich auf dessen „Missions-modell“ zurückführen (145). Interessan-terweise betont Benk in diesem Zusam-menhang, dass für ihn der Dialog zwi-schen Glaube und Naturwissenschaftkeinesfalls mit dem interreligiösen Dialogvergleichbar sei. Leider führt er diesenGedanken nicht näher aus. Es wäre inter-essant zu erfahren, welche einschneiden-den methodischen Unterschiede er indiesen Dialogformen sieht.Als positives Gegenbeispiel zu K. Heimführt der Autor B. Bavink an, dem er inseiner „Frühzeit“ (1920-1928) konzediert,durch seine Rezeption der Relativitäts-theorie ein generell tragfähiges theologi-sches Modell für den Dialog von Glaubeund Naturwissenschaft vorgelegt zuhaben. Konstituierende Bestandteile sindnach Benk (153ff): profunde Kenntnisentscheidender naturwissenschaftlicherErkenntnisse von Seiten der beteiligtenTheologen; Freiheit für die naturwissen-schaftliche Forschung, begründet durchden Gedanken, die gesamte Natur sei „alsQuelle der natürlichen Offenbarung Got-tes“ zu begreifen – folglich könnenErkenntnisse der Naturwissenschaften als

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„schrittweise Aufdeckung der SpurenGottes in seiner Schöpfung verstandenwerden“ –; die kategorische Ablehnungeiner Lücken- oder Anknüpfungstheolo-gie, die entweder versucht, aufgrundfehlender naturwissenschaftlicher Kennt-nisse Gott als Platzhalter einsetzen zumüssen, oder die im Gegenzug versucht,aus naturwissenschaftlichen Kenntnissenvermeintliche Gottesbeweise oder anderemetaphysische Spekulationen konstru-ieren zu können; die Überlegung, es gebekeine unüberwindliche Dichotomie zwi-schen Glaube und Naturwissenschaft,eher könnten beide in einer „christlichenSeinslehre“ zu einer harmonischen Ein-heit gelangen.Als kritisch schätzt Benk die Überlegun-gen Bavinks ein, naturwissenschaftlicheErkenntnisse könnten es möglich, aberauch notwendig machen, „Wesentliches“von „Unwesentlichem“ im christlichenGlauben zu unterscheiden (162). Er zeigtsehr deutlich, dass Bavinks Kriterien hier-für sehr undeutlich sind und nennt alsBeispiel den „mittleren“ Bavink (1933-1945), der sich während der NS-Diktaturvermeintlich rassebiologische „Erkennt-nisse“ zu eigen machte, um Wesentlichesvom Unwesentlichen zu unterscheiden(163ff), und so eine furchtbare Synthesevon vorgeblich naturwissenschaftlichemRealismus, Religion und Deutschtumschuf.In den folgenden Ausführungen diskutiertBenk ausführlich die Bedeutung derQuantentheorie für die moderne Physik(171ff); die Geschichte der Quantentheo-rie (182ff) und das Doppelspaltexperimentals dasjenige Experiment, welches dieProbleme, die das Verstehen der Quanten-mechanik bereitet, sehr deutlich vor Au-gen führt (189ff).Ausgehend vom Doppelspaltexperimentlegt Benk die – auf ein und demselbenmathematischen Formalismus beruhen-

den – dennoch einander völlig wider-sprechenden Deutungen quanten-physikalischer Prozesse detailliert undverständlich dar (194ff) und fasst dannseine Ergebnisse im Kapitel über „dasgewandelte Wirklichkeitsverständnis dermodernen Physik“ (212ff) zusammen:

– Die physikalische Wirklichkeit istunanschaulich.

– Geometrische Aussagen erlaubenkeine notwendigen Rückschlüsse aufdie Struktur der physikalischen Wirk-lichkeit.

– Der Wirklichkeitsmodus der Eigen-schaften von Quantenobjekten ist nichtgeklärt.

– Die moderne Physik stößt auf eineGrenze der Objektivierbarkeit.

Benk weist eindringlich darauf hin, dassdiese Beobachtungen es erlauben voneinem Interpretationspluralismus (218)6innerhalb der Quantentheorie zu spre-chen. Für den Dialog von Glaube undNaturwissenschaft ist dieses Faktum in-soweit von Interesse, als er am Beispielvon M. Planck („Gott als naturgesetzlicheMacht“, 221-226), A. Einstein („Kosmi-sche Religiosität“, 227-232) und W.Heisenberg („Gott als zentrale Ordnung“,232-239) zu zeigen versucht, welche Her-ausforderungen und Fragen der wis-senschaftlichen Theologie, aber auch demchristlichen Glauben von Seiten der mo-dernen Quantenphysik entstehen. „Diemit der Quantentheorie (wieder) offen-sichtlich gewordene Einsicht in die grund-sätzliche Begrenztheit menschlicherErkenntnis kann den Physikern auch einenZugang zur Religion eröffnen“ (244).Benk schränkt allerdings zugleich ein,dass mit „Religion“ bei den genanntenPhysikern eben nicht unbedingt christ-liche Glaubensaussagen gemeint sind,sondern eher eine grundlegende transzen-

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dente Wirklichkeit (245). „Theologie undNaturwissenschaft sind zu einem Dialog[genötigt], in dem die Theologie unter Be-weis stellen muß, ob sie das moderne[sich in der Deutung der modernen Physikevozierende M.R.] Bewußtsein überhauptnoch nachvollziehen kann“ (245). Andiesem Punkt schließt sich der Zirkelseiner Argumentation.Um in diesem Dialog als ebenbürtigerPartner zu gelten, müssen nach Benks An-sicht sechs hermeneutische Regeln einge-halten werden (246ff). Diese Regeln sinddie Quintessenz der in dieser Arbeit ent-wickelten Gedankengänge. Ein aus-führliches Literaturverzeichnis (251-274)rundet die Darstellung ab.Meines Erachtens ist Benks Buch einwichtiger Beitrag zur Grundlegung desDialogs von Glaube und Naturwis-senschaft, zeigt es doch deutlich die Fall-stricke auf, die auf Seite der Theologielauern. Gleichzeitig ermutigt es, den Dia-log mit den Naturwissenschaften zusuchen, ohne sich von vornherein auf the-ologischer Seite nur auf ethische Fragenfestzulegen. Weiterhin gibt Andreas Benkdem Leser ein Instrumentarium an dieHand, populärwissenschaftlich-physika-listischen Wildwuchs (Stichwort: „Welt-formel“) auf der einen Seite und funda-mentalistische Verengungen auf der an-deren Seite adäquat zu beurteilen. Mandarf gespannt sein, ob der Autor dem-nächst eine „christliche Seinslehre“ imDialog mit den Naturwissenschaften vor-legen wird.

Anmerkungen

1 Vgl. die Übersicht unter http://www.srcourse.ctns.org der Universität Berkeley für den englischspra-chigen Raum.

2 In Anm. 47 nennt Benk einige Theologen, die sovorgehen.

3 Stephen Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit,Hamburg 1991.

4 Paul Davies, Gott und die moderne Physik, Mün-chen 1986.

5 Frank Tipler, Die Physik der Unsterblichkeit, Mün-chen 1994

6 Vgl. als einen ersten Überblick hierzu: P. C. W. Davies/J. R. Brown (Hg.), Der Geist im Atom, Frank-furt a. M./Leipzig 1993.

Matthias Roser, Berlin

Dr. theol. Jan Badewien, geb. 1947, Pfarrer,Direktor der Ev. Akademie Baden und Lan-deskirchlicher Beauftragter für Weltanschau-ungsfragen, Karlsruhe.

PD Dr. theol. Ulrich Dehn, geb. 1954, Pfar-rer, Religionswissenschaftler, EZW-Referentfür nichtchristliche Religionen.

Dr. theol. Andreas Fincke, geb. 1959, Pfarrer,EZW-Referent für christliche Sondergemein-schaften.

Dr. theol. Harald Lamprecht, geb. 1970, Be-auftragter für Weltanschauungs- und Sekten-fragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsensund Geschäftsführer des Evangelischen Bun-des, Landesverband Sachsen.

Dr. theol. Matthias Pöhlmann, geb. 1963,Pfarrer, EZW-Referent für Esoterik, Okkultis-mus, Spiritismus.

Mag. theol. Matthias Roser, geb. 1964, Religi-onslehrer an einer Gesamtschule in Berlin-Rudow.

Dr. phil. Christian Ruch, geb. 1968, Histori-ker, Mitglied der Ökumenischen Arbeits-gruppe „Neue religiöse Bewegungen“,Zürich.

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ST Zeitschrift fürReligions- undWeltanschauungsfragen

66. Jahrgang 1/03

ISSN

072

1-24

02 H

542

26

Bekenntnis und Toleranz – ein Widerspruch?

Im Gespräch mit der Flussgöttin – Marko Pogacnik in Dresden

Antijudaismus bei Rudolf Steiner

Konfessionslosenverbände protestierengegen Staatsakt für Augstein in einer Kirche

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