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JOURNAL fiir 0RNITHOLOGIE. Fiinfundsiebzigster Jahrgang. No. 4. Oktober 1927. Beobachtungen an Dohlen. ¥on Konrad Lorons. Im Frfihsommer 1926 kaufte ich eine vollst~indig fliigge, aber noch sperrende Dohle (Coloeus monedula spermotogus). Sie wurde zuu~chst in einem FlugMifig im Garten unseres Landhauses untergcbracht, we sie zuniichst 5 Tage sich selbst tiberlassen blieb. Nach meiner Ankunft bemerkte ich sofort, dafs sie mir entgegen wollte, wenn ich sie besuchte und mir nachstrebte, wenn ich sie verliefs. Da griff ich sie und trug sie ins Haus und stellte fest, dafs sie mir yon einem Zimmer ins andre nachflog. -- Die Dohle war noch jung genug, um sich fiber die neuo Um- gebung nicht so sehr aufzuregen, wie es iiltere YSgel unweiger- lich tun, und zwar mnsomehr, je liingere Zeit sie unter genau gleich bleibenden ~ufseren Umstlinden verlebt haben, huf diesen h~iufigen Umgebungswechsel in der Jugend schiebe ich es, dafs dieso DoMe auch jetzt als erwachsener Vogel vet fremden Dingen lange nicht so scheut wie die 3 andern Dohlen, mit denen ich experimentierte. Diese stammten aus dem zoologischen Garten in SchSnbrunn, we sie 4 Jahre verbracht hatten. Nachdem ich so mit meiner Dohle das bTachfiiegen lango genug erprobt hatte, nahm ich sie unverzfiglich ins Freie. Zun~ichst war sie etwas nerviis und machte sich diinn und blickte ununter- brochen gegen den Himmel, eine Erscheinung, die ich bei VSgeln verschiedenster Art beobachten konnte, wenn sie zum ersten Mal kein Gitter fiber sich hatten. Nach einer Weile beruhigte sie sich und scbliefslich flog sie auf und kreiste um reich herum. Sofort zeigte es sich, dafs sie gerne wieder auf mir gelandet w~re. Sie konnte es aber nicht, weil sie viel zu schnell flog and Journ. L era. LX.XV. Jahrg. Oktobor 1927, 3 J~

Beobachtungen an Dohlen

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JOURNAL fiir

0RNITHOLOGIE. Fiinfundsiebzigster Jahrgang.

No. 4. Oktober 1927.

Beobachtungen an Dohlen. ¥on Konrad Lorons.

Im Frfihsommer 1926 kaufte ich eine vollst~indig fliigge, aber noch sperrende Dohle (Coloeus monedula spermotogus). Sie wurde zuu~chst in einem FlugMifig im Garten unseres Landhauses untergcbracht, we sie zuniichst 5 Tage sich selbst tiberlassen blieb. Nach meiner Ankunft bemerkte ich sofort, dafs sie mir entgegen wollte, wenn ich sie besuchte und mir nachstrebte, wenn ich sie verliefs. Da griff ich sie und trug sie ins Haus und stellte fest, dafs sie mir yon einem Zimmer ins andre nachflog. - - Die Dohle war noch jung genug, um sich fiber die neuo Um- gebung nicht so sehr aufzuregen, wie es iiltere YSgel unweiger- lich tun, und zwar mnsomehr, je liingere Zeit sie unter genau gleich bleibenden ~ufseren Umstlinden verlebt haben, huf diesen h~iufigen Umgebungswechsel in der Jugend schiebe ich es, dafs dieso DoMe auch jetzt als erwachsener Vogel vet fremden Dingen lange nicht so scheut wie die 3 andern Dohlen, mit denen ich experimentierte. Diese stammten aus dem zoologischen Garten in SchSnbrunn, we sie 4 Jahre verbracht hatten.

Nachdem ich so mit meiner Dohle das bTachfiiegen lango genug erprobt hatte, nahm ich sie unverzfiglich ins Freie. Zun~ichst war sie etwas nerviis und machte sich diinn und blickte ununter- brochen gegen den Himmel, eine Erscheinung, die ich bei VSgeln verschiedenster Art beobachten konnte, wenn sie zum ersten Mal kein Gitter fiber sich hatten. Nach einer Weile beruhigte sie sich und scbliefslich flog sie auf und kreiste um reich herum. Sofort zeigte es sich, dafs sie gerne wieder auf mir gelandet w~re. Sie konnte es aber nicht, weil sie viel zu schnell flog and

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offensiehtlieh nieht bremsen konnte. Ein Vogel bremst, indem er entweder sich in der Luft aufriehtet, sieh also rechtwinklig zur Fahrtrichtung einstellt, und zu rfitteln beginnt, oder sein Ziel unterfliegt und seine kinetisehe Energie dadurch los wird, dafs er sieh yon ihr zum Pankte der Landung emporheben l~ifst. Die letztere Methode findet man mehr bei guten Fliegern mit niederer Schlagfrequenz. Die erstere, primitivere Methode wird mehr yon kleinen, schnellschlagenden VSgeln angewendet, oder yon solchen, die van Natur aus gut rtitteln kSnnen. Hierher ge- hSren z. B. die Tauben, die im Verh~tltnis zur sonstigen Gewandtheit ihres Fluges die energiesparende Unterfliegungsmethode auffallend wenig ausgebildet haben. Auf ebenem Boden ist natiirlich nut die Landung durch Rfitteln mSglich. Daher auch die Aversion, die manche guten Ftieger, die gerade ibrer grorsen Tragfliichen wegen sehlecht rfitteln kSnnen, gegen den Boden zeigen.

Meine Dohle schien nicht die nStige Kraft zu haben~ um zum Rfitteln fiberzugehen, und nichts yon der Unterfliegungslandung zu wissen. Sie flog in sausendem Tempo r u m um reich herum. Interessant war, dafs sie, in vollem Tempo fiber meinem Kopf fliegend, mit den Ffifsen nach meinen Ilaaren grill', um zu landen. Erst als sic mit welt geSffnetem Schnabel, total erschSpft, dicht fiber dem Erdboden herumflog, gelang ihr die Landung auf meinem Kopf. Sie lernte aber rasch zu. Doch geschah es in den n~ichsten Tagen wohl noch hundert mal, dafs sie ihr Ziel, also racist meinen Kopf, nicht gentigend unterflog und mit einem unbeabsiehtigten, specht- artigen Sprung darfiber weg flog. Am hSchsten Punkt der Kurve, der meinen Augen am n~iehsten war, sah ich jedes Mal, wie sie mit den Ftirsen reflektorisch die Greifbewegung der Landung ausftthrte, obwohl sie gut ein halbes Meter tiber meinem Kopf flog. Diese Landungsmethode gliickte ihr aber viel eher als das Landen mit Riitteln. Ich glaube nicht, dafs meine Dohle ira ersten Monat ihres Freifluges jemals auf dem Boden Iandete. Wohl aber flatterte sie nach einer Zwischenlandung auf meinem Kopf, einer Stuhllehne etc. zu Boden. Immerhin erstaunte es reich, dafs diese einfachsten LandungsmanSver erst vo,n Individuum erlernt werden mfissen. Erwiihnen mSchte ich an dieser Stelle, dafs der Vogel im Besitze seiner vollen Gesundheit und eines tadellosen, unbesch~digten Gefieders war. Gerade ihrer Unvoll- kommenheit wegen waren die Flugbewegungen leichter zu analy- sieren und zu verstehen, so wie bcim Radfahren die Balancier-

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bewegungen des Anfiingers deutlich und gut analysierbar, die des KSnnenden jedoch kaum zu bemerken sind.

Veto ersten Versuch an antwortete mir die DoMe auf meine Nachahmung des Dohlenlockrufs. Wahrscheinlich war es dieser Ruf, der es machte, dafs sie mir schon am ersten Tage mehr vertraute als andern. Schon am ersten Tag z. B. flog sie mir nach, wenn ich mit einem Freunde beisammen stand, sic auf dem Boden um uns herumlief und ich wegging, mein Freund aber bei ihr blieb. Blieb ich and jener ging, so blieb sit bei mir. Nut durfte er nicht jith wogstilrmen, sonst flog sie auf und ihm nach. Ein ptStzlicher Start 15st niimlich bei meinen Dohlen und wahr- .scheinlich bei vielen HerdenvSgeln refiektorisch einen Start in dieselbe Richtung aus. Besonders frappant ist dieses Nachst~irzen, wean der Vogel einem vorher keine Beachtung schenkte. Dafs diese Erscheinung nicht nut dem auf den Menschen umgestellten, sondern auch dem normalen Herdentriebe der RabenvSgel eigen ist und welch grofse Bedeutung ihm fiir das Zusammenhatten der Scharen zukommen mug, zeigt folgende Begebenheit, die ich dreimal beobachten konnte: meine Dohle sitzt in einiger Ent- fernung in Gesellschaft eines Schwarmes yon Raben- and Nebel- kr~hen auf einem Baum. Auf meinen Lockruf kommt der ganze Schwarm schnell und zielbewufst fiiegend gerade auf reich zu, die Dohle an der Spitze. Ihr entschlossenes huffiiegen butte den ganzen Schwarm mitgerissen. Erst nahe vor mir schwenken die Kr~ihen ab.

Um abet bei der zeiflichen Folge zu bleiben: in der ersten Woche ging ich t~glich mit tier Dohle aus. Unser IIaus liegt am Nordabhang des Wienerwaldes, am Rande des fruchtbaren, ebenen Tullnerfeldes, etwa 3/1 km yon der Donau. Im hnfang ging ich immer auf die Berghiinge, well meinem Vogel das Landen leichter fiel, wenn ich frei auf einer steil abfallenden Wiese stand. Bald hatte die Dohle herausgefundea, dafs es leichter sei, auf Bitumen zu landen als auf meiner schwankenden Schulter and so begleitete sit reich yon Baum zu Baum fliegend. Ich richtete meine Spazier- gitage, deren Radius hie mehr als 2 km betrug, so ein, dafs ich der Dohle eine mSglichst gute Orientierung in der Umgebung des Ilauses verschaffte, oder zu ~,erschaffen glaubte. Wie sehr ich nitmlich ihr Lernvermiigen ttbersch~tzt hatte, sah ich erst sp~tter ein. hls sie besser fliegen konnte, wurde sie etwas un- abhitngiger von mir, zog viel weitere Kreise um reich und liefs reich viel weiter vorausgehen, ehe sie mir nach kam. Sie zeigte

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jedoch keine gr~ifsere I~eigung, sich ganz yon mir zu entfernen. Es wunderte reich, dafs sie im Freien hie eine Hemmung zeigte, sich auf unbekannte B[iume oder Str~iucher zu setzen, mochten sie noch so fremdartig in Form und Farbe sein. Vor einem unbekannten Sessel z. B., der sich ebenso stark yon den ihr als Sitzpl~itzen gewohnten SesseIn meines Zimmers unterscheidet, wtirde sie sicher zuniichst scheuen. Ich hatte den Eindruck, sie wtirde vor einem Baum nieht scheuen, auch wenn sie hie einen gesehen h£tte und bis dahin nut auf Sesseln gesessen w[ire. Auch vor sich im Winde stark bewegenden Biiumen scheute sie nicht. Ich hatte geradezu den Eindruek, dais die Vertrautheit mit diesen Dingen Arteigentum und vererbt sei.

Meine Dohle pflegte reich zu begrtifsen, indem sie sich vor mich hinduckte und stark mit den Fliigeln und dem ausgebreiteten Schwanz zitterte. Da dies die Paarungsaufforderung der Weibchen vieler SperlingsvSgel ist, liegt die Vermutung nahe, dafs meine Dohle ein Weibchen ~'ar. Wenn sie mir auf gdifsere Distanz nach- gefiogen kam oder reich verloren und wiedergefunden butte, pflegte sie dicht tiber reich zu fiiegen nnd dabei in dersetben Weise mit dem Schwanz zu zittern. Ueberhaupt kam sie beim Umherfiiegen yon Zeit zu Zeit lotrecht fiber mir vorfiber, um naehzusehen, ob ich noch vorhanden sei. Hatte sic reich in baumreiehem Gel~tnde aus den hugen verloren, so rief sie naeh mir. Anwortete ieb, so fand sie auch auf grSfsere Distanz mit erstaunlicher Pr~zision meinen Standort. Rief ich nicht, so suchte sie reich recht plan- miifsig. Sie glitt dann langsam und niedrig fiber den Wipfeln umber und ich sah an der Silhouette ihres Schnabels, wie sie den Kopf nach allen Windriehtungen drehte. Dieses Suchen machte den Eindruck betriichtlicher Intelligenz, ist aber wohl einem Tier, das im Freien in derselben Weise seine Nahrung sucht, nieht allzuhoch anzurechnen. Wie sehr man immer noch zwangsweise anthropomorphisiert, kann man daran sehen, dab ieh meinen Hund, der reich in Sichtweite genau so systematisch im Zickzack mit tier Nase sucht, ausgesproehen als durum empfinde. War die Dohle nicht sehr mfide, so setzte sie sich nicht auf reich, solange ich dahinschritt. Blieb ich stehen, so war sie sofort auf meiner Sehulter und wenn ich nicht weiterging, flog sie bald zu Boden und begann Futter zu suchen. Am Boden und haupt- s~chlich im Grase nahm sio eine eigentfimliche, hochbeinige Haltung, mit hoch am Rticken gekreuzten Flfigeln ein. Diese

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Haltung hat anseheinend den Zweck, das Grofsgefieder vor Berilhrung zu bewahren. Erstaunlich war die Scharfsichtigkeit, mit der sie aus kaum 1 m ~ trockener Wiese ein Dutzend fetter Insekten hervorzuzaubern verstand, wo ich nichts gesehen hatte als Heu- schrecken. Diese hinwiederum sah sie nicht. Wenn sie zufiillig so ein Tier aufgestSbert hatte und es wegsprang, hiipfte sie ibm mit einem langbeinigen~ beidbeinigen Sprung nach, meistens so, dafs das Insekt vollkommen ungedeckt vor ihrem Schnabel safs, und sah es nicht, obwohl sie es mit beiden hugen abwechselnd suchte und genau dorthin blickte, w o e s safs. Rttckte die Dohle dann langsam vor, sodafs die Heuschrecke zu einem zweiten Sprunge gezwungen war~ so wiederholte sich das Sehauspiel. Die Schutz- farbe war zu gut fiir die Dohle und ich babe sie nie ohne Hilfe eine Heuschrecke fangen sehn. Diese Szene mit der Heuschrecke brachte mir so recht den Zusammenhang zwischen Schutzfarbe einerseits und ruckweiser Bewegung mit Stillsein nachher andrer- seits zum Bewufstsein. Sie erinnerte reich zwingend an denselben Vorgang zwischen Fischen und Corethralarven. Dieselbe Ver- blilffung, wenn die Larve einen Satz macht, dasselbe Nachschiefseu bis dorthin, wo sie sein miifste, dasselbe vergebliche Starren mit langsamem Vorriicken, dieselbe Wiederholung. Meine Dohle frah leidenschaftlich gerne Iteuschrecken, wenn ich sie ihr rng. War sie satt, so nahm sie stets einige in den Kehlsack, um sie daheim zu versteckem Die Versteeke merkte sie sich viele Tage lang, was ich an einem im Freien gelegenen Versteckplatz be- obachten koant% als ieh die DoMe wegen anhaltenden Regens einige Tage nicht aus dem Zimmer liefs. Diese F~higkeit ist Eigentum der Art, nicht individuelle Intelligenz. Meine viel reaktionsiirmeren Turmfalken leisteten in dieser Hinsicht dasselbe.

Als die Dohle so gut fliegen konnte, dais sie keine IIemmung mehr hatte, auf tiefgelegenen Punkten zu landen, nahm ich sie mit auf die flachen, baumarmen Wiesen und Felderstrecken des Tullnerfeldes und des Ueberschwemmungsgebietes der Donau. Hier konnte man deutlich sehen, wie das schnelle Geradeausfliegen sie weniger anstrengte als das enge Kreisen, zu dem sie im un- ilbersiehtlichen It[lgelgel~nde gezwungen gewesen war. Sic blieb jetzt fast ununterbrochen in der Luft und begleitete reich in grofsen Schlingen und Kreisen fiiegend. Setzte ich mich auf den Boden, so kam sie herbei und bettelte um Heuschreeken. Von nun ab richtete ieh meine Spazierg~nge mehr auf die ebenen

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Wiesen. l~ach einigen Tagen geschah es zum ersten Male, dafs die DoMe einem Kriihenschwarme begegnete, der aus Raben- und Iqebelkriihen hestand. Saatkr/ihen sieht man im Tullnerfeld nur im Winter und Dohlen sehr selten und iiberhaupt nut in rasch durchreisenden Scharen. Meine Dohle sah die Kriihen und war auch schon mitten unter ihnen, sich tiberstfirzend und auf sie stofsend. Einen Augenblick lang reagierten die Kr/ihsn auf ihren rasenden Ansturm wie auf ,,Raubvogel" mit zusammen- gedriingter Flucht. Nach wenigen Sekunden batten sie sich be- ruhigt und stiefsen ihrerseits nach der Dohle. Dafs dieses Stofsen der Rabenviigel aufeinander Spiel ist, ist mir gswifs. Man hiirt dabei bet Dohlen und allen Krithenarten sin eigen- tiimlichss tiefes Quarren. Denselben Ton hiirt man, wend sie im Ernst handgemein werden, und in hiichster Not. Derselbe Ton bedsutet Hilfe- und Angriffsruf. Wenn ich eine meiner Dohlen durch Ergreifen in hiichste Angst und damit zum Quarren brings, stiifst eine andere denselben Ton aus, und oft erfolgt ein ernst gemeinter Angriff, bet dem, im Gegensatz zum spielerisehcn Stofsen, mit den Krallen zugepackt wird.

Der Trieb, auf alles Fliegende zu stofsen, ist bet dsr Dohle sehr stark, und meine vergafs reich bet der Verfolgung der Kr/ihen vollst/indig und verschwand mit ihnen hinter den. Bergen. Ich lisf, verzweifelt nach ihr rufend, auf den Fsldern herum. Da sah ich hoch am Himmel fiinf Kr~hen auf reich zukommen und hinter ihnen die Dohle. Es gehSrt die Unvoreingenommenheit des wahren Wissenschaftlers dazu, um in Hiirweite yon fremden Menschen Dohlenlockrufe mit Stentorstimme auszustofsen. Die Dohle aber hSrte mich, klafterte einen Augenblick reglos und fiel dann sausend veto Himme! herab, um auf meiner Schulter zu landen. Ich hatte damals eigentlich nicht den Eindruck, dafs reich die Dohle wiedergefunden h/itte, wenn die Kr/ihen nicht zufi~llig jene Richtung eingeschlagen h/itten. Auf sp~iteren Spazier- giingen flog sie allerdings wiederhohlt mit Kriihsn davon, kam abet meistens aus ether Distanz fiber ItSr- und Sichtweite zu mir zurfick, selbst ohne dafs ich nach ihr fief. Ganz pr/izise hatte sie sich meinen Standpunkt gsmerkt. Dieses Wiederfinden meincr Person trug dazu bet, reich das OrientierungsvermSgen meinsr DoMe bedeutend fibersch/itzen zu lassen. Bald aber machte ieh die Beobaehtnng, dafs sie sich nicht zu mir zurtickfand, wenn sie I/inger als 10--15 Minuten yon mir weggewesen war.

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Blieb sie l~nger weE, so mufste ich sie suchen gehn. Da ich durch mein Rufen ein ziemlich grofses Gebiet bestreichen konnte und sie sofort antwortete und zu mir kam, wenn sie reich hSrte, war das ziemlich leicht. Gerade die Promptheit, mit der sie dann kam, liefs mich vermuten, dais sie schon frtiher gekommen wiire, hiitte sic noch gewufst, we sie mich gelassen hiitte.

Dann ereignete sich etwas, was reich dem VerstAndnis ein Stack nigher brachte. Die Dohle verfolgte eine s a d - i. e. berg- warts - - vorboifliegende Elster und war nicht mehr zu fiaden, ob- wohl den ganzen Tag in jener Richtung nach ihr gesucht wurde. Gegen Abend fand ich sie durch Zufall in der Ebene ungefi~hr 1 km yon unserem Haus. Sie war vor Durst mehr noch als vor Hunger ziemlich ermattet und ware sicher schon liingst zur ein- zigen ihr bekannten Triinke, niimlich in ihrem Kiifig geflogen, wenn sie den Weg dorthin gefunden hii.tte. Sie blieb ganz still auf meinem Arm sitzen, wiihrend ich sie nachhause trug. Als ich fast in Sichtweite, ungefiihr 200 Meter yon unserm Hause war, wurde die Dohle plStzlich ganz dfinn und aufgeregt und flog kerzengerade und so rasch sie konnte in ihren Kiifig. So welt kannte sie sich also erst aus. Als ich ihr nachkam, frafs sie noch immer.

Von da an ging ich nicht mehr mit ihr veto Hause weg, liefs sie abet noch mehr freifliegen, als bisher. Da zeigte es sich nun, wie klein ihr Aktionsradius war, wenn niemand sie begleitete. Er vergrSfserte sich aach ziemlich langsam.

Nach einiger Zeit zeigto die Dohle auch eine gewisse Hemmung, ihr Gebiet zu verlassen, das heifst, sie ging manchmal nur eine Strecke mit und safs dann plStzlich wieder auf dem IIausdache u n d e s bedurfte dana einiger ,,Ueberredungsktlnste", sie zum Mitkommeu zu bewegen. Erst in ihr riehtig fremden Gebieten klebte sie dann so fest an mir wie fraher.

Meine Dohle war ausw~rts gegen Fremde ziemlich scheu und zwar umso mehr, je welter sie yon zuhause oder tlberhaupt einem Hause weg war. So liefs sie einmal auf den Wiesen einen mir bekannten Vogelfreund nicht lleran, sondern flog auf, wenn er niiher als 10 m herankam. Auf dem Felde arbeitende Bauern umflog sie stets im weitem Bogen oder stieg auf und betrachtete sic yon oben. Dagegen begleitete sie reich ohne Weiteres in das Haus yon Freunden im n~ichsten err. Je menschenleerer die Um- gebung, desto scheuer war meine Dohle. Allein ging sie damals

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hie zu fromden Menschen oder in ein fremdes Haus hinein. Sie ver- liefs zwar oft unser Haus, um sich auf der Strafse herumzutreiben, flog aber sofort auf, wenn jemand gegangen kam. Diese guten Eigenschaften verloren sich leider fiber den Winter him Dies ist so zu erkl~ren, dafs die DoMe allo die Triebe~ die ein Jungvogel ihrer Art dem Elterntiere gegeniiber besitzt, auf reich ttbertrageu hatte, und dais mit dem ErlSschen dieser Triebe seine absolute Abh~ngigkeit yon mir einem Freundschaftsverh~ltnis wich, dassie aber nicht hinderte, auch anderen Menschen~ die bei ihrer Ein- stellung ftlr sie Mitdohien bedeuteten, kameradschaftliche Gefiihle entgegenzubringen und sich gegen Frfihrjahr leidenschaftlich in ein Stubenm~.dchen zu verlieben.

In der Folgezeit verflog sie sich wiederholt auf betr~chtliche Distanzen, stets yon Kriihen entfiihrt. Die Entfernungen waren grSfser als der Radius unserer weitesten Spaziergiinge. Zweimal traf ich sic in den Wii.ldern weit vom Hause entfernt bei den Krii, hen. Einmal setzte sie sich sogar auf reich, jedoch gentigte meine schwindende elterliche Autorit~tt nicht mehr, sic yon der Schar wegzulocken. So oft sic derartige Ausfltige unternahm, land ich sie abends ziemlich hilflos und sehr hungrig und durstig, nie weiter als 10 Minuten zu Furs yore IIause entfernt. Ich hatte ungefithr folgenden Eindruck: der Richtungssinn, der Sinn der Brieftaube, fiihrt den Vogel nur in seine weitere Heimat zurtiek, in d e r e r sich dann in derselben Weise orientiert wie wir Menschen es tun. Normalerweise ist nun das Gebiet, in dem der Vogel sich zurechtfindef, gentigend grofs, dafs er es mit seinem Richtungssinne trifft. Bei meiner Dohle war es damals noch zu klein, oder es fehlten ihr die ftihrenden Eltern. Ich bin geneigt, letzteres anzunehmen, denn 3 alte Dohlen, die ich im Frilhjahr 1927 dutch die Freundlichkeit des Herrn Dr. A~To~ivs aus dem SchSnbrunner Zoologischen Garten erhielt, und die ich in einem Flugraum auf dem flachen Dache unseres Hauses unterbrachte und nach 8tiigiger Gefangensehaft fliegen liefs, gewShnten sich so rasch ein, dafs sie nach wenigen Tagen des Freifluges welt besser orientiert waren als meine erste Dohle. Besonders die grSfste der 3 neuen zeigte bei griifstem Aktionsradius eine Zielsicherheit und Zwecksicherheit ihrer Bewegungen, die reich in Erstaunen setzte. Diese DoMe war es auch, die im gedeckten Teilo des Flug- raumes ein Nest zu bauen begann, sodafs ich reich sehon im Besitze einer Kolonie zahmer Dohlen wiihnte. Leider jedoch

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fiogen sii.mtliche 3 neuen Doblen mit einem durchkommenden Dohlenschwarm davon. Dieses traurige Verlassen des begonnenen Nestes ist psychologisch schwer zu erkl~iren, hllerdings sah ich die grofse Dohle immer nut allein am Nest arbeiten. Vielleicht land sie unter ihren 3 Genossen kein passendes Ehegespons. Da meine erste Doble ihrer Perversit~it wegen zur Fortpfianzung so- wieso untauglich sein dtirfte, k0nute darin sehr wobl die Ursache dieses Mifserfolges gelegen sein.

Mit einer grOfseren Anzahl jung aufgezogener Dohlen ge- denke ich n~ichstes Jahr noch einen Versuch zu machen, eine Kolonie zabmer Dohlen zu griiuden, um vielleicht einige Be- obachtungen tiber das Familienleben dieser interessanten VOgel anzustellen.

Wie entstand Beehsteins Waldrappbild~

Von Hugo Hlidebraudt.

Iu ihrer hrbeit: ,,Comatibis eremita (Linn.), a european bird" (Novitat. Zoolog. IV, 1897, p. 374), schreiben ROTBSCmLD, H~I~T~:RT und KTXL'~SCn~DT mit Bezug auf BECUST~:ZSS hbbildung des Waldrapp: ,,he adds a figure, which is probably made up from several of the former figures, or given to him by a person who actually saw the bird."

KL~SCH~mT im Neuen Naumann (Bd. VII p. 202) schreibt: ,,B~:cUSTE~ land 1791 noch eine neue Abbildung des Vogels, yon der er leider nicht sagt, woher er sie hat."

KILLERMXNN, Der Waldrapp G~s~-~as neue Zeugnisse f0r sein ehemaliges Vorkommen in Mitteleuropa (Zool. Annalen, Wtirzburg 1911 p. 271) ~tufsert sich folgendermafsen : ,,BEcESTEI~, der zu seiner tibrigens ziemlich nacb Gzs-~ER abgefafsten Bescbreibung des seltsamen Vogels eine neue Kupfertafel bringt, deren Herkunft man nicht recht weirs, hat den Vogel selber nicht gesehen."

L~DwI~ Sc~vsTI~ (Ornithol. Monatsschrift 1920 p. 520-525) fund in der ,,Naturgeschichte aus den besten Schriftstellern" mit Merianischen und neuen Kupfern, 4. Abschnitt VOgel, Heilbronn 1776, eiue hbbildung des Waldrapp, und h~lt es ftir sehr wahr- scheinlich, dais dies die hbbildung sei, die B~c~svm.'~ 1791 zu sehen Gelegeuheit butte. (Vergl. auch Aquila X 42).

Der hier auf Tafel XXVII dargestellte, eine Mantis religiosa im Schnabel haltende, als ,Pyrrhocoraceus, Steinrab" bezeichnete