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105 Über einen alten Stich gebeugt I Im Blick aufs Ganze Gemeint ist die Darstellung Rorschachs aus dem Jahre 1794. Wir nehmen sie nicht einfach zur Kenntnis wie irgendeine andere. Wie oft man dieses Blatt des Kupferstechers Johann Franz Roth schon betrachtet haben mag, immer fesselt es von neuem. Wie soll man seine starke und seltsame Wirkung erklären? Ein merkwürdiger Zauber geht von ihm aus. Dieser wendet sich nicht nur an unsern geschichtlichen Sinn oder an unser bauliches Interesse. Darüber hinaus nimmt er uns innerlich derart gefangen, dass wir uns mit dem Bild auseinanderzusetzen beginnen und ihm unsere ganze innere Anteilnahme schenken. Franz Roth zeigt uns seine Vaterstadt aus der Vogelschau, wie er sie als Dreiundsechzigjähriger gekannt hat. Es ist wohl kein bedeutendes Werk, doch mit viel Geschick und Liebe gezeichnet. Ein sommerlicher Hauch schwebt über der ruhigen Seefläche, der wohlgeordneten und erregenden kleinen Welt des Reichshofes und der begrenzten Weite des Rorschacherberges. Man beachte die wohltuende Ruhe, bewirkt durch die gleichmässige Rundung des Berges. Sie steht in starkem Gegensatz zu dem Fronten-, Dächer-, Garten- und Buchtengewirr des Marktfleckens und dem Geäder der Bäche und Wege. Auffällig die Lage Mariabergs, scheinbar auf halber Höhe des Berges. Von dort zum St.Annaschloss ist es nur ein Katzensprung. Die Hauptstrasse – die damals Reichsstrasse und Oberdorf hiess – hat der Künstler in voller Absicht zu breit dargestellt, damit ihm die Möglichkeit gegeben war, auch die südliche Häuserreihe, Haus für Haus, von unten bis oben zu zeigen. Beim Kornhaus müsste die Ostfront, die doch parallel zur Ufermauer verläuft, verdeckt sein. Weil er sie darstellen möchte, erscheint der ganze Bau – und nicht nur dieser – im Grundriss als Parallelogramm verschoben. Franz Roth wollte nicht in erster Linie ein künstlerisches Werk schaffen – auch wenn es künstlerische Züge, zum Beispiel der Komposition und des Ausgleichs, enthält. Ihm lag daran, mit den gegebenen Mitteln ein topographisch und architektonisch möglichst getreues anschauliches Bild mit allen wesentlichen Einzelheiten seines Heimatortes zu bieten. Der weitverbreitete schöne Stich wird die Stube mancher Burger, sicher auch den Wohnraum Abt Bedas geziert haben, hatte dieser geistliche Fürst doch die zerfallenen Hafenanlagen Rorschachs ausbauen lassen. Man spürt aus jedem Strich, den Roth mit dem Grabstichel führte, seine Freude an der Arbeit und seine Liebe zur Heimat. Kein Wunder, dass diese fast naturgetreue Wiedergabe des Reichshofes dem Schöpfer des grossen Reliefs im Heimatmuseum Anreiz und Anleitung gegeben hat. Wie stark hat doch Rorschach sein Gesicht verändert, wie viele neue Züge hat es erhalten! Man hat dem See Land abgewonnen, Geleise, Plätze und Parks geschaffen. Die aufblühende Industrie hat den, wie man glaubte, für Jahrhunderte genügenden spätmittelalterlichen Siedelungsraum des Hofetters gesprengt und das Gemeindegebiet mit Strassen, Wohnhäusern und Arbeitsstätten erfüllt. Trotz der Veränderungen und Entstellungen, die das Antlitz der Wohnheimat Rorschach erlitten hat, lässt sich doch noch viel Altes nachweisen. Von den vier Brunnen mitten in der Strasse, die einst Mensch und Vieh das unentbehrliche Wasser spendeten, beim Mühlbach und Haiderbach, bei der «Krone» und bei der «Sonne» (heute Hochhaus Bodan), fliesst nur noch der Jakobsbrunnen. Die andern wurden 1843 aus der Strassenmitte versetzt und schliesslich durch die Wasserversorgung in den Häusern ersetzt. Mit fünf Strassenlaternen beim nachmaligen Rathaus und Obern Tor, auf dem Marktplatz (Hafenplatz) und bei den obgenannten zwei Gasthäusern war Alt-Rorschach sicher nicht verschwenderisch beleuchtet. Im frühen letzten Jahrhundert meinte zwar ein Gemeinderat: «Man könnte die Laternen besser verteilen, dafür aber mehr sparen » Nicht umsonst brauchte das alte Ror schach drei Nachtwächter und waren die Bürger gehalten, selber Lichter mitzutragen! Doch haben es bei der heutigen Lichtfülle die Hüter der Ordnung etwa leichter? Dem Beschauer drängt sich noch etwas anderes auf: dieses Rorschach am Ende der äbtischen Herrschaft erweckt den Eindruck einer geordneten, festgefügten Gemeinschaft mit Mass und Harmonie in vielen Dingen. Es wäre zu untersuchen, wieviel dem Beharren auf dem für einmal als richtig Erkannten zuzuschreiben ist, dem sich die führende Rorschacher Kaufmannschaft verpflichtet fühlte. Nicht alles war damals richtig, und nicht alles war gut. Fünf Jahre bevor Franz Roth den Stichel für sein Rorschacher Bild zur Hand nahm, brach die Französische Revolution aus. Ein Jahr nach dieser Zeichnung kam Abt Beda den Forderungen der Fürstenländer nach politischer und wirtschaftlicher Befreiung nach. Weitere drei Jahre später pochte der Umsturz an die Tore der Abtei und des Reichshofs. Der Wohlstand, der durch Korngeschäft, Handwerksfleiss und Leinwandhandel in den Flecken eingezogen war, schwand dahin wie Frühlingsschnee. Die alten Formen stürzten. Über dem idealisierten Bildnis des Marktund Gerichtsmittelpunktes Rorschach liegt darum etwas Unwirkliches, Vergängliches, der drohende Niedergang der Epoche des Barocks und des Ancien regime, die sich längst erfüllt hatte. In den folgenden Betrachtungen wollen wir bestimmte Teile des Rothschen Stichs genauer betrachten.

ber einen alten Stich gebeugt - Rorschachergeschichten

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Über einen alten Stich gebeugt

I Im Blick aufs Ganze

Gemeint ist die Darstellung Rorschachs aus demJahre 1794. Wir nehmen sie nicht einfach zurKenntnis wie irgendeine andere. Wie oft mandieses Blatt des Kupferstechers Johann Franz Rothschon betrachtet haben mag, immer fesselt es vonneuem. Wie soll man seine starke und seltsameWirkung erklären? Ein merkwürdiger Zauber gehtvon ihm aus. Dieser wendet sich nicht nur anunsern geschichtlichen Sinn oder an unserbauliches Interesse. Darüber hinaus nimmt er unsinnerlich derart gefangen, dass wir uns mit demBild auseinanderzusetzen beginnen und ihm unsereganze innere Anteilnahme schenken.

Franz Roth zeigt uns seine Vaterstadt aus derVogelschau, wie er sie als Dreiundsechzigjährigergekannt hat. Es ist wohl kein bedeutendes Werk,doch mit viel Geschick und Liebe gezeichnet. Einsommerlicher Hauch schwebt über der ruhigenSeefläche, der wohlgeordneten und erregendenkleinen Welt des Reichshofes und der begrenztenWeite des Rorschacherberges. Man beachte diewohltuende Ruhe, bewirkt durch die gleichmässigeRundung des Berges. Sie steht in starkemGegensatz zu dem Fronten-, Dächer-, Garten- undBuchtengewirr des Marktfleckens und dem Geäderder Bäche und Wege. Auffällig die LageMariabergs, scheinbar auf halber Höhe des Berges.Von dort zum St.Annaschloss ist es nur einKatzensprung. Die Hauptstrasse – die damalsReichsstrasse und Oberdorf hiess – hat der Künstlerin voller Absicht zu breit dargestellt, damit ihm dieMöglichkeit gegeben war, auch die südlicheHäuserreihe, Haus für Haus, von unten bis oben zuzeigen. Beim Kornhaus müsste die Ostfront, diedoch parallel zur Ufermauer verläuft, verdeckt sein.Weil er sie darstellen möchte, erscheint der ganzeBau – und nicht nur dieser – im Grundriss alsParallelogramm verschoben. Franz Roth wolltenicht in erster Linie ein künstlerisches Werkschaffen – auch wenn es künstlerische Züge, zumBeispiel der Komposition und des Ausgleichs,enthält. Ihm lag daran, mit den gegebenen Mittelnein topographisch und architektonisch möglichstgetreues anschauliches Bild mit allen wesentlichenEinzelheiten seines Heimatortes zu bieten. Derweitverbreitete schöne Stich wird die Stubemancher Burger, sicher auch den Wohnraum AbtBedas geziert haben, hatte dieser geistliche Fürstdoch die zerfallenen Hafenanlagen Rorschachsausbauen lassen. Man spürt aus jedem Strich, denRoth mit dem Grabstichel führte, seine Freude ander Arbeit und seine Liebe zur Heimat. KeinWunder, dass diese fast naturgetreue Wiedergabedes Reichshofes dem Schöpfer des grossen Reliefsim Heimatmuseum Anreiz und Anleitung gegebenhat.

Wie stark hat doch Rorschach sein Gesichtverändert, wie viele neue Züge hat es erhalten! Manhat dem See Land abgewonnen, Geleise, Plätze undParks geschaffen. Die aufblühende Industrie hatden, wie man glaubte, für Jahrhunderte genügendenspätmittelalterlichen Siedelungsraum des Hofettersgesprengt und das Gemeindegebiet mit Strassen,Wohnhäusern und Arbeitsstätten erfüllt. Trotz derVeränderungen und Entstellungen, die das Antlitzder Wohnheimat Rorschach erlitten hat, lässt sichdoch noch viel Altes nachweisen. Von den vierBrunnen mitten in der Strasse, die einst Menschund Vieh das unentbehrliche Wasser spendeten,beim Mühlbach und Haiderbach, bei der «Krone»und bei der «Sonne» (heute Hochhaus Bodan),fliesst nur noch der Jakobsbrunnen. Die andernwurden 1843 aus der Strassenmitte versetzt undschliesslich durch die Wasserversorgung in denHäusern ersetzt. Mit fünf Strassenlaternen beimnachmaligen Rathaus und Obern Tor, auf demMarktplatz (Hafenplatz) und bei den obgenanntenzwei Gasthäusern war Alt-Rorschach sicher nichtverschwenderisch beleuchtet. Im frühen letztenJahrhundert meinte zwar ein Gemeinderat: «Mankönnte die Laternen besser verteilen, dafür abermehr sparen » Nicht umsonst brauchte das alte Rorschach drei Nachtwächter und waren die Bürgergehalten, selber Lichter mitzutragen! Doch habenes bei der heutigen Lichtfülle die Hüter derOrdnung etwa leichter?

Dem Beschauer drängt sich noch etwas anderes auf:dieses Rorschach am Ende der äbtischen Herrschafterweckt den Eindruck einer geordneten,festgefügten Gemeinschaft mit Mass und Harmoniein vielen Dingen. Es wäre zu untersuchen, wievieldem Beharren auf dem für einmal als richtigErkannten zuzuschreiben ist, dem sich die führendeRorschacher Kaufmannschaft verpflichtet fühlte.Nicht alles war damals richtig, und nicht alles wargut. Fünf Jahre bevor Franz Roth den Stichel fürsein Rorschacher Bild zur Hand nahm, brach dieFranzösische Revolution aus. Ein Jahr nach dieserZeichnung kam Abt Beda den Forderungen derFürstenländer nach politischer und wirtschaftlicherBefreiung nach. Weitere drei Jahre später pochteder Umsturz an die Tore der Abtei und desReichshofs. Der Wohlstand, der durchK o r n g e s c h ä f t , H a n d w e r k s f l e i s s u n dLeinwandhandel in den Flecken eingezogen war,schwand dahin wie Frühlingsschnee. Die altenFormen stürzten. Über dem idealisierten Bildnis desMarktund Gerichtsmittelpunktes Rorschach liegtdarum etwas Unwirkliches, Vergängliches, derdrohende Niedergang der Epoche des Barocks unddes Ancien regime, die sich längst erfüllt hatte.

In den folgenden Betrachtungen wollen wirbestimmte Teile des Rothschen Stichs genauerbetrachten.

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Planprospekt von J. F. Roth, 1794, Historisches Museum St. Gallen

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II Die Rorschacher Flur

Eines muss dem Betrachter des Rothschen Stichsvom Jahre 1794 auffallen: wie geschlossen dieSiedlung sich abhebt von der sie umgebenden Flur.Nur an vereinzelten Stellen überschreiten meistlandwirtschaftliche oder gewerbliche Häuser denseit dem Spärmittelalter festgelegten Baugrund. ZurOrientierung des Ortsfremden mag es nützlich sein,die Grenzen des vielgenannten Hofetters zu nennen.Anstelle der meist verschwundenen damaligenNamen müssen uns die heutigen dienen. Dereinstige Hofzaun zog sich im grossen und ganzenum den Reichshof vom Bodan bis zum Bellevue.Beim Haus Im Hof verlief er hinter den westlichenHäusern der untern Mariabergstrasse, dann vor demCurtihaus zum Amtshaus, der Kirchstrasse entlangzum Mühlbach, diesem entlang hinauf, um dieSiedelung bei der Kloster- und Hubmühle herumund wieder hinunter zur letzten Häuserreihe imOberdorf.

Doch nun hinaus in die Flur! Lustig wirken diegleichmässig über Wiesen und Äcker verstreutenObstbäume. Man glaubt sich in den Thurgauversetzt. Im durchgehenden Obstbaumteppich klaffteine einzige verständliche Lücke: zwischenSchiess- und Scheibenstand der RorschacherMusketenschützen. Die Lehenbücher von 1786verzeichnen bei mancher Hofstatt den «Bommert»,worunter man einen gepflegteren Baumgartenverstand. In diesen Zusammenhang stellen wir dasalte Rorschacher Geschlecht der Baumgartner. Demaufmerksamen Beobachter kann es nicht entgehen,dass damals in günstigeren Lagen der Ackerbau denWiesbau verdrängte. Roth hat die Äcker deutlichabgehoben und enthüllt uns bis in die Wälderhinauf eine Welt des Ackerbaus, die aus unseremBewusstsein entschwunden ist. Er hat auch dieWirtschaftskarte des Lehenvogts Joseph NikolausEhrat vom Jahre 1790 für Rorschach gestochen.1

Auf ihr widerspiegeln sich diese Verhältnisse nochdeutlicher: ein ungefähr vierfaches Überwiegen derAcker über die Wiesenflächen. Heute steht esumgekehrt. Ohne auf die vielerlei Ursachen desRückganges unseres schweizerischen Ackerbaus

einzutreten, sei festgestellt: man pflanzte um 1794nicht nur allerlei Getreide mit unterschiedlichemErfolg – das Rorschacher Kernhaus füllte sich mitfremder, süddeutscher Frucht –, sondern vielGemüse, Hanf und Flachs. Der Rorschacher Bauerverarbeitete oft selbst sein Roherzeugnis. MitSpinnen und Weben bot sich ihm willkommenerAusgleich zur Feldarbeit. Wenn wir von den ausdem überseeischen oberdeutschen Gebieteingeführten Leinen absehen, ist er der Erzeugerder im Mittelmeergebiet geschätzten und von denvornehmen Rorschacher Leinwandherren in Handelgebrachten Tela di Rosacco. Noch mehr, er hatteteil am Erfolg dieser ersten SchweizerExportindustrie. Die Gewebe mussten allerdingsgenau nach Vorschrift und fehlerlos sein, sonstwurden sie an der äbtischen Schau am RorschacherHafen zurückgewiesen und in kürzere Stückezerschnitten, die nur noch als Ramsch veräussertwerden konnten.2

Und nun die Reben.3 Selbst an ausgesprochenen

Nordhängen bis zur Terrasse von Mariaberg treffenwir kleine Rebberge, die alle verschwunden sind.Nur der Name «Weinhalde» oberhalb derFeldmühle erinnert noch an den RorschacherTropfen, von dessen Güte oder Nichtgüte man sichin manchem Haushalt und in etlichen Gaststättenüberzeugen konnte. Zur Zeit unseresKupferstechers gab es mindestens noch vieröffentliche oder private Weinpressen: den «BömleTorkel» (Hochhaus Bäumlistorkel), den Hoftorkel(Kirchstrasse 10a), den Salis'schen Torkel (Haupt-strasse 11, östlich des 1979 abgebrochenen Hotels«Seehof») und den Torkel beim «Grünen Baum».Die Traube reifte auch in manchem altenSteinbruch an einer Linie, die sich vomFeldmühlebach an Mariaberg vorbei bis«Rorschach Bahnhof» zieht. Solch nicht mehrbenützte Brüche belegen die Flurnamen Stei-

grüebli (bei der Weinhalde), Hirschgraben

(einstige Vertiefung westlich Mariaberg), den zumSpielplatz gewordenen Steinbruch nördlich

__________________

1 «Rorschach, in Plan gelegt von Herrn Jos.Niclaus Erath Hochfürstlich St. Gallischen Ratheund Lehenvogt, hernach mit Hochobrigkeitl.Erlaubnis gezeichnet und in Kupfer gestochen vonJoh. Franz Roth, Hofschreiber in Rorschach, 1790.»S. Abb. S. 14/15.

2 Vgl. auch das Kap. «Von den Leinwandherrenund ihrem Gewerbe», S. 120ff.

3 Vgl. auch «Die Rorschacher Steinbrüche undRebgärten», S. 17 ff.

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Mariaberg, die Siedelung Steintal, der Spätische

Steinbruch, auch Rusbüge genannt (Wachsbleiche)und die Steingrueb südlich des Scholastika-Quartiers.

Die damaligen Wege in die Rorschacher Flur hinauszu verfolgen, ist für den Ortskundigen besondersreizvoll. Sie sind durch gewohnte Begehungentstanden und zum Teil heute noch festzustellen. Derbäuerliche Dorfbewohner von ehemals beschränktedie Zahl der Feldwege, um die nutzbare Flächemöglichst wenig zu beeinträchtigen. Der grosse, etwasvom linken Bildrand entfernte Bauernhof und späterergewerblicher Betrieb unweit des Sees heisst «In derLauben». Die Laubenstrasse erinnert daran. Bevor dieGruber eine eigene Kirchgemeinde bildeten, waren sienach Rorschach kirchgenössig. Ihr Kirchweg führtevon der Pfarrkirche über die Buechgass (östlicheBlumenstrasse) zum Zoll in der Hueb (ehemalsConcordia) und kreuzte hier die alte Reichsstrasse.Gemeint ist die Fürstenlandstrasse Wil-Rheintal, dieAbt Beda 15 Jahre vor der Zeit dieser Darstellung alseine, man darf schon sagen, eruopäische Musterstrassehatte ausführen lassen. Sie durchlief, von Goldachkommend, den untern Flecken und Marktplatz(Hafenplatz) und wandte sich über die Mariaberg- undPromenadenstrasse nach Staad. Wo später in den1830er Jahren die Staatsstrasse – als Verlängerung derHauptstrasse – dem See entlang gebaut wurde, gab esdamals, wie der Stich zeigt, nur einen schmalen Weg.Wir verfolgen den alten Gruber Kirchweg weiterRichtung Heidenerstrasse, am Haus «Hohenwiel»(Gegend des Krankenhauses) vorbei über den WeilerHohriet nach Unterbilchen (auf und hinter demBergrücken sichtbar). Über Stockwies erreichte ersanktgallisch Grub. Aber vielleicht stellt der in einemRechtsbogen emporführende Weg oberhalb des«Hohenwiel» den Steilaufstieg nach Hüttenmoos dar.In den obern Partien des Berges lässt der Stich, wienicht anders zu erwarten, die topographischeGenauigkeit vermissen. Die damals bestehendenSiedelungen am Berg sind durch ein Haus oder zweiHäuser dargestellt und verhältnismässig leicht zulokalisieren. So finden wir rechts oberhalb «Hohriet»Kolprüti und Fronberg, oberhalb St.AnnaschlossHasehus. Rechts der Bleiche vermuten wir den WeilerLoch, und über ihm von links nach rechts Zellerrain-Büel, Frommenwilen, Chräzeren und Eschlen.

Wir erkennen das Doppelhaus Promenadenstrasse75/77 (gegenüber dem EW), aber anstelle der Hub-mühle und des obern, später «Mange» genanntenHauses finden wir zwei kleinere Mühlstätten. EineLeitung auf hohen Stützen führt ihnen das Wasservom nahe gelegenen Weiher (ehemaliger unterster

Seminarweiher) zu. Das gleiche Wasser treibtunterhalb der Fürstenlandstrasse die Klostermühle

(heute Gemeinde-Werkschopf). Am Platz des oberstenHauses sollten später die Helfenberger'scheKonstruktionswerkstätte und das Elektrizitätswerk derGemeinde entstehen. An der Nord- und OstfrontMariabergs entdecken wir vier Erker, von denen nochzwei übriggeblieben sind. Die drei Häuser vor demKlostergarten gehören zum alten, erstmals 1276genannten Kellhof, in dem die Naturalleistungen derGotteshausleute abzuliefern waren. Das mittlereGebäude diente 1794 als «Bestallung». Unweit davon,am Burgweg (oberste Signalstrasse), entdecken wireinen von Bäumen flankierten Bildstock.

Südlich Mariaberg erhebt sich über einem Weinbergein grosses Kreuz. Nach rechts folgt die obere Bleiche

samt Biltenriet (baumlose Bleichewiesen südlich undnördlich der Thalerstrasse zwischen Post Ror-schacherberg und Rosenegg). Der Name Bleichebesteht heute noch.

Der leicht zu verfolgende Rietbach (Feldmühle-bach) setzte die Räder der grossen Feldmühle inBewegung. Der weiter rechts liegende Bauernhof hiessSandgrueb (beim Pestalozzischulhaus) und istverschwunden. Der untere Verlauf des Baches – imWohngebiet Bader-, später Ankerbach genannt – lässtsich am Bäumlistorkel vorbei leicht verfolgen. Erwurde schon damals vom Marktplatz an unterirdisch inden See geleitet. Der Bach strömt durchs Schussfeldder Rorschacher Schützen. Die Tradition dieser 1620,mitten im Dreissigjährigen Krieg, gegründetenvaterländischen Vereinigung führt die heutigeFeldschützen-Gesellschaft fort. Die Entfernungzwischen Schiessstand (rechts vom Curtihaus) und dendrei Scheiben beträgt schätzungsweise zweihundertMeter. Eine Scheibe in kürzerer Distanz trägt das Bildeines aufrechtstehenden Bären.

Die über den Bergrücken und die Tobel herabwal-lenden Wälder erscheinen nicht viel ausgedehnter alsdie heutigen. Seit der Güterteilung von 1722 gehörensie den Rorschacher, Rorschacherberger und GruberBurgern, die einst alle zum Reichshof Rorschachgehört hatten. Auch ohne Forstgesetz trugen sie, beialler Nutzung, ihren Waldteilen bis heute grosseSorge.

Im Marktflecken fehlen die Menschen. Das war beisolchen Prospekten üblich. Um so belebter ist die See-flache. Nehmen wir abermals die Lupe! Eben fährt einmit Weinfässern vollbeladener Rheinecker Segner imvormittäglichen Seewind – die Schatten deuten auf«vor Mittag» – dem Hafen zu. Alle Mann sind beschäftigt: es gilt, das gebauschte Segel zu reffen und hinten

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und vorn zu steuern, um anstandslos die schmale Ha-fenlücke zu gewinnen. – Das Segelschiff vor derEinfahrt scheint eine Ladung Korn seeabwärts zubefördern, vielleicht nach Steinach oder Arbon. DerWind ist günstig, der Schiffsführer – ein Bertschi,Fässler, Hämmerer oder Hertenstein - steht am Mastund raucht befriedigt die Pfeife. – In östlicherRichtung ausfahrende Schiffer rudern bei gerefftemSegel gegen den Gutwetterwind. Über den Berg ziehendie letzten düstern Wetterwolken ab. Man darferwarten, dass den zwei auf Backbord sitzendenRuderern zwei weitere auf Steuerbord entsprechen. –Der Fischer im Boot links aussen ist im Begriffe, dieNetze auszulegen, während sein Begleiter mit demStehruder das Fahrzeug langsam fortbewegt. – Denbeiden Glücklichen vor dem Kornhaus möchte man«Petri Heil!» zurufen. Beide ziehen einen Karpfenheraus. Gut dass der Beer bereitliegt. – Ganz rechtshält der hintere «Fischer» mit dem Ruder das Boot inder Richtung fest; denn der vordere schiesst mit derSteinschlossflinte, dass es kracht. Auch das Pulver aufdem Zündloch blitzt auf. Eine der Enten scheint voneiner Schrotkugel getroffen zu sein; die andern suchendas Weite. – Fischer und Seeleute tragen breitrandigeHüte. – Zwei der fünf unbemannten Segelschiffe imHafen sind geladen. Beim Kernhaus wartet einbeflaggter Vergnügnungskahn auf Gäste.

III Das Strassendorf

Als eigentliche Ufersiedelung entstanden, wandeltesich Rorschach zum Strassendorf. Anfänglich bestandwohl eine einzige Häuserreihe von primitiverBauweise ohne bestimmten Zusammenhang. JedemGarten auf der Südseite entsprach ein Uferplatz. Aufdiesen Vorplätzen längs der Wasserfront wickelte sichein erster bescheidener Verkehr ab. Als älteste«Strasse» diente also der schmale Uferstreifen, wie wirdies von unzähligen See- und Meerorten her kennen.

Der See bedeutete den Bewohnern des äbtischenRorschach unvergleichlich mehr als den heutigen,besonders in wirtschaftlicher, weniger in ideellerBeziehung. Er spendete ja nicht nur Fische, er botleichten Verkehr mit allen Nachbarn, vor allem zu denzahlreichen «überseeischen» Besitzungen des KlostersSt.Gal–len, er wies den Weg zum süddeutschen Korn,zu Schiffahrt und Handel, zu wirtschaftlichem undkulturellem Austausch mit allen Anrainern seinerweiten

Fläche. In der Tat liefen um 1794 die vier Inhaber desRorschacher Schiffahrtslehens mit wechselndemGlück alle wichtigeren Bodenseehäfen an. Wann dieRorschacher ihren Uferstreifen durch Auffüllunggenügend verbreitert hatten, so dass sie ihn mit dennördlich der Hauptstrasse stehenden Häusernüberbauen konnten, entzieht sich ebenso unsererKenntnis wie es feststeht, dass sie den Äbten fürebendiese Behausungen auf selbstgewonnenem Grundden Hofstattpfennig zahlen mussten. So sprachen sieallmählich – sicher bezeugt um 1794 – vom Obern undUntern Flecken, worunter man nichts anderes verstandals die zwei langgestreckten Strassenstücke, die deräbtische Hafenbezirk, als der eigentliche Kern derOrtschaft, verband. Von einer Hauptstrasse konnteman erst sprechen, als im 19. Jahrhundert einerseits dieden Ort durchlaufende Verbindung zum Rheintal vonder Höhe der Promenadenstrasse an den See verlegtworden und anderseits durch die industrielleEntwicklung manche zweitrangige Durchgangsstrasse(Kirch-, Löwen-, Bäumlistorkel-, Eisenbahnstrasse)entstanden war.

Fast alles, was dieser Ausschnitt des RothschenStichs umfasst, gehört noch in den Bereich desmittelalterlichen Hofetters. Seine Grenze verlief hinterden Häusern rechts an der Mariabergstrasse empor zurSchmittenbrücke, wandte sich nach Osten demKirchweg als dem ältesten und kleinen östlichstenStück der Kirchstrasse entlang bis zum Mühlbach, demsie nach Süden folgte. Von Kirchweg und Hauptstrasseund dem Mühl- und Heiderbach umgrenzt, liegt, einerkleinen Vorstadt ähnlich, doch gar nicht vorstädtischdem eigentlichen Wesen nach, ein gewichtiges Stück«Altstadt». Im untersten Anstieg erweitert sich derStrassenraum (unterste Mariabergstrasse) zu einembescheidenen Platz, dem Hengart, in seiner ältestenForm Hangarten (1350), auch Haingarten(=Lustwäldchen) genannt. Hier bot sich ein freierSpiel- und Versammlungsraum für jung und alt.Vielleicht versammelten sich hier am Heerweg diealemannischen Markgenossen und die spätem Burgerunter ihren Ammännern und hielten Frühjahrs- undHerbstgericht. Mit Kirche, Schulen und den altenSitzen der einflussreichsten, teils geadeltenKaufmannsfamilien zeigt unser Ausschnitt sozusagendas kulturell bedeutsame Rorschach von damals.

Beginnen wir unsere Wanderung bei der Kolum-

banskirche, deren Bau im nächsten Abschnittgewürdigt werden soll. Über der Westfassade ist nochdie Hälfte der I. Kaplanei sichtbar, rechts daneben dieII. Kaplanei. In ihr tagen die Gemeindeväter unter

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Ammann Franz Roman Hertenstein. In diesemGebäude war auch seit 1676 die Untere Lateinschuleuntergebracht, die Vorläuferin der RorschacherSekundärschule, die somit auf eine 285jährigeEntwicklung zurückblicken kann. Auf der linken Seitedes Kirchplatzes, hart am Mühl- oder Schulbach,erkennen wir das Grafsche Haus, das noch keinenTreppengiebel trägt. Nachdem es die Blarer vonWartensee in Besitz gehabt hatten, wurde es bis 1806als Pfarrhaus verwendet. Neben dem noch heute inGebrauch stehenden Messmerhaus, das die ältestenRorschacher Schulräume barg, folgt, in seinem unternTeil vom Hoftorkel verdeckt, das Schulhaus.

Wenn wir die südlichen Häuser an der Hauptstrasseverfolgen, srossen wir gerade auf die bedeutendste undweitest verzweigte Rorschacher Kaufmannsfamilie.«Rathaus und Falken»

3a mit Hintergebäuden und

__________________

3a Vgl. auch Abb. S. 83.4 Vgl. auch R.G., Das Buolsche Haus-heute«KinoEden» in Rorschach, RMC 1969/September.

Lustgärten gehören Pfalzrat Franz Josef Anton von

Bayer (1740 bis 1820). Diese schöne Häusergruppewurde 113 Jahre früher von seinem AhnherrnFerdinand Bayer erbaut. Franz Josef Anton besitztauch den zweiten der Hofgärten von links (südlich derKirchstrasse) mit dem zweistöckigen Lusthäuschen. Ererbaute 1786 den breiten Mansardenbau (Bildeckelinks unten), in dem jetzt sein Vetter Pfalzrat Josef

Ferdinand von Bayer (1737-1800) residiert und indessen östlicher Flucht der Erbauer seinen Pferdestalluntergebracht hat. Dieses schöne Handelshaus sollteab 1816 katholisches Pfarrhaus werden.

Die nächsten zwei Häuser, deren eines den bekanntenKaufmannserker (Cinema Eden) trägt, waren zuAnfang (1655) im Besitze der Beamtenfamilie Buol

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Zur Zeit des Kupferstichs hat sie Kommissarius Josef

Ferdinand Albert von Bayer (1742—1803) inVerwaltung, der jüngere Bruder des Besitzers von«Rathaus und Falken», die man vereint auch dasObere Bayersche Haus nennt. Ferdinand Albert gehörtauch das «Kettenhaus» nebenan, das, mit denherrlichen südlichen Gärten bis zum Kirchweg, samt

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Pferdeställen und Remisen, als Gründung der Pillier

gilt. Der Besitzer des Kettenhauses nennt auch dasLandeshauptmännische Haus (Engelapotheke) seineigen. Von den Hofgärten gehört ihm der fünfte vonlinks. Als ausgezeichnete Kaufleute verstanden es dievon Bayer, sich einen umfangreichen Besitz zu sichernund sich als äbtische Berater, Beamte undGeldverleiher Einfluss zu verschaffen. Der erste,Wendelin aus Biberach, seines Zeichens Schneider,wohnte mit seiner kinderreichen Familie in einemHause, mit dem ihn 1514 Abt Franz von Gaisbergbelehnte. Zwei weitere Vertreter der Familie wohnenam Hengart: Georg Wendelin, Sohn des PfalzratesFranz Ignati von Bayer (1696-1778), lebt mit Bruderim väterlichen Besitztum, im sog. Untern Bayerschen

Haus «Im Hof» (Bildecke rechts unten). Diese beidenverfügen auch über das oberhalb stehende Amrhynsche

Haus5 samt den dahinter liegenden Gärten und

Bestallungen.

Wenn wir uns vom Kettenhaus westwärts wenden,folgen zunächst bis zum Haiderbach fünf aneinandergebaute Häuser. Sie gehören einem Caspar von der

Trave, der auch den dritten (immer von links)Hofgärten besitzt, Schneider Franz Josef Büchler,Perückenmacher Carl Holzherr, Faktor Hautinger(Haus zum «Engel») und dem obgenanntenKommissarius von Bayer. Der Letztgenannte ist einVetter zweiten Grades des frühern Besitzers, desäbtischen Landeshauptmanns Jörg Ludwig von Bayer

(1705-1762), der einst in die Gefangenschaftalgerischer Seeräuber gefallen war und von dem dasschöne Haus der heutigen Engelapotheke dieBezeichnung «das Landeshauptmännische» trug.

Zwischen Haiderbach und Mariabergstrasse folgenvier mit ihrer Rückseite den Hengart begrenzendeHäuser. Der Erker des ersten, dem LeinwandherrnAloys von Albertis (1765 bis 1835) gehörenden Hausesist bis heute erhalten und stellt die Taufe Jesu dar. Daszweite Haus ist Statthalter Sebastian Keel zu eigen, dasdritte dem Leinwandhändler Gasparini und das letzteJohann Josef Lindenmann.

Die östliche Umrandung des Hengart geht über denGarten des Aloys von Albertis zum Haus des Bernhard

Frommenwiler (heute «Frohsinn»), zu Haus undStallung des schon einmal genannten Caspar von der

Trave und endet mit dem Obern Hoffmannschen Haus.

Paul Franz Hoffmann (1624-1707) aus Baden imAargau, damals die treibende Kraft imLeinwandgeschäft und Vertreter der zweitenbedeutenden Rorschacher Kaufmannsfamilie, hattedieses Haus mit breitausladendem "Walmdach undbarockem Quergiebel (Mariabergstrasse 11) 1672erbaut. Zur Zeit unseres Kupferstichs wird es von der

Familie des Benedikt Martignoni bewohnt, die sich,von Mailand kommend, dem Leinwandhandelzugesellte. Gerade gegenüber, im sog. Curtihaus6 mitseinen Stallungen und dem schönen Garten, hat sichdie 1756 aus der Krain zugezogene Familie Gasparini

niedergelassen. Die westliche Mariabergstrasseabwärts folgt das Schützenhaus, dessen Schiessstandam äussersten Ende der Gasparinischen Bestallungnicht mehr zu sehen ist. Die Gasparini verfügten überden sechsten und die Martignoni über den achten dersonnigen Hofgärten, über deren Anläge Daniel Freieine ansprechende Studie geschrieben hat.7 Es istnachzuholen, dass der erste Streifen dieser ausserhalbdes Hofetters gelegenen Lustgärten im Stile desRokoko dem frühern Zoller und damaligen LöwenwirtPeter Brägger gehörte, der vierte Oberst Keebach undder siebente Marzell Hoffmann von Leuchtenstem,

dem Besitzer des Untern Hoffmannschen Hauses

(Haus Brugger, Hauptstrasse 48).

In den 1790er Jahren wurde die bisherinnegehaltene Baugrenze des Hofetters gesprengt,wovon drei stattliche Bürgerhäuser oberhalb derSchmittenbrugg an der Mariabergstrasse zeugen: linksdas vielleicht bestproportionierte RorschacherBürgerhaus, welches der in der «BayerschenHandlung» tätige und aus dem Trentino stammendeLorenz Salvini 1790 erbaut hatte (Amtshaus), undrechts zwei um 1794 – also gerade im Entstehungsjahrdieses Stichs – von Baumeister Haag erstellte stilvolleHäuser: Haus «Witta» und Haus Dr. Thürlimann.

Der vom St.Annaschloss herabkommendeHaiderbach fliesst bei der Schmittenbrugg unter derFürstenlandstrasse hindurch. In der nahen, heute nochbestehenden Schmiede, die der Brücke mit demäbtischen Wappenschmuck den Namen geliehen,schwingt Johannes Pfister den Hammer. DerSchmiede gegenüber träumt eines der altenRorschacher Arzthäuser, das Hemmersche Haus

(Vater und Sohn Hemmer zeigten hier ihrmedizinisches Können) von seufzenden underleichterten Kranken, welche die enge Stiege auf- undabgingen, 1794 bei Dr. Gschwend. Leider fiel diesesHaus einer Uberbauung zum Opfer. Nördlichgegenüber praktiziert die Konkurrenz Marx Anton

Rothfuchs, Chirurgus. Das Gebiet des heutigenLindenplatzes war mit kleinen Häusern,

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5 Mariabergstr. 8. Vgl. auch R.G., Das AmrhynscheHaus in Rorschach, RMC 1969/ August.6 Heute Parkplatz. Vgl. auch Anm. 38, S. 102.7 RMC 1959/Juli.

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Werkstätten und Stadeln überbaut; drei der letzterenwaren in der Hand des schon genannten Kommissarius

von Bayer.

Weggelassen in der Beschreibung wurden einigeHinterhäuser, Ställe und Schöpfe. Schliesslichbrauchen wir unsere Nase nicht in alleshineinzustecken. Neben der II. Kaplanei steht einöffentliches Waschhaus der Gemeinde und weiteroben am Mühlbach, noch gut sichtbar, eine Walke, inder durch Stoss, Druck und Reibung, die feinenRorschacher Leinengewebe verdichtet werden.

IV Bei St.Kolumbanskirche undSalisschem Hof

Als unser Stich entstand, lag der grosse Umbau derSt.Kolumbanskircbe schon acht Jahre zurück. Für dendurch Handel und Gewerbe erstarkten Reichshof wardas Gotteshaus zu klein geworden. Man hatte es 1782bis 86 nach Westen verlängert und zwei übereinander-gehende Emporen eingebaut. Der niedere Käsbissen-turm wurde erhöht und erhielt seinen Zwiebelaufsatz.Damals entstand die eindrucksvolle einschiffige Ba-rockkirche, wie wir sie bis heute kennen. Dievornehmen Familien wetteiferten miteinander inkirchlichen Spenden. So hatten die von Hoffinannschon 1665 den St.Antonius- und 1731 den Hochaltargestiftet. Sie und die von Bayer schmückten auch diekleine Seelenkapelle. Ihre Begräbnisstätten im Stileder Zeit grenzten an die Mauer des benachbarten

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Salisschen Hofes. Der Kirchenverlängerung musstedie Kaplanei weichen, die im Haus der heutigenI. Kaplanei neu erstand.

Der grosse, dem Kirchhof nordöstlich anliegende,ummauerte kleine Bezirk gehört zu den verbrieftenLehen und heisst, weil ihn die Freiherren von Salis zuZizers während mehreren Generationen (seit 1669) be-sassen, der Salissche Hof

8 Zur Zeit Ludwigs XIV.spielte dieses schlossähnliche Gebäude mitTreppengiebel und Erker die Rolle eines französischenWerbe- und Horchpostens. Besonders Oberst Rudolfvon Salis warb von hier aus für die Schweizergarde inParis. Die von Salis bekleideten unter demLilienbanner hohe Offiziersränge und verbrachten ihreUrlaube meist in Rorschach. Jetzt (1794) wohnt hierFrau Marschall von Salis, die Witwe eines Rudolf, derden Tuileriensturm miterlebt hatte und mit andernSchweizern ein Opfer der Septembermorde (2. Sept.1792) geworden war. Vor den Salis beherbergte derBau Vertreter namhafter Geschlechter, wie derMötteli, Blarer und Reding von Biberegg. Nochschwingt sich aus Kaiser Maximilians Zeiten das«Schwabentor» über die Strasse als Relikt einesGrenzschutzes, den Abt Gotthard Giel von Glattburg

angeordnet hatte. Dank der Wachsamkeit derGotteshausleute konnte am 11. April 1499 ein Überfällder Lindauer auf Rorschach abgewehrt werden.

Die drei Häuser vor der Seelenkapelle an der Eckebeherbergen kleine Werkstätten im Erdgeschoss, indenen genäht, gehämmert und gehobelt wurde. Siegehören Kamezolmacher Rothfuchs' sel. Tochter(Kamisol = kurzes Wams), Schuhmacher Josef Anton

Haggenmüller und Schreiner Josef Hüttenmoser. ZumHerrschaftshaus der Salis gehören – ganz wie wenn siein der Bündner Herrschaft wären – östlich angebautder Torkel und am See zwei weiter unten zubesprechende Rebgärten. Das nächste Haus nach links(«Traube»)9 gehört Schlosser Jakob Bauhofer, ebensodie Werkstatt rechts an der aufsteigenden Buechgass(heute Buchstrasse). Den darüber liegenden Gartensamt Wohnhaus besitzt Amtsschreiber und PfalzratWaibel, über das folgende verfügen die Witwen einesUlrich Lehner und Lorenz Rothfuchs, alles Namenlangezeit in Rorschach ansässiger Familien. Dannfolgt das grosse Bauerngut «In der Hueb», das sich biszur Huebmühle ausdehnt.

Anhand des ganzen Stichs von Rorschachentdecken wir, dass nur noch wenige Häuser östlichder Buechgass liegen9a. Mit ihnen sind wir am obernEnde Rorschachs angelangt. Wenn wir die Buechgass

überschreiten, gehört das erste Haus (Hauptstr. 5)Richter Aegidius Heer, das nächste ostwärts(Hauptstrasse 3) Michel Rothfuchs und F r a n z

Josef 'Jungmann, dem Besitzer der schon 1658bezeugten, damals von Hans Jungmann betriebenenObern Färb (südl. der Flurname «Ob der Färb»). DieJungmann waren – im gelegentlichen Wechsel mit denRoth und Meyer – die eigentlichen Rorschacher Färberund treue Diener des Rorschacher Leinwandgewerbes.Franz Joseph besitzt auch die Untere Färb (heuteMünzhof). Es folgt die kleine Kupferschmiede desFerdinand Roth (etwa Hauptstrasse 1) und über demWeg (heute Bellevuestrasse 4) das Heim der Witwedes Josef Bürki und ihrer Kinder. Von den dreizusammengebauten Häusern mit schönem Gartengegen den See gehören die westlichen zwei einerFamilie Frommenwiler , deren einer VertreterKorntregler (Arbeiter im Kornhaus), der andere Arztist. Das Haus liegt im Bayerschen Spitalgut, und imgrossen östlichen Anbaut befindet sich die berühmte«obere Bayersche schribstuben». Die bekannteKaufmannsfamilie verstand es nicht nur, ihreLeinwand nach der Levante abzusetzen, sondern auchwährend der Hungerzeit von 1770/71 Abt undGotteshausleuten für 200000 Gulden Korn aus derLombardei zu verschaffen. Der mühselige Transportdurch Träger über die Alpen und schliesslich bis insRorschacher Kornhaus wurde offenbar von diesemKontor aus in Szene gesetzt. So gehen immer wiederschöpferische Ideen von einfachen Bürgerstuben aus.Das letzte Doppelhaus am linken Bildrand, mit Stadel,Waschhaus und zwei Gärten, gehört Rat Josef

Waldmann und besteht nicht mehr.

V Die Seeseite des obern Fleckens

Man glaubt sich an die Wasserkante einer Hansestadtversetzt, wenn man das lustige Gewinkel und Gewirrder Wasserfront verfolgt. Die Rorschacher Buben undMädchen hatten im 18. Jahrhundert geradezu herrlicheZeiten! Wo sind die Mauerstiegen und Palisadenreihender wellenbrechenden Seepfähle, wo die eigenwilligins Wasser vorspringenden Bauten mit ihren Schöpfenund Gärtchen, den engen Gässchen und Schlipfen. Fastjede Hofstatt in diesem «Klein-Venedig» hatte ihren

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8 Später «Seehof», abgebrochen 1979. VgL auch R.G.,Der Salishof, RMC 1979/Juni.9 Abgebrochen 1979.9a Vgl. auch die Abb. S. 81

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eigenen Landeplatz. Da konnte, wer waten undschwimmen nicht fürchtete, im Sommer über Mauernund Pfähle (was vielleicht verboten war) die Uferlinie«abschreiten», einen Blick tun in reizvolle, gepflegteUferwinkel oder auf irgend einem Mäuerchen demFischfang obliegen. An breiten Uferböschungen(oberhalb des heutigen Hauses Buob und anstelle desHauses Engensperger) konnte man zusehen, wiemächtige, aus dem Bregenzerwald oder von Rheineckhergeflösste Blöcher und Stämme aus dem Seegezogen und zwischen den Häusern aufgestapeltwurden. Ähnliche Stellen befanden sich in Staad, beimRiedtli und beim Horner Schloss. Mit selbstverfertgtenSchiffchen oder Gössen liess sich das ganze Ufer vorden Heimstätten, hinein und hinaus, abfahren, wobeiman schauderte, wenn sich an den Bachmündungendie hässlichen Ratten blicken liessen. Mindestens nachzwei, drei Häusern lief ein enges Gässchen zum See.Solche Durchgänge durften, nach den RorschacherWegordnungen, nicht verbaut oder verstellt werden,damit bei Feuersbrünsten männiglich auf kürzestemWeg ans Wasser gelange.

Wohin sind die mittelalterlichen Uferränder und -herrlichkeiten entschwunden? Seit der Jahrhundert-wende (1800) ging es mit Riesenschritten neuenLebensformen entgegen; neuzeitliche Verkehrsmittel,Textil- und Maschinenindustrie begannen das Feld zubeherrschen. Die Bahnlinie am See erheischte vonstarken Quadermauern geschützte Quaiauffüllungenund trennte Rorschach vom Wasser. Doch jenseits derSchienen wurde dem See neues Land abgewonnen, ausdessen Grün sich herrlich auf Stadt und Landschaftblicken lässt.

Der Leser folge mir mit der Lupe von Osten nachWesten! In der Gegend des Bahnübergangs beim Bel-levue stösst der obere und etwas weiter westlich deruntere Rebgarten (mit dem Lusthäuschen) der Frau

Marschall von Saus in den See vor. Dazwischen liegen– nach einem kleinen Ufergärtchen – der ummauerteObstgarten der gleichen Besitzerin und (ungefähr inStadtgartenmitte) mehrere kleine Häuser, in denen dieSchwestern Theresia und Franziska Eggmann wohnenund Küfer Anton Hüttenmoser seine Fässer bindet.Nach dem Schlipf folgt die Häusergruppe des

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Rorschacher Obersten Johann Baptist Keebach, die ervon den Hertenstein übernommen hatte. Der jetzt72jährige Oberst und Ritter des Ordens vom hl.Ludwig hatte sowohl den ÖsterreichischenErbfolgekrieg als auch den Siebenjährigen Krieg invorderster Reihe mitgemacht und erreichte ein Altervon 94 Jähren. Vornehm von der Strassezurückstehend, präsentiert sich daneben als hablichesHandelshaus ein breiter Mansardenbau, einer derschönsten von Rorschach, der seit 1816 alskatholisches Pfarrhaus dient. Pfalzrat Josef Anton von

Bayer (1740-1820) hatte ihn 1786 anstelle von zweiRiegelbauten erstellen lassen. 1794 gehört er einemVetter des Erbauers, Josef Ferdinand von Bayer

(1737-1800). Mit dem benachbarten Haus und Gartendes Herrn Resignat Bürke sind wir am Mühlbachangelangt, der mit deutlicher Strömung in den Seemündet. Zwischen ihm und dem Haiderbach zählenwir acht Häuser, die alle, mit Ausnahme des achten,Gärten in die blaue Seefläche vorschicken. Das erste(Hauptstrasse 30), dem Rathaus gegenüber, gehörtHerrn von Saylern, Obervogt zu Blatten, das zweite(Hauptstr. 32) zwei Damen, der Frau ReichsvögtinG r ü e b l e r und Mme von Gummer – offenbarEmigranten – das eng angebaute dritte (anstelle derheutigen Seestrasse) Kornmeister Johann Baptist

C o r z l e r und Peter Anton Danielis, Materialist(Gewürzhändler), der auch Nummer vier sein eigennennt. Das angebaute fünfte Haus gehört zweiverwitweten Frauen des Richters Josef Bürki und desHofschreibers Jakob Heer. Das nächste, mit seinemGarten am weitesten in den See vorstossende Hausbesitzt Oberstleutnant Germann. Wo jetzt das Haus«Gutenberg» steht, der ehemalige Druckort des «Ost-schweizerischen Tagblattes», befinden sich Gartenund Seeböschung des 1721 gebauten HausesEngensperger, das als siebtes Haus unserer Reiheseewärts einen zweiten Garten mit Stadel aufweist.Dieses schöne Besitztum ist jetzt (1794) zusamt zweiHäusern auf dem «Schäflegarten-Areal», in der Handeines Erben des 1791 verstorbenen Geheimrates Josef

Leonz Ignaz von Sartori. Als einstiger Offizier imRegiment Dunant (1758), Hofkanzler (1763) undObervogt (seit 1783) muss er eine markantePersönlichkeit des Reichshofs gewesen sein. DieSartori scheinen von Fussach zu stammen undsiedelten sich zuerst in Berg an. Nach dem HofRappen, den sie dort erwarben, nannten sie sich «vonRabenstein». Die Familie entsandte besonders vieleSöhne in spanische Dienste. Das achte Haus amHaiderbach endlich mit Garten und Hintergebäudebesitzt Kammerrat Felix Josef Wutterini vonGaudenzenthurn bei Bozen, der eine Franziska von

Bayer (1728-1786) geehelicht hatte. Die Wutterinisind seit 1756 eingebürgert und stifteten einen Fonds,aus dessen Erträgnissen noch heute unbemitteltenBürgerssöhnen die Erlernung eines Handwerksermöglicht wird.

Zwischen Haiderbach und Kaufhaus am Hafen liegenfünf Komplexe: zuerst die ineinander verschachteltenHeerschen Häuser, die jetzt den Hoffmann gehören,dann das vornehme Besitztum mit Doppelhaus undGarten des Josef Marzell Hoffmann von Leuchtenstem

(1759-1831). Sein doppelter Erker gegen dieHauptstrasse trägt im Früchteschmuck des Rokokodrei biblische Motive zur Schau. Der imLeinwandhandel reich gewordene Besitzer wendet sichmehr und mehr der Politik zu: in der kurzlebigenHelvetischen Republik wird er Landesstatthalter, inder Mediationszeit Gemeinderat und Grosser Rat. Esfolgen an der Hauptstrasse – auch ums Kaufhausherum erreichbar – die Häuser der Witwen des Franz

Anton Baumgartner und des Hauptmanns Bernhard

Heer, schliesslich die Wirtschaft zur «Ilge» desConstantin Waldmann. Alle diese Wohnplätze an derWasserfront hatten dem Abt jährlich denHofstattenpfennig zu zahlen.

VI Am Hafen und Marktplatz

An der Stelle einer bisher bevorzugten Schifflände hatschon Ulrich Rösch (1463–1491) das Ausmass einesvon äbtischen Gebäulichkeiten eingefasstenMarktplatzes (heute Hafenplatzes) und Hafensfestgelegt. Einzig neu sind bis zum Jahre unseresStichs (1794) die Erneuerung und Zweckbestimmungeiniger untergeordneter Häuser und vor 46 Jahrenunter Abt Cölestin II. (1740-1767) die den Hafenflankierenden Bauten des Korn- und Kaufhauseshinzugekommen.

Beginnen wir mit dem Kaufhaus auf der Ostseite desHafenbeckens. Zur gleichen Zeit mit dem Kornhaus(1748) erbaut, dient diese «Gred» als Stapel für alleKaufmannsgüter ausser Getreide. Später wurde – aufdem Stich deutlich sichtbar – der Salzstadel östlichangebaut. Hier wird das aus dem Salzkammergut überLindau eingeführte sogenannte «bayrische Salz»gelagert. Wahrscheinlich befindet sich in diesemGebäude die Rorschacher Münzstätte.10 Hier amtet,vielleicht selbst ein Kaufmann, der Rorschacher

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10 Vgl. R. G.; Verschwundene Hausnamen aufRorschacher Gemeindegebiet, RNB 1961.

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Münzmeister als alleinberechtigter Geldwechsler undVerwalter von Mass und Gewicht. Am Südende desKaufhauses leitet der Obere Bogen hinüber zum Hauszum «Truck». Hier «an der Mauer beim Tor» stehendie Mangen und Pressen zur Verfügung derLeinwandherren. Hinter dem Turm, der offenbar alsTreppenhaus diente, erblickten wir vor der stattlichenBayerschen untern Familienbesitzung «Im Hof» – dieobere bestand aus Rathaus und «Falken» – das kleine,diesem Kaufmannsgeschlecht gehörende Leinwand-

häuschen, während sich rechts, seit 1662, dieObervogte i mit der Wohnung des weltlichenObervogts, der Kanzlei und dem Sitzungszimmer fürden Pfalzrat anschliesst. Hier ist der Stich verzeichnet;denn von der Ecke dieses Hauses (bei D) bis zu jenerder äbtischen Taferne zum «Güldenen Löwen» (HausFederer) besteht in Wirklichkeit ein Engpass, der mitLeichtigkeit abgeriegelt werden konnte. Die Tafernebeherbergt im Erdgeschoss Leinwandmagazine und imersten Stock die Gaststube und den Sitzungsraum derRorschacher Zünfte. Dann folgt das lange Schau-,

Schmalz- und Garnhaus. Bei Inbetriebnahme desKornhauses (1749) wurde die Leinwandschau von derGred in dieses Gebäude verlegt. Über dem Ankerbach,der schon damals wie heute unter dem Platz hindurchin den See floss, folgte das erstmals 1547 belegteHumpiss’sche Haus, in dem einst Vertreter dieserRavensburger Kaufleute wohnten und das die Äbteden Neuzugezogenen gerne zur Verfügung stellten,solange sie die Hilfe auswärtiger Leinwandhändlerbrauchten. Jetzt teilen sich der Kornmeister und einHerr Wulpillier aus Magland bei Annecy, Savoyen, indas vom Abt verliehene Haus, dessen Erdgeschoss derZollposten beim Untern Tor einnimmt. Die genanntenzwei Bürger wurden auch mit dem nördlich sichanschliessenden Untern Bogen und mit der Apotheke

belehnt, auf die der «Hirschen» des ConstantinHutterer und ein kleines Badhaus folgten. Dieserwestliche Abschluss des Marktplatzes leitet über zumKornhaus. Dessen bevorzugte Stellung am Hafengestattet es den Kornschiffen, auf drei Seitenanzulegen.

VII Die südliche Häuserreihe des unternFleckens

Mit ihren Gärten folgt sie der Hofettergrenze, der altenBaugrenze des äbtischen Rorschach. ZwischenObervogtei und Taferne zum «Güldenen Löwen»betreten wir die Hintergasse (heute Neugasse) undsehen uns Haus für Haus näher an. Die ersten beiden(heute Postgebäude) gehören, wie der ganzeHafenbezirk, dem Kloster. Im ersten wohnt Hans Jörg

Winter, im zweiten befindet sich die Bestallung des«Löwen». Die nächsten drei Häuser (jetzt «Münzhof»)und auch das grosse über dem Baderbach hat FärberFranz Josef Jungmann zu Lehen; denn hier am Bach(Feldmühlebach) sind wir im Gebiet der Untern Färb.

Wir erinnern uns, dass Jungmann auch die Obere Färb

(südlich Bellevue) besitzt. An der mittleren Neugassehat schon 1522, ein Jahrhundert vor Einführung desLeinwandgewerbes (1610), Färber Otmar Moser seinebunten Tücher durch Walche und Mange verarbeitenlassen. Der Platz nördlich vor diesen zur Färbereigehörenden Häusern heisst «Swinmarkt», den ein Tor– als Gegenstück zum Untern Bogen – gegen daswestliche Rorschach abschliesst. Die folgenden PlätzeNeugasse 13,15 und 17 belegen ein öffentlichesWaschhaus des Reichshofs, Haus und Garten desHirschenwirts Hutterer und des Maurers Constantin

Jungmann. Jetzt öffnet sich der Kronenplatz mitBrunnen und Jakobskapelle, dem (vermutlich)zweitältesten Bethaus Rorschachs. Es lag in älterer Zeitwohl ausserhalb der Ortschaft und rief Jahrhundertehindurch mit seinem Glöcklein Pilger und Anwohnerzum Gebet. Die drei folgenden Häuser gehören denHertenstein: das erste dem Schiffsmann Jakob und diezwei folgenden mit den dahinter liegenden StallungenAmmann und Kronenwirt Franz Roman. Wo manheute in die Kronenstrasse einschwenkt, steht einkleines Nebengebäude, in dem möglicherweise dieFahrscheine für die hier Halt machenden Postkutschengelöst werden. Jetzt folgt das schöne, erkergeschmück-te Haus mit Garten und Gewölbe des Johann Josef

Lindenmann, daneben am äussern Rietbach (Adler-bach) Haus mit Stallung des Hofschreibers Johann

Franz Roth (Hauptstrasse 89), auf den wir – er istunser Kupferstecher – am Schlüsse dieser Abhandlungzurückkommen wollen. Die zwei gegen die Strasseleicht vorspringenden Häuser sind der «Adler» mitGarten und Städeli des Färbers Johann Josef Roth undColumban Bopparts und die Behausung des Simon

Hertenstein. Das zurückliegende Heimwesen (vor demAbbruch Haus Frischmann) gehört samt dem Garten

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Johann Georg Lohner. Im ersten der zwei Häuser vordem Engpass (der im Stich nicht ersichtlich ist)beginnt Weibel Wendel Meyer seine Botengänge, ausdem zweiten ertönen die Hammerschläge desKupferschmieds Franz Roth. Als die drei restlichenHäuser erkennen wir dasjenige des SteinmetzenSebastian Rennhas, Haus, Stadel, Torkel und Gartendes Wirts Johannes Baumgartner zum «GrünenBaum» und eine zweite Kupferschmitte des Johannes

Roth (St.Gallerstrasse l). Den Abschluss des UnternFleckens bilden, zwischen St.Galler- undThurgauerstrasse gelegen, zwei Häuser: das kleineredie Schlosserei des Jakob Hüttenmoser, das grösseremit zwei Stadeln, einem Schöpf und Garten derGasthof zur «Sonne» des Sebastian Lehner (heuteHochhaus Bodan).

VIII Die Seefront des untern Fleckens

Beim Kornhaus beginnend, fällt uns das kleine Bad-haus der äbtischen Beamten auf. Es grenzt an dasdoppelte Gebäude des «Hirschen», in dem Constantin

Hüttenmoser besonders an Markttagen viele Gästebewirtet. Nach rechts folgt – stark verzeichnet undfrüher viel zu nahe am «Hirschen» (bis 1973 Oscar

Weber) – das «Schiff» des Melchior Bürke. Im«Ochsen», dessen Nebengebäude am weitesten in denSee vorstossen, schaltet Columban Hüttenmoser, im«Kreuz» Anton Heer und im Haus, Stallung und Trottevor dem Adlerbach Johannes Gschwend. Alles hathier mit Gastgewerbe zu tun, während sich unter denfünf Häusern gegenüber, die wir hier nachholen, «nur»zwei Gasthöfe befinden. Gleich westlich des UnternBogens steht der «Engel» von Johann Baptist Künzles

sel. Witwe, an den sich der «Hecht» des Josef Anton

Schiltknecht schliesst. Beide Gasthöfe haben ihreStallungen auf der Rückseite gegen die Neugasse.Dann folgt als drittes Haus das vermutliche Heimunseres Kupferstechers Roth. Das vierte und fünfteHaus bewohnen Martin Rothfuchs und Jakob Graf mitihren Familien. – Vom Adlerbach westwärts bis zumSchlipf zählen wir acht Häuser. Da stehen – fast allemit Seegärtchen – das «Schäfle» des Wirts undApothekers Johann Josef Ackermann, der Besitz desJohann Wulpillier, das Boppartsche Haus (Hauptstr.92), die «Alte Gerwe» des Gerbers Joachim Heer

(«Löwen»), der auch das Nachbarhaus (Hauptstrasse96) erworben hat. Die drei letzten bewohnenHutmacher Jakob Meyer, Josef Hammerers sel. Witweund Kornhausträgler Josef Grueber. – Von hier ansind es nur noch unbedeutende kleinere Wohnstätten,

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welche die Thurgauerstrasse säumen, mit Ausnahmedes Spitals mit Garten (anstelle der Häuser Thurgauer-strasse 14 und 16).

Auch Alt-Rorschach hat keinen Mangel anGaststätten. Wer von St. Gallen oder vom Thurgau heretwa am Donnerstagmarkt sich dem Herzen desReichshofs nähert, den grüssen auf der rechten Seite dereinladende «Grüne Baum», der stolze «Adler» und dieseltene «Krone». Ihr gegenüber beginnt es mit dem«Schäfle» und dem «Kreuz». Während die Marktkarrenweiterhin die Strasse versperren, rasten die Pferde inden hinterwärtigen Stallungen des «Ochsen» und«Hirschen» und der den nahen See ankündigenden«Hecht» und «Schiff». Dann folgt, als letzteVerheissung vor dem Tor zum äbtischen Marktplatz,der «Engel». Der ganze Obere Flecken besitzt nur einGasthaus, abgesehen vom «Güldenen Löwen» amMarktplatz: Das bis vor kurzem noch so genannteRestaurant «Ilge».

Ein kurzes Wort über den Kupferstecher Johann

Franz Roth (1731-1798) selbst, dessen zwei eigeneHäuser (Hauptstrasse 79 und 89) wir aufgestöberthaben. Nach der Darstellung des verstorbenenStiftsbibliothekars Dr. Josef Müller im Rorschacher

Neujahrsblatt 194311 sollte der Junge für die Kattun-druckerei seines Vaters das Zeichnen erlernen. Erwurde Student der Kupferstich-Kunst in Strassburgund kehrte nach einem längeren Aufenthalt in Parisheim. Johann Franzens Urgrossvater, KupferschmiedMathäus Roth, war Ammann gewesen. Sein VaterHans Jakob Roth hatte sich in eine sozial gehobeneStellung emporgearbeitet und in spanischenSolddiensten den Leutnantsgrad erworben. So durfte eres wagen, für seinen Jungen zwei RorschacherAristokraten als Paten zu wählen: den hochfürstlichst.gallischen Ratsherrn Franz Ignaz von Bayer (1696-1778) und Anna Regina von Hoffmann (geb. 1702).Mit 26 Jahren heiratete er die Ammannstochter Anna

Katharina Heer. Bald gab er das Kattundrucken auf,wurde Rorschacher Hofschreiber und nacheinanderAngestellter der Hoffmann und Bayer. Schliesslicheröffnete er eine kleine Gaststätte zum «Pfauen», derseine Frau vorstand. Dem Umstand, dass Roth imGrunde genommen dem Kaufmannsberuf abhold war,verdankt Rorschach, wie Josef Müller sich ausdrückt,«einen wenn auch nicht hochbedeutenden, so dochkünstlerisch nennenswerten Kupferstecher».

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11 Dr. J. Müller, Kupferstecher Johann Franz Rorh vonRorschach, RNB 1943.