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52. Band. 1 Juli-August19fi6.J J' T il lm a n s, Milchwirtschaftliche Tagung in Mannheim. 25 Bericht fiber die milchwirtschaftliche Tagung des Deutschen Stiidtetagcs in Mannheim am 23. und 241 April 1926. Yon Prof. Dr. J. Tillmans~ Frankfurt a. M. Unser verehrter Herr Vorsitzender forderte reich auf, ]hnen heute fiber die Ver- handlungen des Deutschen St~idtetages auf seiner milchwirtschaftlichen Tagung in Mann- helm zu berichten. An der Tagung babe ich sowohl als Vertreter des Vereins Deutscher Nahrungsmittelchemiker, als auch im Auftrage des Stadtgesundheitsamtes Frankfurt a. M. teilgenommen. Die Tagung war yon vielen Vertretern der verschiedensten deutsehen S~gtdte, yon den Vertretern der in Frage kommenden Wissenschaften, yon Vertretern der Landwlrtsehaft, des Molkereifaches und der Milchh~ndler besueht. Die Tagung wurde zun~ichst eingeleitet durch einleitende Worte des Herrn Pr~isi- denten des Deutschen St~dtetages, weleher auf die Bedeumng der Milchfrage ffir die deutschen St~idte hinwies und die Ziele und Zwecke erl~iuterte, die zu dieser Tagung geffihrt batten. Darauf folgten drei Vortr~ige fiber neuzeitliehe Milchversorgung yon Herrn Bfirger- meister Dr. W a 11i- Mannheim, Herrn Direktor H. L. S c h m i t t- Mannheim und Herrn Kollegen Dr. Cantzler-Mannheim. Die Vortr~ge bezweekten die Schilderung der Verh~iltnisse der Stadt Mannhelm, um zu zeigen, auf welchem Wege die Stadt Mann- heim eine geordnete Milchversorgung erreicht hat. Herr Biirgermeister Walli schilderte zun~chst die der Verwaltung dabei zugefallenen Aufgaben. Der Mannheimer Milchzentrale wurde im Jahre 1920 auch die Aufbringung der Milch aus den Liefergebieten fibertragen. Mal~gebenden Einflu~ in der MilehzenLrale besitzt die Stadt Mannheim, indem sie 83O]o des Gesellsehafts- kapitals in Hiimden hat. Der Rest des Kapitals ist in H~inden einiger gemeinnfitziger Vereine. ~aeh Aufhebung der Zwangswirtsehaft dutch d~e Reichsverordnung vom 6. Juni 1924 galt es zuniiehst, die Stellung der Milchzentrale zu sichern. Neben anderen Mal~nahmen gesehah zu dem Zwecke vor allem die Aufreehterhaltung des Bearbeitungszwanges auf Grund einer Landesverordnung fiber den Verkehr mit Milch, welehe in einer ortspolizeilichen Vorschrift des Badischen Bezirksamtes in folgender Weise gefal~ wurde: ,,Soweit H~ndler ihre Milch nicht durch die Mannheimer Milchzentrale beziehen, sind sie auf Verlangen der Stadt verpfliehtet, die nach Mannheim eingeffihrte Voll- milch der Milchzentrale k~uflich zu fiberlassen. Die Milchzentrale kann die Annahme der Milch verweigern, wenn die Milch nicht in frischem, sfil~em Zustande ist, oder den Vorschriften dieser Besdmmung nicht entspricht. Jeder Hi~ndler ist verpflichtet, am T~ge der Milchanlieferung oder am nachstfolgenden Tage bei der Milchzentrale die gleiche Menge Milch abzunehmen, die er an sie geliefert hat." Die Mannheimer Milehh~ndler waren einsichtig genug, die Aufbr~ngung der Milch der Zentrale zu iiberlassen. Sie sahen ein, daI~ ihr Geseh~ftsbetrieb durch die Milch- zentrale wesentlich vereinfacht wird. Die Milchzentrale hat hierdurch eine Monopol- stellung als Gro~h~ndler gewonnen. Sie ist eine gemeinnfitzige Gesellschaft. Um

Bericht über die milchwirtschaftliche Tagung des Deutschen Städtetages in Mannheim

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52. Band. 1 Juli-August 19fi6.J J' T il lm a n s, Milchwirtschaftliche Tagung in Mannheim. 25

Bericht fiber die milchwirtschaftliche Tagung des Deutschen Stiidtetagcs in Mannheim

am 23. und 241 April 1926.

Yon

Prof. Dr. J. Tillmans~ Frankfurt a. M.

Unser verehrter Herr Vorsitzender forderte reich auf, ]hnen heute fiber die Ver- handlungen des Deutschen St~idtetages auf seiner milchwirtschaftlichen Tagung in Mann- helm zu berichten. An der Tagung babe ich sowohl als Vertreter des Vereins Deutscher Nahrungsmittelchemiker, als auch im Auftrage des Stadtgesundheitsamtes Frankfurt a. M. teilgenommen. Die Tagung war yon vielen Vertretern der verschiedensten deutsehen S~gtdte, yon den Vertretern der in Frage kommenden Wissenschaften, yon Vertretern der Landwlrtsehaft, des Molkereifaches und der Milchh~ndler besueht.

Die Tagung wurde zun~ichst eingeleitet durch einleitende Worte des Herrn Pr~isi- denten des Deutschen St~dtetages, weleher auf die Bedeumng der Milchfrage ffir die deutschen St~idte hinwies und die Ziele und Zwecke erl~iuterte, die zu dieser Tagung geffihrt batten.

Darauf folgten drei Vortr~ige fiber neuzeitliehe Milchversorgung yon Herrn Bfirger- meister Dr. W a 11 i- Mannheim, Herrn Direktor H. L. S c h m i t t- Mannheim und Herrn Kollegen Dr. Cantzler-Mannheim. Die Vortr~ge bezweekten die Schilderung der Verh~iltnisse der Stadt Mannhelm, um zu zeigen, auf welchem Wege die Stadt Mann- heim eine geordnete Milchversorgung erreicht hat.

Herr Biirgermeister W a l l i schilderte zun~chst die der V e r w a l t u n g dabei zugefallenen Aufgaben. Der Mannheimer Milchzentrale wurde im Jahre 1920 auch die Aufbringung der Milch aus den Liefergebieten fibertragen. Mal~gebenden Einflu~ in der MilehzenLrale besitzt die Stadt Mannheim, indem sie 83O]o des Gesellsehafts- kapitals in Hiimden hat. Der Rest des Kapitals ist in H~inden einiger gemeinnfitziger Vereine. ~aeh Aufhebung der Zwangswirtsehaft dutch d~e Reichsverordnung vom 6. Juni 1924 galt es zuniiehst, die Stellung der Milchzentrale zu sichern. Neben anderen Mal~nahmen gesehah zu dem Zwecke vor allem die Aufreehterhaltung des Bearbeitungszwanges auf Grund einer Landesverordnung fiber den Verkehr mit Milch, welehe in einer ortspolizeilichen Vorschrift des Badischen Bezirksamtes in folgender Weise gefal~ wurde:

,,Soweit H~ndler ihre Milch nicht durch die Mannheimer Milchzentrale beziehen, sind sie auf Verlangen der Stadt verpfliehtet, die nach Mannheim eingeffihrte Voll- milch der Milchzentrale k~uflich zu fiberlassen. Die Milchzentrale kann die Annahme der Milch verweigern, wenn die Milch nicht in frischem, sfil~em Zustande ist, oder den Vorschriften dieser Besdmmung nicht entspricht. Jeder Hi~ndler ist verpflichtet, am T~ge der Milchanlieferung oder am nachstfolgenden Tage bei der Milchzentrale die gleiche Menge Milch abzunehmen, die er an sie geliefert hat."

Die Mannheimer Milehh~ndler waren einsichtig genug, die Aufbr~ngung der Milch der Zentrale zu iiberlassen. Sie sahen ein, daI~ ihr Geseh~ftsbetrieb durch die Milch- zentrale wesentlich vereinfacht wird. Die Milchzentrale hat hierdurch eine Monopol- stellung als Gro~h~ndler gewonnen. Sie ist eine gemeinnfitzige Gesellschaft. Um

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daffir zu sorgen, dag die Milch in gutem Zustande an die Verbraucher gelangt, wurde eine Reihc yon Magnahmen durchgeffihrt. Zunachst war ~ es augerordentlich wiehtig, einen zuverl/issigen Milchhandlerstand zu schaffen. Deshalb wurde das Erlaubnis- verfahren auf Grund der Reichsverordnung yore 30. April 1921 eingefiihrt. Da die Zahl der Milchhitndler vor dem Kriege den Bedarf weit fiberstiegen hatte, wurde diese Zahl auf die unbedingt notwendige HShe reduziert. Dabei verfuhr man so, dag vor allem unzuverlassige Personen und Milchfalscher unerbittlich ausgeschalte~ wurden. Die nach der Reichsverordnung vom 6. guni 1924 gegebene MSglichkeit, bei der Er- teilung der Erlaubnis zum Milchhandel elne gewisse Milchmenge als Mindestmenge ffir den betreffenden Milehh/indler vorzuschreiben, wurde damn ausgewertet, dab nut derjenige zugelassen wird, der 400 Liter t/iglich in den Verkehr hringt. Als unzu- l~ssig wird ferner derjenige betraehtet, weleher sieh nicht verpflichtet, den Bestimmungen der Stadt fiber die Erfassung, Beschaffenheit und Verteilung der Milch Folge zu leisten. Die Bestimmungen fiber die Unzuverlassigkeit wurden sparer noeh dahin ver- seharft, dag vorbestrafte Personen, solche, welche einen sehlechten Leumund haben, und solche Personen, welche den Vorschriften des Reiehes, des Landes und der Stadt fiber die Milchaufbringung, Besehaffenheit, Behandlung usw. zuwiderhandeln, als un- zuverl~ssig angesehen werden. Im Jahre 1910 hatte Mannheim bei 194000 Ein- wohnern 471 It/indict, welche durchschnitflich 70000 Liter Milch ti~glich in den Verkehr brachten. Im ffahre 1926 sind es bei 248000 Einwohner 181 I-Is mit einem Gesamtumsatze von etwa 80000 Litern. :Far die Hilfspersonen beim Milch, verkauf gelten die gleiehen Richtlinien wle ffir die Handler selbst. Den konzessio- nierten Milehh/~ndlern wurde nun ferner aufgegeben, ffir geeignete Verkaufsl/iden zu sorgen. Auf Grund der Reiehsverordnung vom 30, April 1921 wurde angeordnet, dag die Milch nur in festen Verkaufsstellen verkauft werden darf, und dal~ der Kommunal- verband den Verkauf anderer Waren als Milch in diesen Verkaufsstellen verbieten oder besehranken kann. Diese Bestimmung ist auch heute noeh in Mannheim in Kraft. Die Milch darf nur in den vorgesehriebenen Riiumen und nicht auf der Strage oder durch Zutragen verkauft werden. Als ttauptgrfinde ffir diese Ma~nahme fiihrte der Redner an, dal~ dutch die Zunahme des Kraftwagenverkehrs und dutch die damit verursachte Staubbildung, ferner dutch die zahlreichen Hunde leicht eine Verschmutzung der Milch beim Umsehfitten auf der Stral~e stattfinden kSnne. Far den Handler be- deutet naturgemiig diese Vorschrifg eine gro/~e Erleichterung seines Geschfiftsbetriebs. Die L/~den mfissen hell und luftig sein. Sic reassert mit einem abwischbaren Anstrich

oder Platten versehen sein, mfissen standig gut gereinigt und gelfiftet werden. Ferner mug jeder Laden einen Eissehrank oder eine Kfihlvorrichtung haben. Von anderen Geschiiftsriiumen mfissen die Milchladen vSllig getrennt liegen. :Neben der Milch dfirfen diese L/i, den nut bestimmte, ausdrfieklieh zugelassene Waren verkaufen, dutch deren Verkauf eine Versehmutzung und Schiidigung der Milch nieht zu beffirchten ist. Zu- gelassen sind Milchkonserven, Molkereierzeugnisse, versehiedene Fette, Eier, Kumys, Fruehts/ifte, Marmeladen, Obst-und Gemfisekonserven, Kindern/ihrmittel, Back-und Puddingpulver, Teigwaren, Limonaden, Mineralwasser, Flaschenbier; K/ise mu[~ unter Glasverschlul~ gehalten werden.

Die genannten Vorschriften gelten nicht fiir Milcherzeuger. Diese brauehen keine Erlaubnis. Sic dfirfen ihre selbstgewonnene Milch ihren Abnehmern zutragen. Ab- gabe oder Umgiegen auf der Strage oder die Verwendung unzuverlassiger ttilfspersonen ist aber aueh bier verboten.

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Es ist selbstversts da~ diese Vorschriften nur mit gro~en Schwierigkei~en durchgeffihrt werden konnten. Es wurden Vortrs in Verbraucherkreisen gehalten und Presseartikel fiber die Milchfrage verSffentlicht. Vor allem aber wirkte die Milch- zentrale selbst dauernd in den verschiedensten Kreisen aufkl~irend." Dadurch ist er- reicht worden, dal~ die Widersts heute verstummt sind. Auch die Milchh~indler sind mit den heutigen Verhi~ltnissen vSllig zufrieden. Es herrscht zwischen Milch- hs und Milchzentrale bezw. Stadt ein eintri~gliches und ersprie~lllches Verh~ltnis. Auch die Landwirte tier Lieferungsgebiete sind mit den Verh~iltnissen fast durchweg zufrieden. Sic haben natfirlich yon dieser Zentralisierung des Milchverkehrs den Vor- tell, da~ sie einen v511ig sicheren und stets zahlungsf~ihigen Abnehmer ffir ihre Pro- dukte besitzen. Redner hob als besonders bemerkenswert hervor, dal~ die Landwirtschafts- kammer ffir die Provinz Ostpreu~en die Stadt KSnigsberg kfirzlich darum ersucht habe, anzuordnen, da~ alle in die Stadt gebrachte Milch vor der Abgabe an die Ver- braucher einer Bearbeitung unterworfen werde. Der Verbraucher endlieh erh~lt eine welt gleichmii~igere und weit bessere Milch als das frfiher der Fall war.

Der zweite Vortrag des DirekLors der Mannheimer Milchzentrale, I-Ierrn S e h m i t t, schilderte die Ar be l t s weise der M i l e h z e n t ra le , die Aufbringung, den Transport, die Behandlung und Zubringung der Milch an den Konsumenten. Er hebt sehr zu- treffend hervor, daf~ es durchaus unzul~ssig ist, mit der pfleglichen Behandlung der Milch erst am Orte des Verbrauchs zu beginnen. Aus diesem Grunde hatte die Mannheimer Milchzentrale es sich zur Aufgabe gemaeht, die Aufbringung siimtlicher in Mannheim benStigter Milch selbst in die Hand zu nehmen. Dabei legt die Zentrale den grS~ten Wert auf die engste Ffihlungsnahme mit den Landwirten, indem sic um das Vertrauen jedes einzelnen Landwirtes wirbt. Die in Mannheim gehrauehten 80000 1 Milch werden yon 397 einzelnen Gemeinden und GehSften geliefert. In jeder dieser einzelnen Gemeinden hat die Milchzentrale eine oder mehrere Sammel- stellen errichtet, wo Morgen- und Abendmilch getrennt angeliefert werden. Geleitet werden dlese Sammelstellen dutch ortsans~issige Landwirte, die mit alien Verhs in der Gemeinde aufs beste vertraut sind. ,]'ede dieser Sammelstellen verfiigt fiber Wasserkfihler, Milchsieb, Mal~eimer und die Gers ffir die einfaehste Milch- untersuehung; so beginnt schon bei diesen Sammelstellen das sorgfs Ausseheiden yon ungeeigneter Milch. Die Sammelstellen treffen die erste Qualit~itsauslese. Sic seihen die Milch und kfihlen sie rnit Wasser vor. Diese Sammelstellen liegen nun his zu 11 km yon der n~ichsten Bahnstation entfernt. Da die Bahnentfernungen bis zu 163 km betragen, so ist es klar, dal~ diese Einrichtungen allein nicht genfigen, um die auf hSchstens 140 heruntergekfihlte Milch in allen Ffillen sfi~ nach Mann- helm zu bringen. Soll die Milch den langen Transportweg ohne Schaden laufen, so mug sic vor dem Bahntransport nochmals grfindlich tief gekfihlt werden. Deswegen sind an den Bahnverladestationen Tiefkfihleinrichtungen geschaffen worden, die racist in allern~ichster :Nfihe des Bahnhofs liegen. Insgesamt verffigt die Zentrale fiber 24 soleher Tiefkfihlstationen, zu denen nun die Milch von den Sammelstellen so schnell wie mSglich hinbefSrdert wird. In diesen Tiefkfihlstationen erfolgt abermals eine Qualit~tsauslese. Die gekiihlte Milch wird dann in Kfihlwagen befSrdert, die mit Eis gekfihlt sind, welches in der Tiefkfihlstation selbst gewonnen wird. Bei Transport der Milch in .Kfihlwagen wird anderw~irts haufig der Fehler gemacht, dal~ nicht ffir eine regelm~il~ige Eiserneuerung gesorgt wird. Dann wirken diese Kfihlwagen nicht mehr als Kfihlwagen, sondern wegen ihres gl~inzenden Wi~rmeschutzes als Brfitwagen,

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womit dann das Gegenteil yon dem erreicht wird, was man will. Dutch die in diesen Ktihlstationen vor sich gehende Aussonderung ungeeigneter Milch wird verhindert, dab die fibrlge Milch m i t den Transportkosten dieser nicht zu verwertenden Milch belastet wlrd. Eine Verwertung solcher Milch ffir die Herstellung yon Butter und K~ise lohnt infolge der hohen Bahntransportkosten am Orte des Verbrauchers selbst bekauntlich nicht mehr. Deswegen plant die Mannheimer Milchzentrale die Einrichtung einer Molkerei im Lieferungsgebiete, welehe die Verarbeitung der fiir die ~berfiihrung nach Mannheim ungeeigneten Milch, ohne dab diese mlt Transportkosten belastet wird, ausftihrt. Eine derartige Molkerei im Lieferungsgeb~ete kann auch insofern er- gi~nzend und verbilligend wlrken, indem sie die fiir die Frischmilehversorgung nicht benStigten Milchmengen auff~ingt und billig verwertet. Vielleicht 1/il~t slch bier auch die Frage der Molkenverwertung 15sen. Die Anlieferung grSberer Milchmengen, in die Tiefkiihlanlagen i/ibt auch auf die Dauer den Gedanken ausreifen, die grol~e Zahl der Milchkannen wenigstens teilweise dutch Transportkessel zu ersetzen, indessen miissen hierzu noch technische Schwierigkeiten iiberwunden werden. Die Kiihlwagen rollen mittels des Anschlubgleises direkt in die Milchzentrale.

I-Iier findet nun eine Bearbeitung der Milch nach neuzeitlichen Grunds~itzen start: Zwei parallel arbeitende Maschinenaggragate verm6gen in der Stunde 12000 1 Milch zu verarbeiten. Bel der Annahme wird die Milch nochmals sorgf/iltig geprtift und gemessen. Dann durchstrSmt sic Reinigungszentrifugen der Firma Lanz-Mann- helm, tritt dann in die neuen Ahlborn ' schen RShrenerhitzer ein, wo sie auf 63 o erhitzt wird und fliegt dann in den Ahlborn ' schen Dauererhltzer. Hier wlrd die Milch eine halbe Stunde lang auf 63 ~ C gehalten. Die Erhitzung geschieht nicht mit Dampf, sondern mit heibem Wasser, welches den grogen Vorteil besitzt, dab die genaue Einhaltung der Temperatur besser gewghrleistet ist. Fernsehreibthermometer sorgen ffir eine genaue ~berwaehung der Einhaltung der Temperatur. Nach Verlassen des Dauererhitzers wird die Milch durch Kohlens/iure-Tiefktihlung auf 30 heruntef ge- kfihlt und dann in Milehaufbewahrungsbeh~ltern, die einen Gesamtfassungsraum yon 100000 1 besitzen, aufgehoben. Von bier aus erfolgt dann in den frtihesten Morgenstunden die Abgabe an die Milchh/indler. Besonders erw/ihnenswert ist noch, dab in dem Betrieb auch eine neuzeitliche Flaschenreinigungs- und Fiillungsmasehine vorhanden ist, die jeden Bedarf an Flaschenmilch zu befriedigen in der Lage ist. Butterei, K~serei und Yoghurtanlage bilden die notwendigen Nebenbetriebe der Molkerei. Selbstverst/indlieh riehtet die Milchzentrale neben der Qualit~t den Milch aueh ihr Augenmerk auf die Niedrighaltung des Milchpreises. Seit dem Sp~itjahre 1925 hatte die Stadt Mannheim einen Milchpreis, der um einen Pfennig niedriger lag als bei denjenigen Stiidten, die zum Vergleich herangezogen werden kSnnen. Die Mannheimer Milehzentrale mit allen geschilderten Einrichtungen stellt heute einen Wert yon 1,5 Millionen Reichsmark dar. Diese gesamten Anlagen sind in den letzten 5 Jahren geschaffen worden.

Herr Direktor Dr. C a n t z l e r sprach dann tiber die M i l e h k o n t r o l l e , wie sie in Mannhelm gehandhabt wird. Er teilte sic in drei Teile, n/tmlich 1. die Kontrolle der Milch yore Stalle aus his zur Ankunft in Mannheim, 2. Kontrolle der Milch helm Durchgang dutch die Milchzentrale bis zur Abgabe an den Milchhandler und 3. die Kontrolle der Milchh~indler bis zur Abgabe an die Verbraucher. Zum ersten Punkt ist das Bestreben darauf gerichtet, dalii die Milch von gesunden, zweekm~il~ig gef/itterten und gut gehaltenen Kfihen in einwandfreien St~llen gewonnen wird. Frtiher hatte

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man nur eine sehr geringe MSglichkeit, auf die Gewinnung einer gesunden und ein- wandfreien Milch auf dem Lande einzuwlrken. Bei Milchfiilschungen spielte oft der unbekannte Lieferant, yon dem wir alle ein Lied zu singen wissen, bei dem Nach- weis der Verfi~Ischungen eine gro~e Rolle. Heute sind praktisch erfahrene Landwirte als Aul~enbeamte auf dem Lande tiitig. Sie ffihren die Kontrolle nach den Weisungen des Untersuchungsamtes aus, Wird bei der Kontrolle in der Zentrale eine verd~tchtige Milch gefunden, so werden diese F~lle sofort an Ort und Stelle verfolgt. Die als AngesteUte der Milchzentrale ffitigen Landwirte ffihren nach Anweisungen ~ Unter- suchungsamtes sofort Nachkontrollen aus. Die dabei festgestel[ten Verfiilschungen werden dann zur Anzeige gebrach~. An den Sammelstellen linden ferner durch die Au~enbeamten der Milchzentrale, wie schon erw~ihnt wurde, dauernde, Kontrollen statt. Diese werden in erster Linie yon der Milchzentrale angeregt, um vorbildlich alles zu tun, was w 11 des Nahrungsmittelgesetzes verlangt. So wurden im Januar d. J. 1353 und im Februar 1279 derartige Kontrollprfifungen ausgefiihrt: In dieser Zahl k5nnten die Kontrollen niemals durch Polizei- oder Land]gtgerorgane ausgeffihrt wer- den. Die bei diesen Kontrollen verdfichtig erscheinenden Milchproben werden an das Untersuchungsamt zur Nachprfifung eingesandt und von hier aus unter Umst~nden welter verfolgt. Im Untersuchungsamt ist eine Kartothek angelegt, in welcher fiir ]eden Lieferanten oder Landwirt eine Karte eingeffigt ist. So ist das Untersuchungs- amt fiber die Lieferung der einzelnen Landwirte stets genau unterrichtet. Besonderer Weft wird auch auf die Untersuchung der gesundheitlichen Beschaffenheit der Milch durch die Untersuchung auf Leukocyten und Streptokokken gelegt. Bei Beanstan- dungen dieser Art werden die zustiindigen Bezirkstier~trzte veranlal~t, den Gesundheits- zustand der Tiere zu untersuchen.

Die Kontrolle der Milch yon ihrer Ankunft in der Mannheimer Zentrale bis zur Abgabe an den Hs geschieht in folgender Weise: Jede einzelne Sendung wird mindestens monatlich einmal geprfift. Ergibt sich hierbei ein Verdacht der Ver- ffdschung oder wird schmutzige Milch angetroffen, so werden Proben erhoben, die im Untersuchungsamt eingehend untersucht werden. Je nach Lage des Falles wird entweder polizeiliche Anzeige erstattet, oder bei den Au~enbeamten der Milchzentrale werden l~ach- kontrollen an den einzelnen Sammelstellen beantragt. An der Annahmestelle der Milchzentrale wird jede Milch ohne Ausnahme der Alkoholprobe anterworfen, unter Umst~inden wird auch der S~iuregrad durch Titration festgestellt. Anges~iuerte Milch wird unbedingt ausgeschieden. Sie mulil auf Rahm und K~se verarbeitet werden. Unter Umstiinden wird sie auch dem Lieferanten zurfickgeschickt. Von einem Kontrolleur wird ferner yon der Milch siimtlicher Becken vor der Abgabe an den Hfindler der S~uregrad gemessen. Ferner wird stets die S torch'sche Reaktion ausgeffihrt.

Die Kontrolle der tt~ndler his zur Abgabe der Milch an den Verbraucher ge- schieht in folgender Weise: Aus den Sammelbecken der Molkerei wird stets t~iglich eine Probe genommen und im Untersuchungsamte auf das ausffihrlichste untersucht. Gleichzeitig ist stets feststellbar, welche Milch einem bestimmten Milchhiindler ge. liefert worden ist. Am gleichen Tage werden durch vier ffir die I~'ahrungsmittel- kontrolle sffindig t~tige Polizeibeamte in den Verkaufsl~den der einzelnen Milch- h~ndler wahllos Proben zur Einlieferung in das Untersuchungsamt entnommen. A u f diesem Wege liil~t sich natfirlich die geringste Veriinderung, welche der Milchh~ndler an der Milch vorgenommen hat, sofort feststellen. Das Untersuchungsamt verfiigt dutch die stfindige Untersuchung der Beckenproben gewissermal~en stets fiber die zu-

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30 28. Hauptversammlung Deutscher l~ahrungsmittelchemiker, fZeitschr, f. Vntersuchung t der I~beasmit~i.

geh6rige Stallprobe. Der Erfolg dieser Mal~nahme und der Erfolg der Ausseheidung aller ungeeigneten und unzuverl~.ssigen Milchh~ndler ist denn auch ein vollkommener. W~ihrend in den Jahren 1912/13 durehsehnlttlich 14~ aller Milchproben wegen Ver- f/~lschung und 20~ wegen Schmutzgehaltes beanstandet werden mul]ten, waren im

Jahre 1924 0,75, im Jahre 1925 nur noch 0,12~ aller in den Milchverkaufstellen Mannheims polizeilich erhobenen Milch wegen Verfglsehung zu beanstanden, wegen Schmutzgehalt abet nlcht eine einzige Milch.

Einen besonderen Vorzug, n~mlich den der grS~oren Haltbarkeit, besitzt infolge dieser Mal~nahmen naturgemfil~ die Handelsmilch in Mannheim. Klagen wegen schlechter Haltbarkeit oder wegen Gerinnens der Milch beim Ahkochen sind in Mannheim fast verstummt. Das Untersuchungsam~ hat selbst ausffihrllche Untersuchungen fiber die Haltbarkeit der Milch angestellt, welehe folgendes ergaben: Die Rohmilch aus den einzelnen GutshSfen, Sammelstellen oder Kfihlstationen der Milchzentrale zeigt beginnende S~uerung, bei 25 ~ aufgehoben, durehschnittlich naeh 71/e his 101/2 Stunden, w/ihrend die in der Milchzentrale bearbeitete Milch dieselben Erscheinungen erst nach 16 Stunden zeigte. Die Rohmilch halt, bei 25 ~ aufgehoben, das Koehen nach 10x/~ bis 16 Stunden, die bearbeitete Milch durehsehnittlich nach 25 Stunden nicht mehr aus. Die spontane Gerinnung der Rohmilch beginnt nach 14 bis 21 Stunden, die spontane Gerinnung d e r yon der Milchzentrale abgegebenen Milch erst nach 34 Stunden. Wasserstoffsuperoxyd wird zur Milchkonservierung ebensowenig verwendet wie eine :Neutralisation anges~iuerter Milch noch ausgeffihrt wird. Die Bestrebungen der Milchzcntrale, welche aich auf Verbesserung der Milch rlehten, haben den grol~en Erfolg, da$ der Durchsehnit~tsfett- gehalt der Milch wesentlieh gestiegen ist. Im Mai 1913 betrug der Durchschnitts- fettgehalt 3,430/0, im Mai 1925 war der Durchschnittsfettgehalt dagegen 3,64~ Redner rechnet aus, da$ hierdureh ein Geschenk yon 12 867 Pfund Butter im Werte yon 30 867 M. der Bev51kerung Mannheims zugeftihrt wurde. Ein weiterer Vorteil der Be- strebungen besteht darin, da$ die yon der Milehzentrale ausgegebene Milch stets eine gleichmitl~ige Besehaffenheit hat. Es kann nicht vorkommen, dag ein Konsument einmal eine Milch mit niedrigem und einmal eine solehe mit hSherem Gehalte an ,-Ni~hrstoffen erh~lt. Durch die :Neuorganisation tier Milchversorgung sin(t, wie Redner zum Schlu$ zusammenstellte, folgende Vorteile fiir den Konsumenten erreicht worden: Der Verbraucher erh~ilt

1. UnverfKlsehte und nicht versehmutzte, in jeder Riehmng hygienisch einwand- freie Milch,

2. Milch yon grS$erer Haltbarkeit mit Frisehmilcheharakter,

3. Milch mit hSherem Und gleichmagigem Fettgehalte und demgemii$ auch mit hSherem und gleiehmiigigem N/ihrwerte.

Im Anschlu~ an diese Vortrfige fuhren dann die Teilnehmer im Sonderzug zu einer der neu erriehteten K i i h l s t a t i o n e n in dem Sammelgebie te . Die dort vorhandenen Einrichtungen wurden besichtigt. :Nach der Rfickfahrt nach Mannheim wurde darauf ausffihrlich die st/idtische Milchzentrale mit ihren hochmodernen sehSnen Einrichtungen in Augensehein genommen. Keiner der Besueher wird sich des gewaltigen Eindruckes, den diese fiberaus saubere und hygienisch gestaltete sowie mit s~mdichen modernen Einrichtungen versehene Molkerei auf den Beschauer maehte, haben erwehren kSnnen. In der Molkerei selbst ist auch ein kleines Laboratorium ffir die einfachcn

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Milehuntersuchungen eingerichtet. Die Hauptuntersuchungsarbeit wird aber in dem St~dtisehen Untersuchungsamt in Mannheim ausgeffihrt.

Am Abend desselben Tages sprach dann Herr Prof. Dr. L i e h t e n b e r g e r , Direktor des Institutes ffir Maschinenwesen der Preul~isehen Versuchs- und Forschungs- anstalt ffir Milchwirtschaft in Kiel, fiber die M i l c h v e r s o r g u n g der a m e r i k a n i - s e h e n Gro~st~idte . Der Redner hat die Verhiiltnisse in den amerikanischen Grol~- st~idten mehrere Monate lang an Ort und Stelle studiert. Er betont, dab die Milchhygiene der amerikanisehen StiiAte derjenigen der europ~ischen St~tdte heute welt fiberlegen ist. Mannheim babe aus sich schon den richtigen Weg gefunden. Was aber bei uns in Deutschland noch eine Ausnahme ist, wie Mannheim, ist in Amerika der Durchschnitt, und deshalb ist es richtig yon Amerika zu sprechen und zu hSren, was die Amerikaner getan haben, um diesen Durchsehnitt zu erreichen.

In der st~idtischen Milchversorgung ist zun~ichst der Grol~betrieb vorherrschend. In der amerikanischen Entwickelung ist fiir den Milehkleinh~ndler kein Platz mehr fibrig. Der Milchkleinvertrieb ist in Amerika auch yon den Grol~betrieben mitfiber- nommen worden. Auch die Produzeaten haben sich durchweg zu Lieferungsgenossen- schaften der Landwirte zusammengeschlossen. Als charakteristisch ist besonders her- vorzuheben, dal~ die Milch nut in drei H~nde kommt, namlich Produzent, Milch- verwerter und Konsument. Die Umstellung des Verkehrs mit Milch begann beim Vieh im Stalle; denn aus einer schlechten Milch kann aueh die beste Molkerei keine gute machen. ~ber die Frage der Milcherhitzung hat man sieh in Amerlka genau so gestritten, wie es jetzt in Deutschland der Fall ist. Rohmileh stand gegen erhitzte Milch und hoeherhitzte Milch gegen Dauerhei~haltung. Heute steht nur noeh Roh- milch gege n Dauerheiflhaltung und ist yon dieser eigentlich auf der ganzen Linie gesehlagen. Den Schlui~stein dieser Entwickelung bildete ein ungeheuer grol~ ange- legter Versueh, der in einer Molkerei mit Krankheitserregern unter Verwendung aller mSgliehen Erhitzungsapparate der Milch und groi~en Kosten durchgeffihrt worden ist. Das abschlie~ende Urteil besagt, dal~ eine Erhitzung der Milch 30 Minuten lang auf 61,2 ~ genfigende Sicherheit bietet und man deshalb die Apparate auf 62,20 einstellen soll. Die ~_rzteschaft hat sich diesem Standpunkte angeschlossen. Der bekannte Er- niihrungsphysiologe Prof. Dr. Mae C o l l u m verlangt die restlose Erhitzung aller Milch, auch die der berfihmten Vorzugsmilch, welche mit ganz besonderen Vorsichts- malilregeln gewonnen wird. Als Grund ffir diesen Standpunkt fiihren die ~rzte an, daft diejenigen St~dte, die die Zwangsdauererhitzung seit Jahren haben, keine auf Milch zurfickffihrbare Epidemien mehr aufweisen, und daI~ auch die Tuberkulose ge- waltig eingeschr~inkt warden ist. Bezfiglich der Vitamine steht Mac C o l l u m auf dem Standpunkte, daB, selbst wenn sie durch die Erhitzung geschi~digt werden sollten, man sie leicht dureh Fruchts~fte wieder zuzuffigen vermag. Die Sicherheit gegen Epidemien wird unter allen Umst~nden als die Hauptsaehe angesehen. Groi~en Wert legen die Amerikaner darauf, so zu erhitzen, dalil die Aufrahmef~ihigkeit erhalten bleibt. Geht die Temperatur nicht fiber 63 ~ so wird diese fast wie bei der Rohmileh erhalten. Fiir die Milchkontrolle steht ein Stab geschulten Personals zur Verfiigung, der seine Arbeit auf dem Lande, auf dem Transport, in den Verarbeitungsbetrieben und beim Milchvertrieb durchffihrt. Diesem Stab stehen gute Regulative als Richt- linien bei ihrer Arbeit zur Verffigung. Die Regulative enthalten die Milchnormen und die Untersuchungsnormen , scharfe Bestimmungen fiber Entzug der ttandels- erlaubnis und Strafen ffir l)bertretungen der Bestimmungen. Eine grofle Rolle spielt

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3~ 23. Hauptversammlung Deutscher Nahrungsmittelchemiker. [Zeii;sehr. f.Untersuchung [ der Lebensmittel.

in den Einzelbestimmungen die Uberwachung der Reinlichkeit der Betriebe, die Kon- trolle der Milcherhitzung und die Obacht auf die Temperatur der Verkaufsmilch. Auf dem L'Jnde und au[ dem Transporte werden Fettgehalt, S/iuregrad, Temperatur und Reinheit vorwiegend geprfift. Im Falle der Beanstandung wird nicht nut ge- mahnt, sondern man hilft auch den Fehlel' linden, und erst wenn keine Abstellung erfolgt, wird - - dann abet scharf -- eingeschritten.

Die gesunde Kuh in einem gesunden StaUe ist die erste Forderung der Milch- gewinnung. Der :Farmer kann heute den Stall nach Katalog kaufen. In allen Teilen des Landes linden wir den Einheitsstall, wie er waggonweise zugeschnitten und montagefertig dem Landwir~ geliefert wird. Es handelt sich um Kurzst/ille mit allen mSglichen technischen Einrichtungen, die Versehmutzung des Milchtieres durch seinen eigenen Kot verhindert. Ffir die Milchgewinnung wird grSl~tmSglichste Reinlichkeit verlangt. Gcgen Rindertuberkulose wird Impfung viel ausgeffihrt. Chicago l/igt gegenwiirtig keine Milch in die Stadt, die nicht yon geimpften Tieren stammt. Das Ausleeren der zu ~/~ abgedeckten Milchkannen im Stalle ist verboten. Es mug ein besonderes Milchhiiuschen in 10 m Abstand vom Stalle vorhanden sein. Hier mug auch ein Kiihlraum und ein Bassin zum Einstellen der Milchkannen vorhanden sein. Die Kfihlung ist meist nur Wasserkfihlung, unter Umstfi~nden dutch etwas Eis unter- stfitzt. Morgen- und Abendmilch miissen getrennt werden. Auf den Farmen sind sog. Farminspektoren als Kontrolleure t/itig, welche die Farmeinrichtungen kontrollieren und begutaehten. Sie wirken fernerhin dureh Flugschriften und Vortr~ge. Die Be- gutachtung gesehieht mit sog. Punktierkarten. Das Verh~ltnis zwischen Inspektor und Farmer ist meist ein gutes.

Von der Farm ab sammelt in der Regel ein Farmer mit einem Auto die Milch ein. In der heil~en Zeit kiihlt er oft an bestlmmten Stationen die Milch nochmals. Die so gesammelte Milch wird dann an eine Hauptsammelstelle, die meist an der Bahn liegt, abgeliefert. I-Iier folgt eine QualitKtsprfifung auf Schmutzgehalt und Siiuerung. Auf gute Kannenwiische wird der grSl~te Wert gelegt. Die Kannen sollen auch dutch Luft getrocknet werden. Die Sammelstellen verarbeiten ferner den Milchfiberschu$ und werden deshalb mit Butterei, K~iserei oder Kondensmilchausrfistung versehen. Von den SammelstelIen aus geht die Milch entweder mit Auto oder Bahn den St~dten zu. Bei dem Autotransport bfirgerte sich das Tankautomobil sehnell ein. Auf der Bahn wird in Kfihlwagen transportiert, in denen die Kannen mit ge- brochenem Roheis bedeckt sein mfissen. Die Milch wird auf diesem Wege oft aus Entfernungen bls zu 700 km in die St/idte gebracht und kommt trotzdem in gutem Zustande an. Auch bei der Bahn gib~ es BefSrderung dutch Tanks.

Die I-Iauptrichtlinien ffir die Einrichtung der Milchverarbeitungsbetriebe in der Stadt sind_ folgende:

1. Schonende Behandlung der Milch, damit es in der Flasche einen groi~en Rahmhals gibt.

2. Gute Erhitzungseinrichtungen und kurze Milchwege, damit die bakteriologische Qualitiit vorziiglich ausf~illt:

3. MSglichste Ersparnis an menschlicher Arbeitskraft, einmal well sie zu teuer ist, dann aber auch um die Gefahr der Nachinfektion durch dan Personal zu ver. meiden.

4. Erzielung von Massenleistung, um die Behandlung und Kosten ffir 1 Liter so niedrig wie mSglich zu halten.

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52. Band. ] 3. Ti l lmans Milchwirtschaftliche Tagung in Mannheim. 33 Juli-August 1926,]

Diese Forderungen finden sich in den meisten amerikanischen GroBmolkereien fast restlos erfiillt.

Die Annahme arbeitet mit Rollenbahnen, Kannenkippern, Elevatoren und Kannen- waschmaschinen. Hier erfolgt auch nochmals eine Probenentnahme. Tun erfolgt die Reinigung dutch Filter oder Zentrifugen. Die jetzt sich anschlieBenden Erhitzungs- apparate haben eine gro~e Mannigfaltigkeit in der Konstruktion. In den neueren Apparaten dieser Art ist sichere Vorsorge getroffen, dalii jedes Milchteilchen mabedingt eine halbe Stunde auf 63 ~ erhitzt wird. Zu den Erhitzern gehSren ferner gute Re- gulier- und Kontrollapparate. Offene Milch, wie Kannenmilch, darf in den meisten St~idten nur an Hotels, Restaurationen und Krankenhfiuser abgegeben werden. S i e ist etwas bil!iger als die Flaschenmilch. Alle iibrige Milch wird nur in Flaschen ge- ffillt. Nach der Erhitzung wird deshalb die Milch den Flaschenffillmaschinen zu- gefiihrt, die vollkommen automatiseh arbeiten. Grundsatz ist dabei,,daB die Milch erst dann wieder mit Menschenhi~nden in Berfihrung kommt, wenn sic geffillt: und ver- schlossen ist. Als VerschluB dienen meistens Pappscheiben. Die fertige Milch gelangt dann in den Kfihlraum. Ffir die Flaschenreinigung werden groBe Aufwendungen ge- macht. Es wird mit Sodalauge, Chlorwasser, Wasser, Wasserstrahl und reinen Bfirsten gearbeitet. Es ist selbstverstgmdlich, dab hierauf der grSl~te Wert gelegt werden mul~; denn nile Sorgfalt in der Milchbehandlung w~re ja umsonst, wenn die so sorgfMtig gewonnene Milch in schmutzige Flaschen eingefiillt wiirde.

Das Milchverteilungsproblem hat nach Li c h t e n b e r g e r in Amerika die idealste LSsung gefunden. Die im Laufe des Tages in den Kfihlraum gebrachte Flaschen- milch wird in den frfihesten Morgenstunden in den Haushaltungen verteilt, und zwar stellt der Milchmann die Flaschen einfach vor die Haustfire und holt die leeren Flaschen wieder ab. Gestohlen wird nieht. Ladenhandel ist nut selten iiblich. Die amerika- nische Hausfrau wfinscht die Milch ins Haus gebracht. Die Milchregulative unter- scheiden meist die Milch nach Bakteriengehalt und Behandlungsweise in verschiedene Milchqualiti~ten, die zu verschiedenen Preisen verkauft werden. Schlie~lich erli~utert L ich t enb e r ger noch die gro~ziigige Art der amerlkanischen Milchpropaganda.

Am folgenden Tage vormittags sprach dann Herr Geh. Reg.-Rat Dr. Bose, Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium in Berlin, fiber M a l~ n a h m e n z u r F 6 r- d eru ng des M i lch v e rb rauchs . Er erl~uterte zunfichst die hohe Bedeutung der Milch als ~ahrungsmittel und stellt fest, dab der Milchverbrauch in den deutscheu St~idten gegeniiber den Vorkriegszeiten wesentlich zurfickgegangen ist. Die Grfinde hierffir liegen zweifellos zu einem erheblichen Teile in der wirtschaftlichen Tot breiter Volksmassen einschlie~lich des Mittelstandes begrfindet. Dazu kommt die EntwShnung der BevSlke- rung vom MilchgenuB infolge der mangelhaften Wirtschaft des Krieges, der ersten Nachkriegsjahre und der Inflationsjahre. Der Redner untersucht dann die Frage, welche Ma~nahmen mSglich sind, um ira Interesse der Volksern~ihrung und Volks- gesundheit sowie der heimischen Wirtschaft den Milchverbraueh zu fSrdern. Als Mittel zur Steigerung des Frischmilchverbrauchs kommen in Frage eine geeignete Auf- kl~rung und Werbetiitigkeit, die Steigerung der Qualit~it der Milch, die Vermehrung der Gelegenheit zum Bezuge von Milch und eine vielseitigere Gestaltung des Milch- und Rahmgenusses dutch die erhShte Verwendung verschiedener Milcherzeugnisse. Bei der Aufkli~rungsarbeit ist natiirlich vor allem die Presse in Anspruch zu nehmen. Es sind geeignete Kochbficher, Milchkochrezepte herauszugeben und auch Filme her-

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34 23. Hauptversammlung Deutscher 51ahrungsmittelchemiker. [Zeitsehr. f. Untersuchung I. d e r L e b e n s m i t t e l .

stellen zu lassen. Besonderer Weft mul~ auf die Weckung des Interesses der Jugend gelegt werden.

Um die Milchqualit/it zu heben, miissen vor allem die Landwirte zu freudiger Mitarbeit gewonnen werden. Es erscheint zweckm~$ig, die Milch nach Qualit/it zu bezahlen, und zwar unter Ber/icksichtigung nicht nur des Fettgehaltes, sondern auch des Siiure- und Sauberkeitsgrades. Aueh die Gew/ihrung yon Melkpr~mien an das Melkerpersonal sowle die Ausbildung eines tfichtigen Melkerpersonals und endlieh die Weckung des Ehrgeizes als Triebfeder fiir die Lieferung yon hoehwertiger Milch sind geeignete MaBnahmen. Gesetzliche Vorschriften sind natfirlich ebenfalls nicht zu ent- behren, indessen warnt der Redner davor, yon einer Verseh~rfung der gesetzliehen Mal~nahme alles Hell zu erwarten. Zur Hebung der Qualit/~t tier Milch gehSrt ferner eine I~eihe organisatorischer und betriebstechnischer Ma$nahmen. Es mfissen Tief- kiihlstationen in den Erzeugergebieten und Ausgleichsmolkereien errichtet werden. Zur Frage der Erhitzung der Milch nimmt der Redner nicht Stellung. Bei der Organi- sierung der Milchverteilung wird der Konzessionszwang nicht zu entbehren sein, wenn- gleieh ffir den Vertrieb von Flaschenmilch Ausnahmen gestattet werden kSnnen. Selbst- verst/indlieh spielt auch tier Preis der Milch eine grol~e Rolle. Es ist auf eine Ver- ringerung des Weges der Milch vom Produzenten zum Konsumenten sowie auf eine Verringerung der Kleinhandelsspannen Bedacht zu nehmen. Der Verbrauch der eln- heimischen Milchnebenerzeugnisse, wie Butter und Kiise, ist zu steigern, weil damit auch fiir den Landwirt die Produktionskosten geringer werden. Ffir die Erwerbslosen und iirmere Sehichten der BevSlkerung sollte Milch kostenfrei zur Verffigung gestellt werden, wie das in vorbildlicher Weise die St~.dte Berlin und Potsdam getan haben. Auch ftir Kinderspeisungen kSnnten Untersttitzungen in Form ",,on Milchfriihstficken, ebenso wie ffir werdende und stillende Mtitter gegeben werden. Die Vermehrung der Gelegenheit zum Bezuge frischer Milch mug in der Weise erfolgen, da$ die Milch gewisserma$en mehr in die Offentlichkeit gebracht wird. An allen Verkehrsknoten- punkten, an Ausflugspl~ttzen, Sportpl/itzen, Schulen, Universitiiten, Fabriken und anderen Arbeltsst~tten miissen Milchabgabestellen in entsprechender Form vorhanden sein. Er- wfinscht wiire es, wenn alle gemeinnfitzigen Organisationen; wie Wohlfahrtsgtmter, Sehul- verwattungsbehSrden, Organisationen, insbesondere aueh die Organisation der Arbeiterschaft, sich ffir diese Fragen interessieren wiirden. Der Absatz yon anderen Verbrauchsformen der Milch, wie Kefir, Yoghurt, Rahmeis und andere, sind mSglichst zu steigern. End- lich empfiehlt der Redner noch die Erriehtung yon Milchspeisehallen, und im Haushatte auf eine erhShte Verwendung yon Milch fiir Speisen aller Art hinzuwirken. Das Reichsministerium fiir Erniihrung und Landwirtschaft hat einen besonderen Reichs- ausschuI~ zur FSrderung des Milchverbrauchs ins Leben gerufen. Es empfiehlt sich~ allenthalben Ortsausschtisse zu bilden, um die Tfidgkelt dieses Aussehusses wirksamer zu gestalten.

Anschliel~end an diesen Vortrag land dann eine a l l g e m e i n e A u s s p r a c h e statt. Aus der Diskussion mSchte ich zun~chst hervorheben, dab niemand, sei er Landwirt, Milchhiindler, Wissenschaftler oder St~dtevertreter gewesen, sieh gegen irgendeine Ein- richtung des Mannheimer Systems ausgesprochen hat. Das allgemeine Urteil kann vielmehr dahin zusammengefaSt werden, daI~ das in Mannheim erreichte als vorbild-

�9 lich zu bezeichnen sei.

Besonders interessant und wichtig war die Mitteilung des Oberarztes der St/idti-

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52. Band. "l Juli-August 1926.J .I. T i l lmans , Milchwir~schaftliche Tagung in Mannheim. 35

schen Kinderklinik, da$ seit Einffihrung der Dauerpasteurisierung in der Kinderklinik kein einziger Fall yon Kinderskorbut beobachtet worden w/ire.

Besonders bemerkenswert waren ferner die Ausffihrungen zweier Hygieniker, des Herrn Prof. G o t t s c h l i c h - H e i d e l b e r g und des Herrn Prof. Sommer fe ld -Ber l in . Sie spraehen sich eindringlich ffir die Erhitzung der Milch aus, indem sie darauf hin- wlesen, dab besonders die Typhusgefahr, die der BevSlkerung yon der Milch drohe, vielfach untersch~ttzt werde.

Aus den Ausffihrungen des Herrn Geheimrats v. O s t e r t a g ist besonders be- merkenswert, dag er angab, er habe einen Vortrag yon Herrn Geheimrat J u c k e n a c k fiber die Milehfrage gelesen - - gemeint ist wohl der Vortrag des Herrn Geheimrats J u e k e n a c k auf der gahresversammlung in Mfinster - - und er kSnne zu selner Freude feststellen, da$ zwischen seiner Auffassung und der des Herrn Geheimrats J u c k e n a c k in der Milehfrage keine Differenzen bestanden.

Jeder Teilnehmer an der Versammlung wird wohl Herrn Prof. L i c h t e r ~ b e r g e r zustimmen, wenn er die Veranstaltung der beiden Mannheimer Milchtage einen Mark- stein in der Milchversorgung der deutschen St~dte genannt hat. Ich mSchte null zum Schlu/ii noeh die Frage erSrtern, was der : N a h r u n g s m i t t e l c h e m i k e r aus d i e s e n V e r h a n d l u n g e n l e r n e n so l l t e .

Milchzentralen nach Mannheimer Art sind in einigen deutschen St/~dten bei der 13berleimng der Zwangswirtschaft in die freie Wirtschaft eingeffihrt worden. Sie stellen nach meiner Auffassung ohne Frage ein ideales System der ~ilchversorgung der Grof~st/idte dar, wenn sie in der Weise, wie es in Mannheim geschieht, betrieben werden. Wo diese Betriebe heute nicht vorhanden sind, sind sie aber voraussichtlich in absehbarer Zeit auch nieht mehr zu erreichen. Deshalb entsteht die Frage~ welehe Riehtlinien soll der Nahrungsmittelchemiker in Stiidten, in denen keine Milchzentrali- sierung ist, in der Art der Milchversorgung anstreben.9

ttier mSchte ich vor allem eins betonen, was ich schon in der Diskussion zu dem Vortrage des tterrn Kollegen B e h r e 1) auf der Kasseler Versammlung im Jahre 1924 ausgeffihrt babe, und wobei mir der Verein zugestimmt hat. Anzustreben ist vor allen Dingen in der Milchversorgung der Grogbetrieb. Es mul~ kein st~dtischer Grogbetrieb sein, undes mu/~ auch nicht ein einzelner Grol~betrieb sein. ~ur der Grol~betrieb ist leistungsfs kann auf den Lieferanten beziiglich dcr Lieferung einer guten Milch einwirken und kann die n(itige Gew~hr ffir eine hygienische Behandlung der Milch iibernehmen. Auch kann der Grogbetrieb viel wirksamer kontrolliert werden als der Kleinbetrieb. Die Wahrscheinlichkeit der Verf~lschung der Milch ist hier viel geringer als bei einem kleinen Milchh~ndler, der vielfach schwer um seine wirtsehaftliche Existenz ringen mul~.

In vollem Umfange m/issen wir ~ahrungsmittelchemiker dem auf der Mann- helmet Tagung immer wieder betonten Grundsatze zustimmen, dal~ die Gewinnung einer guten Milch an der ProduktionsstKtte anfangen mug. Die Stallhygiene mug verbessert werden. Es ist danach zu streben, Milch naeh ihrer Qualit/t~ (Fettgehalt, Gehalt an sonstigen N/ihrstoffen, S~uregrad, Schmutzgehalt, Leukocyten usw.) zu bezahlen.

Ferner miissen sich auch die Bemfihungen der :Nahrungsmittelchemiker auf die Verbesserung des Transportes der Milch crstrecken. Jeder Gro/~betrieb sollte nur mit

Dlese Zeitschrift 1924, 48, 19. 3*

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36 25. Hauptversammlung Deutscher Nahrungsmittelchemiker. I Zeitszhr. f" Untersuchung der Lebensmittel.

Kiihlwagen seine Milch transportieren. Dabei ist aber auch auf eine Organisation der Eisversorgung Riicksicht zu nehmen; denn, wie schon erwiihnt wurde, ist ein Kiihlwagen ohne Eisversorgung viel schllmmer als gar kein Kiihlwagen. Die Zeit des Melkens hat sich nach den vorhandenen Zfigen zu richten. Die Milch sollte nicht eher als kurz vor Abgang des Zuges ermolken werden und nicht 1/ingere Zelt stehen bleiben. Wo sehlechtc Bahnverbindungen sind, sind Yerhandlungen mit den Eisenbahndirektionen zu pflegen, damit unter Umstitnden die Milchwagen auch an die Schnellzfige angehiingt werden kSnnen.

Milch, welche 100 km wait und mehr gereist ist, ist mannigfachen Gefahren ausgesetzt, und deshalb ist sic bei der heutigen Verbreitung der Rindertuberkulose, die ja auch auf den Menschen fibcrgehen kann, bei dem Vorkommen yon Typhus- tr~tgern und TuberkulSsen unter den Menschen, die bei Gewinnung und Transport mit der Milch in Beriihrung kommen, naeh dem Ausdrucke der Amerikaner nicht ,,sieher, genug. Es sollte deshalb allgemein auf Erhitzung der Milch vor Abgabe an den Konsumenten gedrungen werden. Das D.auerpasteurisierungsverfahren ist so- woht nach wissenschaftlichen Untersuehungen amefikanischer wie deutscher Porseher, als auch nach den Erfahrungen yon Amerika und Deutschland durchaus geeignet, die Krankheitserreger zu vernichten, wobei es den Charakter der Rohmilch yon allen Erhitzungsverfahren am meisten erh~lt. Deshatb ist zur Zeit das Dauererhitzungs- verfahren auf 63 o eine halbe Stunde lang das beste. Zu streben ist nach der voll- kommen infektionssicheren automatischen Abffillung der Milch in Flasehen.

Dem Erhitzen der Milch in den St/idten wird vielfach der Einwand gemacht, daft die Milch in den Haushalten ja doch gekocht wird und deshalb ein Erhitzen der Milch unn5tig sei. Dem ist folgendes entgegenzuhalten: Einmal muB man sich allen Ernstes einmal die Frage vorlegen, ob es wirklich zweckm/i.fig ist, den Haus- frauen lebendige Tuberkel- und Typhusbaciilen oder andere Krankheitserreger ins Haus zu liefern und sieh darauf zu verlassen, dag die Hausfrauen sic dureh richtiges Abkochen schon vernichten. Vie1 zweckm/iglger scheint es mir zu sein, durch eine schonende Erhitzung der Milch die Garantie zu haben, dab die in die Hiiuser gelieferte Milch diese Krankheitserreger nicht mehr enthiilt. Dazu kommt folgendes: Es gibt immer wieder eine ganze Anzahl Menschen, die trotz aller Belehrung und Aufkli~rung die Rohmilch nicht koehen, well sie im rohen Zustande besser schmeckt. ~ Bei der Lage der Dinge kann man sich nicht damit begnfigen zu sagen, wer das tun will, tut das auf eigene Gefahr. Ein Mensch, der sich mit derartigen Krankheiten ansteckt, bildet namlich eine schwere Gefahr fiir seine Umgebung. Dana wird aber auch in den Haushalten die Milch wegen des leichten ~bersch~umens nicht selten nicht richtig erhitzt. Schlieglich kommt es vor, dab Hausfrauen zuerst den Rahm abnehmen, der ja nur yon ungekochter Milch abgenommen werden kann, well die gekochte nieht aufrahmt. Mit dem Rahm wird der Kaffee geweil~t oder Salat angemacht. Die An- steckung kann selbstverst~ndlich cbensogut durch den Rahm erfolgen, und die ord- nungsmiiflige Erhitzung der Magermilch nutzt natiirlich nichts.

Ich bin also der Meinung, dalil der :Nahrungsmittelchemiker sich ffir das Er- hitzen in groSen Molkereien, m6glichst mit Hilfe des Dauerpasteurisierungsverfahrens' vor Abgabe der Milch an den Konsumenten einsetzen sollte.

Alle Bestrebungen zur Schaffung eines guten Milehhitndlerstandes sind auch yon unserer Seite nach M5glichkeit zu :~5rdern. Die Konzessionierung der Milehhandler, welehe der Milchh/indlerstand selbst fordert, ist iiberall anzustreben. Wfinschenswert

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52. Band ] Juli-Angus~ 1926.] J. T i l lmans , Milehwirtschaftliehe Tagung in Mannheim. 37

w~re es, wenn die gesetzlichen Bestimmungen dahin erweitert Wfirden, dal~ auch Stiidte unter 50000 Einwohnern den Konzessionszwang einffihren kSnnen.

Der Nahrungsmittelchemiker mul~ auch auk allen geeignet erseheinenden Wegen dahin streben, den Verbrauch von Milch in Form yon Milch selbst oder Milchpr/~paraten und Speisen zu fSrdern. Das liegt sowohl im Interesse der heimischen Landwirtschaft, als auch im Volksinteresse. Milch ist nicht nur ein ideales, sondern auch ein billiges Nahrungsmittel.

Sehliel~lich mul~ der Nahrungsmittelehemiker die hygienisehe Seite der Milch- kontrolle bei selnen Untersuchungen voll und ganz beriieksiebtigen. Es ist gewil~ eine grol~e Aufgabe, Verf~lschungen zu verhfiten, indessen bei weitem nicht die einzige Aufgabe in der Milchtiberwachung und ferner vielfach auch nicht einmal die wichtigste. Neben der Untersuchung der Milch auf ihre Zusammensetzung sind laufend Unter- suchangen auszufiihren, welche Klarheit darfiber sehaffen, ob die Milch sauber ge- wonnen, ob sie yon gesunden Tieren stammt und ob sle noch [risch ist oder schon in beginnender Zersetzung sieh befindet. Fast ffir die Beantwormng aller dieser Fragen besitzen wit chemlsche Methoden. lJber die saubere Gewinnung unterrichtet die Sehmutzprobe, fiber den Frischezustand die Alkoholprobe, der S~uregrad und die Methylen- blauprobe. Ffihrt man noch laufend Keimziihlungen aus, ein Verfahren, das nach den Priifungsvorschriften ja jeder bIahrungsmittelchemiker bei Ablegung seines Staats- examens beherrschen mul~ und der ~Tahrungsmittelchemiker natfirlich ebensogut be- herrscht wie irgend ein anderer Stand, so ist fiber den Frischezustand und die Art der Gewinnung 'der Milch ein sicheres Urteil zu gewinnen. Milch yon kranken Kfihen kann man oft durch die Leukocytenprobe erkennen. Ffir die Erkennung yon Milch kranker Tiere leistet ferner naeh S t r o h e e k e r i) die Messung der spezifischen Leitfiihig- keit sowie naeh K Ss t l e r ~) u. a. die Ermlttelung der Chlor-Zucker-Zahl ausgezeiehnete Dienste. Auch die Bestimmung der Katalase, besonders ausgedehnt auf Proben aus den einzelnen Euterstrichen, gibt sehr wertvolle Anhaltspunkte fiir die Erkennung yon Krankheiten. Wenn hiernach oder infolge beobachteter abnormer sonstlger Zusammen- setzung ein Verdacht auf Krankheit der milchgebenden Tiere vorliegt, so sollte man stets tier~rztliche Untersuchung empfehlen.

Schliel~lich glaube ieh, dal~ der Nahrungsmittelchemiker dann ffir die Verbesserung der Milchverh~ltnisse am meisten erreichen wird, wenn er zun~chst als Berater und Belehrer yon Landwirten und MilchhKndlern auftritt und iaur, wenn dies nichts nutzt, oder bei groben absichflichen Verfehlungen und Fhlschungen mit Strafantr~igen vorgeht.

Prof. Dr. BSmer : Ich danke Herrn Prof. T i l l m a n s ffir den ausffihrlichen Bericht, den er uns fiber die Milchwirsehaftliche Tagung gegeben hat und besonders auch ffir die yon ihm im Anschlul~ hieran gemachten Vorschl~ige. Ich frage nun, ob hierzu das Wort gewfinscht wird.

Diskuss ion . Dr. Schwabe-Krefeld: Ieh m6chte nur lneiner Genugtuung dariiber Ausdruck geben.

daft die Ausfiihrungen, die Herr Prof. Ti l lmans gemacht hat beziiglich der Milehhtife und

1) Diese Zeitschrift 1925, 49, 342. 2) Mitt. a. d. Gebiete d. Lebensmitteluntersueh. u. Hyg. 1920, 11, 154; siehe auch N oft-

b ohm, Milehwirtsehaftliehe Forschungen 1924, 1, 345.

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38 23. Hauptversammlung Deutseher Nahrungsmittelchemiker. Zeitschr. f. Untersuchung I der Lebensmittel.

der Dauerpasteurisierung sieh vollstandig decken mit meinen Ausfahrungen im goljabr in Manster zu dieser Frage. Ich m~chte noch eines erwahnen: Ich kenne den Mannheimer Milchhof; auch andere Stadte, so Bochum and Krefeld sind daran gegangen, derartige Milch- zentralen zu errichten, wenn auchunter anderen Verhaltnissen. Ich mfchte den Teilnehmern anserer Tagung, die MilchhSfe noch nicht kennen, empfehlen, sich auf tier Rackreise yon bier einen solahen Milchhof anzusehen. Ich glaube, Herr Kollege Sendhoff-Bochum wird sebr gerne bereit seth, den Herren, die sich daffir interessieren, seinen Milehhof zu zeigen. Ich bin selhstverstiindlich ebenfalls gerne bereit, dies in Krefeld zu tun, ich glaube aber, Krefeld liegt ftir die meisten Herren bet der l~Ockreisr zu sehr aus dem Wege.

Dr. P a u l m a n n - C a s s e l : Ieh babe auch an der Milchwirtsehaftlichen Tagung in Mannheim teilgenommen und bin mi~ grolier Befriedigung yon ihr zuriickgekehrt. Nur einen Punkt machte ich bier aufahren, der mich nicht angenehm beriihrt hat. Des ist der, dati yon den etwa 500--600 Teilnehmern der Milchwirtschaftlichen Tagung nur 8 Nahrungsmittel- chemiker waren. Es ist dies erklarlich und liegt daran, dali diese Tagung einherufen war vom deutschen Stadtetag. Die Herren Oberbiirgermeister gehen zum Tell selbst zu dieser Tagung oder schicken ihre Vertreter, Beigeordnete, Xrzte oder Tierarzte. Gerade die Tier- arzte waren in grofier Zahl vertreten und nile Spitzen und Vorkampfer der Bewegung, die anstrebt, dail alle Milchuntersuchungen yon den Tierarzten gemacht werden sollen, waren bet der Tagung anwesgnd. Wit Nahrungsmittelchemiker sind aber in erster Linie berufen, bet diesen Fragen mitzureden, und es wiire sehr zu wanschen, dati wit dies tun, uud es ware besser, wenn wit an solchen Tagungen teilnehmen warden. Ich mSchte Sic daher dringend bitten, daii dutch unsere Fachpresse rechtzeitig darauf hingewiesen wird, wenn eine der- artige Tagung stattfinden sell, damit wit uns mit unseren Stadtverwaltungen ins Einver- nehmen setzen und ihnen sagen kiinnen, die richtigen Vertreter in diesen Fragen sind wir. Wir werden dies dann auch erreichen kSnnon. Die Oberbargermeister der Stadte denken leider gar nicht daran, dati wir Nahrungsmittelchemiker bier allele in Frage kommen, wahrend sich die Tierarzte bet diesen Gelegenheiten vordrangen.

Dr. Cantz le r -Mannheim: Ich mSchte zu den Ausfiihrungen yon Herrn Prof. T i l l - roans noeh einige Bemerkm~gen machen. Die Milchzentrale in Mannheim ist nicht veto Himmel gefallen und nicht an einem Tage entstanden Es hat sehr viel Arbeit gekostet and viele Zeit gebraucht, sic zu grtinden. Es war ein einm~itiges Arbeiten yon seiten der Zentrale, der stadtischen und staatlichen Verwaltungsbeh~rderi, sowie des Untersuchungsamtes not- wendig, um sic so welt zu fSrdern, wie sic heute arbeiten kann. Meine Herren! Wit baben aueh den Erfolg und haben in Mannheim keine Milehfalschung mehr. Die yon den H~tndlern entnommenen Milchproben haben stets dem Zustand entsprochen, in dem die Milch yon der Zentrale abgegeben wurde. Wir k~nnen jetzt in Mannheim der hygienisehen Untersuchung der Milch unsere Aufmerksamkeit schenken. Wir sind jetzt so welt, datl Milch nicht ver- kauft wircl, die mehr als 10 ~ C hat; wit sind also so weit wie in Amerika, we auch tier Handler bestraft wird, der Milch mit ether Temperatur tiber 10 ~ C verkauft. Zur Zeit sind wir damit besehaftigt, die Kontrolle auf dem Lande besonders zu pflegen. Die Milehzentrale hat zur Zeit 6 Aufienbeamte, die bet den Landwirten tatig sind und unter unserer Weisung arbeiten. Diese Beamten sind geprtifte Landwirte, und sie geniefien bet den Landwirten ein sehr grol~es Vertrauen, well sic auch gleichzeitig ihre Berater in allen Fragen der Land- wirtschaft sind. Wit haben durch unsere Organisation einenEinflulii auf die Ablieferung gesunder, unverfalsehter und in letzter Zeit auch unverschmutzter Milch. [-Ioffentlich kommen wir mit unserem Kontrollsystem so welt, dafi wir aach auf dem Lande keinen Milchfalscher mehr haben. Wie uns auf der Milchwirtschaftlichen Tagung Dr. L i c h t e n b e r g e r vorge- tragen hat, kommen in Amerika in manchen Bezirken keine Milchf~lschungen mehr vor; vielleicht kommen wit in Mannheim auch noch so welt. Allerdings ist noch grotie Arbeit notwendig, um zu erreichen, dal~ wit nur Milch yon gesunden, in guten Stallen zweckmii$ig gehaltenen Kfihen erhalten, um so die Stil~erhaltung der Milch vom Stall his zur Milcbzentrale zu gewahrleisten. Die Kontrolle mufi einsetzen durch den zustandigen Tierarzt. Bet der Kontrolle tier Milch in den landlichen Bezirken wird folgendes beachtet: Wird verschmutzte Milch angetroffen, oder ist Verdaeht der Falschung vorhanden, so werden die Milchproben each Konservierung mit Formalin each Mannheim ins Untersuehungsamt Zeschickt und deft eingehend untersueht. Den Schmutz fixieren wir ant Watteseheibchen. Die Autieubeamten bringen an der Sammelstelle die Wattescheibchen mit dem Schmutz und dem Namen der Landwirte zum Aushang; dies hat eine groile Wirkung bet den Landwirten gehabt. Die Autienbeamten gehen in die einzelnen Stalle und kontrollieren die Haltung der Tiere, die Gefafie usw.; ist etwas zu beansi~anden, dann nimmt der Beamte eine Besprechung mit dem betreffenden Landwirt vor ned sucht ihn in freundlicher Weise zu belehren. -- Grundlegend far die OrganiSation unserer Milehzentrale in Mannheim war die Konzessionierung der Milch- handier und die Einrichtung, dafi samtliehe Verkaufsmileh dureh den Milchhof geht. Ich mSchte nur noeh ganz kurz auf eine Sache eingehen, ant den Erlat~ des Ministers far Er- nahrung and Landwirtsehaft, der die Milch in Flaschen freigeben m~chte. Dagegen habeu

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wir uns in ~annheim sehr gewehrt. Wenn dieser Erlafi tatsachlich kommt und die Flaschen- milch freigegeben wird, dann bedeute~ dies den Ruin tier Mitehhffe. Ich wtirde es daher sehr begriifen, wenn wir alles tun wtirden, damit die Flaschenmilch in Deutschland nicht freigegeben wird.

Priisident Prof. Dr. J u c k e n a c k - B e r l i n : Ich m(ichte hierzu nur ganz kurz bemerken, dai~ die Frage, ob die Flaschenmilcb freigegeben werden soil, sofern der Verschlufi nieht ver- letzt werden kann, ohne daft der Verbraucher es merkt, zur Zeit erwogen wird. Es handelt sich hierbei um sine Frage der Ffrderung der Volksernahrung. Liegt kein Bed[irfnis daffir vor, die Konzessionspflicht bei solcher Flaschenmileh zu verlangen, mit tier nichts mehr geschehen kann, so ist die Kouzessionierung nieht berechtigt. Es sind bereits alle beteiligten Krsise gehfrt worden.

Dr. Cantz ler -Mannbeim: u hat Herr Dr. P a u l m a n n ganz riehtig gesagt, daft die Nahrungsmittelchemiker nieht tiberall vertreten sind, wo sie mitzureden hatten. Auch bei dem jetzt in Frage stehenden Erlaf sind wir Nahrungsmittelchemiker nicht gehfrt worden. Es sind bei einer Besprechung anwesend gewesen Vertre~er der Landwirtschaft, des Milch- und Lebensmittelhandels, sowie des Molkereigewerbes usw. Meiner An~icht naeh batten auch Nahrungsmittelchemiker unbedingt vorher gehfrt werden mfissen.

Pr~tsident Prof. Dr. Juckenack -Ber l i n . Es erfibrigt sich, jetzt welter hiertiber zu reden. Denn wie schon gesagt, die Angelegenheit ist yon allgemeinen Gesichtspunkten aus zu betraehten; dann erseheint da aber manches anders als bei einseitiger Betrachtung.

Dr. P f l f icker-Sol ingen: Ich mfchte noch einige WorSe sagen zur Degermamilch. Wir haben vor einiger Zeit Degermami]ch untersueht, haben die Menge der peptonisierenden Bakterien, tier Katalase usw. bestimmt; es ei'gaben sich bier grofe Unterschiede. Namentlich in einem Betrisbs war die Menge der peptonisierenden Bakterien sehr grof, sodaf wir den Schlafi ziehen konnten, da~ die Rohmilch nicht einwandfrei war. --Bemerken mfchte ieh noch, daf~ es sich m allen Fallen urn frisehe Dsgsrmamileh handelte. Soil eine guts Degermamilch erzielt werden, so muff clio Rohmilch einwandfrei gewonnen sein. Wir miissen zu einer Stallkon~rolle kommen wie in Amerika. Yon der einwandfreien Rohmilch hhngf~ die Haltbarkeit der Degerma- milch ab. Auch beztiglich der Haltbarkeit bekamen wir sehr versehiedene Wefts. Es steht test, daf die peptonisierenden Bakterien aueh bei tiefen Temperaturen sich entwiekeln, wahrend die Milchsaurebakterien sich erst nach einigen Tagen erholen und wieder virulent werden. Um zu verhindern, daf Degermamilch schon im zweifelhaften Zustand an den Konsumenten kommt, wiirde es sich empfehlen, sie mit Milchs~ureklflturen zu versetzen. Aueh Prof. W e i g m a n n und andere stehen auf dem gleichen Standpunkt, und zwar soll man die Milch versetzen mit Milchsaurebakterien, die besonders hitzebestandig sind. Man wards dadurch erreichen, daf die natiirlichen Sauerungsverh/iltnisse wieder eintreten, und das Publikum kfnnte eatscheiden, ob eine einwandfreie Milch vorliegt. Es ist dies eine einfache Mafnahme, die tlberall durchgefiihrt werden k a n n . - Notwendlg ist auch, daf in allen Milchhffen die wissen- sehaftliche Kontrolle von den Nahrungsmittelchemikern durchgeffihrt wird. Wenn dies geschieht, ist es unmfglich, daf yon einem Milehhof versebmutzte Degermamilch geliefert wird, wie wir es in wiederholten :Fallen festgestellt baben. Wit m[issen vor allen l)ingen daraaf zielen, daf die Nahrungsmittelcbemiker mehr als bisber bei Beratungen yon Milchfragen zugezogen werden. Es ist sehr zu bedauern, wenn, wie kiirzlich bei der Regierung in D[lsseldorf, fiber ei,e Milchpolizeiverordnung beraten und kein Nahrungsmittelchemiker zugezogen wurde.

Dr. No t tbohm-Hamburg : Die hier angeschnittenen Fragen sind yon so grofer Be- deutung, daft es Weft ware, wenn wir uns nicht nur einige Stunden, sondern einen ganzen Tag darilber unterhalten wiirdem ]ctl m~chte mir erlauben, einen Vorsehlag, den ich schon friiher gemacht babe, zu erneuern, daft wir namlich auf einer der naehsten Tagun~en einen ganzen Tag far die Erfr~erungen yon Fragen aus dem Gebiete der Milch ansetzen, um dadurch zu zeigen, daf wir die Milchf'agen als die Grundlage der Kontrolle der Nahrungsmittel ansehen. Zur Saehe sel~st mfchte ich reich als einen Gegner der Verallgemeinerung der Milchhffe hin- stellen. Die Miiehversorgung kann nicht getrennt vom Hinterland erfrtert and geregelt werden. Was bier im Westen gebt, geht nicht bGi uns in Hamburg. Wir haben eine Frischmilchver- sorgung yon etwa 60~ aller Milch, und wir warden es ablehnen mfissen, wenn durch Ein- fiihrung yon Milchhffen dies geandert werden sollte. Die Milch, die in der n~heren und weiteren Umgebung yon Hamburg morgens gemolken wird, ist vielfach schon um 9 odor 10 Uhr auf dem Tiseb des V~erbrauchers. Etwas Schfneres als diese Versorgung mit Frisch- milch kann ich mir nieht denken, und wir werden bei u,serer hoohentwickelten Weidewirtschaft in Holstein aueh dabei bleiben. [ch mfcbte dies nut bier zum Ausdruck bringen, damit nicht die Ansich~ hinausgeht, daf die Milchhffe das Ja und Amen der Milchversorgung sind. ]oh mfch~e nochmals vorschlagen, daft, wenn wir ~ibernachstes Jahr nach Hamburg kommen sollten, wir fiir Milehfragen einen ganzen Tag zur Verftigung halten.

Prof. Behre-Al tona: Ieh mfchte Sio bei der vorgeschrittenen Zeit nicht lange auf- halbert, ich will nur den Worton msines Vorredners hinzufiigen, daf in Grof-Hamburg die

Page 16: Bericht über die milchwirtschaftliche Tagung des Deutschen Städtetages in Mannheim

40 23. Hauptversammlung Deutscher Nahrungsmittelchemiker. I-Zeitschr. f.Ontersuchung [ dot Lebensmittel.

Ansichten geteilt sind und auch dort die Ansicht vertreien wird, datl Miehh6fe eingoftihr~ werden mfissen.

Prof. Tillmans-Frankfurg a. M.: Nur wenige Worts mSch~e ich an die Ausftlhrungen yon Prof. N o t t b o h m kntipfen. Auf der Mannheimer Tagung wurdo in der Diskussion folgender in~eressante Fall mitgeteilt: In Solingen war Bins Typhusepidemie ausgebl'ochen. Die Nach- forsehungen nach der Ursache dieser Epidemie wiesen auf ein ttofgut, welches rohe Milch in die Stadt lieferte. Unter dem Personal dieses Hofgutss wurde sin Typhustriiger festgestellt. Die Haushalte, in denen der Typhus ausgebrochen war, hatten yon dieser Milch erhalten. Die Beh6rde ging nun in die einzelnen Haushalte und fragte die ttausfrauen, warum dis Milch nicht abgekoeht worden sei. Darauf erwiderten sis sStmtlich, sie hfitten dm Milch abgekocht. Entweder hahen sis also nicht die Wahrheit gesagt odor sie haben schlecht abgekocht. Durchaus zazugeben ist, daft Rohmilch, welcho im Haushalte richtig ahgekocht wird, unge- fiihrlieh ist. In dot Praxis wird aber eben h~iuflg nich~ abgekocht odor schlecht abgekocht. Deshalb scheint mir die zentrale Erhitztlng der Milch vor Lieferung in die Haushalte das i~iehtige ztt sein.

Darauf erstattet Herr Dr. Lange-Ber l in , als Loiter der Karl Goldschmidt- Stelle f~ir Chemie und Wirtsehaft sein Referat fiber

,,Die Ziele der Zentralstelle fiir Chemie und Wirtschaft." (Auszug.)

Der Vortragende weist zun/ichst auf die merkwtirdige Tatsache hin, da.6 sehr zahlreiche technische Betriebe in irgendeiner Fabrikationsstufe h~ufig chemische Prozesse anwenden, zuweilen ohne sich dessen bewu~t zu sein, meist jedoeh ohne wirklieh chemlsch zu arbeiten, d. h. den Vorgang veto vollausgebildeten Chemiker als dem einzig Und allein in Betraeht kommenden Faehmanne wissenschaftlieh verfolgen zu lassen.

• a c h den bisherigen Feststellungen der Chemie-Wirtschaftsstelle arbeitet man in den moisten Werken noeh nach geerbten oder erworbenen Vorschriften, ohne zu wissen, dag das Rezept auf Grund der Fortschritte unseres Wissens gewandelt, gebessert, erg~inzt, evtl. vSllig erneut werden mul~, wenn anders der Betrieb nicht stagnieren soil. V o n d e r Metallbearbeitung (Giel~en, Emaillieren, Galvanisierdn, Sehmelzflu~metallisieren), zu einem groSen Tail der glastechnischen und keramischen Industriei zu den Fabriken, die Mineralfarben, Firnisse, Lacks, Leder, Papier erzeugen, Textilstoffe, Kautschuk, Holz, BitumeJ~stoffe verarbeiten, N~ihr- und :Nahrungsmittel hersteUen, in kaum einer Fabrik, die Lilmleum, Celluloid, Kunstmassen, GenuSmittel auf den Markt bringt, findet man den Chemiker zur Stelle, obwohl er doch welt fiber den speziellen Wirkungskreis hinaus durch Anregungen maneher Art, z. B. hinsiehtlieh der Verwertung yon Abfallstoffen, Untersuchung der l~ohstoffe und Fertigwaren nur sehr nfitzlieh wirken kann. In dieser Tatsache sieht der Vortragende eine ~o$e Gefahr in sozialer wie such in wirtschaftlieher Hinsicht. :Er ffihrt welter aus, wie durch den Chemiker am richtigen Orte die Produktion augerordentlich gesteigert werden kann, wie sis jedoch welters Minderung ei-fahren mul~, wenn sieh jene Industrien nicht bald entschliel~en, dem Mahnrufe zu folgen, der dutch die Chemie-Wirtschaftsstelle an sis gerichtet wird. Seit unsere Gegner die gewaltigen Leistungen unserer Chemie im Kriege staunend erkannt hatten, waren sis, allen voran Amerika, in gewohnter Schnelligkeit vorgegangen, sich umzustellen; heute droht uns ~berflfigelung auf dem gewaltigen Arbeitsgebiete, in dem wir frfiher Alleinherrscher waren. Einzig, meint der Vortragende, dutch die deft allenthalben aufgenommene wissenschaftliche Arbeitsweise und nicht vielleicht allein dutch die Aufwendung reiel~er Mittel. Denn letzten Endes kauft aueh der Amerikaner nicht aus Patriotismus sehlechte Ware, sondern er erzeugt sis eben in der sonst eingeffihrten guten Qualit~it. Gute aus einem ehemischteehnischen Prozeg hervorgehende Ware erzeugen kann nur