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Bericht fiber Markoffsche Prozesse in der Versicherungsmathematik Martin Balleer (Diisseldorf) l. Die stochastische Auffassung der Versicherung und damit die DarsteUung der zeit- lichen Entwicklung als stochastischer Prozel3 tritt in der Betrachtungsweise der Ver- sicherungsmathematik immer mehr in den Vordergrund. Der Literaturbericht von Fieger [10] 1) fiber stochastisehe Prozesse bereitet bier Unterlagen auf, die dieser Bericht mit speziellem Blick auf die Versicherungsmathematik erweitem will. Dabei wird auf eine allgemeine Darstellung der Marko~schen Theorie verziehtet und auf den oben genannten Literaturberieht verwiesen. 2. Die definierende Eigenschaft des Markoffsehen Prozesses -- Unabhgngigkeit yon Zukunft und Vergangenheit -- ist in sehr vielen Versieherungsprozessen gegeben, wobei der Poisson-ProzeB in den Anwendungen weitaus fiberwiegt. Die Anwendungs- mSglichkeit yon Poisson-Prozessen wird in der Notiz von Cram~r [7] kurz skizziert. Im folgenden werden dies speziellen Prozesse nur diskutiert, wenn sie den allgemeinen Zusammenhang mit der Markotffschen Theorie nicht vermissen lassen. Wie der Poisson. Prozel~, werden fast ausschlieBlieh Markoff-Prozesse mit diskretem oder stetigem Zeitparameter, aber lediglich diskretem Zustandsraum betrachtet. Eingeschrs auf diesen Fall ist der stochastische Prozel3 {X(t);t T}, T----stetige oder diskrete Indexmenge, mit Zustandsraum I ---- {ix, i2 .... } Marko~.Prozel~, wenn gilt: (1) P[x(t) = j/X(sl) = il ..... X(sn) = in, X(s) = i] = P[X(t) = j/X(s) = i] ffir t>s>Sn>'">sl und i,j,i~ Die bedingte Wahrscheinlichkeit auf der rechten Seite von (1) ~4rd mit pij (s, t) bzw. Pij (t) im station~ren und -- wenn s und t nur durch einen einzigen Sehritt getrennt sind -- mit Pij im diskreten Fall bezeichnet. 3. Das sehr hgufig verwendete Grundmodell (vgl. die Arbeiten yon Amsler [2], Hetz [19], Hoem [20], K~immerer [28]) ist das folgende : Ein versiehertes Risiko nimmt in der Zeit t > 0 verschiedene Zustiinde an, beispiels- weise die Lebensalter, Aktivit~t, Invaliditgt. Diesen Vorgang beschreibt station~- rer Markoff-ProzeB, der festgelegt ist a) im diskreten Fall durch die Vorgabe der Matrix der l~bergangswahrseheinlichkeiten (Pij)l, j=0,1,2..... die den l~bergang irmerhalb der Zeiteinheit vom Zustand i in den Zustand j beschreiben, b) im stetigen Fall durch die Vorgabe yon 13bergangsintensitgten (/~ij)i.j=0,1,~ .... Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der Zeit (t, t W At) yon i naeh j zu springen (i, j), (2) /zij (t) At + o (At) und dureh #j k*j in analoger Weise die Wahrseheinliehkeit bestimmt, den Zustand zu ver~ndern. 1) Zahlen in eckigen Klammern verweisen auf das Literaturverzeichnis am End des Berichts. 57

Bericht über Markoffsche Prozesse in der Versicherungsmathematik

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Page 1: Bericht über Markoffsche Prozesse in der Versicherungsmathematik

B e r i c h t f iber M a r k o f f s c h e P r o z e s s e in der V e r s i c h e r u n g s m a t h e m a t i k

Martin Balleer (Diisseldorf)

l .

Die stochastische Auffassung der Versicherung und damit die DarsteUung der zeit- lichen Entwicklung als stochastischer Prozel3 tr i t t in der Betrachtungsweise der Ver- sicherungsmathematik immer mehr in den Vordergrund. Der Literaturbericht von Fieger [10] 1) fiber stochastisehe Prozesse bereitet bier Unterlagen auf, die dieser Bericht mit speziellem Blick auf die Versicherungsmathematik erweitem will. Dabei wird auf eine allgemeine Darstellung der Marko~schen Theorie verziehtet und auf den oben genannten Literaturberieht verwiesen.

2.

Die definierende Eigenschaft des Markoffsehen Prozesses -- Unabhgngigkeit yon Zukunft und Vergangenheit -- ist in sehr vielen Versieherungsprozessen gegeben, wobei der Poisson-ProzeB in den Anwendungen weitaus fiberwiegt. Die Anwendungs- mSglichkeit yon Poisson-Prozessen wird in der Notiz von Cram~r [7] kurz skizziert. Im folgenden werden dies�9 speziellen Prozesse nur diskutiert, wenn sie den allgemeinen Zusammenhang mit der Markotffschen Theorie nicht vermissen lassen. Wie der Poisson. Prozel~, werden fast ausschlieBlieh Markoff-Prozesse mit diskretem oder stetigem Zeitparameter, aber lediglich diskretem Zustandsraum betrachtet. Eingeschrs auf diesen Fall ist der stochastische Prozel3 {X( t ) ; t �9 T}, T----stetige oder diskrete Indexmenge, mit Zustandsraum I ---- {ix, i2 . . . . } �9 Marko~.Prozel~, wenn gilt:

(1) P [ x ( t ) = j / X ( s l ) = i l . . . . . X(sn) = in, X(s) = i] = P[X(t ) = j/X(s) = i] ffir t > s > S n > ' " > s l und i , j , i ~ � 9

Die bedingte Wahrscheinlichkeit auf der rechten Seite von (1) ~4rd mit pij (s, t) bzw. Pij (t) im station~ren und -- wenn s und t nur durch einen einzigen Sehritt getrennt sind -- mit Pij im diskreten Fall bezeichnet.

3.

Das sehr hgufig verwendete Grundmodell (vgl. die Arbeiten yon Amsler [2], Hetz [19], Hoem [20], K~immerer [28]) ist das folgende : Ein versiehertes Risiko nimmt in der Zeit t > 0 verschiedene Zustiinde an, beispiels- weise die Lebensalter, Aktivit~t, Invaliditgt. Diesen Vorgang beschreibt �9 station~- rer Markoff-ProzeB, der festgelegt ist a) im diskreten Fall durch die Vorgabe der Matrix der l~bergangswahrseheinlichkeiten

(Pij)l, j=0,1,2 ..... die den l~bergang irmerhalb der Zeiteinheit vom Zustand i in den Zustand j beschreiben,

b) im stetigen Fall durch die Vorgabe yon 13bergangsintensitgten (/~ij)i.j=0,1,~ .... �9 Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der Zeit (t, t W At) yon i naeh j zu springen ( i , j),

(2) /zij (t) At + o (At) und dureh #j

k * j

in analoger Weise die Wahrseheinliehkeit bestimmt, den Zustand zu ver~ndern.

1) Zahlen in eckigen Klammern verweisen auf das Literaturverzeichnis am End�9 des Berichts.

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Der Zusammenhang zwisehen den Ubergangsintensit~ten mad -wahrseheinliehkeiten ist gegeben dutch das Differentialgleichtmgssystem

a (3) a-t- Plj (t) ~-- - - #j (t) Pij (t) q-k~.jpik (t)/Zkj (t)

mit der Randbedingung pli (0) ~ 1, pit (t) ~-- 0 ffir t ~ 0.

4.

In den Arbeiten yon Amsler [2] und -- allgemeiner -- yon Hoem [20] sind Formeln ffir die Versicherungswerte abgeleitet (siehe auch Daboni [8]). Danaeh ist der Barwert der Versicherungsleistungen w~hrend der Zeit (0, t)

t (4) Vi(t) = f vt ~ pik(t) [Bk(t) + ~ ftkl(t)Bkl(t)] d r ,

0 k k * l

werm zur Zeit t ---- 0 der Zustand i angenommen ist und (Bkl)k,1=0A,2 .... die fs Zahlungen beim ~3~bergang yon k nach l sowie (Bk)k=0,1,2 . . . . die fs Zahlungen bei Verbleib im Zustand k sind. Der Barwert einer lebensls Todesfallver- sicherung leitet sich daraus ab:

OO

(5) Ax -~ Vx (t) = f tPx/Ax+t v t dt . 0

Dabei sind die mSgliehen Zust~nde die Alter x ---- 0,1, . . . , os, denen der Zustand d als Zustand der Ausgeschiedenen adjungiert wird.

5.

In dem in Formel (5) dargestellten Fall bleibt der ProzeB sehlie~lich im Zustand d. Das ist anders, wenn jeder Ausseheidende ersetzt wird dureh eine neue Person. Wir befinden uns dann im Fall der Erneuerungstheorie, wobei auf die umfassende Dar- stellung von Ammeter [1] und das IAteraturverzeichnis in der Arbeit yon Hetz [19] verwiesen wird. Die Arbeiten von Hetz [19] und Kdmmerer [28] zeigen das Erneuerungsproblem als Marko~sehe Kette bei Anwendungen in der Versieherungsmathematik. In diesen wird zun~ehst ausgegangen yon einem Ersatz jedes Ausseheidenden durch einen Nullj~hrigen. Man erh~lt dann die Ubergangsmatrix

(6) P --~ (p i j ) m i t Pio = q i , P l l + l ----- 1 - - q i , Pmo ~--- 1 ,

wobei w das Schlul~alter der Ausscheideordnung bedeutet. Eine Verallgemeinerung erh~lt man, wenn jedes neue Risiko mit Wahrscheinlichkeit fly (fl0 :~ 0) im Alter v neu in den Bestand eintritt. Die Matrix (6) wird modifiziert zu

(7) P = (pij) mit Pij = Pij q- fljPi0.

6.

Von Interesse ist der ergodische Zustand. Wenn ptj (n) die Wahrseheinlichkeit ist, in n Schritten (i. a. Jahren) yore Zustand i in den Zustand j zu gelangen, so existiert unter relativ geringen Voraussetzungen der Grenzwert lira Pii (n). Im Fall der Matrix (6) erh~lt man (siehe Hetz [19], Kdmmerer [28]) n-~o

lj (8) p~ : ---- lim pij (n) = - - ,

n~oo ~ lx x = 0

womit die wahrscheinlichkeitstheoretisehen tIintergriinde des deterministischen

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Modells erleuchtet werden. In der Arbeit yon K5mmerer [28] ist anhand eines prakti- schen Beispiels (Unterlagen aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland) die Konvergenzgeschwindigkeit aufgezeigt.

7.

Durch die Vorgabe der Matrizen (6) bzw. (7) ist ein endlich-dimensionaler Marko~. Proze$ X (t) ---- (X0 (t), X1 (t) . . . . . X~ (t)) festgelegt, dessen Komponenten Xi (t) die Anzahl der versicherten Risiken der Klasse i zur Zeit t bezeichnen. Die beiden Studien von Hort ([21], [22]) ermitteln die Grenzrelation (siehe (8))

(9) lim Xi(t) -- Ii t - ~ ~ lx

X ~ 0

sowie Bedingungen ffir den periodischen Fall Xi (t) = Xi (t 4- p).

8.

Der in Ziffer 7 durch Umformulierung entstandene ProzeI~ X (t) ist die Basis von vielen Arbeiten, die sich ffir die GrSBe des Bestandes an versicherten Risiken inter- essieren. Dabei werden im allgemeinen die verschiedenen Altersklassen der einfacheren Formulierung wegen zu einem Zustand zusammengefaBt. So ist das Grundmodell der eindimensionale ProzeI~ X (t), der die Anzahl der versicherten Risiken (beispielsweise die Anzahl der Lebenden oder die Anzahl der Aktiven) bezeichnet. Die Familie der Ubergangsintensittiten (2) degeneriert zu ~ (n, t), der yon der Gr5Be des Bestandes n zur Zeit t abht~ngigen Ausscheideintensit~t. Das Differentialgleichungssystem (3) lautet dann (Parzen [41], Com/ort [6]).

(10) -~- Pij (t) = -- e (i, t) Pij (t) -~ 9 (i -~ 1, t) Pi+l, j (t).

9.

Das in Ziffer 8 aufgezeigte Modell ist yon M4nzner [40] niiher analysiert. Es wird da- bei gezeigt, dab ein Poisson-ProzeB vorliegt, wenn ~ (n, t) ---- # (t), also yon n unab- htingig ist. Ist dagegen Q(n, t)----n- #(t) fiir n = 0, 1, . . . , N und Q(n, t ) = 0 ffir n > N, also linear abht~ngig von der Bestandsgr6fle n, so ist der ProzeB ein Binomial- prozeB. Wenn zwei Ausscheidegrfinde i -~ 1, 2 vorliegen (# (t) =/~1 (t) ~/~2 (t)), so erhalten wir (van Klinken [33]} im ersten Fall zwei unabhtingige Poisson-Prozesse, im zweiten Fall eine Trinomialverteilung. Sind die Intensitiiten pl und ~u~. Konstante, so sind die Ausscheidewahrscheinlichkeiten qi aus Grund i

~ui e-~. t ) , (11) qi = 1 -- e-m't bzw. qi = ~ (1 + i = 1, 2.

Weitere detailliertere Untersuchungen finden sich in den Arbeiten yon Balleer [3], van Klinken ([32], [34], [36]) und Kiimmerli [37].

10.

Eine Erweiterung erhtilt das in Ziffer 8 dargestellte Modell, wenn man zwei mSgliche Zust~nde A und B sowie Ubergt~nge zwischen diesen zultiBt (Balleer [3], van Klinken [33], [36]) eAB(n,~ B

(12) An / q,~A(m, t------~ 1 m [

~qA(n, t) ~QB (m, t)

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Der Proze$ X (t) = (X• (t), XB (t)) besitzt das Differentialgleiehungssystem

8 ~P(n,m) (t) = -- [~A(n, t) + QAB(n, t) + ~B(m, t) + OBA(m, t)] p(n,m)(t)

(13) + OXB(n + 1, t) P(n+l,m-1)(t) ~- 0BA(m + 1, t) P(n-l,m+l)(t) -k ~A (n + 1, t) p(n+:, m) (t) + eB (m + 1, t) p(n, m+:) (t),

wobei P(n,m)(t) Abkfirzung f/ir P~l,j)(n, m)(t), der Ubergangswahrscheinlichkeit yon (i, j) -+ (n, m), ist. Das Differentialgleichungssystem ist elementar in voller Allgemeinheit nicht 16sbar. In wesentlichen Spezialf/~llen (z. B. Konstanz der Intensit~ten, lineare Abh/~ngigkeit der Intensit/~ten yon der Bestandsgr6Be) sind in den oben unter dieser Ziffer genannten Arbeiten LSsungen aufgezeigt.

11.

Die in wichtigen Anwendungen vorausgesetzte Konstanz der Ubergangsintensit~ten kann fiber lange Zeit nicht erffillt sein, wenn man den Zugang von auBen nicht ein- bezieht (siehe die Voraussetzungen bei van Klinken [33]). Die Arbeiten yon Balleer [3], Khalil ([29], [30]), Sehmetterer [44] und Wiinsche [51] erweitern u.a. die durch (10) und (13) beschriebenen Modelle durch konstante bzw. vonder Bestandsgr6Be ab- h~ngende Zugangsintensit/~ten. In diesem Zusammenhang muB auch auf den yon Kiimmerer [28] eingefiihrten Fall konstanter Zug/~nge durch R/ickfiihrung des Problems auf den Erneuerungsfall hin- gewiesen werden.

12.

N~her eingegangen auf einen komplizierteren Zusammenhang zwischen Eintritten in den Bestand und Bestandsentwicldung wird in den beiden Arbeiten yon ThuUen ([48], [49]), in denen unterschieden wird zwischen a) dem station/~ren Zustand (Konstanz der Gesamtzahl der Personen, Konstanz der

Altersverteilung in der Zeit), b) dem relativ-station~ren Zustand (lediglich Konstanz der Altersverteflung), c) dem stabilen Zustand (Konstanz der Altersverteilung, konstante Vermehrungs-

rate). Dabei werden die gegenseitigen Abh/~ngigkeiten dieser Postulate aufgezeigt.

13.

Um zu praktisehen Ergebnissen bei der Ermittlung von Ubergangswahrscheinlich- keiten zu kommen, ist es konsequent, die statistische Sch~tztheorie heranzuziehen. Ausgehend vom einfaehsten Fall einer erwartungstreuen, erseh6pfenden und voll- st~ndigen Sch/~tzung ftir die Ubergangswahrseheinlichkeit pn (t) im Fall der Glei- chung (10) (Seal [46])

(14) ~ (pll (t)) = 1 yt N ' Yt = Anzahl der in der Zeit (0, t) Ausgeschiedenen,

werden in den Arbeiten yon Khalil ([29], [30]), van Klinken [35], Schmetterer [44], Seal [47] und Wiinsche [51] Seh/~tzungen fiir kompliziertere Modelle entwickelt. Sie basieren/iberwiegend auf der Likelihood-Methode und erlauben, die als Parameter auftretenden UbergangsintensitKten zu sch/~tzen. Schmetterer [44] gibt auBerdem Grenzformeln ftir die manehmal sehr komplizierten ]~bergangswahrseheinliehkeiten an.

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14.

Markoffsche Prozesse sind als Modelle in der Lebensversieherung sehr praktikabel, da die zumeist einfaeh abgestuften BevSlkerungssterbetafeln die entseheidende Eigen- sehaft soleher Prozesse garantieren. Aueh bei doppelt abgestuften Tafeln sowie gegen- seitigem EinfluB yon Ausseheideordnungen kann man durch geeignete Klassenbildung (Amsler [2], Balleer [3]) Markoffsehe Modelle verwenden. Uber die Frage, ob aueh die Saehversieherung solehen LSsungen zug/inglieh ist, wurde am Beispiel der Kfz-Versieherung sehr diskutiert (Philipson [42] und der Diskussions- beitrag yon Franckx [13]). Frdchet [17], auf dessen grundlegende Arbeit die weiteren Untersuehungen von Franckx ([11], [12]) basieren, faBt die Anzahl der Seh/~den eines Kraftfahrzeugs als station/~re Markoff-Kette auf. Die Ubergangswahrseheinlichkeit Plj (i, j = 0, 1 .... 1~I) bezeiehnet die Wahrseheinliehkeit, yon einem Jahr mit i Seh/~den in ein Jahr mit j Seh/iden iiberzutreten. Anhand von Untersuchungsmaterial wird von Franckx [12] gezeigt, dab die Konvergenz der hSheren Ubergangswahrscheinliehkeiten ptj (n) sehr sehnell ist und sehon naeh drei Sehritten der ergodisehe Zustand erreicht ist, was einem Einpendein in eine bestimmte Bonusklasse entsprieht. Diese relativ kurze Ubergangs- phase 1/~Bt es zu, sich bei vielen Untersuehungen auf die stabilisierten Ubergangs- wahrseheinliehkeiten zu besehr/~nken (Mehring [39]). Philipson, der sehr viele Arbeiten den in der Kfz-Versicherung anftretenden Vertei- lungen widmete, hat einige yon ihnen kiirzheh [43] auf ihren Marko~sehen Charakter untersueht.

15.

Markoffsche Modellans/~tze zur Dotierung ausreichender Riickstellungen greifen un- mittelbar ein in das Gebiet der Risikotheorie. Klinger [31] behandelt die Risikoreserve Xn am Ende des n-ten Geseh/fftsjahres als station/~re Markoffsche Kette. Dureh die Zusatzbestimmung, dab der ProzeB endet, wenn Xn < 0 ist, und dab er eine obere Schranke K nicht iiberschreitet, wird ein ProzeB mit absorbierendem Zustand (-- r 0) und reflektierendem Zustand K defmiert, dessen Ubergangswahrseheinlieh- keiten also lauten

[ ~ j , i < 0 (15) plj = ]pj- l , i - - 0 , . . . , K .

(pK, J, i > K

Es wird bewiesen, dab bei hinreichend groBem Anfangskapital j und oberer Sehranke K unter gewissen Voraussetzungen die Wahrseheinliehkeit eines Ruins bis zum n-ten Bflanzzeitpunkt durch die Funktion

(16) in--- 1 - - e x p - - I n--~'~(j) n > m a x { O ; # l ( l ) _ ~ j } ffj ' ~ _

approximiert werden kann, wobei /~ (j) und aj Moment und Strenung des Ruin- zeitpnnktes N (= Verteilung der Anzahl N yon Schritten bis zum Ruin) shad. Ein leicht modifiziertes Verfahren wendet HollSnder [23] am Beispiel einer Schwan- knngsrfickstellung an, bei dem auBer der oberen Sehranke K auch der Zustand 0 reflektierend ist und auBerdem in einem Gewinnjahr lediglieh s . (Xn -- Xn-1) der l~fickstellung zugeffihrt wird. Dieser ProzeB ist ergodisch, d.h. es existiert eine Grenzverteilung der Variablen Xn mlt Mittelwert x. Holldnder [23] gibt N~herungs- werte sowie Schranken fiir ~ an und erliiutert Verfahren zur Bemessung des Zuffih-

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rungssatzes s und der Maximalrfickstellung K sowie deren gegenseitige Interdepen- denzen. Der Zusammenhang mit der von Klinger [31] untersuehten Risikoreserve ist. dureh die Zerlegung dieser in Sehwankungs- und restliche Rfiekstellung gegeben. Dabei sieht man, da~ der Ruin genau darm eintritt, wenn die restliche Reserve ~ 0 ist und daI~ die Ruinwahrscheinlichkeit unabh~ngig von Zuffihrungssatz, Maximal- und Anfangsrfickstellung ist. Der Ruinzeitpunkt steht auch in der Arbeit der beiden Autoren Weesakul und Yeo [52] im Mittelpunkt der Diskussion. An einem Modell, in dem das VermSgen einer Ver- sicherungsgesellschaft linear w~ehst und sieh um exponentiell verteilte Seh~den ver- mindert, werden Ruinwahrscheinliehkeit sowie Verteilung des Ruinzeitpunktes her- geleitet.

16.

Stoehastische Prozesse (X (t) ; t _--> 0~ mit kontinuierlichem Zeitparameter, die selbst nicht Marlco~sch sind, in denen aber zufallsabh~ngige Zeitpunkte t l , t2 . . . . existieren dergestalt, da~ die Famille der Zufallsvariablen (X(ti); i ---- 1, 2 . . . . } eine Marko~. Kette (sogenannte eingebettete Kette) bflden, heiI3en Semi-Marko~-Prozesse. Um Aussagen ffir das Grenzverhalten beim Prozei~ X (t) zu erhalten, geniigt es in sehr vielen F~llen, das entsprechende Verhalten der eingebetteten Marko~-Kette zu studieren. Auf eine solehe Weise hat Janssen [27] den Invalidit~tsgrad untersueht, indem er ihn als stoehastisehen Prozel~ X (t) mit den endlichen Realisationen So, $1 . . . . . Sm auf- fal3t. Der Ubergang yon Invalidit~tsgrad Sl zu Invaliditi~tsgrad Sj erfolgt zu den Zeitpunkten t l , t2 . . . . mit Ubergangswahrscheinlichkeit Pij. Die Grenzrelationen

(17) Si ---- lim ~ pij (n) Sj und Si ---- lim ~ Pij (t) Sj, n - + c ~ j t - - ~ j

wobei Pij (t) = P[Xt = j/X0 = i] ist, definieren den mittleren Invalidit~tsgrad im station~ren Fall. Janssen [27] zeig~, dab Si ~ Si, wenn die mittlere Zeit blj zwischen den Zustandsweehseln yon i naeh j ffir alle i, j konstant ist und da~ sieh ~ yon Sl nur wenig unterscheidet, wenn die bjj wenig differieren. Vorbereitende Arbeiten zu dieser Studie sind von Yntema [24], der die mittlere Inval id i t~ als -- diskontinuierliche -- Marko~-Kette behandelt, sowie yon Janssen ([25], [26]) fiber theoretisehe Grundlagen des Semi-Marko~-Prozesses.

17.

Marko~sehe Ketten kann man als Spiel auffassen, in dem sieh der Spieler im Zeit- punkt t mit Wahrseheinlichkeit Pij daffir entseheidet, nach j zu gehen. Dieses wird yon Franclcx ([15], [16]) am Beispiel einer Risikoreserve gezeigt, die im Gegensatz zum Modell von Klinger [31] lediglieh eine untere absorbierende Sehranke besitzt. Dureh Variation der Pij im Laufe der Zeit kSnnen Anpassungen der Unternehmens- politik aufgrund von Erfahrungen aus der Vergangenheit dargestellt werden. Ein weitergehender SehrRt in die Entseheidungstheorie ist die Einffihrung eines Marlco~- Algorithmus yon Franclcx [14] ffir beliebige Entseheidungen dn:

(18) dn+l -~ f(dn, xn), Xn ---- beobaehteter Wert.

Ffir geeignete Funktionen f wird dieser Algorithmus an einem Beispiel aus der Kfz- Versieherung erl~utert.

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Einen Uberb l i ek fiber die Gedanken yon Franckx gib t die Arbe i t von Vajda [50]. U b e r h a u p t seheint de r Weg der Marko~schen Theorie zur Spiel- u n d En t sehe idungs . theor ie sehr nfi tzl ich zu sein.

Eingegangen am 15. 1. 1969

L I T E R A T U R V E R Z E I C H N I S Abkiirzungen:

DGVM = Blgtter der Deutschen Gesellschaft fiir Versicherungsmathematik, HVA ---- Het Verzekerings-Archief, MSVM = Mitteflungen der Vereinigung schweizerischer Versicherungsmathematiker, SAT = Skandinavisk Aktuarietidskrift.

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[4] C. Campagne: Quelques consideration sur la probabilit6 de ,,ruine" du point de rue dis- continue. HVA, Band 36, 1959.

[5] C. Gampagne und C. Drlebergen: Das Solvabilit~tskriterium in der Schadensversicherung. HVA, Band 34, 1957.

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Page 8: Bericht über Markoffsche Prozesse in der Versicherungsmathematik

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HVA, Band 35, 1958. [34] J. van Klinben: De Toepassing van het Poisson-proces in de Actuari~le Statistiek. Disser-

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Independent Probabilities. MSVM, Band 59, Heft 1, 1959. [37] E. K~mmerli: Die Struktur der Ausscheideordnungen in der Invalidit~tsversicherung im

Lichte der modernen Mengen- und Wahrscheinlichkeitstheorie. DGVM, Band VIII, Heft 1, 1966.

[38] P. Ldvy: Syst~mes semi-markoviens h au plus une infinit~ d6nombrable d'6tats possibles. Internationaler Mathematiker-KongreB 1954, Amsterdam.

[39] J. Mehring: Strukturprobleme der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung. DGVM, Band V, Heft 1, 1960.

[40] H. M~nzner: Zur Frage: Binomialverteilung oder Poissongesetz ? DGVM, Band II, Heft 4, 1956.

[41] E. Parzen: Stochastic Processes. Holden-Day, Inc., San Francisco, London, Amsterdam 1962.

[42] C. Philipson: Einige Bemerkungen zur Bonusfrage in der Kraftfahrversicherung. DGVM, Band VI, Heft 2, 1963.

[43] C. Philipson: Some compound poisson processes applicable in the theory of risk. XVIII. In- ternationaler KongreB der Versicherungsmathematiker 1968, Miinchen.

[44] L. Schmetterer: Ein mathematisches Modell ffir die zeitliche ~mderung eines Bestandes und die statistische Sch~tzung der auftretenden Parameter. XVI. KongreB der Versicherungs- mathematiker 1960, Brfissel.

[45] B. Schneider: Beitrag zur Theorie der Verzweigungsprozesse. Metrika, Band 3, Heft 2, 1960. [46] H. L. Seal: The Probability of Decrements from a Population. A Study in Discrete Random

Processes. SAT, Band 31, 1948. [47] H. L. Seal: The Estimation of Mortality and Other Decremental Probabilities. SAT, Band38,

1955. [48] P. Thullen: t~ber den relativen Beharrungszustand einer BevSlkerung. MSVM, Band 58,

Heft 2, 1958. [49] P. Thullen: ~ber die Eintritts- und Abnahmeintensi~ten einer Bev61kerung und fiber das

Verhalten der BevSlkerungsfunktion, insbesondere relativ station~irer BevSlkerungen. MSVM, Band 60, Heft 2, 1960.

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Page 9: Bericht über Markoffsche Prozesse in der Versicherungsmathematik

[50] S. Fa]da: Markov chains and the determination of fair premiums. The Astin Bulletin 1967, Band IV, Heft 3.

[51] G. Wiinsche: Ein Sequenz-Test zur Kontrolle yon Ausscheideh/~ufigkeiten. MSVM, Band 56, Heft 1, 1956.

[52] B. Weesakul and G.F. Yeo: Some Problems in Finite Dams with an Application to In- surance Risk. Zeitschrift fiir Wahrscheinlichkeitstheorie, Band 2, 1964. L. Yntema: Siehe [24].

Summary

The report discusses the application of Markov processes to actuarial problems by way of a survey of the available literature. The main applications are in the study of the development of insurance collectives and the establishment of adequate reserves.

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