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8/6/2019 Berliner Philharmoniker - Eine Kleine Machtmusik
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Berliner Philharmoniker
Eine kleine MachtmusikVon Fabian Bremer
24. Mai 2006 Als Herbert von Karajan 1978 in Berlin die
„Sinfonia Domestica“ von Richard Strauss probte, glitt ihm
der Baton aus der Hand. Ein Malheur, das ihm in letzter
Zeit öfter passiert war, aber niemand hatte sich etwas
dabei gedacht. Er versuchte, den Stab lässig wieder
aufzufangen, fiel dabei vornüber, landete im Orchester und
konnte nicht mehr aufstehen. Im Krankenhausdiagnostizierten die Ärzte einen kleinen Schlaganfall. Der
Sturz des Unstürzbaren war der Anfang vom Ende einer
Ära.
In einem Münchner Privatkrankenhaus besuchte der
frischgekürte Intendant der Berliner Philharmoniker, Peter
Girth, den Dirigenten und erklärte, daß er sich nicht sorgen müsse. Man habe bereits
Ersatz gefunden: Daniel Barenboim würde das anstehende Konzert übernehmen. Aschfahl,
mit abfällig krächzender Stimme zeterte der Maestro: „Barenboim!“ Zu oft war der Name
gefallen, im Zusammenhang mit seiner Nachfolge. Schon zwei Monate später stand
Karajan wieder auf dem Podium. Er wollte Barenboim mit aller Lebenskraft verhindern.
Sie warten noch immer
Im folgenden Jahr, 1979, berief Herbert von Karajan einen 19jährigen Bratscher und
Klavierspieler als Assistenten, den Korrepetitor der Deutschen Oper: Christian Thielemann.
Der schlaksige Musiker begleitete den Philharmoniker-Chef zu den Festspielen nach
Salzburg und half ihm in Berlin. Karajan hatte sich für die Karriere seines Assistenten
eingesetzt. Als Thielemann die Jury eines Nachwuchswettbewerbes schockierte, indem er,
statt brav die „Tristan“-Ouvertüre zu dirigieren, das Orchester belehrte und
auseinanderpflückte, war Karajan von soviel Wahnsinn beeindruckt.
Heute sind Barenboim und Thielemann die wahrscheinlich besten Dirigenten im deutschen
Fach, also im Heimspiel-Repertoire der Berliner Philharmoniker. Und beide sind so etwas
wie die legitimen und historisch gewachsenen Erben Karajans. Als der Dirigent am 16. Juli
1989 in Anif starb, mußten sie allerdings erst einmal warten. Und sie warten noch immer.
Ein erklärter Karajan-Feind
Sein Posten ist gefragt: Sir SimonRattle, Chefdirigent der BerlinerPhilharmoniker
Zum Thema
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Die Berliner Philharmoniker haben ihren Sound stets der
Lage der Nation angepaßt und entschieden sich zunächst
für das Gegenmodell zum autoritären, deutschtümelnden
Dirigenten, als sie den Italiener Claudio Abbado zum
neuen Chef kürten. Der leitete das Orchester dreizehn
Jahre lang, bis er das Amt niederlegte. Damals war
Thielemann noch zu jung, zu aufmüpfig und zu
ambitioniert, um die Nachfolge anzutreten, und Barenboim
steckte gerade in einer künstlerischen Krise. Zwar wurde
er von den alten Philharmonikern bei der Abstimmung
favorisiert, aber die jüngeren, von Abbado engagierten
Mitglieder überzeugten das Orchester, erneut einen Anti-
Karajan zu wählen: Die Globalisierung war angebrochen, in
Berlin kreisten die Baukräne, und die Philharmoniker setzten auf den postmodernen
Aufbruch mit Simon Rattle.
Im Gegensatz zu Barenboim und Thielemann war der Brite ein erklärter Karajan-Feind.
Einmal haben die beiden telefoniert, es ging um die historische Aufführungspraxis: „Also,
ich weiß wirklich nicht, in welchem Stil Sie zu dirigieren meinen“, fauchte Karajan den
ungen Kollegen an, „ich jedenfalls mache es im Stil von Mozart. Vielen Dank. Auf
Wiederhören.“ Simon Rattle kam es damals vor, als hätte er mit „General Patton oder
einem anderen knurrigen alten Soldaten“ gesprochen.
Ruf nach neuem Karajan
Die Anfangsbegeisterung über den britischen Neutöner hat sich gelegt. Die Sehnsuchtnach einem neuen Karajan wächst in Zeiten der Neo-Romantik. Die Kritik, daß Rattle den
romantischen Ton verspiele und seine ambitionierte Klangsuche ins Nirgendwo führe,
versuchte er auf einer Pressekonferenz mit einem nonchalanten „I am so sorry!“
herunterzuspielen. Wie angespannt der Machtkampf Rattles wirklich ist, zeigte sich Ende
letzter Woche, als Claudio Abbado mit dem Orchester probte. Ausgerechnet zur Rückkehr
des alten Chefs hat Rattle vierstündige Aufnahmesitzungen in Dahlem angesetzt, und als
er seinen Vorgänger auf offener Bühne umarmen wollte, wich der einen Schritt zurück,
gab dem Nachfolger kühl die Hand und ließ Rattle stehen. Hinter den Kulissen der
Philharmonie wird längst an einer kosmetischen Kurskorrektur gearbeitet. Die neue
Intendantin, Pamela Rosenberg, soll dem zerfahrenen Spielplan eine klügere Dramaturgie
geben. Als neue Pressesprecherin ist Elisabeth Hilsdorf im Gespräch. Sie ist die Tochter
des ehemaligen Singakademie-Leiters und Philharmoniker-Dirigenten Hans Hilsdorf. Kein
Rattle-Freund, sondern einer der größten Thielemann-Förderer.
Während Rattle die Krise weitgehend gelähmt aussitzt, bringen sich Thielemann und
Barenboim in Position. Und dabei agieren sie mindestens so klug wie einst Herbert von
Karajan. Der hat Berlin erobert, weil er sich im Hintergrund hielt, im Gegensatz zu seinem
größten Konkurrenten, Sergiu Celibidache, weil er Freundschaften schloß, statt sich mit
dem Orchester anzulegen. Dirigieren war für Karajan immer auch eine kleine Machtmusik,
stundenlang hatte er sich mit Margaret Thatcher über die Kunst der Intrige unterhalten.
Musik war für ihn die Fortsetzung der Politik mit gleichen Mitteln. Das wissen natürlichauch Barenboim und Thielemann, und so wahren die Protagonisten im aktuellen
Klangkrimi um die Philharmoniker-Nachfolge auch ihr Pokerface und stellen öffentlich
Der Marathon-Mann: DanielBarenboim
Vertriangelt: BerlinsPhilharmoniker lassen SimoneYoung auflaufen
Neue Kleider: Sir SimonRattle und die BerlinerPhilharmoniker eröffnen dieSaison
Barenboim fordert neueMusikerziehung
Ein Konzert für den Papst imVatikan
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ihnen getreten. Am liebsten gegen das Schienbein von Simon Rattle.
Wagner, Wagner und nochmals Wagner
Die beiden heimlichen Anwärter verbindet eine innige Feindschaft. Gleich nach der Wende
zog Barenboim nach Berlin und brachte die Staatskapelle, bei der schon sein großes Idol,Karajan-Vorgänger Wilhelm Furtwängler, dirigiert hatte, in Schwung. Mit ständigem Blick
auf die Philharmonie belebte er den alten, kalten Klang-Krieg der Hauptstadt und
etablierte das Ost-Orchester als ernsthafte Konkurrenz der West-Philharmoniker. Die
Staatskapelle lernte, was die Rattle-Musiker verlernt haben: das romantisch
schwelgerische Pathos. Als Christian Thielemann 1997 Musikchef der Deutschen Oper
wurde, an der auch Karajan dirigiert hatte, setzte er das gleiche Repertoire wie Barenboim
auf das Programm: Wagner, Wagner und nochmals Wagner. Dabei klang er gar nicht so
anders.
Das ist kein Wunder, denn nach seiner Lehrzeit bei Karajan ging Thielemann beiBarenboim in die Schule. So fremd wie die beiden gern tun, so nahe sind sie sich -
vielleicht zu nahe. In Kläre Warneckes Thielemann-Biographie erinnert sich der Tenor Rene
Kollo an die „Tristan“-Proben in Bayreuth: „Im Gegensatz zu Barenboim konnte
Thielemann die Partitur auswendig. Barenboim ist dann bei einer Probe einmal kurz ins
Haus raufgegangen und hat ihn dirigieren lassen. Thielemann setzte sich hin, mit seinen
langen Armen, und dirigierte ohne Partitur, und die Musiker merkten natürlich beim ersten
Runterschlag, was da passierte. Da war Barenboim aber sehr schnell wieder unten im
Graben: ,Ja, ja, ja, danke, danke!', um das Ganze wieder in die Hand zu nehmen.“
Inzwischen dirigiert Barenboim nicht mehr in Bayreuth, Thielemann hat sich auf dem
Grünen Hügel eingerichtet - diesen Sommer wird er den neuen „Ring“ leiten.
Eine kluge Kampfansage
Bayreuth ist das historische Sprungbrett für Berlin. 1951 löste Karajan auf dem Grünen
Hügel seinen Erzrivalen Furtwängler im Wagner-Walhall ab. Der hatte seinen Konkurrenten
nur noch „Herr K.“ genannt. Drei Jahre später willigte er auf dem Sterbebett ein, daß Herr
K. ihn beerben könne. Karajan wurde Chef der Berliner Philharmoniker.
Von Karajan lernen heißt, Diplomatie lernen, seine Ansprüche nie öffentlich zu formulieren
und sich dort rar zu machen, wo man eigentlich ankommen will. 2004 sagte Thielemann
Berlin ade, gab entnervt seinen Posten an der Deutschen Oper auf und zog zu denPhilharmonikern nach München. Dort hatte zuvor ausgerechnet Celibidache regiert, der
einzige Konkurrent, gegen den sich Herbert von Karajan durchsetzen mußte. Eine kluge
Kampfansage.
Das ist ganz große Oper in Sachen Macht
Auch Daniel Barenboim entfremdet sich peu a peu der Hauptstadt. Mit der Staatskapelle
hat er geschafft, was er wollte: Er hat sie zu einem Weltklasse-Orchester geformt, ist
Dirigent auf Lebenszeit. Im Schatten der Philharmoniker hat er ein Gegenmodell zu Rattle
etabliert. Wenn Barenboim bei den Festtagen dirigiert, gehört ihm die Stadt. Anders alsdie unnahbare Erscheinung Sir Simons ist er ein Dirigent zum Anfassen. Für Barenboim ist
Berlin längst erobert - bis auf die gelbe Bastion am Herbert-von-Karajan-Platz. Weitere
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Expansionen sind unmöglich. Die Opernstiftung läßt seine Ambitionen, an den anderen
Hauptstadt-Häusern zu dirigieren, aussichtslos werden, und die angestrebte
Unabhängigkeit der Staatskapelle von der Staatsoper scheint vorerst auch nicht in Sicht.
Barenboim braucht Anlauf für seinen letzten Angriff auf die Philharmonie. Sein Chicago-
Engagement läuft dieses Jahr aus, und gerade hat er seine neue Rolle an der Mailänder
Scala bekanntgegeben. Das ist ganz große Oper in Sachen Macht. Berlin wird begehrlich.
Aus der Distanz halten Barenboim und Thielemann natürlich Tuchfühlung mit der
deutschen Hauptstadt. Beide dirigieren regelmäßig bei den Philharmonikern. Und während
Thielemann immer wieder gegen die Finanzkrise der Stadt frotzelt, zieht Barenboim die
Strippen lieber aus dem Land des Lächelns. Gemeinsam mit Staatsopern-Intendant Peter
Mussbach hat er Simon Rattle als Gastdirigenten für das Haus unter den Linden
gewonnen. So spielt man Schach nach Noten.
Neulich gastierte Daniel Barenboim mit Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ in München.
Christian Thielemann war ebenfalls in der Stadt, hatte, wie immer, die Suite im Fünf-
Sterne-Hotel „Palace“ bezogen. Dort stand auch das Hotelklavier. Als Barenboim üben
wollte, ging der Hotelchef zu Thielemann, und der Dirigent fiel ihm ins Wort: „Herr
Barenboim kann von mir haben, was er will.“ Dann wurde das Instrument durch die Flure
geschoben. Am nächsten Abend haben die beiden ihre Termine abgesagt und saßen
gemeinsam an der Hotelbar. Die Wagnerianer ließen ihre alte Freundschaft aufleben.
Vielleicht haben sie über die Dirigate von Furtwängler und Karajan geschwelgt, vielleicht
über Simon Rattle geredet. Der hockte derweil in Berlin und mußte üben. Nächste Saison
will er Wagners „Ring“ dirigieren. Ein Schlüsselwerk für die Chefs der Berliner
Philharmoniker. Ein Unterfangen, das ihn als Karajan-Erben retten kann - oder ihm
endgültig das Genick bricht.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 21.05.2006, Nr. 20 / Seite 27Bildmaterial: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa/dpaweb, picture-alliance/ dpa/dpaweb
Lesermeinungen zum Beitrag [6]
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